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Das Ende eines Sommers


 
 
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MoL
Geschlecht:weiblichQuelle


Beiträge: 1838
Wohnort: NRW
Das bronzene Stundenglas


Beitrag11.08.2022 19:00
Das Ende eines Sommers
von MoL
eBook pdf-Datei Antworten mit Zitat

Das Ende eines Sommers

Das Geräusch reißt sie aus ihren Gedanken. Ein boshaftes Surren, das immer weiter anschwillt, unregelmäßig, und dann abreißt. Sie will es schon als bedeutungslos abtun, da ist es wieder da. Ungesund klingt es, schrammelig, als würde der Bogen einer Geige über Saiten kratzen, die mit Schmerz gefüllt sind.
Das Geräusch bewegt sich. Minimal, doch hörbar. Sie steht auf. Folgt der Quelle, wenn auch mit Widerwillen: da stimmt etwas nicht, der Laut ist viel zu schmutzig und verbogen, um hierher zu gehören.
Sie durchquert den offenen Wohnraum, folgt der abstoßenden Melodie bis zum Küchentresen. Sie sieht sich um, findet nichts. Der Ton ist verstummt.
Sie zuckt mit den Schultern, obwohl niemand da ist, der es sehen könnte.
Dann ist es wieder da! Ein schäbiges Surren und Schraggeln, immer lauter, jetzt unverkennbar wütend. Was ist das?

Die Antwort klebt an dem Fliegenstreifen, den Jean dort befestigt hat. Mit dem Sommer kommt das Ungeziefer, so ist es eben. Er aber tut, als sei die bloße Existenz von Fliegen eine Herausforderung an ihn als Mann. Kaum sichtet er die erste Fliege des Jahres, zieht er los und deckt sich in der Drogerie mit Fliegenfangstreifen, Fruchtfliegenfallen und Gelbstickern gegen Trauermücken ein, die er dann in der ganzen Wohnung verteilt. Überall tote Insekten, da wären sie ihr lebendig fast lieber.

Die Fliege surrt auf. Vier ihrer Beine und ein Teil ihres linken Flügels kleben hoffnungslos fest. Selbst wenn sie wollte, könnte sie dem Insekt nicht helfen. Es wütet weiter, wirft sich mit aller Kraft mal in die eine, mal in die andere Richtung.
„Insekten spüren keinen Schmerz!“, sagt Jean immer. „Das tut denen nicht weh!“

Plötzlich ist sie sich da nicht so sicher. Wenn sie sieht, wie die Fliege um ihre Freiheit kämpft. Sie kann keinen Schmerz fühlen, hat nicht die passenden Nerven oder Rezeptoren oder was zum Geier man sonst dazu braucht, aber was ist mit Verzweiflung und Angst? Können die das nicht empfinden? Die Fliege denkt doch jetzt gerade nicht „Oh, ich klebe fest, dann warte ich mal ab, bis sich das ändert“, nein, sie geht mit aller Vehemenz gehen ein Gefängnis vor, das sie gar nicht verstehen kann, in das sie selbst hineingegangen ist und ohne zu wissen, wer sie aus welchem Grund bis zu ihrem Tod gefangen hält.

Sie lacht auf. Wenn das nicht die perfekte Allegorie für ihr Leben mit Jean ist! Gefängnis, freiwillig betreten. Lächerliches Strampeln. Kein Entkommen. Bis zum Tod.
Die Fliege hält in ihrem Kampf inne.
„Nun, im Gegensatz zu mir kannst du gehen“, sagt sie. „Ist doch ganz einfach!“
„Ja, na ja.“ Plötzlich überkommt sie ein unmenschliches Verlangen nach einem Butterbrot mit Käse. Weder das eine noch das andere ist im Haus, blöde Diät! Ein belegtes Brot durch ein Glas gekühlten Johannisbeersaft zu ersetzen, kommt ihr absolut logisch vor. Sie lehnt sich an den Küchentresen und betrachtet die Fliege. Ein Schwall warmer Luft strömt durch das schräg geöffnete Fenster, bringt den Fliegenstreifen sanft zum Schwingen.
Sie hat zu lange vor sich hingestarrt. Als sie einen Schluck Saft trinken will, war da jemand schneller.
„Ha!“, ruft die Fliege, „damit steht es Eins zu Null für uns!“
„Eins zu Eins“, korrigiert sie. „Wenn überhaupt! Immerhin ist dein kleiner Kollege hier tot!“
„Aber welch ein Tod!“, jubiliert die Fliege. „Ertrunken in Glückseligkeit. Wer kann das schon von sich behaupten?“
Sie schüttet Saft samt Minifliege in den Abfluss. Spült das Glas aus, schenkt nach.
„Weiß ich nicht“, sagt sie schließlich. „Ich fürchte, zumindest du und ich nicht.“

Eine Weile schweigen sie, ein jeder traurig auf seine Art.
Dann nimmt die Fliege ihren aussichtslosen Kampf wieder auf.
„Lass das! Was für ein grauenhaftes Geräusch!“
Die Fliege wird lauter.
„Wenn das hier eine Allegorie auf dein Leben sein soll, dann solltest du vielleicht besser zuhören!“, ruft die Fliege.
„Wozu? Ich kenne die Fakten: ich habe mich in einen anderen verliebt. Ich kann den ganzen Tag nur noch an ihn denken. Leider bin ich aber verheiratet. Egal was ich mache, es wird in einem Desaster enden. Ich bin ein schrecklicher schrecklicher Mensch.“
„Ach guck, jetzt tut sie sich selber leid. Pass auf, dass dir keine Träne in den Johannisbeersaft tropft!“
„Bah, bist du scheußlich!“
„Sagt die, die mich hier langsam und elendig verrecken lässt.“
„Touché.“ Sie wischt sich die Augen, nimmt einen Schluck Saft.
Eine erneute Bö kommt herein. Der Fliegenstreifen dreht sich. Offenbart ihr von allen Seiten das Ende vieler Leben.
„Sich zu verlieben ist Natur, ist Chemie. Nichts, was du kontrollieren kannst. Das mit Jean ist Liebe, das mit Chris ist nur Verliebtheit. Das geht weg.“
„Hm. Mag sein.“
„Du kannst Jean gar nicht verlassen“, sagt die Fliege sanft. „Er ist ein Teil von dir geworden.“
Dieses Mal ist sie schneller als die kleine Fruchtfliege, die es auf ihren Saft abgesehen hat.
„Zwei zu Eins.“

Die Fliege rächt sich, indem sie sich erneut mit wütendem Surren in alle Richtungen wirft. Der festgeklebte linke Flügel reißt zur Hälfte ab. Schnell sieht sie weg. Trinkt aus. Schaut hinaus auf den Balkon. Die Geräusche einer schlafenden Stadt dringen durch das Fenster hinein. Auch dort draußen wollte Jean einen Fliegenstreifen aufhängen, doch da ist sie auf die Barrikaden gegangen. Drinnen, OK, schon aus hygienischen Gründen. Aber draußen in der freien Natur? Welche Arroganz!
Ansonsten ist er ein guter Kerl. Ihr bester Freund.
„Ich verlasse ja nicht nur ihn“, sagt sie und schnieft. „Sondern auch den goldenen Strand von Yucatan. Das blöde Schlauchboot, mit dem wir fast abgesoffen wären. Onkel Willi und Sabrina.“
„Wenn nichts davon wichtig genug ist um zu bleiben, wieso weinst du dann, wenn du gehst?“
„Das verstehst du nicht! Aber was weiß eine Fliege schon vom Menschsein?“
„Ach Mensch, was weißt du schon vom Fliege sein? Ich beobachte dich immerhin schon ein Drittel meines Lebens lang.“
„Oh.“
„Vielleicht versteht er es ja!“
Die Fliege deutet mit ihrem zerrissenen Flügel auf einen weiteren Besucher, der kopfüber die Zimmerdecke entlang krabbelt.
„Hallo“, sagt sie probehalber.
Die neue Fliege kichert.
„Was gibt es denn da zu kichern? Und überhaupt, da unten am Streifen befindet sich gerade eine andere Fliege im Todeskampf. Und du krabbelst bloß da oben rum. Solltest du nicht versuchen, ihr zu helfen?“
„Na entschuldige mal“, sagt die Fliege fröhlich, „aber ich kenne den Kollegen da unten doch gar nicht!“
„Ach so. Na schön. Äh. Hast du auch etwas zu der ganzen Sache zu sagen?“
Die Fliege wechselt die Richtung. Krabbelt über ihren Kopf hinweg, so dass sie sich mitdrehen muss.
„Ich würde meinen, es ist alles gesagt. Oder gedacht oder halluziniert oder wie auch immer.“
Sie senkt den Kopf.
„Das hier kann ich nicht gewinnen, oder?“
„Du wirst die Königin der Scherben sein“, sagt die Fliegenstreifenfliege salbungsvoll.
„Und wenn ich nicht gehe? Wenn ich bleibe?“
„Du wirst die Königin der Scherben sein“, verkündet die Zimmerdeckenfliege.
„Ist es das? Brauche ich den Schmerz?“
„Bei dem was du dir heute alles reingepfiffen hast, von mir ein klares Ja!“ Die Fliegenstreifenfliege klingt amüsiert.
Sie stellt das mittlerweile leere Glas weg, schaut zu dem Koffer an der Tür. Dem Brief auf dem Wohnzimmertisch. Feiger geht es nicht.
„Was soll ich tun?“
„Was fragst du mich?“, summt die Fliegenstreifenfliege. „Ich sterbe und weiß es nicht einmal.“
„Was fragst du mich?“, surrt die Zimmerdeckenfliege, stößt sich ab und fliegt durch den Raum. „ich fliege nur umher, bis ich sterbe.“
„Tut wir das nicht alle?“, fragt sie düster. „Wen könnte ich sonst noch fragen?“
„Hast du Maden da? Die sind gerade erst hierhergekommen und sind dem Licht noch so nah wie keine sonst! Oder du reißt die Fenster auf und lässt die Motten rein. Niemand weiß so viel vom Tod wie sie.“

Die Vorstellung, zur Biotonne zu gehen und in das weißbräunliche Gewimmel zu starren, lässt sie schaudern. Alles nur das nicht! Und Motten? Die selbst in Freiheit hilfloser mit den Flügeln schlagen als die gefangene Fliege, immer und immer wieder gegen Lichtquellen stoßen, unfähig zu erkennen, dass sie sich nach einem Mond verzehren, den sie nie erreichen können, die ihren bizarren Todestanz bereits zu Lebzeiten tanzen? Nein!
Sie streicht sich das Haar zurück, wischt die Hände an der Hose ab.
„Es ist Zeit."
Sie geht zum Koffer. Schultert die Sporttasche sowie ihre Handtasche. Viel Gepäck hat sie nicht, das hier ist die letzte Fuhre.
Feige, feige, feige.

Die Zimmerdeckenfliege fliegt fröhlich durch den Raum. Die Fliegenstreifenfliege hat ihren Kampf wieder aufgenommen. Sämtliche Fröhlichkeit ist wie weggesaugt. Was bleibt ist das zornige schräbbelnde Summen.
Sie hält kurz inne.
„Wage es nicht!“
„Wie bitte?“
Das Surren der Fliegenstreifenfliege schwillt zu einem unbändigen Getöse an.
„Ich weiß, was du denkst und ich sage, wage es bloß nicht! Du tötest mich jetzt nicht, bereitest mir kein schnelles, angeblich schmerzloses Ende, nur um das Gefühl zu haben, zumindest einen gnadenvoll glatten Strich unter etwas zu ziehen!“ Das böse Summen der Fliege ist jetzt so laut, dass sie sich die Ohren zuhält. „Du missbrauchst mich nicht!“
„IN ORDNUNG!“
Schlagartig ist es wieder still.

Sie seufzt und lässt einen letzten Blick durch die Wohnung gleiten. All die Jahre. Sie verlässt nicht nur Jean, sondern auch einen Teil von sich selbst. Wer wird sie bei Christian sein?
Sie öffnet die Tür. Die Zimmerdeckenfliege cruist haarscharf an ihr vorbei.
„Hey Mensch, eine Sache noch: egal wohin du jetzt gehst, der Sommer ist bald um!“
„Ja und?“
„Wen wirst du um Rat fragen, wenn wir nicht mehr da sind?“
Ihr schaudert: Im Herbst kommen die Spinnen rein.
„Spinnen sind weise“, ruft ihr die Fliegenstreifenfliege hinterher. Doch das hört sie schon nicht mehr.

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thepriest
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Beitrag23.08.2022 16:27

von thepriest
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Erneut werden Fliegen zur Metapher der Vergänglichkeit. Der Dialog zwischen Mensch und Insekt macht Laune. Wobei ich in keiner Sekunde daran zweifle, dass dieser Mann zu verlassen ist. Wer will schon mit einem Hobby-Kammerjäger der übleren Sorte zusammenleben. Nicht mal als besten Freund möchte ich ihn haben. Deshalb etwas Punkteabzug für diese an und für sich launige Beziehungsende-Geschichte.

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dürüm
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Beitrag23.08.2022 21:17

von dürüm
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Hallo Inco,

ich bin froh, dass sie gegangen ist. Das hat der Geschichte 2 Punkte eingebracht.

Die Dialoge mit den Fliegen fand ich sehr konstruiert, aber flüssig erzählt.

Aber trotzdem nicht meine Art Geschichte.

2 Punkte

Gruß
Kerem


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(Seneca)
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Reimeschreiberin
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Beitrag23.08.2022 21:21

von Reimeschreiberin
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Die Protagonistin habe ich gerne auf ihrer Reise durch ihre Gefühlswelt im Zwiegespräch mit den Fliegen begleitet.  Eine herrlich geschriebene, leicht skurrile Geschichte über das Ende einer Beziehung und das innerliche Ringen um die Form des Abschieds, und das Ganze noch garniert mit einem Augenzwinkern. Daumen hoch.

Bis jetzt habe ich Spinnen, die mir für drinnen etwas zu groß erscheinen, direkt wieder raus gesetzt. Nächstes Mal frage ich sie vielleicht vorher nach ihrer Meinung zu dem ein oder anderen Thema. Bin gespannt, ob sie wirklich so weise sind, wie die Fliegen behaupten.
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V.K.B.
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Beitrag23.08.2022 21:28

von V.K.B.
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Hallo Inky,

Eine Frau will ihren Mann verlassen und mit ihrem Lover durchbrennen. Sie hat ihre Sachen gepackt und eine Notiz hinterlassen, kommt sich selbst feige vor. Als sie die letzte Tasche holt, entfaltet sich ein Dialog mit zwei Fliegen, der, hoffe ich zumindest mal für sie, nur in ihrer Imagination stattfindet. Dieser liest sich zwar unterhaltsam und witzig, neue Erkenntnisse fördert er aber nicht zutage. Außer, dass Spinnen weise seien, vielleicht hätte sie sich also lieber mit einer solchen unterhalten sollen?

Ich mache mal die Probe auf Exempel und führe eine imaginäre Unterhaltung mit einer Spinne im Schuppen, wie ich die Geschichte bewerten soll. Die möchte sich aber nicht über Literatur unterhalten, sondern schlägt mir vor, Gentechniker zu werden und ihre Spezies intelligenzmäßig so zu pushen, dass man ihnen beibringen kann, geöffnete Fenster so zuzuspinnen, dass keine Fliegen und Mücken reinkommen. Hey, das wäre doch verdammt praktisch für Menschen. Aber irgendwie schaut sie mit dem hintersten linken Auge so komisch, als hätte sie irgendwelche bösen Hintergedanken. Dann fragt sie mich auch noch beiläufig nach dem Anschlagswiderstand meiner Computertastatur und ob es nicht auch Switches gäbe, die auf das Gewicht von Spinnenbeinen reagieren. Mein WLAN-Passwort will sie auch noch wissen und bietet an, Bitcoins für mich zu minen, wenn ich sofort Bioengineering studiere und ihr diesen Wunsch erfülle. Vielleicht würde sie sich dann auch für Literatur interessieren, fügt sie hinzu, sobald sie und ihre augmentierten Artgenossen das Klimaproblem für uns gelöst hätten, aber das wäre wahrscheinlich nach unserer Zeit. Irgendwie unheimlich, wie sie diese Worte betont …

Weise hin oder her, das Experiment breche ich lieber mal ab, bleibe bei Literatur statt Bioengineering und wende mein eigenes Bewertungsschema auf die Geschichte an:

E-Lit: Nun, da die Geschichte für den Wettbewerb qualifiziert wurde, muss sie dieses Kriterium irgendwie erfüllen. Ich würde sie aber eher in den U-Bereich einordnen.
Sperrig: Nee, ziemlich geradeaus geschrieben
Thema Sommergäste: Wirklich umgesetzt sehe ich das nicht. Klar könnte man die Fliegen als solche interpretieren, aber dann?
Begegnungen/Abschiede: Begegnung mit zwei Dialogfliegen, und Abschied von Jean und ihrem bisherigen Leben. Aber auch das wird nur kurz angerissen, ist aber nicht wirklich Thema der Geschichte. Okay, doch, geht hauptsächlich um ihre Art und Weise des Schlussmachens und wie sie sich damit fühlt. Lasse ich gelten.
ungehörter Schuss: den höre ich auch nicht. Höchstens die Warnung bezüglich "Königin der Scherben". Aber sie scheint ja keine Option zu haben, dem zu entgehen.
Hintergrund Veränderung: Auch hier das Thema leider nur dürftig umgesetzt. Ich schaue gerade nochmal in die Vorgaben, sicherheitshalber, da ist von "vor dem Hintergrund einer sich anbahnenden Veränderung spielen" die Rede. Heißt, es gibt eine Situation IM HINTERGRUND, aus der sich eine Veränderung abzeichnet (wahrscheinlich in Verbindung mit dem metaphorischen ungehörten Schuss). Hier geht die Veränderung aber von der Prota selbst aus.
Persönliches Gefallen: Hier kann die Geschichte punkten. Ich habe sie gerne gelesen und fand sie sehr unterhaltsam. Aber in meinen Augen ist das mehr gute Unterhaltungsliteratur und mir für einen Zehntausendertext zu wenig, zumal die Vorgaben ja auch mehr nur gestreift denn umgesetzt wurden. Aber trotzdem gerne gelesen.


_________________
Hang the cosmic muse!

Oh changelings, thou art so very wrong. T’is not banality that brings us downe. It's fantasy that kills …
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d.frank
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D

Alter: 44
Beiträge: 1124
Wohnort: berlin


D
Beitrag25.08.2022 00:28

von d.frank
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Die, die mit den Fliegen redet?
Amüsant.


_________________
Die Wahrheit ist keine Hure, die sich denen an den Hals wirft, welche ihrer nicht begehren: Vielmehr ist sie eine so spröde Schöne, daß selbst wer ihr alles opfert noch nicht ihrer Gunst gewiß sein darf.
*Arthur Schopenhauer
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Constantine
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Beiträge: 3311

Goldener Sturmschaden Weltrettung in Bronze


Beitrag25.08.2022 09:56

von Constantine
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Bonjour Señora Incógnita

Feedback im Text und ein Gesamtfazit am Ende:
Señora Incógnita hat Folgendes geschrieben:
Das Ende eines Sommers

Das Geräusch reißt sie aus ihren Gedanken. Ein boshaftes Surren, das immer weiter anschwillt, unregelmäßig, und dann abreißt. Sie will es schon als bedeutungslos abtun, da ist es wieder da. Ungesund klingt es, schrammelig, als würde der Bogen einer Geige über Saiten kratzen, die mit Schmerz gefüllt sind.
Das Geräusch bewegt sich. Minimal, doch hörbar. Sie steht auf. Folgt der Quelle, wenn auch mit Widerwillen: da stimmt etwas nicht, der Laut ist viel zu schmutzig und verbogen, um hierher zu gehören.
Sie durchquert den offenen Wohnraum, folgt der abstoßenden Melodie bis zum Küchentresen. Sie sieht sich um, findet nichts. Der Ton ist verstummt.
Sie zuckt mit den Schultern, obwohl niemand da ist, der es sehen könnte.
Dann ist es wieder da! Ein schäbiges Surren und Schraggeln, immer lauter, jetzt unverkennbar wütend. Was ist das?
<-- Der Anfang versucht mysteriös zu sein und Spannung und Atmosphäre zu erzeugen. Mag beim ersten Lesen noch funktionieren, aber das Ärgernis war bei mir bereits während und anschließend beim zweiten und dritten Lesen deutlich spürbar, dass hier ein völlig missglückter Anfang vorliegt. Schade. Die Protagonistin kommuniziert nicht zum ersten Mal mit ihren imaginären Fliegenseiten und wird es ahnen. Der effekthascherische Anfang in einer Wohnung, in der Fliegenfallen verteilt sind und sich die Prota vorbei bewegt, passt für mich in dieser Form nicht. Die Antwort auf die Frage, was ist das?, folgt bereits im folgenden Satz und es wird ersichtlich, dass Jean gerne Klebestreifen gegen Fliegen kauft und in der Wohnung verteilt. Ein der Protagonistin sehr bekannter Umstand, und sicherlich nicht zum ersten Mal im Zwiegespräch mit Fliegen oder anderen Kleintieren. Es wundert mich sehr, dass der Anfang wie ihr erstes Mal wirkt. Tut mir leid, das kaufe ich dem Erzähler und der Protagonistin leider nicht ab, den Leser billig zu locken. Ich finde, es würde der Story nicht schaden, wenn die Protagonistin das Geräusch zuordnen könnte und wisse, was los ist. Den Anfang würde ist überdenken.

Die Antwort klebt an dem Fliegenstreifen, den Jean dort befestigt hat. Mit dem Sommer kommt das Ungeziefer, so ist es eben. Er aber tut, als sei die bloße Existenz von Fliegen eine Herausforderung an ihn als Mann. Kaum sichtet er die erste Fliege des Jahres, zieht er los und deckt sich in der Drogerie mit Fliegenfangstreifen, Fruchtfliegenfallen und Gelbstickern gegen Trauermücken ein, die er dann in der ganzen Wohnung verteilt. Überall tote Insekten, da wären sie ihr lebendig fast lieber.

Die Fliege surrt auf. Vier ihrer Beine und ein Teil ihres linken Flügels kleben hoffnungslos fest. <-- Ich bin mir ehrlich gesagt nicht sicher, ob das so funktioniert. Das Summen entsteht durch das Schlagen der Flügel, aber wenn bereits ein Flügel festklebt, dann würden alle Befreiungsversuche, die bereits zu Beginn mysteriös angedeutet werden, darin resultiert haben, dass sich die Fliege vollends verklebt hat und keine Summgeräusche seit Beginn mehr verrusachen kann. Testen möchte ich es nicht, aber ich bleibe bereits beim Anfang und hier - wie kommt es, dass vier der sechs Beine verklebt sind?, müssten nicht alle verklebt sein in ihrer Bewegungsbeeinträchtigung? - recht früh in der Prämisse des Textes hängen, dass mir das in dieser Form nicht passend erscheint. Tut mir leid. Selbst wenn sie wollte, könnte sie dem Insekt nicht helfen. Es wütet weiter, wirft sich mit aller Kraft mal in die eine, mal in die andere Richtung. <-- Nein. Die Fliege wäre schon längst völlig verklebt und könnte nicht mehr die anfänglichen Geräusche machen. Insgesamt passt das gesamte Mystery-Anfangssetting nicht für mich.
„Insekten spüren keinen Schmerz!“, sagt Jean immer. „Das tut denen nicht weh!“ <-- So, wie du es hier mit Anführungszeichen für direkte Rede schreibst, sieht es aus, als sei Jean in der Wohnung und würde reden.

Plötzlich ist sie sich da nicht so sicher. Wenn sie sieht, wie die Fliege um ihre Freiheit kämpft. Sie kann keinen Schmerz fühlen, hat nicht die passenden Nerven oder Rezeptoren oder was zum Geier man sonst dazu braucht, aber was ist mit Verzweiflung und Angst? Können die das nicht empfinden? Die Fliege denkt doch jetzt gerade nicht „Oh, ich klebe fest, dann warte ich mal ab, bis sich das ändert“, nein, sie geht mit aller Vehemenz gehen ein Gefängnis vor, das sie gar nicht verstehen kann, in das sie selbst hineingegangen ist und ohne zu wissen, wer sie aus welchem Grund bis zu ihrem Tod gefangen hält.

Sie lacht auf. Wenn das nicht die perfekte Allegorie für ihr Leben mit Jean ist! Gefängnis, freiwillig betreten. Lächerliches Strampeln. Kein Entkommen. Bis zum Tod. <-- Hier wird der Kern der Geschichte geteased. Vielleicht etwas zu früh und bereits ihre Entscheidung, wofür sie sich entschließt, vorausahnend.
Die Fliege hält in ihrem Kampf inne.
„Nun, im Gegensatz zu mir kannst du gehen“, sagt sie. „Ist doch ganz einfach!“
<-- der Beginn einer sehr skurrilen Geschichte. Sehr sympathisch und überraschend. Die Fliege ist ein Fantasieprodukt der Protagonistin, denn wie sonst ist es möglich, dass die Fliege die Gedanken der Protagonistin kennt, und dieses ganze Konstrukt wird genutzt, um das Dilemma der Protagonistin - Jean oder Chris? - dem Leser zu erzählen.
„Ja, na ja.“<-- Noch eine Überraschung: Die Protagonistin reagiert nicht überrascht, dass sie mit einer Fliege spricht. Scheint eine bekannte Kommunikationstechnik der Protagonistin zu sein, um mit sich selbst Zwiesprache zu halten.  Plötzlich überkommt sie ein unmenschliches Verlangen nach einem Butterbrot mit Käse. Weder das eine noch das andere ist im Haus, blöde Diät! Ein belegtes Brot durch ein Glas gekühlten Johannisbeersaft zu ersetzen, kommt ihr absolut logisch vor. Sie lehnt sich an den Küchentresen und betrachtet die Fliege. Ein Schwall warmer Luft strömt durch das schräg geöffnete Fenster, bringt den Fliegenstreifen sanft zum Schwingen.
Sie hat zu lange vor sich hingestarrt. <-- Woran hat sie gedacht? Als sie einen Schluck Saft trinken will, war da jemand schneller. <-- Das Mystery-Element ist gegessen. Warum hier fortsetzen?
„Ha!“, ruft die Fliege, „damit steht es Eins zu Null für uns!“
„Eins zu Eins“, korrigiert sie. „Wenn überhaupt! Immerhin ist dein kleiner Kollege hier tot!“
„Aber welch ein Tod!“, jubiliert die Fliege. „Ertrunken in Glückseligkeit. Wer kann das schon von sich behaupten?“
Sie schüttet Saft samt Minifliege <-- Fruchtfliege?  in den Abfluss. Spült das Glas aus, schenkt nach.
„Weiß ich nicht“, sagt sie schließlich. „Ich fürchte, zumindest du und ich nicht.“

Eine Weile schweigen sie, ein jeder traurig auf seine Art.<-- Leider bleibt die Story recht oberflächlich bei einfacher Symbolik: die gefangene Fliege repräsentiert die Protagonistin und der Text setzt auf die skurrile Unterhaltung.
Dann nimmt die Fliege ihren aussichtslosen Kampf wieder auf.
„Lass das! Was für ein grauenhaftes Geräusch!“
Die Fliege wird lauter.
„Wenn das hier eine Allegorie auf dein Leben sein soll, dann solltest du vielleicht besser zuhören!“, ruft die Fliege.
„Wozu? Ich kenne die Fakten: ich habe mich in einen anderen verliebt. Ich kann den ganzen Tag nur noch an ihn denken. Leider bin ich aber verheiratet. Egal was ich mache, es wird in einem Desaster enden. Ich bin ein schrecklicher schrecklicher Mensch.<-- Es ist klar, dass diese Fakten für den Leser gedacht sind, nicht für die Fliege, denn etwas weiter unten kommt die Fliege mit Infos über Chris/Christian, den die Protagonistin bisher nicht namentlich erwähnt hatte.
„Ach guck, jetzt tut sie sich selber leid. Pass auf, dass dir keine Träne in den Johannisbeersaft tropft!“
„Bah, bist du scheußlich!“
„Sagt die, die mich hier langsam und elendig verrecken lässt.“
„Touché.“ Sie wischt sich die Augen, nimmt einen Schluck Saft.
Eine erneute Bö kommt herein. Der Fliegenstreifen dreht sich. Offenbart ihr von allen Seiten das Ende vieler Leben.
„Sich zu verlieben ist Natur, ist Chemie. Nichts, was du kontrollieren kannst. Das mit Jean ist Liebe, das mit Chris ist nur Verliebtheit. Das geht weg.“
„Hm. Mag sein.“
„Du kannst Jean gar nicht verlassen“, sagt die Fliege sanft. „Er ist ein Teil von dir geworden.“
Dieses Mal ist sie schneller als die kleine Fruchtfliege, die es auf ihren Saft abgesehen hat.
„Zwei zu Eins.“

Die Fliege rächt sich, indem sie sich erneut mit wütendem Surren in alle Richtungen wirft. Der festgeklebte linke Flügel reißt zur Hälfte ab. Schnell sieht sie weg. Trinkt aus. Schaut hinaus auf den Balkon. Die Geräusche einer schlafenden Stadt dringen durch das Fenster hinein. Auch dort draußen wollte Jean einen Fliegenstreifen aufhängen, doch da ist sie auf die Barrikaden gegangen. Drinnen, OK, schon aus hygienischen Gründen. Aber draußen in der freien Natur? Welche Arroganz!
Ansonsten ist er ein guter Kerl. Ihr bester Freund.
„Ich verlasse ja nicht nur ihn“, sagt sie und schnieft. „Sondern auch den goldenen Strand von Yucatan. Das blöde Schlauchboot, mit dem wir fast abgesoffen wären. Onkel Willi und Sabrina.“
„Wenn nichts davon wichtig genug istKOMMA um zu bleiben, wieso weinst du dann, wenn du gehst?“
„Das verstehst du nicht! Aber was weiß eine Fliege schon vom Menschsein?“
„Ach Mensch, was weißt du schon vom Fliege sein? Ich beobachte dich immerhin schon ein Drittel meines Lebens lang.“
„Oh.“
„Vielleicht versteht er es ja!“
Die Fliege deutet mit ihrem zerrissenen Flügel auf einen weiteren Besucher, der kopfüber die Zimmerdecke entlang krabbelt.
„Hallo“, sagt sie probehalber.
Die neue Fliege kichert. <-- Eine zweite Fantasiefliege analog Engelchen links und Teufelchen rechts auf der Schulter. Diese zweite, freie Fliege symbolisiert die sich trennende, sich aus dem Beziehungsgefängnis befreiende Protagonistin.
„Was gibt es denn da zu kichern? Und überhaupt, da unten am Streifen befindet sich gerade eine andere Fliege im Todeskampf. Und du krabbelst bloß da oben rum. Solltest du nicht versuchen, ihr zu helfen?“
„Na entschuldige mal“, sagt die Fliege fröhlich, „aber ich kenne den Kollegen da unten doch gar nicht!“
„Ach so. Na schön. Äh. Hast du auch etwas zu der ganzen Sache zu sagen?“
Die Fliege wechselt die Richtung. Krabbelt über ihren Kopf hinweg, so dass sie sich mitdrehen muss.
„Ich würde meinen, es ist alles gesagt. Oder gedacht oder halluziniert oder wie auch immer.“
Sie senkt den Kopf.
„Das hier kann ich nicht gewinnen, oder?“
„Du wirst die Königin der Scherben sein“, sagt die Fliegenstreifenfliege salbungsvoll.
„Und wenn ich nicht gehe? Wenn ich bleibe?“
„Du wirst die Königin der Scherben sein“, verkündet die Zimmerdeckenfliege.
<-- So sieht es aus. Egal, wie sie sich entscheidet, einer der beiden Männer wird den Kürzeren ziehen.
„Ist es das? Brauche ich den Schmerz?“
„Bei demKOMMA was du dir heute alles reingepfiffen hast, von mir ein klares Ja!“ Die Fliegenstreifenfliege klingt amüsiert.
Sie stellt das mittlerweile leere Glas weg, schaut zu dem Koffer an der Tür. Dem Brief auf dem Wohnzimmertisch. Feiger geht es nicht.<-- Ein kleiner Twist in der Story.
„Was soll ich tun?“
„Was fragst du mich?“, summt die Fliegenstreifenfliege. „Ich sterbe und weiß es nicht einmal.“
„Was fragst du mich?“, surrt die Zimmerdeckenfliege, stößt sich ab und fliegt durch den Raum. „ich fliege nur umher, bis ich sterbe.“
„Tut <-- n wir das nicht alle?“, fragt sie düster. <-- düster fragen? Wie klingt das? „Wen könnte ich sonst noch fragen?“
„Hast du Maden da? Die sind gerade erst hierhergekommen und sind dem Licht noch so nah wie keine sonst! Oder du reißt die Fenster auf und lässt die Motten rein. Niemand weiß so viel vom Tod wie sie.“

Die Vorstellung, zur Biotonne zu gehen und in das weißbräunliche Gewimmel zu starren, lässt sie schaudern. AllesKOMMA nur das nicht! Und Motten? Die selbst in Freiheit hilfloser mit den Flügeln schlagen als die gefangene Fliege, immer und immer wieder gegen Lichtquellen stoßen, unfähig zu erkennen, dass sie sich nach einem Mond verzehren, den sie nie erreichen können, die ihren bizarren Todestanz bereits zu Lebzeiten tanzen? Nein!
Sie streicht sich das Haar zurück, wischt die Hände an der Hose ab.
„Es ist Zeit."
Sie geht zum Koffer. Schultert die Sporttasche sowie ihre Handtasche. Viel Gepäck hat sie nicht, das hier ist die letzte Fuhre. <-- der kleine Twist bezüglich Entscheidungsfindung ist doch nicht so klein, sondern ist bereits fortgeschritten. Als Leser komme ich mir gerade an der Nase herumgeführt vor, dass die Protagonistin sich bereits entschieden hat und noch leicht schwankt, aber ehrlich gesagt, das Butterbrot war schon vorher gegessen.
Feige, feige, feige.

Die Zimmerdeckenfliege fliegt fröhlich durch den Raum. Die Fliegenstreifenfliege hat ihren Kampf wieder aufgenommen. Sämtliche Fröhlichkeit ist wie weggesaugt. Was bleibt ist das zornige schräbbelnde Summen.
Sie hält kurz inne.
„Wage es nicht!“
„Wie bitte?“
Das Surren der Fliegenstreifenfliege schwillt zu einem unbändigen Getöse an.
„Ich weiß, was du denkst und ich sage, wage es bloß nicht! Du tötest mich jetzt nicht, bereitest mir kein schnelles, angeblich schmerzloses Ende, nur um das Gefühl zu haben, zumindest einen gnadenvoll glatten Strich unter etwas zu ziehen!“ Das böse Summen der Fliege ist jetzt so laut, dass sie sich die Ohren zuhält. „Du missbrauchst mich nicht!“
„IN ORDNUNG!“
Schlagartig ist es wieder still.

Sie seufzt und lässt einen letzten Blick durch die Wohnung gleiten. All die Jahre. Sie verlässt nicht nur Jean, sondern auch einen Teil von sich selbst. Wer wird sie bei Christian sein? <-- Ich bleibe bei der Frage hängen. Wer war sie bei Jean? Soll das ein Wink für eine Multiple Persönlichkeit sein? Das irritiert eher, als dass es sinnig erschient. MMn wäre dieser Abschnitt zu überdenken.
Sie öffnet die Tür. Die Zimmerdeckenfliege cruist <-- Formulierung. Anglizismen hat der Text bisher nicht verwendet. Warum jetzt hier? Gleicht einem Stilbruch und würde ich überdenken. haarscharf an ihr vorbei.
„Hey Mensch, eine Sache noch: egal wohin du jetzt gehst, der Sommer ist bald um!“
„Ja und?“
„Wen wirst du um Rat fragen, wenn wir nicht mehr da sind?“ <-- Ist das eine Verlegenheitslösung, um den Sommer zu erwähnen? Fliegen gibt es auch im Herbst.
Ihr schaudert: Im Herbst kommen die Spinnen rein.
„Spinnen sind weise“, ruft ihr die Fliegenstreifenfliege hinterher. Doch das hört sie schon nicht mehr.


Insgesamt, nach einem schwachen Start folgt eine kreative Umsetzung der Vorgaben mit einer banalen, formelhaften Story. Etwas Pep erhält die Geschichte durch die skurrilen Dialoge mit den Fiegen anstatt eines Monologs, um das Dilemma der Protagonistin zu veranschaulichen. Das Dilemma ist nicht frisch, sondern abgeschwächt, weil die Protagonistin bereits eine Entscheidung getroffen hat, Teile ihrer Sachen schon fortgebracht hat und es hier um die letzte Fuhre geht, sozusagen, ein Alibi-Herumeiern, bevor der letzte Nagel auf den Sarg geschlagen wird.
Ob die Idee mit den Dialogen mit Fliegen für Punkte reicht?

Im Vergleich mit allen Wettbewerbstexten und da zehn Texte bepunktet werden müssen, bekommt dieser hier: cinq points.

Merci beaucoup
Constantine
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Babella
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Das goldene Aufbruchstück Der bronzene Roboter


Beitrag27.08.2022 07:40

von Babella
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Das Ende des Sommers ist auch das Ende einer Ehe. Prota verlässt ihren Mann wegen eines anderen und unterhält sich darüber mit sterbenden Fliegen (erste Assoziation "Das Fliegenpapier" von Robert Musil. Seitdem stehe ich anders zu Gelbsteckern).

Kann man machen. Die Gedanken können einem kommen, wenn man den Fliegen so zuschaut. Ein Ende halt. Bei den Fliegen früher, aber auch sie streben nach Glück, auch wenn das bei ihnen etwas einfacher gestrickt ist.

Wobei, es ist in diesem Fall doch vor allem ein Neuanfang. Sie geht ja nicht nur weg, sie kommt ja auch an einem anderen Ort, in einem anderen Leben an.

Es ist nett geschrieben, du verlierst mich nicht unterwegs, aber so richtig packen kann es mich nicht, bisschen wenig Tiefe darin. Deshalb nicht ganz so viele Punkte.
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Heidi
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Der goldene Durchblick


Beitrag28.08.2022 20:20

von Heidi
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Das Thema

Eine Ehefrau unterhält sich mit Fliegen, ehe sie die Fliege macht.

Der Titel

Na ja. Besonders originell finde ich ihn nicht. Wobei er natürlich (auch) bildlich gemeint sein wird. Das Ende mit Jean ist ja quasi auch so was wie das Ende eines Sommers.

Der Anspruch / Die Ungefügigkeit / Die Eigenständigkeit

Alles nicht wirklich gegeben, außer wenn man den Anspruch darin sieht, dass Fliegen mit einem Menschen sprechen.

Die Sprache

Leicht lesbar und flüssig geschrieben. Alles handwerklich solide.

Der Gesamteindruck

Das ist schon eine originelle Idee, wenn Fliegen als Gesprächspartner herangezogen werden, ehe der Schritt in die erhoffte Freiheit gewagt wird. Am Ende wird von Ratgebern gesprochen - dass die Fliegen solche waren für die Protagonistin - aber wirkliche Ratschläge, die ihr weitergeholfen hätten, habe ich in diesem Sinne nicht erlebt.
Die Story lebt vielmehr davon, dass sich dieses Absurde Szenario bildet. Die Unfreiheit der Fliege auf der Klebefalle, die auf das Unglück der Ehefrau hinweisen soll.

Am Ende bleibt die Frage, ob sie sich durch eine neue Bindung mit neuem Partner wirklich in die Freiheit begibt oder ob sie doch in alten Mustern hängenbleibt. Das werde ich nie erfahren.

Das ist schon ein ganz witziges Stück mit einer pfiffigen Idee, die solide umgesetzt ist. Für meinen Geschmack ist der Text aber doch nicht mit dem Anspruch gefüllt, den ich mir gewöhnlich wünsche. Die Protagonistin kommt mir nicht wirklich nahe, was das Gefühlsleben betrifft. Damit meine ich unter anderem ihr Glück oder Unglück. Es dreht sich alles um den Dialog zwischen ihr und den Fliegen. Dieser wirkt wie eine Selbstreflexion, die die Figur vielleicht anhand des Fliegenszenarios besser ausführen kann und die ihr offensichtlich weiterhilft. Auf die Dauer ist das Gespräch etwas langatmig zu lesen, zumal am Ende auch nichts wirklich Neues entsteht und auch keine besonders große Entwicklung stattfindet.

Das Haus und Jean zu verlassen wollte sie schon von Beginn an – es sind eher die Fliegen, die ihr davon abraten.
Und genau das ist auch ein Punkt, bei dem ich mich frage: Warum? Welche Motivation könnte eine Fliege haben, einem Menschen zu empfehlen, den Partner nicht zu verlassen? Welche könnte sie haben, überhaupt mit einem Menschen eine Unterhaltung zu führen?
Wären solche oder ähnliche Fragen im Text bearbeitet und vertieft worden, dann hätte ich vielleicht einen besseren Zugang zu ihm gefunden.

Die originelle Idee, mit Fliegen zu plaudern gefällt mir aber dennoch gut, weshalb der Text zwei Punkte von mir bekommt.
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Globo85
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Beitrag29.08.2022 11:36

von Globo85
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"Expressionimus" oder Fliegenfalle als Lebenshilfe

Vorgaben:
  • Begegnungen und/oder Abschiede: Die Fliegen.
  • Anbahnende Veränderung: Trennung von Jean.
  • Sommergäste/Nichtbeachteter Schuss: Auch die Fliegen, oder vielleicht das LI selbst?
  • Ist das E? Ja.

Eindrücke:
Das LI unterhält sich mit zwei Fliegen darüber, ob es sich jetzt von seinem bisherigen Partner trennen sollte oder nicht. Klingt erstmal unspektakulär ist aber doch sehr gut gemacht. Nicht nur handwerklich, sondern auch erzählerisch. Da findet sich für mich keine Länge im Text, wird vielmehr konstant durch die Erzählung getragen. Jetzt könnte man natürlich anfangen drüber zu diskutieren, ob das dem E-Kriterium entgegen steht, aber da bin ich kein so großer Freund von. Der Text hat mir gefallen. Er passt für mich zu den Vorgaben. Fertig. Danke fürs Mitmachen!

Lieblingsstelle:
Zitat:
„Ach Mensch, was weißt du schon vom Fliege sein? Ich beobachte dich immerhin schon ein Drittel meines Lebens lang.“


Fazit:
Mein siebter Platz und damit 4 Punkte.
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F.J.G.
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Beitrag30.08.2022 18:31

von F.J.G.
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Liebes verfassendes Wesen,

einen sehr netten, plaudernden und dennoch tiefsinnigen Text haben wir hier, den ich Kraft meines Amtes als Gouverneur des Grand Canyon (und nicht etwa als Nachtmotte, Fliegenklatschenproduzent oder Schwirrkojote) mit sehr guten 7 Punkten prämiere.

Weiter so!

Ciao
Kojote


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sleepless_lives
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Beitrag30.08.2022 22:45

von sleepless_lives
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Oha, da legt sich jemand mit einem der bekanntesten Texte der deutschen Literatur an, Robert Musils „Das Fliegenpapier“. Wink
Die Verbindung zu Musils Kurzgeschichte ist so gut wie unvermeidbar, denn Fliegenstreifen sind ja eher selten geworden. Ich habe zumindest schon recht lange keinen mehr gesehen. Musil beschreibt eine einzelne Fliege und wie sie auf dem Fliegenpapier zugrunde geht, nicht aus Tierschutzgründen natürlich, sondern als ein Bild für die menschliche Existenz. Hier im Text wird die buchstäblich auf den Leim gegangene Fliege zum Symbol für das Festkleben in einer Beziehung. Darauf muss ich als Leser nicht selber kommen, das wird mir vorsichtshalber mitgeteilt:
Zitat:
Wenn das nicht die perfekte Allegorie für ihr Leben mit Jean ist!

Sollte ich es aber auch dann noch nicht verstanden haben, wird es mir zu allem Überfluss auch noch erklärt:
Zitat:
Gefängnis, freiwillig betreten. Lächerliches Strampeln. Kein Entkommen. Bis zum Tod.

Glücklicherweise folgt dann ein unerwarteter Dialog mit der Fliege. Hier könnte es wieder interessant werden, ein paar Sachen muss man halt ignorieren wie das hier:
Zitat:
„Wozu? Ich kenne die Fakten: ich habe mich in einen anderen verliebt. Ich kann den ganzen Tag nur noch an ihn denken. Leider bin ich aber verheiratet. Egal was ich mache, es wird in einem Desaster enden. Ich bin ein schrecklicher schrecklicher Mensch.“

Infodump, der sich als solcher auch noch brüstet. Nach dem „Wozu?“ hätte Schluss sein sollen. Es hätte unbegrenzt Möglichkeiten gegeben, den Rest an anderen Stellen zu verdeutlichen. Übrigens hat sie den ganzen Text lang noch nicht ein einziges Mal an den anderen gedacht und wird es auch im restlichen Text nur einmal eher nebenbei und auf sich selbst fokussiert tun.

Leider ist das, was noch im Rest der Geschichte folgt zwar ganz unterhaltsam zu lesen, aber auch ziemlich belanglos. Sprachlich ist der Text in Ordnung, nicht überwältigend, aber auch nicht unangemessen, holpernd, übermäßig schmalzig oder ähnliches. Ausnahmen bestätigen die Regel, wie das hier
Zitat:
Zimmerdeckenfliege cruist haarscharf

das innerhalb dieses Textes ein unmotivierter Stilbruch ist.

Mit den Titel und mit den Enden habe ich bei diesem Wettbewerb ganz klar meine Probleme. Der Titel hier ist furchtbar unoriginell. Nicht besonders aussagekräftig und trotzdem schon so oft benutzt. Von Rosamunde Pilcher gibt es zum Beispiel einen Roman mit diesem Titel. Weniger überraschend dort als hier. Und dann das Ende: Natürlich kann die Protagonistin oder im Fall der letzten Äußerung der Fliege eher d. Erzähler:in eine Fliege sagen lassen, was sie will. Aber mit „Spinnen sind weise“ wird es unfreiwillig gewaltig komisch (wie das Tier, das sich in Douglas Adams' "The Restaurant at the End of the Universe" selbst als Mahlzeit anpreist) und das Lachen ruiniert komplett den Schluss der Geschichte und sendet Druckwellen zurück in den Text.


Bis in die Punkteränge hätte es der Text bei mir nicht geschafft.


_________________
Es sollte endlich Klarheit darüber bestehen, dass es uns nicht zukommt, Wirklichkeit zu liefern, sondern Anspielungen auf ein Denkbares zu erfinden, das nicht dargestellt werden kann. (Jean-François Lyotard)

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nicolailevin
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Wohnort: Süddeutschland


Beitrag01.09.2022 17:56

von nicolailevin
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Eine namenlose Sie will sich von Jean, dem zwanghaften Fliegenfänger, trennen, um mit Christian zusammenzuleben. Bevor sie geht, erlebt sie einen Dialog mit einer Fliege, die sich am Klebestreifen verfangen hat.

Der Austausch Mensch-Fliege hat seine witzigen Momente. Ich habe allerdings an einigen Stellen meine Probleme, mich zu orientieren: Das „sie“ des Textes kann immer wieder die Fliege meinen oder die Frau.

Jenseits der Frage, wie Menschen Fliegen wahrnehmen und umgekehrt und dem Gedankenspiel, wie es sich anfühlen muss, eine Stubenfliege zu sein, finde ich wenig Substanz und schürfe vergebens nach tieferen Schichten des Textes. Auch rätsle ich, warum der Schauplatz nun ausgerechnet Yucatán sein muss, hab ich da was übersehen?

Egal, am Ende gibt es 3 Punkte, vor allem für die originelle Idee mit dem Fliegendialog.
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Schlomo
Geschlecht:männlichEselsohr

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Wohnort: Waldperlach


Beitrag02.09.2022 00:15

von Schlomo
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Der Dialog gefällt mir. Unerwartet und doch auch wieder nicht.

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#no13
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Nachtvogel
Geschlecht:weiblichLeseratte

Alter: 32
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Wohnort: Münster


Beitrag03.09.2022 13:55

von Nachtvogel
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Eine tolle Idee, dieses Selbstgespräch mit den Fliegen. Zudem kurzweilig und witzig erzählt. Gefällt mir!

4 Punkte
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Minerva
Geschlecht:weiblichNachtfalter


Beiträge: 1150
Wohnort: Sterndal
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Beitrag03.09.2022 20:22

von Minerva
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Deftones hat Folgendes geschrieben:
I've watched you change
It's like you never had wings
Aus: Change (In the House of Flies)


Inhalt:
Frau will Mann wegen eines anderen verlassen, bekommt aber leichte Zweifel, als eine unglücklich festgeklebte Stubenfliege ihr ihre vermeintlichen oder tatsächlichen Irrtümer vorhält. Am Ende geht sie aber.

Wertung
Der Übersichtlichkeit halber habe ich die Details zu den Kategorien in den Fußnoten ausführlich aufgeführt. Die Wertung dient dazu, die Geschichte für den Wettbewerb ranken zu können, deswegen wird alles im Detail betrachtet, bitte nimm es nicht als zerpflückende Kritik wahr, sondern als eine intensive Auseinandersetzung.

1 Die Geschichte an sich 4/5
Geschichte war sehr unterhaltsam, auch wenn weniger Erklärungen noch besser gewesen wären.
Die Gespräche mit der Fliege sind ein Abbild für eine aufkeimende Selbsterkenntnis. Man sagt ja so: Egal wohin man geht, man nimmt immer sich selbst mit. Am Ende ist sie nicht so weit, das zu erkennen, aber der Funke ist da. Vielleicht hilft ihr die nächste Beziehung, das zu lernen, vielleicht wird sie es bereuen, da kann jeder für sich spekulieren. Aber erst einmal braucht sie wohl das neue Gegenüber, um sich selbst neu zu definieren.
Ziemlich klassische Bilder: Mann bekommt Aktionismus und bekämpft Jahr um Jahr die Summviecher. Frau hält Diät, will Butterbrot, muss sich dann aber mit Saft behelfen. Auch ein Gefängnis, aber es ist ihres, nicht Jeans. Ihr Abschied mit Brief, ohne Konfrontation.
Die Fliegen, ihre widerstreitende Vernunft. Trotzdem lässt sie sich am Ende nicht aufhalten. Andererseits muss ein Aufbruch sein, um zu mehr Erkenntnis zu gelangen oder nicht?
Ich habe auch Mitgefühl mit den Fliegen, jedenfalls kann ich mich dem bei deiner Darstellung nicht entziehen, ich will hingehen und sie retten. Fliegenklebstreifen sind barbarisch. Ich kenne lustigerweise nur ne Frau, die sowas hat. Die Fliegen sind witzig und unterhaltsam. Worterfindungen wie Fliegenstreifenfliege finde ich wunderbar! Ausgefallene Idee an sich!

2 Umsetzung der Themen 7/7
Ich sehe das sehr gut umgesetzt. Die Fliegen sind Gäste. Die Prota begegnet ihnen, sie verabschiedet ihr altes Leben. Die anbahnende Veränderung ist vielleicht ihre wachsende Selbstreflexion. Die ganzen Summsen setzen nun einmal Sommer voraus. Auch symbolisch ist der Abschied vom Sommer deutlich. Der Text ist vom Thema/den Vorgaben durchdrungen.

3 E-Faktor 3/5
Kreativ ist die Idee auf jeden Fall. Das fällt für mich in E-tastik. Obwohl die Geschichte, der Plot erkennbar sind, scheinbar simpel, kann man zwischen den Zeilen viel lesen, über Beziehungen, über Geschlechterrollen, über Problemlösung mit Medikamenten, über Selbsterkenntnis, über Fliegenquälerei wink
Ernsthaftigkeit geht hier mit dem traurigen Humor gut zusammen. Irgendwie tragisch-makaber.
Die Allegorie von der gefangenen Fliege zu ihrem Leben mit Jean hättest du weglassen können. Du hattest wohl Sorge, dass man es nicht erkennt, versteh ich, geht mir auch so. Aber hab ruhig mehr Mut zur Lücke. Vor allem, da die Fliege das später ja wieder aufnimmt. Ist sogar doppel gemoppelt (das zweite hätte man für den Humor lassen können), das erste ist aber zu viel. Somit wird der Text zu gefügig. Ja, ein bisschen weniger erklären hier und da, vielleicht noch mehr Details, die mehr Interpretation zulassen. Alles noch etwas nüchterner gestalten, dann wirkt es mehr. Es sind aber schöne Gedankenspiele und Sätze enthalten.

4 Lesbarkeit und Handwerk 4/5
Ließ sich gut lesen, ordentlich formatiert. Das Schälchen mit den Ausrufezeichen ist dir leider kurz drübergeschwappt. Inquits manchmal zu überladen (z.b. salbungsvoll).

5 Logik 3/3
Nichts aufgefallen.

6 Sorgfalt 2/2
Nichts aufgefallen.

7 Sommerfrischequotient 5/5

Gesamtpunkte: 28/32

PUNKTESPOILER * trommelwirbel *
7 Punkte

Meine liebsten Textstellen:
Zitat:
Ungesund klingt es, schrammelig, als würde der Bogen einer Geige über Saiten kratzen, die mit Schmerz gefüllt sind.
Zitat:
nein, sie geht mit aller Vehemenz gehen ein Gefängnis vor, das sie gar nicht verstehen kann
Zitat:
Egal was ich mache, es wird in einem Desaster enden. Ich bin ein schrecklicher schrecklicher Mensch.

-----------------------
Bewertung – ein Versuch. Ein bisschen Neutralität einbringen, jenseits von: mag ich - nicht mein Ding. Hab ich eigentlich „Ahnung“ von E-Lit? Nee, deswegen brauch ich diese Krücke zum Bewerten. Bei Offenheit der Interpretation einzelner Aspekte, lege ich immer alles zu euren Gunsten aus. Tut mir leid, dass das so ausführlich geworden ist. Jegliche Kritik ist meine persönliche Sichtweise, wenn ihr davon etwas gebrauchen könnt, greift zu, ansonsten lasst euch nicht den Tag vermiesen.

1 Ich will einfach eine gute Geschichte lesen und etwas herauslesen. 5 Punkte

2 a) Sind Sommergäste tatsächlich oder symbolisch vorhanden?
b) Dreht sich die Geschichte um eine oder mehrere Begegnungen und/oder Abschiede?
c) und d) Ist eine Veränderung thematisiert, und ist diese anbahnend, d.h. nicht schon im gesamten Text vollzogen und zudem „spürbar“ über den Textverlauf?
e) Wie relevant ist das zentrale Thema für die Geschichte?
f) Können es nur „Sommergäste“ sein oder könnte die Geschichte auch anderswie spielen?
g) Wie sehr durchdringen diese Themen insgesamt den Text als Ganzes? 7 Punkte

3 a) Künstlerischer Anspruch und Kreativität allgemein, also alles, was sich sinnhaft von einem Genretext abhebt. Hier „reicht“ es nicht, einfach die 2. Person Futur Präsens zu wählen oder möglichst lange und komplizierte Sätze oder Wörter zu verwenden – im Gegenteil, das gibt Abzüge bei Stil und Lesbarkeit, Handwerk muss beherrscht werden. Auch ist eine komplizierte Wortwahl nicht ausschlaggebend, kann auch vollkommen simpel sein. Es kommt immer darauf an … auch auf das, was vielleicht nicht gesagt wird, aber durch den Textaufbau durchwirkt. Die Form, das Gesagte und das Ungesagte müssen Hand-in-Hand gehen, eine Wirkung bewusst erzielt werden (oder zufällig-intuitiv … wer weiß das schon?). [Form und Inhalt oder form follows function] 2 Teilpunkte hier.
b) Ernsthaftigkeit der Themen, wobei Humor dazuzählt, wenn er mir bspw. „die Absurdität“ (des Lebens oder wovon auch immer vermittelt) darstellt; und/oder Sozialkritik und/oder regt mich das zum Nachdenken an? Hat das eine Relevanz? Ein gewisses Maß an Realismus, aber kein absoluter. Bizarr und surreal sind erlaubt. Auch das kann ich nur subjektiv abwägen: ist das Phantastik oder  E-tastik?
c) Mehrschichtigkeit und Ungefügigkeit. Auch hier ist Augenmaß gefordert, ich möchte mir den Inhalt oder die Bedeutung/Interpretation ein wenig erarbeiten müssen (nicht alles erklärt bekommen), aber nicht wie die Sau ins Uhrwerk glotzen. Ob ein Text mich bewusst verwirren will oder ob Thema, Sprache, Aufbau etc. mich nicht richtig erreichen, muss ich subjektiv abwägen.
d) Verwendung einer besonderen Sprache oder Spielerei damit, Verwendung besonderer Bilder oder einer Wirkung durch die gewählte, durchaus auch einfache, Sprache (Intensität).
5 Punkte

4 Kann ich den Text, rein vom Formalen her, gut weglesen, ungeachtet von Pausen zum Nachdenken oder des Anspruchs der Sprache? Wie sieht es mit dem Handwerklichen des Schreibens aus? Wird es beherrscht, wird es gar bewusst gebrochen? 5 Punkte

5 Soweit nachvollziehbar:
a) Logik inhaltlicher Art (in sich logische Geschichte, Reihenfolge),
b) Logik der Details (das namensbestickte Taschentuch von Onkel Günther lag aber vorhin nicht auf dem Liegestuhl sondern auf der Tiefkühltruhe im Keller) – auch: recherchierte Details
c) Logik des menschlichen Handelns (also wie plausibel ist das Verhalten, ungeachtet künstlerischer oder storytechnischer Abweichungen) 3 Punkte

6 Sorgfalt muss sein, bitte nicht mit den Augen rollen, es sind ja nur 2 Punkte. Es gibt immer eine Möglichkeit, die man vorm Absenden wahrnehmen kann: einen Testleser, ausdrucken, sehr langsam lesen, laut vorlesen, mit (kostenloser) Software vorlesen lassen, in ein E-Book umwandeln, um es auf einem anderen Medium zu lesen, Rechtschreibkorrektur der Schreibsoftware, zur Not Gerold (obwohl der nicht der Hellste ist, sorry Gerold). Bei zu vielen Rechtschreib- oder Grammatikfehlern wird etwas abgezogen. Wie gesagt, es sind nur wenige Punkte, aber auch Sorgfalt spielt eine Rolle. Das ist eine Frage der Fairness gegenüber anderen. Ich weiß, du hast viel zu tun und die Muße kam recht spät oder du hast Legasthenie oder ... Nicht bös gemeint. 2 Punkte

7 Onkel Günther würfelt mit seinem 5-seitigen Würfel und dividiert das Ergebnis durch 1… (Nach meinem ersten Bewertungssystem tummelten sich auf einmal mehrere Texte auf den gleichen Rängen, auch mehr Punkte in den Kategorien schafften keine Abhilfe … Leute, das geht nicht, ich muss irgendwie ein Ranking hineinbringen. Onkel Günthers Würfel ist quantenverschränkt mit dem Text und weiß, was richtig ist.) 5 Punkte


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... will alles ganz genau wissen ...
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holg
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Beitrag04.09.2022 11:39

von holg
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Eine Frau, die drauf und dran ist, ihren Partner zu verlassen diskutiert mit einer in einer Falle hängenden Fliege. Dass die Fliege ein Bild des festklebend der Frau in der Beziehung sein soll, stellt sie einfacher Weise selbst fest. Damit da ja keine Fragen aufkommen.

Das ist so ein Text, mit dem ich einfach nicht warm werde. Ich kann gar nicht sagen, dass daran was schlecht wäre oder warum er mich nicht anspricht. Ist einfach so. Nix für ungut.


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Beitrag04.09.2022 16:41

von MoL
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Lieber Text,

ich mag Dich.

Smile


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Beitrag06.09.2022 18:27

von MoL
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Liebe Kommentierenden!

Vielen herzlichen Dank! Ich weiß Lob und Kritik sehr zu schätzen! Leider habe ich im Moment keine Zeit, jeden Kommentar zu beantworten. Das kommt aber noch, ich bitte um etwas Geduld. Smile


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Beitrag12.09.2022 23:06

von MoL
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thepriest hat Folgendes geschrieben:
Erneut werden Fliegen zur Metapher der Vergänglichkeit. Der Dialog zwischen Mensch und Insekt macht Laune. Wobei ich in keiner Sekunde daran zweifle, dass dieser Mann zu verlassen ist. Wer will schon mit einem Hobby-Kammerjäger der übleren Sorte zusammenleben. Nicht mal als besten Freund möchte ich ihn haben. Deshalb etwas Punkteabzug für diese an und für sich launige Beziehungsende-Geschichte.


Huhu!

Danke für die Punkte und den Kommentar! Smile


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Beitrag12.09.2022 23:07

von MoL
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dürüm hat Folgendes geschrieben:
Hallo Inco,

ich bin froh, dass sie gegangen ist. Das hat der Geschichte 2 Punkte eingebracht.

Die Dialoge mit den Fliegen fand ich sehr konstruiert, aber flüssig erzählt.

Aber trotzdem nicht meine Art Geschichte.

2 Punkte

Gruß
Kerem


Damit kann ich leben, da Du mir 2 Punkte gegeben hast, lol2
Aber wieso bist Du froh, dass sie gegangen ist? (Falls ich da jetzt nicht zu neugierig bin Wink )


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Beitrag12.09.2022 23:08

von MoL
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Reimeschreiberin hat Folgendes geschrieben:

Bis jetzt habe ich Spinnen, die mir für drinnen etwas zu groß erscheinen, direkt wieder raus gesetzt. Nächstes Mal frage ich sie vielleicht vorher nach ihrer Meinung zu dem ein oder anderen Thema. Bin gespannt, ob sie wirklich so weise sind, wie die Fliegen behaupten.


So muss das sein! Wink
Ich selbst habe eine vollkommen irrationale Angst vor Spinnen, bringe sie aber immer lebendig raus. Sie um Rat zu fragen steht auch auf meiner Agenda Wink


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