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Vergiss Japan


 
 
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sleepless_lives
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Beitrag25.05.2008 08:19
Vergiss Japan
von sleepless_lives
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Vergiss Japan

Nagasaki, den 15. Oktober 1904

Liebe Luise (ich weiß ja, Du willst auch von deiner Tochter nicht 'Mutter' genannt werden),
ich möchte Dir zuerst einmal ganz allerliebst zu deinem 37sten Geburtstag gratulieren. Das ist doch ein vortreffliches Alter, da hat man das halbe Leben noch vor sich, auch wenn das Gesicht schon viele Falten zeigt und die Haut schon überall ein bißchen schlaff wird, ganz besonders am Allerwertesten und an den Oberschenkeln. Aber geistig, da bin ich mir sicher, hast Du nicht im Geringsten nachgelassen. Dafür wäre ja auch nicht viel Raum vorhanden. Ich hoffe, Du hast schön gefeiert mit Hans, Albert, Werner, Mario, Ernest, Gerard oder wie auch immer der Mann in deinem Leben im Moment gerade heißt. Ich denke mal, Du mußtest wieder eins von Großvaters Häusern verkaufen, aber da sind ja noch ein paar da aus seinem Erbe. Und man lebt nur einmal, wie Du immer so schön sagst.

Hast Du auch nicht zu viel getrunken? Du weißt, dein Gedächtnis leidet dann manchmal. Aber Du hast natürlich recht, das sind nur sporadische Ausfälle - kein Grund zur Besorgnis. Gräm dich also nicht, daß Du damals in Bremerhaven den Dampfer nach Malta mit dem Lloyddampfer nach Japan verwechselt hast und vergessen hast, mir Bescheid zu sagen, als es Dir plötzlich klar wurde. In der Hektik des Augenblicks kann so etwas schon einmal passieren und ich hab ja gesehen, wie schnell Du rennen mußtest, um noch im letzten Moment über die Landungsbrücke wieder auf festen Grund zu kommen. Und das mit Deinem schweren Koffer! Ich war, wie Du mir aufgetragen hattest, auf dem Weg, unsere Kabine zu suchen, war aber erst einmal in die falsche Richtung gelaufen und auf dem Aussichtsdeck gelandet. Ist gar nicht so leicht, sich auf einem so großen Schiff zurechtzufinden. Du hättest mich natürlich wieder 'ungeschickt' und 'hoffnungslos' genannt. Gut, daß du schon von Bord warst und mich nicht weinen hast sehen. Du magst das ja nicht. Das hast Du mir ja mein ganzes bisheriges Leben lang versucht beizubringen und ich hatte es mit siebzehn immer noch nicht gelernt.

Was für ein glücklicher Zufall, daß Du mit meinem Ticket den selben Fehler gemacht hast, auch Japan statt Malta, aber Gott sei Dank nicht mit Deinem, denn das andere Bett in der Kabine war von einer Diplomatentochter aus der Schweiz belegt. Ich hoffe, Du hast damals angenehme Ferientage auf Malta verbracht und dich gut erholt, wenn ich auch nicht weiß, von was.    

Leider konnte ich Dir zu Deinem 35sten Geburtstag nicht brieflich gratulieren, den da wurde ich von den japanischen Behörden in Yokohama festgehalten. Ich besaß ja keinerlei Geld und keine Rückfahrkarte. Schon auf dem Schiff war das nicht ganz einfach, aber Mari, das Schweizer Mädchen, hat mir immer ausgeholfen. Eine sehr nette und gebildete Person, auch wenn bisweilen, ein bißchen zu sehr zu Albernheiten aufgelegt. Bei den Mahlzeiten haben wir oft so viel gekichert, daß selbst die Leute vom Nachbartisch aufmerksam wurden. Mir war das sehr peinlich, besonders weil an unserem Tisch ein Japaner saß, Kyoshi mit Namen, der gerade sein Medizinstudium in  Marburg beendet hatte und in jeder Hinsicht vorbildliche Manieren an den Tag legte.

Ich hab den japanischen Behörden erzählt, daß du auch tot seist, ich bin mir sicher, das war ganz in deinem Sinn. Kyoshi und seine Familie haben sich für mich eingesetzt, sein Vater hat gute Verbindungen. Schließlich hat mich Satchiko, einer seiner Tanten, kinderlos und eine sehr liebenswürdige Person, wenn auch ein bißchen streng, adoptiert und ich durfte im Land bleiben. Nun bin ich mit Kyoshi verheiratet. Ach, das habe ich Dir ja auch noch nicht mitgeteilt. Er ist ein sehr zuvorkommender, gut aussehender Mann, immer höflich und respektvoll, und den Rest kriegen wir auch ganz gut hin.  

Wir leben jetzt in Nagasaki auf Kyushu in einem wunderschönen holländischen Häuschen ganz nah am Meer. Kyoshis Familie kommt aus der Gegend, sehr angesehen, die gehören dem Landadel an. Das nennt man hier Samurai. Siehst Du, da hat sich Deine Tochter einen von den 'von's geangelt, denen Du immer hinterhergelaufen bist und wo Dir deine quängelnde Tocher bedauerlicherweise immer im Weg war. Ist ein wenig ungerecht. Verzeih bitte.

Ich unterrichte Deutsch hier, zweimal in der Woche in einer Schule und privat zu Hause. Die meisten meiner Privatschüler sind Medizinstudenten und Ärzte, die ihr Deutsch auffrischen wollen. Wußtest Du, daß Deutsch hier die Sprache der Medizin ist. Viele Lehrbücher sind in Deutsch und viele Begriffe sind direkt aus dem Deutschen übernommen, zum Beispiel 'Magensonde' oder 'beim Schmerzen', auch wenn das letztere ja nicht ganz korrekt ist.

Es gibt auch ein paar andere Deutsche hier, nicht viele, aber wenn ich mal [Passage unleserlich] und Heimweh habe, dann ist immer jemand da, mit dem ich mal in meiner Muttersprache reden kann. Ich spreche jetzt schon ganz passabel Japanisch, auch wenn ich sehr oft noch nicht die richtige Höflichkeitsform benutzte. Das ist sehr schwierig im Japanischen, doch irgendwann werde ich auch dieses noch in den Griff bekommen. Ich arbeite hart daran, jeden Tag mindestens zwei Stunden. Ich weiß, das traust Du mir nicht zu, aber es ist wirklich wahr. Nur Lesen kann ich fast noch gar nichts, gerade mal die wichtigsten Zeichen, nur so viel, daß es für die grundlegendsten Besorgungen reicht, aber das Gefühl kennst Du ja selber sehr gut.

Luise, die wichtigste Neuigkeit hab ich Dir noch gar nicht erzählt. Du bist vor acht Monaten Großmutter geworden! Meine kleiner Engel Mariko hat am zweiten Februar diesen Jahres das Licht der Welt erblickt, etwas früher als erwartet, aber sie ist ein starkes und eigensinniges Mädchen. Ganz die Mutter, hat Kyoshi gesagt. Übrigens hätte er lieber einen Sohn gehabt, aber die Flausen hab ich ihm ausgetrieben, wie manche andere auch. Und Du solltest mal sehen, wie glücklich er eigentlich ist. Ich muß ihn am Morgen schon immer ermahnen, daß seine Patienten im Krankenhaus auch ein bißchen von seiner Zeit brauchen. Und das bei einem Japaner.

Und Oma - ich darf Dich doch jetzt Oma nennen - das wird Dich überraschen, am Anfang hatte die Kleine sogar ein paar Ähnlichkeiten mit Dir: wenn sie nicht schlief, schrie sie meist oder trank. Ansonsten ist sie das ganze Gegenteil, das schönste Kind der Welt mit einem wahren Engelslächeln und einem sonnigen Temperament. Nun muß ich aber Schluß machen, mein kleiner Sonnenschein ist gerade aus ihrem Mittagsschlaf aufgewacht und Du verstehst wohl, daß es mir sehr viel mehr gefällt, meine Zeit mit Mariko zu verbringen, als mich mit Dir abzugeben.

Mata ne,

Katharina

PS: Komm mich bitte nicht besuchen, denn du bist ja tot.



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Münsch
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Beitrag25.05.2008 09:43

von Münsch
Antworten mit Zitat

Gute Idee, eine ganze unglückliche, ungeliebte Kindheit in einen Briefumschlag zu stecken.
Gut gelungen!
Wer kennt nicht solche kastrierenden Eltern.

Einzig der nachfolgende Satz:
Zitat:
Du verstehst wohl, daß es mir sehr viel mehr gefällt, meine Zeit mit Mariko zu verbringen, als mich mit Dir abzugeben.

ist mir zu deutlich und eigentlich auch nicht nötig.

Ich hab' deine Geschichte gerne gelesen.

Gruß, Münsch


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sleepless_lives
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Beitrag25.05.2008 10:45

von sleepless_lives
pdf-Datei Antworten mit Zitat

Hallo Münsch,
danke für positive Kritik.
Münsch hat Folgendes geschrieben:
Einzig der nachfolgende Satz:
Zitat:
Du verstehst wohl, daß es mir sehr viel mehr gefällt, meine Zeit mit Mariko zu verbringen, als mich mit Dir abzugeben.

ist mir zu deutlich und eigentlich auch nicht nötig.

Stimmt, das ist ja sowieso schon klar und muss nicht noch mal explizit wiederholt werden.

Grüße,

- sleepless_lives


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Merlinor
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Beitrag25.05.2008 12:03

von Merlinor
Antworten mit Zitat

Hallo Sleepless

Wirklich eine gute Idee und sprachlich wie inhaltlich hervorragend umgesetzt. Langsam entwickle ich mich zum Fan Deiner Schachtelsätze.

Beissende Ironie und hochgebildete Abrechnung mit einer Mutter, die ihr Kind, wie in den alten Märchen, im übertragenen Sinn „im Wald ausgesetzt“ hat.
Na, aus diesem „Wald“ schallt es jedenfalls mächtig zurück.

Ein paar, allerdings wirklich unwesentliche Kleinigkeiten sind mir aufgefallen:

Zitat:
Leider konnte ich Dir zu Deinem 35sten Geburtstag nicht brieflich gratulieren, den da wurde ich von den japanischen Behörden in Yokohama festgehalten.

denn

Zitat:
... und gebildete Person, auch wenn bisweilen, ein bißchen zu sehr zu Albernheiten aufgelegt.

Das Komma nach dem „bisweilen“ erscheint mir unnötig.

Zitat:
... erzählt, daß du auch tot seist, ich ...

Das „auch“ kannst Du glaube ich streichen. Wer ist denn noch tot?

Zitat:
Wir leben jetzt in Nagasaki auf Shikoku in einem wunderschönen holländischen Häuschen ganz nah am Meer. Kyoshis Familie kommt aus der Gegend, sehr angesehen, die gehören dem Landadel an. Das nennt man hier Samurai.

Hmm... zieht ein Japanischer Adeliger um 1904 tatsächlich seiner Frau zu Liebe in ein „holländisches“ Häuschen?

Im Gegensatz zu Münsch habe ich eigentlich an dem letzten Satz nichts auszusetzen. Er passt in den bewusst verletzenden, ironischen Duktus des ganzen Briefes und rundet diesen einfach ab.
Wenn sie ihrer Mutter „Aber geistig, da bin ich mir sicher, hast Du nicht im Geringsten nachgelassen. Dafür wäre ja auch nicht viel Raum vorhanden.“ schreibt, dann gehört auch der letzte Satz in die zugrundeliegende Pschologie.
Um die geht es ja, nicht um das sprachliche Wohlbefinden von uns Schreibern.

Sehr gerne gelesen

Herzlich  Very Happy  Very Happy  Very Happy

merlinor
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Rheinsberg
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Bronzenes Messer


Beitrag25.05.2008 12:22

von Rheinsberg
Antworten mit Zitat

Schöner Text, und ich bin auch nicht der Meinung, dass nur kurze Sätze gute Sätze sind - schon gar nicht in einem solchen Brief. Er wirkt in der Ausdrucksweise authentisch. Bis auf einen Punkt, Merlinor hat ihn mit dem "holländischen Häuschen" angedeutet: der von dir durch das Datum gegebene Hintergrund passt für mich nicht zu der beschriebenen Handlung. Die Gesamtbeschreibung würde im heutigen Kontext oder vielleicht in den sechziger Jahren realistisch wirken, aber wenn ich an das denke, was ich über das Japan der Jahrhundertwende weiß, passt das gar nicht, und auch bei dem, was sich in Deutschland oder auf einem deutschen Schiff abspielt, kann ich nur zweifeln. So z.B. wäre vermutlich der Kapitän dafür verantwortlich gewesen, eine unbegleitete Minderjährige wieder nach Deutschland zu bringen, statt sie im Land auszusetzen. Es war ja wohl kein Auswandererschiff, sondern ein Touristendampfer (darauf lässt mich die Kabinennachbarin schließen).

Jetzt lese ich, was ich geschrieben habe, finde mich pingelig, werde es aber doch stehen lassen.

Was mir sehr gut gefiel, war die Abrechnung des Mutter-Tochter-Verhältnisses, bissig, gekonnt aus verschiedenen Situationen herausgearbeitet.


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sleepless_lives
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Beitrag25.05.2008 13:31

von sleepless_lives
pdf-Datei Antworten mit Zitat

@Merlinor,
danke für das Lob und die Hinweise auf die Tippfehler.

Merlinor hat Folgendes geschrieben:

Langsam entwickle ich mich zum Fan Deiner Schachtelsätze.
Very Happy

Merlinor hat Folgendes geschrieben:
Beissende Ironie und hochgebildete Abrechnung mit einer Mutter, die ihr Kind, wie in den alten Märchen, im übertragenen Sinn „im Wald ausgesetzt“ hat.
Na, aus diesem „Wald“ schallt es jedenfalls mächtig zurück.

Die 'Hänsel und Gretl'-Parallele war mir selbst noch gar nicht aufgefallen. Aber natürlich!

Merlinor hat Folgendes geschrieben:
Zitat:
... und gebildete Person, auch wenn bisweilen, ein bißchen zu sehr zu Albernheiten aufgelegt.

Das Komma nach dem „bisweilen“ erscheint mir unnötig.

Ich denke, das Komma ist da nicht nur überflüssig, sondern falsch.

Merlinor hat Folgendes geschrieben:
Zitat:
... erzählt, daß du auch tot seist, ich ...

Das „auch“ kannst Du glaube ich streichen. Wer ist denn noch tot?

Der Vater der Briefschreiberin. Oder zumindest ist das die offizielle Version, die die Mutter der Tochter erzählt hat. Ist vielleicht zu weitreichend, um es mit einem bloßen 'auch' anzudeuten.

Merlinor hat Folgendes geschrieben:
Hmm... zieht ein Japanischer Adeliger um 1904 tatsächlich seiner Frau zu Liebe in ein „holländisches“ Häuschen?

Gute Frage. Antwort: Nicht ausgeschlossen. Japan wurde zu der Zeit von höchster Stelle (direkt unter dem Tenno) nach westlichem Muster fast mit Gewalt modernisiert. Ein Zitat von Ottmar von Mohl, der in den Jahren 1887 bis 1889 am japanischen Kaiserhof als 'europäischer Berater' tätig war:
Ottmar von Mohl (Am japanischen Hofe) hat Folgendes geschrieben:
Nur darf ich mir die Bemerkung schon hier gestatten, dass des Grafen Ito Ansichten, wie die vieler der neuen japanischen Staatsmänner, um vieles radikaler waren, als die unsrigen, dass er mit manchen alten Sitten, Gewohnheiten und Einrichtungen aufräumen wollte, oder sie bereits abzuschaffen begonnen hatte, womit wir nicht einverstanden sein konnten. So z.B. war leider die Ablegung des japanischen Kostüms für Hoffeste bereits beschlossen und sanktioniert, ehe wir in Japan eingetro:en waren. Die uns in dieser Hinsicht öfters gemachten Vorwürfe entsprechen den Tatsachen so wenig, dass gerade das Gegenteil der Wahrheit näher käme. Die malerische weibliche Hoftracht, welche für einen uralten kaiserlichen Hof ein Stück Geschichte und für die Damen eine liebe Gewohnheit und Sicherheit des Aufretens bedeutete, war durch eine Proklamation der Kaiserin an die Frauen Japans bereits abgelegt und mit der banalen europäischen Tracht vertauscht worden; für jeden Künstler und Liebhaber malerischer Wirkung ein um so grösserer Schmerz, als in Europa eine Bewegung im Gange ist, welche die Tendenz hat, gerade die geschichtlich gewordenen Sitten wieder zu beleben und die alten Trachten an Höfen dekorativ zu verwenden.

Zudem ist Kyoshi gerade aus dem Westen zurückgekommen ist und sieht sich  selber wahrscheinlich ganz gerne als 'modern' (besonders als westliche Medizin praktizierender Arzt).  

Merlinor hat Folgendes geschrieben:
Im Gegensatz zu Münsch habe ich eigentlich an dem letzten Satz nichts auszusetzen. Er passt in den bewusst verletzenden, ironischen Duktus des ganzen Briefes und rundet diesen einfach ab.
Wenn sie ihrer Mutter „Aber geistig, da bin ich mir sicher, hast Du nicht im Geringsten nachgelassen. Dafür wäre ja auch nicht viel Raum vorhanden.“ schreibt, dann gehört auch der letzte Satz in die zugrundeliegende Pschologie.
Um die geht es ja, nicht um das sprachliche Wohlbefinden von uns Schreibern.

Das stimmt auch wieder. Jetzt bin ich hin- und hergerissen...


@Rheinsberg
Danke für das Lob und die Gedanken zu der Geschichte. Was das 'holländische Häuschen' angeht, siehe oben. Japan hat nach der Öffnung zum Westen um 1868, als die lange Herrschaft der Shoguns kriegerisch gebrochen war, viele Wandlungen durchgemacht. manchmal ist man überrascht, was eine Zeit lang möglich war und dann wieder aufgehoben wurde. Dass das meistens nicht das einfache Volk betraf, steht auf einem anderen Blatt.

Rheinsberg hat Folgendes geschrieben:
So z.B. wäre vermutlich der Kapitän dafür verantwortlich gewesen, eine unbegleitete Minderjährige
Es sei denn, er weiß davon gar nichts. Und die Protagonisten wird es wohl nach dem Anfangsschock, niemandem auf die Nase binden. Schon gar nicht nach ein paar Tagen (Kyoshi!).  Und ein paar Tage hätte es schon gedauert, bis der Dampfer wieder anlegt. Übrigens, Lloyd hatte offensichtlich zumindest in den späten Achzigern einen Liniendampfer nach Shanghai (die 'Oder'). Dort musste man dann in einen anderen Liniendampfer, die 'General Werder' nach Yokohama umsteigen  

Rheinsberg hat Folgendes geschrieben:
Jetzt lese ich, was ich geschrieben habe, finde mich pingelig, werde es aber doch stehen lassen.

Ist schon recht so. Ich will ich meine Geschichten immer so 'wasserdicht' wie möglich machen. Und da hilft jede Kritik.


Grüße,

- sleepless_lives


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Honeyhun
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H
Beitrag02.11.2008 19:09

von Honeyhun
Antworten mit Zitat

Zitat:
...und den Rest kriegen wir auch ganz gut hin.


Ich liebe diese Ironie!  Laughing
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Gabi
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Wohnort: Köln


Beitrag02.11.2008 20:01

von Gabi
Antworten mit Zitat

Zitat:
PS: Komm mich bitte nicht besuchen, denn du bist ja tot.


Klasse, klasse, klasse!
Herrlich, so einen Brief würde so manch einer auch gerne schreiben. Laughing

L.G.
Gabi


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BlackRider
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B
Beitrag03.11.2008 02:35

von BlackRider
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Hoi sleepless,
der Text ist ja schon uralt... wie hast Du den an mir vorbei geschmuggelt? smile (Cheers Gabi)

Tja mei, nicht viel zu sagen... sleepless in ueblicher Form. Klasse Text, klasse Idee, klasse verpackt... alles klasse.

einmal bin ich etwas gestolpert:
...auch wenn das Gesicht schon viele Falten zeigt und die Haut schon überall ein bißchen schlaff wird, ganz besonders am Allerwertesten und an den Oberschenkeln...
Beim Allerwertesten und den Oberschenkeln bockst es etwas. Es waere fluessiger, wenn Du das weg liessest.

Ansonsten... ausgezeichnerter Text  Daumen hoch


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-https://www.youtube.com/watch?v=SnyVYk7pkII-
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sleepless_lives
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Beitrag03.11.2008 14:45

von sleepless_lives
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@Honeyhun
Freut mich, dass die Ironie rüberkommt. Und vielen Dank fürs Aus-der-Versenkung-Holen.

@Gabi
Danke für das Lob.
Zitat:
Herrlich, so einen Brief würde so manch einer auch gerne schreiben

Ja, das denk ich auch Smile
Ursprünglich hatte ich mir überlegt, noch einen Nachtrag zu schreiben innerhalb der Geschichte, der besagt hätte, dass der Brief von der Tochter der Protagonisten einem Museum in Nagasaki vermacht wurde, also nie abgeschickt wurde. Dann wollte ich es doch lieber offen lassen.

@BlackRider
Danke für die positive Kritik.

BlackRider hat Folgendes geschrieben:

der Text ist ja schon uralt... wie hast Du den an mir vorbei geschmuggelt?

Man tut was man kann Wink . Der Text wurde in einer hochaktiven Phase im Forum gepostet. Nach ein paar Tagen war er schon auf Seite 2.

BlackRider hat Folgendes geschrieben:

einmal bin ich etwas gestolpert:
[...]
Beim Allerwertesten und den Oberschenkeln bockst es etwas. Es waere fluessiger, wenn Du das weg liessest.

Da konnte ich der Versuchung nicht widerstehen, weil es so schön gemein ist. Bin mir aber nicht mal sicher, ob das damals ein Thema gewesen wäre oder ob frau damals mit anderen körperlichen Attributen gestichelt hätte, was jung/alt sein angeht.

---

Nagasaki ist übrigens wirklich ziemlich schön, so weit man das von einer modernen japanischen Stadt überhaupt sagen kann. War da nur einen Tag. Hat aber einen bleibenden Eindruck hinterlassen (nicht nur wegen ihres traurigen nuklearen Schicksals), obwohl ich in der Nähe der hochgepriesenen Städte Kyoto und Nara gelebt habe.     


Grüße an alle,

- sleepless_lives


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