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V.K.B. [Error C7: not in list]
Alter: 51 Beiträge: 6155 Wohnort: Nullraum
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20.11.2022 21:00 Von Menschenfressern von V.K.B.
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Von Menschenfressern
Lina war Soziopathin. Mit diesem Gutachten war es amtlich. Immer wieder las sie die Zeilen, 397 Wörter, hauptsächlich lateinisches Kauderwelsch. Gutachten, welch ein Hohn, sagte sie. Niemand achtet das Gute, ihr sucht doch nur Ausgrenzungsgründe. Die Eltern ohrfeigten sie.
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Der Wald ist naturbelassen, gigantisch groß, und es gibt Bären dort, sagen sie. Sowie andere gefährliche Wesen, wenn man den Gruselgeschichten gelegentlich dort zeltender Hobbykryptozoologen glaubt. Sechs tote Wanderer in zwei Jahren, zerschmetterte Schädel, die Leichen angefressen, haben dem Wald die Reputation eingebracht, verflucht zu sein. Fast niemand traut sich heute noch dort rein, früher war es der Lieblingsplatz meiner Kindheit. Nur hier konnte ich ganz für mich sein, unsichtbar für alle anderen. Mich im Geäst verborgen auf einen Baum setzen und die Menschen beobachten. Vielleicht eines Tages über sie schreiben, nur um sie zu verstehen, denn lesen wollte meine Geschichten niemand. Ich beobachtete sie alle. Verliebte Pärchen bei ihren heimlichen Spielchen, Bilderbuchfamilien beim Picknick mit Kindern, lärmende Jugendliche beim Saufen, die ganze Bandbreite der kleinstädtischen Menschheit. Manchmal wünschte ich mir, einfach dazuzugehören.
Das Gutachten erklärte einiges und überraschte niemanden. Wussten wir doch schon immer, tuschelten die Nachbarn. Lina fehlt einfach die Empathie, sich in andere hineinzuversetzen, deshalb kommt sie mit niemandem klar, legten die Lehrer fest. Kein Wunder, dass sie gemobbt wird, ignorierten die Eltern ihre stummen Schreie.
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Auch wenn der Wald gefährlich geworden ist, komme ich immer noch her. Nur hier kann ich mich allem entziehen. Den lauten Verachtungsstimmen der Mitschüler, den stillen Vorwürfen der Lehrer und den immer neuen Enttäuschungsbekundungen meiner Eltern. Immer noch beobachte ich die wenigen Menschen, die trotz der Warnungen herkommen. Von ganz oben in den Bäumen blicke ich auf sie hinab. Manchmal fühle ich mich wie eine zornige Göttin, die auf einen Ameisenstamm herunterschaut. Ich möchte sie einfach zertrampeln. Dann weine ich.
Mit sechzehn verschwand Lina von zuhause. Ihr Fahrrad wurde am Waldrand gefunden. Jemand wird sie heruntergezerrt, gefesselt, vergewaltigt und lebendig verscharrt haben, wussten die Sensationszeitungen. Die Bären haben sie gefressen, beschlossen die Eltern. Wo ist Lina, fragten aufgeregte Mitschüler und hatten sie bald vergessen. Die Lehrer erwähnten sie gar nicht mehr.
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Der Wald ist naturbelassen, gigantisch groß, und es gibt Bären dort, sagen sie. Sowie andere gefährliche Wesen, wenn man den Gruselgeschichten gelegentlich dort zeltender Hobbykryptozoologen glaubt. Und ich weiß, dass sie recht haben. Denn ich bin das, worüber die ängstlichen Stimmen an den Lagerfeuern leise flüstern.
Weitere Werke von V.K.B.:
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tronde Klammeraffe
T
Beiträge: 522
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T 28.11.2022 00:27
von tronde
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Hallo!
Zitat: | Niemand achtet das Gute... | Das finde ich schön, häufig sind es ja tatsächlich eher Mangelachten.
Ich finde auch die Gegenüberstellung Damals und Erzählerin gelungen, für diese Geschichte genau richtig.
Allerdings: Nur weil die Schülen sich kurz fragen, wo Lina ist, frage ich mich das nicht. Nach der Frage kommt ja gleich die Anwort.
Der Titel, tja, zu offensichtlich das Menschenfressen schon im Titel zu bringen. Ich hätte es besser gefunden, das bei den kryptozoologischen Beschreibungen einfließen zu lassen. Für mich verrrät der Titel schon den Twist des letzten Satzes.
Gute Geschichte, schöne Sprache, weil mir das "Wo ist Lina?" zu kurz kommt, gibt es Abzüge.
Gern gelesen, oben mit bei.
Herzliche Grüße
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UtherPendragon Eselsohr
U
Beiträge: 402
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U 28.11.2022 03:42
von UtherPendragon
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Joaaa, also diesen Text habe ich wirklich gern gelesen und seine Pointe geht auch gut rein, außerdem mag ich natürlich verwunschene Wälder und wer das nicht tut soll ohnehin dann schweigen m.E.
Nichtsdestotrotz ist mir der Einstieg zu plötzlich. Es ist eine tolle Idee, eine Diagnose hereinzuwerfen, aber es erscheint mir noch zu gewollt - was aber Kritik auf höherem Niveau ist. Der Wald ließ mich an den popkulturell bereits reichlich ausgeschlachteten Selbstmord-Wald in der Nähe von Tokyo denken, das nur am Rande.
Diese Lektüre ist ein kleines Abenteuer, und bestimmt suitable für eine Postkarte, das Thema ist in für meinen Geschmack etwas zu gewollt umgesetzt. Bin gerade noch unsicher, wie der Text gegenüber anderen besteht:)
LG
UP
OK EDIT auf die 400 Wortgrenze anzuspielen finde ich hübsch.
_________________ Dies ist ein Text, der an jeden Deiner Beiträge angehangen werden kann. Es besteht ein Limit von 400 Buchstaben. |
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V.K.B. [Error C7: not in list]
Alter: 51 Beiträge: 6155 Wohnort: Nullraum
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28.11.2022 15:42
von V.K.B.
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Hallo eigener Text,
viel zu sagen habe ich dazu nicht mehr, ich hoffe, der kann für sich selbst sprechen. Zwei Dinge überlege ich: Vielleicht hätte ich den letzten Satz weglassen sollen, bevor das noch jemandem als Pointengeschichte erscheint (was es nicht sein soll). Aber ich wollte auch, dass klar wird, wo und was Lina jetzt ist. Ohne den letzten Satz fürchtete ich, viele würden es vielleicht nicht verstehen (man hat ja leider im Bewertungszeitraum nicht so wahnsinnig viel Zeit, sich ausgiebig mit allen Geschichten auseinanderzusetzen). Und ich mag die Wiederholung, die Reprise des zweiten Absatzes mit anderer Deutung, das hat etwas von (Anti-)Märchen.
Das zweite ist das gewagte "ignorierten die Eltern ihre stummen Schreie"-Inquit. Generell sind die meisten Inquits so gewählt, dass sie eine kognitive Dissonanz zum Gesagten aufbauen sollen. Zeitungen spekulieren wildestes Zeug, aber "wissen", Lehrer versuchen sich etwas zu erklären, aber "legen fest". Und die Eltern "beschließen" im Inquit Linas Schicksal, von dem sie hoffen, es sei etwas weniger grausam als die Horrorspekulationen der Bildzeitungen. Aber kann man "ignorieren" als Inquit nehmen? Ich denke, ja! Denn man kann auch mit dem, was man sagt, das ignorieren, was die andere Person gerade kümmert. Die Selektionsrestriktionsverletzung ist also völlige Absicht und soll genau das ausdrücken. Aber wird es auch so gelesen werden, oder mir als "das geht doch gar nicht" um die Ohren gehauen? Ich bin gespannt.
Der Titel ist ein bisschen vom kürzlich gesehenen Film "Barbarian" inspiriert, auch bei meiner Geschichte soll man sich fragen, wer jetzt eigentlich mit der titelgebenden Bezeichnung gemeint ist. Lina, die als Wilde im Wald lebt und gelegentlich auch Wanderer als Jagdbeute und Nahrungsquelle ansieht, oder die Gesellschaft, die sie dorthin getrieben hat und ihr damit die Menschlichkeit nahm (=fraß), weil sie nirgendwo wirklich reinpassen wollte? Und für Sensationsjournalisten sind verschwundene Jugendliche ja auch immer ein gefundenes Fressen.
_________________ Hang the cosmic muse!
Oh changelings, thou art so very wrong. T’is not banality that brings us downe. It's fantasy that kills … |
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nebenfluss Show-don't-Tellefant
Beiträge: 5994 Wohnort: mittendrin, ganz weit draußen
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28.11.2022 18:43
von nebenfluss
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Ein Beitrag aus meinem unbepunkteten Mittelfeld (quasi Plätze 11-18).
Irgendwie konnte ich mich nicht durchringen, diesen Text in meine Top 10 aufzunehmen. Er macht eigentlich nichts grundlegend falsch, hat oberflächlich betrachtet sogar Gemeinsamkeiten mit meinem eigenen Beitrag (eine Frau fühlt sich aus der Gesellschaft ausgeschlossen und zieht in den Wald) und versucht sich sogar mutig an einer Doppelperspektive aus distanzierter dritter und erster Person. Vielleicht ist es aber auch gerade das, was mich nicht überzeugt. Im Grunde erzählen mir beide Perspektiven das Gleiche. Ich erfahre so wenig über Linas Gefühle und wie sie nun mit der Situation umzugehen gedenkt. Sie wirkt passiv und ausgeliefert und sucht die Gründe für ihre Probleme ausschließlich bei anderen. Dennoch soll ich wohl als Leser Partei für sie ergreifen, ist doch nicht sie die Menschenfresserin, sondern die anderen sind es (so verstehe ich den Titel jedenfalls). Vielleicht ein bisschen dick aufgetragen. Mich hat die Geschichte leider erstaunlich kalt gelassen.
_________________ "You can't use reason to convince anyone out of an argument that they didn't use reason to get into" (Neil deGrasse Tyson) |
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hobbes Tretbootliteratin & Verkaufsgenie
Moderatorin
Beiträge: 4292
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29.11.2022 11:13
von hobbes
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Lina im Wald, Lina eine Menschenfresserin. Die Frage weniger "Wo ist Lina", sondern eher "Wer ist schuld?" Daran, dass Lina ist, wie sie ist und wie ist sie überhaupt, also wäre sie vielleicht anders, wenn [xyz]. Ich glaube, das ist mein Problem mit dem Text. Er macht es sich ein bisschen zu einfach, er schiebt mich ein bisschen zu sehr in eine Richtung, das nehme ich ihm übel. Und Lina nehme ich übel, dass eine gewisses Selbstmitleid von ihr ausgeht. Keiner liebt mich und deshalb fresse ich euch auf. Tut mir ja echt leid, aber ich kann nicht anders. Im Grunde seid ihr selbst schuld. Und seht, ich bin auch wirklich traurig deswegen, also habt ihr kein Recht, sauer auf mich zu sein.
_________________ Don't play what's there, play what's not there.
Miles Davis |
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d.frank Reißwolf
D Alter: 44 Beiträge: 1125 Wohnort: berlin
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D 29.11.2022 12:53
von d.frank
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Zitat: | Lina war Soziopathin | , damit ist ja eigentlich schon am Anfang alles gesagt, also dabei bleibt es dann auch, und hat mir deshalb leider nichts darüber hinaus gegeben.
_________________ Die Wahrheit ist keine Hure, die sich denen an den Hals wirft, welche ihrer nicht begehren: Vielmehr ist sie eine so spröde Schöne, daß selbst wer ihr alles opfert noch nicht ihrer Gunst gewiß sein darf.
*Arthur Schopenhauer |
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Michel Bücherwurm
Alter: 52 Beiträge: 3379 Wohnort: bei Freiburg
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29.11.2022 14:59
von Michel
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Lina verschwindet im Wald und frisst an Menschen, die sie dort überwältigt und tötet.
Die Auflösung deutete sich schon früher im Text an, das hat die Pointe etwas aufgespießt. Möglicherweise würde das (für mich) besser funktionieren, wenn sie eben nicht explizit als erklärende Pointe gesetzt wird, sondern wenn das, was sich im Text bereits andeutet, als Selbstverständlichkeit eingebaut wird: Lesys können selber denken.
Manchmal klingt gerade in den fixed gesetzten Abschnitten eine fast lyrische Verdichtung an, mit der sich vielleicht spielen ließe. Beispiel:
lina war soziopathin
mit diesem gutachten war es amtlich
immer wieder las sie die zeilen
397 wörter
hauptsächlich lateinisches kauderwelsch
Insgesamt kommt der Text bei mir aber trotz interessanter Doppelperspektive nicht wirklich durch - und daran hat die Pseudo-Auflösung im letzten Satz einen wesentlichen Anteil.
_________________ Seit 27. April im Handel: "Rond", der dritte Band der Flüchtlings-Chroniken |
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Murnockerl Eselsohr
M
Beiträge: 340
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M 29.11.2022 19:57
von Murnockerl
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Hui, da war das Gutachten dann ja doch nicht so verkehrt.
Mit dem Text tue ich mir schwer. Einerseits mag ich die Idee und den grausigen Twist am Ende. Andererseits kommt mir der Text an manchen Stellen - besonders den Einschüben mit Linas Vergangenheit - dann doch etwas plump und wertend daher. Hier hätte ich eine etwas feinere Klinge und mehr zeigen statt erklären zu schätzen gewusst.
Idee und Ende bringen vier Punkte.
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Elisa Eselsohr
E
Beiträge: 276
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Nachtvogel Leseratte
Alter: 32 Beiträge: 117 Wohnort: Münster
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04.12.2022 01:44
von Nachtvogel
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Ich finde den Text sehr gut geschrieben und auch die Idee mit den zwei Perspektiven, die typographisch voneinander abgehoben sind, gut. Es wird eine geheimnisvolle Atmosphäre aufgebaut (vor allem in der Perspektive mit der Ich-Erzählerin).
Nach dem ersten Lesen war ich mir sicher, den Text verstanden zu haben: Lina ist Soziopathin, mit 16 von zu Hause verschwunden und haust nun im Wald, wo sie Wanderern die Schädel zerschmettert. Daran hat mich ein bisschen gestört, dass die Diagnose Soziopathie so im Vordergrund steht; ich hatte das als Begründung dafür, dass sie jetzt Leute tötet, gelesen, was mir zu einfach erschien.
Jetzt, nach mehrmaligem Lesen, bin ich mir nicht mehr so sicher mit meiner ursprünglichen Deutung. Da sind ein paar Unstimmigkeiten im Text, z.B. die Tatsache, dass die Ich-Erzählerin selbst den Wald als gefährlich wahrnimmt ("Auch wenn der Wald gefährlich geworden ist, komme ich immer noch her."). Man kann natürlich die Fantasyelemente, die im Text nahegelegt werden, doch wörtlicher nehmen, als ich das ursprünglich getan hatte, und den Text eher so lesen: Lina ist Soziopathin, mit 16 von zu Hause verschwunden und von den Menschenfressern, die im Wald hausten, gebissen/angegriffen/geholt worden, sodass sie selbst zu einer Menschenfresserin wurde.
Nach nochmaligem Lesen finde ich, dass es insgesamt das Fesselnde an diesem Text ist, dass nicht klar wird, wie wörtlich die Sache mit den Menschenfressern zu nehmen ist. Und jetzt lese ich die Geschichte weniger mit dem Anspruch, herauszufinden, was denn nun die "Wahrheit" ist, sondern glaube, es geht eher darum, die Persönlichkeit und die Ausgrenzung von Lina aus zwei Perspektiven darzustellen. Ihr "Soziopathin-Sein" wird hier auch metaphorisch dargestellt als "Menschenfresser-Sein". Die Abgrenzung von anderen (in Perspektive 2 dargestellt als Rückzug in den Wald) ist für sie ein wichtiger Teil ihrer Persönlichkeit; je älter sie wurde, desto gefährlicher wurde das aber auch, weil sie als Soziopathin eine Gefahr für andere Menschen darstellt und sie ausnutzt ("frisst"). Haben die Menschen früher noch versucht, sich ihr zu nähern, traut sich nun fast niemand mehr in den Wald hinein/sich Lina zu nähern, weil er dann von Lina angegriffen wird.
Dein Text war definitiv der, mit dem ich mich am meisten beschäftigt habe. Ich weiß aber auch nicht, ob ich das alles ein bisschen überinterpretiere. Aber alles in allem für mich ein faszinierender Text! Die Frage hier ist weniger "Wo ist Lina?", sondern eher "Was ist Lina?". Das ist aber okay, und das "wo?" spielt ja auch eine wichtige Rolle. Der letzte Satz ist mir ein bisschen too much.
7 Punkte
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gold Papiertiger
Beiträge: 4936 Wohnort: unter Wasser
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04.12.2022 19:49
von gold
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Hallo Inko,
nachvollziehbar geschrieben. Fällt unter meine ersten 10.
Liebe Grüße
gold
_________________ es sind die Krähen
die zetern
in wogenden Zedern
Make Tofu Not War (Goshka Macuga)
Es dauert lange, bis man jung wird. (Pablo Picasso) |
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Constantine Bücherwurm
Beiträge: 3311
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05.12.2022 14:47
von Constantine
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Bonjour sehr geehrte Postkarte
Zitat: | Immer wieder las sie die Zeilen, 397 Wörter |
Ein kleines Easter Egg: Der Text und das Gutachten haben die gleiche Wortanzahl. Was sagt mir das? Warum zählt jemand die Wörter eines Gutachtens, vor allem, wenn es voll mit lateinischem Kauderwelsch ist und als Hohn angesehen wird? Da wüsste ich als Soziopath besseres mit meiner Zeit anzufangen als Wörter zu zählen. Egal, soll ja ein Easter Egg sein.
Nun hat dieses dubiose psychologische Gutachten 397 Wörter. Ein bisschen wenig, oder? Ist das erst zu nehmen und professionell? Allein schon ein medizinisches Gutachten ist ausführlich, und i.d.R. mehrseitig, mit "In der Kürze liegt die Würze" ist ein Gutachten mit 397 Wörtern leider auch schlecht zu verkaufen und würde ich in die Tonne hauen und ein neues anfordern.
Was genau das Gutachten verursacht hat, bleibt unklar. Irgendwas muss vorgefallen sein, um ein psychologisches Guthaben zu beauftragen. Ob eine gerichtliche Anordnung vorliegt oder von der Schule initialisiert worden ist, ob vom Jugendamt eine Anfrage vorliegt, weil die Eltern im Sorgerechtsstreit sind, oder oder oder ... was war die Ursache für dieses Gutachten? Irrelevant, weil kein Thema für den Text.
Was sagt mir das über diesen Text? Well.
Leider las sich der Titel spannender als die Story an sich, die trotz ihrer "würzigen Kürze" wie das Gutachten Längen aufweist und abdriftet, womöglich ein Zuviel an Ideen für das maximal 400 Wörter-Format, denn vieles wird erwähnt und angedeutet, aber so richtig zum Punkt kommt der Text leider nicht.
Der Text beginnt mit einer Aussage:
Zitat: | Lina war Soziopathin |
und macht damit schon ein großes Fass auf, das mMn der Text leider nicht einhält, zeigt er mir eine Einzelgängerin, die sich im Wald zurückzieht. Man muss kein Soziopath sein, um in der Schule gemobbt zu werden. Es genügt introvertiert zu sein. Zu viele überforderte Lehrer können sich eh nicht um alle Schüler kümmern, auch nicht um die Eigenbrödler und Sonderlinge.
Zitat: | Lina fehlt einfach die Empathie, sich in andere hineinzuversetzen, deshalb kommt sie mit niemandem klar, legten die Lehrer fest. |
Und woher ein Lehrer Empathielosigkeit während des Unterrichts festmachen möchte, bleibt mir leider schleierhaft. Was genau Lina zum Sonderling macht, außer angedichteter fehlender Empathie und einem Einzelgängertum bzw. anders ausgedrückt, dass man für sich bleiben möchte, ist als Teen nicht ungewöhnlich. Sich im eigenen Zimmer verkriechen oder einen Lieblingsplatz draußen haben und dort die Zeit verbringen. Well.
Auch unklar:
Zitat: | Das Gutachten erklärte einiges und überraschte niemanden. Wussten wir doch schon immer, tuschelten die Nachbarn. |
Warum bekommen die Nachbarn das Gutachten zu lesen bzw. woher kennen die Nachbarn den Inhalt des Gutachtens?
Der Text leidet mMn an einer ziemlichen Überfüllung.
Zitat: | Lina war Soziopathin |
Einen Wald mit Reputation mit
Zitat: | Sechs tote Wanderer in zwei Jahren |
Zitat: | Bären [...] Sowie andere gefährliche Wesen |
der Wald als
Zitat: | Lieblingsplatz meiner Kindheit |
um
Zitat: | die Menschen [zu] beobachten. |
und um
Zitat: | über sie [zu] schreiben, nur um sie zu verstehen, denn lesen wollte meine Geschichten niemand |
Lina ist nicht nur Soziopathin, sondern auch Autorin. Ok. Aber zum Schreiben kommt sie nicht wirklich, dafür ist sie zu sehr mit Beobachten beschäftigt und dem Wunsch irgendwo hinzugehören.
Es gibt weiterhin
Zitat: | Hobbykryptozoologen | inklusive nicht näher erläuterten "gefährlichen Fabelwesen", die diese im Wald vermuten
Zitat: | Sensationszeitungen |
Am Ende lebt Lina im Wald (der Wald ist sehr omnipräsent im Text; als Leser erfahre ich von Lina mehr über den Wald als über sie selbst in ihren eigenen Passagen) und stellt sich vor, eines dieser gefährlichen Fabelwesen zu sein, über das man sich am Lagerfeuer Gruselgeschichten erzählt. Am besten Linas eigene Stories, schließlich scheint sie Hobbyautorin zu sein, aber auch dies ist nicht Thema des Textes. Well.
Das Thema "Wo ist Lina?" ist so hauchdünn unter all dem anderen Blabla im Text, dass sogar trotz der Kürze ein aus 26 Wörtern bestehender Satz wiederholt werden konnte
Zitat: | Der Wald ist naturbelassen, gigantisch groß, und es gibt Bären dort, sagen sie. Sowie andere gefährliche Wesen, wenn man den Gruselgeschichten gelegentlich dort zeltender Hobbykryptozoologen glaubt. |
, um einen gewissen Spannungsbogen zu sowohl zu erzeugen als auch als Abschluss des Textes einzuleiten, was diesen hier vorliegende Text im Vergleich zu vielen anderen Beitragstexten des Wettbewerbs zumindest in diesem Punkt positiv steht.
Insgesamt überzeugt mich dieser halbgare Beitrag trotz einiger ansprechender Ideen, deren Potential leider nicht genutzt worden ist, nicht. Es tut mir leid: zéro points.
Merci beaucoup
Constantine
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dürüm Wolf im Negligé
Alter: 46 Beiträge: 966 Wohnort: Cape Town
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05.12.2022 16:53
von dürüm
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Gefällt mir.
Ich bin zwar nicht so der Fan von Soziopathen. Aber es ist eine Abwechslung zu all den Geschichten, in denen junge blonde Linas zum Opfer werden.
Habe außerdem den Doppelbezug zum Wettbewerbsbeitrag mit den 397 Wörtern entdeckt und geschmunzelt.
Gut geschrieben. Gerne gelesen.
Zwei Punkte.
Gruß
Kerem
_________________ Versuchungen sollte man nachgeben. Wer weiß, ob sie wiederkommen.
(Oscar Wilde)
Der Willige wird vom Schicksal geführt. Der Störrische geschleift.
(Seneca) |
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F.J.G. Bitte keinen Weichspüler verwenden
Alter: 33 Beiträge: 1955 Wohnort: Wurde erfragt
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05.12.2022 17:08
von F.J.G.
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Wertes unbekanntes schreibendes Wesen!
Was soll ich sagen?
Ein Text der Spitzenklasse!
Überaus anspruchsvoll, dabei jedoch kein bisschen aufgesetzt-elitär.
Da kennt jemand sein Handwerk. Das Einzige, was ich zu bemängeln hätte, wäre das überaus düster-beängstigende Setting zum Ende hin – aber das ist mein persönliches Empfinden und keine Angelegenheit von Literatur.
Extremst gern gelesen
der Kojote
_________________ Ab sofort erhältlich: Achtung Ungarn! Ein humorvolles Benutzerhandbuch |
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Heidi Reißwolf
Beiträge: 1425 Wohnort: Hamburg
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05.12.2022 18:04
von Heidi
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Der Titel
klingt jedenfalls vielversprechend und ich meine den Hintergrund zu erfassen, weshalb dieser Titel für diesen Text ausgesucht wurde, finde aber, dass er sich nicht ganz einfügt ins Gesamtkonstrukt. Die Kluft zwischen Textinhalt und Titelinhalt ist meiner Meinung nach etwas groß geraten.
Die Sprache
Gefällt mir. Mich hat es richtig reingezogen in die Geschichte. Der Wechsel zwischen Außenwelt und Linawelt ist angenehm im dargestellt. Diese Struktur gefällt mir und passt. Insgesamt ist es eine klare, schnörkellose Sprache, die etwas auszudrücken versucht, anstatt aufzudrücken.
Die Figur(en)
Lina wird in diesem Text zu einer Persönlichkeit, sie erwacht zum Leben. Sie lässt mich an ihrem Innenleben teilhaben, indem sie mir zeigt, wo sie als Kind gespielt hat, was sie beobachtet hat – was ihr wichtig ist.
Die Außenwald erwacht ebenfalls zum Leben und lässt mich an ihren doch auch subjektiven Beobachtungen teilnehmen.
Der Inhalt
Ich lese die Geschichte eines Mädchens, das Ausgrenzung erfahren und sich aufgrund dessen eine Überlebensstrategie überlegt hat. Sie träumt sich in die Welt, haut einfach ab in ihren Wald. Es könnte auch ein realer Wald sein anstatt eines fiktiven, aber letztlich ist das egal oder vielmehr auch spannend, dass es unterschiedliche Lesemöglichkeiten gibt.
Die Welt fürchtet psychische Besonderheiten, das kommt inhaltlich für mich rüber und raus.
Besonders gefällt mir der Umgang mit dem Begriff „Gutachten“. Das halte ich mal für eine gute Umsetzung der Darstellung eines Wortes und drückt extrem viel im Dazwischen aus.
Der Gesamteindruck
Die Geschichte gefällt mir ausgesprochen gut. Es ist vieles zwischen den Zeilen versteckt und ich habe keine Sekunde lang den Eindruck, dass das Wortlimit dem Text schadet. Er erzählt einen ganzen Roman in Kurzfassung, er ist dicht geschrieben.
Einzig der Titel, der eventuell einerseits auf Linas „Gruseligkeit“ hindeuten könnte, andererseits auch auf die Außenwelt, die kein Verständnis haben will für ihre Besonderheit, gefällt mir nicht wirklich. Ich denke, dass es für diesen Text einen passenderen Titel geben könnte.
Es gibt acht Punkte von mir.
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Jenni Bücherwurm
Beiträge: 3310
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05.12.2022 19:13
von Jenni
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Lina, die Soziopathin, ist mit 16 verschwunden, lese ich da. Und dazwischen ist Lina, und sie möchte verstehen und dazugehören, hatte einmal Träume, bevor sie schon lange vor 16 von allen abgeschrieben wurde. Lina ist noch da und ist jetzt der Alptraum derjenigen, die sie längst vergessen haben.
Das ist ganz interessant aufgebaut, und dann öffnet der Text ja eine Menge Raum für Interpretation, lässt sich Linas Verschwinden als Metapher für ihr Seelenleben ergründen, und man mag sich darauf einlassen. Vielleicht kurz fragen, ob das Menschenfressen etwas plakativ ist, aber nein, wenn ich will eine Metapher, und dann sind die anderen die Menschenfresser und haben Lina gegessen.
»Niemand achtet das Gute« ist herrlich.
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silke-k-weiler Klammeraffe
Alter: 49 Beiträge: 749
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05.12.2022 23:03
von silke-k-weiler
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Lieber Text,
Du bist relativ knapp in meine Punkteränge gerutscht. Im Grunde liest Du Dich (für mich) ein bisschen dröge und bemüht. Aber dennoch gefällt mir das Wechselspiel zwischen der Wahrnehmung der Außenwelt und der Innenwelt des LIs gut. Ich interpretiere den Wald als innere Landschaft voller Weite, Wachstum, Unterholz, Raum zum Verstecken. Dem gegenüber die Wahrnehmung anderer, die auf plakative Phrasen reduziert wird.
Das kommt mir aber von der Gesamt wirkung trotzdem etwas zu langsam, gegenüber anderen Texten, die ihr Thema vielleicht plakativer angegangen sind.
VG
Silke
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Bananenfischin Show-don't-Tellefant
Moderatorin
Beiträge: 5339 Wohnort: NRW
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06.12.2022 10:37
von Bananenfischin
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Von mir gibt es zeitbedingt leider nur einen kurzen Kommentar.
Dieser Text ist für mich im Vergleich innerhalb dieses Wettbewerbs erst mal ein unterer Punktekandidat gewesen, da es aber mehr solcher Texte als zu vergebende Punkte gab, hat es nach dem Abwägen hier leider keinen Punkt gegeben.
_________________ Schriftstellerin, Lektorin, Hundebespaßerin – gern auch in umgekehrter Reihenfolge
Aktuelles Buch: Geliebte Orlando. Virginia Woolf und Vita Sackville-West: Eine Leidenschaft
I assure you, all my novels were first rate before they were written. (Virginia Woolf) |
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anderswolf Reißwolf
Beiträge: 1069
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06.12.2022 13:16
von anderswolf
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Zweiter Teil der unbeabsichtigten Lina-im-Wald-Trilogie: Hier ist Lina als Soziopathin in den Wald geflüchtet, wo sie sich von Spaziergängern ernährt. Der Wald als Metapher für Empathiemangel? In aufgebrochenen Perspektiven erzählt, scharf am Klischee entlang, mitunter bemüht formuliert, fragwürdige Formatierungsgimmicks.
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Minerva Nachtfalter
Beiträge: 1150 Wohnort: Sterndal
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06.12.2022 15:45
von Minerva
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Vorbemerkung: Leider war meine Zeit diesmal knapp, deswegen nur ein kleiner Kommentar.
Mir gefällt die Widersprüchlichkeit sowie die eigenen Gefühle, die das auslöst.
6 Punkte
_________________ ... will alles ganz genau wissen ... |
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Gast
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07.12.2022 23:26
von Gast
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Keine Punkte, sorry.
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