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Sommerferien


 
 
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fragola
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Beiträge: 6
Wohnort: Niederrhein


Beitrag12.11.2022 23:37
Sommerferien
von fragola
eBook pdf-Datei Antworten mit Zitat

Sommerferien

In dem Sommer, in dem ich sechs wurde, gehörte mir die Welt. Die Straße war mein Revier. Ich, ganz weiße, rot verstaubte Tennisschuhe, Shorts in grün, lila T-Shirt mit Flecken von Schokoladeneis. Ich sah gut aus. Cool mit meinem Cappy, falsch herum natürlich, sodass sich braune Ponyfransen durch die Öffnung an der Stirn schoben.
Ganz chemisch duftende Kaugummiblasen mit Erdbeeraroma und aufgeschürfte, dreckverkrustete Knie.
In der einen Hand lässig eine blaue Dose mit orangefarbenem Kreis. Flirt, die Orangenlimo von Aldi, die andere Hand titscht gekonnt einen Basketball über die Straße aus planiertem Schotter. Kleine rote Staubwölkchen und ein hallender Knall begleiten jeden Aufprall. Es ist Mittag, Ruhezeit, aber niemand traut sich, mich zu maßregeln. Man kennt mich hier.
Der Ort, an dem ich immer sein konnte, wie ich gerne gewesen wäre, war ein kleiner Campingplatz unweit der Wohnung meiner Großeltern, auf dem sie ihre Wochenenden außerhalb der grauen Zechenstadt verbrachten.
Gelegen an einem ungefährlichen Rheinarm, hatte ich dort schwimmen gelernt und von meinem Opa gelernt, wie man Steine über das Wasser flitschen lässt.
Hier verbrachte ich die Ferien, die langen Wochenenden und einen Großteil meiner Tagträume.

Der Campingplatz schmeckte nach frischen Aufbackbrötchen, Erdbeeren mit Schlagsahne und Zucker, Limo und Eiscreme. Hinter den akkurat geschnittenen Hecken der Dauercamper, vorzugsweise Liguster und Eibe, lebten freundliche Rentnerehepaare, die Frauen in Kittelschürzen, die Männer in ausgebeulten Cordhosen mit Hosenträgern über kurzärmeligen Hemden.
Die Kittelschürzen hatten immer ein paar Leckereien, eine Portion Kirschen oder Himbeeren für mich übrig und die Cordhosen anerkennende Worte zu meinen neuen Tricks auf den Rollschuhen.

Im Wohnwagen meiner Großeltern hatte ich mein eigenes kleines Zimmer. Eine winzige Ecke zwar, bestehend aus Polstern, die auf einem heruntergekurbelten Tisch zu einem Bett zusammengeschoben wurden, unmittelbar neben dem Eingang zur Toilette, aber es war meins. Meine Oma hatte die Gardinen an dem Fenster, das an meinen Schlafplatz grenzte, gegen einen bunten Minnie Maus-Vorhang ausgetauscht und kurzerhand aus dem selben Stoff einen Vorhang genäht, der meine Schlafkoje von den Lichtern der noch bis spät abends zusammensitzenden Erwachsenen abschirmte.
Nacht für Nacht lag ich dort wach, lauschte dem Klang ihrer Stimmen, dem ausgelassenen Lachen genauso, wie dem sonoren Gemurmel, das mich schließlich beruhigt in den Schlaf gleiten ließ.
Wenn es einen Ort gab, an dem ich in diesem Sommer mit sechs Jahren uneingeschränkt glücklich war, dann war es dieser.
Und dann kam Tommi.

Tommi war eine Naturgewalt. Er bestand mindestens zur Hälfte aus einem breiten Grinsen voller Zahnlücken und war alles, was ich nicht war: Laut, selbstbewusst und ausgestattet mit einer schelmischen Art, die dafür sorgte, dass ihn jeder sofort in sein Herz schloss.

Egal wo ich von diesem Tag an hinkam, Tommi war schon dagewesen.
Als ich am Deich ankam, um die Schafe zu füttern, kauten sie nur satt und träge auf meinem Löwenzahn herum. Als ich dem alten, freundlichen Fischer, der den Bootsverleih betrieb, dabei helfen wollte, die Tretboote ins Wasser zu lassen, schaukelten sie schon heiter in der trüben Brühe des Rheins, während Tommi bis zur Hüfte im Wasser stand und die aneinander genkoteten Kanus hinter sich herzog.
Innerhalb kürzester Zeit wusste er, bei welchen lieben Rentnerinnen in Kittelschürzen es die besten heimlich zugesteckten Süßigkeiten gab. Sogar der blinde, taube und uralte Basset Hound von Parzelle 37 mochte Tommi schon bald lieber als mich.

"Kerr, der Junge muss mal ordentlich was auf die Rippen kriegen", sagte selbst mein Opa, als sich Tommi eines Nachmittags, meine Großeltern und ich spielten gerade Mensch ärgere dich nicht, durch die Ligusterhecke schob und in unserem Vorzelt stand.
Er schaufelte Tommi das letzte Drittel des Erdbeerkuchens, den meine Oma und ich gebacken hatten und dessen Rest wir für die Vorlesestunde am Abend aufbewahren wollten, auf einen Teller und stellte eine kalte Dose Flirt vor ihm ab.
Erdbeerstückchen quollen beim Kaufen zwischen seinen Zahnlücken hervor, während sich kleine Kondenströpfchen von außen an der eiskalten Dose bildeten.
Tommi bediente sich ausgiebig an der Sprühsahne, als meine Oma anbot, die Partie Mensch ärgere dich nicht zu unterbrechen und neu zu beginnen, damit Tommi mitspielen könne. Sie nahm meine drei Spielfiguren, die bereits den sicheren Hafen ihres Hauses erreicht hatten und stellte sie zurück auf die Startposition.
"Kann ich blau?", fragte Tommi kauend und spuckte dabei kleine Bröckchen Kuchen auf die Wachstuchtischdecke. Ich nickte, drehte das Spielbrett so weit, dass meine Figuren vor ihm standen und verließ den Tisch. Ich hatte keine Lust mehr zu spielen.
Unter dem Vorwand, mich ausruhen zu wollen, verschanzte ich mich in meiner Höhle und zog die Minnie Maus zu. Ich vergrub meinen Kopf unter dem Kissen. Das Klackern des Würfels, das Juchzen und Fluchen der Spieler und Tommis Schmatzen schwollen in meinem Kopf zu einem tosenden Crescendo an.

Ich war gelb wie die Eifersucht, wie ich dort lag in meinem gut behüteten Einzelkindtraum, als mir klar wurde, dass Tommi sich in wenigen Tagen alles unter den Nagel gerissen hatte, was mir wichtig war: Die kleinen Hilfsarbeiteraufgaben beim Bootsverleih, die Aufmerksamkeit der Kittelschürzen, den biblisch alten Bassett und nun auch noch meine Großeltern.
Ob sie Tommi mehr mochten als mich? Vermutlich, denn jeder konnte Tommi besser leiden. Wie sonst war es zu erklären, dass er innerhalb einer Woche alles das geschafft hatte, wofür ich mehrere Jahre gebraucht hatte? Die anderen Erwachsenen waren nur  nett zu mir gewesen, solange ich das einzige Kind auf dem Platz war. Die, die man austauschen kann, sobald ein besseres, netteres, hübscheres Kind kommt.
Und meine Großeltern? Die liebten mich natürlich, weil sie meine Großeltern waren und mich lieben mussten. Mussten sie doch, oder? Und selbst ihnen fiel es schwer, Tommis Charme nicht zu erliegen.

An diesem Nachmittag begann ich Tommi zu hassen.
Ich glitt abends nicht mehr wohlig in meiner Höhle in den Schlaf, sondern begann den Gesprächen zu lauschen. Hatten sie seinen Namen gesagt? Sprachen sie über ihn? Jedes ausgelassene Lachen ließ mich wundern, ob sie über mich lachten, über meine Dummheit, zu denken, dass hier in dieser Zuflucht, ganz Jägerzaun und Ligusterhecke, alles anders sein könnte.

Zwei Nächte lag ich wach, lauschte den Stimmen, aber überhörte ihre Sorge. "Du siehst blass aus, mein Engel", sagte meine Oma am Frühstückstisch mit in Falten gelegter Stirn.  Das sagte sie nur, weil sie mich loswerden wollte, dessen war ich mir sicher, während ich mein Graubrot zerkrümelte, auf meinen Teller starrte und gar nichts sagte.
Auch der Vorschlag meines Opas, schwimmen zu gehen, konnte mich nicht täuschen. So ging er alleine ans Wasser und traf dort, ganz zufällig versteht sich, Tommi. Ob er ihm beigebracht hatte, Steine über Wasser flitschen zu lassen, fragte ich mich, traute mich aber nicht, die Frage laut auszusprechen, aus Angst vor der Antwort.
Natürlich hatte er.

Am Abend deckte meine Oma den gelblichen Resopaltisch mit sechs statt drei Tellern. Der dunkelrote Ford bog kurz darauf knirschend auf die geschotterte Auffahrt und wirbelte kleine, rote Staubwölkchen auf.
Meine Eltern lehnten die Suppe zum Abendbrot dankend ab, sie hatten bereits gegessen, und schickten mich nach knapper Begrüßung auf den Rücksitz des Ford. Neben mir auf einem pinken Kindersitz winkte bereits, glücklich glucksend mein kleiner Bruder, ganz blonde Löckchen, ein Lächeln voller ebenmäßiger Milchzähne und allem, was mir so ganz offensichtlich fehlte.



_________________
"Unser Kopf ist rund, damit das Denken die Richtung ändern kann." (Francis Picabia)
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Elisa
Eselsohr
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Beiträge: 276



E
Beitrag15.11.2022 19:36
Re: Sommerferien
von Elisa
Antworten mit Zitat

Hallo fragola,

ich habe deine Geschichte gern gelesen, es gelingt dir wunderbar eine Atmosphäre zu schaffen, die sogleich Bilder in meinen Kopf bringt.
Wenn ich es richtig verstehe, dann ist die Kernaussage: Einzelkind bekommt ein Brüderchen und hat Probleme, sich der neuen Situation anzupassen, fühlt sich ein bisschen vernachlässigt.
Gestolpert bin ich über den Namen "Kerr". Ist das nicht ein männlicher Vorname? Wen meint der Opa damit? Klingt, als würde er mit der Oma sprechen. Ich wüsste auch gern den Namen des Mädchens.

Nicht so schön finde ich das doppelte "In dem" im ersten Satz.
Aber sonst habe ich nichts zu meckern. Daumen hoch

Viele Grüße
Elisa
fragola hat Folgendes geschrieben:
Sommerferien

In dem Sommer, in dem ich sechs wurde, gehörte mir die Welt.
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FlinkeTinte
Geschlecht:männlichGänsefüßchen
F

Alter: 46
Beiträge: 17
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F
Beitrag16.11.2022 12:05

von FlinkeTinte
Antworten mit Zitat

Hi fragola,

ich schließe mich meiner Vorrednerin an. Die Atmosphäre ist gut und zum Greifen nahe. Daher nur ein paar kleine Anmerkungen.

Zitat:

Gelegen an einem ungefährlichen Rheinarm, hatte ich dort schwimmen gelernt und von meinem Opa gelernt, wie man Steine über das Wasser flitschen lässt.

Wortwiederholung "gelernt".

Einige Sätze musste ich ob ihrer Länge mehrfach lesen, um sie analytisch zu sortieren. Generell tendierst Du zu längeren, verschachtelten Sätzen. An der ein oder anderen Stelle, wurde es mir zu lang, dazu zwei Beispiele:

Zitat:
Meine Oma hatte die Gardinen an dem Fenster, das an meinen Schlafplatz grenzte, gegen einen bunten Minnie Maus-Vorhang ausgetauscht und kurzerhand aus dem selben Stoff einen Vorhang genäht, der meine Schlafkoje von den Lichtern der noch bis spät abends zusammensitzenden Erwachsenen abschirmte.


Zitat:
Als ich dem alten, freundlichen Fischer, der den Bootsverleih betrieb, dabei helfen wollte, die Tretboote ins Wasser zu lassen, schaukelten sie schon heiter in der trüben Brühe des Rheins, während Tommi bis zur Hüfte im Wasser stand und die aneinander genkoteten Kanus hinter sich herzog.


Viele Grüße
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fragola
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Beiträge: 6
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Beitrag17.11.2022 07:36

von fragola
pdf-Datei Antworten mit Zitat

Danke für eure Rückmeldungen, Elisa und FlinkeTinte smile
Ich muss zugeben, dass ich ziemlich nervös war. Das ist der erste Text nach Jahren, den außer mir selbst jemand gelesen hat.

"Kerr" ist kein Vorname, sondern so ein alter Bergbau/Ruhrpott-Ausdruck für Kerl oder Mann, aber eher als Ausruf im Sinne von "Oh Mann!"
Je nachdem wie es betont wird, kann es Missfallen, Erstaunen oder Bewunderung ausdrücken.
Damit wollte ich noch mal das Setting der Geschichte verdeutlichen (Also frühe 90er, Ruhrgebietsnähe, Campingplatz, eher einfache Arbeiter). Ich entnehme deiner Irritation über den Satz im Text, dass das nur funktioniert, wenn man einen Ruhrgebietsrentner kennt, der wirklich so spricht. Wahlweise könnte ich den Opa mehr sprechen lassen, damit man ihn und seine Ausdrucksweise besser einschätzen kann. Verschriftlichte Mundart finde ich persönlich aber immer schwierig, über einen längeren Zeitraum aufrecht zu erhalten.

Mit der Wiederholung im ersten Satz gebe ich dir Recht! Der Satz war eigentlich anders, kam mir beim Abtippen zu sperrig vor und wurde dann von mir spontan verschlimmbessert. Klassiker.


FlinkeTinte:
Bandwurmsätze sind immer mein Problem. Du hast Recht, die beiden von dir zitierten Sätze sind nicht gut zu lesen. Da hätte ich locker zwei draus machen sollen.


Noch mal, vielen Dank, dass ihr meine Geschichte gelesen habt und euch die Zeit genommen habt, auf sie zu antworten!


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Elisa
Eselsohr
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Beiträge: 276



E
Beitrag18.11.2022 14:52

von Elisa
Antworten mit Zitat

fragola hat Folgendes geschrieben:
"Kerr" ist kein Vorname, sondern so ein alter Bergbau/Ruhrpott-Ausdruck für Kerl oder Mann, aber eher als Ausruf im Sinne von "Oh Mann!"
Je nachdem wie es betont wird, kann es Missfallen, Erstaunen oder Bewunderung ausdrücken.
Damit wollte ich noch mal das Setting der Geschichte verdeutlichen (Also frühe 90er, Ruhrgebietsnähe, Campingplatz, eher einfache Arbeiter). Ich entnehme deiner Irritation über den Satz im Text, dass das nur funktioniert, wenn man einen Ruhrgebietsrentner kennt, der wirklich so spricht. Wahlweise könnte ich den Opa mehr sprechen lassen, damit man ihn und seine Ausdrucksweise besser einschätzen kann. Verschriftlichte Mundart finde ich persönlich aber immer schwierig, über einen längeren Zeitraum aufrecht zu erhalten.

Hallo fragola,

da du auch "Jugendgeschichte ab 14" angegeben hast, frage ich mich, ob deine Zielgruppe diesen alten Ruhrpott-Ausdruck "Kerr" noch kennt?
Den Opa-Dialog würde ich nicht ausbauen, ich finde die Gewichtung gut wie sie ist.
Beim Lesen hatte ich den Eindruck, dein Text könnte auch der Anfang eines Romans sein.

Vielleicht meldet sich noch jemand aus dem Ruhrgebiet zu Wort, der eine Idee zum Setting und den 90ern hat.
Da kann ich dir leider nicht helfen.

Liebe Grüße
Elisa
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Ylvie Wolf
Geschlecht:weiblichSchneckenpost

Alter: 34
Beiträge: 7
Wohnort: Leverkusen


Beitrag26.11.2022 14:54
Re: Sommerferien
von Ylvie Wolf
Antworten mit Zitat

Moin fragola,

Ich habe jetzt nicht gelesen, was die anderen bereits kommentiert haben (habe lieber einen unvoreingenommenen Blick auf einen neuen Text), daher kann es sein, dass die Kleinigkeiten (und es sind nur Kleinigkeiten) bereits angesprochen wurden.
Natürlich gilt: Alles meine Meinung smile

fragola hat Folgendes geschrieben:
Sommerferien

In dem Sommer, in dem ich sechs wurde, gehörte mir die Welt. Die Straße war mein Revier. Ich, ganz weiße, rot verstaubte Tennisschuhe, Shorts in grün, lila T-Shirt mit Flecken von Schokoladeneis. Ich sah gut aus. Cool mit meinem Cappy, falsch herum natürlich, sodass sich braune (Exposition. Der Ich-Erzähler weiß, dass er braune Haare hat, muss es nicht noch einmal erwähnen) Ponyfransen durch die Öffnung an der Stirn schoben.
Ganz chemisch duftende Kaugummiblasen mit Erdbeeraroma und aufgeschürfte, dreckverkrustete Knie.
In der einen Hand lässig eine blaue Dose mit orangefarbenem Kreis. Flirt, die Orangenlimo von Aldi, die andere Hand titscht gekonnt einen Basketball über die Straße aus planiertem Schotter. Kleine rote Staubwölkchen und ein hallender Knall begleiten jeden Aufprall. Es ist Mittag, Ruhezeit, aber niemand traut sich, mich zu maßregeln. Man kennt mich hier.
Der Ort, an dem ich immer sein konnte, wie ich gerne gewesen wäre, war ein kleiner Campingplatz unweit der Wohnung meiner Großeltern, auf dem sie ihre Wochenenden außerhalb der grauen Zechenstadt verbrachten.
Gelegen an einem ungefährlichen Rheinarm, hatte ich dort schwimmen gelernt und von meinem Opa gelernt, wie man Steine über das Wasser flitschen lässt.
Hier verbrachte ich die Ferien, die langen Wochenenden und einen Großteil meiner Tagträume.

Der Campingplatz schmeckte nach frischen Aufbackbrötchen, Erdbeeren mit Schlagsahne und Zucker, Limo und Eiscreme. Hinter den akkurat geschnittenen Hecken der Dauercamper, vorzugsweise Liguster und Eibe, lebten freundliche Rentnerehepaare, (hier würde ich einen Punkt setzen) die Frauen in Kittelschürzen, die Männer in ausgebeulten Cordhosen mit Hosenträgern über kurzärmeligen Hemden.
Die Kittelschürzen hatten immer ein paar Leckereien, eine Portion Kirschen oder Himbeeren für mich übrig und die Cordhosen anerkennende Worte zu meinen neuen Tricks auf den Rollschuhen.

Im Wohnwagen meiner Großeltern hatte ich mein eigenes kleines Zimmer. Eine winzige Ecke zwar, bestehend aus Polstern, die auf einem heruntergekurbelten Tisch zu einem Bett zusammengeschoben wurden, unmittelbar neben dem Eingang zur Toilette, aber es war meins (den Satz finde ich zu verschachelt, vielleicht zwei draus machen?). Meine Oma hatte die Gardinen an dem Fenster, das an meinen Schlafplatz grenzte, gegen einen bunten Minnie Maus-Vorhang ausgetauscht und kurzerhand aus dem selben Stoff einen Vorhang genäht, der meine Schlafkoje von den Lichtern der noch bis spät abends zusammensitzenden Erwachsenen abschirmte.
Nacht für Nacht lag ich dort wach, lauschte dem Klang ihrer Stimmen, dem ausgelassenen Lachen genauso, wie dem sonoren Gemurmel, das mich schließlich beruhigt in den Schlaf gleiten ließ.
Wenn es einen Ort gab, an dem ich in diesem Sommer mit sechs Jahren uneingeschränkt glücklich war, dann war es dieser.
Und dann kam Tommi.

Tommi war eine Naturgewalt. Er bestand mindestens zur Hälfte aus einem breiten Grinsen voller Zahnlücken und war alles, was ich nicht war: Laut, selbstbewusst und ausgestattet mit einer schelmischen Art, die dafür sorgte, dass ihn jeder sofort in sein Herz schloss.

Egal wo ich von diesem Tag an hinkam, Tommi war schon dagewesen.
Als ich am Deich ankam, um die Schafe zu füttern, kauten sie nur satt und träge auf meinem Löwenzahn herum. Als ich dem alten, freundlichen Fischer, der den Bootsverleih betrieb, dabei helfen wollte, die Tretboote ins Wasser zu lassen, schaukelten sie schon heiter in der trüben Brühe des Rheins, während Tommi bis zur Hüfte im Wasser stand und die aneinander genkoteten (geknoteten) Kanus hinter sich herzog.
Innerhalb kürzester Zeit wusste er, bei welchen lieben Rentnerinnen in Kittelschürzen es die besten heimlich zugesteckten Süßigkeiten gab. Sogar der blinde, taube und uralte Basset Hound von Parzelle 37 mochte Tommi schon bald lieber als mich.

"Kerr, der Junge muss mal ordentlich was auf die Rippen kriegen", sagte selbst mein Opa, als sich Tommi eines Nachmittags, meine Großeltern und ich spielten gerade Mensch ärgere dich nicht, (hier würde ich statt dem eingeschobenen Nebensatz mit Gedankenstrichen arbeiten -) durch die Ligusterhecke schob und in unserem Vorzelt stand.
Er schaufelte Tommi das letzte Drittel des Erdbeerkuchens, den meine Oma und ich gebacken hatten und dessen Rest wir für die Vorlesestunde am Abend aufbewahren wollten, auf einen Teller und stellte eine kalte Dose Flirt vor ihm ab.
Erdbeerstückchen quollen beim Kaufen (Kauen) zwischen seinen Zahnlücken hervor, während sich kleine Kondenströpfchen von außen an der eiskalten Dose bildeten.
Tommi (Er) bediente sich ausgiebig an der Sprühsahne, als meine Oma anbot, die Partie Mensch ärgere dich nicht zu unterbrechen und neu zu beginnen, damit Tommi (er) mitspielen könne. Sie nahm meine drei Spielfiguren, die bereits den sicheren Hafen ihres Hauses erreicht hatten und stellte sie zurück auf die Startposition.
"Kann ich blau?", fragte Tommi kauend und spuckte (ohne Inquit: "Kann ich blau?" Tommi spuckte beim Kauen ...") dabei kleine Bröckchen Kuchen auf die Wachstuchtischdecke. Ich nickte, drehte das Spielbrett so weit, dass meine Figuren vor ihm standen und verließ den Tisch. Ich hatte keine Lust mehr zu spielen.
Unter dem Vorwand, mich ausruhen zu wollen, verschanzte ich mich in meiner Höhle und zog die Minnie Maus zu. Ich vergrub meinen Kopf unter dem Kissen. Das Klackern des Würfels, das Juchzen und Fluchen der Spieler und Tommis Schmatzen schwollen in meinem Kopf zu einem tosenden Crescendo an.

Ich war gelb wie die Eifersucht, wie ich dort lag in meinem gut behüteten Einzelkindtraum, als mir klar wurde, dass Tommi sich in wenigen Tagen alles unter den Nagel gerissen hatte, was mir wichtig war: Die kleinen Hilfsarbeiteraufgaben beim Bootsverleih, die Aufmerksamkeit der Kittelschürzen, den biblisch alten Bassett und nun auch noch meine Großeltern.
Ob sie Tommi mehr mochten als mich? Vermutlich, denn jeder konnte Tommi besser leiden. Wie sonst war es zu erklären, dass er innerhalb einer Woche alles das geschafft hatte, wofür ich mehrere Jahre gebraucht hatte? Die anderen Erwachsenen waren nur  (Leerzeichen zu viel) nett zu mir gewesen, solange ich das einzige Kind auf dem Platz war. Die, die man austauschen kann, sobald ein besseres, netteres, hübscheres Kind kommt.
Und meine Großeltern? Die liebten mich natürlich, weil sie meine Großeltern waren und mich lieben mussten. Mussten sie doch, oder? Und selbst ihnen fiel es schwer, Tommis Charme nicht zu erliegen.

An diesem Nachmittag begann ich Tommi zu hassen.
Ich glitt abends nicht mehr wohlig in meiner Höhle in den Schlaf, sondern begann den Gesprächen zu lauschen. Hatten sie seinen Namen gesagt? Sprachen sie über ihn? Jedes ausgelassene Lachen ließ mich wundern, ob sie über mich lachten, über meine Dummheit, zu denken, dass hier in dieser Zuflucht, ganz Jägerzaun und Ligusterhecke, alles anders sein könnte.

Zwei Nächte lag ich wach, lauschte den Stimmen, aber überhörte ihre Sorge. "Du siehst blass aus, mein Engel", sagte meine Oma am Frühstückstisch mit in Falten gelegter Stirn.  (Leerzeichen zu viel) Das sagte sie nur, weil sie mich loswerden wollte, dessen war ich mir sicher, während ich mein Graubrot zerkrümelte, auf meinen Teller starrte und gar nichts sagte.
Auch der Vorschlag meines Opas, schwimmen zu gehen, konnte mich nicht täuschen. So ging er alleine ans Wasser und traf dort, ganz zufällig versteht sich, Tommi. Ob er ihm beigebracht hatte, Steine über Wasser flitschen zu lassen, fragte ich mich, traute mich aber nicht, die Frage laut auszusprechen, aus Angst vor der Antwort.
Natürlich hatte er.

Am Abend deckte meine Oma den gelblichen Resopaltisch mit sechs statt drei Tellern. Der dunkelrote Ford bog kurz darauf knirschend auf die geschotterte Auffahrt und wirbelte kleine, rote Staubwölkchen auf.
Meine Eltern lehnten die Suppe zum Abendbrot dankend ab, sie hatten bereits gegessen, und schickten mich nach knapper Begrüßung auf den Rücksitz des Ford. Neben mir auf einem pinken Kindersitz winkte bereits, glücklich glucksend mein kleiner Bruder, ganz blonde Löckchen, ein Lächeln voller ebenmäßiger Milchzähne und allem, was mir so ganz offensichtlich fehlte.


Insgesamt frage ich mich, mit welcher Intention du die Kurzgeschichte geschrieben hast? Was soll ich als Leser mitnehmen? Dass ein kleines Kind total deprimiert aus dem Urlaub wieder kommt? Mir fehlt hier der Wendepunkt, an dem er sich mit Tommi anfreundet oder aber die Erkenntnis hat, dass zu Hause alles besser ist etc.
Falls das eine Geschichte ist, die für Kinder gedacht ist, sollte es das sogar dringend haben. Kindergeschichten sollten positiv enden.

Du hast einen klasse Schreibstil, hab ich gerne gelesen!

Liebe Grüße
Ylvie


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Nach uns wird es vorher geben | Aus der Jugend wird schon Not | Wir sterben weiter bis wir leben | Sterben lebend in den Tod.
(Rammstein - Zeit)
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tronde
Klammeraffe
T


Beiträge: 522

Das goldene Aufbruchstück Das silberne Niemandsland


T
Beitrag27.11.2022 00:22
Re: Sommerferien
von tronde
Antworten mit Zitat

Hallo!
Du hast schöne Bilder im Kopf geweckt, gut formuliert, für meinen Geschmack vielleicht ein wenig zu viele Adjektive.
Und es passiert nichts am Anfang. Da hätte ich fast nicht mehr weitergelesen, aber die Sprache war dann doch so geschmeidig, dass ich weiter gelesen habe. Und dann kam er ja auch, der Konflikt.
 Vielleicht ein "gehörte mir noch die Welt." Das deutet den späteren Wechsel an; mir war nicht klar, ob das jetzt den ganzen Text so weiter geht mit dem "Alles ist toll".

Dann kam
fragola hat Folgendes geschrieben:
Es ist Mittag, Ruhezeit, aber niemand traut sich, mich zu maßregeln. Man kennt mich hier.

und ich dachte, jetzt kommt der Rabauke zum Vorschein, der das Viertel gängelt. Das passt für mich nicht für das schüchterne Wesen, dass dann beschrieben wird. Da hätte ich eher einen Tommi erwartet.

Das sich Alleinefühlen finde ich gut beschrieben, auch wie sich das Kind in die Gedankenwelt des Zurückgewiesenseins verkriecht. Wobei ja offen bleibt, ob die Großmutter das Kind abholen lässt, weil sie tatsächlich denkt, sie sei krank oder ob sie das Kind wirklich loswerden will.

Alles in allem schöne Sprache, gut Gefühle geweckt, weiter so!
Herzliche Grüße

Edit: für ab 14 Jahre vielleicht doch etwas lange Sätze?
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