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Auszug aus dem Roman (Manuskript): Der Traum.Mann


 
 
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chaton
Gänsefüßchen
C


Beiträge: 32
Wohnort: Duisburg


C
Beitrag22.10.2022 19:46
Auszug aus dem Roman (Manuskript): Der Traum.Mann
von chaton
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(...)

Ihr zuliebe, ihm zuliebe, ihrer Liebe zuliebe - in ihrem Bewusstsein war die Rettungsaktion angelaufen.
Silvia überspielte ihm ihre Heimat in ihren schönsten Bildern. Sie musste doch ihre gemeinsame Zukunft hergeben.
Denn sie wusste nur allzu gut, wie wohl er sich in ihrer Heimat fühlte und ahnte, dass sein Bleiben bei ihr daran einen Ankerpunkt besaß. Aber sie kam nicht an den tiefen Konflikt heran, der im Begriff war, ihre Liebe - vielleicht nicht zu töten, aber zu überwältigen und in den Staub zu werfen.

Vincent spielte mit Gedanken und Bildern seiner Zukunft. Und immer wieder tauchten verführerische Vorstellungen auf, die alle Befürchtungen, die ihn plagten, wie mit Geisterhand verschwinden ließen.

Welch schönes Bett hätte er sich mit Silvia, seiner lieben Frau, an seiner Seite bereitet. Ein ruhiges bürgerliches Leben eingebettet in ihrer großartigen Heimat hätten sie Stück für Stück aneinandergefügt mit überschaubaren Aufgaben und lösbaren Problemen. Sie hätten irgendwo weiter oben in der sozialen Pyramide Südtirols Fuß gefasst und gesiedelt. Er wäre zum kompetenten Mitarbeiter geworden, von Kollegen und Vorgesetzten gleichermaßen geschätzt. Ja, er wäre Teil der großen Gemeinschaft geworden, die guten Glaubens und erfolgreich mit den neuen wirtschaftlichen Strukturen eine neue Heimat entwickelte und beseelte.
Er hätte sich mit einem Wall aus Säcken voller Reis umgeben, die in China umfallen mochten, so oft sie wollten, und Leute mit hassverzerrten Gesichtern auf dem Bildschirm betrachtet, die sich die Köpfe einschlugen, aus irgendwelchen dummen Gründen, weit hinter der Türkei. Er hätte in milder Überheblichkeit und sehr einfühlsam über das Elend gesprochen, das immer nur die Dummen erwischte. Nur Bildung und nochmals Bildung konnten die Menschen aus dem Quark ihrer selbstverschuldeten Unmündigkeit herausholen. Sein Dasein wäre gut abgesichert und aufgehoben im Kokon einer soliden Existenz mit einem bekömmlichen Gläschen Kalterer und einer beschaulichen Runde Törggelen im Spätherbst, wenn das Jahr gewaltig endet, süßer junger Most seine Lippen netzt wie Silvias volle Lippen oder junger Wein sich wild im Glas gebärdet, begleitet von gerösteten Kastanien, Nüssen und geräuchertem Speck. Mit ernsten und heiteren Unterhaltungen unter Gleichgesinnten auf gleichem Bildungs- und Wohlstandsniveau, mit immer neuen Geschichten, die von immer denselben Begebenheiten erzählten an immer neuen oder immer denselben Orten. Mit klugen, falls erforderlich auch wisssenschaftlich fundierten und umfänglichen Ansichten zum Geschehen der Welt. Die neue Bräsigkeit wäre in ihm zum Ausbruch gekommen und hätte sich wie ein Brei immer weiter gewälzt. Er wäre zum „Gesellschaftskritiker“ mutiert, mit beeindruckenden Ansichten, steilen oder gar schrägen Thesen, um die Gesellschaft zu bespaßen und dem Fortschritt zu dienen. Oder hätte etwas Kreatives von sich gegeben, zumindest einen beachtenswerten Beitrag von Dr. Vincent in irgendeinem Südtiroler Lokalblättchen, überraschende Einsichten wie „Andreas Hofer: Tirols unterschätzter Beitrag zur Weltkultur“. Denn Doktor war ja so geil, da konnte man sich schon einen hohen Trab erlauben.
Ihre große Liebe hätte die heilige Familie neu zum Erblühen gebracht mit strahlenden Kinderaugen unter dem weihnachtlichen Tannenbaum und dem sonnenbraunen Lachen Silvias auf den Schipisten ihrer Heimat. Und - warum nicht? - Schwiegermutter freundlich lächelnd auf dem Ledercanapé mit artigen Enkelchen. Knips! Schon thront sie im Fotoalbum, das sie irgendwann gerührt blättern würden.
Das Haus, ja ein schönes Anwesen im traditionellen Baustil und modernster Ausstattung, das Silvia geschmackvoll und stilsicher mit viel Liebe zum anmutigen Detail belebte und schmückte, mit schwellenden blutroten Geranien, die sich über die Brüstung des Balkons warfen. Ihr geliebter Mann sollte sich wohlfühlen, weil der Himmel sie geküsst hatte und sie nur von ihm träumte und ihm ihren erfolgreichen Traum dankbar zurückgab.
Ihre Festgeldkonten hätten ihnen jährlich erkleckliche Zinsgutschriften beschert. In ihrer Premium-Freizeit hätten sie die Welt bereist, sportlich oder mondän, Silvia am, im Pool und aus dem Pool, mit Topfigur im raffinierten Zweiteiler dem Wasser entsteigend, neugeboren wie Botticellis Venus aus ihrer Muschel, natürlich nicht so steif von der Lieferung und gerade ausgepackt, sondern mit dynamischen, katzenhaften Bewegungen, gefüllt mit Leben, ihre Haut unterm glänzenden Wasserfilm, ihre halblangen Haare sprühend und ihr Mund und ihre Augen gefüllt mit perlendem Lachen. Er hätte ihre Weiblichkeit in Champagner gebadet, Moët & Chandon für die gehobenen geselligen Anlässe oder Veuve Clicquot für ihre Candle-Light-Dinners und dann in die Heia, ab in die Heia. Und sie hätten sich genommen, sich hemmungslos auseinandergenommen und sich neu zusammengefügt zum Geschoss, bums durch die Schallmauer der Lust, sich im todesähnlichen Sinkflug in Schneekristalle verwandelt, die den Grund ihres Daseins sanft berührten.

Bedauerlicherweise ließen sich die Bilderreigen nicht fixieren und schon gar nicht umsetzen in entschlossene Lebensplanung. Denn wer plant, muss Ziele vor Augen haben. Die Bilder spiegelten nicht den Grund seines Daseins. Er mochte sich nicht dem Geist der neuen Bürgerlichkeit ergeben, die sich so verführerisch jung und glatt erzählte und mit ihrem Leben lockte, das sie als das Leben schlechthin ausgab, mit jenem Leben, unschuldig und in Fülle, das der Pfarrer in seiner Predigt fälschlich ins Jenseits verlegte, wo doch die Gesellschaft es in der Gegenwart erstehen ließ, auf ihre Fahnen schrieb, Wohlstand und Fortschritt nannte und mit ihren Füllhörnern über die Menschen ausgoss.
Wo die Frauen taufrisch bleiben bis an ihr Lebensende, jedenfalls bis sie aus dem Verkehr gezogen werden und abseits munter plappernd vor sich hin verblöden und ihr Restleben bei Kaffee und Kuchen absitzen unterm Sonnenschirm.
Nun, auf den Kirchenbänken ist es nicht anders, aber da verblöden sie alle miteinander generationsübergreifend und lassen sich was vom Jenseits erzählen, das kein Mensch mehr braucht.
(...)



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