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Das Grauen in den Wäldern


 
 
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ChrisPhoenix
Geschlecht:männlichGänsefüßchen

Alter: 37
Beiträge: 30



Beitrag11.09.2022 20:28

von ChrisPhoenix
Antworten mit Zitat

Hallo Omega! Da hast du mich ja schön auseinander genommen! Vielen Dank dafür!
Im großen und ganzen merke ich, dass ich mir wieder zu viele Gedanken gemacht habe, wie gewisse Sätze möglichst klangvoll rüber kommen, und dabei die Logik des ganzen vernachlässigt. Das ist definitiv etwas, an dem ich sehr arbeiten muss und deine Kritik zeigt mir das wieder sehr deutlich.


Zitat:
Spinnereien aus Büchern 'herausliest' – herauslesen kann man Sinn oder eine bestimmte Interpretation.


Wenn das Buch einen zu Spinnereien anregt, oder gar dazu auffordert, liest man sich die Spinnereien dann nicht "aus dem Buch heraus"?

Zitat:
Doch mit genau diesen Worten saß Carter in der Falle.
„Und ist dies nicht genau das Wesen der Archäologie?“, platzte es geradezu aus Wilbur heraus.


Das zählt für dich als "Wortwiederholung", oder wie meinst du das? Ich verstehe hier deinen Kritikpunkt nicht.



Zitat:

Zitat:
Stunde um Stunde starrte er in das Magazin für Archäologie hinein, welches den seltsamen, altertümlichen Fund anpries, dessen Anblick Wilbur so fest in seinen Bann zog.

Wieso ist der seltsam?


Naja das wird der Leser ja später noch merken. Dass dort irgendetwas nicht in Ordnung ist, kann sich der Leser eventuell schon denken, und was genau seltsam ist, wird noch beschrieben, wenn sie da sind. Ist es nicht gut, das so früh schon zu erwähnen?

Zitat:
Wenn sie rau ist, ist sie eben gerade nicht geschliffen.


Ich meinte auch "geschleift", nicht geschliffen. Rolling Eyes Laughing
Wie eine Festung, die nun zur Ruine zerschossen wird. Da war mein Kopf wieder abgeschaltet. Wäre es mit dem korrekten Wort dann wieder passend, oder findest du das unsinnig?


Zitat:
Das verstehe ich nicht: Wo thront dieses Denkmal?


Ich werde hier keinen Link posten, da ich nicht weiß, ob man das im Forum einfach so darf. Aber google mal nach "Hermannsdenkmal". Ich wollte es nicht namentlich erwähnen, da die ganze Geschichte ja in einer fiktiven Welt spielt. (Das Dorf Dunheim zu dem sie reisen existiert ja auch nicht) aber die Landschaft plus Denkmal waren definitiv meine Inspiration.


Zitat:
Gräser und Gebüsch haben keinen Willen.


Seit Herr der Ringe wär ich mir da nicht so sicher! Laughing
Spaß beiseite: Aber Menschen, die Landschaften pflegen, haben einen Willen und wenn sie damit aufhören, lassen sie die Gräser dann nicht willkürlich wachsen?

Zum Schluss noch zu einer für mich sehr wichtigen Frage:

Zitat:
Ist er noch nie vorher geflogen? Und wieso traumgleich?


An dieser Stelle habe ich beim Probelesen selbst gemerkt, dass "traumgleich" unpassend klingt, aber beschlossen es drin zu lassen, um eure  Kritik dazu zu hören. In diesem Fall wurde ich bestätigt, aber das ließ mich grübeln: Je öfter ich nämlich meine Texte Probe lese, desto unsinniger erscheinen sie mir und meine eigenen Zweifel sorgen dann dafür, dass ich am liebsten alles "verschlimmbessern" oder "zu Tode korrigieren" möchte. Geht das auch anderen so? Und woher weiß ich, wann ich auf mein Bauchgefühl hören sollte und wann es doch besser ist, es gut sein zu lassen?
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omegaMk13
Wortedrechsler


Beiträge: 76
Wohnort: Wien


Beitrag11.09.2022 23:21

von omegaMk13
Antworten mit Zitat

ChrisPhoenix hat Folgendes geschrieben:
Hallo Omega! Da hast du mich ja schön auseinander genommen! Vielen Dank dafür!


Ich hoffe, es hat in der Gesamtmenge nicht den falschen Eindruck erweckt; wenn man das so liest, könnte man denken, ich hätte endlos zu kritisieren, aber in Wahrheit sind es oft ja nur Kleinigkeiten, mit denen ich hoffe, dich als Autor dem Feinschliff näher zu bringen.


Zitat:
Wenn das Buch einen zu Spinnereien anregt, oder gar dazu auffordert, liest man sich die Spinnereien dann nicht "aus dem Buch heraus"?

Gerade dann würde ich schreiben 'die Spinnereien, zu denen seine Bücher ihn anregten.' Bei 'herauslesen' denke ich immer an einen entweder verborgenen Sinn oder an einen, der gar nicht vorhanden ist, sondern bloß hineininterpretiert wird.

Zitat:

Das zählt für dich als "Wortwiederholung", oder wie meinst du das? Ich verstehe hier deinen Kritikpunkt nicht.

Ja, genau, ich wollte es bloß erwähnen, weil das etwas wäre, das klanglich auffällt und du ja sehr darauf achtest. Ich hätte das etwas deutlicher machen sollen; es ist auch nichts, was du zwangsläufig ändern musst, weil es – mich persönlich – nicht großartig stört, aber ich wollte es nicht unerwähnt lassen. Falls du es änderst, würde ich aber Wilburs direkte Rede so belassen, dann da kommt die Wortwahl sehr gut rüber.



Zitat:

Naja das wird der Leser ja später noch merken. Dass dort irgendetwas nicht in Ordnung ist, kann sich der Leser eventuell schon denken, und was genau seltsam ist, wird noch beschrieben, wenn sie da sind. Ist es nicht gut, das so früh schon zu erwähnen?

Die Sache ist, dass das hier ja entweder aus Wilburs oder aus Carters Sicht geschrieben ist – aus wessen, geht für mich nicht eindeutig hervor, muss ich gestehen. Aber Carter hat den Artikel ja nicht gelesen, wieso sollte er einen archäologischen Fund grundsätzlich als seltsam empfinden. Und Wilbur: Da müsste ich als Leser mehr Informationen haben, was in dem Artikel steht, damit ich ihm abkaufe, dass es aus seiner Sicht komisch ist.


Zitat:

Ich meinte auch "geschleift", nicht geschliffen. Rolling Eyes Laughing
Wie eine Festung, die nun zur Ruine zerschossen wird. Da war mein Kopf wieder abgeschaltet. Wäre es mit dem korrekten Wort dann wieder passend, oder findest du das unsinnig?

Letzteres, denn das verwendet man nur in Bezug auf Festungsanlagen o.Ä., wenn über jemandes Stimme gesprochen wird, nimmt mich das völlig aus der Situation.


Zitat:

Ich werde hier keinen Link posten, da ich nicht weiß, ob man das im Forum einfach so darf. Aber google mal nach "Hermannsdenkmal". Ich wollte es nicht namentlich erwähnen, da die ganze Geschichte ja in einer fiktiven Welt spielt. (Das Dorf Dunheim zu dem sie reisen existiert ja auch nicht) aber die Landschaft plus Denkmal waren definitiv meine Inspiration.

Jetzt kann ich mir das schon besser vorstellen, innerhalb der Geschichte war ich völlig verwirrt, weil ich nicht wusste, welche Form es überhaupt hat und wie es daher über dem Wald (!) thronen kann. Wenn du es aber etwas näher beschreibst, lässt sich das leicht eliminieren.


Zitat:

Seit Herr der Ringe wär ich mir da nicht so sicher! Laughing
Spaß beiseite: Aber Menschen, die Landschaften pflegen, haben einen Willen und wenn sie damit aufhören, lassen sie die Gräser dann nicht willkürlich wachsen?

Das ist der springende Punkt: Es ist dann die Willkür derjenigen, die das Wachstum nicht mehr kultivieren. Ich verstehe jetzt auch, was dein Gedanke war, weil wir ja gerne sagen 'Das Unkraut wächst, wohin es will', aber die Begrifflichkeit 'willkürlich' passt da für mich nicht, weil sie stärker und konkreter ist. Du könntest schreiben, dass alles 'ungehemmt' wächst.

Zitat:

An dieser Stelle habe ich beim Probelesen selbst gemerkt, dass "traumgleich" unpassend klingt, aber beschlossen es drin zu lassen, um eure  Kritik dazu zu hören. In diesem Fall wurde ich bestätigt, aber das ließ mich grübeln: Je öfter ich nämlich meine Texte Probe lese, desto unsinniger erscheinen sie mir und meine eigenen Zweifel sorgen dann dafür, dass ich am liebsten alles "verschlimmbessern" oder "zu Tode korrigieren" möchte. Geht das auch anderen so? Und woher weiß ich, wann ich auf mein Bauchgefühl hören sollte und wann es doch besser ist, es gut sein zu lassen?


Zu der Frage, ob es auch anderen so geht: Ja, sicher. Mir jedenfalls. Mal mehr, mal weniger. Was ich bisher von dir gelesen habe, war keineswegs unsinnig, lediglich an manchen Stellen, die ich dir ja auch markiert habe, unschlüssig oder unlogisch. Das muss für diesen Satz nicht notwendigerweise der Fall sein, solange du textintern gut begründest, weshalb der Flug für Carter traumgleich ist – ich konnte mir darunter einfach nichts vorstellen/habe den Zusammenhang nicht gesehen, deshalb erschien mir die Wortwahl paradox und ich habe es herausgegriffen. Wenn gewisse Assoziationen geweckt werden sollen: Welche?
Dein Bestreben, nach Klang zu schreiben, ist keineswegs etwas Negatives oder Störendes, das möchte ich noch einmal betonen: Ich mag das; ich schreibe auch gern so. Es darf aber, glaube ich, der Sinn nie so dem Klang untergeordnet werden, dass er dabei verloren geht.
Ich weiß leider auch nicht, was ich dir jetzt konkret raten kann oder soll Laughing Es heißt zwar, dass man sich in so Lesezirkeln als Autor, der um Kommentare bittet, nicht verteidigen soll, aber ich möchte eine alternative Perspektive anbieten: Versuch das, was du du schreibst, zu verteidigen. Wenn du gute Argumente vorbringen kannst, die der Kritik standhalten, kannst du es doch guten Gewissens drin lassen.
Ansonsten wahrscheinlich Abstand gewinnen, damit du nicht zu oft dieselbe Stelle liest und dann nicht mehr klar genug siehst. Am Ende soll der Text dir selbst auch noch gefallen.
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ChrisPhoenix
Geschlecht:männlichGänsefüßchen

Alter: 37
Beiträge: 30



Beitrag14.09.2022 18:06

von ChrisPhoenix
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Danke für deine Antwort Omega!



Zitat:
Ich hoffe, es hat in der Gesamtmenge nicht den falschen Eindruck erweckt; wenn man das so liest, könnte man denken, ich hätte endlos zu kritisieren, aber in Wahrheit sind es oft ja nur Kleinigkeiten, mit denen ich hoffe, dich als Autor dem Feinschliff näher zu bringen.


Nein das "auseinander genommen" war eher scherzhaft gemeint und mein Dank war natürlich aufrichtig. Und selbst wenn ich komplett zerstört werde, so ist mir auch das am Ende recht. Laughing  Daran wachsen werde ich ja trotzdem.

Ich werde mir deine Punkte zu Herzen nehmen und sehen, wie ich es sowohl mir als auch dem Leser recht machen kann.

Zitat:
Versuch das, was du du schreibst, zu verteidigen. Wenn du gute Argumente vorbringen kannst, die der Kritik standhalten, kannst du es doch guten Gewissens drin lassen.


Hier muss ich wirklich sehr mit den Zähnen knirschen. Ich verstehe was du meinst, aber letztendlich ist das vielleicht keine gute Lösung. Jedenfalls kommt es mir falsch vor. Zumal, wenn ich ein Buch schreibe, welches dann Leute zuhause lesen, ich ja keine Chance habe, mich "zu verteidigen". Natürlich muss mir der Text auch gefallen, aber ist der Leser nicht am Ende König? Ein schwieriges Thema. Es ist schön, mal die Gedanken von jemand anderem dazu zu hören!
Und falls du (und natürlich andere) noch nicht zu gelangweilt von der ganzen Geschichte bist, würde ich natürlich gern weitere Seiten posten!

P.S: Und vergiss nicht, dass du mir (und dem Rest des Forums) noch deine eigene Story schuldest! Razz Laughing
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omegaMk13
Wortedrechsler


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Beitrag16.09.2022 12:16

von omegaMk13
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ChrisPhoenix hat Folgendes geschrieben:

Zitat:
Versuch das, was du du schreibst, zu verteidigen. Wenn du gute Argumente vorbringen kannst, die der Kritik standhalten, kannst du es doch guten Gewissens drin lassen.


Hier muss ich wirklich sehr mit den Zähnen knirschen. Ich verstehe was du meinst, aber letztendlich ist das vielleicht keine gute Lösung. Jedenfalls kommt es mir falsch vor. Zumal, wenn ich ein Buch schreibe, welches dann Leute zuhause lesen, ich ja keine Chance habe, mich "zu verteidigen". Natürlich muss mir der Text auch gefallen, aber ist der Leser nicht am Ende König? Ein schwieriges Thema. Es ist schön, mal die Gedanken von jemand anderem dazu zu hören!


Das war jetzt rein auf den Austausch hier im Forum bezogen. Wenn du etwas veröffentlichst, hast du diese Möglichkeit so natürlich nicht. Aber deine Formulierung, du bekämst Zweifel und würdest dann dazu neigen, zu verschlimmbessern, hat mich dazu angeregt, dir sozusagen die andere Seite zu zeigen: Was ist mit der Möglichkeit, dass deine Version die bessere ist, nicht diejenige, die andere hineinlesen? In der Wissenschaft ist es üblich, seine These zu verteidigen – aus dieser Richtung wollte ich mich dir nähern. Man muss nicht alles ändern, bloß weil es jemand anderem nicht gefällt. Was ich sagen wollte, war: Du könntest versuchen, für eine Formulierung zu argumentieren, die du behalten möchtest, und zwar gegen deine eigenen Zweifel. Wenn dir das gelingt, hast du die Versuchung der Verschlimmbesserung abgewehrt.


Zitat:

Und falls du (und natürlich andere) noch nicht zu gelangweilt von der ganzen Geschichte bist, würde ich natürlich gern weitere Seiten posten!

Also ich will da schon weiterlesen!

Zitat:

P.S: Und vergiss nicht, dass du mir (und dem Rest des Forums) noch deine eigene Story schuldest! Razz Laughing


Ich bin dran, keine Sorge (;
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ChrisPhoenix
Geschlecht:männlichGänsefüßchen

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Beiträge: 30



Beitrag18.09.2022 13:20

von ChrisPhoenix
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Fortsetzung wie versprochen: (Der in kursiv geschriebene Teil stellt wieder einen Szenenwechsel dar. Ich hoffe das ist hier im Forum Schrifttechnisch gut erkennbar.)

Carter Harrisons Augen fokussierten für einen kurzen Moment lang wieder den Arzt, der geduldig lauschend vor ihm im Verhörzimmer des Arkham Sanitarium saß. Sein Herz raste, dass es ihm in der Brust schmerzte und mit verschränkten Armen versuchte er vergebens, die heftig zitternden Hände zu verbergen. „Hier, das wird ihre Nerven beruhigen.“, sprach Dr. Clemmons ihm Mut zu und reichte Carter eine heiße Tasse Tee, welche er begierig in einem Zug leerte. „Wenn Sie es wünschen, Mr. Harrison, können wir auch morgen fortfahren. Sie müssen sich nicht gedrängt fühlen.“
„Nein…nein danke. Es ist schon gut.“ Carters Blicke wanderten erneut in die weiten Abgründe seiner Erinnerung hinein, während er mehr und mehr den Fokus auf die Realität verlor. „Wissen Sie…“, fuhr Carter schließlich fort. „Es war…es war als hätte irgendeine dunkle Macht Wilburs Worte erhört, denn bei Gott ich schwöre Ihnen, genau in diesem Moment umfing uns eine Finsternis, die ich mit keiner mir bekannten Sprache in Worte fassen kann.“


Carter war sich nicht sicher, ob die lange, überspitzte Geschichte des Taxifahrers ihn zu sehr in ihren Bann gezogen hatte, oder ob ihm sein Verstand bereits zunehmend Streiche spielte. Doch plötzlich, ohne jegliche Vorwarnung, umfing ihn und die anderen Insassen des Wagens, die pechschwarze Dunkelheit eines dichten Waldes. Wie aus dem Nichts heraus schien er erschienen zu sein. Es war als hätte das Fahrzeug die Schwelle zu einer anderen Dimension passiert. Carters mulmiges, ungutes Gefühl wuchs zu einem deutlichen Unbehagen an und seine Zweifel an der ganzen Sache wuchsen ins Unermessliche. „Lass uns umkehren, Wilbur.“, flehte Carter noch einmal. „Wir suchen uns ein Hotel in der Stadt und fliegen Morgen zurück nach Arkham.“
Doch Wilbur lächelte nur amüsiert zurück. „Seit wann bist du denn so ein Abergläubischer Typ, mein Freund?“, lachte er beinahe gehässig. „Lässt du dir von so einem kleinen Wäldchen bereits so einen Schrecken einjagen? Archäologie erfordert Mut!“
Aber irgendwie wirkte dieses „kleine Wäldchen“ auf Carter alles andere als gewöhnlich. Diese Bäume schienen allesamt hunderte, ja wenn nicht sogar tausende Jahre lang hier zu stehen. Niemand vermochte zu ahnen, wie viel Menschheitsgeschichte sie wohl überdauert haben mussten. Und doch konnte Carter sich einfach nicht erklären, was mit ihnen nicht stimmte. Auf irgendeine ihm unbegreifliche Weise wirkten sie schauderhaft verdreht und verformt und die Bewegungen ihrer Äste schienen nicht dem gewöhnlichen Wiegen im Wind zu entsprechen. Beinahe war es Carter, als würden sie einen gottlosen, schauerlichen Tanz aufführen. Doch vielleicht hatte Wilbur ja Recht und er spann sich wirklich nur albernen Unsinn zusammen. Zumindest sollte ihn dieser Gedanke für einen Moment lang zur Ruhe bringen.
Mehrere heftige Rucke erschütterten das Taxi, gefolgt von einem lauten andauernden Dröhnen und Poltern, als die Straße vor ihnen sich mehr und mehr in einen mittelalterlichen Steinweg verwandelte, welcher offenbar schon seit Jahrzehnten nicht mehr gepflegt oder gar ausgebessert wurde. Und als wollte das Radio des Wagens in die dröhnende Sinfonie einstimmen, begann die leise Musik plötzlich zu stottern, bis es nur noch ein nervenaufreibendes, monotones Rauschen von sich gab.
„Was für ein verfluchtes Loch!“, fluchte der Taxifahrer wütend. „Sehen Sie? Nicht einmal das Radio empfängt hier noch etwas von der Außenwelt. Und Handyempfang können Sie hier getrost vergessen, soviel ist sicher.“
Kaum ein Lichtstrahl wagte sich durch das Dickicht aus knorrigem, wirrem Geäst und Blattwerk und die wenigen die es taten, tauchten den Wald in ein unwirkliches Zwielicht, welches Carter in Zweifel versetzte, ob das war er sah, überhaupt Realität war. Unnatürlich um die Baumstämme geschlungene Nebelschwaden schlichen lautlos über den Waldboden hinweg wie ein hungriges Raubtier auf der Jagd nach Beute. Bald schon, war es um Carters Sinne so sehr geschehen, dass er sich sogar einbildete der Nebel würde Tentakelartige Auswüchse bilden, die sich an den dürren, verdrehten Stämmen festklammerten und verzweifelt versuchen würden, sich daran herauf zu ziehen, wie ein Ertrinkender, der sich an ein Rettungsboot klammert. Und als Carter anfing, schwarze Silhouetten von menschlicher Gestalt zwischen den Bäumen zu erkennen, die ihn mit ihren Blicken verfolgten, gab er es schließlich gänzlich auf, überhaupt noch aus dem Fenster schauen zu wollen.
„Auf was habe ich mich da nur eingelassen?“, fluchte er leise flüsternd vor sich hin und senkte seinen Blick starr nach unten, hoffend, dass der unheimliche Spuk bald sein Ende nehmen würde.
Tatsächlich sollte es nicht mehr lange dauern, bis der Wagen nun mit donnerndem Gepolter und noch immer viel zu hoher Geschwindigkeit aus dem gespenstischen Wald heraus schoss und der Fahrer mit teils erleichtertem, teils drohendem Unterton bekannt gab: „Dort! Da vorn ist es. Dunheim.“
Ein bloßer Reflex veranlasste Carter dazu, beinahe gegen seinen eigenen Willen den Kopf zu heben und einen Blick voraus zu wagen. Nach all den Eindrücken, die bereits auf seiner Seele lasteten, hätte ihn nichts mehr verwundern sollen. Dennoch passte der Anblick, der sich ihm nun bot in kein Bild, das sich sein erwartungsvoller Verstand hätte ausmalen können. Selbst die ältesten, verwinkeltsten Seitengassen Arkhams mit ihren Jahrhunderte alten Gebäuden im Kolonialstil waren nichts gegen die windschiefen, mittelalterlichen Fachwerkbauten, die ihn nun bald umgaben. Verwitterung und Verfall waren an jedem einzelnen Haus deutlich zu erkennen. Dennoch schien dies niemanden zu kümmern. Scheinbar ließ man die Zeit hier einfach gewähren, ohne auch nur einen Gedanken daran zu verschwenden, irgendetwas instand zu halten.
Kalte, emotionslose Blicke trafen den Wagen. Jalousien schnellten herunter, Fensterläden schlugen zu und die wenigen Gestalten, die sich in den Gärten herumtrieben, zogen sich eilig in ihre Häuser zurück.
Plötzlich machte das Taxi eine abrupte Bremsung und kam ohne Vorwarnung zum Stehen. Carter wurde mit Kraft in seinen Gurt hinein gedrückt.
„Wissen sie was?“, sprach der Fahrer nun hektisch und mit einem heimlichen Zittern in der Stimme. „Die letzten paar Euro sind mir egal. Weiter als bis hier hin bringen mich keine zehn Pferde in dieses Teufelsdorf hinein!“
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Nachtvogel
Geschlecht:weiblichLeseratte

Alter: 32
Beiträge: 117
Wohnort: Münster


Beitrag23.09.2022 21:33

von Nachtvogel
Antworten mit Zitat

Hallo Chris,

entschuldige bitte, dass ich mich so lange nicht gemeldet hatte. Ich bin aber weiterhin an Fortsetzungen interessiert und kommentiere auch gern weiter. Wink
Ich habe gerade den dritten Teil gelesen, deshalb möchte ich erst noch ein paar Kommentare dazu (und zu deiner Diskussion darüber mit Omega) geben, bevor ich dann gleich noch den vierten Teil lese.

Da ich mich ja bei deinem Text bisher so auf die Perspektive konzentriert habe, mache ich damit einfach mal weiter. Laughing Ich habe den dritten Teil so interpretiert, dass er aus Carters Sicht erzählt wird. Das merkt man z.B. hier:
ChrisPhoenix hat Folgendes geschrieben:
Um der Wahrheit Ausdruck zu verleihen, musste Carter sich eingestehen, dass es bloße Faulheit und Lethargie waren, die ihn sich gegen diesen Ausflug sträuben ließen. Er konnte sich förmlich die schier grenzenlose Langeweile ausmalen, die solch eine lange Reise bedeuten würde.

Hier werden eindeutig Gedanken und Gefühle von Carter beschrieben. Auch hier merkt man eindeutig, dass es aus Carters Sicht erzählt ist:
Zitat:
In Wilburs Augen funkelte ein Ehrgeiz, wie ihn Carter noch nie erlebt hatte.

Da Wilbur das Funkeln in seinen Augen nicht selbst sehen kann, kann es nicht aus Wilburs Sicht erzählt sein, sondern wird von Carter so gesehen.
Ich denke, das ist auch genau das, was du als Perspektive angepeilt hast, denn du hattest ja vorher auch schon die Textstellen, in denen Vorausdeutungen mit Carters späterem Wissen eingebracht wurden. An einzelnen Stellen klappt das mit der beabsichtigten Perspektive von Carter aber nicht ganz, z.B. in unmittelbarem Anschluss:
Zitat:
Ja nicht einmal während der seltsam grotesken Experimente, die er aus dem Necronomicon entnahm und zuweilen heimlich des Nachts mit Carter gemeinsam durchführte, die jedoch stets in Blitz und Rauchschwaden hervorbringenden Fehlschlägen endeten, lag Wilbur solch ein Funkeln in den Augen. Nicht genug des Ehrgeizes und des Tatendranges jedoch, um sich allein auf solch eine Reise zu begeben. Dieses Wagnis erschien dem angehenden Archäologen dann doch ein klein wenig zu groß.

Hier werden die Perspektiven ein bisschen vermischt, denn die letzten zwei Sätze geben eher das Innenleben von Wilbur wieder (wenn auch vielleicht ein bisschen distanzierter als oben das Innenleben von Carter beschrieben wurde).
Ähnliche Vermischungen gibt es dann noch einmal weiter unten. Der Teil im Flugzeug zeichnet sich zunächst wieder klar durch Carters Perspektive aus:
Zitat:
Wilbur dagegen schien von alledem nicht die geringste Notiz zu nehmen.

Wilbur "scheint" keine Notiz zu nehmen - das ist das, was Carter von außen so wahrnimmt. Wenn es Wilburs Sicht wäre, dann müsste man ja nicht das Verb "scheinen" benutzen. Kurz darauf kommt allerdings ein Satz, der eindeutig aus der Perspektive von Wilbur erzählt ist, denn Carter könnte das so gar nicht wissen:
Zitat:
Daher verwunderte es nicht, dass für Wilbur der Flug wie in einem einzigen Wimpernschlag verging.

Das ist nur das, was mir in Bezug auf die Perspektive aufgefallen ist. Ich weiß nicht, ob ich es schon einmal hier im Thread geschrieben hatte, aber ich muss dazu sagen, dass die Sache mit der Perspektive natürlich auch immer Sache des Autors ist. Natürlich kannst du dich als Autor dafür entscheiden, beide Perspektiven in den Text einzubringen. Das könnte theoretisch sogar ein Stilmittel sein. Es ist nur etwas, das mir sehr auffällt. In deinem Text sind das aber sowieso nur kleine Stellen; ist nicht so, dass das stark stören würde.


Den meisten der Anmerkungen von Omega zum sprachlichen Ausdruck schließe ich mich an. Besonders dieser hier:
omegaMk13 hat Folgendes geschrieben:
Weiters, dass Wilbur (seine eigenen?) Spinnereien aus Büchern 'herausliest' – herauslesen kann man Sinn oder eine bestimmte Interpretation.

Genau über die Formulierung mit dem "Herauslesen" bin ich auch gestolpert. Wenn er Spinnereien "herauslesen" würde, dann wären die Spinnereien schon in dem Buch verankert; das sind sie aber, so wie ich das verstanden habe, nicht, sondern sie entstammen rein seinen eigenen Gedanken und werden durch das Buch nur ausgelöst.

Dieser Anmerkung von Omega schließe ich mich jedoch nicht an:
omegaMk13 hat Folgendes geschrieben:
Zitat:
Gräser und Gebüsch wucherten willkürlich auf beiden Seiten der Straße und überragten ein ums andere Mal sogar den Wagen selbst, sodass die umliegende Landschaft für Carters und Wilburs Blicke gänzlich verborgen blieb.

Gräser und Gebüsch haben keinen Willen.

Ich fand die Formulierung mit "willkürlich" gerade gut. Deshalb versuche ich jetzt mal (ähnlich wie Omega es angeregt hatte), stellvertretend für dich die ursprüngliche Formulierung zu verteidigen. Laughing Also: Natürlich haben Gräser und Gebüsch keinen Willen, aber könnte man nicht zu dem Gegenvorschlag "ungehemmt" ebenso gut sagen, dass Gräser und Gebüsch keine Hemmungen haben? Beide Wörter könnten metaphorisch gelesen werden und ich fände beide Wörter gleichermaßen gut. Wäre aber sicher interessant, noch weitere Meinungen dazu zu hören.

Zum Schluss noch zu deiner Frage:
Zitat:
Je öfter ich nämlich meine Texte Probe lese, desto unsinniger erscheinen sie mir und meine eigenen Zweifel sorgen dann dafür, dass ich am liebsten alles "verschlimmbessern" oder "zu Tode korrigieren" möchte. Geht das auch anderen so? Und woher weiß ich, wann ich auf mein Bauchgefühl hören sollte und wann es doch besser ist, es gut sein zu lassen?

Ja, ich kenne das gut! Der einzige Rat, den ich dagegen habe, ist der zeitliche Abstand. Wenn man das Gefühl hat, der Text ergibt so gar keinen Sinn mehr, ist es nach meiner Erfahrung tatsächlich am besten, mehrere Wochen gar nicht mehr reinzuschauen und dann mit frischem Blick noch einmal. Einen besseren Tipp habe ich leider auch nicht...
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Nachtvogel
Geschlecht:weiblichLeseratte

Alter: 32
Beiträge: 117
Wohnort: Münster


Beitrag23.09.2022 22:14

von Nachtvogel
Antworten mit Zitat

So, jetzt zum vierten Teil. Jetzt wird es ja richtig spannend! Gefällt mir sehr gut Smile

ChrisPhoenix hat Folgendes geschrieben:
(Der in kursiv geschriebene Teil stellt wieder einen Szenenwechsel dar. Ich hoffe das ist hier im Forum Schrifttechnisch gut erkennbar.)

Ja, das ist super! Der kurze Wechsel hin zur Rahmenhandlung gefällt mir gut.


Zitat:
„Hier, das wird ihre Nerven beruhigen.“, sprach Dr. Clemmons ihm Mut zu und reichte Carter eine heiße Tasse Tee, welche er begierig in einem Zug leerte.

War er nicht am Anfang noch "Professor" Clemmons?

Zitat:
Doch plötzlich, ohne jegliche Vorwarnung, umfing ihn und die anderen Insassen des Wagens, die pechschwarze Dunkelheit eines dichten Waldes. Wie aus dem Nichts heraus schien er erschienen zu sein.

Irgendwie zu viel "schien" in einem Satz.

Zitat:
Carters mulmiges, ungutes Gefühl wuchs zu einem deutlichen Unbehagen an und seine Zweifel an der ganzen Sache wuchsen ins Unermessliche.

Und hier zu viel "wuchs". Laughing

Zitat:
„Lass uns umkehren, Wilbur.“, flehte Carter noch einmal. „Wir suchen uns ein Hotel in der Stadt und fliegen Morgen zurück nach Arkham.“

War Carter vorher auch schon so verzweifelt, dass er gefleht hat? Es ist herübergekommen, dass ihm unbehaglich war, aber eine so tiefe Verzweiflung habe ich glaube ich noch nicht wahrgenommen (oder ich habe es nicht mehr richtig in Erinnerung).

Zitat:
Niemand vermochte zu ahnen, wie viel Menschheitsgeschichte sie wohl überdauert haben mussten hatten.


Zitat:
Und doch konnte Carter sich einfach nicht erklären, was mit ihnen nicht stimmte. Auf irgendeine ihm unbegreifliche Weise wirkten sie schauderhaft verdreht und verformt und die Bewegungen ihrer Äste schienen nicht dem gewöhnlichen Wiegen im Wind zu entsprechen.

Das Bild mag ich!

Zitat:
Mehrere heftige Rucke erschütterten das Taxi, gefolgt von einem lauten andauernden Dröhnen und Poltern, als die Straße vor ihnen sich mehr und mehr in einen mittelalterlichen Steinweg verwandelte, welcher offenbar schon seit Jahrzehnten nicht mehr gepflegt oder gar ausgebessert wurde.

Vielleicht statt "verwandeltete" eher: "...mehr und mehr in einen mittelalterlichen Steinweg überging"? Sonst denkt man evtl. an eine echte Verwandlung.

Zitat:
Und als Carter anfing, schwarze Silhouetten von menschlicher Gestalt zwischen den Bäumen zu erkennen, die ihn mit ihren Blicken verfolgten, gab er es schließlich gänzlich auf, überhaupt noch aus dem Fenster schauen zu wollen.
„Auf was habe ich mich da nur eingelassen?“, fluchte er leise flüsternd vor sich hin und senkte seinen Blick starr nach unten, hoffend, dass der unheimliche Spuk bald sein Ende nehmen würde.

Um vielleicht noch einmal auf meinen Kommentar oben zum Thema "Verzweiflung" Bezug zu nehmen... Vielleicht kann ich hier noch einmal deutlich machen, wie die Emotionen von Carter auf mich wirken. Dann kannst du prüfen, ob das so ist, wie du es beabsichtigt hast. Die Formulierungen "hoffend, dass der Spuk bald sein Ende nehmen würde" und "gab er es schließlich gänzlich auf, überhaupt noch aus dem Fenster schauen zu wollen" legen eine gewisse Resignation vonseiten Carters nahe, aber keine Verzweiflung. Er ergibt sich sozusagen seinem Schicksal; er fühlt sich unbehaglich, aber es ist nicht so, dass in ihm große Furcht ausbricht. Das funktioniert für mich so, aber entspricht eben von der Gefühlslage her nicht dem oben stehenden "Flehen". Schau einfach mal, ob das so deiner Intention entspricht.

Zitat:
Carter wurde mit Kraft in seinen Gurt hinein gedrückt.

"Mit Kraft" hört sich für mich seltsam an. Mir fällt nur gerade auch kein besserer Ausdruck ein Rolling Eyes

Ich mag deine Geschichte wirklich sehr und freue mich auf den nächsten Teil! Finde die Textarbeit hier auch sehr angenehm. Und muss endlich mal anfangen, Lovecraft zu lesen!

Liebe Grüße
Nachtvogel
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omegaMk13
Wortedrechsler


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Wohnort: Wien


Beitrag24.09.2022 12:49

von omegaMk13
Antworten mit Zitat

Nachtvogel hat Folgendes geschrieben:
Deshalb versuche ich jetzt mal (ähnlich wie Omega es angeregt hatte), stellvertretend für dich die ursprüngliche Formulierung zu verteidigen. Laughing Also: Natürlich haben Gräser und Gebüsch keinen Willen, aber könnte man nicht zu dem Gegenvorschlag "ungehemmt" ebenso gut sagen, dass Gräser und Gebüsch keine Hemmungen haben? Beide Wörter könnten metaphorisch gelesen werden und ich fände beide Wörter gleichermaßen gut. Wäre aber sicher interessant, noch weitere Meinungen dazu zu hören.


Danke, dass du meinen Vorschlag aufgreifst und gleich in die Tat umsetzt! Smile
Auf deinen Einwand würde ich entgegnen wollen, dass die Situation bei 'ungehemmt' semantisch anders ist, weil der Begriff auch äußere Hemmnisse bezeichnen kann und nicht bloß – analog zur von mir herausgestellten Willkür – innere, also auf psychologischen Prozessen beruhende, die Gräser erwiesenermaßen nicht haben. Mein Alternativvorschlag wäre dann 'ungehindert', wo diese Ambiguität nicht vorliegt.

Zum Text:

ChrisPhoenix hat Folgendes geschrieben:

Carter Harrisons Augen fokussierten für einen kurzen Moment lang wieder den Arzt, der geduldig lauschend vor ihm im Verhörzimmer des Arkham Sanitarium saß.

'für einen Moment lang' ist, glaube ich, redundant. 'einen kurzen Moment lang' oder 'für einen kurzen Moment'.

Zitat:

Sein Herz raste, dass es ihm in der Brust schmerzte KOMMA und mit verschränkten Armen versuchte er vergebens, die heftig zitternden Hände zu verbergen.

Auch auf die Gefahr hin, das wieder zu überanalysieren (und bitte wieder ruhig Gegenpositionen zu meiner sicher eingeschränkten Perspektive): Ich kann mich nicht erinnern, dass mir die Brust schon einmal vom schnellen Herzschlag wehgetan hätte. Ich versuche gerade, mir das vorzustellen, weil das Bild bzw. das Gefühl für mich irgendwie nicht stimmig ist und ich mit Herzrasen zwar ein unangenehmes Gefühl, aber nicht Schmerz assoziiere. Aber vielleicht bin ich noch nicht munter genug ...
Was mir an dieser Stelle sehr gut gefällt: Carters Hände zittern, und obwohl er schon im Sanatorium ist und offenbar halb wahnsinnig, hat er in diesem lichten Moment den Impuls, sie vor dem Arzt zu verstecken. Das ist ein spannendes Detail, finde ich!

Zitat:

 „Hier, das wird ihre Nerven beruhigen.“, sprach Dr. Clemmons ihm Mut zu und reichte Carter eine heiße Tasse Tee, welche er begierig in einem Zug leerte.

'dieser', genau genommen.
Er leert eine heiße (!) Tasse Tee, ohne sich zu verbrennen oder zumindest zu verschlucken? Gut, lasse ich mir für einen durch Wahnsinn sensorisch beeinträchtigen Menschen einreden, aber dass der Arzt das nicht zumindest irgendwie kommentiert oder darauf reagiert?

Zitat:
die ich mit keiner mir bekannten Sprache in Worte fassen kann.“

Lovecraft at his best Cool
Ich würde hier nur anmerken, dass er es auch in keiner ihm unbekannten Sprache ausdrücken kann. 'mit keiner Sprache, zu der wir fähig sind' oder 'die uns vertraut ist'.

Zitat:
die pechschwarze Dunkelheit eines dichten Waldes. Wie aus dem Nichts heraus schien er erschienen zu sein.

'pechschwarz' würde ich nicht mit einem Wald assoziieren; den könnte er ja dann gar nicht mehr sehen.
Weiters Wortdoppelung, vllt. 'schien er aufgetaucht'.

Zitat:
„Seit wann bist du denn so ein abergläubischer Typ, mein Freund?“, lachte er beinahe gehässig. „Lässt du dir von so einem kleinen Wäldchen bereits so einen Schrecken einjagen? Archäologie erfordert Mut!“

Dreimal 'so' in knapper Folge.

Zitat:
Niemand vermochte zu ahnen, wie viel Menschheitsgeschichte sie wohl überdauert haben mussten.

Er ahnt es doch eigentlich schon, im Vorsatz, oder?

Zitat:
Mehrere heftige Rucke erschütterten das Taxi, gefolgt von einem lauten KOMMA andauernden Dröhnen und Poltern, als die Straße vor ihnen sich mehr und mehr in einen mittelalterlichen Steinweg verwandelte, welcher offenbar schon seit Jahrzehnten nicht mehr gepflegt oder gar ausgebessert wurde.

Du meinst 'lang andauernd', nehme ich an; so, wie es da steht, könnte es auch 'andauernd' i.S.v. 'wiederholt' heißen.
Unten würde ich 'ausgebessert worden war' schreiben.

Zitat:
Und als wollte das Radio des Wagens in die dröhnende Sinfonie einstimmen, begann die leise Musik plötzlich zu stottern, bis es nur noch ein nervenaufreibendes, monotones Rauschen von sich gab.

Vllt. besser 'Kakophonie'?

Zitat:
„Was für ein verfluchtes Loch!“, fluchte der Taxifahrer wütend. „Sehen Sie? Nicht einmal das Radio empfängt hier noch etwas von der Außenwelt. Und Handyempfang können Sie hier getrost vergessen, so getrennt viel ist sicher.“

Wortwiederholung.

Zitat:

Kaum ein Lichtstrahl wagte sich durch das Dickicht aus knorrigem, wirrem Geäst und Blattwerk und die wenigen die es taten, tauchten den Wald in ein unwirkliches Zwielicht, welches Carter in Zweifel versetzte, ob das Komma was er sah, überhaupt Realität war.

s. meine Anmerkung zu 'willkürlich'. Das Bild vom Wald hier finde ich richtig gelungen und deutlich greifbarer und nachvollziehbarer als die pechschwarze Finsternis von oben!

Zitat:

Unnatürlich um die Baumstämme geschlungene Nebelschwaden schlichen lautlos über den Waldboden hinweg wie ein hungriges Raubtier auf der Jagd nach Beute.

Auch das finde ich sehr gelungen! Ich habe mich erst kürzlich mit einer Freundin über Vergleiche und Personifikationen unterhalten, die ich oft völlig unpassend finde und mich mit den Augen rollen lassen, weil sie mich im Lesefluss stören, aber das hier werde ich ihr als gelungenes Beispiel präsentieren.

Zitat:
Bald schon war es um Carters Sinne so sehr geschehen, dass er sich sogar einbildete Komma der Nebel würde Tentakelartige Auswüchse bilden, die sich an den dürren, verdrehten Stämmen festklammerten und verzweifelt versuchen würden, sich daran herauf zu ziehen wie ein Ertrinkender, der sich an ein Rettungsboot klammert.

Hier würde ich die 'würde's tilgen (und das 'bilden' ersetzen, um die Wiederholung zu vermeiden): 'einbildete, der Nebel brächte Auswüchse hervor, die sich festklammerten und versuchten'.

Zitat:
Ein bloßer Reflex veranlasste Carter dazu, beinahe gegen seinen eigenen Willen den Kopf zu heben und einen Blick voraus zu wagen.

Eigentlich nicht nur beinahe, oder?

Zitat:
Scheinbar ließ man die Zeit hier einfach gewähren, ohne auch nur einen Gedanken daran zu verschwenden, irgendetwas instand zu halten.

'Anscheinend'.

Zitat:
die wenigen Gestalten, die sich in den Gärten herumtrieben, zogen sich eilig in ihre Häuser zurück.

Ich mag das Bild von Leuten, die in ihren eigenen Gärten den Eindruck erwecken, als gehörten sie dort nicht hin.

Zitat:
Plötzlich machte das Taxi eine abrupte Bremsung und kam ohne Vorwarnung zum Stehen. Carter wurde mit Kraft in seinen Gurt hinein gedrückt.

Redundant.
Statt 'mit Kraft' vllt. 'wurde gepresst' oder 'mit Wucht'.

Zitat:
Weiter als bis hier hin bringen mich keine zehn Pferde in dieses Teufelsdorf hinein!“

Ist für mich abgedroschen. Du könntest überlegen, ob der Taxifahrer nicht vielleicht eine zeitgemäßere Formulierung dafür findet – aber vielleicht ist er auch vom alten Schlag.
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ChrisPhoenix
Geschlecht:männlichGänsefüßchen

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Beitrag26.09.2022 14:26

von ChrisPhoenix
Antworten mit Zitat

Vielen Dank, dass ihr euch die Mühe macht, meine Geschichte so ausführlich zu analysieren und zu beurteilen! Das bedeutet mir wirklich viel!

Zitat:
Ich habe den dritten Teil so interpretiert, dass er aus Carters Sicht erzählt wird.


@Nachtvogel: Du sprichst die Perspektive an verschiedenen Punkten an. Ich fasse meine Absicht aber hier kurz zusammen: Die ganze Geschichte ist natürlich trotz der "Sicht von Außen" also z.B. durch die Erzählung in dritter Person eigentlich aus Carters Sicht erzählt. Er berichtet ja dem Professor in der Anstalt was er erlebt hat. Da hast du vollkommen recht. Jedoch habe ich mir hin und wieder erlaubt einen kleinen Einblick in Wilburs Gedanken und Gefühle mit einzubauen, da ich denke, dass zwischen den Beiden ein gewisser Austausch stattfinden kann, den man eventuell voraussetzen kann, ohne dass es in der Geschichte speziell erwähnt wird.
Beispiel: Während eines Fluges, der über Zehn Stunden dauert, findet sicherlich auch mal ein Gespräch statt, ohne, dass es vielleicht groß erwähnenswert ist. Genauso könnte die Stewardess Carter Nüsse angeboten haben etc. Wäre es dann nicht in Ordnung, zu erwähnen, dass für Wilbur der Flug so rasch vorbei ging, wenn Carter (aus seiner Sicht) darüber völlige Gewissheit hat? Ich finde da kann man ruhig mal bei der Perspektive "schummeln", um dem andren Charakter auch etwas Leben einzuhauchen. Oder denkst du nicht?

Zitat:
Ja, ich kenne das gut! Der einzige Rat, den ich dagegen habe, ist der zeitliche Abstand. Wenn man das Gefühl hat, der Text ergibt so gar keinen Sinn mehr, ist es nach meiner Erfahrung tatsächlich am besten, mehrere Wochen gar nicht mehr reinzuschauen und dann mit frischem Blick noch einmal. Einen besseren Tipp habe ich leider auch nicht...


Dafür danke ich dir sehr! Das sind genau die Art von Tipps, nach denen ich suche!

Zitat:
Er ergibt sich sozusagen seinem Schicksal; er fühlt sich unbehaglich, aber es ist nicht so, dass in ihm große Furcht ausbricht. Das funktioniert für mich so, aber entspricht eben von der Gefühlslage her nicht dem oben stehenden "Flehen". Schau einfach mal, ob das so deiner Intention entspricht.


Ja ganz genau! Nein "noch" ist Carter nicht verzweifelt. Er resigniert an dieser Stelle aber. Und das ist auch genau das, was ich ausdrücken wollte. Du legst einfach das Wörtchen "Flehen" zu sehr auf die Goldwaage. Hierbei handelt es sich wieder nur um meine überspitze Art und Weise. Ich hätte auch einfach "Bitten" schreiben können (und da das so viel unterschied zu machen scheint, werde ich das auch dementsprechend ändern.)

Nun zu Omega: Vielen Dank auch dir! Deine Hilfe ist wirklich von großem Wert!

Zitat:
Ich kann mich nicht erinnern, dass mir die Brust schon einmal vom schnellen Herzschlag wehgetan hätte.


Mir schon! Tatsächlich beruht diese Beschreibung auf persönlicher Erfahrung.

Zitat:
Er leert eine heiße (!) Tasse Tee, ohne sich zu verbrennen oder zumindest zu verschlucken?


Auch möglich! Besonders unter Stress denke ich. "Heiß" ist für mich nicht gleich "brennend heiß". Man kann ja auch eine heiße Suppe löffeln ohne sich daran zu verbrennen. Da gibt es glaube ich schon einen gewissen Spielraum.

Zitat:
Du meinst 'lang andauernd', nehme ich an


Ja meine ich. Und da deine Annahme richtig ist, ist die Ausdrucksweise dann nicht in Ordnung? Wenn du verstanden hast, was gemeint war, werden es doch andere Leser auch?


Zitat:
Auch das finde ich sehr gelungen! Ich habe mich erst kürzlich mit einer Freundin über Vergleiche und Personifikationen unterhalten, die ich oft völlig unpassend finde und mich mit den Augen rollen lassen, weil sie mich im Lesefluss stören, aber das hier werde ich ihr als gelungenes Beispiel präsentieren.


Vielen vielen Dank! (Bewusste Wortwiederholung! Laughing )


Zitat:
Eigentlich nicht nur beinahe, oder?


Kann man völlig gegen seinen Willen den Kopf heben? Es sei denn jemand zieht ihn mit physischer Gewalt nach oben, versteht sich. Ein gewisser eigener Wille steckt in jeder Bewegung, die wir tun, denke ich? Deshalb eben nur "beinahe".

Zitat:
Statt 'mit Kraft' vllt. 'wurde gepresst' oder 'mit Wucht'.


"Wucht" klingt tatsächlich besser! Danke!

Zitat:

Ist für mich abgedroschen. Du könntest überlegen, ob der Taxifahrer nicht vielleicht eine zeitgemäßere Formulierung dafür findet – aber vielleicht ist er auch vom alten Schlag.


Ey! Ich rede selbst noch so und ich bin 35! Laughing  Aber vielleicht bin ich ja auch nur vom alten Schlag...
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omegaMk13
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Beitrag26.09.2022 15:32

von omegaMk13
Antworten mit Zitat

ChrisPhoenix hat Folgendes geschrieben:


@Nachtvogel: Du sprichst die Perspektive an verschiedenen Punkten an. Ich fasse meine Absicht aber hier kurz zusammen: Die ganze Geschichte ist natürlich trotz der "Sicht von Außen" also z.B. durch die Erzählung in dritter Person eigentlich aus Carters Sicht erzählt. Er berichtet ja dem Professor in der Anstalt was er erlebt hat. Da hast du vollkommen recht. Jedoch habe ich mir hin und wieder erlaubt einen kleinen Einblick in Wilburs Gedanken und Gefühle mit einzubauen, da ich denke, dass zwischen den Beiden ein gewisser Austausch stattfinden kann, den man eventuell voraussetzen kann, ohne dass es in der Geschichte speziell erwähnt wird.
Beispiel: Während eines Fluges, der über Zehn Stunden dauert, findet sicherlich auch mal ein Gespräch statt, ohne, dass es vielleicht groß erwähnenswert ist. Genauso könnte die Stewardess Carter Nüsse angeboten haben etc. Wäre es dann nicht in Ordnung, zu erwähnen, dass für Wilbur der Flug so rasch vorbei ging, wenn Carter (aus seiner Sicht) darüber völlige Gewissheit hat? Ich finde da kann man ruhig mal bei der Perspektive "schummeln", um dem andren Charakter auch etwas Leben einzuhauchen. Oder denkst du nicht?


Um hier einzuhaken: Ich lese gerade ein Buch zu Erzählperspektiven. Wie du das handhabst, ist es genau genommen kein personaler Erzähler, sondern ein auktorialer, der nah an Carter dranklebt, aber auch hie und da Einblick in Wilburs Sichtweise ermöglicht. Grundsätzlich ist das nicht 'falsch' oder 'inkonsequent', ich glaube bloß, warum es Nachtvogel und mir so auffällt, ist, weil Wilbur im Vergleich zu Carter deutlich weniger Raum bekommt und daher umso mehr hervorsticht, wenn wir mal was über ihn erfahren.

Zitat:
Zitat:
Ich kann mich nicht erinnern, dass mir die Brust schon einmal vom schnellen Herzschlag wehgetan hätte.


Mir schon! Tatsächlich beruht diese Beschreibung auf persönlicher Erfahrung.


Und ich habe noch überlegt, ob ich mit diesem Kommentar warten soll bis gestern nach dem Halbmarathon, den ich gelaufen bin, um nicht voreilig zu sein Laughing Und ich habe dann während des mühsamsten Teilabschnitts wirklich bewusst in mich hineingehorcht, ob mir dir Brust wehtut, damit ich hier eventuell ein entsprechendes Edit vornehmen kann, ohne dass du es merkst. Aber dem war nicht so – und jetzt hast du doch deine Position verteidigt, gratuliere! Ich habe das ja deshalb angemerkt, um dein Augenmerk drauf zu lenken, wie bewusst die Formulierung getroffen wurde, also ob da wirklich konkret etwas dahintersteht oder es eine phraseologische Übernahme von anderswo ist (und das auch nicht deinetwegen, sondern weil mir das selbst viel zu oft passiert Rolling Eyes )

Zitat:
Zitat:
Er leert eine heiße (!) Tasse Tee, ohne sich zu verbrennen oder zumindest zu verschlucken?


Auch möglich! Besonders unter Stress denke ich. "Heiß" ist für mich nicht gleich "brennend heiß". Man kann ja auch eine heiße Suppe löffeln ohne sich daran zu verbrennen. Da gibt es glaube ich schon einen gewissen Spielraum.

Gut, eine Suppe kann man löffeln, er stürzt ja eine ganze Tasse hinunter, das würde ich nicht schaffen, auch wenn der Tee nicht brennend heiß ist – daher mein Stolpern an dieser Stelle.

Zitat:
Zitat:
Du meinst 'lang andauernd', nehme ich an


Ja meine ich. Und da deine Annahme richtig ist, ist die Ausdrucksweise dann nicht in Ordnung? Wenn du verstanden hast, was gemeint war, werden es doch andere Leser auch?

Ich finde es hier zu ambig, das wollte ich damit ausdrücken, weil 'andauernd' eben 'wiederholt' heißen kann; vllt. kannst du es durch 'kontinuierlich' oder 'konstant' ersetzen, damit es eindeutig wird.


Zitat:
Zitat:
Eigentlich nicht nur beinahe, oder?


Kann man völlig gegen seinen Willen den Kopf heben? Es sei denn jemand zieht ihn mit physischer Gewalt nach oben, versteht sich. Ein gewisser eigener Wille steckt in jeder Bewegung, die wir tun, denke ich? Deshalb eben nur "beinahe".

Nein, es gibt reflexhafte Bewegungen, auf die wir keinen Einfluss haben, und ich dachte, es handle sich in dieser Situation um eine – dass, was immer Carter spürt, ihn zwingt, den Kopf zu heben (was ja im Rahmen deiner Geschichte völlig legitim wäre).

Zitat:
Zitat:

Ist für mich abgedroschen. Du könntest überlegen, ob der Taxifahrer nicht vielleicht eine zeitgemäßere Formulierung dafür findet – aber vielleicht ist er auch vom alten Schlag.


Ey! Ich rede selbst noch so und ich bin 35! Laughing  Aber vielleicht bin ich ja auch nur vom alten Schlag...

Tatsächlich? Dann habe ich nichts gesagt Laughing Gut, ich bin auch vom alten Schlag, aber ich würde diese konkrete Phrase nicht verwenden, einfach vielleicht deshalb, weil ich sie schon so oft gelesen habe und daher automatisch daran zweifle, dass jemand tatsächlich so redet – aber in gesprochener Sprache verwenden wir natürlich genug Phrasen, diesbezüglich wollte ich dich gar nicht kritisieren!
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ChrisPhoenix
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Beitrag02.10.2022 11:38

von ChrisPhoenix
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III


Carter und Wilbur realisierten kaum, wie ihnen geschah. In Windeseile hatte der Fahrer sein Geld kassiert und sie mit Nachdruck aus dem Taxi geworfen. Erst die quietschenden Reifen und die aufgewirbelte Staubwolke des abrupt wendenden Fahrzeugs ließen sie wieder zu Sinnen kommen. Binnen eines Wimpernschlages hatte der Wagen kehrt gemacht und war mit Vollgas davon gefahren. Und als hätte der Wald ihn verschlungen, setzte augenblicklich eine so plötzliche Stille ein, dass Carter für einen Moment lang Zweifel bekam, ob das was er gerade erlebt hatte, überhaupt real gewesen war, oder ob sein ausgelaugter Verstand ihm auch dies als einen weiteren Streich vorgespielt hatte.
Zu seinem Glück jedoch, brachte Wilbur rasch Klarheit in seine verwirrten Gedanken. „Du meine Güte, was für ein verdrehter Typ!“, sprach er mit einem heiteren Lachen in der Stimme.
Nun, eingebildet hatte Carter sich die ganze Geschichte sicher nicht, doch was seine Auffassung der Lage betraf, so konnte sie nicht unterschiedlicher zu der Wilburs sein. Keinen Funken der Heiterkeit seines besten Freundes konnte Carter teilen.
„Wie kannst du nur so gelassen bei alledem bleiben?“, beschwerte er sich in zurückhaltendem, fast schon flüsterndem Ton. Aus irgendeinem ihm selbst unerklärlichen Grund, befahl ihm sein Unterbewusstsein, die unheimliche Stille um ihn herum nicht zu stören. „Lass uns lieber zu sehen, dass wir uns auf den Weg machen. Es scheint als würde bald Regen einsetzen.“
Tatsächlich war es, als würde der gesamte Ort in einer grauen und unnatürlich tristen Düsternis liegen. Eine absolut undurchdringliche Wolkendecke lag nunmehr weithin über allem, obgleich doch kurz zuvor noch strahlender Sonnenschein herrschte. Hatte die Fahrt durch den Wald am Ende doch länger gedauert, als Carter gedacht hatte?
„Nun mach dir doch nicht immer so viele Gedanken, mein Freund.“, beschwichtigte Wilbur erneut. „Nun gut, vielleicht hast du Recht. Lass uns sehen, wo wir hier eine Unterkunft finden, bevor wir am Ende vom Regen überrascht werden.“
Mit diesen Worten machte Wilbur sich schließlich auf den Weg, durch die menschenleeren Straßen des Dorfes, ohne großartig auf Carter zu warten. Carter hatte in der Tat große Mühe, mit seinem Freund Schritt zu halten, so sehr war dieser nun von einer neuartigen Energie beflügelt. „Nun warte doch auf mich!“, zischte Carter erbost und genervt, sodass seine Worte gar mit dem Hauch eines Echos von den Häuserwänden widerhallte. Nur um rasch wieder von der ohrenbetäubenden Stille verschlungen zu werden, die über allem lag. Carter begann zu frösteln und er spürte, wie ihm ein eiskalter Schauer über den Rücken lief. Doch nicht das nun kühler gewordene Wetter trug Schuld daran, dessen war Carter sich ganz sicher. Der ganze Ort war von einer schier geisterhaften Leere erfüllt. Nichts und niemand schienen sich zu regen. Kein Lebenszeichen. Kein Vogelgesang in den Bäumen, ja nicht einmal Insekten schwirrten herum, obgleich die Luft zu dieser Jahreszeit von ihnen erfüllt sein sollte.
„Wilbur…“, mahnte Carter so leise er nur konnte. „Findest du diesen Ort denn nicht auch furchtbar gespenstisch? Vielleicht hatte der Taxifahrer ja doch Recht und es geht hier nicht mit rechten Dingen zu!“
„Ach nun lass den Unsinn“, winkte Wilbur ab. „Das hier ist Europa. Die Menschen hier sind eben alle etwas verschrobener als bei uns. Jetzt sieh dir lieber diese Schönheit an!“ Mit großen, leuchtenden Augen verwies Wilbur auf die zahllosen baufälligen Hütten, die sich links und rechts der Straße vor den Beiden aufreihten. „Diese Gebäude müssen viele hundert Jahre alt sein! Ist das nicht phantastisch!?“ Mit einer kindlichen Neugierde in den Augen, wie Carter sie  noch nie bei ihm erlebt hatte, musterte Wilbur jedes einzelne Haus so akribisch er nur konnte, während sie die trostlose, nach morschem Modergeruch riechende Straße durch das Dorf entlang gingen.
Bislang hatte Carter seinen besten Freund nur als antriebslosen Bücherwurm gekannt. Ein Misanthrop, der sich in der Bibliothek der Miskatonic University verkroch und Stunde um Stunde dem Sonnenlicht und der Außenwelt entging. Nun jedoch, war Wilbur McAllister wie ausgetauscht.
Carter kam nun nicht mehr umhin, eine gewisse Bewunderung für den Eifer und Tatendrang seines Freundes zu entwickeln. Natürlich hatte Carter sich diese Reise ganz anders ausgemalt, als sie letzten Endes war, doch war es nicht genau dieser Reiz des Unbekannten und der Herausforderung, der ihn und Wilbur dazu trieb sich der Archäologie überhaupt erst zu widmen?
Es war dumm und naiv von ihm, sich vorzustellen, dass jede einzelne Reise prachtvolle Pyramiden und Tempel zutage fördern würde. Manchmal konnte es eben einfach nur ein modriges, altes Dorf aus mittelalterlicher Zeit sein.
Gewiss hatte Wilbur wieder Recht. So wie er immer Recht hatte, wenn er Carter nach einer erneuten durchzechten Nacht wieder einmal belehrte, er solle sich mehr dem Studium widmen und ihn zwang sich mit den Büchern der Bibliothek zu befassen. So gelang es Carter schließlich, sein aufgebrachtes Gemüt etwas zu Ruhe kommen zu lassen und er nahm sich fortan vor, die Dinge, die ihn erwarten würden, gelassener hin zu nehmen. Folglich sollte er sich auch nicht mehr an den ersten Regentropfen stören, die nun aus dem grauen Himmel fielen und quittierte sie lediglich mit einem amüsierten Lächeln und einem resignierenden Kopfschütteln.
Plötzlich, keiner der beiden hatte jetzt noch damit gerechnet, fanden sie doch noch ein Zeichen von Leben an diesem verlassen wirkenden Ort. Beinahe erschraken Wilbur und Carter gleichermaßen, als sie neben sich, auf einer Veranda reglos sitzend, den alten Mann bemerkten und seine Blicke auf sich spürten. Mit kühlem Stoizismus nahm er den einsetzenden Regen hin und nuckelte verträumt an einer schwarzen, mit seltsamen Verzierungen bedeckten, alten Pfeife.
„Guten Tag.“, sandte Wilbur dem Alten einen Gruß entgegen. Er bekam weder Antwort noch sonst irgendeine Reaktion. „Wir sind auf der Suche nach einer Bleibe für die Nacht. Gibt es hier eine Art Herberge oder dergleichen?“, setzte Wilbur nach, nachdem er einen Moment peinlicher Stille und Verlegenheit hatte passieren lassen. Da endlich regte sich der Mann. Auf seinem Gesicht entstand eine unerklärlich düster grinsende Miene, die Carter großes Unbehagen bereitete und mit einer kraftlosen Geste deutete er mit dem Zeigefinger die Straße herab, bis zu einem grau verputzten Gebäude, welches alle umliegenden Häuser um ein Stockwerk überragte.
Von der ganzen Art dieses alten Kauzes bekam Carter eine Gänsehaut, doch zwang er sich mit ganzer Willenskraft, das mulmige Gefühl in seinem Bauch abzuschütteln. „Die Menschen hier sind eben so.“, redete er sich selbst in Gedanken ein. Sicher war nichts weiter dabei. Nach kurzem aber freundlichem Dank, auf welchen Carter und Wilbur erneut keinerlei Reaktion bekamen, traten sie raschen Schrittes ihren Weg in Richtung ihres nun erkannten Zieles an. Mit jedem Moment wurde der einsetzende Regen stärker und es war Eile geboten, wollten beide nicht in Kürze völlig durchnässt sein. Auch Wilbur beschleunigte seinen Schritt, als ein kühler, beißender Wind ihm ins Gesicht wehte und ein nun drohendes Unwetter ankündigte.

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Nachtvogel
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Beitrag04.12.2022 00:55

von Nachtvogel
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Hallo Chris,
ich sehe gerade, dass es schon zwei Monate her ist, dass du die Fortsetzung eingestellt hast Shocked Ich hab immer gedacht, okay, ich antworte bald, und hab gar nicht gemerkt, wie schnell die Zeit vergangen ist...

ChrisPhoenix hat Folgendes geschrieben:
@Nachtvogel: Du sprichst die Perspektive an verschiedenen Punkten an. Ich fasse meine Absicht aber hier kurz zusammen: Die ganze Geschichte ist natürlich trotz der "Sicht von Außen" also z.B. durch die Erzählung in dritter Person eigentlich aus Carters Sicht erzählt. Er berichtet ja dem Professor in der Anstalt was er erlebt hat. Da hast du vollkommen recht. Jedoch habe ich mir hin und wieder erlaubt einen kleinen Einblick in Wilburs Gedanken und Gefühle mit einzubauen, da ich denke, dass zwischen den Beiden ein gewisser Austausch stattfinden kann, den man eventuell voraussetzen kann, ohne dass es in der Geschichte speziell erwähnt wird.
Beispiel: Während eines Fluges, der über Zehn Stunden dauert, findet sicherlich auch mal ein Gespräch statt, ohne, dass es vielleicht groß erwähnenswert ist. Genauso könnte die Stewardess Carter Nüsse angeboten haben etc. Wäre es dann nicht in Ordnung, zu erwähnen, dass für Wilbur der Flug so rasch vorbei ging, wenn Carter (aus seiner Sicht) darüber völlige Gewissheit hat? Ich finde da kann man ruhig mal bei der Perspektive "schummeln", um dem andren Charakter auch etwas Leben einzuhauchen. Oder denkst du nicht?

Hm, ich finde das tatsächlich nicht so elegant. Ich würde dann eher schreiben: "Carter merkte, dass der Flug für Wilbur rasch vorbei gegangen war." Aber im Endeffekt ist das einfach meine persönliche Vorliebe für den personalen Erzähler und Omega hat ja schon erklärt, dass es bei dir eben ein auktorialer Erzähler ist, und das ist okay.

Jetzt zum nächsten Teil, den du eingestellt hast:

ChrisPhoenix hat Folgendes geschrieben:
Carter und Wilbur realisierten kaum, wie ihnen geschah. In Windeseile hatte der Fahrer sein Geld kassiert und sie mit Nachdruck aus dem Taxi geworfen.

Ich bin mir nicht sicher, ob man "mit Nachdruck" hier sagen kann, vielleicht fällt dir da noch ein anderes Adjektiv ein, oder du lässt es einfach weg.

Zitat:
Nun, eingebildet hatte Carter sich die ganze Geschichte sicher nicht, doch was seine Auffassung der Lage betraf, so konnte sie nicht unterschiedlicher zu der Wilburs sein.

"von Wilbur" wäre hier etwas weniger kompliziert vom Satzbau her.

Zitat:
Tatsächlich war es, als würde der gesamte Ort in einer grauen und unnatürlich tristen Düsternis liegen. Eine absolut undurchdringliche Wolkendecke lag nunmehr weithin über allem, obgleich doch kurz zuvor noch strahlender Sonnenschein herrschte geherrscht hatte. Hatte die Fahrt durch den Wald am Ende doch länger gedauert, als Carter gedacht hatte?

Ich mag die Stimmung, die hier erzeugt wird! Das "geherrscht hatte" (Plusquamperfekt) ist hier die richtige Zeitform, da es sich um die Vorvergangenheit handelt - also etwas, was noch vor der Zeit, über die hier erzählt wird, passiert ist.

Zitat:
„Nun warte doch auf mich!“, zischte Carter erbost und genervt, sodass seine Worte gar mit dem Hauch eines Echos von den Häuserwänden widerhallten.


Zitat:
Mit einer kindlichen Neugierde in den Augen, wie Carter sie  noch nie bei ihm erlebt hatte, musterte Wilbur jedes einzelne Haus so akribisch er nur konnte, während sie die trostlose, nach morschem Modergeruch riechende Straße durch das Dorf entlang gingen.

Vielleicht etwas einfacher: "... die trostlose, nach morschem Modergeruch riechende Dorfstraße entlang gingen"?

Zitat:
Natürlich hatte Carter sich diese Reise ganz anders ausgemalt, als sie letzten Endes war, doch war es nicht genau dieser Reiz des Unbekannten und der Herausforderung, der ihn und Wilbur dazu trieb getrieben hatte, sich der Archäologie überhaupt erst zu widmen?

Dasselbe wie oben mit der Vorvergangenheit.

Zitat:
Da endlich regte sich der Mann. Auf seinem Gesicht entstand eine unerklärlich düster grinsende Miene, die Carter großes Unbehagen bereitete und mit einer kraftlosen Geste deutete er mit dem Zeigefinger die Straße herab, bis zu einem grau verputzten Gebäude, welches alle umliegenden Häuser um ein Stockwerk überragte.

Uhh, das mag ich, diese düster grinsende Miene ist richtig gruselig. Smile

Zitat:
„Die Menschen hier sind eben so.“, redete er sich selbst in Gedanken ein.

Wenn die wörtliche Rede auf einen Punkt endet und danach ein Komma kommt, muss der Punkt gestrichen werden (war weiter oben auch schon einmal).

Wieder einmal sehr gerne gelesen. Die Wesensveränderung von Wilbur ist sehr interessant, und die unheimliche Atmosphäre kommt weiterhin gut rüber. Ich hoffe, du stellst noch mehr ein, auch wenn es mit den Antworten manchmal etwas dauert. Ich bin zumindest immer noch echt neugierig darauf, was denn nun genau dort passiert ist!

Liebe Grüße
Nachtvogel
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