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Drachentöterin


 
 
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Globo85
Geschlecht:männlichKlammeraffe

Alter: 38
Beiträge: 738
Wohnort: Saarland
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Beitrag11.08.2022 19:00
Drachentöterin
von Globo85
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Drachentöterin

Wenn in einem Wald, vielleicht in den Weiten der Taiga Sibiriens, oder den Dschungeln des Amazonasbeckens, ein Baum niederstürzt, und niemand, kein Mann und keine Frau, kein Vater und keine Mutter, kein einziges menschliches Wesen, sich in der Nähe aufhält, verursacht der kippende Riese dann einen Laut?

Sie.

Ein Mädchen hastete durchs Gehölz, das zum weiten Areal des familiären Anwesens gehörte, die Gefährten direkt auf ihren Fersen. Ein Spiel, dem sie sich oft hingaben, an sengenden Tagen und lauen Abenden jenen Sommers.
Heute trug sie ein weißes Kleid, am Saum eingerissen, an den Knien verfärbt. Braun. Wie der Waldboden. Mit einem Quantum Grün darin.
Heute führte sie die Gefährten ins Abenteuer und sie jagten dem Fluss entgegen, immerzu, ein letztes Mal noch, bevor der Sommer zu Ende ging.
Das Mädchen sprang auf einen umgestürzten Stamm und spähte zurück. Das Rascheln der anderen, durchs Unterholz wetzend, konnte ihr Atemringen nicht übertönen. Tannennadeln schmückten ihre braunen Locken, ihre Wangen glänzten rosig von Hitze und Ertüchtigung.
Hierher!, rief sie den anderen zu, sie kenne den Weg und es dränge die Zeit. Die wackeren Recken traten aus dem Gestrüpp, fünf an der Zahl. So viele, wie das Mädchen Sommer gesehen hatte. Ihre schmalen Lippen krümmten sich zu einem glühenden Lächeln. Heute führte sie die Gefährten ins Abenteuer.
Nicht, weil sie bloß an der Reihe war, nicht, weil die anderen nett sein wollten, sondern weil das Mädchen es sich erkämpft hatte. Sie griff nach dem Schwert auf ihrem Rücken, das eigentlich nur ein langes Stück Holz war. Aber in ihren Händen geriet der Stock zur mächtigen Klinge. Die Wunde über ihrem Auge zwickte und das Mädchen trug sie voller Stolz. Sie stammte von dem gewonnenen Duell um die Führerschaft.
Kommt mit zum Fluss, hatte sie gesagt, und dass dort ein Monster warte, aber auch eine große Belohnung. Connor hatte Angst bekommen, der Jüngste der Gefährten.
Das macht nichts, Connor, hatte sie ihm gesagt und ihn mit entschlossenem Blick angeschaut. Ich würde für dich sterben, weil ich nicht will, dass dir etwas passiert, hatte sie ihm gesagt, so wie sie auch für die anderen sterben würde. Das mächtige Schwert auf ihrem Rücken schenkte ihr die Kraft und den Mut dafür.
Nun warf sie wieder den Blick nach vorne, ihre Gefährten auf dem Baumstamm direkt neben ihr. Das Blut ihrer Eltern verband sie alle miteinander, aber mehr noch die Abenteuer in diesem Sommer. Piraten, die sie jagten, Monster, die sie fingen, Schätze, die sie bargen.
Eine kleine Lichtung öffnete sich vor ihnen, dahinter die Senke zum Fluss. Die Sonne stand tief. Sie mussten sich beeilen, denn bald schon riefe man sie zum Abendessen. Die Wangen des Mädchens glühten im abendroten Licht, als eine Gestalt zwischen den Bäumen hervortrat.
Da seid ihr ja, sagte der Mann, und dass das Essen bald auf den Tisch käme.
Trotz rang in dem Mädchen empor, denn heute führte sie doch ins Abenteuer. Aber die anderen murrten nur kurz. Mächtige Waffen landeten auf dem Boden. Jedes Poltern ein Stich in den Ballon der Glückseligkeit.
Du musst auch zurück, sagte der Mann, nachdem die anderen schon gegangen waren, und nur das Mädchen ausharrte, ihr Schwert in Händen.
Ich muss zum Fluss, sagte sie, und dass dies heute ihre Aufgabe sei.
Der Mann lachte und sagte dem Mädchen, dass es ihm folgen solle, aber sie dürfe niemandem etwas verraten. Ein Abenteuer warte. Dann ging er los, der Abendsonne entgegen und warf einen langen Schatten auf das Mädchen. Einen Schatten, der sich bei jedem Schritt des Mannes wand. Dem Mädchen war, als erkenne sie Schuppen auf dem Schatten. Einen Drachenleib. Der Mann drehte sich zu ihr um und der Drache räkelte sich. Der Mann breitete die Arme aus, der Schatten tat es ihm gleich – wie Drachenschwingen, kam es dem Mädchen in den Sinn. Sie zwang ein Lächeln auf ihre schmalen Lippen. Ein zögerliches. Ein Lächeln, das niemand sah, verschluckt von einem Schatten, der in der untergehenden Sonne immer länger ragte. Lang genug schon, um einem ganzen Leben das Licht zu stehlen.

Du.

Du kämpfst. Jeden Tag. Und doch zieht es dich immer wieder zurück ins Grau. Warum gerade du? Und warum eigentlich überhaupt?
Am Anfang ist es pure Angst und du machst nicht mehr, als zu funktionieren. Es ist, als packe man dich in Watte, und du bist dankbar. Denn alles wirkt ein bisschen leiser, ein bisschen blasser, ein bisschen dumpfer. Du hörst den Baum nicht mehr fallen. So wie niemand dich hat fallen hören. Du hörst den Baum nicht mehr fallen, denn deine Definition ist eine andere: Ein Geräusch braucht einen Empfänger. Kein Empfänger, kein Geräusch.
Du bist kein Empfänger, denn alles zieht an dir vorbei. Sommer um Sommer. Du machst weiter, ja. Du funktionierst. Irgendwie.
Manchmal ist dir, als könntest du noch Glück spüren. Nein, nicht spüren … Ahnen. Ein Hauch von Erinnerung umweht dich wie eine kühle Brise an einem schwül-heißen Sommertag. Aber bevor sie dich erreicht, ist sie verschwunden. Verpufft.
Tag. Nacht. Herbst, Winter, Frühling … Wieder Sommer. Wieder Ferienhaus. Wieder Großfamilie. Und Schattendrache. Die Sonne kommt, die helle Jahreszeit. Aber für dich bleibt alles grau und undeutlich.
Du führst auch keine Gefährten mehr, wie könntest du, wenn du den Weg nicht mehr erkennst, denn alles ist trüb. Anfangs lachst du noch mit ihnen, aber es fühlt sich hohl an. So wie der Rest.
Der Schatten hat metastasiert. Er ist ansteckend, und du infizierst alles um dich herum. Trägst das Grau in die Welt. Ein Sommerwald? Leuchtend, in Grün und Gold im Abendlicht? Deine Schattenaura wirft ihr Netz, saugt Farbe wie ein Schwamm.
Irgendwann bleibt der Drache den Treffen fern und du träumst von einem Sommer ohne Schatten. Aber du wirst nie mehr ohne Schatten sein. Wenn du es für einen Moment schaffst, dann schleicht er sich zurück, kriecht unter Türritzen hindurch, lauert im Schrank und infiltriert deinen Schlaf.
Deine Gefährten finden dich nicht mehr. Wie auch, wo du dich doch selbst nicht mehr findest in all dem Grau ohne Kontur. Schattenwelt.
Ist es noch deine Welt? Ist die andere nicht viel realer? Die, in der es Glück gibt, und Lachen. Farbe. Und Sonnenstrahlen, die man berühren kann. Deine Welt ist untersaturiert. Streckst du deine Hand nach den Sonnenstrahlen, folgt der Schatten deiner Bewegung. Drachenschatten.
Dein einziger Gefährte ist dein Buch. Dein Schwert eine Feder. Und du schreibst jeden Tag, von Schatten und von Drachen und dem ewigen Grau.

Ich.

Also ich glaube, sagt mein Vater, ich kann deine Mutter nicht länger warten lassen. Sein Blick trifft nicht meine Augen. Macht er eigentlich nie.
Er steht auf, streicht die nicht vorhandenen Knitter von seiner Bügelfaltenhose. Graue Hose, leicht melangiert. Ich erkenne Kontraste mittlerweile sehr gut.
Er weiß nicht, was er mit seinen Händen anstellen soll.
Gewissheit nagt an mir. Nein. Sie hat meine Wände eingeschlagen und ein Trümmerfeld hinterlassen.
Natürlich erzeugt ein umstürzender Baum ein Geräusch, es kommt nicht auf die Definition an. Selbst wenn niemand mein letztes Abenteuer in dem Sommer vor vielen Jahren mitbekommen hätte, so hat es doch stattgefunden. Ob die Schockwellen von jemandem empfangen wurden oder nicht. Die Schockwellen gab es. Es ist real. Es ist passiert. Ich weiß es.
Und ich weiß, dass mein Vater es weiß. Er muss es wissen, wie könnte er diesen Schuss nicht gehört haben?
Diese Gewissheit zerfetzt mir die Stimmbänder. Mein Mund öffnet sich, aber kein Laut erklingt. Und das nicht etwa, weil der Empfänger fehlt.
Meine Eltern definieren ›Geräusch‹ dagegen anders. Kein Empfänger, kein Geräusch.
Ach, sagt mein Vater, als er schon in der Tür steht, kommst du eigentlich zum Sommerhaus nächsten Monat?
Der Schatten ist zurück, kalt wie der Abyss eines Ozeans.
Ins Landhaus, sagt mein Vater. Und das alle kämen. Connor habe das Treffen vereinbart, seine Zwillingsmädchen wären jetzt fünf.
Alle?, frage ich und das Nicken erscheint mir in Zeitlupe.
Auch der Drache.
Ähm, sagt mein Vater, und weiß nicht, wohin mit seinen Händen.
Er kann mir nicht in die Augen sehen, sagt nur, dass wirklich alle kommen, und ich doch bestimmt die Kinder sehen wolle. Ich könne ihnen zeigen, wo wir früher am Fluss –
Drachenhöhle.
Mein Vater wartet auf eine Antwort, aber bekommt sie nicht.
Als die Tür ins Schloss klickt, erwache ich aus meiner Erstarrung. Ich beobachte, wie der Raum seine Farbe verliert.
Der Schatten ist zurück. Stammgast. Kehrt immer wieder und hat ganzjährig Saison.
Ich schreibe gegen den Schatten an, gegen das Grau. Ich schreibe und schreibe, Seite um Seite. Ich schreibe und reiße Seiten heraus, schreibe neu, schreibe was war, was ist, was ich dachte, was sein wird. Ich schreibe und reiße Seiten heraus, ich schreibe, bis meine Hand verkrampft, meine Finger sich krümmen, Bilder in meinen Kopf schießen, wie sich das Mädchen krümmt, das Mädchen, das Drachen töten wollte.
Ich schaue in den Spiegel an der Wand in dem kleinen Zimmer. Rückzugsort.
Im Spiegel das Mädchen. Sie schaut mich an, will mir etwas mitteilen, aber ich verstehe es nicht. Das Mädchen steht auf einem Baumstamm, um es herum ein Wald voller Abenteuer, ein Leben voller Möglichkeiten. Um mich herum nur fünfunddreißig Quadratmeter sicherer Raum. Ein Raum voller Seiten. Ich habe sie herausgerissen und an die Wände gepinnt. Sie hängen wie Blätter im Wald.
Ich werde für dich sterben, weil ich nicht will, dass dir etwas passiert, hat das Mädchen zu Connor gesagt. Damals.
Das Mädchen im Spiegel, ihre schmalen Lippen biegen sich zu einem grimmigen Lächeln. Einem entschlossenen Lächeln. Tannennadeln schmücken ihr Haar. Ihre Wangen sind gerötet, in ihrer Hand ruht eine mächtige Klinge.
So wie in meiner. Ich spanne den Hahn. Ich verstehe sie jetzt. Sie hatte unzählige Möglichkeiten. Ich nur noch eine.
Wenn ein Schuss fällt, in einer Wohnung, in der sonst niemand ist, in einem Haus, in dem niemand sich dafür interessiert … Wenn hier ein Schuss fällt, macht er ein Geräusch?

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V.K.B.
Geschlecht:männlich[Error C7: not in list]

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Beiträge: 6152
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Goldenes Licht Weltrettung in Silber


Beitrag22.08.2022 03:09

von V.K.B.
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Hallo Inky,

eine Geschichte, die man erst mal für sich interpretieren muss. Ich gehe davon aus, dass es um Missbrauch geht. Ein Gast im ersten Teil schickt die Kinder nach Hause, um sich in Ruhe an dem Mädchen vergreifen zu können. Im zweiten Teil geht es um ihre Traumatisierung, sie versucht es mit therapeutischem Schreiben, hat es nie jemandem erzählt, geht aber davon aus, ihr Vater müsse es wissen und reagiere nur nicht. Im dritten Teil beschließt sie, ihren Peiniger zu ermorden.

Interessant, und was mir besonders gut gefallen hat, ist die Verwendung der drei Perspektiven. Diese wirken nicht nur als eine Art Countdown (3-2-1. Person), sondern auch noch auf psychologischer Ebene. Im ersten Teil (3.Person) haben wir eine eher neutrale Schilderung, was passiert. Der Peiniger schlägt das erste mal zu. Im zweiten Teil (2.Person) lese ich eine Dissoziation. Das Mädchen flüchtet in ihr inneres, das "du" verwendet, als sei es jemandem anders passiert, und nicht ihr selbst. Der Versuch, das Trauma abzuspalten, und abzuschalten, wenn sie dem Peiniger als Sommerstammgast wieder begegnet. Dann der dritte Teil, das ich, die Fokussierung auf die eigene Stärke, und schließlich die Entscheidung, die Sache selbst in die Hand zu nehmen und sich selbst zu helfen, den Drachen zu erlegen, den Peiniger zu erschießen.

E-Lit: ich denke schon
Sperrig: ein wenig, da man erst interpretieren muss, kommt nicht alles auf dem Silbertablett
Thema Sommergäste: Ja, besonders der "Drache"
Begegnungen/Abschiede: keine Begegnung, die man haben möchte, aber definitiv umgesetzt. Und auch der Abschied, von der Angst, der Opferrolle, und dem Peiniger selbst im dritten Teil
ungehörter Schuss: Der Missbrauch, den ihr Umfeld nicht zur Kenntnis nimmt oder totschweigt.
Hintergrund Veränderung: hier sehe ich eine Schwäche. Okay, es ist definitiv eine Veränderung, wenn sie sich mit Gewalt von ihrem Peiniger befreit, aber diese findet nicht im Hintergrund statt, sondern geht von ihr selbst aus
Persönliches Gefallen: sehr. Ich fand die Geschichte lesenswert, sie regt zum Nachdenken an und kommt auch nicht zu einfach daher. Einziger Wermutstropfen: Ein bisschen aufgesetzt erscheint mir das alles schon. Die drei Perspektiven, mit ihren Bedeutungen, und das dramatische Ende (wo hat sie eigentlich die Waffe her?). Ein bisschen effekthascherisch (hey, schaut mal, ich mache hier Kunst) ist das schon. Wirklich gestört hat es mich aber nicht. Hey, ich mag Kunst.

Mein erster Platz! 12 Punkte für dich!


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Hang the cosmic muse!

Oh changelings, thou art so very wrong. T’is not banality that brings us downe. It's fantasy that kills …
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silke-k-weiler
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Alter: 49
Beiträge: 748

Das goldene Schiff Der goldene Eisbecher mit Sahne


Beitrag23.08.2022 12:05

von silke-k-weiler
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Lieber Text,

uff, was soll ich da groß schreiben. Besonders der erste Teil hat mich mit ziemlicher Wucht getroffen, der Teil:

Ein Lächeln, das niemand sah, verschluckt von einem Schatten, der in der untergehenden Sonne immer länger ragte. Lang genug schon, um einem ganzen Leben das Licht zu stehlen.

Ein großartiiger Satz!

Ich bedaure die Kapitulation am Ende, aber es fällt mir bei diesem Thema schwer, losgelöst davon den Text und die Umsetzung an sich zu bekritteln, da denke ich mir immer, das stünde mir nicht zu. Jedenfalls kommst Du in meine Top Ten!

Silke
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thepriest
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Wohnort: Schweiz


Beitrag23.08.2022 16:15

von thepriest
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Ein düsteres Thema, Starke Bilder, die Kamera zoomt ganz langsam heran. Behutsam nähere ich mich der geschundenen Seele der Protagonistin. Als ich sie erreiche, ist es bereits zu spät.

Waffen spielen eine Schlüsselrolle in dieser Geschichte, werden in deren Verlauf immer gefährlicher. Doch wer hört den Schuss?

Der Geschichte gelingt es, das Gorki-Zitat aus der Vorgabe treffend umzusetzen, ohne dabei aufdringlich zu wirken. Kein Lesevergnügen, dafür ein berührendes Lese-Erlebnis.


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dürüm
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Beitrag23.08.2022 21:10

von dürüm
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Hallo Inco,

ein schreckliches Thema, Kindesmissbrauch.

Gut gelöst.

Das Ende fand ich zu vorhersehbar. Und hätte es mir anders gewünscht. Aber so ist es natürlich auch oft.

Gut geschrieben!

5 Punkte

Gruß
Kerem


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Versuchungen sollte man nachgeben. Wer weiß, ob sie wiederkommen.
(Oscar Wilde)
Der Willige wird vom Schicksal geführt. Der Störrische geschleift.
(Seneca)
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Reimeschreiberin
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Beiträge: 219



Beitrag23.08.2022 21:48

von Reimeschreiberin
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Schon der Einstieg lässt aufhorchen und stimmt nachdenklich.

Dann der erste Part, "Sie". Am Anfang bin ich etwas unsicher, in welcher Zeit es spielt. Auch hat die Beschreibung etwas märchenhaftes, von Recken und Schwertern. Recht schnell wird klar, dass es sich um spielende Kinder handelt. Doch was zunächst harmlos daher kommt, gewinnt gegen Ende eine bedrohliche Wendung. Auch wenn das Geschehen nur (geschickt und mit sehr passenden Metaphern - "Drachenleib" etc.) angedeutet wird, ist überdeutlich, was passiert.

Der zweite Part, "Du". Sehr bildhaft geschrieben, wie die ganze Geschichte. Man wird
 förmlich hineingesogen und fühlt mit der Protagonistin mit. Man spürt beinahe selbst, wie das Erlebte auch Jahre später noch einfach alles überschattet. Gelungen finde ich auch das Aufgreifen des Eingangsbildes mit dem Baum und dem Geräusch.

Der dritte Part, "Ich". Hier möchte ich am liebsten losschreien: Wie könnt ihr nur zusehen, eure Tochter im Stich lassen und so tun als wäre nichts passiert? Der Wechsel in die Ich-Form macht es umso eindringlicher. Man fühlt fast selbst, was sie fühlt. Und dann der letzte Satz, der das Thema vom Baum und dem Geräusch aufgreift, variiert und das unvermeidliche Ende ankündigt.

Sehr gelungen auch die Dreiteilung in Sie, Du und Ich. Für mich erscheint es wie der Versuch der Protagonistin, sich von dem Geschehen in ihrer Kindheit zu distanzieren. Es ist IHR passiert, SIE hat das erlebt, nicht ich. Später dann rückt das Erlebte näher. Das Distanzieren funktioniert nicht auf Dauer, aus SIE wird DU.
Und dann, durch die erneut bevorstehende Konfrontation mit dem "Drachen" fallen alle errichteten Mauern, aus DU wird ICH und die Protagonistin sieht nur noch einen Ausweg.

Eine sehr eindringliche und bewegende Geschichte, die lange nachklingt.
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Constantine
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Beiträge: 3311

Goldener Sturmschaden Weltrettung in Bronze


Beitrag25.08.2022 09:57

von Constantine
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Sehr geehrte Señora Incógnita

Der Verfasser kann Bilder und Stimmungen erzeugen. Und eine relativ altbekannte, banale Geschichte bekommt durch eine virtuose Inszenierung etwas Pep, was erneut zeigt, es kommt nicht immer darauf an, was man erzählt, sondern wie man es tut. Der Text wirkt sehr angestrengt, um seine Geschichte zu erzählen, schafft es aber im Vergleich mit allen Wettbewerbstexten mit etwas Kreativität und Schreibskills zu punkten: huit points.

Merci beaucoup
Constantine
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sleepless_lives
Geschlecht:männlichSchall und Wahn

Administrator
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Beiträge: 6474
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Pokapro VI Weltrettung in Gold


Beitrag26.08.2022 19:39

von sleepless_lives
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Ein Text über Kindesmissbrauch in einem regulären Schreibwettbewerb hat bei mir von Anfang an einen schweren Stand. Denn er steht erst einmal unter dem Verdacht, dass das hochsensible und hochemotionale Thema nur gewählt wurde, um auf der emotionalen Seite zu punkten (im übertragenen Sinn). Gerade wenn das Wortlimit relativ eng gesetzt ist und damit verhindert, in die Tiefe zu gehen, sofern man nicht gerade zu den überragenden Meister:innen des geschriebenen Wortes gehört oder direkt aus eigener Erfahrung erzählt (was wir nicht hoffen wollen). Mit anderen Worten, der Text steht anfänglich unter dem Verdacht, spekulativ zu sein.

Der Titel scheint den Eindruck zu bestätigen, in seiner Anlehnung an gängige Fantasy-Romane, -Filme und -Serien: hip und gefällig, aber das könnte man natürlich auch bewusst einsetzen, um Kontrast aufzubauen.
 
Der Anfangssatz greift einen epistemologischen (erkenntnistheoretischen) Satz auf und wendet ihn an auf das Thema der Geschichte, in einer Weise, die mir nicht klar wird. Wahrscheinlich soll es um das Problem des Mangels von Zeugen bei einem Verbrechen und die daraus oft resultierende gesellschaftliche Leugnung gehen, die die Realität des Opfers zur gesellschaftlichen Irrealität werden lässt. In der Tat ein Thema von äußerster Wichtigkeit, das bis in Tiefen jenseits von nur Recht, Rechtsprechung und Gerechtigkeit reicht, in das Trauma selbst und dessen Überwindung. Aber was haben der Amazonas oder die Taiga und der Baumriese damit zu tun, es sei denn, es soll gleich noch ein ganz anderes Thema angeschnitten werden, was nicht gerade passend wäre.

Im ersten mit „Sie“ überschriebenen Teil wird die Titelanspielung in der Sprache weitergeführt mit allerlei seltsamen Formulierungen wie „So viele, wie das Mädchen Sommer gesehen hatte“ und „Ihre schmalen Lippen krümmten sich zu einem glühenden Lächeln“. Ich verstehe die Motivation dahinter nicht, denn klarerweise ist es weder die Perspektive des fünfjährigen Mädchens noch ihres späteren Ichs, noch des Täters, sondern ein/e unabhängige/r Erzähler:in tritt auf. Aus einem nicht gerade hoch-qualitativen Fantasy-Roman. Wenn dann auch noch dem Mädchen der Name verweigert wird, sie also entpersonalisiert und entindividualisiert wird, und der Täter mit in der gegenwärtigen Fantasy eindeutig positiv assoziierten Drachen gleichgesetzt wird, bricht für mich das ganze Konzept endgültig zusammen.

Der zweite mit „Du“ überschriebene Teil weicht glücklicherweise dann vom angefangenen Schema ab. Weitgehend, nicht ganz. Denn auch hier wird eigentlich nur in eher vagen Bildern gesprochen, wird jeglicher Verortung in der Realität keine Chance gegeben. Doch sollte es nicht gerade darum gehen, Zeugnis abzulegen, wenn es keine Zeugen gibt? Stattdessen hangelt sich der Text von einem Bild zum anderen, von einem Metapher zur nächsten, will nichts benennen, obwohl in der Innensicht des Opfers geschrieben. Die Sprache wirkt oft gefällig, als ob sie es darauf absieht, ‚schön‘ zu sein, gelobt zu werden, und wie unpassend wäre das in diesem Zusammenhang.

Der letzte Abschnitt mit „Ich“ bewegt sich ein wenig weiter in die Realität hinein, wobei die Sprache immer noch gelegentlich am Kitsch vorbeischrammt. Zumindest jemand anderes (Bruder?) erhält jetzt einen Namen ('Connor'), allerdings einen in Deutschland nicht gebräuchlichen, ursprünglich irischen Namen, was sofort wieder den Eindruck von TV-Inspiration zurückbringt. Die einzige Assoziation, die mir dazu einfällt ist Sinead O'Connor und ihr Zerreißen eines Photos von Papst John Paul II in der TV-Show ‚Saturday Night Live‘ (1992) mit den Worten "Fight the real enemy", um gegen Kindesmissbrauch in der katholischen Kirche zu protestieren. Aber das kann nicht sein, denn der Connor im Text tut ja eher das Gegenteil. Das kurze Gespräch mit dem Vater und die Gedanken rundherum stellen meiner Meinung nach die wesentliche Substanz des Textes dar und lassen durchschimmern, was hätte sein können, wenn auf Fantasy und den stark überstrapazierten Vergleich mit dem fallenden Baum verzichtet worden wäre. Doch am Ende steht wieder ein Effekt, fast wie eine Pointe, das (zumindest beabsichtige) Erschießen des Täters. So wie es geschildert wird mit Sätzen wie „ihre schmalen Lippen biegen sich zu einem grimmigen Lächeln“ haben uns Hollywood und Co wieder fest im Griff. Und der Verdacht des Spekulierens auf emotionale Wirkung hat sich bei mir auch nicht verflüchtigt.


Wie aus dem obigen wahrscheinlich schon absehbar, hätte der Text es bei mir nicht in die Punkteränge geschafft.


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Es sollte endlich Klarheit darüber bestehen, dass es uns nicht zukommt, Wirklichkeit zu liefern, sondern Anspielungen auf ein Denkbares zu erfinden, das nicht dargestellt werden kann. (Jean-François Lyotard)

If you had a million Shakespeares, could they write like a monkey? (Steven Wright)
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d.frank
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D
Beitrag28.08.2022 11:31

von d.frank
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Die Poesie / der Schmuck, besonders im ersten Absatz, wirkt fehl. Als hätte der Text seinen Ton und seine Verortung noch nicht gefunden. Die Sprache ist behäbig und opulent und zeichnet einen verwunschenen Wald, was eigentlich ein gutes Stilmittel sein könnte, um die Sequenz zu unterstreichen, aber wegen des Zuviels ein übertrieben märchenhaftes Bild zeichnet. Man bekommt das nicht ins Jetzt. Es wirkt dadurch altertümlich und antiquiert, ohne dass man im Text eine Berechtigung dafür ablesen kann.
Allerdings mochte ich das Bild des Drachen, der im Schatten steckt.
Mittig ist der Text am Besten, der Aufbau funktioniert auch, aber im letzten Absatz verrutscht das wieder, der Hintergrund stimmt irgendwie nicht.
Also insgesamt glaube ich, es hätte noch ein bisschen mehr Zeit und Muße gebraucht, dann wäre das ein guter Text geworden.

Jetzt bin ich selbst ein bisschen erstaunt, dass der Text am Ende den dritten Platz belegt. Aber irgendwie hat er sich eingeschlichen, ist hängengeblieben. Ich hoffe, der Autor mag noch daran arbeiten, weil das lohnt sich, glaube ich


_________________
Die Wahrheit ist keine Hure, die sich denen an den Hals wirft, welche ihrer nicht begehren: Vielmehr ist sie eine so spröde Schöne, daß selbst wer ihr alles opfert noch nicht ihrer Gunst gewiß sein darf.
*Arthur Schopenhauer
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holg
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Beitrag28.08.2022 15:25

von holg
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Schleicht sich im ersten Teil das Grauen noch subtil und in phantastischen Andeutungen in eine Kinderabenteuergeschichte hinein, so ist er zweite Teil subtil wie ein Holzhammer, wenn er die posttraumatische Depression der Protagonistin beschreibt.
Im dritten Teil wohnen wir der Rückkehr der posttraumatischen Panik bei. Auch hier wieder gut und intensiv beschrieben und von einer bestürzenden Hilflosigkeit geprägt, die ein lebenslanges Opfertum mit sich bringt.

Natürlich ist das gut geschrieben und das Thema ein leider wichtiges und immerwährendes. Nur wünschte ich mir in diesem Wettbewerb eine eher künstlerische, vielleicht sogar abstrahierende Herangehensweise, statt der rein beschreibenden und (durchaus erfolgreich) auf maximale Bestürzung zielende.

Der Versuch über das vorangestellte Zitat scheint mir nicht zu passen, etwas ungelenk knapp am Thema vorbei zu führen, denn natürlich hat jemand den Baum stürzen hören. Die Frage müsste daher eher sein, ob eine Person als Zeuge des SkyBaumfalls ausreicht, um ihn Wirklichkeit werden zu lassen.


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Heidi
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Der goldene Durchblick


Beitrag28.08.2022 20:22

von Heidi
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Das Thema

Ich bin unschlüssig, was dem Mädchen passiert ist, aber es muss etwas mit Gewalt zu tun haben. Entweder sexueller Missbrauch oder Gewalt in Form von Schlägen oder anderen körperlichen Übergriffen, oder es wurde jemand vor ihren Augen durch einen Schuss ermordet? Letzteres erscheint mir aber doch als etwas zu platt im Zusammenhang mit den Wettbewerbsvorgaben, weil da ja in dem Gedicht ein Schuss vorkommt und ein Wald und beides ja nicht wirklich relevant ist, um das Gefühl eines Schusses oder Waldes hervorzurufen.

Der Titel

Mag ich sehr und hat mich auch entsprechend neugierig gemacht. Er passt auch wirklich gut zum Text.

Der Anspruch / Die Ungefügigkeit / Die Eigenständigkeit

Wenn ich mit der Thematik richtig liege, dann ist die schon allein für die Nerven anspruchsvoll; richtig einfügen will er sich auch nicht, der Text. Eine eigene Stimme … weiß nicht. Es ist dann doch diese Sache mit dem Geräusch und mit dem Sender und dem Empfänger im Fokus; darauf wird viel Augenmerk gelegt, aber mit Stil und Stimme hat das eher weniger zu tun. Die geht darüber ein wenig unter.

Die Sprache

Es ist eine klare Sprache; alles flüssig und solide geschrieben.

Der Gesamteindruck

Egal, was nun mit dem Mädchen passiert ist – wobei ich schon stark von sexuellem Missbrauch ausgehe – es wird eine düstere Stimmung erzeugt, die sich durch den gesamten Text zieht. Die Not dieses gebrochenen Menschen ist groß und wird ebenso groß dargestellt. Das bereits erwähnte Bild mit dem Geräusch/Empfänger/Sender ist ja nicht unbekannt - was im Grunde nichts zur Sache tut - wird aber meiner Meinung nach zu oft eingesetzt bzw. wiederholt und dadurch in den Vordergrund gedrängt; das könnte subtiler sein.

Stattdessen hätte ich eine zusätzliche Andeutung gebraucht, um die Gewalt, die dieser Frau im Kindesalter angetan wurde, zu verstehen. Es ist von Schatten die Rede, von Grau - ebenfalls in beständiger Wiederholung - wodurch zwar die höchst verzweifelte Situation der Figur erzeugt wird; zeitgleich wirkt der Text in der Darstellung dadurch auch ein wenig lethargisch. So kann man dieses Mädchen / diese Frau sicherlich auch in einer Art Lethargie erleben und vielleicht ist das auch so gewollt, dennoch denke ich, dass diesbezüglich weniger mehr gewesen wäre.

Was ich am Text spannend finde, ist der Kontrast zwischen Beschwingtheit und Unbeschwingtheit. In ihrer Traumwelt im Dschungel ist das Mädchen groß und mächtig, in der Konfrontation mit dem Drachen ist es klein und zerbrechlich – was dann übergeht in den Du-Teil.
Die Sache mit dem Schuss, dass der erwähnt wird, finde ich für diese Geschichte nicht gut. Es erinnert gerade am Ende an Suizid und das halte ich dann doch für etwas zu dick aufgetragen.
Ausweglosigkeit ist das eine, aber gleich den Selbstmord zu inszenieren ruft bei mir dann doch eher Unverständnis hervor. So nach dem Motto: Das Elend ist groß, es reicht aber noch nicht, da muss noch eins draufgesetzt werden, damit es wirklich sitzt und das Drama perfekt wird.

Was ich mag ist die fantasievolle Darstellung der Traumwelt des Mädchens, ihre Flucht in die Schönheit des Waldes und die von ihr erschaffene Figur der Drachentöterin. Da wird sehr viel Kindlichkeit spürbar, die einen schönen Kontrast zu dem Drama der beiden folgenden Abschnitte bildet.
Richtig überzeugen tut mich der Text nicht, auch wenn er sprachlich und bildlich betrachtet interessant ist, auch das Thema (wenn ich denn damit richtig liege) bietet ordentlich Denkstoff. Die Umsetzung sagt mir aber nicht zu in allen Punkten zu, weshalb es auch keine Punkte von mir gibt.
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Globo85
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Beitrag29.08.2022 12:07

von Globo85
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So, jetzt auch noch den Eigenkommentar.

Tja, ich glaube viel gibt es zum Text nicht mehr zu sagen, steht ja eigentlich alles drin und ist für E dann vielleicht ein wenig zu "durchsichtig" geworden.

Am Ende ist es, wie so häufig. Kaum ist der Text abgeschickt, würde man sofort gerne wieder daran herumfeilen.
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F.J.G.
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Beitrag30.08.2022 18:12

von F.J.G.
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Liebes verfassendes Wesen,

die schlechte Nachricht: dies ist mal wieder eine Geschichte, für die mir die sprichwörtliche Antenne fehlt. Die gute Nachricht: Von allen Geschichten im bisherigen Wettbewerb, auf die dies zutrifft, ist deine diejenige, die vom Sprachgebrauch her durchblicken lässt, dass hinter der für mich unüberwindbaren Mauer sich doch hohe Literatur verbirgt.

Dennoch sind Rezensionen hierorts dazu da, eine persönliche Bewertung aus eigener Perspektive abzugeben. Und so reicht es hier knapp nicht zu einer Punktevergabe.

Dennoch gern gelesen.

Ciao
Kojote


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nicolailevin
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Beitrag01.09.2022 17:49

von nicolailevin
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Ein Sommerhaus auf dem Lande. Eine Großfamilie kommt dort zusammen. Die Heldin, 5, ist die Anführerin der Kindergruppe, die in Garten und Umgebung allerhand phantasievolle Abenteuer erlebt. Eines Abends begegnet das Mädchen einem Mann der Gruppe, der sie alleine und unbeobachtet missbraucht. Sie trägt das Trauma viele Jahre mit sich, igelt sich sin, versucht, sich den Schmerz von der Seele zu schreiben. Der Vater scheint etwas zu ahnen, aber der Verdacht wird nie ausgesprochen, bis sie viele Jahre später, längst erwachsen, im selben Sommerhaus ihre Texte an die Wand heftet, ehe sie zur Waffe greift und sich selbst erschießt.

Kunstvoll wird die Situation und speziell der Missbrauch umschrieben, ohne dass es kitschig oder peinlich wird. Das beeindruckt mich.

Der Text ist allerdings da und dort für meine Begriffe ein bisschen zu prätentiös gehalten. Im Sinne der Vorgabe hätte sich für mich ein offenes Ende angeboten, das uns nicht sagt, ob sie sich oder ihren Peiniger erschießt.

Am Ende mein Platz fünf mit sechs Punkten.
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Schlomo
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Beitrag02.09.2022 00:07

von Schlomo
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Heftig! Ich weiß nicht, wie ich die Geschichte interpretieren soll. Geht es um Depressionen? Um unerfüllte Träume?

_________________
#no13
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Nachtvogel
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Beitrag03.09.2022 01:56

von Nachtvogel
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Dieser Text war der erste, den ich gelesen habe. Beim ersten Lesen fand ich ihn schon unglaublich gut und jetzt, nach der zweiten Leserunde, ist er noch immer mein Favorit. Du weißt wirklich mit Sprache umzugehen. Schön umgesetzt fand ich die wörtliche Rede, die erst direkt und nach dem Inquit indirekt wiedergegeben wurde (Ich muss zum Fluss, sagte sie, und dass dies heute ihre Aufgabe sei). Aber nicht nur sprachlich, auch bildlich weiß der Text zu überzeugen. Das Bild von dem Drachen und vor allem auch das Bild von dem Schatten haben eine sehr starke Wirkung. An keiner Stelle wird eindeutig erwähnt, dass es um Kindesmissbrauch geht, aber die emotionale Auswirkung auf die Protagonistin hast du eindrucksvoll geschildert. Auch schön fand ich den Wechsel von Sie über Du zu Ich, was zeigt, wie sehr sich die Erzählerin von ihrem ursprünglichen Selbst entfernt hat.

Für mich eindeutig und wohlverdient:
12 Punkte
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Minerva
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Beitrag03.09.2022 19:38

von Minerva
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Arya Stark hat Folgendes geschrieben:
Durchbohre sie mit dem spitzen Ende.


Inhalt:
Ein Mädchen spielt mit anderen Kindern/ihren Geschwistern oder Verwandten, und heute ist sie Anführerin, die Kämpferin. Etwas, das sie sich errungen hat. Doch dann trifft sie auf einen Mann im Wald, den Drachen, der sie sexuell missbraucht, und das mutmaßlich auch die nächsten Sommer in den Folgejahren. Nach vielen Jahren und der Unmöglichkeit, dieses Trauma wirklich zu verdrängen oder psychisch aufzuarbeiten, steht ein Treffen mit den Menschen der Großfamilie an, wo auch der Drache kommen soll und die beiden Kinder des Bruders, die nun im Alter des Mädchens von damals sind. So entschließt sich das ehemalige junge Mädchen, jetzt eine Frau, den Drache zu töten (oder sich selbst?).

Wertung

Der Übersichtlichkeit halber habe ich die Details zu den Kategorien in den Fußnoten ausführlich aufgeführt. Die Wertung dient dazu, die Geschichte für den Wettbewerb ranken zu können, deswegen wird alles im Detail betrachtet, bitte nimm es nicht als zerpflückende Kritik wahr, sondern als eine intensive Auseinandersetzung.

1 Die Geschichte an sich 5/5
Ein ernstes Thema, Text mit viel Bedeutungshintergrund, symbolischen Spielereien und durchdachtem Aufbau, fast ein 3-Akter dadurch! Eine träumerische Einleitung, Ästhetik, viel Angedeutetes und trotzdem passt es, ist rund zu dem Thema. Aus einem Guss, ohne Kitsch, ohne Melodrama.
Klasse Text!
Besonders perfide ist auch, dass der Drache ihr anfangs noch sagt, sie müsse auch zurück. Womöglich gibt ihm das die Rechtfertigung, ihr ja eine Chance gelassen zu haben. Und für sie kann das lebenslang eine Quelle des Selbstvorwurfes werden.
Teil 2 ist der Prozess der Verdrängung, die aber nicht auf Dauer gehalten werden kann. Teil 3 ist der Prozess, wo sie zur Klarheit kommt. Ich sehe da auch anhand der Ausdrücke und der erwähnten 5-jährigen Zwillinge (die nun gefährdet sind durch den Drachen) keine geplante Selbsttötung, sondern Selbstjustiz, obwohl die Frage mit dem Raum eher in die andere Richtung deutet.
Die Frage danach, ob Dinge wirklich passiert sind, wenn niemand sie wahrgenommen hat, könnte als Ausdruck der Verdrängung des Traumas verstanden werden, aber auch als Kritik am Wegsehen.

2 Umsetzung der Themen 7/7
Ich verstehe die Sommergäste als einen Teil der Familie, zu der auch der Drache gehört, und dass diese Treffen Jahr für Jahr wiederkommen und sich Jahr für Jahr der Missbrauch wiederholt. Dann eine lange Pause, die Prota ist nun mutmaßlich erwachsen. Und nun steht das Ereignis wieder an. Die Begegnung ist auf jeden Fall der Drache, auch das alte Ich im Spiegel. Abschied von der Starre und Übergang zum Handeln. Die Veränderung läuft über die Geschichte ab, bis zum Entschluss am Ende. Durch die Farbtöne und ihr Sehen kann man sie besonders herauslesen. Zusammenfassend durchdringt das Thema auch die Geschichte.

3 E-Faktor 5/5
Sie - Du - Ich
Ist hier sehr gut gewählt. Mit »sie« betrachten wir das Mädchen von außen, einfach nur ein kleines Mädchen mit großem Willen, dem etwas geschieht. Das »Du« wiederum gibt eine hilfreiche Distanz und klingt auf jeden Fall auch besser als die Ich-Form. Es macht es leichter. Wir kommen dem Mächen beim Lesen immer näher. »Sie« ist am weitesten weg (unterstützt durch eine distanzierte Erzählerin«) und liegt auch von der Zeit her am fernsten, ist am weitesten verdrängt. »Du« ist schon näher dran und mit »Ich« treten wir in die Gegenwart und die Person ein. Das halte ich alles für sorgsam gewählt.
Das ist mal ein sehr beispielhaftes Vorbild für die Form und Funktion.
Der Text hebt sich auch sehr deutlich von jeglichem Genre ab. Ernstes Thema, auf jeden Fall. Die Umsetzung ist auch mit der Symbolik, den Farben usw. usf. besonders umgesetzt.
Mehrschichtig, ungefügig: ja.

4 Lesbarkeit und Handwerk 4/5
Bei der einleitenden Frage hätte man Bindestriche mit verwenden können, um es wirklich ohne Irritation lesbar zu machen. Die Beschreibungen von Details (die ich ansonsten normalerweise als U sehen würde) finde ich hier passend, um das Mädchen und ihre Kindheit wahrnehmen zu können und eine Verbindung aufzubauen. Das Kleid, die Unbeschwertheit, Unschuld, die rosigen Backen. Ein bisschen weniger hier und da im Text hätte es aber noch dichter gemacht, Vorschlag z.B. das hier streichen: »von Hitze und Ertüchtigung« »denn heute führte sie doch ins Abenteuer.« Manchmal wirkt es etwas zu aufgesetzt.

5 Logik 2/3
Sie wollen also heute an den Fluss, warum ist nun die Zeit so knapp? Wenn sie zum Essen gerufen würden, dürfte der Fluss ja in der Nähe sein. Das erscheint mir etwas konstruiert, um die anderen loszuwerden, damit der Creep mit ihr allein ist.

6 Sorgfalt 2/2
Sauber

7 Sommerfrischequotient 5/5

Gesamtpunkte: 30/32


PUNKTESPOILER * trommelwirbel *
10 Punkte!

Meine liebsten Textstellen:
Zitat:
Ein Lächeln, das niemand sah, verschluckt von einem Schatten, der in der untergehenden Sonne immer länger ragte. Lang genug schon, um einem ganzen Leben das Licht zu stehlen.
Zitat:
Der Schatten hat metastasiert. Er ist ansteckend und du infizierst alles um dich herum
Zitat:
Irgendwann bleibt der Drache den Treffen fern und du träumst von einem Sommer ohne Schatten. Aber du wirst nie mehr ohne Schatten sein. Wenn du es für einen Moment schaffst, dann schleicht er sich zurück, kriecht unter Türritzen hindurch, lauert im Schrank und infiltriert deinen Schlaf.

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Bewertung – ein Versuch. Ein bisschen Neutralität einbringen, jenseits von: mag ich - nicht mein Ding. Hab ich eigentlich „Ahnung“ von E-Lit? Nee, deswegen brauch ich diese Krücke zum Bewerten. Bei Offenheit der Interpretation einzelner Aspekte, lege ich immer alles zu euren Gunsten aus. Tut mir leid, dass das so ausführlich geworden ist. Jegliche Kritik ist meine persönliche Sichtweise, wenn ihr davon etwas gebrauchen könnt, greift zu, ansonsten lasst euch nicht den Tag vermiesen.

1 Ich will einfach eine gute Geschichte lesen und etwas herauslesen. 5 Punkte

2 a) Sind Sommergäste tatsächlich oder symbolisch vorhanden?
b) Dreht sich die Geschichte um eine oder mehrere Begegnungen und/oder Abschiede?
c) und d) Ist eine Veränderung thematisiert, und ist diese anbahnend, d.h. nicht schon im gesamten Text vollzogen und zudem „spürbar“ über den Textverlauf?
e) Wie relevant ist das zentrale Thema für die Geschichte?
f) Können es nur „Sommergäste“ sein oder könnte die Geschichte auch anderswie spielen?
g) Wie sehr durchdringen diese Themen insgesamt den Text als Ganzes? 7 Punkte

3 a) Künstlerischer Anspruch und Kreativität allgemein, also alles, was sich sinnhaft von einem Genretext abhebt. Hier „reicht“ es nicht, einfach die 2. Person Futur Präsens zu wählen oder möglichst lange und komplizierte Sätze oder Wörter zu verwenden – im Gegenteil, das gibt Abzüge bei Stil und Lesbarkeit, Handwerk muss beherrscht werden. Auch ist eine komplizierte Wortwahl nicht ausschlaggebend, kann auch vollkommen simpel sein. Es kommt immer darauf an … auch auf das, was vielleicht nicht gesagt wird, aber durch den Textaufbau durchwirkt. Die Form, das Gesagte und das Ungesagte müssen Hand-in-Hand gehen, eine Wirkung bewusst erzielt werden (oder zufällig-intuitiv … wer weiß das schon?). [Form und Inhalt oder form follows function] 2 Teilpunkte hier.
b) Ernsthaftigkeit der Themen, wobei Humor dazuzählt, wenn er mir bspw. „die Absurdität“ (des Lebens oder wovon auch immer vermittelt) darstellt; und/oder Sozialkritik und/oder regt mich das zum Nachdenken an? Hat das eine Relevanz? Ein gewisses Maß an Realismus, aber kein absoluter. Bizarr und surreal sind erlaubt. Auch das kann ich nur subjektiv abwägen: ist das Phantastik oder  E-tastik?
c) Mehrschichtigkeit und Ungefügigkeit. Auch hier ist Augenmaß gefordert, ich möchte mir den Inhalt oder die Bedeutung/Interpretation ein wenig erarbeiten müssen (nicht alles erklärt bekommen), aber nicht wie die Sau ins Uhrwerk glotzen. Ob ein Text mich bewusst verwirren will oder ob Thema, Sprache, Aufbau etc. mich nicht richtig erreichen, muss ich subjektiv abwägen.
d) Verwendung einer besonderen Sprache oder Spielerei damit, Verwendung besonderer Bilder oder einer Wirkung durch die gewählte, durchaus auch einfache, Sprache (Intensität).
5 Punkte

4 Kann ich den Text, rein vom Formalen her, gut weglesen, ungeachtet von Pausen zum Nachdenken oder des Anspruchs der Sprache? Wie sieht es mit dem Handwerklichen des Schreibens aus? Wird es beherrscht, wird es gar bewusst gebrochen? 5 Punkte

5 Soweit nachvollziehbar:
a) Logik inhaltlicher Art (in sich logische Geschichte, Reihenfolge),
b) Logik der Details (das namensbestickte Taschentuch von Onkel Günther lag aber vorhin nicht auf dem Liegestuhl sondern auf der Tiefkühltruhe im Keller) – auch: recherchierte Details
c) Logik des menschlichen Handelns (also wie plausibel ist das Verhalten, ungeachtet künstlerischer oder storytechnischer Abweichungen) 3 Punkte

6 Sorgfalt muss sein, bitte nicht mit den Augen rollen, es sind ja nur 2 Punkte. Es gibt immer eine Möglichkeit, die man vorm Absenden wahrnehmen kann: einen Testleser, ausdrucken, sehr langsam lesen, laut vorlesen, mit (kostenloser) Software vorlesen lassen, in ein E-Book umwandeln, um es auf einem anderen Medium zu lesen, Rechtschreibkorrektur der Schreibsoftware, zur Not Gerold (obwohl der nicht der Hellste ist, sorry Gerold). Bei zu vielen Rechtschreib- oder Grammatikfehlern wird etwas abgezogen. Wie gesagt, es sind nur wenige Punkte, aber auch Sorgfalt spielt eine Rolle. Das ist eine Frage der Fairness gegenüber anderen. Ich weiß, du hast viel zu tun und die Muße kam recht spät oder du hast Legasthenie oder ... Nicht bös gemeint. 2 Punkte

7 Onkel Günther würfelt mit seinem 5-seitigen Würfel und dividiert das Ergebnis durch 1… (Nach meinem ersten Bewertungssystem tummelten sich auf einmal mehrere Texte auf den gleichen Rängen, auch mehr Punkte in den Kategorien schafften keine Abhilfe … Leute, das geht nicht, ich muss irgendwie ein Ranking hineinbringen. Onkel Günthers Würfel ist quantenverschränkt mit dem Text und weiß, was richtig ist.) 5 Punkte


_________________
... will alles ganz genau wissen ...
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MoL
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Beitrag04.09.2022 16:27

von MoL
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Lieber Inko,

die Perspektivwechsel gefallen mir unheimlich gut. Schön geschrieben ist es auch. Nur dass so viel Zeit vergangen ist, dass der Bruder selbst schon Vater ist, ist so deprimierend, dass ich es unrealistisch finde. So wie Du das Mädchen beschrieben hast kann ich mir nicht vorstellen, dass sie das in dem Alter noch immer mit sich machen lässt.

Eine "schöne" Leistung, lieber Inko, von mir gibt es dafür 8 Punkte.


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Beitrag04.09.2022 18:17

von nebenfluss
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Leider noch kein Kommentar.

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Globo85
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Beitrag05.09.2022 09:31

von Globo85
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Hallo Veith,

viiiiielen Dank für dein tolles Feedback und die vielen Punkte.

Deine Interpretation ist sehr sehr nah, an dem was ich mir beim Schreiben des Textes auch gedacht hatte, erst am Ende weichst du von "meinem Plan" ab. Aber das ist gut so und freut mich, denn ich habe es ja extra "interpretierbar" geschrieben, bzw. es zumindest versucht.

Ich überlege auch schon die ganze Zeit, ob ich "meine" Interpretation überhaupt darlegen soll, denn eigentlich will ichs ja Lesy überlassen … Aber, ja was solls:
Also in meiner Vorstellung steht am Ende tatsächlich ein Suizid (wie ja auch von einigen vermutet), allerdings kein rein (!) tragischer, sondern ein sehr bewusster. Das LI hat es JAhre lang nicht geschafft, den Missbrauch zu offenbaren, den Drachen anzuklagen. Sie schafft es auch am Ende nicht, nicht einmal, ihren Vater darauf anzusprechen. Sie realisiert endgültig (für sich), dass ihr Leben immer Grau sein wird. Also schreibt sie auf, was sie nicht aussprechen kann, "tapeziert" die Wände damit und erschießt sich dann. Ihr Plan: "Den Schuss wird jemand hören" und der Tatort wird untersucht, die Anschuldigungen werden "offenbart" und auf diese Weise kommt dann doch noch alles ans Licht und Connors Kinder werden beschützt ("Ich würde sterben, um dich zu beschützen"). Das ist der einzige Ausweg, den das LI für sich noch sieht, aber es ist auch ein Rücktransport in ihre Kindheit, vor dem Missbrauch, sie ist wieder das Mädchen, dass etwas Heroisches tun kann. Das ist natürlich auch ein tragisches Ende, aber (für mich) nicht ganz so düster, wie die Suizidinterpretation ohne den verbrechensaufdeckenden "Twist".

Insofern war auch mein Plan für die Themenvorgabe (sich anbahnende Veränderung): Die Aufdeckung der Machenschaften des Drachen. Aber ja, irgendwie geht auch diese dann ja letztlich vom LI aus, insofern passt deine Kritik an der Stelle.

Danke noch mal für deine Bewertung!
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Globo85
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Beitrag05.09.2022 09:35

von Globo85
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Hallo Silke,

Zitat:
Ein großartiiger Satz!

Ja, der gefällt mir auch gut.

Zitat:
Ich bedaure die Kapitulation am Ende, aber es fällt mir bei diesem Thema schwer, losgelöst davon den Text und die Umsetzung an sich zu bekritteln, da denke ich mir immer, das stünde mir nicht zu.

Wie in der Antwort an Veith geschrieben, wars (für mich) keine reine Kapitulation des LI, mehr der zu Beginn angekündigte Heldentod. Über die Schwierigkeit der Thematik (wurde ja auch an anderer Stelle kritisiert) hab ich mir ehrlich gesagt nicht so viele Gedanken gemacht vorher. Irgendwie hat mich der Plot ziemlich schnell gefunden und dann hab ich drauf los geschrieben. Vielleicht sollte ich mir in Zukunft da ein bisschen mehr Zeit lassen.

Jedenfalls vielen Dank für dein Feedback und dein Punktegeschenk!
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Globo85
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Beitrag05.09.2022 09:36

von Globo85
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Hallo thepriest,

auch dir herzlichen Dank für dein tolles Feedback und die vielen Punkte!

Zitat:
Kein Lesevergnügen, dafür ein berührendes Lese-Erlebnis.

Freut mich sehr, wenn es gelungen ist zu berühren.
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