Übungsdiktat

[i-Punkt]

"Mama, wir schreiben morgen ein Diktat und Vivi und Jojo haben wieder Läuse!" Die kurze und prägnante Begrüßung meiner Tochter löst bei mir eine ganze Gedankenkette aus: "Müssen die armen kleinen Zweitklässler tatsächlich jede Woche ein Diktat schreiben? - Dann darf ich wieder einen kleinen Text mit den Übungswörtern erfinden. - Zum Glück nennen ihre Freundinnen meine Tochter Alexandra nicht Allall oder gar AA! - Und: LÄUSE... Hilfe!!!

Seit Monaten bekomme ich regelmäßig Briefe aus Kindergarten und Schule, dass mal wieder "Läuse in der Grupppe/Klasse Ihres Kindes festgestellt worden sind". Hole ich meine Tochter von der Schule ab, habe ich das Gefühl, alle kommen eifrig an ihren Köpfen schabend des Wegs. Vielleicht haben sie einfach nur den Kopf am Vormittag so voll gestopft bekommen, dass es juckt. Oder sie raufen sich die Haare. Aber was hat der Vater gemacht, der neulich beim Fußballtraining meines Sohnes an der Seitenlinie so intensiv den Scheitel seines Sprösslings untersucht hat?

Eine Freundin hat unseren versprengten Mütterkreis neulich zum Kaffee eingeladen. "Bei mir ist gerade so schön geputzt.“ Denn auch bei ihr, beziehungsweise ihren Kindern hatten sich die kleinen Untermieter eingenistet. Jetzt duftete es dezent nach Sagrotan und bei Cappuccino und Donauwelle reichte sie das kleine Mikroskop ihres Sohnes herum. "Das ist jetzt eine fette vollgesaugte Laus, da sieht man sogar Jakobs Blut. Das ist eine ganz junge und hier seht ihr eine Nisse der zweiten Generation." Ihre Jagdbeute hatte sie laminiert und führte uns ihr Anschauungsmaterial vor. Außerdem entließ sie uns nicht ohne den Tipp, welcher Nissenkamm der einzig wahre ist: Metallzinken!

Inzwischen juckt es mich überall. Aber erst mal was für den Teil unterhalb des Skalps tun. Meine Tochter fordert ein Übungsdiktat zum Diphthong "eu". "Scheut euch nicht, heute zu meutern. Freunde mit Läusen sind eine Seuche", diktiere ich. Da kann sie gleich üben, wann "äu" kommt und wann "eu".

Selbstverständlich habe ich bereits einen Nissenkamm, mit Metallzinken. Auch ich kann ihn weiterempfehlen. Die ersten kleine Läuschen zappeln schnell zwischen den Zinken, als ich mich Teil Zwei der mittäglichen Begrüßung meiner Tochter zuwende. Freundinnen stecken halt gerne die Köpfe zusammen... Geschwister auch... Meine Söhne haben wenigstens kurze Haare. Aber ziepen tut es bei allen. Inzwischen juckt es mich schon unerträglich. Wer kämmt mich?

Aber jetzt kommt erst die zweite Stufe: Entlausungsmittel. Die dekorieren die Apotheken bei uns schon seit geraumer Zeit möglichst prominent im Schaufenster. "Seuche" hätte doch auch noch ins Übungsdiktat gepasst, denke ich. Selbstverständlich wähle ich als verantwortungsvolle Mutter ein Mittelchen mit Kokosöl. Das wirkt, indem es den Läusen die Atemwege verklebt. Ich weiß nicht, ob das noch unangenehmer ist, als von einem Insektizit vergiftet zu werden. Aber ehrlich? Es ist mir egal. Sterben müssen die possierlichen kleinen Tierchen so oder so und so schaffen wir wenigstens keine furchteinflössend erstarkten, resistenten, neuen Läuse-Generationen. Nachteil ist nur: Das lässt sich nicht so einfach wieder auswaschen; mit dem sanften Kindershampoo schon gar nicht. Ich fange an mich zu fragen, ob ich nicht einfach alle Haare samt Nissen und Läusen, Läusemittel und Shampoo runterrasiere. Die Alternative ist schreienden, sich wehrenden Kindern mehrmals die Haare zu spülen, während sie anklagend "Das brennt sooo! Ich werde bliiiind." jammern. Es wird verwundern, dass ich die zweite Alternative gewählt habe.

Danach steht wieder Auskämmen mit den Nissenkamm auf dem Plan. Ich blende das Geheule aus und denke darüber nach, welche Hygienemaßnahmen sich nicht umgehen lassen. Ich fürchte, es sagt etwas über meine Fähigkeiten als Hausfrau aus, dass ich erst mal "Läuse" google, um etwas über ihre Lebensfähigkeit außerhalb von Frisuren herauszufinden. Leider schwankten die Angaben zwischen zwei Stunden und zwei Tagen Lebensdauer ohne neue Blutzufuhr. Das ist ähnlich genau wie die Angaben über die Lebensfähigkeit von Spermien. So viele Forschungsgelder und wo kann man sich schon sicher sein. Also Staubsaugen (und Knaus-Ogino vergessen!), aber den teuren Staubsaugerbeutel wie empfohlen wegwerfen? Wie wahrscheinlich ist es wohl, dass die Biester den langen Weg durch das Staubsaugerrohr zurück auf unsere Köpfe zurücklegen in zwei Tagen. Wischen mit Sagrotan? Wäsche waschen? Auf jeden Fall die Bettwäsche und die Handtücher. Toll, es regnet ununterbrochen und ich habe weder Trockner noch Keller. Da brauche ich wenigstens keinen Luftbefeuchter im Haus.

Während ich bei meiner Tochter noch mal durch die langen Haare kämme, kracht es in der Küche, gefolgt von ohrenbetäubendem Geschrei. Ich schmeiße den Nissenkamm aufs Waschbecken und schlage sicher das Mercedes-Cabrio der Nachbarin beim Von-Null-auf-180-Test. Zum Glück liegt keiner unter einem Schrank. Aber fünf zerschellte 500-Gramm-Gläser Joghurt vor dem Kühlschrank machen sich auch nicht wirklich gut. Also mindestens wischen, ob mit oder ohne Sagrotan. Die Mohnkörnchen im Mohn-Marzipan-Joghurt mögen übrigens lecker sein. Aber auf dem Boden setzen sie sich in jeden Winkel und sind dort auch nicht attraktiver als zwischen den Zähnen. Als ich ins Bad zurückkomme, steckt eine Laus in den Zinken des Kammes und strampelt mit unverminderten Aktivität mit den Beinen. Ob die doch widerstandfähiger sind, als diverse Forscher und ich annehmen?

Vielleicht putze ich doch noch mal gründlicher, wenn die Kinder in ihren duftigen frisch bezogenen Betten liegen. Kann das eigentlich noch eine Form der selektiven Wahrnehmung sein, dass die "Kleine Prinzessin", die vor dem Sandmännchen kommt, heute Läuse hat? Und was hat meine Kinder getrieben sich "Madita und Lisabeth machen einen Ausflug" als Gute-Nacht-Geschichte zu wünschen. "Mia hat so viele Läuse, dass sie nur so auf der Bank rumkrabbeln", lese ich. Ich habe mich gerade noch so weit im Griff, nicht "Weißt du wie viel Läuslein spielen" zu singen.

Ob die Läuse meine Hausstaubmilben fressen oder die Silberfischchen und Spinnen die Läuse? Mein ganzes Haus kommt mir verseucht vor. Aber ich habe jetzt keine Lust mehr! Ich gehe auch ins Bett. Heißt es nicht, es bringt Geld von Läusen zu träumen. Auf jeden Fall ist meine Tochter auf ihr Diktat vorbereitet mit all dem säubern und scheuern. Schäußliche Leuse!

[Gine]

Schön. Ich entwickele zwar gerade intensiven Widerwillen gegen die Vorstellung, mein Monsterchen der wohlmeinenden Obhut liebevoller Kindergärtnerinnen und all ihrer Schützlinge auszuliefern, aber es hat trotzdem Spaß gemacht.

Mitreißend geschrieben.
Brrrr..... jetzt muss ich mich auch andauernd kratzen. grr

Danke für diese heitere Morgenlektüre.

Wünsche allen Betroffenen viel Erfolg beim Kampf gegen die unerwünschten Untermieter.
Viele liebe Grüße
Gine

[Maria]

hallo i.

sehr unterhaltsam und wie Gine schon sagte: mitreißend.

Die Verknüpfung der Laus mit dem Diktat und die Konsequenz bis zum Ende finde ich toll. So hätte ich das auch gern in meinen Sachen! Aber tja.
Ich mags wie Du Dich ausdrückst; keine Hektik aber schnell, modern und doch nicht überdreht. Wie aus einem Guß, Absatz für Absatz. Man merkt, Du weißt halt was Du tust  

ah... Geheul passt übrigens auch noch.. man fängt an mit Dir fürs Diktat rumzusuchen.

ein Fan
VG
mariah

[Rheinsberg]

Noch ein Fan. Schon komisch, dass in unserer sauberkeitsbewussten Zeit die Läuseplage wieder so zunimmt. Zu meiner Schulzeit war das undenkbar, meine Kinder sind dem auch noch entgangen - aber seither höre ich es öfter.

Wunderhübsch geschrieben - die Verknüpfung von Läuseseuche und Diktat zum Thema "eu" ist eine Superidee und toll umgesetzt.

[i-Punkt]

Hallo,

vielen Dank für die ermutigenden Kommentare!

@Gine. Ich kann dir nur empfehlen, Monsterchen mal in fremde Hände zu geben. Nicht so sehr wegen "Erwerben von Sozialkompetenzen" oder ähnlichem, sondern damit Mama manchmal ohne "Mama-Rufer" machen kann was sie will - zum beispiel stundenlang im dsfo surfen... Außerdem muss man seine Haustierchen auch mal ausführen!

@Mariah. Deine Lillifee-Geschichte hat mir auch saugut gefallen. Ich habe zwar selbst überdurchschnittlich schöne, begabte und kluge Kinder, aber über die Szene konnte ich auch lachen. Und du schaffst es, dass man innerlich ausruft: Genau so ein grauenhaftes Blag kenne ich auch! (Natürlich nicht unter meiner eigenen unübertroffen geistreichen Brut) Lillifee steht auch bei mir ganz oben auf der GRRRH!-Liste. Der rosarote, tüllig aufgebauschte Sinn der Lillifee-Bücher erschöpft sich darin, dass die Prinzessin sich und ihre Schönheit im Spiegel bewundert. Während sich sowas im Märchen rächt, erntet die eingebildete Schöne hier den Beifall ihres tierischen Hofstaats und ihrer bürgerlichen Leserinnen. Die dürfen dann wenigstens ein bisschen Glamour nachempfinden, indem sie die Pappkrone für 3,50 oder den Glitzer-Lipgloss für 9,99 kaufen. Vielleicht wenn du es doch auch mal mit Lillifee-Einhorn-Parfum versuchst, ob das deine Attraktivität steigert...  

Also, danke für die Blumen.    Mal sehen, wann ich mal wieder was Veröffentlichbares fabriziere, leider kämpfe ich derzeit an zu vielen Fronten.

I.