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How is your life today?


 
 
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Matze1985
Geschlecht:männlichErklärbär
M

Alter: 38
Beiträge: 1



M
Beitrag18.04.2009 11:04
How is your life today?
von Matze1985
eBook pdf-Datei Antworten mit Zitat

Hi, alle miteinander!

Auszug aus einer Erzählung, an der ich gerade arbeite.



Ich würde Dir von so vielen Dingen schreiben, könnte ich jetzt noch schreiben, etwa davon, wie kalt die Tage sind und dass es niemals richtig hell zu werden scheint. Der Morgen ist bereits weit vorangeschritten, wenn das erste Licht durch die Lücken meiner Jalousie kriecht, doch selbst dann werde ich von der Sonne nur teilnahmslos gegrüßt. Dumpf glotzend steht sie am Himmel, hofft wie alle anderen auch nur darauf, der Tag möge endlich vorübergehen, und gleichzeitig fürchtet sie sich schon vor dem folgenden Morgen. Die Tage sind oh-ne Wärme, nur in meinem Kopf da brennt es.
Ich würde Dir von so vielen Dingen schreiben, ergäbe all dies hier einen Sinn für mich. Ich möchte Dir eine Geschichte erzählen, doch ich weiß schon im Voraus, dass Du sie nicht hören willst, früher einmal hättest Du sie vielleicht hören wol-len, doch jetzt nicht mehr. Mit Geschichten bin ich groß geworden. Mein Großva-ter ist der beste und beeindruckendste Erzähler gewesen, der meiner Meinung nach jemals gelebt hat. Er erzählte Geschichten auf eine Art und Weise, wie sie tatsächlich nur Großvätern zu eigen ist: farbig, mit wilder Fabulierlust und getra-gen von ehrlicher Begeisterung, dank der er mühelos die eher kläglichen Versuche meines eigenen Vaters in den Schatten stellte. Dabei behielt er stets im Blick, worauf es seinem Enkelsohn, der da mit leuchtenden Augen neben ihm auf dem Sofa hockte, vor Allem ankam – während die jeweilige platte bürgerliche Moral, etwa die der Grimmschen Märchen, ausgeklammert wurde (womit sich der päda-gogische Nutzen seiner Erzählungen sehr zum Entsetzen meiner Eltern gegen Null belief), sparte er doch nicht an all den grausigen und blutigen Details, auf die ich so versessen war. In seinen Geschichten wurden Hälse durchgeschnitten und Köp-fe abgetrennt, da trudelten alte Weiber schreiend durch die Flammenmeere ihrer eigenen Backöfen und Blut floss generell in Strömen. Meine Lieblingsgeschichten sind dabei jedoch stets jene gewesen, die von jungen Männern handeln, die es nicht länger Zuhause hält; die hinaus in die Welt ziehen und sich auf eine Suche machen, in dem vielleicht unbewussten aber doch sicherlich vorhandenen Verlan-gen, sich selbst zu entdecken (ein paar Leichen am Wegesrand wirkten da nicht fehl, im Gegenteil, sie machten die Geschichten nur noch besser).
Meine Geschichte hier ist jenen von früher nicht ganz unähnlich, doch keine son-derlich schöne. Auch sie beinhaltet das Motiv von dem jungen Mann, der aus-zieht, das Leben kennen zu lernen. Versuch ihn Dir zunächst vor Augen zu halten: sein Name lautet Jonas, er ist einundzwanzig Jahre alt, doch im Innern eigentlich noch immer Kind. Seine Intelligenz würde ich bestenfalls als durchschnittlich be-zeichnen; die Schule hat er auch nur irgendwie, mehr durch Glück als Fleiß zuen-de gebracht, angesichts der Welt, die ihn danach erwartet hat, hat er versucht, zum Stoiker zu werden, zu akzeptieren, dass alles, was geschieht bloß Teil ist einer nie abreißenden Kette unabwendbarer Ereignisse, angesichts derer man nicht mehr tun könne, als die Ruhe zu bewahren, Schicksalsschläge hinzunehmen und zu er-dulden. Er ist naiv genug zu glauben, dass ihm dies auf die Dauer gelingen könn-te.
Stell dir diesen Jungen neben seinem Vater auf dem Beifahrersitz eines alten Peu-geots vor, an der Heckscheibe einer dieser christlichen Fisch-Aufkleber. An einem winterlichen Spätnachmittag jagten sie den verdammenswerten störrischen Wagen durch Haarnadelkurven und Anhöhen hinauf, vorbei an einer schemenhaften Landschaft, deren Details bereits von der Dämmerung verschluckt worden waren. Sie waren auf einer Fahrt nach Nirgendwo gewesen und nun auf dem Rückweg. Wenn der junge Mann später einmal versuchen würde, sich daran zu erinnern, welches Ziel sie an diesem Abend gehabt haben mochten, dann sollte es ihm nicht gelingen. Vielleicht hatten sie im Wald eine Tanne geschlagen, es ging ja auf Weihnachten zu. Rückblickend lässt es sich einfach nicht mehr sagen, egal, für unsere Geschichte wird es nicht weiter von Bedeutung sein. Doch er würde sich auch später noch lange an das Gespräch im Innern des Wagens erinnern, an den Entschluss, den er damals getroffen hatte. Unterwegs ahnte er bereits, dass der Vater wohl nur eine Gelegenheit gesucht hatte, alleine mit ihm zu sprechen, eine jener Vater-Sohn-Konversationen unter vier Augen, die in der Regel ihr Ende in beiderseitig peinlich-berührtem Schweigen nehmen. Während der Sohn mit ange-spannt aufeinander gepressten Lippen aus dem Fenster blickte und vergeblich ver-suchte, die ersten Sterne am Feinstaubhimmel zu erkennen (stattdessen im Süden, in Sichtweite: die Lichter der Stadt), fragte ihn der Vater plötzlich, wie er sich seine Zukunft vorstelle. Mit der Schule sei er ja seit dem Sommer fertig, doch bis heute habe er weder weiterführende Pläne bekundet, noch Interesse oder gar Am-bitionen für irgendeine Richtung gezeigt. Was wolle er also mal werden?
Jonas antwortete, er dächte daran, zu studieren. Geschichte und Englisch, oder vielleicht doch lieber Germanistik, er wisse es noch nicht genau. Er sagte es tat-sächlich aus einer Laune heraus; der eben hergestellte Kontext aus diesen speziel-len Schlüsselwörtern hatte in seinem Kopf einen Moment zuvor noch überhaupt nicht existiert. Warum hatte er es also gesagt? Vielleicht weil es das war, was man von ihm hören wollte. Weil er den Fragen seines Vaters, da er sie fürchtete, regel-recht hasste, einen Riegel hatte vorschieben wollen. Letztendlich studierten das doch nicht Wenige – all die armen Mittelstandskinder, die nichts Rechtes mit sich anzufangen wussten, und Lehrer wurden ja ohnehin immer gebraucht.
Tatsächlich hörte sich das alles für den Moment gar nicht mal schlecht an, vermit-telte es doch Anderen den Eindruck, man habe sich tatsächlich Gedanken ge-macht. Das klang nach den drei Grundpfeilern eines gesellschaftlich akzeptierten aber gediegenen Mittelklasselebens – festes Einkommen, Eigenheim und Bau-sparvertrag, alles Dinge, die man ihm immer vorgelebt und propagiert hatte, an denen ihm selbst jedoch insgeheim kaum etwas lag. Er wusste, sie würden ihn nicht zufrieden stellen, wohl aber seine Eltern. Selbstverständlich lag auch ihnen, wie den meisten Eltern überhaupt, eigentlich nur etwas daran, dass ihr Kind im Leben zurecht käme; dass der Sohn es irgendwie schaffen könne „glücklich“ zu werden mit sich und der Welt (sein eigenes Bedürfnis nach Richtung, nach Plan, danach, endlich zu spüren, am rechten Platz angekommen zu sein), doch verstan-den sie dies eher auf ihre eigene gemäßigte Weise. Mochten es auch nicht mehr als Lippenbekenntnisse sein, sie würden den Vater zufrieden stellen.
Doch dieser wirkte skeptisch. Seine Augen hatten sich verengt und starrten jetzt steingrau aus dem bleichen glattrasierten Gesicht. Ob er denn wirklich Lehrer werden wolle? fragte der Vater. Könne doch kaum ein lohnenswerter Lebensinhalt sein, sich mit den Blagen wildfremder Menschen rumzuplagen.
Der Sohn lag brach, wieder eine dieser Fragen, mit denen ihm der Vater bereits zuvor so oft den Wind aus den Segeln genommen hatte. Der Vater war Beamter bei der Stadt – Zimmer 204, an seiner Bürotür stand: Fachbereich: Zentraler Ser-vice Bürger- und Ordnungsdienste. Produktgruppenverantworlicher. Drinnen eine karge Einrichtung bestehend aus nussbraunem Schreibtisch (Pressholz), Dreh-stuhl, zwei Besucherstühlen mit plattgefurzten Polstern, steingrauem PC (alt, sehr alt) und der obligatorischen Kaffeemaschine (ebenfalls alt, mit gelben Rändern); keine Familienbilder, die Wände dafür zugekleistert mit Fotos und Plakaten der letzten Kleinstadt-Kirmes. Ein kleiner beigegestrichener Raum, der den Vater tref-fend charakterisierte: als einen rational denkenden Menschen, der „gutbürgerlich“ und mit seinem Leben im Weitesten zufrieden war. Der Sohn war nichts von alle-dem.
Vielleicht war das der Grund, weshalb sie all die Jahre nur so schwerlich mitein-ander ausgekommen waren, besaßen sie doch grundlegend verschiedene Auffas-sungen darüber, wie das Leben zu sein hatte, gleichzeitig auf der anderen Seite nun einmal nicht sein konnte, und womit man sich leider Gottes abfinden musste. Jonas merkte, dass man nach Jahren des eher stillschweigend hingenommenen als wirklich geförderten Aktes des bloßen Nebeneinanderherlebens dem anderen auf keine Weise mehr nahe kommen konnte, nicht einmal durch Lügen, gleichwohl das in den meisten Familien gut funktionierte.
Aber was genau wollte er tatsächlich tun? Er wusste es nicht. Für den Moment auch eher nebensächlich. Alles was er fürs Erste wollte war raus, raus aus allem, dauerhaft. Nichts erschien ihm schlimmer, als auf ewig hier festzusitzen, mochte ihm auch da draußen irgendwo der größte vorstellbare Misserfolg widerfahren.
Als sie die Stadt erreicht hatten, vermittelte ihm der Blick aus dem Beifahrerfens-ter die Gewissheit, dass diese ihm schon vor Langem fremd geworden war. Es war ein ernüchterndes Gefühl zu merken, nicht länger an den Ort zu gehören, den er immer als sein Zuhause, seine Heimat betrachtet hatte. Er überlegte, womit sich dies noch am Ehesten vergleichen ließe. Vielleicht damit, einen Song seiner eins-tigen Lieblingsband zu hören und sich dabei mit stetig anwachsender Verwunde-rung zu fragen, was man jemals an dieser Art von Musik gefunden haben mochte. Aber auch das traf es natürlich nicht. Eher: als wäre er entrückt worden vom Rest der Welt, immer noch zugegen, doch nur als Schatten, von allen anderen getrennt. An die meisten der Orte seiner Kindheit, an die er gerne zurückgekehrt wäre, konnte er nicht zurückkehren, denn entweder hatten sich diese bis zur Unkennt-lichkeit verändert oder waren gänzlich verschwunden. Wie das alte Haus seines Großvaters, das man ein paar Jahre zuvor abgerissen hatte. Auf dem Gelände stand mittlerweile eine Autowaschanlage, daneben ein griechischer Imbiss.
Er dachte an seinen Freund Marc, den Fotografen. Der hatte das einzig Richtige getan und diese Stadt schon längst hinter sich gelassen. Marc war zwar noch in der Ausbildung, aber verdiente sich nebenbei unter der Hand was dazu, ein Abend etwa, an denen er freudestrahlende Abiturienten knipste brachte annährend Tau-send zusätzlich ins Portemonnaie und gut Bier in den Kühlschrank. Bei ihm liefen wohl auch nur schöne Frauen rum, wie er sagte (Die haben die Hässlichen entwe-der eingesperrt oder hinter der Stadtgrenze ausgesetzt, k .A!).  Marc lebte das Le-ben so, wie es sein sollte, zu sein hatte. Er sollte ihn anrufen, hinfahren (Marcs zugespitzte Art zu reden: Jungäää! Musst mich mal besuchen kommen, ohne dich ist langweilig.), vielleicht bleiben, womöglich für länger, endlich einmal irgendwo ankommen –  

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