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crim sex, crim & rock'n'roll
Beiträge: 1578 Wohnort: München
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29.05.2023 12:16 Eine Haltestelle bleibt eine Haltestelle von crim
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Eine Haltestelle bleibt eine Haltestelle
Die Geschwindigkeit des Zugs ließ die Tropfen horizontal über die Fensterscheibe laufen und der dickste Tropfen, dachte Sebastian, war Vater. Immer schneller als alle anderen, unaufhaltsam – bei einer Kollision mit einem kleineren Tropfen: einnehmend und unbeeindruckt – er raste einfach an allem vorbei zum Rand der Scheibe und das war's dann.
Das Fensterglas: nur ein Tag im - oder das ganze - Leben des Vaters, Sebastian konnte es nicht sagen, und er war sich nicht sicher, ob es einen großen Unterschied machte. Immerhin war das jetzt alles vorbei und bald käme ein Deckel drauf, Blumengebinde, eine Hand voll Erde, weil Erde zu Erde und so weiter.
Er nahm seinen Kopf von dem in die Reisehülle verpackten schwarzen Anzug, der neben seinem Sitzplatz an der Innenwand des Zuges hing, und spürte für einen Moment den Vibrationen der Schienen auf seiner rechten Gesichtshälfte nach, die mit einem Mal verschwunden waren und die er gerade deshalb so viel deutlicher wahrnahm.
Es fühlte sich an, als hätte eine Hälfte seines Gesichts eine völlig andere Form angenommen, und Sebastian dachte, das müsse daran liegen, dass sie unter der ausdauernden Massage durch die Zugwand eingeschlafen sei (er spürte nur die taube Seite seines Gesichts, während die andere genauso gut nicht hätte vorhanden sein können) und trotzdem wollte er nun im Zugfenster prüfen, ob sein kurzes Versinken in Gedanken und dem weichen aber kühlen Stoff der Reisehülle nicht doch eine Entstellung nach sich gezogen hatte.
Statt seinem Gesicht fand er die vorbeiziehende Landschaft, grau vom ausdauernden Regen, Felder unter einem dunklen Wolkenteppich, hin und wieder einen Waldrand in der Ferne, Dörfer, die dazwischen lagen, die kamen und gingen, näher rückten, zur Vorstadt wurden – das Vorbeirauschen eines Bahnsteigs kam Sebastian so unvermittelt und unmittelbar nah vor, als wäre der graue Beton direkt durch seinen Kopf gefahren. Das blaue Schild mit dem Stationsnamen unlesbar und kurz wie ein aufblitzender Gedanke. Eine Haltestelle, an der man nicht hält, bleibt eine Haltestelle.
Sebastian wusste auch ohne Durchsage: Nächster Halt, Endstation, Ausstieg in Fahrtrichtung rechts. In der Zugtoilette zog er seinen schwarzen Anzug an und verließ bald darauf den ICE. In der Gleishalle des Kopfbahnhofs flatterten Tauben auf, als hätten sie es eilig.
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Arminius Reißwolf
Alter: 65 Beiträge: 1226 Wohnort: An der Elbe
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29.05.2023 13:57
von Arminius
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Nachdenklich-melancholisch und fast schon beklemmend. Jedes Bild passt hundertprozentig.
Gern gelesen!
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crim sex, crim & rock'n'roll
Beiträge: 1578 Wohnort: München
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29.05.2023 15:06
von crim
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Vielen Dank, Arminius. Freut mich sehr, dass du das sagst.
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Ralphie Forenonkel
Alter: 71 Beiträge: 6393 Wohnort: 50189 Elsdorf
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29.05.2023 15:13
von Ralphie
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Innenwand des Abteils bzw. des Waggons, nicht des Zuges.
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crim sex, crim & rock'n'roll
Beiträge: 1578 Wohnort: München
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29.05.2023 15:16
von crim
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Sehr gute Änderung. Danke Ralphie, das werde ich übernehmen.
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Ralphie Forenonkel
Alter: 71 Beiträge: 6393 Wohnort: 50189 Elsdorf
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29.05.2023 15:20
von Ralphie
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Die Begriffe Haltestelle und Zug sind in der Fahrdienstvorschrift klar definiert.
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Ralphie Forenonkel
Alter: 71 Beiträge: 6393 Wohnort: 50189 Elsdorf
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29.05.2023 15:41
von Ralphie
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Haltestellen sind Abzweigstellen, Überleitstellen oder Anschlussstellen, die mit einem Haltepunkt örtlich verbunden sind.
Quelle: Richtlinie 408.0101A01
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crim sex, crim & rock'n'roll
Beiträge: 1578 Wohnort: München
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02.06.2023 14:57 Re: Eine Haltestelle bleibt eine Haltestelle von crim
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Eine Haltestelle bleibt eine Haltestelle
Die Geschwindigkeit des Zugs ließ die Tropfen horizontal über die Fensterscheibe laufen und der dickste Tropfen, dachte Sebastian, war Vater. Immer schneller als alle anderen, unaufhaltsam – bei einer Kollision mit einem kleineren Tropfen: einnehmend und unbeeindruckt – er raste einfach an allem vorbei zum Rand der Scheibe und das war's dann.
Das Fensterglas: nur ein Tag im - oder das ganze - Leben des Vaters, Sebastian konnte es nicht sagen, und er war sich nicht sicher, ob es einen großen Unterschied machte. Immerhin war das jetzt alles vorbei und bald käme ein Deckel drauf, Blumengebinde, eine Hand voll Erde, weil Erde zu Erde und so weiter.
Er nahm seinen Kopf von dem in die Reisehülle verpackten schwarzen Anzug, der neben seinem Sitzplatz an der Innenwand des Abteils hing, und spürte für einen Moment den Vibrationen auf seiner rechten Gesichtshälfte nach, die mit einem Mal verschwunden waren und die er gerade deshalb so viel deutlicher wahrnahm.
Es fühlte sich an, als hätte eine Hälfte seines Gesichts eine völlig andere Form angenommen, und Sebastian dachte, das müsse daran liegen, dass sie unter der ausdauernden Massage durch die Zugwand eingeschlafen sei (er spürte nur die taube Seite seines Gesichts, während die andere genauso gut nicht hätte vorhanden sein können) und trotzdem wollte er nun im Zugfenster prüfen, ob sein kurzes Versinken in Gedanken und dem weichen aber kühlen Stoff der Reisehülle nicht doch eine Entstellung nach sich gezogen hatte.
Statt seinem Gesicht fand er die vorbeiziehende Landschaft, grau vom ausdauernden Regen, Felder unter einem dunklen Wolkenteppich, hin und wieder einen Waldrand in der Ferne, Dörfer, die dazwischen lagen, die kamen und gingen, näher rückten, zur Vorstadt wurden – das Vorbeirauschen eines Bahnsteigs kam Sebastian so unvermittelt und unmittelbar nah vor, als wäre der graue Beton direkt durch seinen Kopf gefahren. Das blaue Schild mit dem Stationsnamen unlesbar und kurz wie ein aufblitzender Gedanke. Eine Haltestelle, an der man nicht hält, bleibt eine Haltestelle.
Sebastian wusste auch ohne Durchsage: Nächster Halt, Endstation, Ausstieg in Fahrtrichtung rechts. In der Zugtoilette zog er seinen schwarzen Anzug an und verließ bald darauf den ICE. In der Gleishalle des Kopfbahnhofs flatterten Tauben auf, als hätten sie es eilig.
Danke nochmals für die Anmerkung. Habe sie eingebaut und woanders ein wenig verkürzt. Mein Gefühl bleibt aber, das da noch mehr herauszuholen wäre. Ich weiß nur nicht recht, wo anzusetzen ist.
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Fistandantilus Weltenwanderer
Alter: 43 Beiträge: 817 Wohnort: Augsburg
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18.06.2023 18:46
von Fistandantilus
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crim hat Folgendes geschrieben: | Mein Gefühl bleibt aber, das da noch mehr herauszuholen wäre. Ich weiß nur nicht recht, wo anzusetzen ist. |
In meinen Augen durch vorsichtige Streichungen, um zu verstärken:
crim hat Folgendes geschrieben: | Eine Haltestelle bleibt eine Haltestelle
Die Geschwindigkeit des Zugs ließ die Tropfen horizontal über die Fensterscheibe laufen und der dickste Tropfen, dachte Sebastian, war Vater. Immer schneller als alle anderen, unaufhaltsam – bei einer Kollision mit einem kleineren Tropfen: einnehmend und unbeeindruckt – er raste einfach an allem vorbei zum Rand der Scheibe und das war's dann.
Das Fensterglas: nur ein Tag im - oder das ganze - Leben des Vaters, Sebastian konnte es nicht sagen, und er war sich nicht sicher, ob es einen großen Unterschied machte. Immerhin war das jetzt alles vorbei und bald käme ein Deckel drauf, Blumengebinde, eine Hand voll Erde, weil Erde zu Erde und so weiter. Der Zusatz raubt mir die Kraft des Satzes, macht in fast schon beiläufig und lächerlich.
Er nahm seinen Kopf von dem in die Reisehülle verpackten schwarzen Anzug, der neben seinem Sitzplatz an der Innenwand des Abteils hing, und spürte für einen Moment den Vibrationen auf seiner rechten Gesichtshälfte nach, die mit einem Mal verschwunden waren und die er gerade deshalb so viel deutlicher wahrnahm.
Es fühlte sich an, als hätte eine Hälfte seines Gesichts eine völlig andere Form angenommen, und Sebastian dachte, das müsse daran liegen, dass sie unter der ausdauernden Massage durch die Zugwand eingeschlafen sei (er spürte nur die taube Seite seines Gesichts, während die andere genauso gut nicht hätte vorhanden sein können) ist für mich offensichtlich, auch die Klammer wirkt auf mich unschön und trotzdem wollte er nun im Zugfenster prüfen, ob sein kurzes Versinken in Gedanken und dem weichen aber kühlen Stoff der Reisehülle nicht doch eine Entstellung nach sich gezogen hatte.
Statt seinem Gesicht fand er die vorbeiziehende Landschaft, grau vom ausdauernden Regen, Felder unter einem dunklen Wolkenteppich, hin und wieder einen Waldrand in der Ferne, Dörfer, die dazwischen lagen, die kamen und gingen, näher rückten, zur Vorstadt wurden – das Vorbeirauschen eines Bahnsteigs kam Sebastian so unvermittelt und unmittelbar nah vor, als wäre der graue Beton direkt durch seinen Kopf gefahren. Das blaue Schild mit dem Stationsnamen unlesbar und kurz wie ein aufblitzender Gedanke. Eine Haltestelle, an der man nicht hält, bleibt eine Haltestelle.
Sebastian wusste auch ohne Durchsage: Nnächster Halt, Endstation, Ausstieg in Fahrtrichtung rechts. In der Zugtoilette zog er seinen schwarzen Anzug an und verließ bald darauf den ICE. In der Gleishalle des Kopfbahnhofs flatterten Tauben auf, als hätten sie es eilig. Wirkt auf mich ohne den Zusatz stärker |
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crim sex, crim & rock'n'roll
Beiträge: 1578 Wohnort: München
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19.06.2023 10:51
von crim
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Eine Haltestelle bleibt eine Haltestelle
Die Geschwindigkeit des Zugs ließ die Tropfen horizontal über die Fensterscheibe laufen und der dickste Tropfen, dachte Sebastian, war Vater. Immer schneller als alle anderen, unaufhaltsam – bei einer Kollision mit einem kleineren Tropfen: einnehmend und unbeeindruckt – er raste einfach an allem vorbei zum Rand der Scheibe und das war's dann.
Das Fensterglas: nur ein Tag im - oder das ganze - Leben Vaters, Sebastian konnte es nicht sagen, und er war sich nicht sicher, ob es einen großen Unterschied machte. Immerhin war das jetzt alles vorbei und bald käme ein Deckel drauf, Blumengebinde, eine Hand voll Erde.
Er nahm seinen Kopf von dem in die Reisehülle verpackten schwarzen Anzug, der neben seinem Sitzplatz an der Innenwand des Abteils hing, und spürte für einen Moment den Vibrationen auf seiner rechten Gesichtshälfte nach, die mit einem Mal verschwunden waren und die er gerade deshalb so viel deutlicher wahrnahm.
Es fühlte sich an, als hätte eine Hälfte seines Gesichts eine völlig andere Form angenommen, und Sebastian dachte, das müsse daran liegen, dass sie unter der ausdauernden Massage durch die Zugwand eingeschlafen sei. Trotzdem wollte er nun im Zugfenster prüfen, ob sein kurzes Versinken in Gedanken und dem weichen aber kühlen Stoff der Reisehülle nicht doch eine Entstellung nach sich gezogen hatte.
Statt seinem Gesicht fand er die vorbeiziehende Landschaft, grau vom ausdauernden Regen, Felder unter einem dunklen Wolkenteppich, hin und wieder einen Waldrand in der Ferne, Dörfer, die dazwischen lagen, die kamen und gingen, näher rückten, zur Vorstadt wurden – das Vorbeirauschen eines Bahnsteigs kam Sebastian so unvermittelt und unmittelbar nah vor, als wäre der graue Beton direkt durch seinen Kopf gefahren. Das blaue Schild mit dem Stationsnamen unlesbar und kurz wie ein aufblitzender Gedanke. Eine Haltestelle, an der man nicht hält, bleibt eine Haltestelle.
Er wusste auch ohne Durchsage: Nächster Halt, Endstation, Ausstieg in Fahrtrichtung rechts. Auf der Zugtoilette zog er seinen schwarzen Anzug an. Der ICE wurde langsamer, kam dann ruckartig zum Stehen. Sebastian stieß sich leicht am Spiegel und hielt sich beim Ausstieg die Stirn. In der Gleishalle des Kopfbahnhofs flatterten Tauben auf.
Hi Fistandantilus,
ich habe deine Streichungen übernommen, weil du den Finger auf die richtigen Stellen legst, und am Ende habe ich noch einmal etwas Neues versucht. Vielen Dank für deinen Blick in den Text.
LG crim
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Fistandantilus Weltenwanderer
Alter: 43 Beiträge: 817 Wohnort: Augsburg
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19.06.2023 11:02
von Fistandantilus
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Ich fand "in der Zugtoilette" besser als "auf". Jetzt liest es sich, als würde er den Anzug anziehen, während er gerade sein Geschäft verrichtet. Das mit dem Stoßen am Spiegel brauchts für mich nicht, stört aber auch nicht.
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crim sex, crim & rock'n'roll
Beiträge: 1578 Wohnort: München
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19.06.2023 11:09
von crim
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Hi,
hatte nach der Streichung an der Stelle zwei aufeinanderfolgende Sätze, die mit "In der" begonnen haben und wollte tricksen. 😆
Das "Auf" kommt wieder raus. Habe die Stelle ja entzerrt und glaube, dass vielleicht durch das Halten der Stirn auch die Doppeldeutigkeit von Kopfbahnhof nahegelegt wird.
Danke fürs Wieder-Schauen.
LG crim
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Fistandantilus Weltenwanderer
Alter: 43 Beiträge: 817 Wohnort: Augsburg
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19.06.2023 11:24
von Fistandantilus
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Ach schau, die Anspielung auf den Kopfbahnhof hab ich gar nicht gecheckt.
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hannah.ramone Gänsefüßchen
Beiträge: 15 Wohnort: Bonn
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23.06.2023 11:47
von hannah.ramone
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Ich finde die Gedanken und die Sprache toll. Vielleicht reicht „Haltestelle“ als Titel, um nicht einen der schönsten Sätze direkt herzugeben?
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Christof Lais Sperl Klammeraffe
Alter: 62 Beiträge: 942 Wohnort: Hangover
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23.06.2023 12:10
von Christof Lais Sperl
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Toll! „Statt seines Gesichtes“ < statt seinem Gesicht fände ich besser. Guter Text!
_________________ Lais |
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RaiBruHerte Eselsohr
Beiträge: 305 Wohnort: Rheinf
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24.06.2023 07:56
von RaiBruHerte
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Ein sehr guter Text, auch die Entwicklung zu den Verbesserungen und Anregungen hier im Faden finde ich sehr angenehm.
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crim sex, crim & rock'n'roll
Beiträge: 1578 Wohnort: München
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24.06.2023 09:40
von crim
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hallo hannah, christof und raibruherte.
es freut mich sehr, dass ihr diesen text so empfindet.
ich bin auch sehr glücklich über die rückmeldungen hier.
ein schönes kollektives lektorat erfährt der text und dafür bin ich dankbar. zwei änderungsstellen habe ich von fist und christof bereits für mich angenommen, stelle jetzt aber noch keine neue version ein. ich habe noch eine stelle, wo ich noch ein bisschen am fluss schrauben will, minimal, aber das braucht ein bisschen.
lg crim
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