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chaton
Gänsefüßchen
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Beiträge: 32
Wohnort: Duisburg


C
Beitrag05.09.2022 14:24
Uns geht es gut
von chaton
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Chaton

Uns geht es gut


„Sag mal, eigentlich geht es uns doch nicht schlecht. Ich meine, sowohl dir als auch mir.“ – Seine Freundin wusste zwar nicht, worauf er mit dieser Eröffnung hinaus wollte, aber mit einer Mischung aus Schulterzucken und Kopfnicken signalisierte sie vorsichtige Zustimmung. Sie wartete ab, wohl wissend, dass er mit einem Hintergedanken herausrücken würde.

Die beiden saßen im großen Wohnraum ihrer Dachgeschosswohnung mit Loggia unweit des Viktualienmarkts. Die junge Frau hatte es sich in den dicken Sitzkissen ihres Lieblings-Rattansessels bequem gemacht und trank mit kleinen Schlucken einen weißen Tee mit Mango-Zitrone. Ihr Lebensgefährte lagerte gemütlich auf der Couch, hatte den Kopf auf einem weichen Kissen gebettet und stützte sich mit dem rechten Fuß am Boden ab.
Der Frühling ließ auf sich warten und es war zu kühl, um sich in die Loggia zu setzen, obwohl diese südseitig gelegen und recht windgeschützt war.
Er griff zum Glas mit alkoholfreiem Weizenbier, denn er war mit dem Auto da und würde an diesem Abend zurückfahren, nach Hadern, wo er eine kleine Eigentumswohnung besaß.

„Wir haben uns doch unseren Wohlstand erarbeitet. Wir machen gute Jobs und bekommen dafür gutes Geld“, fuhr der junge Mann fort. - „Natürlich. Zweifelst du daran oder glaubst du etwa, uns würde das Geld hinterher geworfen?“ - „Nein, natürlich nicht,“ entgegnete er zögernd. - „Aber?“ - Ja, was wollte er eigentlich sagen? Dass er in einer Glaubenskrise steckte in Sachen Geldverdienen? Dass irgendetwas mit dem Geldverdienen nicht mehr zu stimmen schien? Vielleicht nie gestimmt hatte? Dass er es lange nicht wahrgenommen hatte. Dass er guten Glaubens gewesen war und an das ehrlich verdiente Geld glaubte – wie es ja seine Freundin auch tat. Man gehörte doch zur großen Glaubensgemeinschaft, überzeugt davon, dass das Geld, das einen jeden umgab, auf gutem Glauben und ehrlicher Arbeit fußte und durch das Wirken der Glaubenden vermehrt wurde. Alle, mit denen sie verkehrten, glaubten dies. Und das stimmte ja auch: er tat was für sein Geld, er verdiente es ehrlich, lieferte eine Gegenleistung. Und so war es überall, so entstanden Produkte und Dienstleistungen, die ihren Preis hatten, und in ihrem Gefolge allgemeiner Wohlstand. Aber zugleich war ihm der Gedanke gekommen, dass dieses von ihm ehrlich verdiente Geld in die Kanäle unehrlicher Zwecken abgeleitet wurde. Und er stellte seiner Freundin folgende Frage: „Wie sieht das aus mit der Ehrlichkeit, die in unserem Geld steckt? Wir wissen doch, dass Geld ein Wertspeicher ist. Speichert unser Geld mehr Ehrlichkeit als Unehrlichkeit oder umgekehrt?“ - Seine Freundin schaute ihn entgeistert an. - „Was? Was erzählst du da? Woher sollen wir das wissen? Geld stinkt nicht, sagte mal ein römischer Kaiser, glaube ich.“ -  „Ja“, entgegnete er, „aber man hat auch schon von Geld gehört, an dem Blut klebt. Vielleicht gibt es auch Geld, das die einen systemisch reich macht und die anderen ebenso zwangsläufig arm. Eine Ungleichheit, die über das Geld organisiert und gesteuert wird. Und die systemische Unehrlichkeit besteht darin, diese Ungleichheit dauerhaft zu sichern und ihre Existenz gleichzeitig zu ignorieren oder zu leugnen.“ - Hm, sie konnte sich diesem Gedanken nicht entziehen. - Ja, gestand sie zu, im Geld stecke wohl nicht wenig Ungerechtigkeit. Das hänge wohl mit der Natur vieler moralisch zweifelhafter Deals zusammen, auf deren Basis Geld gemacht werde. Aber das Geld als solches als durch und durch unrechtes Gut zu betrachten. Ob das nicht arg überzogen sei? - Nein, auf diese Spitze wolle er die Sache nicht treiben. Allein schon deshalb nicht, weil es nicht wenige ehrliche Leute gebe, die ehrlich ihr Geld verdienen und es auch für vertretbare Zwecke ausgeben. Diese Menschen könne man in der Tat nicht der Unehrlichkeit bezichtigen. Obwohl er da schon manche Grenzüberschreitung sehe. Sie beide gingen ja recht vernünftig mit ihrem Geld um. Aber sie kenne doch auch andere in ihren Kreisen, die keine geringen Summen beispielsweise in teure Hobbys förmlich verballern. - Nun ja, das sei in der Tat der Luxus. Und sie beide hätten mit Luxus und seinen Gütern nicht so viel am Hut. - Und dennoch schien der Luxus im Geld zu stecken. Irgendwoher musste doch das Geld kommen, um zu luxuriösen Zwecken verwendet zu werden. - Ja, stimmte sie zu, sie gönnten sich einen vertretbaren Wohlstand, ohne Übertreibung. - Und trotzdem, ließ er nicht locker, werden riesige Summen - wie solle man das nennen? Verbraten? Aber es sei ja nicht nur der Luxus. Die astronomischen Rüstungsausgaben weltweit, das sei doch irre. - Na ja, wenn die Staaten nicht zusammenarbeiten wollen, sondern feindselige Politik betreiben, was bleibe da am Ende übrig? - Er versuchte die Schärfe herauszunehmen und erwiderte, dass sie selbst ja wohl nichts am Geld ändern könnten. Aber er sei dabei, seinen guten Glauben, seine Unbefangenheit zu verlieren. Und er habe keine Lust, diesen Glaubensverlust durch Zynismus zu kompensieren. Ob sie ihn verstehe? - Ja, sie könne seine Gedanken verstehen, sie seien nicht von der Hand zu weisen. Und es sei viel Wahres dran. Aber was könne das für sie persönlich bedeuten? Sie seien in ganz normalen Unternehmen tätig, die Geschäfte seien nicht korrupt und schon gar nicht kriminell – Naja, mal abgesehen von kleinen Schattenseiten. Selbst wenn der ganz große Finanzrahmen, in dem sie operierten, bedenklich sei (was sie gar nicht abstreiten möchte), so sei es doch möglich, auch ehrliches Geld zu machen. Oder wolle er das in Zweifel ziehen? - Nein, er meine bloß, dass es vielleicht vorbei sei mit dem blinden, naiven Vertrauen in das gesunde Funktionieren unseres Geldes. - In welche Richtungen sich denn sein Argwohn bewege? - Er dachte einen Moment nach und entgegnete: „Mich plagt seit einiger Zeit der Gedanke, dass unsere Ehrlichkeit systemisch missbrauch wird. Wir sind ehrlich und dienen zugleich einer großen unehrlichen Sache. Die ehrlich Arbeitenden werden als nützliche Idioten missbraucht.“ - Seine Freundin schaute ihn besorgt an. Wie kam er dazu, sich einen solchen Kopf zu machen und Gedanken zu machen über Sphären, in die sie doch gar keinen wirklichen Einblick hatten. - „Glaubst du ewa auch an diese angebliche Verschwörung der Hochfinanz gegen die Menschheit? An dieses sattsam bekannte Bilderberger-Narrativ, das in bestimmten Kreisen zirkuliert?“ - „Nein, natürlich nicht. Das ist doch Unsinn, jedenfalls zum gegenwärtigen Zeitpunkt.“
Er glaube, dass die Unehrlichkeit bei jedem Einzelnen selbst ihren Ursprung habe. Jeder spiele (sofern er nicht wirklich zynisch sei) sehr ehrlich mit seiner eigenen Unehrlichkeit Verstecken. Man könne das mit dem Sündensystem der katholischen Kirche vergleichen. Die Sünder bereuen ehrlich und bilden sich ein, dass sie sich dadurch von ihren Sünden befreit haben. Dabei sündigen sie immer weiter. Eine interessante Schleife sei dies. Offenbar funktioniere sie sehr elegant. - „Ja, aber ist es nicht menschlich gesehen besser so?, entgegnete die Freundin, „der Mensch ist nun mal schwach und sündhaft. Soll er deswegen ständig in Sack und Asche gehen?“ - „Nein, aber die Menschen hatten wenigstens eine Vorstellung von Sündhaftigkeit, ob sie richtig oder falsch war, lasse ich mal dahingestellt. Der heutige Mensch hingegen hat keine Vorstellung von seiner Unehrlichkeit, von seiner Heuchelei usw.“ - Ach, und wie er denn selbst geheuchelt habe, bis er drauf gekommen sei, dass er heuchle, ohne es zu wissen? - Ja, das sei das Ungeheuerliche. Er sei allen Ernstes der Überzeugung gewesen, von Heuchelei frei gewesen zu sein und in völlig transparenten Rahmenbedingungen zu leben, in einem heuchelfreien System. Er könne es selbst nicht begreifen, wie er so ungeheuer systemgläubig habe sein können, dass er die Dimension der vorhandenen und erfolgreich geleugneten Heuchelei ignorieren oder zumindest verharmlosen konnte – in sich selbst und bei den anderen. Und nicht nur in den Menschen, nein, in allen Organisationsformen, mit denen wir uns umgeben und unsere Gesellschaft gestalten. - „Also, wir leugnen und sind überzeugt, dass wir nichts leugnen. Da wir aber irgendwie ‚wissen‘, dass wir etwas leugnen, arbeiten wir unermüdlich daran, das Geleugnete nicht ans Licht kommen zu lassen – ist es das, was dir vorschwebt?“ - „Das ist nicht schlecht formuliert, ja, das ist irgendwie der Kern des Problems.“ Es sei aber nicht unbedingt eine besondere persönliche Heuchelei, sondern eher ein allgemeines Mitheucheln, ein Mitheucheltum, so wie man von Mitläufertum spreche. Ja, die meisten seien Mitläufer beim allgemeinen gesellschaftlichen Heucheln, das ihnen als ganz normal schmackhaft gemacht worden sei. Sie hätten arglos, vielleicht auch naiv zugegriffen und jetzt hätten sie halt diesen Geschmack angenommen. Wir hätten uns darin eingerichtet, die passe uns wie eine zweite Haut.
- Hm, wozu denn so ein verlogenes Verhalten gut sein solle, fragte seine Freundin, wozu so ein gewaltiger Aufwand? Das sei doch eine riesige kollektive Lebenslüge, wenn man seinen Gedanken weiterverfolge. - Ja, jetzt werde die Sache halt politisch. Am Anfang (nach dem letzten Weltkrieg) war die Lüge vielleicht noch klein und wenig einflussreich. Es war die Zeit des Wiederaufbaus und dann des Wirtschaftswunders. Und da gab es doch so einen dicken Wirtschaftsprofessor mit Zigarre, der dann Bundeskanzler wurde – „Du meinst Ludwig Erhard?“ – „Ja, der hatte doch diesen tollen Spruch drauf ´Wohlstand für alle´. Der hat den so glaubhaft vertreten, dass die Leute die Überzeugung gewinnen mussten, dass er selbst dran glaube. Und er war doch auch ein Fachmann. Die freie und soziale Marktwirtschaft galt doch als Mutter aller Redlichkeit und Treu und Glauben. Aber dann wurde sie gefüttert und ist gewachsen, wurde zur kollektiven Lebenslüge und wir machen mit ihr Politik – und zwar recht erfolgreich.“ - Und was seiner Meinung nach unter dem Teppich gehalten werden müsse? – Beispielsweise die als Wahrheit ausgegebene Lüge, dass jeder prinzipiell eine Chance habe, zu den Gewinnern unserer kollektiven Veranstaltung zu gehören. - Das verstehe sie nicht. Warum sei das eine Lüge. Es gebe doch die theoretische Chance für jeden. - Ja, ja, das sei wie die Sache mit dem Marschallstab, den jeder Soldat angeblich im Tornister habe oder die Sache mit den Lottozahlen, wo jeder jede Woche theoretisch sechs Richtige auf seinem Tippschein habe. Das seien wahrscheinlichkeitstheoretische Schönrednereien bar jeglichen Realitätsbezugs. Und ziemlich perfide werde diese Behauptung noch mit dem Satz ergänzt: Wer nicht erfolgreich ist, sei selber schuld. Passend dazu auch der Satz von den Verlierern. Verlierer seien grundsätzlich selbst schuld, weil der Erfolg eben auch ein Geschicklichkeitsspiel sei und die Ungeschickten auf die Verliererseite schicke. Da sei die vom System geforderte Auslese, die den Bestand und den Fortschritt des Systems sichere. Tja, und dann säßen die Minderperformer eben in der Verliererecke und müssten halt schauen, wie sie wieder herauskämen – durch mehr Geschick, durch größere Anstrengung. Aber die Gesellschaft sei ja großzügig und mache immer wieder (Schein-)Angebote. Es laufe also alles bestens. Komischerweise werde die Verliererecke immer größer, dort knubbelten sich die Leute. - Seine Freundin wusste nicht, ob er ernst redete oder sich vielleicht einen Spaß machte. „Wenn man dir so zuhört, sollte man meinen, die Gesellschaft ist bodenlos schlecht und gemein.“ - „Nein“, sagte er, „sie ist nicht schlimmer als jede andere. Nur haben ihre Lügengebilde wieder einen Grad der Überreife erreicht und stinken langsam zum Himmel. Sie produziert systemisch eiskalt menschliches Elend, leugnet dies und instrumentalisiert dieses Elend zum eigenen Erhalt. Letzteres finde ich besonders verwerflich. Kurz: unser ehrlich verdienter Wohlstand hat nur deshalb Bestand, weil ein bestimmter Prozentsatz der Menschen sich über ein subtiles System in die Verelendung aussteuern lassen.“ - „Du meinst allen Ernstes, all diese Arbeitslosen, Sozialhilfeempfänger, an der Armutsgrenze Vegetierenden oder Unterbezahlten usw. sind gewollt?“ - „Ja, es ist nicht anders vorstellbar. Und ich bin wirklich nicht glücklich dabei, auf diese Einsicht geraten zu sein.“ - „Das kann man wohl sagen, das ist ja menschenverachtender Zynismus.“ - „Nun ja, sehr gedämpft und bis zur Unkenntlichkeit weichgespült und geschönt durch tausend gute politische Erklärungen. Ich glaube, wir haben uns unsere Politiker angeschafft, um uns unsere Lügen als hübsche Narrative aufzutischen, die wir gierig schlucken. Das scheint uns zu beruhigen und uns die notwendige Sicherheit zu geben. Schau mal, folgende einfache Überlegung: Wir häufen doch immer mehr Reichtümer an, ich meine, unsere Ökonomie ist doch die reinste Geldmaschine, das ist ja langsam schon unheimlich. Aber gleichzeitig schreitet die Verelendung voran, schleichend, zugleich unter allgemeiner Zustimmung lebhaft geleugnet und vertuscht. Was könnte uns dieser Prozess sagen?“ - „Schwer zu sagen. Jedenfalls gesund ist der nicht. Da muss ich dir Recht geben.“ - „Ich fürchte, wir haben uns eine grundsätzlich gespaltene Gesellschaft geschaffen und kultivieren sie bis zum Erbrechen oder Zerbrechen. Entweder wird sie uns irgendwann anekeln oder ihre Trümmer werden uns um die Ohren geschlagen werden.“

Die junge Frau spürte, dass ihn ein echtes Unbehagen ergriffen hatte. Vielleicht war er auch zu intelligent und zu sensibel, hatte einfach zu viel von all den verdeckten und doch wirkenden Zuständen und Verhältnissen aufgenommen. Ein großes Unwohlsein musste sich in ihm aufgebaut haben.
Er hatte keine Angst vor Unglück und Armut, Dinge, die von Anbeginn in der Welt waren und mit denen man sich auseinandersetzen musste. Nein, hier beschlich ihn das Grauen vor einem auf Lüge und Heuchelei basierendem Elend, vor einer monströsen Realität, die sich jedem Zugriff mit fast diabolischer Geschicklichkeit entzog. Sie war einfach nicht zu packen. Eher würde es gelingen, einen Pudding an die Wand zu nageln.

Ob er nun wahr redete und Recht hatte oder nicht, darüber wollte sie sich kein Urteil erlauben. Aber sie verstand, dass ihm da Dinge am Herzen lagen – und das respektierte sie.
„Ja“, versuchte sie, die Dinge auf ein paar Allgemeinplätze zu verschieben, „das Problem der Gerechtigkeit ist so alt wie die Menschheit. Vielleicht sollest du dich nicht auf all die Ungerechtigkeiten – die sichtbaren und die geschickt getarnten - stürzen wie auf ein rotes Tuch. Davon wird doch nichts besser, aber du nimmst all diese plagenden Vorstellungen auf dich und wirst sie nicht mehr los. Ob das denn sinnvoll ist?“ - Er verstand ihren Wink und ließ vom Thema ab. “Du hast ja Recht. Das Thema der heutigen systemischen Ungerechtigkeit ist vielleicht wirklich zu groß, und wer sie frontal angeht, hat keine Chance und kann sich daran nur eine blutige Nase holen. Es reicht, wenn man nicht ganz abstumpft und das Gespür für unrechte Zustände nicht verliert, vor allem dann, wenn sie ganz offenkundig den Menschen als normal verkauft oder perfide verharmlost werden.“ - Ja, in diesem Punkt habe sie ihn schon verstanden. Sie gebe zu, dass sie sich auch gern einlullen lasse, weil es so praktisch und bequem sei. Die Politiker, die Medien erzählen dem Bürger etwas vor und der nickt bestätigend und findet alles in Ordnung, obwohl die Dinge eben nicht in Ordnung sind. Das sei wohl wahr, aber er wolle den einen skandalösen Punkt nicht loslassen: Es würden sehr bewusst immer neue, systemerhaltende Ungerechtigkeiten erfunden und eingespeist, damit die großen notwendigen Gleichgewichte auch ja schön erhalten blieben. Und er fügte hinzu: „Wir haben vielleicht eine rote Linie überschritten in unserer Selbstgerechtigkeit. Wir organisieren Unrecht und leugnen unser Treiben mit aller Macht. Das ist gefährlich.“ - „Das berühmte X für ein U?“ - „Ja, kann man wohl sagen. Was wir so alles unter dem Begriff der wachsenden sozialen Ungleichheiten zusammenfassen, ist eigentlich systemisch bewirtschaftete Ungerechtigkeit, die ihren Namen nicht sagt.“ – „Und warum lassen sich die Menschen darauf ein?“ – „Die einen sind recht zufrieden mit den herrschenden Zuständen, weil sie davon profitieren.“ – „Und die anderen, die ‚Verlierer‘? Warum lehnen sie sich nicht auf?“ – „Ja, diese Frage habe ich mir auch schon oft gestellt. Und eine rechte Antwort habe ich nicht gefunden. Ich habe nur eine Befürchtung.“ – „Und die wäre?“ – „Wir sind überfordert von den Zuständen, die wir selbst heraufbeschworen haben.“ – „Du meinst, wir sind sozusagen Zauberlehrlinge unserer selbst geworden? Das könnte ja heißen, dass derzeit niemand mehr in der Lage ist, einen klaren Blick auf alles Geschehen zu werfen. Wir kommen an unsere Wirklichkeit, die wir ´entfesselt´ haben, nicht mehr ran?“ – „Ja, so könnte es sein. Nicht einmal die aktuellen ‚Gewinner‘ wissen, was wirklich los ist.“ – „Sie wissen gar nicht, warum sie Gewinner sind – und die anderen Verlierer? Und umgekehrt?“ – „Ja, offenbar wissen sie nur, dass sie besser dran sind, und sind felsenfest davon überzeugt, dass ihr Gedeihen gerecht ist und nichts mit dem Elend der anderen zu tun hat, sondern ausschließlich mit ihrer persönlichen Leistung.“ – „Was? Du glaubst, dass niemand mehr in der Lage ist, die Klassiker unter den sozialen Zusammenhängen wie beispielsweise arm/reich zu erkennen?“ – „Man will sie nicht mehr erkennen, man hat sie in einem Diskursbrei verrührt, so dass niemand mehr in der Lage ist, sie in ihrer realen Schärfe zu formulieren. Offenbar wird alles unternommen, um diese Gegensätze als beherrscht und somit grundsätzlich als überwunden auszugeben. Wir haben alles unter Kontrolle, auch diesen fundamentalen Gegensatz mitsamt politischem Konfliktpotenzial. Und wer erklärt, dass diese Konflikte real sind, aus dem Ruder laufen und verheerende Auswirkungen besitzen, dem hört man nicht zu oder man macht ihn madig.“ – „Das hört sich ja schon fast diabolisch an.“ – „Ja, vielleicht leben wir wirklich in einer diabolischen Zeit des selbstverschuldeten Teufelskreises. Die Menschen fügen sich ungerührt immenses Leid zu. Mörderisches Geschehen, ob staatlich organisiert oder von irgendwelchen Banden, wird zur Kenntnis genommen wie der Wetterbericht für die innere Mongolei – teilnahmslos, bzw. mit kindischen Ritualen der Anteilnahme, die niemand empfinden kann, weil es dafür gar kein wirkmächtiges Bewusstsein mehr gibt.“ – „Die Menschen sind abgestumpft? Sie lassen die Realität über sich ergehen?“ – „Ja, ich glaube, das muss man so sehen, leider. Aber es sind nicht nur die sogenannten einfachen Menschen, die man von früh bis spät mit getürkten Diskursen manipuliert und denen man das kritische Denken abgewöhnt hat, nein, ich fürchte, dass selbst unsere Intellektuellen größte Orientierungsschwierigkeiten haben oder resignieren.“ – „Woran liegt es? Diese Leute sind doch resistenter gegenüber ideologischen Diskursen. Sie haben doch noch kritisches Denken drauf.“ – „Natürlich, aber was nutzt das beste kritische Denken, wenn es in der Realität auf keine kritische Masse der Erwartung und Hoffnung trifft? Erinnerst du dich an die revolutionären Überlegungen der alten Marxisten? Da war immer die Rede von vorrevolutionären Phasen. Das war die kritische gesellschaftliche Masse, die nach kritischen Diskursen verlangte und sie auch bekam. Aber heute? Siehst du was?“ – „Nein, uns geht es gut.“ - „Ja, erstaunlich. Es geht zwar vielen überhaupt nicht gut, aber das interessiert nicht, bzw. man heuchelt Interesse und Anteilnahme und getan wird nichts oder halt ein paar Krümel. Und der ehrlich arbeitende Mensch ist – ohne dass ihm das überhaupt schon bewusst geworden ist – das beste Schutzschild der Unehrlichkeit. Hinter dem breiten Rücken der Ehrlichen verstecken sich all diese Akteure der sozialen Perversion, all diese Sumpfblüten bis in die höchsten gesellschaftlichen Ränge und behaupten, dass ihre intelligenten Machenschaften die Wege der Zukunft bereiten.“ - „Das ist wohl wahr. Unsereiner kommt nicht aus seiner ehrlichen Haut raus.“ - „Und das wissen diese Leute nur allzu genau. Auf die Ehrlichen ist Verlass. Die sind geduldig und friedfertig, wiegeln niemanden auf, zetteln keine Unruhen an. Die sind so beseelt davon, Unrechtes zu vermeiden. Ihr großer Fetisch ist der soziale Frieden, d. h. ihre eigene Ruhe. Und niemand weiß, wen und was sie im Ernstfall bereit sind, diesem Frieden zu opfern. Denn sie kennen nur den Frieden, den die Macht gewährt und wenn eine Willkürmacht Frieden verspricht, so werden sie den auch akzeptieren. Das ist die geistige Grenze vieler eigentlich Ehrlicher. Sie sind inkonsequent, und am Haken dieser Inkonsequenz hängt die Macht sie auf.“ - „Sind wir wieder staatsergebene Lämmer?“ - „Wir lassen uns am Ring unserer Korrektheit in der Nase durch die Arena ziehen. Weißt du, manchmal macht es keinen Spaß mehr. Ein Gefühl der Resignation, ja des Ekels. Man arbeitet, schuftet, versucht, Positives in die Welt zu setzen, und schon wird alles, was man tut, pervertiert und vor irgendwelche üblen Karren gespannt. Manchmal fühlt man sich schon vergewaltigt. Man muss wirklich schauen, dass man wieder die Motivation aufbaut, und sich einreden, dass ehrliche Arbeit weiterhin benötigt wird, und sei es nur, um Schlimmes zu verhüten. Aber machen wir jetzt wirklich Schluss mit diesem Thema. Es geht nicht mehr fort und wird uns noch oft beschäftigen, leider.“

Es war dunkel geworden. Die junge Frau schaltete die sanfte Abendbeleuchtung ein, eine Tischleuchte, einige Spots, die den Wohnraum indirekt beleuchteten. Es war gemütlich bei ihr und er mochte ihre Wohnung. Alles war irgendwie stimmig und harmonisch, die Lage, der Zuschnitt, Einrichtung und Dekoration. - „Du hast dir ein kleines Wohn-Gesamtkunstwerk geschaffen, meine Liebe“, sagte er und ließ seinen Blick, wie unzählige Male zuvor, angenehm berührt durch den großen Raum schweifen. Und sie erwiderte, wie unter dem Eindruck ihres doch recht trübsinnigen Gesprächs, dass dies vielleicht ihre Antwort sei auf das allgegenwärtige Elend. - Er stutzte einen Augenblick, bedachte ihre Worte und entgegnete: „Du bist schön, weil du eine schöne Seele hast. Aber du hast dich nicht in irgendwelche ästhetischen Sphären davongemacht, um dich vor der schnöden Realität zu drücken. Du legst den Sumpf des Hässlichen trocken und schaffst etwas Schönes. Weißt du noch, in welchem Zustand diese Dachwohnung damals war, als du sie gekauft hattest?“ - „Oh weh, ich war mehrmals der Verzweiflung nahe und hatte mir schon vorgeworfen, den größten Fehlkauf meines Lebens getan zu haben.“ - „Und dann hast du es doch geschafft, diese Wohnwüste urbar und bewohnbar gemacht – und nicht nur das. Du hast es richtig schön hinbekommen. Ein kleines Kunstwerk aus simpler Funktionalität und Wohnlichkeit. Trotzdem mache ich mich jetzt auf den Weg.“ - „Schon?“ - „Naja, morgen wird es wieder fürchterlich ungemütlich zugehen in der Firma und ich muss früh raus.“ - „Ach, du bist auch so ein rastloser Geist. Kannst du eigentlich nie abschalten?“ - „Du weißt ja, ohne deine Hilfe schaffe ich das nie.“ - „Und wenn ich dir ‚helfen‘ will, dann bist du schon wieder weg.“ - „Du hättest Seefahrerbraut werden sollen.“ - „Will ich aber nicht sein.“ - „Sei nicht undankbar. So schlecht meint es dein Leben nicht mit dir.“ - „Immer wieder haust du ab. Eines Tages werden sie dich in einer Schubkarre bringen und mir vor die Tür kippen.“ - „Abwarten, ich gehöre zu den Katzenartigen und falle immer auf alle Viere.“ - „Aber lande mir nicht als Bettvorleger bei einer anderen Frau.“ - „Nein, versprochen und gute Nacht.“


ENDE



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holg
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Bronzenes Licht Der bronzene Roboter


Beitrag05.09.2022 19:35

von holg
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Hallo Chaton,
schön, dass Du ins Forum gefunden und einen Einstandstext gepostet hast.

Der ist wegen der suboptimalen Formatierung nicht gut lesbar. Du könntest den Leuten das Lesen leichter machen, wenn du bei jedem Sprecherwechsel eine neue Zeile beginnen würdest. Möglicherweise ist das in deiner Textverarbeitung so und hat die Übertragung ins Forum nicht überstanden. Da muss man leider hier und da nacharbeiten.
Mit einem Klick auf "Vorschau" unten im Editierfenster kannst du genau sehen, wie der Text sich nach dem Absenden präsentiert. Wenn es ums reine überarbeiten geht, kannst du das mit "neue Version" kenntlich machen.

Glückauf.

holg


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Calvin Hobbs
Geschlecht:männlichKlammeraffe

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Beiträge: 563
Wohnort: Deutschland


Beitrag05.09.2022 20:09
Re: Uns geht es gut
von Calvin Hobbs
Antworten mit Zitat

Hallo smile
chaton hat Folgendes geschrieben:
Chaton

Uns geht es gut

„Sag mal, eigentlich geht es uns doch nicht schlecht. Ich meine, sowohl dir als auch mir.“ – Seine Freundin wusste zwar nicht, worauf er mit dieser Eröffnung hinaus wollte, aber mit einer Mischung aus Schulterzucken und Kopfnicken signalisierte sie vorsichtige Zustimmung. Sie wartete ab, wohl wissend, dass er mit einem Hintergedanken herausrücken würde.
Die beiden saßen im großen Wohnraum ihrer Dachgeschosswohnung mit Loggia unweit des Viktualienmarkts. Die junge Frau hatte es sich in den dicken Sitzkissen ihres Lieblings-Rattansessels Wie viele Rattansessel besitzt sie denn?bequem gemacht und trank mit kleinen Schlucken einen weißen Tee mit Mango-Zitrone. Ihr Lebensgefährte lagerte gemütlich auf der Couch, hatte den Kopf auf einem weichen Kissen gebettet und stützte sich mit dem rechten Fuß am Boden ab.
Der Frühling ließ auf sich warten und es war zu kühl, um sich in die Loggia zu setzen, obwohl diese südseitig gelegen und recht windgeschützt war.
Er griff zum Glas mit alkoholfreiem Weizenbier, denn er war mit dem Auto da und würde an diesem Abend zurückfahren, nach Hadern, wo er eine kleine Eigentumswohnung besaß.

„Wir haben uns doch unseren Wohlstand erarbeitet. Wir machen gute Jobs und bekommen dafür gutes Geld“, fuhr der junge Mann fort. -
„Natürlich. Zweifelst du daran oder glaubst du etwa, uns würde das Geld hinterher geworfen?“ -
„Nein, natürlich nicht,“ entgegnete er zögernd. -
„Aber?“ -
Ja, was wollte er eigentlich sagen? Dass er in einer Glaubenskrise steckte in Sachen Geldverdienen? Dass irgendetwas mit dem Geldverdienen nicht mehr zu stimmen schien? Vielleicht nie gestimmt hatte? Dass er es lange nicht wahrgenommen hatte. Dass er guten Glaubens gewesen war und an das ehrlich verdiente Geld glaubte – wie es ja seine Freundin auch tat. Man gehörte doch zur großen Glaubensgemeinschaft, überzeugt davon, dass das Geld, das einen jeden umgab, auf gutem Glauben und ehrlicher Arbeit fußte und durch das Wirken der Glaubenden vermehrt wurde. Alle, mit denen sie verkehrten, glaubten dies. Und das stimmte ja auch: er tat was für sein Geld, er verdiente es ehrlich, lieferte eine Gegenleistung. Und so war es überall, so entstanden Produkte und Dienstleistungen, die ihren Preis hatten, und in ihrem Gefolge allgemeiner Wohlstand. Aber zugleich war ihm der Gedanke gekommen, dass dieses von ihm ehrlich verdiente Geld in die Kanäle unehrlicher Zwecken abgeleitet wurde. Und er stellte seiner Freundin folgende Frage: „Wie sieht das aus mit der Ehrlichkeit, die in unserem Geld steckt? Wir wissen doch, dass Geld ein Wertspeicher ist. Speichert unser Geld mehr Ehrlichkeit als Unehrlichkeit oder umgekehrt?“ -
Seine Freundin schaute ihn entgeistert an.  „Was? Was erzählst du da? Woher sollen wir das wissen? Geld stinkt nicht, sagte mal ein römischer Kaiser, glaube ich.“ -  
„Ja“, entgegnete er, „aber man hat auch schon von Geld gehört, an dem Blut klebt. Vielleicht gibt es auch Geld, das die einen systemisch reich macht und die anderen ebenso zwangsläufig arm. Eine Ungleichheit, die über das Geld organisiert und gesteuert wird. Und die systemische Unehrlichkeit besteht darin, diese Ungleichheit dauerhaft zu sichern und ihre Existenz gleichzeitig zu ignorieren oder zu leugnen.“ - Uns geht es immer noch gut?
Hm, sie konnte sich diesem Gedanken nicht entziehen. - Ja, gestand sie zu, im Geld stecke wohl nicht wenig Ungerechtigkeit. Wieso wechselt die wörtliche Rede? Zu anstrengend zu schreiben? Das hänge wohl mit der Natur vieler moralisch zweifelhafter Deals zusammen, auf deren Basis Geld gemacht werde. Aber das Geld als solches als durch und durch unrechtes Gut zu betrachten. Ob das nicht arg überzogen sei? - Nein, auf diese Spitze wolle er die Sache nicht treiben. Allein schon deshalb nicht, weil es nicht wenige ehrliche Leute gebe, die ehrlich ihr Geld verdienen und es auch für vertretbare Zwecke ausgeben. Diese Menschen könne man in der Tat nicht der Unehrlichkeit bezichtigen. Obwohl er da schon manche Grenzüberschreitung sehe. Sie beide gingen ja recht vernünftig mit ihrem Geld um. Aber sie kenne doch auch andere in ihren Kreisen, die keine geringen Summen beispielsweise in teure Hobbys förmlich verballern. - Nun ja, das sei in der Tat der Luxus. Und sie beide hätten mit Luxus und seinen Gütern nicht so viel am Hut. - Und dennoch schien der Luxus im Geld zu stecken. Irgendwoher musste doch das Geld kommen, um zu luxuriösen Zwecken verwendet zu werden. - Ja, stimmte sie zu, sie gönnten sich einen vertretbaren Wohlstand, ohne Übertreibung. - Und trotzdem, ließ er nicht locker, werden riesige Summen - wie solle man das nennen? Verbraten? Aber es sei ja nicht nur der Luxus. Die astronomischen Rüstungsausgaben weltweit, das sei doch irre. - Na ja, wenn die Staaten nicht zusammenarbeiten wollen, sondern feindselige Politik betreiben, was bleibe da am Ende übrig? - Er versuchte die Schärfe herauszunehmen und erwiderte, dass sie selbst ja wohl nichts am Geld ändern könnten. Aber er sei dabei, seinen guten Glauben, seine Unbefangenheit zu verlieren. Und er habe keine Lust, diesen Glaubensverlust durch Zynismus zu kompensieren. Ob sie ihn verstehe? - Ja, sie könne seine Gedanken verstehen, sie seien nicht von der Hand zu weisen. Und es sei viel Wahres dran. Aber was könne das für sie persönlich bedeuten? Sie seien in ganz normalen Unternehmen tätig, die Geschäfte seien nicht korrupt und schon gar nicht kriminell – Naja, mal abgesehen von kleinen Schattenseiten. Selbst wenn der ganz große Finanzrahmen, in dem sie operierten, bedenklich sei (was sie gar nicht abstreiten möchte), so sei es doch möglich, auch ehrliches Geld zu machen. Oder wolle er das in Zweifel ziehen? - Nein, er meine bloß, dass es vielleicht vorbei sei mit dem blinden, naiven Vertrauen in das gesunde Funktionieren unseres Geldes. - In welche Richtungen sich denn sein Argwohn bewege? - Er dachte einen Moment nach und entgegnete: „Mich plagt seit einiger Zeit der Gedanke, dass unsere Ehrlichkeit systemisch missbrauch wird. Wir sind ehrlich und dienen zugleich einer großen unehrlichen Sache. Die ehrlich Arbeitenden werden als nützliche Idioten missbraucht.“ - Seine Freundin schaute ihn besorgt an. Wie kam er dazu, sich einen solchen Kopf zu machen und Gedanken zu machen über Sphären, in die sie doch gar keinen wirklichen Einblick hatten. - „Glaubst du ewa auch an diese angebliche Verschwörung der Hochfinanz gegen die Menschheit? An dieses sattsam bekannte Bilderberger-Narrativ, das in bestimmten Kreisen zirkuliert?“ - „Nein, natürlich nicht. Das ist doch Unsinn, jedenfalls zum gegenwärtigen Zeitpunkt.“
Er glaube, dass die Unehrlichkeit bei jedem Einzelnen selbst ihren Ursprung habe. Jeder spiele (sofern er nicht wirklich zynisch sei) sehr ehrlich mit seiner eigenen Unehrlichkeit Verstecken. Man könne das mit dem Sündensystem der katholischen Kirche vergleichen.


ENDE


Nach meiner letzten Anmerkung habe ich ein paar Zeilen quergelesen und nur noch nach unten gescrollt, denn das ist keine Geschichte, sondern hier breitet jemand seine Ansichten über Geld im Allgemeinen bis ins Detail aus.
Was soll mir dieser Text sagen? Oder mit mir machen?
MfG


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chaton
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Wohnort: Duisburg


C
Beitrag05.09.2022 20:16

von chaton
pdf-Datei Antworten mit Zitat

holg hat Folgendes geschrieben:
Hallo Chaton,
schön, dass Du ins Forum gefunden und einen Einstandstext gepostet hast.

Der ist wegen der suboptimalen Formatierung nicht gut lesbar. Du könntest den Leuten das Lesen leichter machen, wenn du bei jedem Sprecherwechsel eine neue Zeile beginnen würdest. Möglicherweise ist das in deiner Textverarbeitung so und hat die Übertragung ins Forum nicht überstanden. Da muss man leider hier und da nacharbeiten.
Mit einem Klick auf "Vorschau" unten im Editierfenster kannst du genau sehen, wie der Text sich nach dem Absenden präsentiert. Wenn es ums reine überarbeiten geht, kannst du das mit "neue Version" kenntlich machen.

Glückauf.

holg




Chaton

Uns geht es gut


„Sag mal, eigentlich geht es uns doch nicht schlecht. Ich meine, sowohl dir als auch mir.“

Seine Freundin wusste zwar nicht, worauf er mit dieser Eröffnung hinaus wollte, aber mit einer Mischung aus Schulterzucken und Kopfnicken signalisierte sie vorsichtige Zustimmung. Sie wartete ab, wohl wissend, dass er mit einem Hintergedanken herausrücken würde.

Die beiden saßen im großen Wohnraum ihrer Dachgeschosswohnung mit Loggia unweit des Viktualienmarkts. Die junge Frau hatte es sich in den dicken Sitzkissen ihres Lieblings-Rattansessels bequem gemacht und trank mit kleinen Schlucken einen weißen Tee mit Mango-Zitrone. Ihr Lebensgefährte lagerte gemütlich auf der Couch, hatte den Kopf auf einem weichen Kissen gebettet und stützte sich mit dem rechten Fuß am Boden ab.
Der Frühling ließ auf sich warten und es war zu kühl, um sich in die Loggia zu setzen, obwohl diese südseitig gelegen und recht windgeschützt war.
Er griff zum Glas mit alkoholfreiem Weizenbier, denn er war mit dem Auto da und würde an diesem Abend zurückfahren, nach Hadern, wo er eine kleine Eigentumswohnung besaß.

„Wir haben uns doch unseren Wohlstand erarbeitet. Wir machen gute Jobs und bekommen dafür gutes Geld“, fuhr der junge Mann fort.

„Natürlich. Zweifelst du daran oder glaubst du etwa, uns würde das Geld hinterher geworfen?“

„Nein, natürlich nicht,“ entgegnete er zögernd.

„Aber?“

Ja, was wollte er eigentlich sagen? Dass er in einer Glaubenskrise steckte in Sachen Geldverdienen? Dass irgendetwas mit dem Geldverdienen nicht mehr zu stimmen schien? Vielleicht nie gestimmt hatte? Dass er es lange nicht wahrgenommen hatte. Dass er guten Glaubens gewesen war und an das ehrlich verdiente Geld glaubte – wie es ja seine Freundin auch tat. Man gehörte doch zur großen Glaubensgemeinschaft, überzeugt davon, dass das Geld, das einen jeden umgab, auf gutem Glauben und ehrlicher Arbeit fußte und durch das Wirken der Glaubenden vermehrt wurde. Alle, mit denen sie verkehrten, glaubten dies. Und das stimmte ja auch: er tat was für sein Geld, er verdiente es ehrlich, lieferte eine Gegenleistung. Und so war es überall, so entstanden Produkte und Dienstleistungen, die ihren Preis hatten, und in ihrem Gefolge allgemeiner Wohlstand. Aber zugleich war ihm der Gedanke gekommen, dass dieses von ihm ehrlich verdiente Geld in die Kanäle unehrlicher Zwecken abgeleitet wurde.

Und er stellte seiner Freundin folgende Frage: „Wie sieht das aus mit der Ehrlichkeit, die in unserem Geld steckt? Wir wissen doch, dass Geld ein Wertspeicher ist. Speichert unser Geld mehr Ehrlichkeit als Unehrlichkeit oder umgekehrt?“

Seine Freundin schaute ihn entgeistert an. - „Was? Was erzählst du da? Woher sollen wir das wissen? Geld stinkt nicht, sagte mal ein römischer Kaiser, glaube ich.“

„Ja“, entgegnete er, „aber man hat auch schon von Geld gehört, an dem Blut klebt. Vielleicht gibt es auch Geld, das die einen systemisch reich macht und die anderen ebenso zwangsläufig arm. Eine Ungleichheit, die über das Geld organisiert und gesteuert wird. Und die systemische Unehrlichkeit besteht darin, diese Ungleichheit dauerhaft zu sichern und ihre Existenz gleichzeitig zu ignorieren oder zu leugnen.“

Hm, sie konnte sich diesem Gedanken nicht entziehen.
Ja, gestand sie zu, im Geld stecke wohl nicht wenig Ungerechtigkeit. Das hänge wohl mit der Natur vieler moralisch zweifelhafter Deals zusammen, auf deren Basis Geld gemacht werde. Aber das Geld als solches als durch und durch unrechtes Gut zu betrachten. Ob das nicht arg überzogen sei?

Nein, auf diese Spitze wolle er die Sache nicht treiben. Allein schon deshalb nicht, weil es nicht wenige ehrliche Leute gebe, die ehrlich ihr Geld verdienen und es auch für vertretbare Zwecke ausgeben. Diese Menschen könne man in der Tat nicht der Unehrlichkeit bezichtigen. Obwohl er da schon manche Grenzüberschreitung sehe. Sie beide gingen ja recht vernünftig mit ihrem Geld um. Aber sie kenne doch auch andere in ihren Kreisen, die keine geringen Summen beispielsweise in teure Hobbys förmlich verballern.

Nun ja, das sei in der Tat der Luxus. Und sie beide hätten mit Luxus und einen Gütern nicht so viel am Hut.

Und dennoch schien der Luxus im Geld zu stecken. Irgendwoher musste doch das Geld kommen, um zu luxuriösen Zwecken verwendet zu werden.

Ja, stimmte sie zu, sie gönnten sich einen vertretbaren Wohlstand, ohne Übertreibung.

Und trotzdem, ließ er nicht locker, werden riesige Summen - wie solle man das nennen? Verbraten? Aber es sei ja nicht nur der Luxus. Die astronomischen Rüstungsausgaben weltweit, das sei doch irre.

Na ja, wenn die Staaten nicht zusammenarbeiten wollen, sondern feindselige Politik betreiben, was bleibe da am Ende übrig?

Er versuchte die Schärfe herauszunehmen und erwiderte, dass sie selbst ja wohl nichts am Geld ändern könnten. Aber er sei dabei, seinen guten Glauben, seine Unbefangenheit zu verlieren. Und er habe keine Lust, diesen Glaubensverlust durch Zynismus zu kompensieren. Ob sie ihn verstehe?

Ja, sie könne seine Gedanken verstehen, sie seien nicht von der Hand zu weisen. Und es sei viel Wahres dran. Aber was könne das für sie persönlich bedeuten? Sie seien in ganz normalen Unternehmen tätig, die Geschäfte seien nicht korrupt und schon gar nicht kriminell – Naja, mal abgesehen von kleinen Schattenseiten. Selbst wenn der ganz große Finanzrahmen, in dem sie operierten, bedenklich sei (was sie gar nicht abstreiten möchte), so sei es doch möglich, auch ehrliches Geld zu machen. Oder wolle er das in Zweifel ziehen?

Nein, er meine bloß, dass es vielleicht vorbei sei mit dem blinden, naiven Vertrauen in das gesunde Funktionieren unseres Geldes.

In welche Richtungen sich denn sein Argwohn bewege?

Er dachte einen Moment nach und entgegnete: „Mich plagt seit einiger Zeit der Gedanke, dass unsere Ehrlichkeit systemisch missbrauch wird. Wir sind ehrlich und dienen zugleich einer großen unehrlichen Sache. Die ehrlich Arbeitenden werden als nützliche Idioten missbraucht.“

Seine Freundin schaute ihn besorgt an. Wie kam er dazu, sich einen solchen Kopf zu machen und Gedanken zu machen über Sphären, in die sie doch gar keinen wirklichen Einblick hatten.  „Glaubst du etwa auch an diese angebliche Verschwörung der Hochfinanz gegen die Menschheit? An dieses sattsam bekannte Bilderberger-Narrativ, das in bestimmten Kreisen zirkuliert?“

„Nein, natürlich nicht. Das ist doch Unsinn, jedenfalls zum gegenwärtigen Zeitpunkt.“
Er glaube, dass die Unehrlichkeit bei jedem Einzelnen selbst ihren Ursprung habe. Jeder spiele (sofern er nicht wirklich zynisch sei) sehr ehrlich mit seiner eigenen Unehrlichkeit Verstecken. Man könne das mit dem Sündensystem der katholischen Kirche vergleichen. Die Sünder bereuen ehrlich und bilden sich ein, dass sie sich dadurch von ihren Sünden befreit haben. Dabei sündigen sie immer weiter. Eine interessante Schleife sei dies. Offenbar funktioniere sie sehr elegant.

„Ja, aber ist es nicht menschlich gesehen besser so?", entgegnete die Freundin. „Der Mensch ist nun mal schwach und sündhaft. Soll er deswegen ständig in Sack und Asche gehen?“

„Nein, aber die Menschen hatten wenigstens eine Vorstellung von Sündhaftigkeit, ob sie richtig oder falsch war, lasse ich mal dahingestellt. Der heutige Mensch hingegen hat keine Vorstellung von seiner Unehrlichkeit, von seiner Heuchelei usw.“

Ach, und wie er denn selbst geheuchelt habe, bis er drauf gekommen sei, dass er heuchle, ohne es zu wissen?

Ja, das sei das Ungeheuerliche. Er sei allen Ernstes der Überzeugung gewesen, von Heuchelei frei gewesen zu sein und in völlig transparenten Rahmenbedingungen zu leben, in einem heuchelfreien System. Er könne es selbst nicht begreifen, wie er so ungeheuer systemgläubig habe sein können, dass er die Dimension der vorhandenen und erfolgreich geleugneten Heuchelei ignorieren oder zumindest verharmlosen konnte – in sich selbst und bei den anderen. Und nicht nur in den Menschen, nein, in allen Organisationsformen, mit denen wir uns umgeben und unsere Gesellschaft gestalten.

„Also, wir leugnen und sind überzeugt, dass wir nichts leugnen. Da wir aber irgendwie ‚wissen‘, dass wir etwas leugnen, arbeiten wir unermüdlich daran, das Geleugnete nicht ans Licht kommen zu lassen – ist es das, was dir vorschwebt?“

„Das ist nicht schlecht formuliert, ja, das ist irgendwie der Kern des Problems.“ Es sei aber nicht unbedingt eine besondere persönliche Heuchelei, sondern eher ein allgemeines Mitheucheln, ein Mitheucheltum, so wie man von Mitläufertum spreche. Ja, die meisten seien Mitläufer beim allgemeinen gesellschaftlichen Heucheln, das ihnen als ganz normal schmackhaft gemacht worden sei. Sie hätten arglos, vielleicht auch naiv zugegriffen und jetzt hätten sie halt diesen Geschmack angenommen. Wir hätten uns darin eingerichtet, die passe uns wie eine zweite Haut.

Hm, wozu denn so ein verlogenes Verhalten gut sein solle, fragte seine Freundin, wozu so ein gewaltiger Aufwand? Das sei doch eine riesige kollektive Lebenslüge, wenn man seinen Gedanken weiterverfolge.

Ja, jetzt werde die Sache halt politisch. Am Anfang (nach dem letzten Weltkrieg) war die Lüge vielleicht noch klein und wenig einflussreich. Es war die Zeit des Wiederaufbaus und dann des Wirtschaftswunders. Und da gab es doch so einen dicken Wirtschaftsprofessor mit Zigarre, der dann Bundeskanzler wurde.

„Du meinst Ludwig Erhard?“

„Ja, der hatte doch diesen tollen Spruch drauf ´Wohlstand für alle´. Der hat den so glaubhaft vertreten, dass die Leute die Überzeugung gewinnen mussten, dass er selbst dran glaube. Und er war doch auch ein Fachmann. Die freie und soziale Marktwirtschaft galt doch als Mutter aller Redlichkeit und Treu und Glauben. Aber dann wurde sie gefüttert und ist gewachsen, wurde zur kollektiven Lebenslüge und wir machen mit ihr Politik – und zwar recht erfolgreich.“

Und was seiner Meinung nach unter dem Teppich gehalten werden müsse?

Beispielsweise die als Wahrheit ausgegebene Lüge, dass jeder prinzipiell eine Chance habe, zu den Gewinnern unserer kollektiven Veranstaltung zu gehören.

Das verstehe sie nicht. Warum sei das eine Lüge. Es gebe doch die theoretische Chance für jeden.

Ja, ja, das sei wie die Sache mit dem Marschallstab, den jeder Soldat angeblich im Tornister habe oder die Sache mit den Lottozahlen, wo jeder jede Woche theoretisch sechs Richtige auf seinem Tippschein habe. Das seien wahrscheinlichkeitstheoretische Schönrednereien bar jeglichen Realitätsbezugs. Und ziemlich perfide werde diese Behauptung noch mit dem Satz ergänzt: Wer nicht erfolgreich ist, sei selber schuld. Passend dazu auch der Satz von den Verlierern. Verlierer seien grundsätzlich selbst schuld, weil der Erfolg eben auch ein Geschicklichkeitsspiel sei und die Ungeschickten auf die Verliererseite schicke. Da sei die vom System geforderte Auslese, die den Bestand und den Fortschritt des Systems sichere. Tja, und dann säßen die Minderperformer eben in der Verliererecke und müssten halt schauen, wie sie wieder herauskämen – durch mehr Geschick, durch größere Anstrengung. Aber die Gesellschaft sei ja großzügig und mache immer wieder (Schein-)Angebote. Es laufe also alles bestens. Komischerweise werde die Verliererecke immer größer, dort knubbelten sich die Leute.

Seine Freundin wusste nicht, ob er ernst redete oder sich vielleicht einen Spaß machte. „Wenn man dir so zuhört, sollte man meinen, die Gesellschaft ist bodenlos schlecht und gemein.“

„Nein“, sagte er, „sie ist nicht schlimmer als jede andere. Nur haben ihre Lügengebilde wieder einen Grad der Überreife erreicht und stinken langsam zum Himmel. Sie produziert systemisch eiskalt menschliches Elend, leugnet dies und instrumentalisiert dieses Elend zum eigenen Erhalt. Letzteres finde ich besonders verwerflich. Kurz: unser ehrlich verdienter Wohlstand hat nur deshalb Bestand, weil ein bestimmter Prozentsatz der Menschen sich über ein subtiles System in die Verelendung aussteuern lassen.“

„Du meinst allen Ernstes, all diese Arbeitslosen, Sozialhilfeempfänger, an der Armutsgrenze Vegetierenden oder Unterbezahlten usw. sind gewollt?“

„Ja, es ist nicht anders vorstellbar. Und ich bin wirklich nicht glücklich dabei, auf diese Einsicht geraten zu sein.“

„Das kann man wohl sagen, das ist ja menschenverachtender Zynismus.“

„Nun ja, sehr gedämpft und bis zur Unkenntlichkeit weichgespült und geschönt durch tausend gute politische Erklärungen. Ich glaube, wir haben uns unsere Politiker angeschafft, um uns unsere Lügen als hübsche Narrative aufzutischen, die wir gierig schlucken. Das scheint uns zu beruhigen und uns die notwendige Sicherheit zu geben. Schau mal, folgende einfache Überlegung: Wir häufen doch immer mehr Reichtümer an, ich meine, unsere Ökonomie ist doch die reinste Geldmaschine, das ist ja langsam schon unheimlich. Aber gleichzeitig schreitet die Verelendung voran, schleichend, zugleich unter allgemeiner Zustimmung lebhaft geleugnet und vertuscht. Was könnte uns dieser Prozess sagen?“

„Schwer zu sagen. Jedenfalls gesund ist der nicht. Da muss ich dir Recht geben.“

„Ich fürchte, wir haben uns eine grundsätzlich gespaltene Gesellschaft geschaffen und kultivieren sie bis zum Erbrechen oder Zerbrechen. Entweder wird sie uns irgendwann anekeln oder ihre Trümmer werden uns um die Ohren geschlagen werden.“

Die junge Frau spürte, dass ihn ein echtes Unbehagen ergriffen hatte. Vielleicht war er auch zu intelligent und zu sensibel, hatte einfach zu viel von all den verdeckten und doch wirkenden Zuständen und Verhältnissen aufgenommen. Ein großes Unwohlsein musste sich in ihm aufgebaut haben.
Er hatte keine Angst vor Unglück und Armut, Dinge, die von Anbeginn in der Welt waren und mit denen man sich auseinandersetzen musste. Nein, hier beschlich ihn das Grauen vor einem auf Lüge und Heuchelei basierendem Elend, vor einer monströsen Realität, die sich jedem Zugriff mit fast diabolischer Geschicklichkeit entzog. Sie war einfach nicht zu packen. Eher würde es gelingen, einen Pudding an die Wand zu nageln.

Ob er nun wahr redete und Recht hatte oder nicht, darüber wollte sie sich kein Urteil erlauben. Aber sie verstand, dass ihm da Dinge am Herzen lagen – und das respektierte sie.
„Ja“, versuchte sie, die Dinge auf ein paar Allgemeinplätze zu verschieben, „das Problem der Gerechtigkeit ist so alt wie die Menschheit. Vielleicht solltest du dich nicht auf all die Ungerechtigkeiten – die sichtbaren und die geschickt getarnten - stürzen wie auf ein rotes Tuch. Davon wird doch nichts besser, aber du nimmst all diese plagenden Vorstellungen auf dich und wirst sie nicht mehr los. Ob das denn sinnvoll ist?“

Er verstand ihren Wink und ließ vom Thema ab. “Du hast ja Recht. Das Thema der heutigen systemischen Ungerechtigkeit ist vielleicht wirklich zu groß, und wer sie frontal angeht, hat keine Chance und kann sich daran nur eine blutige Nase holen. Es reicht, wenn man nicht ganz abstumpft und das Gespür für unrechte Zustände nicht verliert, vor allem dann, wenn sie ganz offenkundig den Menschen als normal verkauft oder perfide verharmlost werden.“

Ja, in diesem Punkt habe sie ihn schon verstanden. Sie gebe zu, dass sie sich auch gern einlullen lasse, weil es so praktisch und bequem sei. Die Politiker, die Medien erzählen dem Bürger etwas vor und der nickt bestätigend und findet alles in Ordnung, obwohl die Dinge eben nicht in Ordnung sind.

Das sei wohl wahr, aber er wolle den einen skandalösen Punkt nicht loslassen: Es würden sehr bewusst immer neue, systemerhaltende Ungerechtigkeiten erfunden und eingespeist, damit die großen notwendigen Gleichgewichte auch ja schön erhalten blieben. Und er fügte hinzu: „Wir haben vielleicht eine rote Linie überschritten in unserer Selbstgerechtigkeit. Wir organisieren Unrecht und leugnen unser Treiben mit aller Macht. Das ist gefährlich.“

„Das berühmte X für ein U?“

„Ja, kann man wohl sagen. Was wir so alles unter dem Begriff der wachsenden sozialen Ungleichheiten zusammenfassen, ist eigentlich systemisch bewirtschaftete Ungerechtigkeit, die ihren Namen nicht sagt.“

„Und warum lassen sich die Menschen darauf ein?“

„Die einen sind recht zufrieden mit den herrschenden Zuständen, weil sie davon profitieren.“

„Und die anderen, die ‚Verlierer‘? Warum lehnen sie sich nicht auf?“

„Ja, diese Frage habe ich mir auch schon oft gestellt. Und eine rechte Antwort habe ich nicht gefunden. Ich habe nur eine Befürchtung.“

„Und die wäre?“

„Wir sind überfordert von den Zuständen, die wir selbst heraufbeschworen haben.“

„Du meinst, wir sind sozusagen Zauberlehrlinge unserer selbst geworden? Das könnte ja heißen, dass derzeit niemand mehr in der Lage ist, einen klaren Blick auf alles Geschehen zu werfen. Wir kommen an unsere Wirklichkeit, die wir ´entfesselt´ haben, nicht mehr ran?“

„Ja, so könnte es sein. Nicht einmal die aktuellen ‚Gewinner‘ wissen, was wirklich los ist.“

„Sie wissen gar nicht, warum sie Gewinner sind – und die anderen Verlierer? Und umgekehrt?“

„Ja, offenbar wissen sie nur, dass sie besser dran sind, und sind felsenfest davon überzeugt, dass ihr Gedeihen gerecht ist und nichts mit dem Elend der anderen zu tun hat, sondern ausschließlich mit ihrer persönlichen Leistung.“

„Was? Du glaubst, dass niemand mehr in der Lage ist, die Klassiker unter den sozialen Zusammenhängen wie beispielsweise arm/reich zu erkennen?“

„Man will sie nicht mehr erkennen, man hat sie in einem Diskursbrei verrührt, so dass niemand mehr in der Lage ist, sie in ihrer realen Schärfe zu formulieren. Offenbar wird alles unternommen, um diese Gegensätze als beherrscht und somit grundsätzlich als überwunden auszugeben. Wir haben alles unter Kontrolle, auch diesen fundamentalen Gegensatz mitsamt politischem Konfliktpotenzial. Und wer erklärt, dass diese Konflikte real sind, aus dem Ruder laufen und verheerende Auswirkungen besitzen, dem hört man nicht zu oder man macht ihn madig.“

„Das hört sich ja schon fast diabolisch an.“

„Ja, vielleicht leben wir wirklich in einer diabolischen Zeit des selbstverschuldeten Teufelskreises. Die Menschen fügen sich ungerührt immenses Leid zu. Mörderisches Geschehen, ob staatlich organisiert oder von irgendwelchen Banden, wird zur Kenntnis genommen wie der Wetterbericht für die innere Mongolei – teilnahmslos, bzw. mit kindischen Ritualen der Anteilnahme, die niemand empfinden kann, weil es dafür gar kein wirkmächtiges Bewusstsein mehr gibt.“

„Die Menschen sind abgestumpft? Sie lassen die Realität über sich ergehen?“

„Ja, ich glaube, das muss man so sehen, leider. Aber es sind nicht nur die sogenannten einfachen Menschen, die man von früh bis spät mit getürkten Diskursen manipuliert und denen man das kritische Denken abgewöhnt hat, nein, ich fürchte, dass selbst unsere Intellektuellen größte Orientierungsschwierigkeiten haben oder resignieren.“

„Woran liegt es? Diese Leute sind doch resistenter gegenüber ideologischen Diskursen. Sie haben doch noch kritisches Denken drauf.“

„Natürlich, aber was nutzt das beste kritische Denken, wenn es in der Realität auf keine kritische Masse der Erwartung und Hoffnung trifft? Erinnerst du dich an die revolutionären Überlegungen der alten Marxisten? Da war immer die Rede von vorrevolutionären Phasen. Das war die kritische gesellschaftliche Masse, die nach kritischen Diskursen verlangte und sie auch bekam. Aber heute? Siehst du was?“

„Nein, uns geht es gut.“

„Ja, erstaunlich. Es geht zwar vielen überhaupt nicht gut, aber das interessiert nicht, bzw. man heuchelt Interesse und Anteilnahme und getan wird nichts oder halt ein paar Krümel. Und der ehrlich arbeitende Mensch ist – ohne dass ihm das überhaupt schon bewusst geworden ist – das beste Schutzschild der Unehrlichkeit. Hinter dem breiten Rücken der Ehrlichen verstecken sich all diese Akteure der sozialen Perversion, all diese Sumpfblüten bis in die höchsten gesellschaftlichen Ränge und behaupten, dass ihre intelligenten Machenschaften die Wege der Zukunft bereiten.“

„Das ist wohl wahr. Unsereiner kommt nicht aus seiner ehrlichen Haut raus.“

„Und das wissen diese Leute nur allzu genau. Auf die Ehrlichen ist Verlass. Die sind geduldig und friedfertig, wiegeln niemanden auf, zetteln keine Unruhen an. Die sind so beseelt davon, Unrechtes zu vermeiden. Ihr großer Fetisch ist der soziale Frieden, d. h. ihre eigene Ruhe. Und niemand weiß, wen und was sie im Ernstfall bereit sind, diesem Frieden zu opfern. Denn sie kennen nur den Frieden, den die Macht gewährt und wenn eine Willkürmacht Frieden verspricht, so werden sie den auch akzeptieren. Das ist die geistige Grenze vieler eigentlich Ehrlicher. Sie sind inkonsequent, und am Haken dieser Inkonsequenz hängt die Macht sie auf.“

„Sind wir wieder staatsergebene Lämmer?“

„Wir lassen uns am Ring unserer Korrektheit in der Nase durch die Arena ziehen. Weißt du, manchmal macht es keinen Spaß mehr. Ein Gefühl der Resignation, ja des Ekels. Man arbeitet, schuftet, versucht, Positives in die Welt zu setzen, und schon wird alles, was man tut, pervertiert und vor irgendwelche üblen Karren gespannt. Manchmal fühlt man sich schon vergewaltigt. Man muss wirklich schauen, dass man wieder die Motivation aufbaut, und sich einreden, dass ehrliche Arbeit weiterhin benötigt wird, und sei es nur, um Schlimmes zu verhüten. Aber machen wir jetzt wirklich Schluss mit diesem Thema. Es geht nicht mehr fort und wird uns noch oft beschäftigen, leider.“

Es war dunkel geworden. Die junge Frau schaltete die sanfte Abendbeleuchtung ein, eine Tischleuchte, einige Spots, die den Wohnraum indirekt beleuchteten. Es war gemütlich bei ihr und er mochte ihre Wohnung. Alles war irgendwie stimmig und harmonisch, die Lage, der Zuschnitt, Einrichtung und Dekoration.

„Du hast dir ein kleines Wohn-Gesamtkunstwerk geschaffen, meine Liebe“, sagte er und ließ seinen Blick, wie unzählige Male zuvor, angenehm berührt durch den großen Raum schweifen.

Und sie erwiderte, wie unter dem Eindruck ihres doch recht trübsinnigen Gesprächs, dass dies vielleicht ihre Antwort sei auf das allgegenwärtige Elend.

Er stutzte einen Augenblick, bedachte ihre Worte und entgegnete: „Du bist schön, weil du eine schöne Seele hast. Aber du hast dich nicht in irgendwelche ästhetischen Sphären davongemacht, um dich vor der schnöden Realität zu drücken. Du legst den Sumpf des Hässlichen trocken und schaffst etwas Schönes. Weißt du noch, in welchem Zustand diese Dachwohnung damals war, als du sie gekauft hattest?“

„Oh weh, ich war mehrmals der Verzweiflung nahe und hatte mir schon vorgeworfen, den größten Fehlkauf meines Lebens getan zu haben.“

„Und dann hast du es doch geschafft, diese Wohnwüste urbar und bewohnbar gemacht – und nicht nur das. Du hast es richtig schön hinbekommen. Ein kleines Kunstwerk aus simpler Funktionalität und Wohnlichkeit. Trotzdem mache ich mich jetzt auf den Weg.“

„Schon?“

„Naja, morgen wird es wieder fürchterlich ungemütlich zugehen in der Firma und ich muss früh raus.“

„Ach, du bist auch so ein rastloser Geist. Kannst du eigentlich nie abschalten?“

„Du weißt ja, ohne deine Hilfe schaffe ich das nie.“

„Und wenn ich dir ‚helfen‘ will, dann bist du schon wieder weg.“

„Du hättest Seefahrerbraut werden sollen.“

„Will ich aber nicht sein.“

„Sei nicht undankbar. So schlecht meint es dein Leben nicht mit dir.“

„Immer wieder haust du ab. Eines Tages werden sie dich in einer Schubkarre bringen und mir vor die Tür kippen.“

„Abwarten, ich gehöre zu den Katzenartigen und falle immer auf alle Viere.“

„Aber lande mir nicht als Bettvorleger bei einer anderen Frau.“

„Nein, versprochen und gute Nacht.“


ENDE


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chaton
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Beitrag05.09.2022 20:35
Re: Uns geht es gut
von chaton
pdf-Datei Antworten mit Zitat

Calvin Hobbs hat Folgendes geschrieben:
Hallo smile
chaton hat Folgendes geschrieben:
Chaton

Uns geht es gut

„Sag mal, eigentlich geht es uns doch nicht schlecht. Ich meine, sowohl dir als auch mir.“ – Seine Freundin wusste zwar nicht, worauf er mit dieser Eröffnung hinaus wollte, aber mit einer Mischung aus Schulterzucken und Kopfnicken signalisierte sie vorsichtige Zustimmung. Sie wartete ab, wohl wissend, dass er mit einem Hintergedanken herausrücken würde.
Die beiden saßen im großen Wohnraum ihrer Dachgeschosswohnung mit Loggia unweit des Viktualienmarkts. Die junge Frau hatte es sich in den dicken Sitzkissen ihres Lieblings-Rattansessels Wie viele Rattansessel besitzt sie denn?bequem gemacht und trank mit kleinen Schlucken einen weißen Tee mit Mango-Zitrone. Ihr Lebensgefährte lagerte gemütlich auf der Couch, hatte den Kopf auf einem weichen Kissen gebettet und stützte sich mit dem rechten Fuß am Boden ab.
Der Frühling ließ auf sich warten und es war zu kühl, um sich in die Loggia zu setzen, obwohl diese südseitig gelegen und recht windgeschützt war.
Er griff zum Glas mit alkoholfreiem Weizenbier, denn er war mit dem Auto da und würde an diesem Abend zurückfahren, nach Hadern, wo er eine kleine Eigentumswohnung besaß.

„Wir haben uns doch unseren Wohlstand erarbeitet. Wir machen gute Jobs und bekommen dafür gutes Geld“, fuhr der junge Mann fort. -
„Natürlich. Zweifelst du daran oder glaubst du etwa, uns würde das Geld hinterher geworfen?“ -
„Nein, natürlich nicht,“ entgegnete er zögernd. -
„Aber?“ -
Ja, was wollte er eigentlich sagen? Dass er in einer Glaubenskrise steckte in Sachen Geldverdienen? Dass irgendetwas mit dem Geldverdienen nicht mehr zu stimmen schien? Vielleicht nie gestimmt hatte? Dass er es lange nicht wahrgenommen hatte. Dass er guten Glaubens gewesen war und an das ehrlich verdiente Geld glaubte – wie es ja seine Freundin auch tat. Man gehörte doch zur großen Glaubensgemeinschaft, überzeugt davon, dass das Geld, das einen jeden umgab, auf gutem Glauben und ehrlicher Arbeit fußte und durch das Wirken der Glaubenden vermehrt wurde. Alle, mit denen sie verkehrten, glaubten dies. Und das stimmte ja auch: er tat was für sein Geld, er verdiente es ehrlich, lieferte eine Gegenleistung. Und so war es überall, so entstanden Produkte und Dienstleistungen, die ihren Preis hatten, und in ihrem Gefolge allgemeiner Wohlstand. Aber zugleich war ihm der Gedanke gekommen, dass dieses von ihm ehrlich verdiente Geld in die Kanäle unehrlicher Zwecken abgeleitet wurde. Und er stellte seiner Freundin folgende Frage: „Wie sieht das aus mit der Ehrlichkeit, die in unserem Geld steckt? Wir wissen doch, dass Geld ein Wertspeicher ist. Speichert unser Geld mehr Ehrlichkeit als Unehrlichkeit oder umgekehrt?“ -
Seine Freundin schaute ihn entgeistert an.  „Was? Was erzählst du da? Woher sollen wir das wissen? Geld stinkt nicht, sagte mal ein römischer Kaiser, glaube ich.“ -  
„Ja“, entgegnete er, „aber man hat auch schon von Geld gehört, an dem Blut klebt. Vielleicht gibt es auch Geld, das die einen systemisch reich macht und die anderen ebenso zwangsläufig arm. Eine Ungleichheit, die über das Geld organisiert und gesteuert wird. Und die systemische Unehrlichkeit besteht darin, diese Ungleichheit dauerhaft zu sichern und ihre Existenz gleichzeitig zu ignorieren oder zu leugnen.“ - Uns geht es immer noch gut?
Hm, sie konnte sich diesem Gedanken nicht entziehen. - Ja, gestand sie zu, im Geld stecke wohl nicht wenig Ungerechtigkeit. Wieso wechselt die wörtliche Rede? Zu anstrengend zu schreiben? Das hänge wohl mit der Natur vieler moralisch zweifelhafter Deals zusammen, auf deren Basis Geld gemacht werde. Aber das Geld als solches als durch und durch unrechtes Gut zu betrachten. Ob das nicht arg überzogen sei? - Nein, auf diese Spitze wolle er die Sache nicht treiben. Allein schon deshalb nicht, weil es nicht wenige ehrliche Leute gebe, die ehrlich ihr Geld verdienen und es auch für vertretbare Zwecke ausgeben. Diese Menschen könne man in der Tat nicht der Unehrlichkeit bezichtigen. Obwohl er da schon manche Grenzüberschreitung sehe. Sie beide gingen ja recht vernünftig mit ihrem Geld um. Aber sie kenne doch auch andere in ihren Kreisen, die keine geringen Summen beispielsweise in teure Hobbys förmlich verballern. - Nun ja, das sei in der Tat der Luxus. Und sie beide hätten mit Luxus und seinen Gütern nicht so viel am Hut. - Und dennoch schien der Luxus im Geld zu stecken. Irgendwoher musste doch das Geld kommen, um zu luxuriösen Zwecken verwendet zu werden. - Ja, stimmte sie zu, sie gönnten sich einen vertretbaren Wohlstand, ohne Übertreibung. - Und trotzdem, ließ er nicht locker, werden riesige Summen - wie solle man das nennen? Verbraten? Aber es sei ja nicht nur der Luxus. Die astronomischen Rüstungsausgaben weltweit, das sei doch irre. - Na ja, wenn die Staaten nicht zusammenarbeiten wollen, sondern feindselige Politik betreiben, was bleibe da am Ende übrig? - Er versuchte die Schärfe herauszunehmen und erwiderte, dass sie selbst ja wohl nichts am Geld ändern könnten. Aber er sei dabei, seinen guten Glauben, seine Unbefangenheit zu verlieren. Und er habe keine Lust, diesen Glaubensverlust durch Zynismus zu kompensieren. Ob sie ihn verstehe? - Ja, sie könne seine Gedanken verstehen, sie seien nicht von der Hand zu weisen. Und es sei viel Wahres dran. Aber was könne das für sie persönlich bedeuten? Sie seien in ganz normalen Unternehmen tätig, die Geschäfte seien nicht korrupt und schon gar nicht kriminell – Naja, mal abgesehen von kleinen Schattenseiten. Selbst wenn der ganz große Finanzrahmen, in dem sie operierten, bedenklich sei (was sie gar nicht abstreiten möchte), so sei es doch möglich, auch ehrliches Geld zu machen. Oder wolle er das in Zweifel ziehen? - Nein, er meine bloß, dass es vielleicht vorbei sei mit dem blinden, naiven Vertrauen in das gesunde Funktionieren unseres Geldes. - In welche Richtungen sich denn sein Argwohn bewege? - Er dachte einen Moment nach und entgegnete: „Mich plagt seit einiger Zeit der Gedanke, dass unsere Ehrlichkeit systemisch missbrauch wird. Wir sind ehrlich und dienen zugleich einer großen unehrlichen Sache. Die ehrlich Arbeitenden werden als nützliche Idioten missbraucht.“ - Seine Freundin schaute ihn besorgt an. Wie kam er dazu, sich einen solchen Kopf zu machen und Gedanken zu machen über Sphären, in die sie doch gar keinen wirklichen Einblick hatten. - „Glaubst du ewa auch an diese angebliche Verschwörung der Hochfinanz gegen die Menschheit? An dieses sattsam bekannte Bilderberger-Narrativ, das in bestimmten Kreisen zirkuliert?“ - „Nein, natürlich nicht. Das ist doch Unsinn, jedenfalls zum gegenwärtigen Zeitpunkt.“
Er glaube, dass die Unehrlichkeit bei jedem Einzelnen selbst ihren Ursprung habe. Jeder spiele (sofern er nicht wirklich zynisch sei) sehr ehrlich mit seiner eigenen Unehrlichkeit Verstecken. Man könne das mit dem Sündensystem der katholischen Kirche vergleichen.


ENDE


Nach meiner letzten Anmerkung habe ich ein paar Zeilen quergelesen und nur noch nach unten gescrollt, denn das ist keine Geschichte, sondern hier breitet jemand seine Ansichten über Geld im Allgemeinen bis ins Detail aus.
Was soll mir dieser Text sagen? Oder mit mir machen?
MfG



Tja, diese "Ansichten" muss man erst einmal gewinnen, dann muss man sie kommunizieren. In diesem Text wollte ich sie in Dialogform projizieren. Natürlich müssen sie eine gewisse Substanz besitzen, weder irgendein abgehobener wissenschaftlicher Diskurs noch dümmliches Stammtischgerede sein, sondern Menschen ansprechen und zum sinnvollen Sprechen animieren. Das junge Paar ist vordergründig ein typisches Mittelstandspaar, gebildet, beruflich erfolgreich, durchaus motiviert. Und dann ist da der Zweifel. Der ist menschlich.
Mit dem Leser machen? - Keine Ahnung, bin kein Manipulator.

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holg
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Beitrag06.09.2022 09:27

von holg
Antworten mit Zitat

Was für ein Einstandstext!

Das ist ein als Dialog getarntes Traktat über die Moral unseres Geld- und Wirtschaftssystems. Manche machen da ganze Romane drüber (z.B. 1 Billion Dollar), dieser Text versucht das sehr komprimiert.
Inhaltlich bin ich da bis auf wenige Ausnahmen ganz bei Dir (das System ist größer als unser Staat und unsere Politik[er]. Die Problematik ist unserem Geldsystem und dem Kapitalismus -und den mit ihnen einhergehenden Machtstrukturen- inhärent. Und die herrschen quasi Weltweit).

Deswegen soll es um den Text selbst gehen:
Ich finde das prinzipiell gut, das als Dialog darzustellen. Das gibt als Lehrstück Möglichkeiten, Gedankengänge nachvollziehbar zu zerlegen und heikle Punkte aus verschiedenen Blickwinkeln zu betrachten. Diese Möglichkeit nutzt der Text hier und da, könnte das mit gleichberechtigten Gesprächspartnern (Sie kommt mir nur wie eine stichwortgebende Schülerin vor) noch mehr nutzen.
Den Wechsel zwischen wörtlicher und indirekter Rede finde ich gelungen. das bringt Bewegung und Abwechslung in den Text.
Mich stört der Wechsel des Sprachduktus. Mal ist das angenehm zu lesende Umgangssprache, mal klingt das viel zu gestelzt und hölzern.

Da würde ich mit Textarbeit am ehesten ansetzen.
Und bei der Überlegung, ein paar der nur besprochenen Aspekte in die Rahmenhandlung einzubeziehen und erlebbar zu machen.

Denn als reiner Dialog ist das Stück schon arg lang.


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chaton
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C
Beitrag06.09.2022 18:36

von chaton
pdf-Datei Antworten mit Zitat

holg hat Folgendes geschrieben:
Was für ein Einstandstext!

Das ist ein als Dialog getarntes Traktat über die Moral unseres Geld- und Wirtschaftssystems. Manche machen da ganze Romane drüber (z.B. 1 Billion Dollar), dieser Text versucht das sehr komprimiert.
Inhaltlich bin ich da bis auf wenige Ausnahmen ganz bei Dir (das System ist größer als unser Staat und unsere Politik[er]. Die Problematik ist unserem Geldsystem und dem Kapitalismus -und den mit ihnen einhergehenden Machtstrukturen- inhärent. Und die herrschen quasi Weltweit).

Deswegen soll es um den Text selbst gehen:
Ich finde das prinzipiell gut, das als Dialog darzustellen. Das gibt als Lehrstück Möglichkeiten, Gedankengänge nachvollziehbar zu zerlegen und heikle Punkte aus verschiedenen Blickwinkeln zu betrachten. Diese Möglichkeit nutzt der Text hier und da, könnte das mit gleichberechtigten Gesprächspartnern (Sie kommt mir nur wie eine stichwortgebende Schülerin vor) noch mehr nutzen.
Den Wechsel zwischen wörtlicher und indirekter Rede finde ich gelungen. das bringt Bewegung und Abwechslung in den Text.
Mich stört der Wechsel des Sprachduktus. Mal ist das angenehm zu lesende Umgangssprache, mal klingt das viel zu gestelzt und hölzern.

Da würde ich mit Textarbeit am ehesten ansetzen.
Und bei der Überlegung, ein paar der nur besprochenen Aspekte in die Rahmenhandlung einzubeziehen und erlebbar zu machen.

Denn als reiner Dialog ist das Stück schon arg lang.


Hallo holg,

zuerst einmal herzlichen Dank dafür, dass du überhaupt in den Text reingeschaut hast. Ist ja nicht selbstverständlich. Ich weiß es also zu schätzen.
Deine Anmerkungen zum Text führe ich mir sehr genau zu Gemüte. Ich glaube, du hast die strukturellen Schwächen markiert und mir gute Anregungen für die Optimierung gegeben. Ein großes Dankeschön. Et à bientôt.


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realo
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Beitrag08.09.2022 11:53

von realo
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Habe diesen Dialog mit Begeisterung gelesen, obwohl er lang ist im Virtuellen und nicht weiter formatiert. Es geht um den Inhalt und nicht um die Form. Die Ansichten der beiden Protagonisten sind spannend, sie hinterfragen und sie kommen auf unbequeme Ergebnisse. Solche Dialoge kann man sich unter Paaren nur wünschen.

Beschäftige mich sehr gerne mit gesellschaftlichen Themen und wenn die in so einer literarischen Form auftauchen, so realistisch, dass es auch ein Sachtext sein könnte, dann folge ich gerne dem Denkprozess.

Politisch gesehen könnte man das Gespräch auch ganz anders entwickeln und zu anderen Schlüssen kommen, aber für mich liest sich das Hinterfragen des Wohlstands spannend. Jedoch zieht sich das menschliche Elend durch alle Schichten, es ist von der Geldmenge unabhängig. Wenn ein 'Reicher' einen menschlichen Verlust erleidet, dann leidet er wie jeder Andere auch.
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nebenfluss
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Beitrag13.09.2022 15:54

von nebenfluss
Antworten mit Zitat

Wow.

Jetzt muss ich erstmal Lazy Sunday Afternoon in Schleife hören, um in die passende Stimmung zu kommen.

Es soll ja diese jungen Paare geben, die ständig Sex haben. Dieses Paar aus der gehobenen Mittelschicht hat andere Bedürfnisse. Es spielt das Populismus-Spiel.
Das geht so:
Er legt sich gemütlich auf die Couch und schwafelt sich aus den Resten halbverdauten Schulwissens eine Mischung aus Verschwörungstheorie und Apokalypse zusammen.
Ihre Aufgabe ist es, ihn dabei zu einem Mindestmaß an Kreativität zu motivieren. Mit der langweiligen, weil hinlänglich bekannten Bilderberger-Story braucht er ihr nicht zu kommen. Vermutlich sind auch Sündenböcke bzw. Gesichter bzw. Big-Brother-Figuren wie Bill Gates oder George Soros tabu. Aber Ludwig Erhard (Politiker, Experte und - na klar - Lügner), der hat was. Nicht zuletzt, weil er seit 45 Jahren tot ist. Da sieht man mal, wie langfristig der ganze Schlamassel, an dem unser Denker zu leiden vorgibt, eingefädelt wurde.
Sie achtet außerdem peinlich genau darauf, immer nur die Dinge nachzufragen, die im Sinne der Sache unterhaltsam sind. Jeder lose Faden, dessen Verfolgung intellektuell anstrengend wäre - weil er auf eine höhere Komplexität oder eine Eigenverantwortung hinwiese -, wird sofort fallengelassen. Spielregel oder stilles Einverständnis, man weiß es nicht. Auf jeden Fall beherrschen die beiden (insbesondere sie!) das Populismus-Spiel so perfekt, dass sie es bestimmt nicht zum ersten Mal spielen.
Es soll ja diese jungen Paare geben, die ständig Sex haben. Dieses Paar aus der gehobenen Mittelschicht hat andere Bedürfnisse.
Grandioser Text!
Eine meiner zahlreichen Lieblingsstellen ist die, wo sie über "ehrliche Arbeit" "nachdenken" und zu dem Schluss kommen, dass ihre Arbeit "ehrlich" ist - ohne, dass versucht wird, den Unterschied zu unehrlicher Arbeit zu definieren oder ich als Leser wenigstens erfahre, welcher Berufstätigkeit die beiden überhaupt nachgehen. Wozu auch? Ist nicht jede(r) davon überzeugt, seine/ihre Arbeit sei ehrlich? Dazu passt auch die Namenlosigkeit der beiden.
In der zweiten Runde wird dieses Prinzip dann an der Gegenüberstellung legitimer Besitz vs. Luxus wiederholt. Erneut wird schnell klar: Der eigene Lifestyle - als Single eine Eigentumswohnung besitzen; als Couchpotato den Intellektuellen spielen - ist noch okay. Verdächtig sind dagegen einige aus dem Bekanntenkreis, die offenbar noch wohlständiger sind. Neid in moralische Überlegenheit umdeuten - geiles Spiel, gibt's das irgendwo zu kaufen? (und die soufflierende Freundin hätte ich gerne auch gleich dazu)
Dann, wie angedeutet, die Passage über Erhard als hinterhältiger, hellsichtiger Strippenzieher.
Nun ist das Vorspiel vorbei und der Spaß kann richtig losgehen: Er eskaliert und schwurbelt sich zu Formulierungen wie "Lügengebilde, die einen Grad der Überreife erreicht haben, dass sie zum Himmel stinken" hoch oder beschreibt Ökonomie im besten Klugscheißer-Tonfall als "die reinste Geldmaschine", das sei "ja langsam schon unheimlich". Sie stellt artig und atemlos immer banalere und im Prinzip unnötige Fragen, die Intervalle werden kürzer, um endlich zum Höhepunkt zu kommen - beide gleichzeitig? Man erfährt es leider nicht wirklich, aber irgendwie tut er (ihr oder sich oder beiden) diesen Gefallen und schießt das hier raus:
Zitat:
„Wir lassen uns am Ring unserer Korrektheit in der Nase durch die Arena ziehen. Weißt du, manchmal macht es keinen Spaß mehr. Ein Gefühl der Resignation, ja des Ekels. Man arbeitet, schuftet, versucht, Positives in die Welt zu setzen, und schon wird alles, was man tut, pervertiert und vor irgendwelche üblen Karren gespannt. Manchmal fühlt man sich schon vergewaltigt. Man muss wirklich schauen, dass man wieder die Motivation aufbaut, und sich einreden, dass ehrliche Arbeit weiterhin benötigt wird, und sei es nur, um Schlimmes zu verhüten. Aber machen wir jetzt wirklich Schluss mit diesem Thema. Es geht nicht mehr fort und wird uns noch oft beschäftigen, leider.“

Fast hätte ich erwartet, dass sich die beiden nun eine Zigarette anstecken, aber sie schaltet stattdessen die "sanfte Abendbeleuchtung" ein - offfenbar haben wir es mit Romantikern und Nichtrauchern zu tun.
Ihre abschließende Befürchtung, er solle nicht als "Bettvorleger bei einer anderen Frau landen" interpretiere ich dann auch so, er solle das Populismus-Spiel weiterhin nur mit ihr spielen.
Nicht, dass noch jemand drauf reinfällt, der nicht versteht, dass es nur ein ein Spiel ist.


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Calvin Hobbs
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Beitrag13.09.2022 17:10

von Calvin Hobbs
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nebenfluss hat Folgendes geschrieben:
Wow.

Jetzt muss ich erstmal Lazy Sunday Afternoon in Schleife hören, um in die passende Stimmung zu kommen.

Es soll ja diese jungen Paare geben, die ständig Sex haben. Dieses Paar aus der gehobenen Mittelschicht hat andere Bedürfnisse. Es spielt das Populismus-Spiel. ...


Danke Daumen hoch²


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chaton
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Beitrag13.09.2022 18:54

von chaton
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nebenfluss hat Folgendes geschrieben:
Wow.

Jetzt muss ich erstmal Lazy Sunday Afternoon in Schleife hören, um in die passende Stimmung zu kommen.

Es soll ja diese jungen Paare geben, die ständig Sex haben. Dieses Paar aus der gehobenen Mittelschicht hat andere Bedürfnisse. Es spielt das Populismus-Spiel.
Das geht so:
Er legt sich gemütlich auf die Couch und schwafelt sich aus den Resten halbverdauten Schulwissens eine Mischung aus Verschwörungstheorie und Apokalypse zusammen.
Ihre Aufgabe ist es, ihn dabei zu einem Mindestmaß an Kreativität zu motivieren. Mit der langweiligen, weil hinlänglich bekannten Bilderberger-Story braucht er ihr nicht zu kommen. Vermutlich sind auch Sündenböcke bzw. Gesichter bzw. Big-Brother-Figuren wie Bill Gates oder George Soros tabu. Aber Ludwig Erhard (Politiker, Experte und - na klar - Lügner), der hat was. Nicht zuletzt, weil er seit 45 Jahren tot ist. Da sieht man mal, wie langfristig der ganze Schlamassel, an dem unser Denker zu leiden vorgibt, eingefädelt wurde.
Sie achtet außerdem peinlich genau darauf, immer nur die Dinge nachzufragen, die im Sinne der Sache unterhaltsam sind. Jeder lose Faden, dessen Verfolgung intellektuell anstrengend wäre - weil er auf eine höhere Komplexität oder eine Eigenverantwortung hinwiese -, wird sofort fallengelassen. Spielregel oder stilles Einverständnis, man weiß es nicht. Auf jeden Fall beherrschen die beiden (insbesondere sie!) das Populismus-Spiel so perfekt, dass sie es bestimmt nicht zum ersten Mal spielen.
Es soll ja diese jungen Paare geben, die ständig Sex haben. Dieses Paar aus der gehobenen Mittelschicht hat andere Bedürfnisse.
Grandioser Text!
Eine meiner zahlreichen Lieblingsstellen ist die, wo sie über "ehrliche Arbeit" "nachdenken" und zu dem Schluss kommen, dass ihre Arbeit "ehrlich" ist - ohne, dass versucht wird, den Unterschied zu unehrlicher Arbeit zu definieren oder ich als Leser wenigstens erfahre, welcher Berufstätigkeit die beiden überhaupt nachgehen. Wozu auch? Ist nicht jede(r) davon überzeugt, seine/ihre Arbeit sei ehrlich? Dazu passt auch die Namenlosigkeit der beiden.
In der zweiten Runde wird dieses Prinzip dann an der Gegenüberstellung legitimer Besitz vs. Luxus wiederholt. Erneut wird schnell klar: Der eigene Lifestyle - als Single eine Eigentumswohnung besitzen; als Couchpotato den Intellektuellen spielen - ist noch okay. Verdächtig sind dagegen einige aus dem Bekanntenkreis, die offenbar noch wohlständiger sind. Neid in moralische Überlegenheit umdeuten - geiles Spiel, gibt's das irgendwo zu kaufen? (und die soufflierende Freundin hätte ich gerne auch gleich dazu)
Dann, wie angedeutet, die Passage über Erhard als hinterhältiger, hellsichtiger Strippenzieher.
Nun ist das Vorspiel vorbei und der Spaß kann richtig losgehen: Er eskaliert und schwurbelt sich zu Formulierungen wie "Lügengebilde, die einen Grad der Überreife erreicht haben, dass sie zum Himmel stinken" hoch oder beschreibt Ökonomie im besten Klugscheißer-Tonfall als "die reinste Geldmaschine", das sei "ja langsam schon unheimlich". Sie stellt artig und atemlos immer banalere und im Prinzip unnötige Fragen, die Intervalle werden kürzer, um endlich zum Höhepunkt zu kommen - beide gleichzeitig? Man erfährt es leider nicht wirklich, aber irgendwie tut er (ihr oder sich oder beiden) diesen Gefallen und schießt das hier raus:
Zitat:
„Wir lassen uns am Ring unserer Korrektheit in der Nase durch die Arena ziehen. Weißt du, manchmal macht es keinen Spaß mehr. Ein Gefühl der Resignation, ja des Ekels. Man arbeitet, schuftet, versucht, Positives in die Welt zu setzen, und schon wird alles, was man tut, pervertiert und vor irgendwelche üblen Karren gespannt. Manchmal fühlt man sich schon vergewaltigt. Man muss wirklich schauen, dass man wieder die Motivation aufbaut, und sich einreden, dass ehrliche Arbeit weiterhin benötigt wird, und sei es nur, um Schlimmes zu verhüten. Aber machen wir jetzt wirklich Schluss mit diesem Thema. Es geht nicht mehr fort und wird uns noch oft beschäftigen, leider.“

Fast hätte ich erwartet, dass sich die beiden nun eine Zigarette anstecken, aber sie schaltet stattdessen die "sanfte Abendbeleuchtung" ein - offfenbar haben wir es mit Romantikern und Nichtrauchern zu tun.
Ihre abschließende Befürchtung, er solle nicht als "Bettvorleger bei einer anderen Frau landen" interpretiere ich dann auch so, er solle das Populismus-Spiel weiterhin nur mit ihr spielen.
Nicht, dass noch jemand drauf reinfällt, der nicht versteht, dass es nur ein ein Spiel ist.


Hallo nebenfluss,

haben Sie mich erschreckt! Offenbar wird hier im Forum mit knallharten Bandagen kritisiert. Es ist mir vielleicht nicht immer gelungen, aber ich bin der Meinung, man muss den "Gut-und-gerne-Lebenden" in diesem Land eine Chance geben, aus dem Elend ihres gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Wohlbehagens herauszufinden und ein Minimum an sozialer realer Gerechtigkeit zu begreifen, ohne gleich vor Scham im Boden zu versinken. Das wäre zwar nicht verkehrt, aber dann haben sie es doch nicht verdient, jedenfalls jene nicht, die NICHT zynisch sind - wie beispielsweise mein junges Paar. Nein, ich wollte nicht, dass sie sich dumm stellen, geistig die Kurve kratzen und beispielsweise mit aktuellen sehr modischen Bewegungen sympathisieren und meinen, sie müssten wohlfeilen Welcome-Sprüchen für allerlei modische Ansagen applaudieren, die von den Medien rund um die Uhr getrötet werden. Vielleicht hinterfragen Sie mal, wer in diesem Land sich dumm stellt und andere verdummt. Mein junges Paar gehört gewiss nicht dazu. Vielleicht haben Sie bessere Ansatzpunkte. Aber sagen Sie mir nicht, dass Sie Ihr Töchterchen freitags zu FFF und nicht in den Unterricht schicken.

Chaton


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nebenfluss
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Beitrag13.09.2022 22:01

von nebenfluss
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chaton hat Folgendes geschrieben:

Hallo nebenfluss,

haben Sie mich erschreckt! Offenbar wird hier im Forum mit knallharten Bandagen kritisiert.

Ach, ich würde so sagen: Man hat hier jeden Freiraum, den man sich wünschen kann. Wird tatsächlich eine rote Linie überschritten (persönliche Diffamierung des Autors o. ä.), muss sich der Angegriffene in der Regel nicht alleine verteidigen. Im umgekehrten Fall - erscheinen Kommentare zu harmlos - ruft das aber gelegentlich auch gerade schärfere Kritiker auf den Plan.
In unserem Fall möchte ich noch erwähnen, dass ich mir durchaus unsicher über die Intention des Textes war. Für mich war dann aber die betonte Behaglichkeit der Szenerie so augenfällig, dass sie als ironischer Kommentar zum Gespräch bei mir ankam. Diese Lesart wurde durch Weiteres verstärkt, insbesondere durch die Figur der Freundin, die amS kein eigenständiger Charakter ist bzw. als solcher vollständig substanzlos erscheint. Deshalb habe ich es so hingeschrieben - es steht Ihnen ja frei, zu widersprechen (tun Sie ja auch).
chaton hat Folgendes geschrieben:
Es ist mir vielleicht nicht immer gelungen, aber ich bin der Meinung, man muss den "Gut-und-gerne-Lebenden" in diesem Land eine Chance geben, aus dem Elend ihres gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Wohlbehagens herauszufinden

Ehrlich gesagt kann ich mir unter einem Elend des Wohlbehagens nichts vorstellen. Man kann der Meinung sein, dass Geld (bzw. Luxus) nicht glücklich macht (wird schnell langweilig, belastet das soziale Gewissen, Sorgen über Verlust, Diebstahl, Neider usw.), aber dann ist doch auch kein Wohlbehagen mehr da(?)
chaton hat Folgendes geschrieben:
und ein Minimum an sozialer realer Gerechtigkeit zu begreifen, ohne gleich vor Scham im Boden zu versinken.

Gerne. Dieser Sofaphilosoph geht ja aber weit über das hinaus. Er begreift kein Minimum über den Zustand der sozialen Gerechtigkeit hierzulande, sondern landet ruckzuck bei einem Maximum, nämlich der Erkenntnis, die Situation der ganzen Menschheit sei heillos verfahren. Eine super Ausrede, den Kopf in den Sand zu stecken (auf dem Sofa liegen zu bleiben und sich im Licht der eigenen Erkenntnisfähigkeit zu sonnen), tausendfach bewährt. *
Und wer solches von sich gibt:
Junger Mann in Uns geht es gut hat Folgendes geschrieben:
Es würden sehr bewusst immer neue, systemerhaltende Ungerechtigkeiten erfunden und eingespeist, damit die großen notwendigen Gleichgewichte auch ja schön erhalten blieben.

ist m. E. von einer Verschwörungstheorie nur noch einen Schritt entfernt, wenn überhaupt. Ob er deshalb vor Scham im Boden versinkt, ist mir wumpe.

chaton hat Folgendes geschrieben:
Das wäre zwar nicht verkehrt, aber dann haben sie es doch nicht verdient, jedenfalls jene nicht, die NICHT zynisch sind - wie beispielsweise mein junges Paar. Nein, ich wollte nicht, dass sie sich dumm stellen, geistig die Kurve kratzen und beispielsweise mit aktuellen sehr modischen Bewegungen sympathisieren und meinen, sie müssten wohlfeilen Welcome-Sprüchen für allerlei modische Ansagen applaudieren, die von den Medien rund um die Uhr getrötet werden. Vielleicht hinterfragen Sie mal, wer in diesem Land sich dumm stellt und andere verdummt. Mein junges Paar gehört gewiss nicht dazu.

Ich weiß nicht, wie Sie auf dieses Dumm-Stellen kommen. Ich habe dem Paar in dieser Geschichte nicht angekreidet, dass es sich dummstellt. Ich habe unterstellt, dass die beiden ein Spiel spielen, das möglicherweise sexuelle Aktivität ersetzt - das ist doch ein relevanter Unterschied, oder nicht.
Nebenbei bemerkt, passt vorsätzliches Dummstellen/andere verdummen wollen nicht besonders gut in mein Menschenbild. Ich denke, dass Menschen des öfteren zu träge oder zu uninformiert sind (Ihr junges Paar z. B.) oder die Tragweite ihres Verhaltens falsch einschätzen (mich eingeschlossen). Das ist schon so ziemlich alles.
Na gut, Björn Höcke. Dem könnte man zutrauen, dass er absichtlich Dummheit bedient. Oder Putin, aber Sie wollten ja Beispiele aus dem Inland.
chaton hat Folgendes geschrieben:
Vielleicht haben Sie bessere Ansatzpunkte. Aber sagen Sie mir nicht, dass Sie Ihr Töchterchen freitags zu FFF und nicht in den Unterricht schicken.

Keine Sorge. Über familiäre Dinge spreche ich eh ungern mit Fremden. Ich erkenne hier auch endgültig den Zusammenhang nicht mehr.


* Wenn Sie verhindern wollen, dass er wie ein Schwafler wirkt, der sich vor allem selbst gern reden hört, kürzen und entschwurbeln Sie den Text, bis sich die beiden wie authentische Menschen in einer privaten Situation unterhalten - vielleicht sogar auf Augenhöhe.
Seien Sie vorsichtiger mit den ganz großen Begriffen wie "Wahrheit" und vor allem "Lüge". Und lassen Sie ihn seinen Wortschatz ausnutzen, statt ihn wie einen Demagogen die immerselben Begriffe raushämmern zu lassen.
Beispielhaft:
Uns geht es gut hat Folgendes geschrieben:
Ja, was wollte er eigentlich sagen? Dass er in einer Glaubenskrise steckte in Sachen Geldverdienen? Dass irgendetwas mit dem Geldverdienen nicht mehr zu stimmen schien? Vielleicht nie gestimmt hatte? Dass er es lange nicht wahrgenommen hatte. Dass er guten Glaubens gewesen war und an das ehrlich verdiente Geld glaubte – wie es ja seine Freundin auch tat. Man gehörte doch zur großen Glaubensgemeinschaft, überzeugt davon, dass das Geld, das einen jeden umgab, auf gutem Glauben und ehrlicher Arbeit fußte und durch das Wirken der Glaubenden vermehrt wurde. Alle, mit denen sie verkehrten, glaubten dies.

sowie
Zitat:
Nein, auf diese Spitze wolle er die Sache nicht treiben. Allein schon deshalb nicht, weil es nicht wenige ehrliche Leute gebe, die ehrlich ihr Geld verdienen und es auch für vertretbare Zwecke ausgeben. Diese Menschen könne man in der Tat nicht der Unehrlichkeit bezichtigen.

Das meine ich mit Geschwurbel. Zunächst mal interessiert mich nicht, was der Typ alles nicht will oder gerade nicht findet. Und dass man ehrliche Leute, die ehrlich ihr Geld verdienen, in der Tat nicht der Unehrlichkeit bezichtigen kann, ist dermaßen selbstverständlich, dass der Satz gestrichen gehört. Auch Umständlichkeiten wie "nicht wenige" sind einige zu finden. Also nicht wenige Wink Zu viele. Ach, Sie verstehen schon.

Und schmeißen Sie bitte das hier am Schluss des Textes
Zitat:
ENDE

raus. Dass ein Text nach seinem letzten Punkt am Ende angekommen ist, weiß die Leserschaft auch so Cool


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chaton
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Beitrag14.09.2022 07:50

von chaton
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nebenfluss hat Folgendes geschrieben:
chaton hat Folgendes geschrieben:

Hallo nebenfluss,

haben Sie mich erschreckt! Offenbar wird hier im Forum mit knallharten Bandagen kritisiert.

Ach, ich würde so sagen: Man hat hier jeden Freiraum, den man sich wünschen kann. Wird tatsächlich eine rote Linie überschritten (persönliche Diffamierung des Autors o. ä.), muss sich der Angegriffene in der Regel nicht alleine verteidigen. Im umgekehrten Fall - erscheinen Kommentare zu harmlos - ruft das aber gelegentlich auch gerade schärfere Kritiker auf den Plan.
In unserem Fall möchte ich noch erwähnen, dass ich mir durchaus unsicher über die Intention des Textes war. Für mich war dann aber die betonte Behaglichkeit der Szenerie so augenfällig, dass sie als ironischer Kommentar zum Gespräch bei mir ankam. Diese Lesart wurde durch Weiteres verstärkt, insbesondere durch die Figur der Freundin, die amS kein eigenständiger Charakter ist bzw. als solcher vollständig substanzlos erscheint. Deshalb habe ich es so hingeschrieben - es steht Ihnen ja frei, zu widersprechen (tun Sie ja auch).
chaton hat Folgendes geschrieben:
Es ist mir vielleicht nicht immer gelungen, aber ich bin der Meinung, man muss den "Gut-und-gerne-Lebenden" in diesem Land eine Chance geben, aus dem Elend ihres gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Wohlbehagens herauszufinden

Ehrlich gesagt kann ich mir unter einem Elend des Wohlbehagens nichts vorstellen. Man kann der Meinung sein, dass Geld (bzw. Luxus) nicht glücklich macht (wird schnell langweilig, belastet das soziale Gewissen, Sorgen über Verlust, Diebstahl, Neider usw.), aber dann ist doch auch kein Wohlbehagen mehr da(?)
chaton hat Folgendes geschrieben:
und ein Minimum an sozialer realer Gerechtigkeit zu begreifen, ohne gleich vor Scham im Boden zu versinken.

Gerne. Dieser Sofaphilosoph geht ja aber weit über das hinaus. Er begreift kein Minimum über den Zustand der sozialen Gerechtigkeit hierzulande, sondern landet ruckzuck bei einem Maximum, nämlich der Erkenntnis, die Situation der ganzen Menschheit sei heillos verfahren. Eine super Ausrede, den Kopf in den Sand zu stecken (auf dem Sofa liegen zu bleiben und sich im Licht der eigenen Erkenntnisfähigkeit zu sonnen), tausendfach bewährt. *
Und wer solches von sich gibt:
Junger Mann in Uns geht es gut hat Folgendes geschrieben:
Es würden sehr bewusst immer neue, systemerhaltende Ungerechtigkeiten erfunden und eingespeist, damit die großen notwendigen Gleichgewichte auch ja schön erhalten blieben.

ist m. E. von einer Verschwörungstheorie nur noch einen Schritt entfernt, wenn überhaupt. Ob er deshalb vor Scham im Boden versinkt, ist mir wumpe.

chaton hat Folgendes geschrieben:
Das wäre zwar nicht verkehrt, aber dann haben sie es doch nicht verdient, jedenfalls jene nicht, die NICHT zynisch sind - wie beispielsweise mein junges Paar. Nein, ich wollte nicht, dass sie sich dumm stellen, geistig die Kurve kratzen und beispielsweise mit aktuellen sehr modischen Bewegungen sympathisieren und meinen, sie müssten wohlfeilen Welcome-Sprüchen für allerlei modische Ansagen applaudieren, die von den Medien rund um die Uhr getrötet werden. Vielleicht hinterfragen Sie mal, wer in diesem Land sich dumm stellt und andere verdummt. Mein junges Paar gehört gewiss nicht dazu.

Ich weiß nicht, wie Sie auf dieses Dumm-Stellen kommen. Ich habe dem Paar in dieser Geschichte nicht angekreidet, dass es sich dummstellt. Ich habe unterstellt, dass die beiden ein Spiel spielen, das möglicherweise sexuelle Aktivität ersetzt - das ist doch ein relevanter Unterschied, oder nicht.
Nebenbei bemerkt, passt vorsätzliches Dummstellen/andere verdummen wollen nicht besonders gut in mein Menschenbild. Ich denke, dass Menschen des öfteren zu träge oder zu uninformiert sind (Ihr junges Paar z. B.) oder die Tragweite ihres Verhaltens falsch einschätzen (mich eingeschlossen). Das ist schon so ziemlich alles.
Na gut, Björn Höcke. Dem könnte man zutrauen, dass er absichtlich Dummheit bedient. Oder Putin, aber Sie wollten ja Beispiele aus dem Inland.
chaton hat Folgendes geschrieben:
Vielleicht haben Sie bessere Ansatzpunkte. Aber sagen Sie mir nicht, dass Sie Ihr Töchterchen freitags zu FFF und nicht in den Unterricht schicken.

Keine Sorge. Über familiäre Dinge spreche ich eh ungern mit Fremden. Ich erkenne hier auch endgültig den Zusammenhang nicht mehr.


* Wenn Sie verhindern wollen, dass er wie ein Schwafler wirkt, der sich vor allem selbst gern reden hört, kürzen und entschwurbeln Sie den Text, bis sich die beiden wie authentische Menschen in einer privaten Situation unterhalten - vielleicht sogar auf Augenhöhe.
Seien Sie vorsichtiger mit den ganz großen Begriffen wie "Wahrheit" und vor allem "Lüge". Und lassen Sie ihn seinen Wortschatz ausnutzen, statt ihn wie einen Demagogen die immerselben Begriffe raushämmern zu lassen.
Beispielhaft:
Uns geht es gut hat Folgendes geschrieben:
Ja, was wollte er eigentlich sagen? Dass er in einer Glaubenskrise steckte in Sachen Geldverdienen? Dass irgendetwas mit dem Geldverdienen nicht mehr zu stimmen schien? Vielleicht nie gestimmt hatte? Dass er es lange nicht wahrgenommen hatte. Dass er guten Glaubens gewesen war und an das ehrlich verdiente Geld glaubte – wie es ja seine Freundin auch tat. Man gehörte doch zur großen Glaubensgemeinschaft, überzeugt davon, dass das Geld, das einen jeden umgab, auf gutem Glauben und ehrlicher Arbeit fußte und durch das Wirken der Glaubenden vermehrt wurde. Alle, mit denen sie verkehrten, glaubten dies.

sowie
Zitat:
Nein, auf diese Spitze wolle er die Sache nicht treiben. Allein schon deshalb nicht, weil es nicht wenige ehrliche Leute gebe, die ehrlich ihr Geld verdienen und es auch für vertretbare Zwecke ausgeben. Diese Menschen könne man in der Tat nicht der Unehrlichkeit bezichtigen.

Das meine ich mit Geschwurbel. Zunächst mal interessiert mich nicht, was der Typ alles nicht will oder gerade nicht findet. Und dass man ehrliche Leute, die ehrlich ihr Geld verdienen, in der Tat nicht der Unehrlichkeit bezichtigen kann, ist dermaßen selbstverständlich, dass der Satz gestrichen gehört. Auch Umständlichkeiten wie "nicht wenige" sind einige zu finden. Also nicht wenige Wink Zu viele. Ach, Sie verstehen schon.

Und schmeißen Sie bitte das hier am Schluss des Textes
Zitat:
ENDE

raus. Dass ein Text nach seinem letzten Punkt am Ende angekommen ist, weiß die Leserschaft auch so Cool


Hallo nebenfluss,

ich gehe jetzt auf das Zerpflücken nicht mehr detailliert ein, sondern arbeite noch einmal den Kern der Unterhaltung heraus. Dieses "Pärchen" gehört in der Tat und ursprünglich "ideologisch" zu den unreflektierten Bewohnern unserer Wohlstandsgesellschaft, die mit ihrer Ideologie völlig im Reinen sind - von grundsätzlichen Fragwürdigkeiten keine Spur. Der komplette Dialog ist ein vorsichtiges Heraustasten (jedenfalls soll es so sein, ob es so rüberkommt, ist eine andere Frage) aus dieser Ideologie. Eine vorsichtige Distanzierung.

Offenbar meinst du, das kann nicht authentisch sein, weil die beiden doch ihren behaglichen Lebensstil fortführen. Also wenn sie authentisch sein wollen, sollen sie "alles verkaufen" wie in der Bibel? Aber wir haben keinen "Jesus", höchstens "falsche Propheten".


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Beitrag14.09.2022 11:40

von nebenfluss
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chaton hat Folgendes geschrieben:
Der komplette Dialog ist ein vorsichtiges Heraustasten (jedenfalls soll es so sein, ob es so rüberkommt, ist eine andere Frage) aus dieser Ideologie. Eine vorsichtige Distanzierung.


Am Anfang, ja. Dann aber läuft irgendwas schief und es schlägt in das um, was holg ein "als Dialog getarntes Traktat" genannt hat.
Wenn man den Text ohne Ironie liest (es sich also um kein Spiel, sondern Ernst handeln soll), halte ich diese Analyse für zutreffend.
Die Wortwahl hat irgendwann jede Vorsicht hinter sich gelassen, sondern ist von Wut bestimmt, mit einer Freundin, die dem Welterklärer Fragen stellt wie ein Kind dem Großvater, der vom Krieg erzählt.

Genau darum geht es in den Werkeboards des Forums. Ein Text ist irgendwie gemeint, kommt irgendwie anders an, und wir fragen uns, woran das liegt.

chaton hat Folgendes geschrieben:
Offenbar meinst du, das kann nicht authentisch sein, weil die beiden doch ihren behaglichen Lebensstil fortführen.

Nein, ich verwendete den Begriff (nicht) authentisch in Hinblick auf die Sprache, in der sich die beiden unterhalten. Auch die Rollenverteilung zwischen den beiden finde ich - wie erwähnt - unglaubwürdig. Dadurch fliegt die Tarnung als Dialog besonders deutlich auf.

Ich wollte hier nicht über Weltanschauungen diskutieren, oder wie man vom Denken ins Handeln kommt, sondern meine Meinung zum Text sagen und bei Behebung seiner Schwächen helfen. Wenn das nicht gewünscht ist, können wir das Gespräch jetzt beenden.


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Beitrag14.09.2022 11:49

von chaton
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nebenfluss hat Folgendes geschrieben:
chaton hat Folgendes geschrieben:
Der komplette Dialog ist ein vorsichtiges Heraustasten (jedenfalls soll es so sein, ob es so rüberkommt, ist eine andere Frage) aus dieser Ideologie. Eine vorsichtige Distanzierung.


Am Anfang, ja. Dann aber läuft irgendwas schief und es schlägt in das um, was holg ein "als Dialog getarntes Traktat" genannt hat.
Wenn man den Text ohne Ironie liest (es sich also um kein Spiel, sondern Ernst handeln soll), halte ich diese Analyse für zutreffend.
Die Wortwahl hat irgendwann jede Vorsicht hinter sich gelassen, sondern ist von Wut bestimmt, mit einer Freundin, die dem Welterklärer Fragen stellt wie ein Kind dem Großvater, der vom Krieg erzählt.

Genau darum geht es doch in den Werkeboards des Forums. Ein Text ist irgendwie gemeint, kommt irgendwie anders an, und wir fragen uns, woran das liegt.

chaton hat Folgendes geschrieben:
Offenbar meinst du, das kann nicht authentisch sein, weil die beiden doch ihren behaglichen Lebensstil fortführen.

Nein, ich verwendete den Begriff (nicht) authentisch in Hinblick auf die Sprache, in der sich die beiden unterhalten. Auch die Rollenverteilung zwischen den beiden finde ich - wie erwähnt - unglaubwürdig. Dadurch fliegt die Tarnung als Dialog besonders deutlich auf.

Ich wollte hier nicht über Weltanschauungen diskutieren, oder wie man vom Denken ins Handeln kommt, sondern meine Meinung zum Text sagen und bei Behebung seiner Schwächen helfen. Wenn das nicht gewünscht ist, können wir das Gespräch jetzt beenden.


Wut? - Wohl eher Schaudern vor dem "ideologischen Tintenfass", in dem die beiden sich am Ende gefallen sehen. holg hat durchaus Recht. Die Sprachform ist zu "angreifbar", d. h. noch nicht wirklich dem katastrophalen Gegenstand angemessen. Aber ich werde mich bemühen, denn dieser Dialog ist mir lieb und teuer.


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Beitrag14.09.2022 12:14

von nebenfluss
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chaton hat Folgendes geschrieben:
Wut? - Wohl eher Schaudern vor dem "ideologischen Tintenfass", in dem die beiden sich am Ende gefallen sehen.

Am Ende (bevor es sozusagen wieder privat wird) sagt der junge Mann Folgendes:
Zitat:
Wir lassen uns am Ring unserer Korrektheit in der Nase durch die Arena ziehen. Weißt du, manchmal macht es keinen Spaß mehr. Ein Gefühl der Resignation, ja des Ekels. Man arbeitet, schuftet, versucht, Positives in die Welt zu setzen, und schon wird alles, was man tut, pervertiert und vor irgendwelche üblen Karren gespannt. Manchmal fühlt man sich schon vergewaltigt. Man muss wirklich schauen, dass man wieder die Motivation aufbaut, und sich einreden, dass ehrliche Arbeit weiterhin benötigt wird, und sei es nur, um Schlimmes zu verhüten.

Das ist für mich 100% Wutbürger-Sprech. So spricht niemand, der gerade mal zaghaft angefangen hat, die Integrität des ihn umgebenden Systems in Frage zu stellen, sondern jemand, der schon lange frustriert ist, sich gegängelt und ausgenutzt fühlt und bei dem jetzt das "Fass überläuft".
So geht es ihm (in der derzeitigen Form des Textes), dem jungen Mann mit Eigentumswohnung, und das charakterisiert ihn auf eine äußerst unsympathische Weise.
Da würde ich ansetzen, wenn der Leser dem Mann ernsthaft 'zuhören' soll.

chaton hat Folgendes geschrieben:
holg hat durchaus Recht. Die Sprachform ist zu "angreifbar", d. h. noch nicht wirklich dem katastrophalen Gegenstand angemessen. Aber ich werde mich bemühen, denn dieser Dialog ist mir lieb und teuer.

Ich wünsche viel Glück. Ich bin gespannt, ob es gelingen kann, den Dialog einerseits als vorsichtiges Heraustasten/vorsichtige Distanzierung dieses Paares zu gestalten und gleichzeitig eine angemessene Sprache für den katatstrophalen Gegenstand zu finden.


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Beitrag14.09.2022 12:21

von chaton
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nebenfluss hat Folgendes geschrieben:
chaton hat Folgendes geschrieben:
Wut? - Wohl eher Schaudern vor dem "ideologischen Tintenfass", in dem die beiden sich am Ende gefallen sehen.

Am Ende (bevor es sozusagen wieder privat wird) sagt der junge Mann Folgendes:
Zitat:
Wir lassen uns am Ring unserer Korrektheit in der Nase durch die Arena ziehen. Weißt du, manchmal macht es keinen Spaß mehr. Ein Gefühl der Resignation, ja des Ekels. Man arbeitet, schuftet, versucht, Positives in die Welt zu setzen, und schon wird alles, was man tut, pervertiert und vor irgendwelche üblen Karren gespannt. Manchmal fühlt man sich schon vergewaltigt. Man muss wirklich schauen, dass man wieder die Motivation aufbaut, und sich einreden, dass ehrliche Arbeit weiterhin benötigt wird, und sei es nur, um Schlimmes zu verhüten.

Das ist für mich 100% Wutbürger-Sprech. So spricht niemand, der gerade mal zaghaft angefangen hat, die Integrität des ihn umgebenden Systems in Frage zu stellen, sondern jemand, der schon lange frustriert ist, sich gegängelt und ausgenutzt fühlt und bei dem jetzt das "Fass überläuft".
So geht es ihm (in der derzeitigen Form des Textes), dem jungen Mann mit Eigentumswohnung, und das charakterisiert ihn auf eine äußerst unsympathische Weise.
Da würde ich ansetzen, wenn der Leser dem Mann ernsthaft 'zuhören' soll.

chaton hat Folgendes geschrieben:
holg hat durchaus Recht. Die Sprachform ist zu "angreifbar", d. h. noch nicht wirklich dem katastrophalen Gegenstand angemessen. Aber ich werde mich bemühen, denn dieser Dialog ist mir lieb und teuer.

Ich wünsche viel Glück. Ich bin gespannt, ob es gelingen kann, den Dialog einerseits als vorsichtiges Heraustasten/vorsichtige Distanzierung dieses Paares zu gestalten und gleichzeitig eine angemessene Sprache für den katatstrophalen Gegenstand zu finden.


"Das ist für mich 100% Wutbürger-Sprech." Kann ich definitiv nicht nachvollziehen Wortwahl wegen ideologischer Übergriffigkeit abgelehnt. Diskussion beendet.
Nachsatz: ich bin weder selbst "Wutbürger", noch habe ich die Personen des Dialogs als "Wutbürger" konzipiert.


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holg
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Beitrag14.09.2022 13:34

von holg
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Das Problem bei der Arbeit an politischen Texten besteht mMn immer darin, zwischen dem politischen Standpunkt und der handwerklichen Herstellung des Textes zu differenzieren.

Nebenfluss und ich scheinen uns in letzterem eher einig zu sein: in dem, warum der Text nicht wirklich zündet.

Die Figuren sind zu hölzern.
Sie reden nicht wie Menschen miteinander reden, sondern er redet, als lese er aus einem Manifest ab und sie gibt leicht durchschaubare Stichwortfragen.
Es findet keine wirkliche Auseinandersetzung mit den Thesen statt. Es werden keine schlüssigen Verbindungen zwischen Einzelaspekten aufgebaut, sondern Zusammenhänge einfach so behauptet.
Die Figuren behaupten Betroffenheit, die sich aus ihrer Situation (wie der Text sie schildert) nicht ergibt.
Er (die Figur) zeigt kein Suchen, kein Tasten nach einer Position. Er postuliert Endpunkte, behauptet sich als Opfer, hinterfragt alles außer seiner eigenen Überzeugung. (Ich vermute, daher stammt der Eindruck des Wutbürgertums, den ich nachvollziehen kann).
So entsteht weder ein Spannungsbogen noch ein Konflikt oder eine Wendung.
Doch genau davon lebt ein literarischer Text. Und ja, das kann man auch in einem Dialog darstellen.
Möglicherweise ist die Absicht hinter dem Text aber eine andere. Dann wäre zu prüfen, ob diese Form überhaupt geeignet ist, sie zu transportieren,. Dann wäre womöglich ein Essay die überzeugendere Variante.

Wenn der Text diese Problematik lösen kann (und ich glaube, das könnte er nach intensiver Überarbeitung), dann kann man sich ja immer noch über seine politisch/gesellschaftlich/soziale Botschaft streiten.

Davon ab:
Einerseits mit ad-hominem-Spitzen gegen FFF kommen, sich andererseits aber bei einem nicht mal persönlich gemeinten Wutbürger dünnhäutig zeigen hilft weder der Diskussion noch dem Text.

OFF-TOPIC?: Bei der Sache mit Ludwig Erhard und der sozialen Marktwirtschaft möchte ich Nebenfluss aber widersprechen. Dass Erhard eigentlich ein neoliberaler Marktradikaler war und der Begriff soziale Marktwirtschaft eigentlich ein Etikettenschwindel ist, habe ich inzwischen schon von mehreren (nicht nur linken) Ökonomie- und Geschichtsverständigen gelesen.
Andererseits sollte der Begriff, der als Kampfbegriff und Gegenentwurf zur unsozialen Planwirtschaft oder demokratischen Sozialismus der SPD entstand, von dieser aber selbst übernommen (aber sicherlich anders gemeint) wurde, wie allein diese Begebenheit zeigt, als Hülse für alle möglichen Vorstellungen verstanden und weniger wörtlich genommen werden. Genau das geschieht ja auch im politischen Alltag. So ist die Behauptung Merkels, unsere soziale Marktwirtschaft sei der dritte Weg zwischen Kapitalismus und Staatswirtschaft angesichts des Handelns der dt. Politik der letzten 20 Jahre zumindest diskussionswürdig.


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chaton
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Beitrag14.09.2022 13:41

von chaton
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holg hat Folgendes geschrieben:
Das Problem bei der Arbeit an politischen Texten besteht mMn immer darin, zwischen dem politischen Standpunkt und der handwerklichen Herstellung des Textes zu differenzieren.

Nebenfluss und ich scheinen uns in letzterem eher einig zu sein: in dem, warum der Text nicht wirklich zündet.

Die Figuren sind zu hölzern.
Sie reden nicht wie Menschen miteinander reden, sondern er redet, als lese er aus einem Manifest ab und sie gibt leicht durchschaubare Stichwortfragen.
Es findet keine wirkliche Auseinandersetzung mit den Thesen statt. Es werden keine schlüssigen Verbindungen zwischen Einzelaspekten aufgebaut, sondern Zusammenhänge einfach so behauptet.
Die Figuren behaupten Betroffenheit, die sich aus ihrer Situation (wie der Text sie schildert) nicht ergibt.
Er (die Figur) zeigt kein Suchen, kein Tasten nach einer Position. Er postuliert Endpunkte, behauptet sich als Opfer, hinterfragt alles außer seiner eigenen Überzeugung. (Ich vermute, daher stammt der Eindruck des Wutbürgertums, den ich nachvollziehen kann).
So entsteht weder ein Spannungsbogen noch ein Konflikt oder eine Wendung.
Doch genau davon lebt ein literarischer Text. Und ja, das kann man auch in einem Dialog darstellen.
Möglicherweise ist die Absicht hinter dem Text aber eine andere. Dann wäre zu prüfen, ob diese Form überhaupt geeignet ist, sie zu transportieren,. Dann wäre womöglich ein Essay die überzeugendere Variante.

Wenn der Text diese Problematik lösen kann (und ich glaube, das könnte er nach intensiver Überarbeitung), dann kann man sich ja immer noch über seine politisch/gesellschaftlich/soziale Botschaft streiten.

Davon ab:
Einerseits mit ad-hominem-Spitzen gegen FFF kommen, sich andererseits aber bei einem nicht mal persönlich gemeinten Wutbürger dünnhäutig zeigen hilft weder der Diskussion noch dem Text.

OFF-TOPIC?: Bei der Sache mit Ludwig Erhard und der sozialen Marktwirtschaft möchte ich Nebenfluss aber widersprechen. Dass Erhard eigentlich ein neoliberaler Marktradikaler war und der Begriff soziale Marktwirtschaft eigentlich ein Etikettenschwindel ist, habe ich inzwischen schon von mehreren (nicht nur linken) Ökonomie- und Geschichtsverständigen gelesen.
Andererseits sollte der Begriff, der als Kampfbegriff und Gegenentwurf zur unsozialen Planwirtschaft oder demokratischen Sozialismus der SPD entstand, von dieser aber selbst übernommen (aber sicherlich anders gemeint) wurde, wie allein diese Begebenheit zeigt, als Hülse für alle möglichen Vorstellungen verstanden und weniger wörtlich genommen werden. Genau das geschieht ja auch im politischen Alltag. So ist die Behauptung Merkels, unsere soziale Marktwirtschaft sei der dritte Weg zwischen Kapitalismus und Staatswirtschaft angesichts des Handelns der dt. Politik der letzten 20 Jahre zumindest diskussionswürdig.


Nun gut. Ich lasse dann mal "Menschen miteinander reden", aber Menschen, die nicht gleich mit ideologischen Fertigteilen daherkommen, sondern ideologische Versatzstücke behutsam aus dem Weg räumen. Solche Menschen gibt es nicht? Schaumerma, zumindest in der literarischen Fiktion sollte es doch möglich sein.


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realo
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Beitrag14.09.2022 17:15

von realo
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holg hat Folgendes geschrieben:

Die Figuren sind zu hölzern.
Sie reden nicht wie Menschen miteinander reden, sondern er redet, als lese er aus einem Manifest ab und sie gibt leicht durchschaubare Stichwortfragen.


Finde ich nicht, das ist ein literarischer Text, eine Kunstform, da ist der Ausdruck anders als besoffen vor dem Fernseher. Eher wie am Theater, die Schauspieler sprechen auf der Bühne eine Kunstform von Alltagssprache und so ist es in einem Dialog beim Text als Kunstform auch.

Es geht bei diesem Text nicht darum, sich beim Leser einzuschleimen, damit er sagt toll, sondern die Auseinandersetzung mit der Kunstform ist eine Hürde. Es braucht persönliche Überwindung, um das zuzulassen und die Identifikation sind die eigenen politischen Gedanken, das kann Horror sein.

Deshalb verteidige ich diesen Text, weil er nicht den Leser durch Liebkosung abholt, sondern sich überwinden muss. Genau das sollte man bei der eigenen politischen Haltung auch tun und nicht den einfachsten oder bequemsten Weg wählen. Wie gesagt, es könnte ein Sachtext sein und sich den zu erschießen braucht eigene kreative Fähigkeiten, sonst ist man ein Schaf was in der Menge mit blökt. Der Text ist hölzern, aber das ist ein genau angemessenes Stilmittel für so einen Inhalt.
Bertolt Brechts Stücke waren auf der Bühne auch hölzern, sollten sie auch, sie wahren politisch und keine Komödie als Schenkelklopfer.
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Beitrag14.09.2022 17:24

von chaton
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realo hat Folgendes geschrieben:
holg hat Folgendes geschrieben:

Die Figuren sind zu hölzern.
Sie reden nicht wie Menschen miteinander reden, sondern er redet, als lese er aus einem Manifest ab und sie gibt leicht durchschaubare Stichwortfragen.


Finde ich nicht, das ist ein literarischer Text, eine Kunstform, da ist der Ausdruck anders als besoffen vor dem Fernseher. Eher wie am Theater, die Schauspieler sprechen auf der Bühne eine Kunstform von Alltagssprache und so ist es in einem Dialog beim Text als Kunstform auch.

Es geht bei diesem Text nicht darum, sich beim Leser einzuschleimen, damit er sagt toll, sondern die Auseinandersetzung mit der Kunstform ist eine Hürde. Es braucht persönliche Überwindung, um das zuzulassen und die Identifikation sind die eigenen politischen Gedanken, das kann Horror sein.

Deshalb verteidige ich diesen Text, weil er nicht den Leser durch Liebkosung abholt, sondern sich überwinden muss. Genau das sollte man bei der eigenen politischen Haltung auch tun und nicht den einfachsten oder bequemsten Weg wählen. Wie gesagt, es könnte ein Sachtext sein und sich den zu erschießen braucht eigene kreative Fähigkeiten, sonst ist man ein Schaff was in der Menge mit blökt. Der Text ist hölzern, aber das ist ein genau angemessenes Stilmittel für so einen Inhalt.


Das "hölzern" wurmt mich, was ich für ein gutes Zeichen halte. Die beiden Personen denken und sprechen (jedenfalls so ist es intendiert) weder in griffigen Mainstreamsätzen noch in griffigen Kritiksätzen. Das Griffige muss weg, denn das legt sich auf den Geist und lähmt das Denken. Offenbar kommt dann jedoch ein derzeit als "hölzern" empfundener Diskurs dabei heraus. Das macht nichts. Holz kann man schnitzen.


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realo
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Beitrag14.09.2022 17:47

von realo
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Ich finde die Figuren in dem Text wie Avatare, sie denken an meiner Stelle, dann sind sie nicht aus Fleisch und Blut und denken an meiner Stelle, damit ich es nicht machen muss, sondern sie inspirieren mich aus Fleisch und Blut über das menschliche Thema nachzudenken. Ich soll denken und nicht ein eingehender Dienstleister der es für mich tut. Das ist der Unterschied zwischen einer politischen Abhandlung und einem Märchen, wo der Protagonist die Abenteuer für den Leser erlebt und der Leser dadurch beruhigt ist. Ein politischer Text wiegelt auf, provoziert und rüttelt auf, sonst hat er seinen Sinn verfehlt. Ein gutes Werk macht das mit ganz minimalistischen Methoden, ohne Schnörkel, wie hölzern, das ist ein gutes Prädikat. Ich kritisiere an dem Text nicht herum, wir bräuchten mehr von dieser Art neben der Fantasy, SF, Liebesroman, Krimi usw. alles weit ab von der Realität.
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