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Wie man eine verdammt gute Bedienungsanleitung schreibt


 
 
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sleepless_lives
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Beitrag10.04.2009 06:17
Wie man eine verdammt gute Bedienungsanleitung schreibt
von sleepless_lives
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Wie man eine verdammt gute Bedienungsanleitung schreibt (Teil 1)

Ein vertrautes Bild an der Pforte jedes größeren Herstellers von Endverbrauchergeräten: die Post wird geliefert und man muss voluminöse Plastikwannen bereitstellen, nur um die Flut von unaufgefordert eingesandten Bedienungsanleitungen einigermaßen in geordnete Bahnen leiten zu können. In den dazugehörigen Schreiben versichern die Autoren und Autorinnen, dass sie schon, bevor sie schreiben konnten, anderen die Funktionsweise ihrer Aktionfigur oder Barbiepuppe erklärt hätten, und dass ihr Traum schon immer gewesen sei, einmal eine Bedienungsanleitung für ein großes Unternehmen zu verfassen. Jeder Angestellte  in der Produktdokumentationsabteilung kann ein Lied singen von meterhoch sich türmenden Stapeln von Manuskripten und an Telefonterror grenzenden pausenlosen Anrufen. Die meisten Einsendungen werden ungelesen aussortiert, weil das Produkt, auf das sich sich beziehen, inzwischen gar nicht mehr hergestellt wird oder der Produkttyp schon im Anschreiben fehlerhaft wiedergegeben wurde. Auf der anderen Seite greifen die Hersteller immer mehr auf Bedienungsanleitungen aus dem Ausland, meist USA und Japan, zurück und nehmen minderwertige Übersetzungen, die bis zur Verunstaltung reichen, in Kauf. Warum herrscht dieses eigenartige Ungleichgewicht zwischen Angebot und Nachfrage? Weshalb führt das die Nachfrage hundertfach übersteigende Angebot nicht zu einem gesättigten Markt mit hochqualitativen, hausintern produzierten Bedienungsanleitungen überall?

Der Grund liegt schlicht und ergreifend in der miserablen Qualität der eingehenden Bedienungsanleitungen, so ungern man das auch in dieser Schärfe sagen möchte, um idealistische Jungautoren und -autorinnen nicht noch weiter zu frustrieren. Bedienungsanleitungen mögen den Flair von Kunst, Bildung und Erziehung haben, das edle Verlangen, jemand anderen an seinem Wissen teilhaben zu lassen, in kooperativer Weise Probleme zu lösen, aber sie sind in erster Linie Teil eines Produktes, sind selbst eine Ware. Das mag am Anfang schockieren, doch die Realität ist, dass Hersteller in erster Linie von wirtschaftlichen Überlegungen geleitet werden. Es sind Unternehmen wie andere auch und, um zu überleben, müssen sie Gewinn machen. Bedienungsanleitungen, die vor Anfängerfehlern strotzen und von handwerklichen Unzulänglichkeiten überfließen, haben keinen Platz in dieser kommerziell ausgerichteten Welt.

Das ist aber kein Grund zu verzweifeln, im Gegenteil, das Handwerk kann man lernen, dazu ist kein mysteriöses ›Talent‹ vonnöten. Ich würde sogar so weit gehen zu sagen: Jeder, und ich wiederhole, jeder kann eine verdammt gute Bedienungsanleitung schreiben. Das einzige, was er oder sie braucht, ist regelmäßige Übung, Disziplin und ein paar Grundkenntnisse. Die letzteren versucht dieser Artikel zu vermitteln.

Sehen wir uns also mal an, was den ›Großen‹, den Klassikern und Mythen gemein ist. Man denke dabei an die Schöpfungsmythen der Völker, deren Ursprünge sich im Dunkel der Vorzeit verlieren, wie  zum Beispiel »Herstellung der Erde aus den Überresten eines im Kampf besiegten Gegners« oder »Lehmkneten zur Formung eines Menschen«, aber auch an pragmatisch orientierte Klassiker wie »Abschlagen eines Steines, um eine scharfe Kante zu erhalten« oder »Hirsestampfen mit drei Personen«. Alle von ihnen beginnen mit einem chaotischen Zustand, der durch die Arbeit des Helden in einen weniger ungeordneten Zustand überführt wird. Ordnung wird geschaffen, Struktur aufgebaut.

In der Informationstheorie nennt man das ›Verringerung der Entropie‹, wobei man unter Entropie grob gesagt, das Gegenteil von Geordnetheit verstehen kann (genau genommen ist es ein Maß für die Ungewissheit einer Zufallsvariable). Der Held folgt dem Pfad, der in der Bedienungsanleitung vorgeben ist, - wir werden das im folgenden als ›Heldenreise‹ bezeichnen - und reduziert damit die Ungewissheit. Im Zentrum steht der fundamentale Konflikt zwischen dem zerstörerischen Prinzip das Chaos, meist verkörpert durch kleine Kinder (die Antagonisten) und den Kräften der Ordnung, repräsentiert durch den Helden (der Protagonist), der auf seiner Heldenreise einen Reifungsprozess durchmacht. Das dargelegte Schema trifft auf alle Klassiker zu, in seiner reinsten Ausprägung ist es wohl in Fistulatus' »Vom Aufräumen der Wohnstatt« zu finden. Aber auch Taccotutus' »Germanen erschlagen auf sumpfigen Untergrund«, Sean Boffins »Die Köderfischsenke oder Wie man sich nicht verwickelt« und »Russisch Roulette für Gemütskranke. Mit der Allkammer-Variante sicher zum Erfolg« von F. M Bulletjewski dürfen als bewundernswert deutliche Manifestationen des beschriebenen Prinzips der Heldenreise unter Überwindung eines zentralen Konflikts betrachtet werden. Bei den komplexeren, modernen 'Klassikern' ist im Allgemeinen eine etwas sorgfältigere Analyse vonnöten, um das dargelegte Schema herauszuarbeiten, üblicherweise indem man den Originaltext ins Gefrierfach legt und auf Tertiär- und Quartärliteratur zurückgreift. Nichtsdestotrotz treten auch hier dieselben Muster auf, gelegentlich sogar in ihrer Reinform wie zum Beispiel in Herbert Miller-Nins »BH-Verschlussöffnen für Dummies«.

Damit habe wir die Grundstruktur einer guten Bedienungsanleitung schon erkannt und müssen nun lediglich typische Fehler vermeiden. Anfänger stehen oft ehrfurchtsvoll vor der monumentalen Herausforderung, die eine Bedienungsanleitung darzustellen scheint, oder aber stürzen sich Hals- über Kopf in den Schreibprozess. Beides bringt Anfängerfehler hervor wie ein sauber angelegtes, leeres Beet im Garten Unkraut, das die zarten Triebe der eigentlichen Aussaat erstickt. Schauen  wir uns diese also mal an und handeln nach der Devise ›Gefahr erkannt, Gefahr gebannt‹.

12Wie es weitergeht »




_________________
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lupus
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Beitrag10.04.2009 07:36

von lupus
Antworten mit Zitat

Sehr geehrter Herr Sleepless,

Ihre Anleitung 'Wie zaubere ich in aller Früh ein zartes Lächeln ins Gesicht eines Nord-Hemisphären-Bewohners' hat uns sehr beeindruckt, weshalb wir uns erlauben, Sie zu bitten, uns, ohne weitere Rückfragen, den zweiten Teil derselben ehebaldigst zu unseren Handen (Abteilung entsprechend Ihres werten Anschreibens) postalisch oder elektronisch zukommen zu lassen. Insbesondere die dezente Verwendung des ironischen Untertons sowie die durchaus nicht aufdringliche Art und Weise einen an sich und für sich simplen Hergang zu scientifizieren, sowie die Auswahl der von Ihnen als Referenzen genannten Autoren (inklusive der entsprechenden Namensgebung wie etwa Bulletjowski) hat uns überzeugt.

Mit vorzüglichsten Grüßen verbleibt,
Ihre
Abteilung zur Bearbeitung von Bedienungsanleitungsanleitungen

P.S.: Im Falle einer Auftragserteilung werden wir Ihnen ein Antragsformular AF 10255a  per separater Post zukommen lassen.



Hi,
ein kleiner Fehler ist dir unterlaufen: ein Produkt (in diesem Fall eine miserable Anleitung) die nie(!) nachgefragt - also gekauft - wird, weil sie eben so miserabel ist, ist nicht Teil des Marktes und stellt folglich kein 'Über'angebot dar, weshalb es auch zu keiner Sätigung kommen kann. Also ist der Grund, den du angibst zwar richtig, die Begriffe 'Angebot', 'Sättingung' greifen technisch aber ins Leere.

 Daumen hoch  Daumen hoch


_________________
lg Wolfgang

gott ist nicht tot noch nicht aber auf seinem rückzug vom schlachtfeld des krieges den er begonnen hat spielt er verbrannte erde mit meinem leben

-------------------------------------------------------
"Ich bin leicht zu verführen. Da muss nur ein fremder Mann herkommen, mir eine Eiskugel kaufen und schon liebe ich ihn, da bin ich recht naiv. " (c) by Hubi
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sleepless_lives
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Beitrag10.04.2009 09:18

von sleepless_lives
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Sehr geehrter Herr Lupus,
mit großer Freude haben wir Ihre Stellungsnahme zu unserer Anleitung zur Kenntnis genommen und bedanken uns für das entgegengebrachte Interesse. Wir möchten Ihnen versichern, dass wir den zweiten Teil in Bälde hier anhängen werden.  Er befindet sich gerade unter Revision, um den neuesten Entwicklungen auf dem Gebiet der Bedienungsanleitungherstellung gerecht zu werden. Es hieße wohl, Eulen nach Athen zu tragen, Ihnen mitteilen zu wollen, wie sehr dieses Gebiet von aktuellen Trends und neuen Erkenntnissen geprägt wird.
Wir würden uns sehr freuen, wenn es nach einer Begutachtung des zweiten Teils eventuell zu einer Auftragserteilung käme, müssen aber einschränkend eingestehen, dass unsere Frau H., die als einzige in unserem Betrieb fähig ist, ein Antragsformular AF 10255a auszufüllen, gerade zur einer Weltumrundung im Tretboot aufgebrochen ist und uns auf absehbare Zeit nicht zur Verfügung steht.  Wir sehen uns jedoch nach Alternativen um.

Hochachtungsvoll,

Lives Sleepless
Automatic Manual, Inc
42 Confusion Road
Messing Up NSW 0666


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TheSpecula
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Beitrag11.04.2009 16:14

von TheSpecula
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Gut geschreiben und verständlicch smile aber kann es sein, dass du den Titel ein klitzekleines issel von James N. Frey's 'Wie man einen verdammt guten Roman schreibt' abgeleiten hast?^^

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Wir hassen die Bösen nicht, weil sie uns schaden, sondern weil sie böse sind.
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Longo
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Beiträge: 890



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Beitrag11.04.2009 17:59

von Longo
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Bei ein zwei Stellen, das zum Beispiel mit der Entropie, musste ich leicht schmunzeln, aber ansonsten ließ mich der Text im Bezug auf den erzählerischen, ausladenden, neunmalklug - komischen Grundtenor kalt.
Es mag deine auf jeden Fall gekonnte Art sein, lange Sätze zu schreiben, aber ich, der selber genug von diesen Konstruktionen geplagt ist, finde darin keine Leseenstpannung, sondern Leserverspannung. Aber da es den anderen augenscheinlich besser gefällt als mir, mag ich als Ausnahme gelten... (von daher keine Federbewertung)

MFG Longo
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sleepless_lives
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Beitrag12.04.2009 04:36

von sleepless_lives
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Hallo GSK-Storys und Longo,
danke für die Kommentare

@GSK-Storys

GSK-Storys hat Folgendes geschrieben:
Gut geschreiben und verständlicch smile aber kann es sein, dass du den Titel ein klitzekleines issel von James N. Frey's 'Wie man einen verdammt guten Roman schreibt' abgeleiten hast?^^

Nicht nur abgeleitet, schlicht und ergreifend geklaut. Laughing Hab den Frey allerdings nicht gelesen (fand es aber bemerkenswert, dass er in seinem zweiten Buch offensichtlich seine Meinung in vielen Punkten geändert hat und nun offenbar das Gegenteil behauptet). Aber in meiner Geschichte geht es eher darum, was in den Köpfen der Leute zurückbleibt. Wie mehr und mehr vereinfacht wird, bis man glaubt, ein einfaches Schema gefunden zu haben, das garantiert zum Erfolg führt. Das beschränkt sich auch nicht nur auf das Schreiben, es ist ein alter Wunschtraum, eine Lern-Methode zu finden, bei der man ein paar einfache Regeln befolgt und der Rest spielt keinen Rolle mehr. Zum Beispiel die Übermethode, die einem erlaubt Chinesisch in einer Woche mit fünf Minuten Lektüre vor dem Einschlafen zu lernen.


@Longo

Zitat:
Bei ein zwei Stellen, das zum Beispiel mit der Entropie, musste ich leicht schmunzeln, aber ansonsten ließ mich der Text im Bezug auf den erzählerischen, ausladenden, neunmalklug - komischen Grundtenor kalt.

Spricht halt nicht jeden an. Gut, dass du das so kommentierst und nicht einfach gar nichts sagst. 'Neunmalklug' allerdings muss es sein, denn das sind die entsprechenden Vorbilder (Schreibratgeber) und sehr oft die Leute, die sie gelesen haben, ja auch: plötzlich meint man unheimlich viel über das Schreiben zu wissen, nur weil man verstanden hat, was "Show, don't tell" bedeutet.   

Zitat:
Es mag deine auf jeden Fall gekonnte Art sein, lange Sätze zu schreiben, aber ich, der selber genug von diesen Konstruktionen geplagt ist, finde darin keine Leseenstpannung, sondern Leserverspannung

Ja, die Satzlänge ... ich glaub, ich hab schon mal woanders erwähnt, dass ich das bei Büchern, die ich lese, gar nicht wahrnehme. Es sei denn, es ist wirklich extremer Kurzsatzstil oder schlecht gebaute lange Sätze. Aber du selbst schreibst doch immer sehr kurze Sätze, wenn ich mich recht erinnere - meinst du also mit von 'von diesen Konstruktionen geplagt' als Leser von Pflichtlektüre?


Grüße,

- sleepless_lives


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BlackRider
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Beitrag12.04.2009 06:05

von BlackRider
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ja was soll man sagen? Fein gemacht, viel gelacht smile Da gabs schon ein paar nette Klassiker (Germanen erschlagen auf sumpfigem Untergrund smile smile ).
Klasse Idee. Eigentlich sollte ich ja gar nichts schreiben, weil ich nix auszusetzen habe. Nur so: Es spricht auch leute an, die noch keinen einzigen Schreibratgeber gelesen haben (ich kenn das Zeug nur von Hoerensagen und einen hab ich mal irgendwo in einer Viertelstunde ueberflogen... aber okay... ich hab mich durch Eschbachs alte Seite gewurstelt... also dann doch nicht wirklich nie einen gelesen... ahm, das wird jetzt aber zu lang).


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-https://www.youtube.com/watch?v=SnyVYk7pkII-
Leider macht Sucht auch vor Intelligenz nicht halt
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sleepless_lives
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Beitrag12.04.2009 12:17

von sleepless_lives
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Hallo BlackRider,
BlackRider hat Folgendes geschrieben:
Eigentlich sollte ich ja gar nichts schreiben, weil ich nix auszusetzen habe.

Ach, ich hab noch keinen Schreiberling gesehen, der sich nicht über Feedback freut, auch wenn es nichts auszusetzen gibt. Ich gehör definitiv dazu.  Very Happy
Dankschön.

- sleepless_lives


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Longo
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Beitrag12.04.2009 16:27

von Longo
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Ja, diese geplagten Konstruktionen habe ich wieder einmal, vielleicht noch in monströserer Form in einer Biografie Hindenburgs lesen müssen, z.B. "Die den USA von den Mittelmächten am 12. Dezember 1916 mit der Bitte um Information der Entente-Mächte zur Kenntnis gegebene Friedesdeklaration ist über Hindenburgs Schreibtisch gegangen" oder "Die von Ernst Moritz Arndt einst so sarkastisch und wortgewaltig vor das Tribunal seines gesamtdeutsch artikulierten Patriotismus geforderten deutschen Fürsten konnten sich beileibe nicht einhellig überall in der Gunst ihrer Landeskinder sehen", schließlich der Klassiker: "Heinrich Brüning, den Hindenburg bei dessen Amtsantritt "beschworen" hatte, ihn "bis zum Ende meines Lebens" nicht zu verlassen, war mit dem 53jährigen Papen ein Regimentskamerad Oskar Hindenburgs und Kurt von Schleichers gefolgt, der ihm offenbar "ungefährlich" erschien, weil er als offiziell parteiloser Regierungschef über keine Hausmacht verfügte."

Und dann als Abendlektüre noch dein Text, da hat mein Kopf ein wenig gestreikt.^^

MFG Longo
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sleepless_lives
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Beitrag02.05.2009 11:37

von sleepless_lives
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Wie man eine verdammt gute Bedienungsanleitung schreibt (Teil 2)


(1) Die Bedienungsanleitung beginnt mit dem Wetter.
Das ist der häufigste Einstieg und gleichzeitig der uninteressanteste. Über das Wetter lässt sich immer gut reden, denn es ändert sich dauernd. Aber eine Bedienungsanleitung ist kein gemütlicher Plausch mit dem Nachbarn vor dem Haus. Der Benutzer braucht nicht gleich am Anfang zu wissen, dass sein Laptop bei Umgebungstemperaturen über 35° Celcius in Flammen aufgehen mag oder die Fensterautomatik des neuen Wagens bei -15° Celcius einfriert und sich ein geöffnetes Fenster nicht mehr schließen lässt. Auch die Information, dass Wandfarbe XYZ von häufigen starken Regenfällen wieder abgewaschen wird und bei starker Sonneneinstrahlung ausbleicht, kann man später elegant und eher nebensächlich einfließen lassen. Wir fangen immer gleich mitten in der Aktion an, also mit dem, was der Benutzer als erstes wissen will. Wie schalte ich das Gerät an, wie geht der Deckel auf, etc. Man stelle sich vor Hermann Mehlstadts ›Mobbing richtig gemacht« hätte mit der Beschreibung des Wetters auf Rügen angefangen statt mit den berühmten Worten: »Nenn ihn inkontinent!«

(2) Verschachtelte, lange Sätze
Dem Anfänger schwirrt der Kopf von all dem, was er beschreiben will und  muss. Die typische und falsche Reaktion ist, so viel wie möglich in die einzelnen Sätze zu packen.
Ein Beispiel, wie man es nicht machen sollte:
»Bei der Montage der Abdeckung ist durch gleichzeitiges Festhalten von Abdeckung und Gehäuse sicherzustellen, dass die Haltestifte in die Aussparungen gesteckt werden können, ohne mit dem sich schnell drehenden Schwungrad in Berührung zu kommen.«
Durch solch einen Satzmonster-Dschungel kann sich kein Leser seinen Weg bahnen. Am Ende angekommen, ist der Anfang schon wieder vergessen. Das teilt man besser in handliche Portionen auf:
»Bei der Montage Abdeckung und Gehäuse gleichzeitig festhalten. Haltestifte in die Aussparungen stecken. Stifte nicht mit dem  Schwungrad in Berührung bringen. Es dreht sich schnell. Das haben Sie inzwischen sicher festgestellt.«
Es schadet keineswegs, öfters mal in die klassischen Anleitungen von Ernst Falzweg hineinzulesen, besonders »Soloschwertfischfischen für Senioren«, »Uhrklöppel reparieren« und »Schneeräumen am Kilimandscharo«.

(3) Es wird zu viel beschrieben und zu wenig gezeigt.
Ein Bild ist tausend Wörter wert, heißt es nicht zu unrecht. Gute Bedienungsanleitungen zeichnen sich durch eine große Anzahl von graphischen Darstellungen aus. Am besten wird dabei großzügig mit dem Einsatz von Pfeilen und Nummern gearbeitet, um komplexere Vorgänge zu verdeutlichen. Statt den Satz »Mit leichten Druck etwa fünf Minuten auf die Nahtstelle drücken« umständlich in Worten festzuhalten, zeigen wir einen Daumen über der Nahtstelle mit einem Pfeil nach unten, darüber ein entspanntes Gesicht und daneben eine stilisierte Uhr, bei der der Minutenzeiger eine Zeit von fünf Minuten überstreicht.  
Nicht immer jedoch lässt sich das Ideal der graphischen Darstellung verwirklichen, zum Beispiel, weil der Gesetzgeber die schriftliche Form vorschreibt. In diesem Fall erzeugen wir durch geeignete  Inhalte und Wortwahl das Bild im Kopf des Lesers. »Show, don't tell« heißt das im Englischen, nicht ganz korrekt im Deutschen als »Zeigen statt Beschreiben« wiedergegeben. Nehmen wir zur Veranschaulichung den Satz:
»Nie die bloßen Kontakte mit den Händen berühren! «
Hier wird der Sachverhalt lediglich mitgeteilt. Das ist langweilig und einfallslos. Im Kopf des Lesers der Bedienungsanleitung wird kein Bild erzeugt. Eine bessere Version läse sich zum Beispiel so:
»Sie winden sich am Boden. Ihr Körper wird von Muskelkrämpfen geschüttelt. Blut läuft von der abgebissenen Zungenspitze aus ihrem Mund. Sie haben Schwierigkeiten ihre Hand von den Kontakten zu lösen.«
Hier traut man sich kaum Vorbilder zu nennen, weil ein so grundsätzliches Prinzip mehr oder weniger von allen Autoren beachtet wird und die Meister des Fachs sowieso überall zitiert werden. Wenn es mich jedoch auf eine einsame Insel verschlagen würde und ich nur zwei Bedienungsanleitungen aus meiner Bibliothek von einigen Zehntausenden mitnehmen könnte, dann wären es wahrscheinlich A. M. Bemerkungs »Stacheldraht bügeln« und Eduard Tellerleins »Wir basteln eine Wasserstoffbombe«.

(4) Die Exposition wird unnötig in die Länge gezogen und kann den Leser nicht fesseln
Oft überfrachten Anfänger die Anfangspassagen einer Bedienungsanleitung mit Informationen, nur weil sie aufgrund der chronologischen Abfolge hier hingehören zu scheinen. Die Folge ist ein zäher Einstieg, der den Leser die Bedienungsanleitung gleich wieder aus der Hand legen lässt, um auf eigene Faust der Sache Herr zu werden. Schauen wir uns das an einem Beispiel an:
»Haltegriff so am Siebbehälter anbringen, dass er mindestens 10cm über die obere Kante hinausragt. Platinen-Rohlinge in den Siebbehälter legen und diesen daraufhin in die Säurewanne stellen. Die Säure bis zur Markierung einfüllen. Nach zwei Stunden Siebbehälter am Handgriff entnehmen. Dabei ist darauf zu achten, dass nur der obere Teil des Handgriffs mit der Hand berührt wird. Verätzungsgefahr!«
Nun? Bis wir schließlich zum Höhepunkt kommen, werden wir mit unnötigen Details zu Tode gelangweilt, die ohne Weiteres später, wenn die Aktion in voller Fahrt ist, nachgereicht werden könnten. Da der Leser dann bereits in die Bedienungshandlung hineingezogen wurde, verwandelt sich umständliche Exposition ganz von selbst in liebevolles Detail.
Also, wie kann man es besser machen: Wir fangen mit dem spannendsten Teil der Aktion an und was könnte spannender sein als ›Säure‹:
»Verätzungsgefahr! Die Säure bis zur Markierung in die Wanne füllen.«
Dann dürfen wir natürlich nicht nachlassen, sonst bricht der Spannungsbogen gleich wieder zusammen:
»Platinen-Rohlinge in den Siebbehälter legen und diesen daraufhin in die Säurewanne stellen.«
Und mit der Konfliktauflösung gehen wir zurück zum Anfang:
»Nach zwei Stunden Siebbehälter am Haltegriff entnehmen. Den Haltegriff haben sie vorher so am Siebbehälter angebracht, dass er mindestens 10cm über die obere Kante hinausragt.«
Das klingt doch schon ganz anders. Dem aufmerksamen Leser mag aufgefallen sein, dass wir im obigen Beispiel in der verbesserten Version auch noch gleich einen überflüssigen Füllsatz losgeworden sind.
Nirgendwo wird das Prinzip besser vorgeführt als in den Expositionen der Klassiker von monumentaler epischer Breite wie Robert Aofbaos  »Regalaufstellen in 92 einfachen Schritten«  (944 Seiten), J. W. Geetes »Fausthandschuhstricken« (841 Seiten) und vor allem Quarcinus' »Sand sortieren« (2445 Seiten).

Anschließend noch ein Tipp. Bedienungsanleitungen wenden sich an den Durchschnittsbenutzer, nicht den akademisch gebildeten Fachmann. Deswegen verwenden wir Fremdwörter und Abkürzungen nur, wenn es unbedingt sein muss. Das gilt besonders für Ausdrücke aus dem Computerbereich und verwandten Gebieten: Statt ›motherboard‹ sagen wir ›Mutterbrett‹, statt ›USB-Stick‹ sagen wir  ›Allgemeiner Reihenbusstock‹, satt ›MP3-Player‹ sagen wir ›Bewegtes-Bildexpertengruppe-1-Audioschicht-3-Spieler‹.

Wird das hier Beschriebene beherzigt und lässt der angehende Autor einer Bedienungsanleitung es nicht an Fleiß und Disziplin fehlen, so ist der Erfolg beinahe unvermeidlich. Im Übergang zum fortgeschrittene Autoren wird der Aspirant lernen, auch die Symbolik nicht zu vernachlässigen und fast nebenbei anfangen, Symbole wie ©, ®, ¶, ₪, ♀ und ☺ einzusetzen. Zum Schluss sei noch einmal wiederholt, dass wirklich jeder eine verdammt gute Bedienungsanleitung schreiben kann. Oder wie es ein altes japanisches Sprichwort ausdrückt:
»Die Holländer bleiben draußen«.

« Was vorher geschah12



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