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Verena Gänsefüßchen
Alter: 52 Beiträge: 26 Wohnort: Bayern
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02.09.2008 20:28 Allein von Verena
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Hallo
Dies ist der erste Text, den ich hier in diesem Forum einstelle.
Es ist nur eine kleine Kurzgeschichte und gaaaaaaanz etwas anderes, als ich sonst schreibe. Es war mal eine Schreibübung, bei der ich mitgemacht habe.
Lg
Verena
ALLEIN
Ich öffne die Augen und bin innerhalb einer Sekunde glockenwach. Wieder hat die Angst mich geweckt. Im Zimmer ist es so still, dass ich nur mein Herz schlagen höre. In wildem Stakkato hämmert es gegen meinen Brustkorb und donnert mir gegen die Kehle. In letzter Zeit leide ich oft unter Herzrasen und Panikattacken – vor allem beim Aufwachen. Wenn es nicht besser wird, werde ich zum Arzt gehen und mich mal durchchecken lassen.
Seufzend setze ich mich auf und schwinge meine Beine aus dem Bett. Als meine Füße auf dem kalten Boden aufsetzen, ziehe ich sie kurz wieder hoch und fluche leise.
Kurt hat die Fußbodenheizung wieder abgestellt. Manchmal übertreibt er es mit seiner Sparsamkeit, aber er ist ein wundervoller Mann, ich liebe ihn über alles.
Mein Blick fällt zurück auf das leere Bett und dann auf meine Armbanduhr. Ob er schon zur Arbeit gegangen ist? Mit den Zehenspitzen angele ich mir meine Pantoffel unter dem Bett hervor und erhebe mich. Einen Moment überfällt mich Schwindel, mein Herz hat sich immer noch nicht beruhigt.
Ich muss mich zusammennehmen – schließlich muss ich Charlotte zum Kindergarten bringen. Unsere süße kleine Charlotte, mein Sonnenschein und Papas Prinzessin. Was wäre unser Leben ohne sie? Ohne ihr pausbäckiges Gesichtchen, der winzigen Stupsnase und den blonden Engelslöckchen? Manchmal überlege ich, ob ich es überhaupt verdient habe, so glücklich zu sein. Meine Hand schnellt an meine Brust, langsam normalisiert sich mein Herzschlag und ich gehe zur Tür.
Ich drücke die Klinke und stutze – die Tür ist verschlossen! Ich rüttele und stemme den Arm gegen das kühle Holz, doch es hilft nichts, ich bin eingesperrt.
Erst denke ich an einen Scherz von Kurt und beschwere mich, halb lachend. Im nächsten Moment zucke ich zusammen, als mein Aufschrei die Stille zerreißt.
Diese Stille, denke ich. Ich hasse es, wenn es so leise ist.
Ich halte einen Moment inne und horche. Außer meinem Puls, der nun gegen meine Schläfen klopft, höre ich nichts. Um diese Zeit müsste Charlotte schon wach sein, meistens singt sie beim Frühstück, ihre kleine Piepsstimme erfüllt dann die gesamte Wohnung. Kurt macht sonst das Radio an, sobald er die Küche betritt und das gluckernde Geräusch der Kaffeemaschine vermisse ich auch. Innere Unruhe breitet sich in mir aus, die sich langsam in Panik verwandelt. Das Schlucken fällt mir schwer und ich beginne zu zittern. Erneut drehe ich mich um und rüttele an der Türklinke.
„Kurt? Charlotte? Das ist gar nicht lustig! Macht sofort die Tür auf!“ Meine Panik verwandelt sich in Wut, ich hämmere mit der Faust auf die Tür ein. „Verdammt was soll das?“, schimpfe ich unter einem Blick auf meine Armbanduhr. „Charlotte, wir müssen bald los!“
Ich kann schreien und toben wie ich will, keiner der beiden öffnet die Tür, die Totenstille in unserer Wohnung treibt mich in den Wahnsinn. Mein Atem geht schnell und stoßweise, kalter Schweiß steht mir auf der Stirn. Ich sinke aufkeuchend an der Wand hinunter und kauere mich zusammen, als sich im hintersten Teil meines Gehirns plötzlich ein furchtbarer Verdacht breit macht. Sie haben mich verlassen – ich bin allein … ganz allein und werde sie nie wieder sehen. Im nächsten Moment lache ich hysterisch auf und schelte mich selbst, ob meiner törichten Gedanken. Ich ziehe die Knie an und schaukele vor und zurück. Ich habe Angst und weiß nicht vor was und warum. Ich weiß nur, dass da tief in meinem Herzen dieser Schmerz ist, der immer wieder kommt und jeden Tag stärker wird. Der mir fast die Brust zerreißt. Gerade als ich denke, gleich endgültig durchzudrehen, höre ich Schritte auf dem Flur.
Ich zittere so stark, dass ich nicht aufstehen kann. Gleich kommt mein Kurt und hilft mir auf.
Doch es ist nicht Kurt, der keine fünf Sekunden später im Türrahmen steht. Das runde, sommersprossige Gesicht einer Frau sieht mich besorgt an, sie eilt auf mich zu.
„Was machen Sie denn, Frau Singer? Warten Sie, ich helfe Ihnen.“
Ich kenne die Frau, doch ich weiß nicht, woher. Sie neigt sich zu mir hinunter, an ihrem weißen Kittel ist ein kleines Schildchen befestigt: SCHWESTER GERDA steht darauf.
Mein Herz rast, ich bekomme keine Luft mehr.
„Wo sind mein Mann und meine Tochter?“, frage ich, meine Stimme klingt weinerlich. Schwester Gerda wirft mir einen mitleidigen Blick zu und begleitet mich zu meinem Bett. Sie deckt mich zu, wie eine liebevolle Mutter klopft sie mein Kissen auf und schiebt es mir unter den Kopf.
„Den beiden geht es gut, dort wo sie jetzt sind, Frau Singer. Kommen Sie, es wird gleich besser, wenn Sie ihre Tabletten genommen haben. Sie schiebt mir eine weiße Pille unter die Zunge und hält mir ein Glas Wasser unter die Lippen. Ich schlucke brav und merke, wie sich die Flüssigkeit und die Medizin in meinem Körper ausbreiten und meinen Kopf etwas klarer machen. Wenig später sehe ich alles plötzlich vor mir:
Die Autobahn, starker Regen. Charlottes liebes Gesichtchen, sie sitzt hinter mir in ihrem Kindersitz und singt Hänschen klein. Kurt legt eine Hand auf meinen Arm und streichelt mit dem Daumen über meine Haut. Ich sehe von seinen blauen Augen auf die Straße zurück – und erstarre. Riesige Scheinwerfer rasen auf uns zu und im nächsten Moment sehe ich nichts mehr, höre nichts mehr.
Charlottes Gesang ist für immer verstummt und nie wieder werde ich in die blauen Augen meines Mannes sehen können.
Ein von Schmerz erfüllter Aufschrei dringt aus meiner Kehle, eine Hand berührt meinen Arm und streichelt beruhigend darüber, doch ich spüre es kaum …
Ich bin allein … ganz allein.
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MosesBob Gehirn²
Administrator Alter: 44 Beiträge: 18344
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16.09.2008 21:23
von MosesBob
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Hallo Verena!
Der Text ist sehr flüssig geschrieben und ebenso angenehm zu lesen. Alles, was ich anmerken kann, ist, dass er vorhersehbar ist. Genaugenommen hat dich die Stelle verraten, in der du über die Tochter sprichst: ihr pausbäckiges Gesichtchen, die winzigen Stupsnase und die blonden Engelslöckchen. Nachtigall, ich hör dir trapsen, dachte ich mir. Da stimmt was nicht. Dann der Satz "Manchmal überlege ich, ob ich es überhaupt verdient habe, so glücklich zu sein" und die abgeschlossene Tür ... irgendwie war der Überraschungseffekt schnell verflogen. Wenn jemand so offensichtlich und eigentlich grundlos, ja quasi ungefragt, anfängt, über das Gute im Leben zu schwärmen, dann hat das unweigerlich den Beigeschmack drohenden Unheils.
Beste Grüße,
Martin
_________________ Das Leben geht weiter – das tut es immer.
(James Herbert)
Die letzte Stimme, die man hört, bevor die Welt untergeht, wird die eines Experten sein, der versichert, das sei technisch unmöglich.
(Sir Peter Ustinov)
Der Weise lebt still inmitten der Welt, sein Herz ist ein offener Raum.
(Laotse) |
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Merlinor Art & Brain
Alter: 72 Beiträge: 8658 Wohnort: Bayern
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19.09.2008 20:23
von Merlinor
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Hallo Verena
Dein Text ist sehr sauber und schön geschrieben. Stilistisch einwandfrei.
Aber es stimmt, was Moses sagte: Er ist vorhersehbar.
Da würde ich mir an Deiner Stelle überlegen, wie Du den Plot noch etwas schärfer ausreizen könntest, um dieses Manko zu beheben.
Dennoch gerne gelesen.
Herzlich
Merlinor
_________________ „Ich bin fromm geworden, weil ich zu Ende gedacht habe und nicht mehr weiter denken konnte.
Als Physiker sage ich Ihnen nach meinen Erforschungen des Atoms:
Es gibt keine Materie an sich, Geist ist der Urgrund der Materie.“
MAX PLANCK (1858-1947), Mailand, 1942 |
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Hardy-Kern Kopfloser
Alter: 74 Beiträge: 4841 Wohnort: Deutschland
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19.09.2008 20:57
von Hardy-Kern
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Mir ist das Vorhersehbare eigentlich nicht so aufgefallen, da ich es durch die Spannung in der Geschichte übersehen habe. Ist für mich eigentlich auch nicht so wichtig, weil es gut geschrieben ist.
Hardy
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Merlinor Art & Brain
Alter: 72 Beiträge: 8658 Wohnort: Bayern
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19.09.2008 21:19
von Merlinor
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Hallo Hardy
Da muss ich Dir natürlich vollkommen recht geben: Es ist wirklich gut geschrieben, gar keine Frage.
Ich würde einfach versuchen, den Spannungsbogen ein noch ein bischen stärker auszureizen und zum Beispiel etwas länger mit dem Element zu spielen, die Frau könne tatsächlich von ihrem Mann und der Tochter verlassen worden sein, bevor es dann zu einer wirklich überraschenden Wende kommt.
Aber das ist natürlich nur meine ganz persönliche Einschätzung.
Herzlich
Merlinor
_________________ „Ich bin fromm geworden, weil ich zu Ende gedacht habe und nicht mehr weiter denken konnte.
Als Physiker sage ich Ihnen nach meinen Erforschungen des Atoms:
Es gibt keine Materie an sich, Geist ist der Urgrund der Materie.“
MAX PLANCK (1858-1947), Mailand, 1942 |
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Hardy-Kern Kopfloser
Alter: 74 Beiträge: 4841 Wohnort: Deutschland
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20.09.2008 10:52
von Hardy-Kern
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Hallo Merlinor,
warten wir es einfach mal ab, wie sie es dreht, oder auch nicht.
Hardy
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Verena Gänsefüßchen
Alter: 52 Beiträge: 26 Wohnort: Bayern
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20.09.2008 12:46
von Verena
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Hallo !!
Vielen Dank, dass Ihr meinen Text gelesen und bewertet habt
ZUnächst einmal freut es mich, dass es Euch vom Schreibstil gefallen hat.
Was die Spannung und das Vorhersehbare angeht: Ihr könntet Recht haben, gerade an der Stelle, wo sie von der Kleinen spricht und sich fragt, ob sie es verdient hat, so glücklich zu sein.
Sobald ich mal Zeit habe, werde ich mich dem Text nochmal widmen
Bis dahin vielen Dank,
Lg
Verena
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