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Teil 47 Heimweh nach Mahajanga


 
 
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teccla
Geschlecht:weiblichLeseratte

Alter: 66
Beiträge: 160
Wohnort: Costa Blanca


Was suchst Du in Madagaskar?
Beitrag27.09.2008 14:02
Teil 47 Heimweh nach Mahajanga
von teccla
eBook pdf-Datei Antworten mit Zitat

Am 01.04.2004 brachen wir früh auf und fuhren Richtung Aachen. Unterwegs telefonierten wir mit Fred. Die SMS nach Majunga wurde beantwortet mit Unglauben. Es war der 01. April, daher hielten Jan und Sebastian die Nachricht vom Einbruch für einen schlechten Aprilscherz. Es kostete einige Mühe ihnen klar zu machen, dass es leider Ernst war.

In Eschweiler angekommen, kam uns Sven entgegen, führte uns durch die Stadt zu seiner Wohnung. Der LKW stand auf dem Grundstück und war halb voll. Ich konnte nicht sehen, was schon eingeladen war und was nicht. Einen alten Elektroherd, der seine beste Zeit vor 20 Jahren hatte, wurde wieder ausgeladen. Es wurde knapp mit dem Platz im LKW.
Ich war schockiert, als ich die Wohnung betrat. Sven lebte in sehr einfachen Verhältnissen, doch das war es nicht. Unsere Sachen, für viel Geld eingekauft, waren in seiner Wohnung, im Keller und im Waschhaus verstreut. Für jeden zugänglich. Von allen Paketen fehlte der Lieferschein. Alle Pakete waren geöffnet und viele Dinge hatte er in Gebrauch, einiges fehlte. Ich war sprachlos. Sven konnte meine Reaktion nicht verstehen.
Wir luden den LKW voll.
Vom Einbruch sahen wir nichts. Angeblich wurde das Fenster aufgehebelt, doch es fanden sich weder Spuren noch Kratzer an den Fensterrahmen. Nichts.
Als Sven bemerkte, dass wir uns die Fenster ansahen, meinte er: "Vielleicht sind sie ja auch durch die Tür gekommen". Als vermeintlichen Beweis zeigte er uns ein Foto. Darauf war ein offenes Fenster zu sehen und ein paar offene Kartons davor.
Nun dieses Szenario hat man in 2 Minuten aufgebaut und fotografiert. Das überzeugte mich nicht. Ganz im Gegenteil, ich war davon überzeugt, dass der Einbruch niemals stattgefunden hatte.
Auf der Heimfahrt fuhr ich hinter dem LKW hinterher. Ben meinte, der LKW läuft wie ein Bienchen. Ich war froh, dass er mir half. Ich fuhr zwar in Majunga den VW T2, doch dieser LKW hier war schon größer, ein 7.49 t. Mir ging immer wieder durch den Kopf, was ich bei Sven gesehen und erlebt hatte. Und die Ungewissheit, ob wirklich die Dinge im LKW waren, die drin sein sollten, laut Angabe von Sven, ließ mir keine Ruhe.
Auf einem Rastplatz machten wir halt. Wir besprachen, dass wir den LKW zu haus noch einmal ausladen und alles nachzählen und aufschreiben.

Immer wieder beschäftigte mich die Frage: Warum? Sven hilft, wo er kann und dann so etwas?
Ich bekam diese Puzzleteile nicht zu einem Ganzen. War ihm nicht bewusst, dass ganze Existenzen davon abhingen? Einerseits Hilfe, andererseits möglicherweise Betrug?

Am nächsten Tag erfuhr ich, dass das Fax von der Deutschen Botschaft aus Madagaskar eingetroffen war. Ich konnte den neuen Pass nun beantragen und die Passbilder abgeben.

Nun fehlten die Flachbildschirme und der Beamer. Es wurde alles teurer als geplant. Allein die Fahrt nach Aachen war schon wieder eine unplanmäßige Ausgabe. Mit Fred berieten wir lange, was zu tun war, um diese Mission doch noch zum Erfolg zu führen.

Als wir morgens beim Kaffee saßen, sah Ben einen Polizeiwagen vorfahren und meinte scherzhaft, jetzt bringen sie den Beamer. Wir beobachteten, dass dieser Wagen und einige andere vor dem Wohnungsblock einparkten und nicht so schnell abfuhren. Es musste etwas passiert sein im Haus. Den ganzen Tag standen Beamte vor einer der Wohnungen. Andere Polizisten gingen dort ein und aus, ein Gewusel wie in einem Bienenstock. Eine Freundin rief an, sie sagte, wir sollen das Radio einschalten.
Es wurde berichtet, dass in unserem Haus morgens kurz nach 7 Uhr ein kleiner 5-jähriger Junge erstochen wurde, von seiner eigenen Mutter.
Ben erzählte mir, dass sie allein erziehend war und 3 Kinder hatte. Man hörte sie den ganzen Tag schreien und sie sei wohl überfordert gewesen. Ist das ein Grund, mein Kind abzuschlachten?
Mit dem Messer morgens auf mein Kind los zu gehen? Nein, sie hat nicht nur einmal zugestochen. Mehrmals. Ich war sprachlos und fühlte mich schlecht. Da starb unter uns ein Kind und wir hörten es nicht, ahnten es nicht. Hörten es nicht rufen oder weinen, konnten nicht helfen, ihn nicht beschützen.
Am späten Nachmittag klingelten Reporter der verschiedensten Sender und wollten Auskünfte.
Später erfuhren wir, dass der kleine Junge noch gelebt hatte, als der Notarzt kam. Er sollte ins Krankenhaus gefahren werden, aber das Krankenhaus sei nicht zuständig habe der diensthabende Arzt erklärt und so sei der Notarztwagen weiter zur Kreisstadt gefahren. Auf dem Wege ist der Junge seinen Verletzungen erlegen, wie es so schön heißt. Nimmt man billigend in Kauf, dass ein Kind im Krankenwagen verblutet, weil dieses Krankenhaus laut Dienstanweisung nicht zuständig ist?
Es war kalt in Deutschland.

Am Sonntag kamen Freunde und halfen uns den LKW aus zu laden, alles aufzunehmen und wieder einzuladen. Es war harte Arbeit, aber schon für Zollpapiere, war es dringend notwendig.

Am Montag faxte ich der Polizei in Aachen meine Aussage mit Nachweis, dass diese Sachen nicht das Eigentum von Sven waren, sondern für die Firma bestimmt waren.
Sven hatte der Polizei einige Lügen präsentiert und unter anderen sagte er auch aus, dass es seine Bildschirme waren und auch der Beamer sein Eigentum sei.

Ein kurzer Kontakt mit Sven ergab, dass genauso ein Beamer, wie er verloren gegangen war, bei EBAY versteigert wurde. Ich informierte die Kripo Aachen. Sie konnten dem Hinweis nachgehen, aber ich musste ein Identifikationsmerkmal haben, damit sie den Beamer als unser Eigentum identifizieren können.
So rief ich die Firma an, von der wir den Beamer gekauft hatten, bekam dann die erfreuliche Mitteilung, dass alle diese Artikel dort registriert waren mit Seriennummer.
Diese Seriennummer gab ich an die Kripo weiter. Doch der Beamte hatte diese Information auch schon vorliegen.
Waren doch clever, die Jungs!

Nun wollten sie der Spur nachgehen. Dieser Toshiba-Beamer war eher selten, denn er hatte 2500 Lumen.
Einige Tage später erfuhr ich, dass die Polizei bei dem Ebay-mitglied aufgetaucht war. Dieser hatte den Beamer für seinen Chef verkaufen wollen. Der Chef hatte einen kleinen Computerladen und sagte aus, ein Junkie hätte den Baemer und 4 Flachbildschirme zum Kauf angeboten. Die Kripo wollte nun dem Computerhändler Fotos der bekannten, in Frage kommenden Junkies vorlegen.
Es war auf jeden Fall unser Beamer.
Sven sollte auch noch einmal zur Vernehmung kommen. Dann brach der Kontakt zur Polizei für einige Tage ab, denn der Beamte hatte Urlaub.
Ostern stand vor der Tür und Ben verwöhnte mich.

Der Kontakt zur Spedition in Antwerpen gestaltete sich schwierig. Ich bekam erst nach Wochen die Mitteilung, wann das nächste Schiff abfahren sollte.

Jan schrieb sehr nett und ich hatte den Eindruck, er vermisst mich über das berufliche Maß hinaus.
Mein Gott, war ich naiv.

Er schrieb auch, dass sie nun doch die Preise senken mussten, um mit den anderen Internetcafes mithalten zu können und auch dass der LKW unbedingt zugeschweißt sein muss, da bereits 4 LKW’s in Majunga aufgebrochen angekommen sind.

Sebastian suchte Kontakt zu mir, er vermisste mich.

Und ich bekam Heimweh. Immer wieder zappte ich durch die Kanäle im TV auf der Suche nach Palmen, Meer, Afrika.
Ben kochte und verwöhnte mich, wo er konnte. Was hatte ich für ein Glück, solche Freunde zu haben. Ich war ein reicher, glücklicher Mensch und ich war dankbar.

Ostern war vorbei und es konnte weitergehen. Wir mussten die fehlenden Monitore besorgen und noch weitere Ausgaben berücksichtigen.
Da Jan schrieb, dass wir das Spielecenter gleich mit einrichten könnten, wenn wir 6 Playstation kaufen, sollten auch diese per LKW mitgeschickt werden.
Ben hatte noch Urlaub und so fuhren wir los, verglichen Preise und kauften ein. Anfangs fiel das Einkaufen schwer. Die grellbunte Werbung, die übervollen Angebote brachten mir Kopfschmerzen ein und ich hatte schon nach 5 Minuten keine Lust mehr, wollte nur noch raus.

Überhaupt vermisste ich die "Luft zum Atmen". Alles eingemauert, alles abgegrenzt und eingeschlossen. In Madagascar lebten wir fast nur an der frischen Luft, offen, frei, offene Türen, Fenster, überdachter Hof und immer draußen. Viele Menschen, viele Kontakte. Hier in Deutschland sah man kaum jemanden auf der Straße oder im Treppenhaus. Jeder lebte in seiner Burg.
Ich konnte in einer Burg nicht mehr atmen.

Ich recherchierte, wo man den LKW zu schweißen lassen könnte, denn der Kastenaufbau sah nach Aluminium aus. Endlich fand ich hier eine Firma, die das für uns erledigen wollte.

Nun musste noch eine Spedition gefunden werden, die den LKW nach Antwerpen bringt, denn der Urlaub von Ben ging dem Ende zu. Er hatte Schichtdienst und wir würden es zeitlich nicht mehr schaffen, den LKW selbst nach Antwerpen zu fahren.

Den neuen Reisepass konnte ich abholen und nun musste der Weg nach Berlin zur madagassischen Botschaft führen, damit ich ein Visum zur Einreise bekam.
Ben hatte Mittagschicht. Ich rief in der Botschaft an, um zu fragen, ob ich den Pass auch gleich wieder bekommen würde mit Visum, denn ein zweites Mal nach Berlin zu fahren, war zeitlich nicht mehr realisierbar. Sie stimmten zu und so fuhren wir nach Berlin.

Auf einem Formular musste ich angeben, warum ich in Madagascar einreisen will. Ich schrieb: „Ich möchte nach hause“. Und ich meinte es auch so. Ich spürte erst in der Ferne, wie sehr ich dort zu hause war.
Ich bekam das Visum. Das gleiche Visum wie vor einem Jahr, gültig für vier Wochen. Das bedeutet, nach meiner Ankunft in Tana, würde ich wieder unterwegs sein müssen, um die bereits erhaltene Visumverlängerung in den neuen Reisepass übertragen zu lassen.
Ich musste lächeln bei dem Gedanken an das Theater vom letzten Jahr und nun hatte ich das Vergnügen noch einmal vor mir.

Bevor der LKW zum Zuschweißen ging, wurden alle Sachen, die noch gekauft wurden, in den LKW geladen. Nun war er bereit zum Versand. Das Zuschweißen erfolgte auch reibungslos. Dann wurde der LKW zur Spedition gefahren, die ihn nach Antwerpen bringen soll. Der LKW war also fertig und mir blieben nur noch wenige Tage Zeit bis zum Abflug.

Aus Majunga kamen traurige Nachrichten. Jan schien ziemlich am Boden zu sein. Er wollte alles hin schmeissen und schrieb, wir würden pleite gehen. Ich solle in Deutschland bleiben.

Damals versuchte ich den angeblich depressiven Jan aufzubauen. Heute sehe ich seinen Versuch mit anderen Augen. Er hatte schon damals andere Pläne, aber das erfuhr und begriff ich erst sehr viel später.

Die Firma, bei der ich das Flugticket, Berlin-Paris, bestellt hatte, ließ nichts von sich hören. Ich wurde unruhig.
Endlich Nachricht aus Antwerpen. Das nächste Schiff sollte am 18.05. abgehen.

Die Kripo in Aachen informierte mich, dass ich den Beamer ausgehändigt bekomme, allerdings nur, wenn ich nachweisen kann, dass ich zur Firma gehöre und es rechtens ist. Also wieder eine Mail an Jan, er musste eine Erklärung schicken mit Stempel und Unterschrift, die Bestellung sowie Schriftverkehr mit der Lieferfirma und den Bankauszug der die Zahlung von Fred nachweist. Ich hatte zu tun, an Urlaub war nicht zu denken.

Am Wochenende stand ein Tanzabend auf dem Plan. Eine Band aus der Jugendzeit spielte zum Tanz auf. Ein lustiger Abend. Ausgelassen konnte ich tanzen, lachen, denn ich freute mich auf die Heimkehr. Nur noch 3 Tage bis zum Abflug nach Paris.
Erst im Morgengrauen kamen wir heim.
Am Sonntag dann trafen wir uns mit unseren Freunden im Garten. Sehr nett alles, doch ich war nicht mehr dabei. Hörte sie erzählen und sehnte mich nach Majunga. Ich wusste wieder, warum ich damals Deutschland verlassen wollte.

Bereits nach 2 Wochen Deutschland bekam ich Depressionen. Nein, auch die Blumen, die sich am Wegesrand langsam aufrappelten gaben nicht die Farben, die ich vermisste. Ein paar Sonnenstrahlen, die sich durch die Wolkendecke quälten, kamen gegen mein Heimweh nicht an, konnten nicht trösten und schon gar nicht ersetzen.
Ich nervte Ben mit zwei Video-CDs, die ich eigentlich für ihn mitgebracht hatte. Aber diese Lebensfreude aus der Konserve machte mir nur noch mehr bewusst, wie weit ich entfernt war, von Madagascar, vom Leben dort, vom Lachen, von der Sonne und der Freiheit, die ich meine..



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