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schó Leseratte
Beiträge: 112
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13.01.2023 17:37 Ich habe siebzehn Freunde von schó
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Ich habe siebzehn Freunde. Vermutlich sind es mehr als siebzehn aber ich möchte um dieser siebzehn willen, die ja meine besten Freunde sind, keinen weiteren Freund mitzählen. Leider vergesse ich aber immer wieder wer, von den sagen wir fünfzig Bekannten, zu den guten siebzehn gehört und also sage ich an einem Tag zu jemandem, die überhaupt keine gute Freundin ist: Möchtest du mit uns an den Strand? Und dann ist jemand anderes, den ich eigentlich mit vollen Herzen lieben sollte, allein zuhause und kummert. Das ist aber nicht zu vermeiden. Würde ich zum Beispiel nur fünf Bekannte als meine besten Freunde bezeichnen, dann wären umso mehr meiner Bekannten allein zuhause und würden kummern, außerdem macht es keinen Spaß bloß zu sechst oder zu siebt am Strand zu entspannen. Natürlich könnte ich eine Namensliste erstellen, oder im besseren Fall sogar eine mit Fotos, falls ich auf der Straße Blöh antreffe, ihn aber als Drüsch identifiziere. So ein kleines Fotoalbum könnte ich in meine Jackentasche stecken, es wäre nur so groß wie meine Handfläche, aber sehr wertvoll, wirklich sehr wertvoll. In diesem Fall würde es in meinem Leben weniger Verwechslungen geben, allerdings müsste ich dann die siebzehn Freunde gut auswählen. Heute kann ich ja noch schummeln und einmal Kach als meinen allerbesten Freund bezeichnen, weil er eine schöne Kiste gekauft hat, die ich ebenfalls einmal ausprobieren möchte. Obwohl ja Kach eigentlich sehr unfreundlich ist. Er spricht nicht einmal mit mir. Wenn er aber eine solche Kiste gekauft hat, dann sage ich die allerfeinsten Komplimente, bis Kach endlich einknickt und sagt: Hier hast du meine Kiste, lass mich aber jetzt in Ruhe. Dann besitze ich eine neue und schöne Kiste und kann damit spielen, das alles verdanke ich in dem Fall meinem ausgeklügelten Freundschaftssystem, welches keine Listen beinhaltet. Mir ist aber aufgefallen, dass unter diesen siebzehn sogenannten Freunden mehrere Feinde lauern. Sie warten auf meinen Sturz, um mich dann zu sich nach Hause zu schleppen und auszubeuten. Wie diese Ausbeutung ablaufen würde, darüber kann ich nur fantasieren. Allerdings weiß ich mit Sicherheit, dass ich als schwacher und gebrochener Mensch wieder herauskommen würde, gewissermaßen verloren. Darum muss ich immer gut aufpassen. Ich muss bei all meinen Veranstaltungen, ob zuhause oder in der Öffentlichkeit, ein oder zwei wirkliche Freunde dabeihaben, Menschen, von denen ich weiß, dass sie vollständig zu mir halten und nicht möglicherweise von meinen versteckten Feinden von ihrer gegen mich gerichteten Feindschaft überzeugt werden können. Dass es solche Feinde unter meinen Freunden gibt, das ist nicht nur statistisch wahrscheinlich, sollte ich an Statistik glauben, sondern ich habe es auch beobachtet. Denn ich besitze eine scharfe Beobachtungsgabe. An manchen Tagen sehe ich etwa einen Vogel auf der Terasse herumstolzieren und ich kann selbst die kleinen Läuse im Gefieder entdecken. Aber eine solche Beobachtung ist im Gegensatz zu sozialen Beobachtungen eher sensorisch. Ich habe gute Augen, ja, aber auch gute Ohren, ja, aber auch einen scharfen Verstand, welcher mir erlaubt solche Schlüsse zu ziehen, dass ich mehrere Feinde, sagen wir drei unter meinen siebzehn Auserwählten habe. Sie schauen mich in manchen Momenten, wenn ich eine Müdigkeit vortäusche, mit zusammengekniffenen Augen an, als würden sie mich prüfen und innerlich meine Fehler und Missetaten aufzählen. Ob ich Fehler und Missetaten habe, das wissen diese falschen Freunde besser als ich. Wenn ich sie nämlich kannte, dann wäre ich über sie ermächtigt, so aber thronen meine Fehler über meinem Haupt und regieren mein Leben. Das wissen sie. Nun ist aber diese Dynamik, ich habe mich nicht nur daran gewöhnt, sehr gut für eine Freundesgruppe, insbesondere für mich. Wir achtzehn sind schließlich keine feste Freundesgruppe. Alle Glieder haben nochmal ihre eigenen Kreise. Der Kreis der achtzehn, von dem ich spreche, ist lediglich mein Kreis und ich bin froh, dass darin mit der Zeit immer mehr Spannungen zum Vorschein kommen. Fast könnte ich in manchen Sekunden denken, dass sich irgendwann alle gegen mich wenden werden. Dann lache ich und koche mir ein paar Wiener, zum Vergnügen des Tages. Wäre es nicht lächerlich und zum Schütteln, wenn alle meine Freunde, die ich ständig verwöhne, irgendwann zu mir sagen würden: Du bist uns nichts mehr wert. Sie würden mich in eine Kammer sperren, wo ich die trockenen Reiskörner mit einer Kammermaus teilen müsste. In dieser Kammer wäre ich sehr traurig und würde vielleicht erst nach einer Woche eine kleine Luke, ganz weit oben bemerken, durch die nicht einmal Licht auf uns herabfällt. An dieser Luke hätte ich wohl für ein Jahr oder zwei mein Vergnügen, bis ich mich selbst daran satt sehen würde. Dann wäre es an der Zeit meine Kammermaus ins Visier zu nehmen, mit ihr ein paar Vokabeln zu üben, mal in meiner, mal in ihrer Sprache. Und irgendwann, wenn wir uns gut genug verstehen würden, um philosophische Themen zu besprechen, dann hätte ich erneut meine Lebensfreude, wie lange würde das aber dauern? Nein, am besten wäre es für mich und vielleicht auch für diese kleine süße Maus, wenn mich kein weiterer Freund durchschaut.
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Pickman Plottdrossel
Beiträge: 2292 Wohnort: Zwischen Prodesse und Delectare
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13.01.2023 19:21 Re: Ich habe siebzehn Freunde von Pickman
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Lieber schó,
ich habe Deinen Text bis zum Ende durchgelesen und mich musste mich nicht dazu quälen. Das ist schon mal die halbe Miete. Erst fehlten mir die Absätze, aber dann hat der Text einen beachtlichen Sog entfaltet und ich konnte gar nicht mehr aufhören, durch die Zeilen zu eilen.
Meine Lieblingsstelle ist diese:
schó hat Folgendes geschrieben: | Dann lache ich und koche mir ein paar Wiener, zum Vergnügen des Tages. |
Mehr davon!
Liebe Grüße
Pickman
_________________ Tempus fugit. |
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schó Leseratte
Beiträge: 112
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13.01.2023 19:53
von schó
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Lieber Pickman,
danke, ich frage mich, wie ein solcher Sog entsteht, es sind wohl die absurden Logiken, die sprachliche Setzung, als wären die Argumentationen logisch, wo sie doch nichts als absurd sind.
Brüche, wie der von dir angemerkte Satz mit den Wienern, können wohl vermehrt vorkommen, dazu sehe ich in den konkreteren Beispielen innerhalb des Textes die Möglichkeit.
LG, schó
EDIT: Was denkst du, wie der Sog literarisch festgelegt werden kann in diesem Text?
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Pickman Plottdrossel
Beiträge: 2292 Wohnort: Zwischen Prodesse und Delectare
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13.01.2023 21:30
von Pickman
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schó hat Folgendes geschrieben: | Was denkst du, wie der Sog literarisch festgelegt werden kann in diesem Text? |
Ich bin mir nicht sicher, ob ich die Frage verstehe. Geht es dir um die Stilmittel, die den Sog erzeugt haben könnten?
_________________ Tempus fugit. |
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Aska Centauri Gänsefüßchen
A Alter: 57 Beiträge: 38 Wohnort: Regensburg
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A 13.01.2023 22:58
von Aska Centauri
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Hallo schó,
eine interessante Geschichte, witzig und doch traurig zugleich. Das Wort "kummern" kannte ich noch nicht und finde es in diesem Zusammenhang wunderschön.
Was ich vermisse, sind Absätze. Ich habe Deinen Text zwei Mal gelesen und musste mich dabei sehr konzentrieren. Aber das kann an mir liegen, ich mag "luftige" Texte. Andererseits erhöht das Fehlen der Absätze das Tempo.
Liebe Grüße
Aska
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schó Leseratte
Beiträge: 112
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13.01.2023 23:59
von schó
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Zitat: | Ich bin mir nicht sicher, ob ich die Frage verstehe. Geht es dir um die Stilmittel, die den Sog erzeugt haben könnten? |
Ja, das meinte ich. Aber musst du auch nicht beantworten, fand ich bloß eine interessante Überlegung: Was erzeugt Sog in einem Text?
Und hallo Aska,
vielen Dank für deine Rückmeldung. Erstaunlich, dass ein Wort so viel hervorrufen kann
Ja, in der Formatierung dieser Webseite geht es kaum ohne Absätze.
Ich kann den Text hier auch nur lesen, wenn ich oben rechts auf "print" klicke, dann kommt eine PDF raus, in der es lesbarer wird.
LG, schó
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Aska Centauri Gänsefüßchen
A Alter: 57 Beiträge: 38 Wohnort: Regensburg
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Pickman Plottdrossel
Beiträge: 2292 Wohnort: Zwischen Prodesse und Delectare
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14.01.2023 14:01
von Pickman
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Aska Centauri hat Folgendes geschrieben: | Andererseits erhöht das Fehlen der Absätze das Tempo. |
Der Verzicht auf Absätze ist sicherlich eine Zutat für rasante Texte, der weitgehende Verzicht auf Punkte eine andere. Das Weglassen von langen oder schwer zu verstehenden und von Fremdwörtern könnte auch helfen.
_________________ Tempus fugit. |
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schó Leseratte
Beiträge: 112
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22.01.2023 23:43
von schó
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Aber ist rasant alles was zählt? Ein Text mit Sog ist noch lange kein guter Text. Würd ich behaupten.
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Pickman Plottdrossel
Beiträge: 2292 Wohnort: Zwischen Prodesse und Delectare
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23.01.2023 07:45
von Pickman
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schó hat Folgendes geschrieben: | Aber ist rasant alles was zählt? Ein Text mit Sog ist noch lange kein guter Text. Würd ich behaupten. |
Tja, was ist ein guter Text? Da kann man lange diskutieren. Dieser hier war zumindest für mich gut genug, um ihn ohne Mühe vom Anfang bis zum Ende durchzulesen, ohne mich zwingen zu müssen. Das macht ihn für mich besser als viele andere.
_________________ Tempus fugit. |
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Christof Lais Sperl Klammeraffe
Alter: 62 Beiträge: 942 Wohnort: Hangover
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29.03.2023 18:20
von Christof Lais Sperl
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Kam über Umwege verspätet zu diesem Text.
Chapeau.
Grüße C
_________________ Lais |
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schó Leseratte
Beiträge: 112
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29.03.2023 23:15
von schó
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Danke C, mein Internet-Auftritt gleicht manchmal plötzlichen Erscheinungen. Diesen Text hatte ich für lange Zeit verborgen, bis ich ihn heute wieder sichtbar gemacht habe. Cool, dass er dir zu gefallen scheint.
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Arminius Reißwolf
Alter: 65 Beiträge: 1231 Wohnort: An der Elbe
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02.04.2023 14:48
von Arminius
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Hallo schó,
interessanter Text, in mehrerer Hinsicht.
Ist es ein innerer Monolog? Dazu würde der ungegliederte Textkörper passen.
Außerdem finde ich darin Elemente, die an eine autistische Persönlichkeit denken lassen. Das kann natürlich purer Zufall sein.
Grüße
Arminius
_________________ A mind is like a parachute. It doesn´t work if it is not open (Frank Zappa)
There is more stupidity than hydrogen in the universe, and it has a longer shelf life (Frank Zappa)
Information is not knowledge. Knowledge is not wisdom. Wisdom is not truth. Truth is not beauty. Beauty is not love. Love is not music. Music is the best (Frank Zappa) |
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schó Leseratte
Beiträge: 112
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02.04.2023 14:58
von schó
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Danke für das Feedback!
Innerer Monolog, ja vermutlich.
Autistisch? Kenne mich da nicht gut genug aus, denke ich. Aber ich denke man kann den Charakter auch pathologisieren, wenn man möchte. Wieso auch nicht.
EDIT: Das mit pathologisch ist so dahingesagt, ich weiß nichts über Autismus. Vielleicht ist es auch anmaßend da von pathologisch zu sprechen, keine Ahnung.
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Arminius Reißwolf
Alter: 65 Beiträge: 1231 Wohnort: An der Elbe
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02.04.2023 15:27
von Arminius
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schó hat Folgendes geschrieben: | Das mit pathologisch ist so dahingesagt, ich weiß nichts über Autismus. Vielleicht ist es auch anmaßend da von pathologisch zu sprechen, keine Ahnung. |
Schon gut, bitte kein schlechtes Gewissen bekommen .
"Autismus wird in der modernen Forschung als eine Sonderform des menschlichen Seins begriffen, ähnlich der Linkshändigkeit und der Homosexualität. Sie interpretiert Autismus als Ausdruck neuronaler Vielfalt (Neurodiversität)" [Eigenzitat].
Sten Nadolny's Protagonist in "Die Entdeckung der Langsamkeit" hat für mich sogar stark autistische Züge. Der Autor versicherte mir jedoch, dass das nicht in seiner Absicht lag. Liegt vielleicht an meiner speziellen Betrachtungsweise.
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schó Leseratte
Beiträge: 112
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02.04.2023 16:34
von schó
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Danke fürs Erläutern!
Ein Fauxpas meinerseits!
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