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Ein Versuch des vollständigen Genderns


 
 
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S.D.
Geschlecht:männlichGänsefüßchen
S

Alter: 65
Beiträge: 20



S
Beitrag26.02.2023 02:51
Ein Versuch des vollständigen Genderns
von S.D.
eBook pdf-Datei Antworten mit Zitat

Ein Versuch, in einer Geschichte vollständig zu gendern

Keine Sterne, keine Doppelpunkte, keine Unterstriche, kein Binnen-I in den Wörtern!

Statt eine Trennung nach Geschlechtern in die deutsche Sprache einzuführen, wird das Geschlecht beim Wort entfernt. Wörter haben kein Geschlecht!

Die Artikel „der/die/das“ werden zu „de“, „ein/eine/eines“ zu „een“ (vgl. Englisch "the" bzw. "one").

Nomen werden nicht mehr dekliniert. Bisher war die Deklination geschlechtsspezifisch.

Adjektive werden nicht mehr dekliniert, sondern nur noch in der Grundform benutzt. Die Deklination des Adjektivs hat das Geschlecht verraten.

Pronomen wie „er/sie/es“ werden auf „het“ begrenzt. Mit „het“ sind alle Geschlechter gemeint. Gleiches gilt für „dieser/diese/dieses“, was nur noch durch „ditt“ dargestellt wird.

Besitzanzeigende Fürwörter wie „sein/ihr“ heißen fortan einheitlich „sien“.  

Zusammenziehungen wie „am“, „im“ oder „vom“ werden nach „an de“, „in de“ oder „von de“ auseinandergezogen.

der Mann = de Mann
die Frau = de Frau
das Kind = de Kind

der Mitarbeiter = de Mitarbeiter
die Mitarbeiterin = de Mitarbeiter (weil "Mitarbeiter" jetzt geschlechtslos)

ein Mann = een Mann
eine Frau = een Frau
ein Kind = een Kind

Das Auto gehört dem blonden Mann = De Auto gehört de blond Mann
Eine Person sah im Hotel eine große Frau = Een Person sah in de Hotel een groß Frau

Die Klage über das generische Maskulinum und das "Frauen/Diverse sind nur mitgemeint" ist vom Tisch, wenn Wörter kein Geschlecht mehr haben.



 
Unsterblichkeit

De Leben von een Taschentuch gilt in de Welt nicht viel. Manch Taschentücher sterben bei een kräftig Nieser; andere halten jed noch so stark Winde stand und überdauern Jahrzehnte. Ganz wenige aber erreichen de Ewigkeit, wenn het aus een weltbekannt Hand fallen und auf de Boden von de Geschichte landen.
Ditt Taschentuch, aus feinst Seide, bunt bestickt, mit een verschnörkelt »C« versehen, fand sich an een Tag in de Rocktasche von sien Besitzer wieder, bereit für de Nase, de Schläfe oder de Hals von sien Herr. De Tuch lauerte nur darauf, von spitz Fingern hervorgezogen zu werden, um sich een Schmetterling gleich de Licht und de Luft hinzugeben. Doch an ditt Tage tastete kein hochherrschaftlich Fingernagel nach de Taschentuch, kein klein Finger bohrte sich mit lässig Eleganz in de Rocktasche, um nach een Falte in de Tuch zu suchen, sich darin festzuhaken und het herauszuziehen.
Auch de folgend Nacht verbrachte de Tuch in sien eng Gefängnis aus samten Stoff. De Stunden vergingen ereignislos, und de Seidentuch glaubte bereits, niemals auch nur een einzig Tropfen von de sueur royale aufnehmen zu dürfen. Doch dann, als laut Stimmen durch de teuer Stoff von de Rock zu de Taschentuch drangen, schien de groß Stunde zu kommen.
Offenbar hatte sich een riesig Menschenmenge versammelt, denn als de Besitzer von de Tuch mit fest Schritt een hölzern Treppe emporstieg, brandete een solch Jubelgeschrei los, dass de Tüchlein erzitterte.
Plötzlich brach sich Licht sien Weg in de Tasche, und een hochedel Finger, peinlichst manikürt, de Fingernagel sauber und mit een fein Halbmond ausgestattet, zupfte nach de Tuch. Jubelnd stemmte het sich gegen de samten Wände und ließ de Fingerspitze über sich, in sich, zwischen sich gleiten. Gleich, jetzt kam de groß Augenblick! Endlich in de Licht von de Welt!
Doch was war ditt?
De edel Herrscher stand auf een primitiv Holzpodest, umringt von grimmig dreinblickend Gesellen, de schwarz Kapuzen trugen. Een von ihnen hielt een groß, schwer Beil in sien kräftig Händen.
De Herrscher entledigte sich von sien Rock, ohne de Tuch aus de Hand zu legen. Het kniete nieder, bewegte de Lippen stumm in de Gebet und legte de Kopf auf een grob Holzklotz.
De Tuch in sien Hand verstand nicht. War ditt noch de mächtigst Mann von de Reich? War het selbst noch de Schweißtuch von de König?
De Beil schwang hoch zu de Himmel und sauste mit tödlich Kraft herab. De Hand öffnete sich, und de Tuch fiel zu Boden. Een Tropfen Blut traf de Taschentuch. Het saugte gierig danach.
De Menge schrie.
De Tuch lachte.
Unsterblichkeit!

Weitere Werke von S.D.:
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Arminius
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Alter: 65
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Beitrag26.02.2023 10:21

von Arminius
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Bravo! Gleich bei den obersten Sprachhütern für die nächste Rechtschreibreform anmelden Cool .
Wenn man es ausspricht, klingt's wie ein friesischer Dialekt.
Der Duktus erinnert mich ein wenig an Starkdeutsch. Das wurde irgendwann in den Siebzigern in einer Fernsehsendung vorgestellt. Leider finde ich hierzu nichts mehr im Netz.
Danke für die Erläuterungen.


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Rübenach
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Beiträge: 2836



R
Beitrag26.02.2023 11:42

von Rübenach
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Starckdeutsch schreibt ja auch mit ck.
https://www.youtube.com/watch?v=6MQ2W1HOJqI


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Arminius
Geschlecht:männlichReißwolf

Alter: 65
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Wohnort: An der Elbe


Beitrag26.02.2023 11:50

von Arminius
Antworten mit Zitat

Rübenach hat Folgendes geschrieben:
Starckdeutsch schreibt ja auch mit ck.


Danke für Hinweis und Link (das Gedächtnis lässt halt nach). Klingt aber mehr nach Ostpreußen, wenn ich es recht überlege.


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anuphti
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Beitrag26.02.2023 13:34

von anuphti
Antworten mit Zitat

Erinnert mich sehr an Afrikaans.

Die haben das mit dem Holländischen gemacht.

Praktisch eine Version ohne verschiedene Artikel (die man, die vrou, die Kind), ohne Deklinationen und nur noch drei Zeitformen.

Sehr angenehm zum Sprache lernen:)))


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V.K.B.
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Beitrag26.02.2023 14:59

von V.K.B.
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anuphti hat Folgendes geschrieben:
Sehr angenehm zum Sprache lernen:)))
Das haben die Ureinwohner von Südafrika aber trotzdem anders gesehen …

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Gast







Beitrag26.02.2023 15:05

von Gast
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Gefällt mir auch inhaltlich! Daumen hoch²

anuphti hat Folgendes geschrieben:
Erinnert mich sehr an Afrikaans.

Die haben das mit dem Holländischen gemacht.

Praktisch eine Version ohne verschiedene Artikel (die man, die vrou, die Kind), ohne Deklinationen und nur noch drei Zeitformen.

Sehr angenehm zum Sprache lernen:)))


Ich hatte einen Tommy als Arbeitskollegen, der deutsch lernen wollte und immer fluchte: Oh my god, thirty f*ing ways of saying 'the'.

LG
DLurie
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V.K.B.
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Beitrag26.02.2023 15:07

von V.K.B.
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Nach Lesen der Geschichte: Ja, liest sich stimmig und geht als Sprache durch, man hat sich auch schnell eingewöhnt. Nur isses eben kein Deutsch mehr, oder wie Nuff sagte in etwa so Deutsch, wie Afrikaans Holländisch ist.

Jetzt musst du nur noch ein Land finden, das du kolonialisieren kannst und den "Barbaren" dort die Sprache aufzwingen, um sie offiziell zu etablieren. Twisted Evil

Bayern vielleicht?

Edit: Aber ernsthaft, nenn das eine ConLang und nicht genderfreies Deutsch, dann geht man viel offener ran.


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aliken
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Beitrag13.03.2023 03:07

von aliken
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Es liest sich ungewöhnlich, aber wer weiß, vielleicht schreiben wir alle in 50 Jahren so.

Zu überlegen wäre, ob es notwendig ist, nicht nur Personen, sondern auch Sachen zu entgendern. Das kenne ich zumindest bis jetzt nicht und muss es mir mal durch sen Kopf gehen lassen.

Der Text ist übrigens trotdem sehr schön.


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ausgefuchst
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Beitrag13.03.2023 15:46

von ausgefuchst
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Also mir viel das Lesen schon schwer. Mag aber auch daran liegen, dass ich aufgrund vieler wissenschaftlicher Texte gendern gewohnt bin. Wenn möglich neutral, teils auch mit dem unsäglichen Doppelpunkt. Aber nachdem ich mich auch daran gewöhnt habe (und mir eher auffällt, wenn nicht gegendert wird), würde ich mich an deine Art auch gewöhnen.
Ist für mich übrigens eine Art Kunst, was du da geschaffen hast. Toll!
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nebenfluss
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Beitrag13.03.2023 17:01

von nebenfluss
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aliken hat Folgendes geschrieben:
Zu überlegen wäre, ob es notwendig ist, nicht nur Personen, sondern auch Sachen zu entgendern. Das kenne ich zumindest bis jetzt nicht und muss es mir mal durch sen Kopf gehen lassen.

Schon heute dürfte es jemandem, der das neue Sprachempfinden verinnerlich hat, schwerfallen, von Industrierobotern zu sprechen und nicht von Industrieroboter:innen (zumal es der Roboter heißt). Den Verstand, dass es sich um geschlechtslose Maschinen handelt, ist diesen Menschen dennoch zuzutrauen. Das dürfte insbesondere im Bereich K.I. zunehmende Bedeutung erlangen.

Vergleiche etwa, dass in der Digitaltechnik die Befehlshierarchie Master-Slave abgeschafft wird, weil dies Begriffe aus dem Kolonialismus sind.

So einfach ist die Sache also offensichtlich nicht. Es steht für mich auch außer Frage, dass nach erfolgreicher Durchgenderung aller denkbaren Menschenbezeichnungen die Tiere und Pflanzen dran sind - sind schließlich auch Lebewesen. Erfolgreiche Reformbewegungen lösen sich nie auf, wenn ihr ursprüngliches Ziel erreicht ist, sondern brechen auf zu neuen Ufern (aka Verteidigung ihrer fortgesetzten Notwendigkeit).



Deshalb ist der Text konsequent, und in meinen Augen erstaunlich leicht verständlich. Ich habe mich weniger an Ostfriesisch als vielmehr Westfriesisch (lapidar gesagt: Holländisch) erinnert gefühlt.
Inhaltlich finde ich die Geschichte auch abseits dessen ziemlich charmant.
Gut gemacht!


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Christof Lais Sperl
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Beitrag13.03.2023 17:08

von Christof Lais Sperl
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Wie findet ihr Dachr  und Dachrinnen? Wink

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nebenfluss
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Beitrag13.03.2023 17:12

von nebenfluss
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Christof Lais Sperl hat Folgendes geschrieben:
Wie findet ihr Dachr  und Dachrinnen? Wink


Dachr sind nach meen Dafürhalten viel zu oft aus een wenig haltbar, wasserdurchlässig Material hergestellt.


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nebenfluss
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Beitrag13.03.2023 17:14

von nebenfluss
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Korrektur in eigener Sache:
nebenfluss hat Folgendes geschrieben:
Vergleiche etwa, dass in der Digitaltechnik die Befehlshierarchie Master-Slave abgeschafft wird, weil dies Begriffe aus dem Kolonialismus sind.

Natürlich wird nicht die Befehlshierarchie abgeschafft, sondern nur ihre Bezeichner. Ah. :innen. Oder so.


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PaulaSam
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Wohnort: Regensburg


Beitrag15.03.2023 12:11

von PaulaSam
Antworten mit Zitat

Ja, die Geschichte ist nett. Und ja, der Ansatz zur "geschechtsneutralen Sprache" ist interessant. Aber ...

Ich mag da außerhalb des Mainstreams liegen, doch in mir sträubt sich die literarische Seele, wenn sie über Jahrzehnte schwer erworbenes Sprachwissen über Bord schmeißen und nochmal von vorne zu lernen anfangen soll.
Genauso wie so manch alte Sprache (z. Bsp. Plattdeutsch) finde ich sie erhaltenswert - nicht trotz, sondern gerade wegen ihrer Unzulänglichkeiten. Für mich gehört Sprache zur Kultur einer Gesellschaft, weil sie historische Entwicklungen (samt Irrungen und Verfehlungen) wiederspiegelt und so zum Bestandteil der gesellschaftlichen Identität wird?

Oder ist dieser Ansatz zu kontrovers, naiv oder konservativ? Müssen wir unbedingt etwas so wertvolles wie unsere Sprache bis zur Unkenntlichkeit glattpolieren, bis auch jeder noch so kleine Kratzer getilgt ist?

Gendern mag absolut eine wünschenswerte Wirkung hinsichtlich geschlechtsgleichem Umdenken haben. Zumindest, um den Stein ins Rollen zu bringen, ist Gendern definitiv ein guter Ansatz. Dennoch finde ich, sollten wir auf Dauer eher das Problem an der tatsächlichen Wurzel packen, statt uns auf plakative Vihekel zu stützen. Denn stetes Tropfen auf den versteinerten Geist der ewig Gestrigen stumpft diesen irgendwann nur noch ab.

Offene Rebellion gegen geschlechtliche Ungerechtigkeit z. Bsp. in der "geschlechtsspezifischen" Bezahlung von Angestellten, der Verantwortung für die Kinderbetreuung oder im Familienrecht, bzgl. jeder Art von Ehe (einschließlich "wilder" Ehe, für die es bislang überhaupt keine gesetzlichen Regelungen gibt). Und natrülich nicht zu vergessen die Zivilcourage, die leider viel zu oft zu wünschen übrig lässt. Wenn wir offen anprangern würden, wenn wieder einmal ein Homosexueller angepöbelt wird oder ein Chef mit fristloser Kündigung bei offener Diskussion über Gehälter droht, würden wir sicher mehr erreichen, finde ich.

Fragt euch doch mal, wann ihr das letzte Mal offen und laut gegen solche Ungerechtigkeiten protestiert habt. Und damit meine ich im echten Leben, nicht auf einer Social Media Plattform, sondern Angesicht zu Angesicht.

LG Sam
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Günter Wendt
Geschlecht:männlichExposéadler


Beiträge: 2861



Beitrag31.03.2023 08:22

von Günter Wendt
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Wer Geschlechter nicht benennt, sie ausklammert oder ersetzt durch ein Neutrum, steht einen Schritt vor einer Gesellschaft in der keine Unterschiede gemacht werden.

Jeder Mensch ist gleich. Alle sind auf einer Höhe und niemand steht „unten“. Niemand „oben“.
Der „Wert“ des Individuums, die Unterschiede jedes Menschen, sind ausgeglichen.
Es gibt dann keinen individuellen „Wert“, weil es keine Vergleichsgröße gibt an dem ein „Wert“ gemessen werden kann.
Jeder ist gleich. Kein Unterschied.

Eine große graue Masse der Gleichen.

Das hat natürlich Auswirkungen auf die „Alltagsmode“. Nicht auffallen. Niemand darf sich durch seine Kleidung von anderen unterscheiden.
Genauso in allen Bereichen der Kunst. Gleiche Kunst für gleiche Menschen. Literatur, Musik, abbildende Kunst, Sprache und Religion.
Keine Unterschiede, weil man niemanden beleidigen oder hervorheben darf.
Farbe ist suspekt. Hohe und schrille Töne sind geächtet.


Anpassung an eine Norm: Alles und alle sind gleich.

Gäbe es heute einen George Orwell, würde er einen Bestseller schreiben, der den Titel tragen würde:

2184
 alternativ
 Einundzwanzigvierundachtzig


Fällt euch etwas am Text oben auf?
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Ralphie
Geschlecht:männlichForenonkel

Alter: 71
Beiträge: 6393
Wohnort: 50189 Elsdorf
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Beitrag13.04.2023 11:59

von Ralphie
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Sehr gewohnheitsbedürftig, der Text.
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MDK
Geschlecht:weiblichEselsohr

Alter: 47
Beiträge: 350
Wohnort: OWL


Beitrag13.04.2023 12:34

von MDK
Antworten mit Zitat

Ich musste sofort an Japanisch denken, wo ebenfalls jegliche Deklinationen fehlen, es kein Plural oder Singular gibt und keine Artikel. Allerdings hört sich Japanisch schöner an.
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MDK
Geschlecht:weiblichEselsohr

Alter: 47
Beiträge: 350
Wohnort: OWL


Beitrag13.04.2023 12:43

von MDK
Antworten mit Zitat

PaulaSam hat Folgendes geschrieben:
Ja, die Geschichte ist nett. Und ja, der Ansatz zur "geschechtsneutralen Sprache" ist interessant. Aber ...

Ich mag da außerhalb des Mainstreams liegen, doch in mir sträubt sich die literarische Seele, wenn sie über Jahrzehnte schwer erworbenes Sprachwissen über Bord schmeißen und nochmal von vorne zu lernen anfangen soll.
Genauso wie so manch alte Sprache (z. Bsp. Plattdeutsch) finde ich sie erhaltenswert - nicht trotz, sondern gerade wegen ihrer Unzulänglichkeiten. Für mich gehört Sprache zur Kultur einer Gesellschaft, weil sie historische Entwicklungen (samt Irrungen und Verfehlungen) wiederspiegelt und so zum Bestandteil der gesellschaftlichen Identität wird?

Oder ist dieser Ansatz zu kontrovers, naiv oder konservativ? Müssen wir unbedingt etwas so wertvolles wie unsere Sprache bis zur Unkenntlichkeit glattpolieren, bis auch jeder noch so kleine Kratzer getilgt ist?

Gendern mag absolut eine wünschenswerte Wirkung hinsichtlich geschlechtsgleichem Umdenken haben. Zumindest, um den Stein ins Rollen zu bringen, ist Gendern definitiv ein guter Ansatz. Dennoch finde ich, sollten wir auf Dauer eher das Problem an der tatsächlichen Wurzel packen, statt uns auf plakative Vihekel zu stützen. Denn stetes Tropfen auf den versteinerten Geist der ewig Gestrigen stumpft diesen irgendwann nur noch ab.

Offene Rebellion gegen geschlechtliche Ungerechtigkeit z. Bsp. in der "geschlechtsspezifischen" Bezahlung von Angestellten, der Verantwortung für die Kinderbetreuung oder im Familienrecht, bzgl. jeder Art von Ehe (einschließlich "wilder" Ehe, für die es bislang überhaupt keine gesetzlichen Regelungen gibt). Und natrülich nicht zu vergessen die Zivilcourage, die leider viel zu oft zu wünschen übrig lässt. Wenn wir offen anprangern würden, wenn wieder einmal ein Homosexueller angepöbelt wird oder ein Chef mit fristloser Kündigung bei offener Diskussion über Gehälter droht, würden wir sicher mehr erreichen, finde ich.

Fragt euch doch mal, wann ihr das letzte Mal offen und laut gegen solche Ungerechtigkeiten protestiert habt. Und damit meine ich im echten Leben, nicht auf einer Social Media Plattform, sondern Angesicht zu Angesicht.

LG Sam


Das sehe ich ganz genauso. Das Gendern hilft keinem Menschen, der schlecht bezahlt, geschlagen oder anderweitig ausgebeutet wird. Wer wirklich helfen und etwas verändern will, sollte dort ansetzen, wo die Ungerechtigkeit für das Opfer unmittelbar spürbar ist.
Die Frauen, die in Frauenhäusern davor zittern, von ihren brutalen Partnern womöglich gefunden zu werden, haben nichts von irgendwelchen Sternchen in Zeitungen, oder davon, dass in den Nachrichten neuerdings von Gebärenden Personen gesprochen wird, statt von Müttern.
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S.D.
Geschlecht:männlichGänsefüßchen
S

Alter: 65
Beiträge: 20



S
Beitrag14.04.2023 11:51

von S.D.
pdf-Datei Antworten mit Zitat

In der Zwischenzeit hat sich einiges angefunden zum Thema "Gendern von Sachen":

Da gab es die Veröffentlichung im "Spiegel", wo einer Berliner Likörfirma ihren Pfefferminzlikor als "Berliner*innen Luft" anbietet. Wie sich herausstellte, war das ein Reklame-Gag für 500.000 Flaschen dieses Getränks. Folge: Ein Riesen-Aufschrei in den Medien. Mittlerweile sind die 500.000 Flaschen mit dem gegenderten Etikett aus der Werbung verschwunden. Zu viel Ärger? Oder alle 500.000 Flaschen verkauft?

https://www.merkur.de/welt/news-berliner-luft-schnaps-gendern-pfefferminzlikoer-schilkin-kult-getraenk-neuer-name-zr-92201029.html

Im Zusammenhang mit dem gegenderten Pferfferminz-Likör tauchte ein anderes Bild auf. Ein hessischer Bäcker verkauft Berliner - auch Krapfen oder Pfannkuchen genannt, jedenfalls dieses Hefegebäck mit eingespritzter Marmelade und Puderzucker oben drüber - als "Berliner*in (m/w/d)". Hier ist das Gendern bzw. die Geschlechtsneutralität kein Werbe-Gag, sondern ernst gemeint. Laut Meldung verkauft der Bächer dieses Produkt seit dem 17.10.2022 unter dem o. g. Namen

https://www.mimikama.org/berliner-in-m-w-d-zum-essen/

Die Frage, die sich mir jetzt aufdrängt: Heißt es zukünftig "Kölner*innen Dom", "Hamburger*innen Hafen", "Münchner*innen Frauenkirche", "Lüneburger*innen Heide"?

Ich muss dazu sagen, dass ich die Technik des Genderns bis heute nicht begriffen habe. Falls hier jemand unterwegs ist, der mir die Gendertechnik erklären kann, immer her damit.

Was ich nicht verstanden habe:
Die Menschen in meinem Wohnort sind genderkorrekt als "Einwohner*innen" zu bezeichnen. So weit, so gut. Wenn hinzugezogene Menschen sich in meinem Wohnort anmelden wollen, müssen sie zum "Einwohnermeldeamt" gehen. Warum heißt es hier nicht "Einwohner*innenmeldeamt"? Verstehe ich nicht.

Da in meinem Wohnort Männer und Frauen (und wohl auch Diverse) leben, heißen diese Leute "Nachbar*innen". Das Gebiet rings um mich herum heißt aber "Nachbarschaft" und nicht "Nachbar*innenschaft". Wieso? Verstehe ich nicht.

Wer den Ort mit "Bürger*innen" regiert, wird als "Bürgermeister" bezeichnet. Ich hätte da "Bürger*innenmeister" oder "Bürger*innenmeisterin" erwartet. Regieren die nur die Männer? Verstehe ich nicht.

Aktuell suche ich für meine Mutter (88 Jahre alt) eine Unterkunft in einer Betreuung. Die heißt bisher "Seniorenresidenz". Warum nicht "Senior*innenresidenz"? Ist die nur für Männer? Ich verstehe es einfach nicht.

Das setzt sich auch auf der anderen Seite fort. Bei "Einwohner" gendern wird, weil Frauen nicht nur "mitgemeint" sein sollen, sondern ausdrücklich genannt werden müssen - das generische Maskulinum. Haben Männer nicht das gleiche Recht? Was ist mit "Bei einer Massenkarambolage kamen 12 Personen zu Schaden"? "Personen" ist generisches Femininum, also sind die Verkehrsopfer alles Frauen? Verstehe ich nicht.

Oder: "Ein Flugzeug der Lufthansa wurde entführt. 189 Geiseln schweben in Lebensgefahr" - ein Flugzeug nur mit Frauen? Immerhin heißt es "die Geisel". Verstehe ich nicht.

Hilfe!!!

Es gibt - angeblich - erste genderkorrekte Romane. Das "angeblich" unterstreiche ich drei Mal! Der erste "genderkorrekte Roman", den ich gelesen habe, war gespickt mit Unzulänglichkeiten - um das Wort "Fehler" zu vermeiden.

Nochmal: Hilfe!!!
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Arminius
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Alter: 65
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Wohnort: An der Elbe


Beitrag14.04.2023 12:14

von Arminius
Antworten mit Zitat

Oh, wie ich das verstehe!
Ich gendere zwar in bescheidenem Maße auch, doch selbst unsere Fußball-, Handball- und Eishockeyspielerinnen reden von ihrer "Mannschaft". Ich habe noch nie von einer "Frauschaft" gehört oder gelesen.
Die deutsche Sprache ist an sich schon kompliziert. Das regellose Gendern macht sie nur noch konfuser. Für mich wäre das ein Grund, lieber Englisch statt Deutsch zu lernen.
Vielleicht wird sich das alles irgendwann von selbst erledigen. Der Mensch/die Menschin neigt ja zur Bequemlichkeit... Wink


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anuphti
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Beitrag14.04.2023 12:17

von anuphti
Antworten mit Zitat

Hallo S.D.

Rein feministisch gesehen, vertrete ich die Meinung, dass Sprache natürlich die Wahrnehmung von Minderheiten beeinflusst.

Das merkt man vor allem dann, wenn gewohnte Verwendungen umgedreht werden.

Siehe die Rektorin einer deutschen Universität, die sämtliche Publikationen mit den weiblichen Formen drucken ließ mit der Fußnote, dass die männlichen Leser selbstverständlich mit gemeint sind.

Ein Herr Professorin Müller, das klingt überraschend und zeigt wie absurd Frau Professor Schmidt ist.

Dieses Dilemma haben aber vor allem Sprachen mit Artikeln.

Im Englischen ist "Nurse" sowohl Krankenschwester als auch Krankenpfleger.
Davon können wir in Deutschland nur träumen.

Auf der anderen Seite macht das vollständige "Gendern" im Deutschen sprachlich keinen Sinn, wie man an vielen überspitzten Beispielen sieht, weil Sprache historisch gewachsen ist ohne über Gendern nachzudenken.
Alles was eine Sprache komplizierter macht hat geringe Überlebenschancen.

Der Siegeszug des Englischen kommt nicht von ungefähr.

Ursprünglich ging es doch vor allem um das Gendern bei der direkten Ansprache von Menschen. Das wäre auch einfach zu lösen.

Aber letztendlich zeigt diese ganze Diskussion nur, dass bis zur Gleichberechtigung noch ein weiter Weg vor uns liegt.


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