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Teil 48 Willkommen und Abschied


 
 
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teccla
Geschlecht:weiblichLeseratte

Alter: 66
Beiträge: 160
Wohnort: Costa Blanca


Was suchst Du in Madagaskar?
Beitrag08.10.2008 17:56
Teil 48 Willkommen und Abschied
von teccla
eBook pdf-Datei Antworten mit Zitat

Am Montag, den 26.04. fuhren wir gespannt nach Aachen, um den Beamer abzuholen. Ich lernte endlich den Beamten kennen, mit dem ich so oft telefoniert hatte. Ein netter Mensch, schade, dass ich keine Zeit hatte, an diesem Tag nicht und nicht bei diesem Deutschlandaufenthalt.

Er sagte mir, dass einer der Herren sich wegen Hehlerei zu verantworten habe und dass Sven ein Verfahren bekommen wird, wegen Vortäuschung einer Straftat. Man vermutete, dass Sven die Sachen selbst dem Computerhändler zum Weiterverkauf angeboten hatte, was man allerdings nicht beweisen könne.
Doch er meinte, die beiden hatten sich schlecht abgesprochen und in der Gerichtsverhandlung würde einiges zu klären sein. Denn der Händler hatte angegeben, dass ihm die Ware am 29.03. zum Kauf angeboten wurde. Sven hingegen gab an, bei ihm sei am 30.03. eingebrochen wurden. Allerdings wurden keine Spuren von einem Einbruch gefunden und seine widersprüchlichen Aussagen und auch nachweisbaren Falschaussagen erhärteten den Verdacht, dass er selbst diese Sachen verkaufen wollte.
Und immer noch hatte ich die Frage im Kopf: Warum hat er das getan?

Wir hatten mehr als Geld und Bildschirme verloren, wir hatten einen Freund verloren.
Jemand erzählte mir von einem Deutschen, bei dem sich ein Freund beschwerte. Er habe seinem madagassischen Freund viel Geld zum Aufbewahren anvertraut und wurde enttäuscht. Der Deutsche sagte anschließend: „Wärst du ein wirklicher Freund gewesen, hättest du ihn nicht in Versuchung geführt.“ Eine Aussage zum Nachdenken.

Derjenige, der Wohlstand verliert, verliert viel.
Derjenige, der einen Freund verliert, verliert mehr.
Derjenige, der seinen Mut verliert, verliert alles.
(Miguel de Cervantes)

Das Ticket Berlin-Paris war am Tage vor dem Abflug noch immer nicht angekommen. Ich war unruhig, rief dort an und sie sagten zu, es am nächsten Tag per Express zuzustellen. Na, ich hatte da meine Zweifel, aber es lag nicht in meiner Hand. Also abwarten. Der Dienstag kam heran. Das überfällige Flugticket wurde zugestellt. Alles bestens!

Nun war der Zeitpunkt gekommen, Abschied zu nehmen, von Freunden, von der Stadt.

Doch ach, schon mit der Morgensonne
Verengt der Abschied mir das Herz
(Goethe)

Wir fuhren zum Friedhof. Das Grab meiner Mutter hatte einen Stein bekommen.
Makaber den Namen meines Vaters schon ein zu gravieren.
Er lebte doch noch. Mein Gott, der Mann lebte noch. In einem Pflegeheim.
Gut, er lebte in einer anderen Welt, erkannte mich nicht mehr. Lebte in der Vergangenheit, lebte mit Mutti. Aber er lebte noch.

War er noch am Leben? Leben, wie ich es meine, sicher nicht mehr. Ich habe keine Angst vor dem Tod. Er hat für mich seinen Schrecken verloren. Ich fürchtete mich vor Schmerzen und Siechtum und ich hatte Angst, lebend nicht mehr am Leben teilhaben zu können.

Nun war mein Vater in dieser Situation. Ich hoffte, er hatte nicht diese Traurigkeit, die ich hatte, wenn ich ihn sah. Ich hoffte, er erlebte seine Situation nicht bewusst.
Dieser intelligente, starke Mann, der durch den Krieg ging, immer an vorderster Front, der seine Kameraden begraben musste, der so schreckliches gesehen, erlebt hatte; der noch im hohen Alter Tränen in den Augen hatte, wenn er davon erzählte; der vier Kinder groß zog, der 60 Jahre an der Seite meiner Mutti lebte, der immer nach Australien wollte, der große Zementwerke, ganze Stadtgebiete gebaut hat. Für riesige Investitionen und Bauvorhaben verantwortlich gezeichnet hat, Menschen dirigierte, bei dem ich auf dem Schoss saß, bei dem mir nichts passieren konnte, der mich beschützte, mir zeigte, dass kein Ungeheuer unter meinem Bett liegt, der mir bei brachte, was ich wissen sollte, wie das Leben funktioniert. Dessen Jähzorn ich nur durch meine Sturheit bezwingen konnte, dessen Strenge dahin schmolz, wenn ich ihm um den Hals fiel, der mir bei brachte, was gut und was schlecht ist, was Ehrlichkeit ist, mit dem ich diskutieren konnte, der mir beigebracht hat, dass es kein Aufgeben gibt, dass man auch in der DDR zur eigenen Meinung stehen kann und muss, und der wach blieb, nicht schlafen konnte, bevor ich nicht zu hause war. Dieser Mann, dessen Hobbies Kunstgeschichte, Malerei, deutsche Geschichte und klassische Musik waren, dieser Mann war heute ein kleiner alter Mann, der vorsichtig einen Fuß vor den anderen setzte und sich am Geländer festhielt beim Laufen.

Er freute sich über Besuch und meinte, er könne leider nichts anbieten, denn Mutti hatte nichts eingekauft. Er nannte meinen Namen nicht. Ich spürte, dass er nicht wusste, wer ich war.
Ich fragte ihn „Papa, sag meinen Namen.“
Er schaute mich an. „Papa, wer bin ich?“
Ein Moment der Unsicherheit, dann lachten seine Augen und er sagte: „Du bist die Beste.“
„Ja Papa, ich habe dich auch lieb.“
Er vergaß seine Brille auf dem stationseigenen Nachtschrank am Bett, auf dem die wenigen, ihm gebliebenen Utensilien lagen, die ihm von diesem Leben geblieben waren. Ein Foto von Mutti, seine Tasse, sein Bierglas und der alte, kitschige Aschenbecher, eine sitzende Tänzerin, die das Kleid ausbreitet, um die Asche aufzunehmen.
Ich fragte ihn „Papa wo ist deine Brille?“
„Die lag im Arbeitszimmer auf dem Schreibtisch, aber ich finde sie nicht.“
Er war am Leben. Verdammt, es war ein Strohhalm, an den sich mein Herz klammerte.
Ich wünschte keinem so ein Dasein, aber ich bestand darauf „ER LEBT NOCH.“ Wie konnten meine Geschwister nur seinen Namen in den Grabstein meißeln lassen..

Der Augenblick am Grab meiner Mutter währte nur kurz. Ich hatte Mutti immer bei mir. Ich musste keine langen Gespräche mit ihr auf dem Friedhof führen. Das ist ein kalter Ort, der mir nichts gab.

Ich ließ los und auf ging es nach Berlin zum Flugplatz.
Da saßen wir nun in Tegel bei Capuccino und Zigarette. Die Zeit war schnell um. Ich hatte weder Familie besucht, noch meine Freundinnen getroffen in Berlin. Keine Zeit, keine Zeit. Der Krimi war zu Ende, der Beamer im Handgepäck, die Flachbildschirme weiterhin verschwunden.

Zum Abschied drückte ich Ben ganz innig und dankte ihm für seine Hilfe, für sein Verständnis und seine Zeit für mich. Drückte ihm ein Küsschen auf die Wange. Er ließ mich gehen.

Danke, dass ich solch wunderbare Freunde habe. Es ist ein Geschenk! Wir sollten öfter das Geschenk der Freundschaft feiern. Unsere Freunde einfach anrufen und ihnen sagen, welchen unschätzbaren Wert sie für uns haben und was sie für uns zu einem unverwechselbaren Menschen macht.
Ich nahm mir vor, meinen Freunden dies öfter zu sagen und zu demonstrieren, was sie mir bedeuten. Was mögen sie? Was essen sie am liebsten? Was wusste ich über sie? Wie kann ich für sie der gleiche gute Freund sein? Was kann ich tun, um ihnen eine Freude zu machen?

Mit diesen Gedanken im Kopf saß ich im Flieger nach Paris und ließ Berlin hinter mir.
Der Flug nach Paris war nur die erste Station. Ich musste in Paris eine Nacht auf dem Flughafen verbringen, denn meine Maschine ging erst am anderen Morgen. In ein Hotel fahren, wollte ich nicht.
Heimfliegen - kein weiteres Abenteuer bitte!



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