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BerndHH
Geschlecht:männlichKlammeraffe

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Beitrag06.11.2022 05:45

von BerndHH
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Hallo Taranisa,
ja, das ist tatsächlich belegt, da hast Du natürlich recht.

Vielleicht lässt sich die germanische Gesellschaft auch gar nicht als Patriarchat/Matriarchat im klassischen Sinne umschreiben.


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BerndHH
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Beitrag01.02.2023 09:03

von BerndHH
Antworten mit Zitat

1. Kapitel Wintersonnenwende

Im Jahr 13 vor Christus.
Wintersonnenwende in Germanien,
im Zwielicht des Wechsels zwischen Julmond und Hartung.
21./22. Dezember Nordhalbkugel versinkt in tiefster Dunkelheit.
In der Gegend des heutigen Alfeld/Leine.

Heute stand die längste Nacht der Jahres an.
Denn heute war Wintersonnenwende und die gesamte Sippe der Hirschleute, die dem Stamm der Cherusker zugerechnet wurde, befand sich in einem Zustand voller angespannter Erregung.
Beängstigende Ereignisse, die sich jenseits des großen Stromes – etwa eine Tagesreise von hier – anbahnten und die ihren Weg in ihr Land suchten.
Andere Stämme wie die Brukterer, Sugambrer und Tenkterer hatten darauf hingewiesen, dass drüben auf der anderen Seite des Großen Stromes [Rhein] ein gigantisches Heer auf dem Wege war und sich allmählich anschickte, auf ihre Seite überzusetzen.
Sie würden kommen, mit Sicherheit, dann wenn die Zeit dafür gekommen war. Wenn es wieder wärmer werden würde. In einer Jahreszeit, die geeigneter war, um Kriege zu führen. Jenes Heer kam aus einem fremden Land und wurde von Menschen angeführt, die mit einer anderen, mit einer falschen, Zunge zu sprechen pflegten. Ein beeindruckender Lidnwurm, der nur aus Speer, Pfeil und Eisen bestand und, sobald er sich in Kohorten und Linieninfanterie entfaltete, in riesigen rechteckigen Formationen antrat und auf dem offenen Felde von keinem bärtigen Krieger zu besiegen war. Zumindest nicht bei Tageslicht und ganz bestimmt nicht auf offener Pläne.

Die Römer, so nannten sie sich. Es war ein eigenartiges Volk, die andere Götter anbeteten, die vollkommen andere Sitten und Gebräuche als die ihrigen besaßen, in Betten mit Fußboden-heizung schliefen, klebrig süßen Wein tranken und die sich anschickten, sich die gesamte bewohnte Erde untertan zu machen.
Die Hirschleute wussten nicht, sie ahnten es nicht einmal, dass einer von ihnen Nero Claudius Drusus hieß und der über mehrere waffenstarrende Legionen befehligte. Er war ein Stiefsohn des Kaisers Augustus im fernen Rom und dieser hatte den Befehl bekommen, das wilde Land der Barbaren, welches sie Germania Magna nannten und dessen Wälder sich links des Rheines erstreckten, mit aller gebotenen Härte und Disziplin zu unterwerfen und mit Macht unter römischer Knute zu bekommen.

Es war kalt geworden. Die landwirtschaftlichen Aktivitäten waren im Gilbhard, im Monat, wenn die Blätter der Bäume gelb werden, zuneige gegangen und die Hirschleute hatten sich ins Innere ihrer Langhäuser verkrochen, sich eng an die Leiber ihrer Weiber gekuschelt und wärmten sich an den Ausdünstungen ihres Viehs.
Kaum jemand hielt sich freiwillig draußen auf.
Denn die Zeit der Rauhnächte war gekommen, mit denen jedes Jahr zu Ende ging und in der Geister, Dämonen und Trolle aus Höhlen und Erdspalten der bewaldeten Höhenzügen krochen und, sobald die Sonne unterging, die ärmlichen Behausungen der Menschen aufsuchten. Tags zuvor hatte es im Tal der Laane (Leine) und den angrenzenden Bergen stark geschneit und die Schneeverwehungen machten ein Weiterkommen mühsam.
Die Menschen lagen dicht an dicht im Heu ihrer Hütten und warteten sehnsüchtig auf ein Ende des langen Winters.
Nicht so Enno, der Seher und Schamane der Hirschleute.
Enno, ursprünglich der jüngste Sohn eines Cheruskerfürsten aus der Segestes-Königssippe, lebte als Einsiedler in einer rußgeschwärzten Höhle inmitten der steil aufragenden Klippen, die oberhalb des Dorfes der Hirschleute aufragten.
Sobald es dunkel wurde – das Tageslicht der Rauhnächte hielt nur sieben Stunden an – steigerte sich Enno in einen Rausch hinein, der eines Menschenkindes nicht mehr ähnlich war. Er war einer radikalen Verwandlung unterzogen, heulte, japste und hechelte, sprang und tollte wie ein junger Wolf im Schnee umher. Ja, manchmal schnappte er mit seinen Zähnen sogar nach den rieselnden Schneeflocken.
Obwohl Temperaturen um die Null Grad herrschten, war Enno nackt – doch sein Körper war nicht etwa blaugefroren wie bei vielen anderen Lebewesen, welches unbekleidet durch den Winterwald lief – seine ungewöhnlich starke Behaarung schien ihn vor der beißenden Kälte zu schützen.
Hier oben in den Bergen war Enno mit den Bäumen – für ihn belebte Wesen, die einen Geist besaßen und den Tieren, den Hirschen, Rehen, Füchsen, Luchsen, Wildschweinen und Wölfen allein. Hier war keinerlei Kleidung vonnöten, mit der er seine Scham bedecken musste oder die ihm zwar die Nähe der Menschen näherbringen würde, nicht aber seinesgleichen, nämlich die wilden Tiere des Waldes.

Sobald sich Enno genügend ausgetobt hatte, nahm er auf einmal eine menschliche Gestalt an, ging mit aufrechtem Gang in seine nach tierischen Talg und Fetten stinkende Höhle und warf sich ein frisch gehäutetes Hirschkleid über. Ein rotbrauner Fellumhang mit dem Schädel eines Sieben-Ender-Rothirsches, dessen untere Hälfte er entfernt hatte. Diese Verkleidung verlieh ihm Würde und eine gewisse Autorität, die er benötigte, um den Hirschleuten die Botschaft der Götter zu verkünden.

Heute hatte er eine bedeutsame Verlautbarung an die Dorfbewohner und daher machte er sich unverzüglich auf den Weg. Langsam und schnaufend folgte er der Biegung eines kleinen gluckernden Baches und stieß weiter unterhalb auf die Einfriedung des Cheruskerdorfes, welches von besagter Hirschsippe bewohnt war.
Heute stand hier kein Wachposten mit Schild und Ger (germanischer Wurf- und Nahkampfspieß) herum. Der Schnee hatte sie allesamt in die Langhäuser vertrieben.
Vor dem größten Haus mit einer ganzen Armada auf Holzpflöcken drapierten Rinderschädeln, deren geschwungene Hörner drohend in die Nacht ragten, blieb er stehen und rief mit lauter Stimme: „Reik Arne! Komm heraus, denn ich habe Dir etwas zu sagen!“
Seine Worte gellten in die Dunkelheit hinein, die lediglich von dem schwachen Feuerschein aus dem Inneren beleuchtet wurde, der aus dem Türspalt hervorlugte. Im Haus des Fürsten wütete gerade ein Trinkgelage mit der Gefolgschaft, so dass es eine Weile dauerte, bis sich der Herr zeigte.
„Enno, was ist Dein Begehr?“, rief die Stimme eines germanischen Kriegshäuptlings, die es gewohnt war, straffe Befehle zu erteilen.
„Reik Arne, heute ist die Nacht, um Tyr ein Opfer zu bringen!“, schrie der Schamane voller Inbrunst.
„Aber er hat doch erst letzte Woche ein paar Hirschkälber von uns bekommen.“, war die verärgerte Antwort. Der Reik hatte wenig Lust, das Fest zu unterbrechen, von Met, Weib und Gesang abzulassen und ganz offensichtlich in die kalte Nacht hinauszumüssen.
„Sei kein Narr!“, zürnte Enno und der Geifer sprühte ihm aus dem Mund, „ein Kriegsgott verlangt natürlich nach einem Menschen mit pochendem Herzen.“
Minuten vergingen, bis schließlich eine Reaktion aus dem Langhaus kam.
Die Tür wurde aufgerissen.
Reik Arne und drei Anführer seines Gefolges traten hinaus, um den Schamanen geschlossen zur Rede zu stellen.
„Enno, ich warne Dich! Spiel nicht mit dem Feuer…“, wollte der Reik sagen, doch sein Bruder Eike raunte ihm ins Ohr. „Er ist der Schamane unseres Stammes, Bruder. Was er sagt, das ist das Wort der Götter. Sie zürnen uns schon lange. Ich bitte Dich, höre auf ihn.“
Und so geschah es. Nach einer kurzen Beratung schritten die fünf Männer ans Ende ihres ärmlichen Dorfes und scharrten mit ihren Füßen den Schnee zur Seite.

Daraufhin öffneten sie ein Holzgitter, welches ein finsteres Erdloch versperrte.
Da unten war etwas. Etwas, was lebte. Dann griff eine kräftige Hand beherzt nach unten und zerrte einen Mann hervor, der vor plötzlicher Todesangst losstrampeln wollte, was aber von seinen halb erfrorenen Gliedern vereitelt wurde.
Es war ein bärtiger Chatte. Alle Chatten trugen einen Vollbart und sie galten bei den Hirschleuten als „das Böse unterhalb der Sonne“. Kein Cherusker hatte jemals Mitleid mit einem Chatten gehabt, genauso wenig wie es umgekehrt der Fall war. Die beiden Stämme lagen schon seit den Anfängen der Menschheit in einer blutigen Fehde, die niemals enden sollte. Chatten schlachteten Cherusker ab, wo immer sie auf sie trafen und umgekehrt, wollten die Cherusker auch ihnen den Schmerz spüren lassen.

Dieser Chatte, gerade mal volljährig, war allerdings halbtot und befand sich in einer hundsmiserablen Verfassung. Dem dreckigsten Köter aus dem Dorf der Hirschleute ging es besser als einem chattischen Kriegsgefangenen. Sie hatten ihn und drei andere vor Tagen von einem ausgedehnten Raubzug an der Wiserrha (Werra) mitgebracht. Endlich konnten sie Vergeltung üben, Rache für all die schlimmen Dinge, die ihnen die „Hundesöhne von Chatten“ angetan hatten.


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BerndHH
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Beitrag01.02.2023 09:16

von BerndHH
Antworten mit Zitat

Das Problem dieses Textes ist: wir wissen so gut wie überhaupt nichts über die Cherusker. Über die Art wie sie gelebt haben, über ihre Götter (die nordische Mythologie ist dafür wesentlich besser bekannt, jedoch nicht die der Rhein-Weser-Germanen), wir kennen ihre Sprache nicht, sie nannten die Leine gewiss anders, den Namen Rhein ebenso wenig.
Daher Leine = der Große Schlammfluss in Anspielung auf die Lehmfracht und die berühmten Leinehochwasser.

So gut wie alles ist unbekannt, daher mein Ansatz, die Lebenswirklichkeit der Cherusker mit Fantasy-Ansatz, der aber noch einigermaßen authentisch wirken soll, zu bearbeiten.
Ist ziemlich schwer und daher ist der Text auch nicht so gelungen.
Die Cherusker kannten keine Brukterer oder Tenkterer, sie nannten sie sicherlich vollkommen anders. Sie kannten keinen Drusus, sondern es waren für sie vielleicht die Männer in den komischen Rüstungen.
Ist alles nicht besonders gelungen. Sad


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Taranisa
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Beitrag01.02.2023 11:21

von Taranisa
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Ein paar Anmerkungen:
- Der Text kommt ziemlich modern daher: z.B. Datums- und Temperaturangabe
- auch geschichtlich erklärend bezüglich Namen, Römer ...
- und distanziert, da hier (für mich) der Erzähler und kein Romancharakter im Vordergrund steht.
- Geopfert wurde, ja, aber nicht übermäßig (siehe Edda, Sprüche des Hohen, Vers 145: "Besser nichts gegeben, als zu viel geopfert."). Menschenopfer kamen sehr selten und nur in Extremfällen vor.
- Hier ein spontan gefundener Link: https://www.antike-tischkultur.de/germanenhaus.html
- Auch Schamanen waren gewiss nicht nur mit Fell bekleidet. Wink


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BerndHH
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Beitrag01.02.2023 11:59

von BerndHH
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Hallo Taranisa,

ja, da muss ich Dir recht geben.
Ich habe keine Kenntnisse der rechts|linksgermanischen Sprachen, ihrer Begrifflichkeiten noch sonst etwas. Es sind Neubegriffe, die dann in die alte Zeit hineinprojeziert werden und dann vielleicht überhaupt keinen Sinn mehr ergeben.
Leine = Laane = der Große Schlammfluss
Brukterer, Sugambrer und Tenkterer - so haben die Römer diese Stämme genannt, ihre Eigennamen hingegen kennen wir nicht.

Die erste Begegnung der Cherusker mit den Römern. Wann war die und hatte jeder kleine verborgen lebende Stamm, jede Sippe auch die gleiche Kenntnis?
Das ist ja genau das was ich meine. Da wir nur eine sehr rudimentäre Vorstellung der damaligen Zeit haben, ist Phantasie gefragt, die dann, wenn ich Dich richtig verstehe, aber unglaubwürdig wirkt.


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Taranisa
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Beitrag01.02.2023 14:04

von Taranisa
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In der Hauptsache störte mich die Temperatur-Angabe und das Datum vor allem mit "vor C.", was es zu der Zeit -unabhängig vom Ort- nicht gab. Es war z.B. der x-te Neumond / Vollmond nach / das x-te Jahr der Herrschaft von y oder für die Temperatur es war kalt, bitterkalt, so kalt, dass der Bach zufror. Hättest du diese modernen Angaben einem antiken Menschen mitgeteilt, wärst du angeschaut worden wie ein Außerirdischer.
Handelsbeziehungen bestanden in größeren Entfernungen als lange Zeit geglaubt. Hier kommt die Forschung zu immer neueren Ergebnissen. Welche Germanen welche Römer kannten, ist reine Spekulation. Je näher sie beieinander wohnten, desto wahrscheinlicher waren engere Kontakte.
Selbst zu der Zeit, in der mein neues Projekt spielt (Sachsenkriege 772 - 804), waren friedliche Kontakte / Handelsbeziehungen zwischen Sachsen und Franken außerhalb der Feldzüge normal. So war es lt. einigen Dokumentationen ebenfalls zwischen Germanen und Römern.
Ich nehme bei Orts- oder Volksnamen die ältesten, die ich finden kann, auch, wenn diese neuer sind als die dargestellte Epoche. Hier achte ich jedoch zudem auf Verständlichkeit.


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BerndHH
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Beitrag01.02.2023 18:00

von BerndHH
Antworten mit Zitat

Hallo Taranisa,

vielen herzlichen Dank für Deinen wertvollen Hinweis!!!
Ja, sehe ich ein, Temperaturangaben etc. sollte ich besser weglassen. Vollkommen logisch, die Germanen hatten keinerlei Möglichkeiten und auch gar keinen Bedarf, Temperaturen zu messen.
Daran muss ich denken!
Sie waren Bauern und Viehzüchter und hatten sich das Jahr in Frühling, Wachstumsperiode, sowie Herbst, Vegetationsruhe etc. eingeteilt. Die Natur hatte ihr Leben bestimmt.
Gute Jahre und Hungerwinter, wo sie vielleicht schlecht gewirtschaftet haben, ihre Vorräte verdorben oder vom Feind genommen wurde.
Ihr Lebensmittelpunkt war ihre unmittelbare Umgebung, die Weide, die Felder, der Wald, die Leineaue.

Leine heißt der Fluss, der mit das Leben der fiktiven Hirschleute (Cheruskersippe) bestimmt.
Der Hannoveraner würde es als Laane aussprechen, niederdeutsch Line.
Aber findest Du die Umschreibung Großer Schlammfluss so abwegig? Die Leine ist die Lebensader, ein kleiner/mittelgroßer Fluss, der durch Hochwasser sehr stark anwachsen kann und oben im Norden in die Aller mündet.

Den Hinweis der Handelsbeziehungen finde ich sehr gut.
Die Hirschleute liegen weit ab vom Schuss. Über die Leine kommt niemand, im Süden sind die feindlichen Chatten und über das Leinebergland nach Westen rüber ist schon das Wesertal, was die Römer anscheinend schon interessanter fanden.
Den Karten nach zu urteilen zog der römische Feldherr zumindest einmal durch das Leinetal. Mit wechselseitigem Erfolg. Die Cherusker wichen vor den Römern in die unzugänglichen Wälder aus, unterwarfen sich oder probten kurz nach Abzug der Legion gleich wieder den Aufstand.
Also ein Hin und Her, welches die Römer wohl in eine ungemütliche Lage versetzte. Also die Cherusker galten offiziell als befriedet, gaben ihre Geiseln an die Römer ab und wenig später bohrten sie ihre Speere in die Besatzer.
So zumindest meine Erzählung.

Ich lese, die Germanen betrieben eine relativ ärmliche Subsistenzlandwirtschaft, daher weiß ich nicht welche Agrarprodukte das Interesse der Römer angelockt hätte.
Bernstein zum Tauschen gab es nicht. Glasperlen? Vielleicht Sklaven.

Also hier kann die Phantasie wirklich Kapriolen springen.

Grüße,

PS: Dein Projekt über die Sachsenkriege finde ich übrigens hochinteressant.


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Dyrnberg
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Beitrag01.02.2023 18:52

von Dyrnberg
Antworten mit Zitat

BerndHH hat Folgendes geschrieben:
[color=indigo]1. Kapitel Wintersonnenwende

Im Jahr 13 vor Christus.


Damit machst Du quasi schon den Kardinalfehler. Wie Tacitus schaust Du von "draußen" auf "die Germanen". ; ) Nein ernsthaft: Einfach löschen! Diese Zeitangabe haut mich als Leser vollkommen aus dem Setting, weil sie eben so klar unsere Perspektive wiedergibt.

Zitat:
Wintersonnenwende in Germanien,
im Zwielicht des Wechsels zwischen Julmond und Hartung.
21./22. Dezember Nordhalbkugel versinkt in tiefster Dunkelheit.
In der Gegend des heutigen Alfeld/Leine.

Heute stand die längste Nacht der Jahres an.
Denn heute war Wintersonnenwende...


Mit Kapitelüberschrift erhalte ich als Leser fünf (!!) Mal die Info, dass Wintersonnwende ist. Und das in den ersten sechs Zeilen. Der Satz "Heute stand die längste Nacht der Jahres an" würde völlig genügen. Man muss nicht mal den Begriff "Wintersonnenwende" verwenden.

Zitat:
... und die gesamte Sippe der Hirschleute, die dem Stamm der Cherusker zugerechnet wurde, befand sich in einem Zustand voller angespannter Erregung.


Ich mag das Setting. Ich mag auch irgendwie Deinen Stil. Was ich (noch) nicht mag, ist der "Sound" der Geschichte. Beispiel: Dass sich der Stamm in einem Zustand angespannter Erregung befindet, möchte ich anhand von Szenen und Gedanken beschrieben/erzählt bekommen - nicht einfach nur behauptet wie in diesem Satz. Ich hoffe, es wird einigermaßen klar, was ich meine?

Mein Tipp bleibt der gleiche wie ich ihn, glaub ich, schon einmal hier erwähnte: Steig mit einer Figur ein. Vielleicht sogar mit Deiner Hauptfigur. Hab den Namen vergessen, ich nenne sie mal Sinok und denk nur laut:

Zitat:
Die längste Nacht des Jahres war immer eine besondere. Diese aber war anders als alle, die Sinok bisher erlebt hatte. Späher ihrer Sippe hatten eine seltsam gewandete Horde ausgemacht. Seltsam gewandet und kampfstark.


Das ist jetzt wirklich kein guter Anfang, ich wollte nur zeigen: Mit der Hauptfigur einzusteigen könnte es Dir auch leichter machen, in die Welt einzutauchen. Statt Beschreibungen eines außenstehenden Erzählers kannst (solltest?) Du alles aus der personalen Sicht der Figur erzählen. Jetzt bist Du quasi ein allwissender Erzähler, siehe:

Zitat:
Die Hirschleute wussten nicht, sie ahnten es nicht einmal, dass einer von ihnen Nero Claudius Drusus hieß und der über mehrere waffenstarrende Legionen befehligte.


Kann man machen. Wird aber meines Erachtens tricky, denn so wirst Du notwendigerweise immer mit unserem wenigen Wissen um die germanische Alltagsrealität hadern, denn Du schreibst dann ja eher wie ein Historiker, der von draußen draufschaut.

Erzählst Du hingegen personal würde auch aus Sätzen wie

Zitat:
Die landwirtschaftlichen Aktivitäten waren zuneige gegangen


so was wie

Zitat:
Die harte Arbeit am Feld lag hinter uns/ihnen.


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BerndHH
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Beitrag01.02.2023 19:25

von BerndHH
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Hallo Dyrnberg,

vielen Dank für Deine Tipps! Wirklich Klasse!
Ja, es stimmt. Die Germanen waren ein Naturvolk, die anders dachten und eventuell vollkommen andere Empfindungen hatten als der Neuzeitmensch, vermute ich mal. Zumindest hatten sie sich ihre Welt mit ihren Mitteln und Methoden erklärt. Sie hatten vielleicht eine Zeitrechnung nach Monden und feierten die Wintersonnenwende, von wo an die Tage wieder länger werden.
Eben weil wir so wenig über sie wissen, tappe auch ich da vollkommen im Dunkeln und schreibe vielleicht auch vollkommenen Bullshit.
Natürlich wussten sie nicht, dass ein Drusus auf der anderen Seite des Rheins gerade sein Heer mobilisiert und für den kommenden Frühjahrsfeldzug fit macht. Sobald der Rhein überquerbar/schiffbar ist, dann werden sie kommen. Die fremden Männer, die keinen Bart tragen wie sie. Die rheinseitigen Germanen, eben jene Brukerer und Tenkterer [die wohl germanische Eigennamen hatten, die wir nicht kennen] durften ja bereits ihre Erfahrungen seit Gaius Julius Cäsar machen und nun werden es immer mehr, die ihre Hände nach Germania Magna ausstrecken.

Es gab am Rhein eine Art von Kontaktzone, wo sich die beiden Kulturen begegnen konnten, mal in kriegerischer Absicht mal in friedlicher, um miteinander Handel zu treiben.
Die Cherusker lagen weiter ab vom Schuss, die Römer mussten erst einmal die Lippe hoch, um in Kontakt mit ihnen zu kommen.
Ich stelle mir in der Rheingegend so eine Art Koexistenz vor, wie westliche Siedler und Indianer in Fort Laramie im 19. Jhrdt. Germanen lungern vor den römischen Befestigungen herum und lassen sich mit Wein abfüllen.
Mir sind die Cherusker aber heimatnäher als die Ubier um Colonia|Köln und daher habe ich mich für diesen Stamm entschieden.

Mit Naturvolk meine ich keineswegs primitiv und zurückgeblieben.
Sie waren für ihr Biotop mit ihren kleinrahmigen Rinderrassen und ihren kleinen zotteligen Halbwildpferden wahrscheinlich sehr gut angepasst.
So wie Tacitus sie als Wilde beschreibt, so fremd erschienen ihnen wahrscheinlich die Römer.
Wie lange hätten wir Neuzeitmenschen ohne Elektrizität, ohne gesicherte Nahrung, in ihrer manchmal robusten oder zumindest wehrhaften Umgebung überlebt?

Der Text ist noch nicht ausgereift, es sind nur Schreibübungen, um den Leser vorsichtig in die Szenerie einzuführen.
Die handelnden Personen und ihr Lebensalltag kommen erst viel später.

Viele Grüße


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BerndHH
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Beitrag01.02.2023 19:40

von BerndHH
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Ha, ich glaube ich hätte eine Idee.

Ein berittener Späher der Tenkterer|oder Usipeter kommt ins Dorf der Hirschleute und lässt sich von Reik Arne, dem Oberhaupt der Sippe bewirten. Bei Met und Hirschbraten eröffnet er ihm und seiner Gefolgschaft, dass sich drüben auf der anderen Seite des Rheins Unheil anbahnt.
Die Hirschleute verlachen ihn zunächst, als der Späher [okay, was sollte ein Späher bei den unbedeutenden Hirschleuten, wenn er doch vielleicht bei Segestes, dem Cheruskerfürsten, der mit der anderen Fürstensippe des Segimer - Vater des Arminius im Lippischen - überkreuz lag, eine bedeutendere Persönlichkeit vor sich hatte] von ihren Erfahrungen mit einem gewissen Gaius Julius Cäsar gemacht hatten.
Jetzt sind es aber deutlich mehr geworden. Dann kam ein gewisser Marcus Vipsanius Agrippa und jetzt ein gewisser Drusus und der hat wirklich etwas Großes vor! Die Cherusker lachen und schlagen seine Warnungen in den Wind.

Vielleicht ist der erste Schritt, sehr exakt und möglichst detailliert alle handelden Figuren skizzieren, eine Zeitleiste entwerfen und sich möglichst eng daran halten.


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Beitrag04.02.2023 07:10

von BerndHH
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Von Dyrnberg vorgeschlagen, habe ich mich mal an ein personalisiertes Intro gemacht, obwohl ich die Vogelperspektive bevorzuge und erst nach langer, langer Vorrede in die eigentlichen Geschehnisse einsteige.

Der Text ist nicht gut, es gibt wohl auch viele Wiederholungen, Redundanzen, etc. Knapp konnte ich noch nie.


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Beitrag04.02.2023 07:14

von BerndHH
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1. Kapitel Der böse Zauber wird gebrochen

         In der Nacht des 21./22. Dezembers im Jahre 13 vor
         Christus.
         In der Gegend des heutigen Alfeld/Leine.

Dichtes Schneetreiben verdeckte den Vollmond.
Vollmond gleich Wolfsmond.
Aber nicht heute. Heute stand die längste Nacht der Jahres an und die Nordhalbkugel der Erde war in tiefster Dunkelheit versunken. Es war die Zeit der Wintersonnenwende in Germanien, das bedeutete, dass die folgenden Nächte im Zwielicht des Wechsels zwischen Julmond und Hartung standen.
Aufgrund der rauhen Witterung befand sich die Sippe der Hirschleute, die dem Stamm der Cherusker zugerechnet wurde, im Winterschlaf.

In dieser Zeit ruhten alle Aktivitäten.
Die Germanen vertrauten ihren Wintervorräten, dem Getreide und den Hülsenfrüchten, eingelegten Früchten und Gemüse, die sie über die Monate gesichert hatten und von denen sie jetzt zehren mussten. Sie hatten sich durch die Gesänge ihres Schamanen gemeinschaftlich in eine Art Dämmerschlaf versetzt.
Etwas anderes blieb ihnen auch gar nicht übrig.
Wer nicht für die kalte Jahreszeit vorsorgen konnte – der musste unweigerlich verhungern! Die Ernte war vor wenigen Monaten eingebracht und die Rinder, Schweine und das Geflügel standen jetzt dicht an dicht im hinteren Bereich der Hütten. Hauptsache sie kamen irgendwie über den Winter – denn draußen tobten die Schneestürme und die Kälte ließ einen erstarren – nur im dumpfen Inneren der Gehöfte waren sie sicher geborgen und konnten sich bis in den nächsten Frühling träumen.
Sie träumten von der Wilden Jagd, von Walhalla, von den wüsten Gelagen mit den Göttern, und allein der Gedanke daran, ließ sie sich dichter an ihre Weiber pressen, um mit ihnen Kinder zu machen.
„Säet Euren Samen unermüdlich in die Leiber Eurer Frauen, auf dass Euch starke Krieger geboren werden, die Euch zu Ruhm und Ehre gereichen!“, so sagten die Alten, die die Welt besser kannten und verstanden als die Jungen. Nur die Nachkommen, die im Winter gezeugt und die im Sommer zur Welt kamen – nur die hatten auch gute Aussichten, überhaupt durchzukommen. In Germanien werden im Winter viele Kinder gemacht – denn die kurze warme Jahreszeit ist der Landwirtschaft, dem Vieh und der Kriegsführung gewidmet.

Wintersonnenwende.
Die Götter und die Menschen schliefen, während draußen in der Schneelandschaft die bösen Geister der Rauhnächte umgingen und heulten. Es war die große Zeit der Unschuld, denn die Hirschleute wussten noch nichts von den neuesten Ereignisse, die sich jenseits des großen Stromes – etwa eine Tagesreise von hier – anbahnten und die unaufhaltsam ihren Weg in ihr heimisches Stammesland suchten.

Es war still in der größten Hütte.
Mensch und Tier im gemeinschaftlichen Schlaf vereint. Dampf quoll den wiederkäuenden Rindern von den Nüstern. Hin und wieder hob eine Kuh den Schwanz und ließ ihren Mist pladdernd in den Mittelgang fallen.
Der Schlaf der Gerechten und der Armen.
Es gab Freie und Unfreie. Je dichter am Vieh, desto niedriger Deine Stellung in der Gesellschaft der Hirschleute. Du bist entweder nackt oder in einfachen Lumpen gekleidet oder trägst besseres Leinentuch, da Du einer gehobener Familie angehörst, und das drückt sich schon allein dadurch aus, dass Du Dich auf einer besseren Lagerstatt bettest, wo Du entweder nur eine oder gleich mehrere Frauen beschläfst.

An der Spitze der Nahrungskette stand das Oberhaupt der Sippe.
Der Hausherr Reik Arne lag entspannt und friedlich schnarchend auf seiner Lagerstätte unweit des knackenden Feuers, welches während der Frosttage pausenlos brannte und hielt zwei nackte Frauen im Arm. Es waren auffallend blutjunge Frauen – Sklavinnen offensichtlich, da sie kein Haupthaar trugen – die seine kräftigen Beine mit den ihrigen umschlugen hielten und die ihn mit ihren weichen Körpern wärmten. Zeitgleich wurde diese Szene von seiner Frau Margard mit verengten Augenlidern beobachtet, die die ganze Zeit über nicht schlafen konnte und sich voller brennender Eifersucht verzehrte. Die alternde Frau verspürte nur noch Hass und Zorn gegenüber dem Mann, den sie einst so verehrt hatte. Es war eine nagende Eifersucht, die auch schnell in einer Bluttat gipfeln konnte, vor allem wenn dunkle Regenwolken den Vollmond verdunkelten.  

Draußen schlugen auf einmal Hunde an. Pferdegewieher.
Die Tür wurde mit einem Ruck aufgerissen.
„Reik Arne!“, rief eine harte Stimme. Dieser antwortete mit einem Grunzer. Dann stieß er die beiden Frauen roh zur Seite, sprang auf und zog sich widerstrebend die Hose an.
„Was ist Dein Begehr, Fremder?“
Ein zotteliger Krieger schritt mit energischem Schritt auf das Oberhaupt der Hirschleute zu. Eike, Arnes Bruder identifizierte ihn anhand seiner dunklen Kleidung und dem Muster seines Schildes als einen Tenkterer, einem Stamm, der drüben am Niederrhein ansäßig war und der für seine Reitkünste bekannt war. Dem Schild war schwarzes Menschenhaar in seine Einkerbungen eingeflochten – er war also ein Ehrenmann, da er einen anderen Mann getötet, ihm mit Gewalt das Leben genommen, hatte.

Es dauerte eine Weile, bis der Hausherr so weit war, um seinen ungebetenen Gast gebührlich zu empfangen. Reik Arne breitete seine Hände aus.
„Kommt und reitet mit Eurem Pferd über die Schwelle meines Hauses. Meine Knechte werden es dann im hinteren Teil versorgen.“
Der Tenkterer kam der Aufforderung unverzüglich nach und ritt mit seinem schnaubenden Schimmel durch die breite Türschwelle. Er stieg ab und ein Diener führte das vom Schneeregen klitschnasse Roß gehorsam nach hinten.
„Ihr müsst nass und durchgefroren sein?“, fragte der Reik und bot dem Tenkterer an, seinen schweren Winterfellmantel und seine ledernden Bundschuhe abzulegen, was dieser bereitwillig annahm. Die Wärme des Feuers war überaus angenehm und allein schon die Aussicht auf eine warme Mahlzeit gaben dem Reiter seine Lebenskraft zurück. Auch andere Dinge waren erwacht. Der Gastgeber nahm die lüsternen Blicke des Fremden in Richtung der Frauen wahr.
„Werter Herr, wäre es vielleicht möglich, dass ich mit einer von ihnen …“
Doch der Reik schnitt ihm barsch das Wort ab, denn er wollte auf keinen Fall, dass eine von ihnen davon Früchte tragen könnte und tenkterisches Fremdblut in seinen Cheruskerstamm bringen.
„Ich kann euer Verlangen durchaus verstehen, doch ich bitte um Verständnis …“
Natürlich verstand der Kundschafter nicht, er hatte auch schon mal deutlich bessere Gastfreundschaft genießen dürfen, zumindest was die Befriedigung seiner Fleischeslust anging.
Die Cherusker … selbst für ihn, einem rechtsrheinischen Germanen waren sie … Wilde.

Tiermenschen!

Doch dieser Arne konnte sich vielleicht einigermaßen höfisch ausdrücken, beim Wotan nochmal!
Im ersten Moment wäre er vielleicht bereitswillig gerne mit einem der breithüftigen Weiber ins Stroh gestiegen, doch er änderte seine Meinung auch schnell wieder. Er wollte sich im Dorf der Hischleute nur kurz aufwärmen, bevor es weiter ging zum Dorf des Segestes, seinem eigentlichen Ziel.
Die Berge mit den sieben Kuppen, die sich vor ihm auftürmten, waren jetzt aufgrund der Schneeverwehungen wenig einladend und er musste seinem Pferd unbedingt einen Fuder Heu geben, sonst würde es auf der letzten Wegstrecke mit Sicherheit schlapp machen.

Ohne weitere Begrüßungsformeln oder dergleichen Rituale auszutauschen, ging es sofort zur Sache. „Reik Arne, es gibt Kunde vom Rhein, die ich Fürst Segestes zu überbringen habe. Wo finde ich ihn?“, fragte der Fremde
„Ho ho, jetzt mal ganz ruhig mit den jungen Hengstfohlen! Zäume er sein aufbrausendes Temperament, denn Du bist hier in einem fremden Hause. Wer bist Du, was ist Dein Begehr und warum führst Du Dich wie eine Wildsau auf? Hat Dir Deine Mutter etwa keine Manieren beigebracht?“
Zähneknirrschend deutete der fremde Krieger mit dem fuchsroten Bart eine leichte Kopfverbeugung an, doch nur ansatzweise, denn sein angeborener Stolz verbot ihm jegliche Unterwerfungsgesten und dann nahm er ungefragt an der Feuerstelle Platz. Das Kiefernholz ließ ein angenehm harziges Aroma im Langhaus verströmen, in dem die Luft ansonsten nur von menschlichen Ausdünstungen, ranziger Butter und im hinteren Bereich von den Ausscheidungen des Viehs geprägt wurde.

„Verzeiht, Reik Arne. Arbogast ist mein Name. Ich komme von den Tenkterern. Unser Oberhaupt Reik Gerbod schickt mich, um Fürst Segestes zu berichten, dass die Römer kommen werden, um Eure Erde mit Krieg und Tod zu überziehen.“
„Die Römer, was?“, fragte Reik Arne und kratzte sich nervös hinterm Ohr.
Das machte den Melder ungläubig. Er stutzte und wollte wissen, „Was? Du hast noch nie von den R ö m e r n gehört?“
Die Cherusker, insbesondere die Hirschleute, lebten aufgrund ihrer Abgeschiedenheit in einer Art „Insel der Ahnungslosen“. Andere Stämme wie die Brukterer, Sugambrer und Usipeter hatten zumindest die westlichen Gaue der Cherusker schon vor Monaten darauf hingewiesen, dass drüben auf der anderen Seite des Großen Stromes [Rhein] ein gigantisches Heer auf dem Wege war und sich allmählich anschickte, auf ihre Seite überzusetzen.

Reik Arne reichte seinem unangekündigten Gast, so wie es der Sitte ziemte  ein Trinkhorn mit Met und Dörrfleisch vom Zicklein. Arbogasts Glieder erwachten in der Hitze des Feuers zu neuem Leben, er entspannte sich und berichtete freimütig von seiner Erfahrung.
Sie würden kommen, das mit Sicherheit sogar, und zwar dann, wenn die Zeit dafür gekommen war. Wenn es wieder wärmer werden würde. In einer Jahreszeit, die geeigneter war, um Kriege zu führen. Arbogast erzählte von einem Heer, wie es die Germanen nicht kannten. Einem Heer, welches aus einem fremden Land kam und von Menschen angeführt wurde, die mit einer anderen, mit einer falschen, Zunge zu sprechen pflegten.
Arbogast machte mit den Händen ausladende Gesten. Ein römisches Heer, das war keine kleine Kriegerschar, eine Gefolgschaft der Bärtigen, sondern ein beeindruckender Lindwurm, der nur aus Speer, Pfeil und Eisen bestand und, sobald er sich in Kohorten und Linieninfanterie entfaltete, in riesigen rechteckigen Formationen antrat und auf der freien Fläche von keinem einheimischen Krieger zu besiegen war.
Zumindest nicht bei Tageslicht und ganz bestimmt nicht auf offener Pläne.

Jetzt hatte sich die ganze Sippe um den fremden Reiter versammelt. Eike, ein paar Krieger und der ganze Hausstand.
Romanus, romani, Römer, nannten sie sich.
Arbogast Worten nach war es ein höchst eigenartiges Volk, die andere Götter anbeteten, die vollkommen andere Sitten und Gebräuche als die ihrigen besaßen, in Betten mit Fußbod-enheizung schliefen, klebrig süßen Wein tranken und die sich anschickten, sich die gesamte bewohnte Erde untertan zu machen.
Die Hirschleute wussten nicht, sie ahnten es nicht einmal, dass einer von ihnen Nero Claudius Drusus hieß und der über mehrere waffenstarrende Legionen befehligte. Er war ein Stiefsohn des Kaisers Augustus im fernen Rom und dieser hatte den Befehl bekommen, das wilde Land der Barbaren, welches sie Germania Magna nannten und dessen Wälder sich links des Rheines erstreckten, mit aller gebotenen Härte und Disziplin zu unterwerfen und mit Macht unter römischer Knute zu bekommen.

Reik Arne wischte diese Bedrohung mit einer Handbewegung hinweg.
„Wir haben mit den Römern nichts zu kriegen, denn wir sind nur arme Bauern. Und einem nackten Mann kannst Du nun mal nicht in die Tasche greifen.“
Arbogast wiegelte ab, „Das haben andere Stämme aus meiner Heimat auch geglaubt und damit ist es ihnen schlecht ergangen. Es kümmerte die fremden Eroberer nicht, ob Du nur einen oder hundert Köpfe von Rindern hast. Die »Bartlosen« fragen nicht, sie nehmen sich alles, was sie brauchen.“
„Wie die Chatten?“, wollte Reik Arne wissen.
„Nein, viel schlimmer. Dort wo der Adler der römische Legion in die Erde gerammt wird, da wächst kein Gras mehr. Da wächst überhaupt nichts mehr.“
Die Männer aus dem Gefolge des Reiks lachten aus rauhen Kehlen.
„Mein lieber Freund Arbogast, auch einem Römer werden wir beibringen, wie die Dinge der Welt hier im Cheruskerland laufen, verlasst Euch drauf!“
Arbogast kniff die Augen zu und seine Stimme bekam auf einmal eine unheilvolle Färbung.
„Du hast nicht mitansehen müssen, was sie mit unseren Dörfern, unseren Familien und Kindern gemacht haben. Du kannst Dich gegen diese Macht nicht auflehnen, o Reik Arne!“
Dieser wurde aufgrund der Ernsthaftigkeit des Boten etwas nachdenklicher.
„Wir sind keine Feiglinge. Wenn sie kommen, dann werden wir sie schon gebührend in Empfang nehmen und unsere Streitäxte werden schmatzen, wenn sie ihre Köpfe aufschlagen.“
„Du weißt nicht, was Du redest, Reik Arne. Diese Römer haben bereits die gesamte bewohnte Erde unterworfen. Und dies hier – das ist der letzte Teil, der ihnen noch fehlt.“

Eike stellte sich entschlossen an die Seite seines Bruders.
Im Gegensatz zu Reik Arne, den ein leichter Bauchansatz zierte – zumindest er hatte im Gegensatz zu seinen Leuten niemals eine Hungererfahrung machen müssen – zeigte er noch alle Eigenschaften eines äußerst wehrhaften Mannes. Jetzt war es an der Zeit, diesen Tenkterer wieder loszuwerden. Ein Rausschmiss nach Cheruskerart.
„Arbogast, ich danke Euch aufrichtig dafür, dass Ihr uns diese Kunde überbracht habt, doch ich denke, Ihr solltet jetzt aufbrechen, um das Dorf des Segestes noch vor Einbruch der Dunkelheit zu erreichen.“
„Warum? Was geschieht denn, wenn ich es nicht schaffe?“
„Dann mein lieber Arbogast, dann werden sich die Wölfe um Dich und Dein wackeres Pferd kümmern.“
„Verstehe. Dann danke ich Euch für diesen wertvollen Rat.“
Der Diener mit dem Pferd erschien.
„Aber wie weit ist es denn?“
„Ihr werdet es schaffen, doch Ihr solltet Euch in jedem Fall beeilen, denn wenn Ihr erst einmal in den Bergen seid … umkehren könnt Ihr dann nicht mehr.“
„Mein Pferd ist schnell und es hat die Kraft, selbst durch die verschneitesten Waldpfade zu kommen.“
„Nun dann, wohlan. Lebt wohl!“
„Lebt wohl, Reik Arne und denkt an meine Worte!“

Und dann war der Tenkterer verschwunden.
Er kam allerdings nicht weit. Sein Pferd fand rasch einen gangbaren Weg durch die Werte und beschleunigte das Tempo seiner Hufe. Ein stabiler Buchenast, der im Weg war und der Arbogast mit voller Wucht am Kopf traf, beendete die Reise abrupt. Der Tenkterer hauchte sein Leben im Schnee aus. Seine Botschaft erreichte Fürst Segestes nicht mehr.

Arbogast Besuch hatte im Dorf der Hischleute einen gewissen Effekt gehabt, denn er hatte sie alle aus dem kollektiven Winterschlaf geholt. Ihre Gesichter waren müde und vergrätzt darüber, dass das Frühjahr und die damit verbundene Schneeschmelze immer noch nicht gekommen war.
„Noch zehnmal schlafen und aufwachen, dann blühen draußen die Maiglöckchen, erzählten die Cheruskermütter ihren kleinen Kindern, wenn sie quengelten, dass sie nicht genug zu essen bekamen. Es herrschte nun mal Winter und das, was sie im Spätsommer und Herbst nicht geerntet oder gesammelt hatten, das würde ihnen das Leben nicht mehr zurückgeben [Geschwurbel].
Eike wollte sich nicht mehr hinlegen und schlafen. Er wollte etwas unternehmen, da das Unterlassen vielleicht den Untergang seines Volkes bedeutete hätte.
„Du hast den Tenkterer gehört, Bruder.“
„Und? Gebe ich was auf das Geschwafel eines dahergelaufenen tenkterischen Hundesohnes?“
„Aber was ist, wenn er doch recht hat? Dann müssen wir gewappnet sein.“
„Es ist Winter, Bruder. Niemand führt im Winter Krieg. Nicht einmal die Chatten!“ Eike trank sein Trinkhorn aus und spuckte auf den Boden.
„Es ist gut jetzt. Lass uns schlafen, bis das Wetter es wieder zulässt, dass wir uns wieder um diese Dinge kümmern können.“   

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BerndHH
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Beitrag06.02.2023 13:25

von BerndHH
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Die Zeitleiste macht große Probleme.
Die historischen Fakten passen nicht zu den geplanten Kapiteln.


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Taranisa
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Beitrag06.02.2023 15:31

von Taranisa
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Damit haderte ich bei meiner Planung auch. Letztendlich horchte ich nochmal tief in mich und gestaltete die Geschichte etwas um. Da ich "nur" als Handlungszeit das Jahr 772 gewählt habe, verschiebe ich die Rückeroberung der Eresburg (774) auf einen Folgeband.

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BerndHH
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Beitrag06.02.2023 15:52

von BerndHH
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Ja, weißt Du, es ist eigentlich immer das gleiche Problem.
Die historischen Eckdaten passen nicht immer zur Dramaturgie des eigenen Textes.
Nur bei Ken Follett, da passt immer alles.

Will ich alles abdecken, vom Beginn der Drusus-Feldzüge an. Was war davor? Kamen Drusus Legionen bis ins Leinetal (offensichtlich ja) und was machten sie mit den Menschen?
Drei Feldherren wechselten sich ab: Drusus, Tiberius und Germanicus. Die Cherusker kämpfen, unterwerfen sich, weichen aus, verstecken sich in den Wäldern, unterwerfen sich wieder, dann proben sie den Aufstand.
Wie alt war der Prota zu Beginn, was war der Wendepunkt? Seine Schwester von Römern eingefangen und verschleppt, seine Mutter wird von den Chatten vergewaltigt und sein Dorf niedergebrannt.
Die kriegerischen Chatten mal in den Diensten Roms, dann wieder gemeinsam mit den Cheruskern, ein heilloses Durcheinander.

Der cheruskische Adel, extrem zerstritten. Die Fürstensippe des Segimer (Arminius Vater) und die verfeindete des Segestes (Thusneldas Vater), sie bekämpfen sich, raufen sich wieder zusammen, ebenfalls ein heilloses Durcheinander.

Der Prota will eigentlich gar nicht kämpfen, muss es aber doch, weil sein Dorf niedergebrannt wurde, er überhaupt niemanden mehr hat, sich einem anderen Gefolge anschließen.

Ich habe immer noch überhaupt keine klare Linie, denn die Geschichte sollte schon etwas mehr sein als das bloße Aneinanderreihen von Schlachten: Arbalo, Varusschlacht, Idistaviso, etc.


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Beitrag06.02.2023 16:17

von Pickman
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Hi BerndHH,

ich kann mir vorstellen, dass es den Lesern Deines Stoffs hauptsächlich um die Atmosphäre geht und weniger um den historischen Wahrheitsgehalt. Schließlich haben sie sich beim Griff ins Regal für einen historischen Roman entschieden und nicht für ein historisches Sach- oder Fachbuch. Als Schriftsteller ist es dir nach meinem Dafürhalten freigestellt, die Realität an die Dramaturgie anzupassen. Natürlich so, dass der Leser nicht bei jedem zweiten Satz denkt: "Äh? Das war doch ganz anders!" Wenn ich dieses Statement schreibe, denke ich an den Film Troja mit Brad Pitt als Achilles, in dem bei der Einnahme der Stadt einige den Tod finden, die bei Homer noch ein paar Jahre auf der Uhr haben.

Cheers

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Taranisa
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Beitrag06.02.2023 16:21

von Taranisa
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Lt. den Geschichtsbüchern besteht die Geschichte "nur" aus Schlachten und Herrschern. Mr. Green
Dabei passiert auch zwischen den Kämpfen vieles, das Spannung erzeugt. Persönliche Dramen, Verluste, Erkämpftes - und wenn es nur ein Brot ist, um nicht zu verhungern. Ich bin bei meinen Protas auch tiefer in ihr Leben eingetaucht, um etwas zu finden, was in Geschichtsbüchern allenfalls nur am Rand erwähnt wird.


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Beitrag07.02.2023 05:50

von BerndHH
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Guten Morgen Ihr beiden,

ja, das sehe ich wohl ein. Und dennoch: Ken Follett wirbt doch immer damit, dass seine Geschichten bis aufs i-Tüpfelchen auf historischen Begebenheiten basieren. Er hat einen Mitarbeiterstab, daher sollte man sich daran nicht messen.
Ich sollte auch anders vorgehen. Erst muss die Geschichte stehen und dann kann man sie vielleicht noch an die geschichtlichen Fakten dehnen und strecken.
Es ist aber ungeheuer schwer, sich in diese Zeit zurückzuversetzen. In ein Naturvolk, welches in Sippen lebt, primitiven Ackerbau betreibt und Rinder hütet. Was waren ihre Ängste und Nöte? Den Winter zu überleben, ein Pilz, der den Emmer, Dinkel im regnerischen Frühjahr vernichtet oder die bösen Nachbarn, die Mordbrenner.

Daher ist der Clash of Cultures, die Begegnung mit dem Römischen Imperium einer meiner zentralen Punkte.
Historiker bemängeln Filme wie "Vikings" oder "Barbaren", da sie für ein Breitenpublikum immer recht monothematisch und schwarz-weiß gerastert sind. In "Barbaren" werden die Römer ausschließlich als brutale Besatzer dargestellt, die nur gekreuzigt haben. Stimmt nur zum Teil. Sie waren auch immer wieder Handelspartner. Bestimmte Stämme und ein Teil des germanischen Adels paktierte immer wieder temporär mit den Römern.

Ich erzähle auch nicht von der Segimer-Fraktion (Arminius-Sippe), sondern von den Gefolgschaften, die Fürst Segestes folgten, der als romtreu galt. Aber auch hier ging es hin und her.
Es soll die Geschichte aus einer ganz anderen Perspektive sein, also von Arminius und Thusnelda nur am Rande.
Doch ich habe noch überhaupt kein gutes Konzept, was in sich schlüssig sein könnte.

Grüße

PS: "Barbaren" ist von den Bildern her ein guter Einstieg, nur wird in Staffel 2 bemängelt, dass Netflix mit "woken" Ideologien arbeitet, aber lassen wir das ...
https://lauterfilme.de/barbaren-staffel-2-kritik-serie-netflix/


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Beitrag12.02.2023 06:55

von BerndHH
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Guten Morgen,

Ich lese gerade mit der allergrößten Begeisterung Süskinds "Parfum". Ein Roman, in dem die Welt der Gerüche eine zentrale Rolle spielt.

Eine Frage an Euch: wie roch wohl ein germanisches Dorf in der Eisenzeit?
Landluft, unverfälschte Landluft/-duft schätze ich mal. Also Rinderdung, Fische wohl auch, die aus dem benachbarten Fluss gezogen werden. Die verarbeiteten Lebensmittel vergorene Milch, Tierfett, etc.
Gut, die Gehöfte hatten keine Fenster und es kann gut sein, dass es darin muffig war. Andererseits die Germanen waren nach Meinung der Historiker KEINE unhygienischen Rockertypen, die nicht auch eine gewisse Körperpflege betrieben hatten. Haarpflege etc.

Allerdings glaube ich auch nicht, dass es damals bei der Geburt eines Menschenkindes oder eines Rinderkalbes irgendwelche Hygienemaßnahmen gab. Man kannte das schlichtweg nicht. Entweder die Frau oder die Kuh war robust und kräftig genug für die Presswehen und ein Kind lebendig zur Welt zu bringen oder eben nicht.
An Keime etc. dachte man damals nicht, weil man dies nicht kannte. Im Sommer, Schmeißfliegen, Nachgeburt klatscht heraus --- es muss damals sehr derbe und für unsere heutigen Begriffe ekelig gewesen sein.

Süskind beschreibt das auf seine unnachahmliche Weise.
Natürlich war es der hochschwangeren Mutter Grenouilles Mutter vollkommen egal, was an Fäulnisgestank etc. auf ihre Nase zukommt, sie hat bei der Geburt ihres Kindes entsetzliche Schmerzen. Die Fischverkäuferin hatte schon fünf Tot-/Halbtotgeburten, die sie entsorgen musste, so wie dieses Kind in einem Haufen von Unrat, Kot, Urin, Erbrochenen und anderen widerlichen Dingen.
Sie wird später als "Kindsmörderin" geköpft.

Bringt mich in die Duft- und Lebenswelt eines germanischen Dorfes allerdings nicht weiter. Dort ging es aber mit Sicherheit sehr deftig derbe zur Sache, wie auch heute auf dem Land, wenn geschlachtet wird etc.
Was meint Ihr?


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Beitrag12.02.2023 12:07

von Taranisa
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Über den Feuerstellen befanden sich im Dach Öffnungen. Da die Häuser aus Holz und Lehm bestanden, kann ich mir Fenster durchaus gut vorstellen. Essensgeruch ist auch sehr wahrscheinlich. Den Germanen verdanken wir die Erfindung der Haarbürste und -trara- der Seife. Diverse Pflanzen enthalten ätherische Öle, die desinfizierend wirken. Beispielsweise nutzten die Frauen Beifuß, um die Geburt zu erleichtern und -als Räucherung- den Raum zu reinigen. Durch meine Mittelalter-Recherche weiß ich, dass in das Streu, das auf dem Boden lag, duftende Pflanzen gemischt wurden.
Gerade heute las ich in dem archäologischen Sachbuch "Das Rätsel der Schamanin", wie sehr das Christentum Andersgläubige verfolgte und als "Teufelsanbeter" denunzierte. Glücklicherweise ist die heutige Archäologie offener, sodass nun viele Vorurteile zurechtgerückt werden. Natürlich waren die Menschen zu früheren Zeiten andere Gerüche gewohnt, und würden sich z.B. bei dem Gestank von Autoabgasen angewidert abwenden.


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Beitrag12.02.2023 16:52

von BerndHH
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Hi Taranisa,

besten Dank für Deine Erläuterungen.
Was meinst Du mit Haar-trara? Tiara? Aber sicherlich waren die Germanen gepflegter als eine versoffene Bande Hell's Angels. Zumindest was ihre Mittel angeht.

Süskinds "Parfum" ist wirklich lesenswert! Kennen aber wahrscheinlich die meisten.
Es ist auch der Kontrast zwischen dem unerträglichen Elend + Gestank im dicht bevölkerten Paris und den Lavendelfeldern von Grasse. Aber das ist ein ganz anderes Thema.

Bei den Cheruskern muss man an die kleinbäuerliche Gesellschaft ran. Es gab Unfreie, Freie und Fürsten. Die Fürsten hatten wohl schon größere Gehöfte, die von ihrem Gesinde bewirtschaftet wurden.
Nur wie wissen wir nicht.
Ich habe mich von der historischen Zeitleiste gelöst und schreibe gerade die Szenenübersicht, verdichtet auf die Dorfbewohner, die auf der Seite von Fürst Segestes stehen.
Es ist noch sehr schwurbelig. Na ja.


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Beitrag12.02.2023 21:26

von Taranisa
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Das -trara- steht nicht mit dem Haar in Verbindung, nur für einen Tusch / eine besondere Ankündigung, von wegen: Die haben sich nie gewaschen Wink Dabei erfanden sie die Seife.

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