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Nordland - der Dorfpolizist und sein neuester Fall


 
 
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Chamomila
Geschlecht:weiblichLeseratte


Beiträge: 132



Beitrag11.04.2022 23:41
Nordland - der Dorfpolizist und sein neuester Fall
von Chamomila
eBook pdf-Datei Antworten mit Zitat

Hei!
Schon wieder ich...

Was hab ich mir da bloß eingebrockt: eine Freundin, die für mich hin und wieder gegenliest, will für ihren Bekannten (ich hab das Gefühl, er ist mehr ihr Schwarm) eine Leseprobe aus meinem Skript zusammengestellt haben. Sie meint, er liest solche Geschichten sehr gern, hätte den gleichen Humor wie ich und eine Leseprobe mit Aussicht auf ein späteres ganzes Buch würde ihm sicher gefallen. Wer kann da schon nein sagen? Ich nicht...
Vielleicht ist er ja sogar ein neuer Testleser, den ich an Land ziehen kann?! Verlockend: der junge Mann schreibt selbst seit Jahren, das wäre wirklich ein Glücksgriff!
Jetzt habe ich ihr also zugesagt, meine Deadline ist in knapp dreißig Tagen...
Die meisten entsprechenden Passagen habe ich schon herausgesucht und zusammengestellt, aber einige Übergänge fehlen noch, die müssen jetzt noch neu geschrieben werden.
Ist vielleicht auch ganz gut für mich: dann eigne ich mir vielleicht endlich mal eine gewisse Disziplin fürs Schreiben an...
Jetzt schreibe ich also - erst mal die Rohentwürfe, die ich aber natürlich noch möglichst schön schleifen und polieren möchte (und sicher auch muss)...
...wer mag mir dabei helfen?

Anbei hier die erste neue Passage (im Rohentwurf):

Vorgeschichte:
Ein kleines Dorf in Südnorwegen, 19. Jahrhundert. Der 15jährige Ake wurde entführt, die Entführer streuen das Gerücht, er wäre ausgerissen, um eine Suche zu vermeiden. Greta Ekdal, die 14jährige Freundin des Jungen, die gleichzeitig die Nichte seiner Arbeitgeber ist, glaubt aber nicht an diese Geschichte und weil sie sonst überall auf taube Ohren stößt, beschließt sie, selbst nach ihrem Freund zu suchen, noch in der gleichen Nacht.
Sie macht sich auf den Weg...

Zitat:
Die Nacht war warm und angenehm. Gustav Trulsen ging seine letzte Runde durch das Dorf. Diese letzte Runde war ihm seit jeher die liebste: für gewöhnlich lagen um diese Zeit sämtliche Leute aus Solvangen ruhig in ihren Betten und schliefen den Schlaf der Gerechten. Jetzt war die Welt so, wie er sie am liebsten hatte: friedlich und gut…
Im nächsten Moment kam eine kleine, magere Gestalt um die Ecke und prallte gegen ihn. Sie schrie kurz auf und starrte ihn einen Moment lang erschrocken an. Im blassen Mondlicht erkannte er die Nichte von Kaufmann Ekdal. Nur eine Sekunde später traf ein Stiefelabsatz schmerzhaft seine Zehenspitzen, das Mädchen drehte sich hastig um und rannte los. Er brauchte nur ein paar schnelle Schritte, dann hatte er sie am Kragen.
„Hiergeblieben! Wo wollen wir denn so eilig hin?“
„Lassen Sie mich los!“ Greta begann jetzt laut zu schluchzen, während sie weiter versuchte, sich zu befreien. „Das verstehen Sie nicht! Keiner versteht das!“
„Oh oh oh!“ Gustav Trulsen wartete ab, bis Greta ihre Gegenwehr aufgab und zog dann sein Taschentuch, „Ich verstehe hier nur eins: dass kleine Mädchen nachts nicht unterwegs sein, sondern lieber in ihrem schönen, weichen Bett liegen sollten!“ Er wischte ihr das Gesicht ab und legte ihr freundlich, aber bestimmt den Arm um die Schultern. „So – und jetzt bring’ ich dich wieder nach Hause zu deinem Onkel und deiner Tante. Und auf dem Weg erzählst du mir, warum du auch noch ausreißen wolltest. Das wird hier ja richtig Mode unter den jungen Leuten, scheint mir …“
„Åke ist nicht ausgerissen! Nie im Leben!“ Greta riss sich los und packte ihn am Arm, „Er würde nie ausreißen, ohne mir vorher auf Wiedersehen zu sagen – oder mir wenigstens einen Brief zu schreiben! Niemals! Ihm ist was passiert – aber keiner glaubt mir!“ sie begann wieder zu weinen, „Und wenn ihm jetzt was passiert ist und keiner sucht nach ihm“, schluchzte sie, „was wird denn dann aus ihm?“
Lensmann Trulsen musste sich eingestehen, dass ihn langsam ein wohlbekanntes Gefühl beschlich – dieses Gefühl, das er auch gern ‚seinen siebten Sinn‘ nannte und das ihm zuverlässig mitteilte, wenn irgendwo etwas nicht stimmte. Sicher, Åke kam aus elenden Verhältnissen, deshalb glaubte auch jeder nur zu gern an diese Ausreißer-Geschichte. Aber wenn er tatsächlich nicht weggelaufen war…? Eine seltsame Unruhe befiel ihn. Åke war jetzt schon zwei Tage verschwunden. Angenommen ihm war tatsächlich etwas zugestoßen…
Gustav Trulsen nickte Greta beruhigend zu.
„Ich werde mich darum kümmern“, versprach er, „gleich morgen früh. Jetzt bringe ich dich erst mal nach Hause und auf dem Weg erzählst du mir alles, was du über Åke Forsbrand weißt. Ihr seid ja wohl gut befreundet, nicht wahr? Habt ihr zum Beispiel besondere Lieblingsplätze hier in der Gegend? Und hat Åke noch andere Freunde außer dir?“
Greta nickte. Sie begann zu erzählen und ließ sich bereitwillig zurück nach Hause bringen.   
 
* * *

„Guten Morgen, Herr Trulsen! Was darf es heute sein?“
Åse Ekdal stand allein im Laden, als der Lensmann eintrat. Er kam sofort zur Sache.
„Guten Morgen, Frau Ekdal! Ich möchte von Ihnen einige Dinge über Åke Forsbrand wissen.“
Die Frau des Kaufmanns nickte leicht.
„Wahrscheinlich könnte mein Mann Ihnen mehr sagen – aber der ist gerade nicht da: er ist losgegangen, um nach dem Jungen zu suchen…“
„Dann beginnen wir damit, was Sie wissen! Was ist Åke für ein Junge? Wie macht er sich bei Ihnen?“
Åse Ekdal zuckte die Schultern. Sie musste sich fast beschämt eingestehen, dass sie Åke kaum kannte, auch wenn er jetzt bei ihnen arbeitete. Sie hatte es bisher so weit wie möglich vermieden, mit dem Jungen zusammenzutreffen.
„Was macht er für einen Eindruck auf Sie?“ hakte der Lensmann nach, „Ist Ihr Mann mit ihm zufrieden? Hat er mal irgendetwas über ihn gesagt? Gab es irgendwelche Vorfälle? Wie steht es mit Åkes Ehrlichkeit?“
Die Frau des Kaufmanns dachte nach.
„Hjalmar konnte sich bisher nicht beklagen“, meinte sie schließlich, „Åke war bisher immer sehr zuverlässig und gründlich, das muss ich zugeben. Und fleißig: morgens immer der Erste im Lager und der Letzte, der abends geht. Und gefehlt hat auch noch nie etwas, weder von den Waren noch in der Kasse. Ich hatte ja anfangs meine Zweifel, aber … nein, davon hat sich nichts bestätigt.“
„Dann wäre es also eher nicht seine Art, einfach so, ohne eine Nachricht wegzulaufen?“
Åse Ekdal seufzte.
„Was weiß man denn schon über die Leute um einen herum? Man denkt, man kennt sie und dann tun sie plötzlich Dinge … - aber entschuldigen Sie, ich schweife ab …“
„Wissen Sie denn noch, wann Sie Åke zum letzten Mal gesehen haben?“
„Ja: vergangenen Sonnabend. Nach dem Abendessen ist er noch mal ins Lager gegangen, um die Bestandsaufnahme fertig zu machen. Danach wollte er dann nach Hause gehen …“
„… Wo er nie angekommen ist …“, Gustav Trulsen strich sich über den Bart und schüttelte dann besorgt den Kopf, während er sich an der Fensterbank anlehnte. „Diese Sache gefällt mir immer weniger … - Ich fürchte, Ihre Nichte hat nicht ganz Unrecht: an dieser Ausreißer-Geschichte scheint irgendetwas nicht zu stimmen!“
Er stand energisch auf und ging zum Ladentisch.
„Ich werde der Sache jedenfalls nachgehen“, entschied er, „Und falls Ihnen noch etwas einfallen oder auffallen sollte – und wenn es noch so unbedeutend erscheinen mag…“
„Gebe ich Ihnen natürlich sofort Bescheid, selbstverständlich!“
Åse Ekdal griff nach dem Glas mit dem Pfefferminz und hielt es ihm hin. Gustav Trulsen nahm sich ein Bonbon, lüftete höflich dankend seine Mütze und verließ den Laden.

Weder Frau Ekdal noch Lensmann Trulsen hatten die Gestalt bemerkt, die vor dem offenen Fenster stand - die ihr Gespräch mithörte und die plötzlich nervös wurde. Sehr nervös…

Diese ganze Geschichte wurde immer brenzliger! Wer konnte denn auch ahnen, dass sich Åke Forsbrand eine kleine Freundin zugelegt hatte! Und dann auch noch ausgerechnet dieses rothaarige Satansbalg, das sich der Kaufmann letztes Jahr aufgehalst hatte – unmöglich, sich die auch vorzuknöpfen, dafür war die viel zu gut behütet! Und das Schlimmste daran: diese tollwütige kleine Hexe würde nicht eher Ruhe geben, bis der Bengel gefunden wurde! Und wenn der ihn vielleicht erkannt hatte – oder später noch wiedererkannte und dann aussagte… Lensmann Trulsen war kein Dummkopf, der würde sich schon so einiges zusammenreimen! Eine hirnverbrannte Idee, diese Entführung, man sollte wirklich keine Pläne machen, wenn man zuviel gesoffen hatte! – Und jetzt war es zu spät: jetzt musste er den Forsbrand-Jungen auch loswerden - aber möglichst auf eine Weise, die etwas weniger unappetitlich war, als beim letzten Mal… - ja, er könnte es diesmal vielleicht sogar so anstellen, dass er sich die Finger überhaupt nicht schmutzig machen brauchte – ohne etwas zu trinken würden bei diesem heißen Sommerwetter wenige Tage genügen und das Versteck, in das sie den Jungen gebracht hatten, war weit weg und abgelegen genug! - Ja, er brauchte sich einfach nur die Schlüssel zum Versteck besorgen und dafür zu sorgen, dass sonst niemand mehr Zugang dazu bekam – und danach konnte er dann in Ruhe abwarten und die Zeit für sich arbeiten lassen...


"Lensmann" war damals in Norwegen übrigens eine gängige Bezeichnung für einen Dorfpolizisten.

Und jetzt ihr... - ich werde das ungute Gefühl nicht los, dass es hier noch einiges zu verbessern gibt!
(Ach und ja: meine Perspektivwechsel sind Absicht...)

1234Wie es weitergeht »


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Miné
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Beitrag12.04.2022 14:36

von Miné
Antworten mit Zitat

Mich stören die Perspektivwechsel. Deinen Schreibstil finde ich eigentlich gut, aber die Handlung langweilig. Ein Dorfpolizist geht routinemäßig vor und stellt Standardfragen. Schlafen

Liebe Grüße
Minè Kommt noch was?
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Chamomila
Geschlecht:weiblichLeseratte


Beiträge: 132



Beitrag12.04.2022 19:42

von Chamomila
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@Miné
Danke fürs Feedback!

Stimmt, die Befragung könnte noch deutlich besser werden, mit der bin ich auch noch alles andere als zufrieden.

Standardfragen...
Ja, du hast recht (und dabei war ich schon froh, dass mir überhaupt Fragen eingefallen sind...)
Hat jemand Tips für mich, was ich da verbessern könnte?
Ich stehe an der Stelle gerade gewaltig auf dem Schlauch und sehe wahrscheinlich den Wald vor lauter Bäumen nicht.

Hier der Hintergrund, der bisher über den verschwundenen Jungen bekannt ist:
Zitat:
Name: Ake Forsbrand
Alter: 15 Jahre
Eltern: Erik und Agda Forsbrand
Familiärer Hintergrund:
Ake kommt aus instabilen Verhältnissen. Seit dem Tod seiner jüngeren Schwester Elin (7 J., Tuberkulose) vor drei Jahren sind seine Eltern gebrochene Menschen.
Sein arbeitsloser Vater ertränkt seinen Kummer im Alkohol und seine Mutter ist die meiste Zeit über in eine Art Lethargie versunken, sie lebt eigentlich nur noch, weil sie Angst davor hat, sich das Leben zu nehmen. In Phasen, in denen sie sich etwas aufrappeln kann, hilft sie bei anderen Leuten als Wäscherin. Ake ist somit der Hauptverdiener in der Familie.
Berufliches:
Bis vor wenigen Wochen hatte Ake als Stallbursche auf einem Gestüt gearbeitet. Dann war im Dorf ein Verbrechen geschehen und sein Vater war unter Verdacht geraten. Der Gestütsbesitzer hatte Ake daraufhin gekündigt mit der Begründung, dass er niemanden aus einer "Verbrecherfamilie" auf seinem Hof haben will.
Der Dorfkaufmann, Hjalmar Ekdal, hatte davon gehört und Ake als Gehilfe in seinem Warenlager angestellt. In seiner neuen Stelle war Ake bisher immer zuverlässig, ordentlich, fleißig und ehrlich gewesen, der Kaufmann hatte sogar schon darüber nachgedacht, ob er ihn nicht in die Lehre nehmen soll.
Ekdals Frau Ase war bisher skeptisch: sie hatte Vorurteile wegen Akes familiärem Hintergrund. Deshalb hatte sie bisher auch bereitwillig an die Ausreißer-Geschichte geglaubt. Allerdings muss sie sich bei der Befragung durch den Dorfpolizisten eingestehen, dass es objektiv keinen Grund dazu gibt.


Was ließe sich daraus noch basteln?

Die Entführung ist übrigens nur ein Nebenschauplatz:
Der Entführer (nicht unbedingt der geborene Kriminelle) hat einen Mann umgebracht und will jetzt von Ake eine falsche Zeugenaussage erpressen, die ihn entlasten soll. Er hatte bisher geglaubt, ein Junge aus so zerrütteten Verhältnissen wäre leicht zu beeinflussen, aber er hat nicht damit gerechnet, dass Ake charakterlich stärker ist, als sein labiler Vater, und sich auf solche Sachen nicht einlässt.
Als sein Plan nicht funktioniert, bekommt der Mörder/Entführer Angst und beschließt, Ake - der jetzt zu einem unfreiwilligen Zeugen geworden ist - ebenfalls loszuwerden.

LG, Cammy
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Hakatajin
Geschlecht:weiblichWortedrechsler
H


Beiträge: 91



H
Beitrag12.04.2022 20:54

von Hakatajin
Antworten mit Zitat

Also ich finde die Art der Fragen jetzt generell nicht so verkehrt. Standardfragen machen ja schon Sinn, die müssen ja auch gestellt werden.

Was viel eher an mir nagt, sind zwei Punkte, die sich wie Logikfehler anfühlen. Ich kann mich aber nicht richtig dazu entscheiden, sie als Logikfehler zu bezeichnen, deswegen würde ich sie eher als Denkanstöße in den Raumstellen und du kannst selber entscheiden, was du damit machen möchtest.

Beide Punkte beziehen sich darauf, dass der Polizist am nächsten Tag ausgerechnet zu Akes Arbeitsstelle geht und Frau Ekdal befragt.

1. Es gibt für das Verschwinden von Ake zwei Szenarien, die meiner Meinung nach den Selben Anfang haben.
Szenario A: Ake wird entführt
--> Festgestellt würde dies wahrscheinlich am nächsten Morgen, wenn Ake nicht zur Arbeit erscheint und sich seine Arbeitgeber, die Ekdals, erst aufregen und dann irgendwie bei der Polizei melden würden. Ihre Sicht der Dinge (gestern Abend noch spät Inventur etc) inkl. den Standardfragen würde dann ab Tag 1 zumindest der Polizei bekannt sein

Szenario B: Ake läuft weg
--> Auch hier würden das die Ekdals am nächsten Morgen bemerken, wenn er nicht zur Arbeit kommt und die würden wohl zuerst auch eine Vermisstenanzeige bei der Polizei angeben (oder wer auch immer ihm am nächsten steht) und ERST DANACH würden doch die Entführer aktiv werden und die Gerüchte um ein Abhauen streuen. Keines Falls würden die Entführer als erstes aktiv werden und ein "Hey, hast du schon gehört, Ake ist abgehauen" verbreiten, wenn noch keiner überhaupt mitbekommen hat, dass der Junge verschwunden ist. Das wäre ja sonst sehr verdächtig. Oder hab ich hier einen Denkfehler?
--> Auch hier wäre es dann also so, wie in Szenario A, dass die Informationen der Standardfragen der Polizei bereits vorliegen. Ergo müsste der Polizist nicht nochmal bei den Ekdals diese Fragen an diesem Tage stellen.

2. Andere Personen befragen sinnvoller
Der zweite Denkanstoß wäre, dass der Polizist am Abend voher das Mädchen nach weiteren Freunden und Bekannten von Ake gefragt hat. Nachdem, wie oben erläutert, die Ekdal Informationen eigentlich bereits vorliegen, wäre es doch sinnvoller, wenn der Polizist einer weiteren Spur folgt und andere Menschen befragt? Kann natürlich sein, dass das Mädchen gesagt hat, es gäbe außer ihr niemanden. Aber du hast geschrieben, dass sie eifrig erzählt hat. Das lässt drauf schileßen, dass es ggfs auch andere Menschen gibt. Aber das kann ich aus dem kurzen Ausschnitt nicht wissen, das weißt nur du. smile

Ich hoffe, dass war halbwegs verständlich. Embarassed
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Chamomila
Geschlecht:weiblichLeseratte


Beiträge: 132



Beitrag12.04.2022 22:07

von Chamomila
pdf-Datei Antworten mit Zitat

@hakatajin

Oh weh, mein Fehler: ich hatte völlig vergessen, in meiner Tathergang-Schilderung die Wochentage zu erwähnen!

Ake beendet seine Inventur beim Kaufmann am Sonnabend-Abend und geht dann nach Hause - wird aber auf dem Weg dorthin entführt.
Der nächste Tag ist ein Sonntag, also arbeitsfrei.
Damit fällt Akes Verschwinden den Ekdals auch nicht sofort am nächsten Tag auf.

Am Sonntag finden sich die meisten Leute aus dem Dorf (oft auch Ake, der seine Mutter mitbringt, die beiden kommen aber nicht immer) in der Kirche ein.
An diesem Sonntag fehlen aber sowohl Ake als auch seine Mutter.
Der Entführer nutzt diese Gelegenheit und erzählt verschiedenen Leuten (denen die Abwesenheit vielleicht auffallen könnte), dass er Ake am letzten Abend gesehen hat, wie er mit etwas Gepäck - einem Bündel oder einer Reisetasche - das Dorf auf der Straße nach Norden verlassen hat. So entsteht das Gerücht mit dem Ausreißer, das im Dorf nur allzu gern geglaubt wird.

Der Entführer ahnt nur eins nicht: Frau Ekdal schickt ihre Nichte Greta - die dick mit Ake befreundet ist, aber von den Gerüchten noch nichts gehört hat - am Sonntagabend mit einem kleinen Auftrag zu Akes Familie.
Greta kommt völlig aufgelöst zurück: sie hat von Akes Mutter erfahren, dass Ake am Sonnabend Abend gar nicht nach Hause gekommen ist.
Ihr Onkel und ihre Tante glauben noch an die Geschichte mit dem Ausreißer und versuchen, ihre Nichte zu beruhigen. Aber Greta glaubt nicht daran und macht sich - in der Nacht von Sonntag zu Montag - auf die Suche...
...wobei sie vom Dorfpolizisten aufgegabelt wird.

Von Akes Eltern erfährt der Dorfpolizist nichts: der Vater ist völlig betrunken und die Mutter weiß nur, dass ihr Sohn nach der Arbeit nicht nach Hause gekommen ist. Sie macht sich zwar Sorgen, könnte aber auch verstehen, wenn ihr Sohn weggelaufen wäre: seit ihr Mann unter Verdacht steht, machen die Dorfleute ihrer Familie das Leben zur Hölle. Es würde sie nicht wundern, wenn er das nicht mehr ertragen hätte.

(Vielleicht sollte ich diese Passage vorher noch einfügen?)

Also befragt der Dorfpolizist als nächstes die Arbeitgeber von Ake...
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Miné
Geschlecht:weiblichEselsohr

Alter: 38
Beiträge: 241
Wohnort: Köln


Beitrag13.04.2022 09:06

von Miné
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Man merkt, dass du die Handlung, Charaktere etc. gut ausgearbeitet hast, aber mir fehlt das gewisse Etwas. Das Besondere, das fesselt, packt und einen nicht loslässt.
Liebe Grüße
Miné Kommt noch was?
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Hakatajin
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Beiträge: 91



H
Beitrag13.04.2022 18:20

von Hakatajin
Antworten mit Zitat

Chamomila hat Folgendes geschrieben:
@hakatajin

Oh weh, mein Fehler: ich hatte völlig vergessen, in meiner Tathergang-Schilderung die Wochentage zu erwähnen!

Ake beendet seine Inventur beim Kaufmann am Sonnabend-Abend und geht dann nach Hause - wird aber auf dem Weg dorthin entführt.
Der nächste Tag ist ein Sonntag, also arbeitsfrei.
Damit fällt Akes Verschwinden den Ekdals auch nicht sofort am nächsten Tag auf.

Am Sonntag finden sich die meisten Leute aus dem Dorf (oft auch Ake, der seine Mutter mitbringt, die beiden kommen aber nicht immer) in der Kirche ein.
An diesem Sonntag fehlen aber sowohl Ake als auch seine Mutter.
Der Entführer nutzt diese Gelegenheit und erzählt verschiedenen Leuten (denen die Abwesenheit vielleicht auffallen könnte), dass er Ake am letzten Abend gesehen hat, wie er mit etwas Gepäck - einem Bündel oder einer Reisetasche - das Dorf auf der Straße nach Norden verlassen hat. So entsteht das Gerücht mit dem Ausreißer, das im Dorf nur allzu gern geglaubt wird.

Der Entführer ahnt nur eins nicht: Frau Ekdal schickt ihre Nichte Greta - die dick mit Ake befreundet ist, aber von den Gerüchten noch nichts gehört hat - am Sonntagabend mit einem kleinen Auftrag zu Akes Familie.
Greta kommt völlig aufgelöst zurück: sie hat von Akes Mutter erfahren, dass Ake am Sonnabend Abend gar nicht nach Hause gekommen ist.
Ihr Onkel und ihre Tante glauben noch an die Geschichte mit dem Ausreißer und versuchen, ihre Nichte zu beruhigen. Aber Greta glaubt nicht daran und macht sich - in der Nacht von Sonntag zu Montag - auf die Suche...
...wobei sie vom Dorfpolizisten aufgegabelt wird.

Von Akes Eltern erfährt der Dorfpolizist nichts: der Vater ist völlig betrunken und die Mutter weiß nur, dass ihr Sohn nach der Arbeit nicht nach Hause gekommen ist. Sie macht sich zwar Sorgen, könnte aber auch verstehen, wenn ihr Sohn weggelaufen wäre: seit ihr Mann unter Verdacht steht, machen die Dorfleute ihrer Familie das Leben zur Hölle. Es würde sie nicht wundern, wenn er das nicht mehr ertragen hätte.

(Vielleicht sollte ich diese Passage vorher noch einfügen?)

Also befragt der Dorfpolizist als nächstes die Arbeitgeber von Ake...

Aaah, okay, das macht dann alles ein bisschen mehr Sinn. Danke für die ausführliche Erklärung. smile Dann finde ich so den Ablauf generell total in Ordnung und natürlich auch sinnvoll, dass er zuerst bei den Ekdals vorbeischaut. Vielleicht streust du ein paar von diesen Informationen noch in die Vorgeschichte deiner Leseprobe. Dann kann man das zeitlich ein bisschen besser einordnen.

Man könnte überlegen, ob Frau Ekdal evtl. ein bisschen aufgebrachter ist. Weil das ja quasi der erste Tag ist, an dem ihnen nun plötzlich eine Arbeitskraft fehlt. Aber die Persönlichkeiten der Figuren weißt nur du und wenn sie eher eine ruhigere ist (was der Seufzer und das "Was weiß man denn schon über die Leute um einen herum?" vermuten lässt), dann ists auch wieder stimmig.

Eine Frage, die der Polizist noch stellen könnte, wäre z.B. ob sie denkt, dass Ake sich mit dem neuen Job wohl gefühlt hat. Deinem Steckbrief nach zu urteilen, hat er ja gerade erst eine ziemlich turbulente Phase hinter sich und arbeitet noch nicht so lange bei denen.
Bzw. könnte er auch fragen, ob Ake denn nach besonderen Sachen gefragt hat. Wenn jemand davon laufen möchte, sammelt er vielleicht ein paar Informationen vorher. Grade Teenager, die womöglich noch nie das Dorf verlassen haben, könnten nach "dem Leben da draußen"/nahe Gasthäuser usw fragen.

Chamomila hat Folgendes geschrieben:
„Ja: vergangenen Sonnabend. Nach dem Abendessen ist er noch mal ins Lager gegangen, um die Bestandsaufnahme fertig zu machen. Danach wollte er dann nach Hause gehen …“
„… Wo er nie angekommen ist …“, Gustav Trulsen strich sich über den Bart und schüttelte dann besorgt den Kopf, während er sich an der Fensterbank anlehnte. „Diese Sache gefällt mir immer weniger … - Ich fürchte, Ihre Nichte hat nicht ganz Unrecht: an dieser Ausreißer-Geschichte scheint irgendetwas nicht zu stimmen!“

Diesen Punkt könnte man eventuell auch noch mal etwas überarbeiten. Es wäre nichts besonderes, dass er nach dem Lager nicht mehr zu Hause ankam. Er ist ja schließlich weggelaufen. Vielleicht hatte er seine Sachen im Vorfeld schon im Lager versteckt o.ä. Dieser Punkt alleine als "hier stimmt etwas nicht" zu verwenden, wäre für mich etwas schwach.

Jetzt hab ich schon wieder so viel geschrieben. Ich mein das auch gar nicht negativ. Wie Miné schon geschrieben hat, merkt man, dass du dir viele Gedanken um die Charaktere gemacht hast. Das wirkt auf mich auch total stimmig und tiefschichtig. smile Nimm davon, was du für dich für sinnvoll hälst und ignoriere den ganzen Rest. Laughing
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Chamomila
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Beiträge: 132



Beitrag14.04.2022 18:21

von Chamomila
pdf-Datei Antworten mit Zitat

Hei!

Erst mal vielen Dank für die Antworten! Da war schon eine Menge bei, was mir weiterhilft...

Vielleicht kommt noch mehr raus, wenn ich mal sämtliche Passagen, die ich bisher über Ake Forsbrand und die Ekdals (die in der eigentlichen Geschichte nur ein Nebenschauplatz sind - Hauptprotagonisten sind Gunnar und Krister) habe...
...möglicherweise bin ich da gerade etwas betriebsblind und euch fallen noch Sachen ein, die vielleicht fehlen, die noch verdeutlicht werden müssen, oder die zuviel sind?

Ich fang hier einfach mal an...

Was bisher geschah:
In dem kleinen, verschlafenen Dorf Solvangen wurde die Leiche eines erschlagenen Mannes gefunden, dem Aussehen nach vermutlich ein Landstreicher. Schon bald haben die Dorfbewohner einen Lieblingstatverdächtigen: den Alkoholiker Erik Forsbrand, Vater des 15jährigen Ake, der seit dem Tod von Akes kleiner Schwester seinen Kummer im Schnaps ertränkt. Der Dorfpolizist (damals in Norwegen auch "Lensmann" genannt) hält nicht viel von vorschnellen Schlüssen und will den Fall gründlich aufklären. Die Dorfbewohner steigern sich aber immer mehr in ihren Verdacht und ihre Hysterie hinein, worunter letztendlich die gesamte Familie Forsbrand zu leiden hat...
Zitat:
Ein dunkelhaariger, sommersprossiger Junge von etwa fünfzehn Jahren ging durch den Wald, unter dem Arm trug er einige Holztrümmer, die früher einmal ein Stuhl gewesen waren.
Er war auf dem Weg nach Solbakken – in der verrückten Hoffnung, dass Gunnar Stjernebekk noch etwas an dem Stuhl reparieren konnte.
Natürlich wusste er, dass der junge Tischler das nicht sofort erledigen konnte – nicht so lange er noch den gebrochenen Arm im Verband hatte. Aber eine längere Zeit warten, war immer noch besser, als zu Eskil Iversen zu gehen und sich dort in Grund und Boden zu schämen! Gunnar würde keine peinlichen Fragen stellen und auch nicht abfällig auf ihn herabsehen, weil sein Vater wieder mal… -
Åke Forsbrand seufzte leise. Sein Vater – sein Vater, der jedes seiner Kinder für das größte, herrlichste und unglaublichste Wunder auf Gottes grüner Erde hielt – hatte mal wieder gehaust, wie ein Berserker. Und zwischendurch hatte er geschluchzt, geflucht, gejammert und nach Elin gerufen, so wie immer, wenn er so richtig betrunken war!
Nicht, dass Åke das nicht auch irgendwie verstehen konnte: Seine süße kleine Schwester, kaum sieben Jahre alt und dann elend an Schwindsucht gestorben… Man konnte sich schon für weniger betrinken!
Åke stapfte nachdenklich durch das hohe Gras zwischen den Bäumen, bis er zu der Lichtung kam, auf der Gunnars Haus stand.
Er hatte Glück: Gunnar war zu Hause und gerade – einigermaßen erfolglos – damit beschäftigt, einhändig ein paar nasse Wäschestücke an einer Leine zwischen zwei Birken zu befestigen.
Åke warf die Holzstücke ins Gras.
„Warte, ich helf‘ dir!“
Während der Junge geschickt die Wäsche aufhängte, sah sich Gunnar die Überreste von dem Stuhl an.
„Guter Moses! Was hast du denn damit angestellt?“
Der Junge blickte verlegen auf die Trümmer.
„Mein Vater …“ begann er und wurde dunkelrot. Gunnar unterbrach ihn:
„… na, darf ich raten?“ ergänzte er, betont heiter, „Er ist gestolpert, wollte sich am Stuhl festhalten und dann ist er mit dem morschen Gerümpel hier der Länge nach hingekracht?“
Åke atmete erleichtert auf.
„Jaaa – so ungefähr war’s wohl …“
Gunnar prüfte die wurmzerfressenen Bruchstücke gründlich, dann schüttelte er bedauernd den Kopf.
„Darf ich dir einen guten Rat geben? – Mach‘ lieber Brennholz draus! Da ist wirklich nichts mehr zu retten!“
Der Junge sammelte niedergeschlagen die Überreste des Stuhls ein und machte sich auf den Weg. Gunnar hielt ihn kurz zurück.
„Ach, Åke – magst du mir einen Gefallen tun?“
„Ja, sicher! Welchen?“
„An meinem Haus muss zum Herbst noch so das eine oder andere ausgebessert werden – hilfst du mir dabei?“
Über Åkes sommersprossiges Gesicht flog ein winziges Lächeln.
„Ja – klar!“
Gunnar streckte – ebenfalls lächelnd – die Hand aus und der Junge schlug ein.
„Also abgemacht! Sobald mein Arm wieder in Ordnung ist, fangen wir an! Soll dein Schaden nicht sein!“
Åke nickte und verließ getröstet mit seinen Holzstücken die Lichtung. Gunnar sah ihm eine Weile nach. Sobald sein Arm verheilt war, beschloss er, würde er einen neuen, stabilen Stuhl für die Forsbrands tischlern!

Einige Tage später...
Zitat:
Åke blieb auf der Brücke stehen und starrte nachdenklich in den wild wirbelnden, schäumenden Fluss. Es musste gut sein, da unten: keine feindseligen Blicke mehr, keine harten Worte, keine Sorgen... – nichts als einfach nur noch Ruhe von allem! Er atmete einmal tief durch. Dann stemmte er sich langsam am Geländer hoch, beugte sich vor…
„Åke!!!“ eine helle Mädchenstimme… „Vorsicht! Pass‘ doch auf, du fällst gleich rein!“
Rasche Schritte näherten sich, zwei magere Hände zerrten ihn am Hemd, zurück auf die Brücke und ein Mädchenkopf mit dünnen, rostbraunen Zöpfen spähte über das Geländer.
„Was gibt‘s denn da unten so Interessantes?“
Åke zuckte gleichgültig die Schultern und drehte sich zu dem Mädchen um.
„Weiß nich‘ - war nur neugierig ...“
Greta Ekdal sah ihn an und nicht zum ersten Mal hatte Åke das Gefühl, dass sie direkt in ihn hineinstarrte. Ihre grünen Augen, die in ihrem schmalen, blassen Gesicht viel zu groß aussahen, konnten einen so durchdringend ansehen, dass es fast unheimlich war…
Jetzt zog sie ihn fest am Ärmel.
„Kommst du ’n Stück mit?“
Åke ließ sich gleichgültig mitziehen. Der Fluss würde ja später auch noch da sein…
Inzwischen hatte sich Greta bei ihm eingehakt und redete wie ein Wasserfall, sie plauderte von diesem und jenem, von einer selbstgehäkelten Spitze und einem Gedicht, von einem geplanten Picknick, einem Ausflug in die Stadt und einem traumhaft-schönen neuen Hut, den ihr Onkel ihr bei der Gelegenheit gekauft hatte… - und blieb dann plötzlich stehen, an einer abgelegenen Stelle, direkt unter einem Baum.
„Also – was ist los?“
Sie sah ihn wieder direkt an und Åke senkte den Blick. Sich herausreden war bei Greta Ekdal unmöglich, das wusste er aus Erfahrung. Sie hatte ein todsicheres Gespür dafür, wenn er sie anlog, sie würde keine Ruhe geben und nachbohren, bis sie alles wusste – die Wahrheit und nichts als die Wahrheit – besser er machte es selbst, kurz und schmerzlos!
„Hjerdestad hat uns rausgeschmissen: mich – und Mutter noch dazu ...“
Eigentlich war es unter Åkes Würde, zu weinen, noch dazu vor einem Mädchen, aber jetzt konnte er die Tränen kaum noch zurückhalten. Greta zog wortlos ein halbwegs sauberes Taschentuch aus ihrer Schürzentasche und hielt es ihm hin. Åke ließ sich damit unter den Baum sinken. Greta setzte sich neben ihn.
„Wegen … - der Sache mit deinem Vater …?“
Åke nickte und brach jetzt wirklich in zornige und verzweifelte Tränen aus. Unter Schluchzen berichtete er Greta, was passiert war und wie Asgeir Hjerdestad ihn vom Hof gejagt hatte – er ließ nichts aus.
Greta Ekdals Gesichtsausdruck veränderte sich mehr und mehr. Sie wurde nicht etwa schmelzend-weich vor Mitleid, keineswegs – sie wurde so wütend, dass die Funken sprühten. Als Åke ihr die letzten Worte des Pferdehändlers sagte, sprang sie heftig auf.
„DIESER MISTKERL!!!“
Åke blieben die Tränen im Hals stecken, als er den Wutschrei hörte, er starrte Greta fassungslos an. Das Mädchen ballte beide Fäuste und stampfte mit dem Fuß auf.
„Der soll‘s noch mal wagen zu uns in den Laden zu kommen! Nichts werden wir ihm verkaufen, gar nichts mehr, mein Onkel soll ihn achtkantig  aus dem Laden schmeißen, aber vorher werd‘ ich ihm noch sagen, was ich von ihm denke und zwar dass es knallt … - ach was, das erledige ich gleich!“
Greta wollte davonstürmen, aber Åke hielt sie an ihrer Schürze fest.
„Lass‘ doch“, seine Stimme klang müde, „Damit handelst du dir nur Ärger ein – und deinem Onkel und deiner Tante noch dazu.“
Er zog Greta zurück neben sich und legte ihr vorsichtshalber den Arm fest um die Schultern.
„Das müssen wir eben aussitzen, Vater, Mutter und ich: entweder kommt Vaters Unschuld doch noch ans Licht – oder … - ach, ich weiß auch nicht ...“
Greta rammte zornig ihren Stiefelabsatz in die Erde, weil gerade niemand passendes in der Nähe war, den sie damit heftig treten konnte – irgendwohin wo es so richtig weh tat...
„Aber das ist … - so ungerecht!“
Åke schwieg. Eine Weile blieben sie noch unter dem Baum sitzen, dann stand er auf und half Greta hoch:
„An deinen eigenen guten Ruf solltest du auch ein bisschen mehr denken! Also … ich meine … du solltest dich in Zukunft wohl lieber nicht mehr mit mir sehen lassen ...“
Greta baute sich entrüstet vor ihm auf.
„Oh und ob ich mich mit dir sehen lasse!!! Jetzt erst gerade, darauf kannst du wetten! Und was meinen guten Ruf betrifft: der ist sowieso ruiniert, wenn die erst mal hinter mein großes Geheimnis kommen!“
Åke sah Greta überrascht an.
„Oh ja“ fuhr sie fort, „hier in Solvangen gibt‘s so viele Geheimnisse, dass es knistert: eine Fuhre Dynamit ist nichts dagegen! Mein Onkel und meine Tante haben mir zwar streng verboten, über mein Geheimnis zu sprechen – aber dir erzähl‘ ich‘s trotzdem, weil ich weiß, dass du‘s nich‘ weitersagst: Vati arbeitet nämlich gar nicht in einer Ziegelei – Vati ...“
Greta stellte sich auf Zehenspitzen und flüsterte Åke etwas ins Ohr. Seine Miene wurde immer verblüffter und erschrockener.
„Was denn – wirklich?“ war alles, was er herausbrachte. Greta nickte ernst, in ihren Augen schimmerten jetzt auch Tränen. Åke suchte verzweifelt nach tröstenden Worten.
„Und – deine Mutter …?“
Greta senkte den Kopf, ihr Zorn war verraucht und ihre Stimme klang jetzt klein und zerbrochen:
„Mutti ist im Himmel.“
Åke legte den Arm um sie.
‚Arme Greta‘, dachte er und vergaß darüber fast seinen eigenen Schmerz, ‚so viel Kummer für so ein kleines Mädchen...‘
Der Fluss sollte auf ihn warten, bis er schwarz wurde, beschloss er grimmig, denn Greta Ekdal konnte jetzt sehr dringend einen guten Freund brauchen!
*
„Åke Forsbrand einstellen?“ Åse Ekdal starrte ihren Mann fassungslos an, „Hast du den Verstand verloren?“
„Das Warenlager wächst mir schon seit einiger Zeit über den Kopf“, erwiderte ihr Mann ruhig, „Ich bin eben nicht mehr der Jüngste. Und Åke hat gerade seine Arbeit verloren, habe ich gehört – er kann also gleich morgen hier anfangen.“
„Unmöglich! Wenn sich herumspricht, dass wir den Sohn von Erik Forsbrand eingestellt haben ... Vergiss nicht, dass gerade wir besonders auf unseren guten Ruf achten müssen – gerade du solltest das doch wissen, mit … -“ sie brach ab und presste die Lippen aufeinander.
Hjalmar Ekdal ließ sich seufzend auf einen Hocker sinken. Er sah auf einmal alt und müde aus.
„Ach, Åse! Sprich‘ es doch einfach aus: mit meinem Bruder im Zuchthaus, der im Jähzorn seine Frau erschlagen hat.“
„Sei doch still!“ unterbracht ihn Åse erschrocken, „Wenn das jemand hört! Und das mit dem Forsbrand-Jungen … nein, wir können hier kein Risiko eingehen! Schon wegen Greta ...“
Sie drehte sich wieder zum Herd um und klapperte mit den Töpfen, ein deutliches Zeichen, dass sie – was selten vorkam – wirklich aufgeregt war. Hjalmar Ekdal setzte sich auf die Küchenbank, zog seine Pfeife aus der Hosentasche, stopfte sie neu und zündete sie an. Er wusste genau, wie sehr seine Frau es hasste, wenn er in der Küche seinen selbst angebauten Tabak rauchte – und seine Frau wusste ebenso genau, dass er nur dann in der Küche rauchte, wenn er entschieden anderer Meinung war, als sie.

Noch einige Tage später...
Zitat:
Asgeir Hjerdestad betrat den Kaufmannsladen. Frau Ekdal ordnete ein paar Gläser auf dem Verkaufstisch, im Hintergrund stand Greta auf einer Leiter und räumte Waren in ein Regal. Hjerdestad kam näher.
„Schönen guten Tag, Frau Ekdal! Was für ein herrliches Wetter heute! Ein Paket Tabak bitte! – Ach… - und da ist ja auch die kleine Greta!“
Greta drehte sich um. Wenn Blicke töten könnten, wäre der Pferdehändler auf der Stelle tot umgefallen. Sie stieg von der Leiter und marschierte wortlos ins Warenlager. Asgeir Hjerdestad sah ihr erstaunt nach.
„Was hat sie denn?“
Frau Ekdal suchte den Tabak heraus und seufzte.
„Ach – ein Freund von ihr hat wohl Kummer. Sie nimmt sich so etwas immer viel zu sehr zu Herzen.“
Der Pferdehändler suchte nach seiner Geldbörse.
„Falls Sie diesen Åke Forsbrand meinen – da sollten Sie lieber ein bisschen besser auf Ihre Nichte achtgeben! Dieser Junge ist kein Umgang für anständige Kinder: solchen – Leuten ist nicht zu trauen: so eine Verkommenheit durchseucht doch die ganze Familie …“
Das Gesicht der Kaufmannsfrau wurde plötzlich starr. Asgeir Hjerdestad bemerkte es nicht. Er legte das Geld auf den Verkaufstisch.
„Danke sehr!“ bemerkte Frau Ekdal frostig und langte ein paar Münzen Wechselgeld auf den Tisch. Dann drehte sie sich wortlos um und machte sich an den Regalen zu schaffen. Pferdehändler Hjerdestad verließ – etwas verblüfft – den Laden.

„Du hattest Recht, Hjalmar“, sagte Åse Ekdal später zu ihrem Mann, „Wir brauchen wirklich noch Hilfe im Warenlager. Wenn du also so gut wärst und Åke Forsbrand fragst …“
Hjalmar Ekdal lächelte.
„Selbstverständlich – gleich heute Abend gehe ich hin.“


Fortsetzung folgt...
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Chamomila
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Beitrag14.04.2022 18:22

von Chamomila
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Fortsetzung...
Zitat:
„Herr Stjernebekk ...“
Gunnar, der gerade behutsam und mit viel Geduld einen kleinen Holzkasten polierte, hob den Kopf und sah Mette Iversen auf sich zu kommen.
„... Frau Forsbrand steht draußen, reinkommen will sie nicht – würden Sie das vielleicht …?“
Gunnar nickte und stand auf.
„Ja, natürlich! Ich komme sofort!“
Er verließ mit eiligen Schritten die Werkstatt.
Agda Forsbrand sah noch verhärmter und trauriger aus, als sonst und auf ihrem Gesicht waren Tränenspuren. Als sie den jungen Tischler bemerkte, hob sie kaum den Kopf. Gunnar wischte sich die Hände an der Hose ab und reichte ihr die Hand.
„Guten Tag, schön, Sie zu sehen! Was darf ich für Sie tun?“
Seine Stimme war ruhig und warm – Frau Forsbrand wischte sich über die Augen.
„Ein neues Grabkreuz ...“, erwiderte sie schließlich erstickt, „Für Elin … Wenn Sie … vielleicht … bitte …?“
Er nahm ihre Hand und drückte sie freundlich.
„Aber ja, selbstverständlich. Ich werde mich sofort an die Arbeit machen.“
Jetzt sah Frau Forsbrand ihn an, über ihr Gesicht liefen Tränen.
„Sie sind ein guter Mensch!“
Bevor Gunnar noch etwas erwidern konnte, drehte sie sich um und verließ – hastig und schluchzend – den Hof der Tischlerei. Der junge Tischler sah ihr beunruhigt nach. Er hatte auf einmal das ungute Gefühl, dass etwas wirklich Schlimmes passiert sein musste...

Etwa zwei oder drei Tage später
Zitat:
Gunnar stand in Iversens Werkstatt und gravierte vorsichtig zarte Blumenranken in das fast fertige Holzkreuz, das vor ihm lag. Den Namen ‚Elin Forsbrand‘ hatte er gerade mit einem ebenso zarten Blütenkranz eingerahmt – so, wie es einem kleinen Mädchen wohl gefallen würde. Karlsson, Iversens Geselle, sah ihm kurz über die Schulter.
„Muss das tatsächlich sein?“ bemerkte er kühl.
Gunnar hob den Kopf.
„Ja – warum?“
Karlsson rümpfte die Nase.
„So viel Arbeit mit Blümchen und Verzierungen – und das ausgerechnet für dieses Balg… - diese Mörderbrut!“
„Jetzt hör‘ aber auf!“ Gunnars Stimme war scharf geworden, „Elin kann nichts für diese ganze Sache – nichts für den Mord und nichts dafür, dass ihr Vater unter Verdacht geraten ist! Und außerdem ist noch gar nicht bewiesen, dass Erik Forsbrand überhaupt was mit dem Mord zu tun hat! Also hör‘ lieber auf, solchen Unfug zu reden!“
Der Geselle zog sich zurück: mit Gunnar Stjernebekk legte man sich besser nicht unnötig an, das hatte sich inzwischen herumgesprochen. Er war zwar gutmütig und geduldig, aber wenn man einen gewissen Punkt überschritten hatte, war mit ihm nicht zu spaßen – erst recht nicht, wenn es um das Wohl von irgendwelchen Kindern ging.
Gunnar gravierte sorgfältig die letzten Blütenblätter ein, schliff und glättete seine Arbeit noch ein letztes Mal und machte sich anschließend mit dem Kreuz auf den Weg zum Friedhof.

Krister stand im Garten von Hesthaugen und schnitt vorsichtig einen Strauß Gladiolen. Es waren die allerersten in diesem Jahr und er war froh, dass sie rechtzeitig aufgeblüht waren: jetzt bekam Britta doch noch ihre Lieblingsblumen zum Geburtstag!
Er klappte sein Messer zusammen, steckte es in die Hosentasche und machte sich auf den Weg.

Gunnar ging mit langen, kräftigen Schritten über den Friedhof, hin zu der Stelle, an der Elin Forsbrand begraben war. Elins Sarg war eine der ersten Arbeiten gewesen, die er selbst in Iversens Tischlerei angefertigt hatte. Und er war es auch gewesen, der den Sarg zu den Forsbrands gebracht hatte. Er erinnerte sich noch genau an den Tag: An den verzweifelten Vater, der – völlig betrunken – schluchzend, schreiend und jammernd durch die Zimmer wankte. An die Mutter, die stumm und bleich durch Küche und Stube gewandert war, wie eine lebende Tote. Und an Åke, der oben in der Kammer auf der Kante von Elins Bett saß und die ganze Zeit über nur seine tote Schwester ansah. Sein Blick war Gunnar damals durch und durch gegangen. Elin hatte so friedlich ausgesehen, wie sie da auf ihrem Bett gelegen hatte, in ihrem etwas zu kleinen, weißen Nachthemd mit rosa Blüten und Bändern, ihre dichten braunen Haare offen um die Schultern, jemand hatte ihr einen Zweig mit Apfelblüten in die Hände gegeben. Und sie war so erschreckend kalt gewesen, als Gunnar sie sanft hochgehoben hatte, um sie in ihr letztes Bett zu bringen. Gemeinsam mit Åke hatte er sie so hingelegt, dass es bequem für sie sein musste. Åke hatte seine kleine Schwester eigenhändig zugedeckt. Und bevor Gunnar den Sarg geschlossen hatte, war Åke noch einmal zum Bett gegangen, er hatte Elins Puppe geholt und sie ihr in den Arm gelegt. Danach war es mit seiner Fassung vorbei gewesen und er war schluchzend neben dem Sarg zusammengebrochen…
Gunnar blieb jäh stehen und starrte auf das Grab von Elin. Die Blumen, die darauf lagen, waren zerrissen und zertreten – und das Holzkreuz mit dem Namen lag zerhackt, dazwischen. Harter, wilder Zorn stieg in ihm auf und er ballte für einen Moment die Fäuste. Mit Tränen in den Augen brachte er wieder in Ordnung, was noch in Ordnung zu bringen war. Er räumte die Trümmer beiseite, versuchte, die Fußspuren zu verwischen, befestigte das neue Kreuz in der Erde und streute schließlich die Blumen über das Grab, die noch nicht völlig zertreten waren. Anschließend hob er die Bruchstücke vom alten Kreuz auf und nahm sie mit, um sie dem Pfarrer zu zeigen.


Fortsetzung folgt...

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Chamomila
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Beitrag14.04.2022 18:24

von Chamomila
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Fortsetzung...

In Kongssand, in der heruntergekommenen Kneipe "Olsens Ølstue", findet seit einiger Zeit eine Gruppe von Männern aus Solvangen zusammen, um den Mordfall und ihre Ansichten über Recht und Ordnung zu diskutieren. Bei Bier und Schnaps entwickeln sie ihre eigene Sicht auf die Dinge – und werden sich zunehmend einig, dass sie "der Gerechtigkeit ein wenig auf die Sprünge helfen müssen" und dafür sorgen sollten, dass Erik Forsbrand endlich als Mörder verurteilt wird und endlich wieder Ruhe im Dorf einkehrt. Eine Zeugenaussage von Eriks Sohn Åke - selbst wenn sie die nur durch Druck und Erpressung bekommen können - soll ihnen dabei helfen. Und ob diese Aussage nun wahr ist oder nicht ist ihnen inzwischen ziemlich egal...
Åke ahnt nicht, in welcher Gefahr er schwebt.
Zitat:
Åke stand im Warenlager auf der Leiter, zählte Anchovisdosen und trug das Ergebnis sorgfältig in die Liste ein. ‚Zähl’ nicht die ganze Nacht durch!’ hatte Kaufmann Ekdal ihn beim Abendessen noch ermahnt, aber Åke wollte das Lagerverzeichnis noch abschließen, bevor es Sonntag wurde.
So – jetzt nur noch die Päckchen mit dem Waschmittel, dann war er fertig! Draußen dämmerte es schon, aber jetzt im Sommer wurden die Nächte nie wirklich dunkel: er würde nicht mal eine Laterne für den Heimweg brauchen.
Der Junge stieg von der Leiter und beugte sich über die Kiste mit dem Waschpulver.

*

Sie warteten in einem schmalen Gang zwischen zwei Häusern.
“Hast du das Zeug?“
Er nickte. Der Mann neben ihm hatte sich eine selbstgenähte Kapuze über den Kopf gezogen, die das Gesicht völlig verdeckte. Genau wie er selbst. Niemand sollte erkennen, wer sich noch alles an diesem Plan beteiligte, darauf hatten sie sich alle geeinigt: je weniger jeder wusste, umso weniger konnten sie im Fall eines Falles aussagen!
„Hier!“
Er hielt eine Flasche hoch, in der früher Kampfersublimat gewesen war. Jetzt befand sich darin der Inhalt von den beiden Fläschchen, die ihm diese Frau in Olsens Ølstue besorgt hatte. Mit der anderen Hand tastete er nach seinem Messer. ‚Die Pfoten festhalten’ hatte der Apotheker ausrichten lassen. Das mochte vielleicht bei einer Katze gehen - aber hier würde ein Messer an der Kehle sicherlich besser wirken…
„Hast du die Lappen? Und den Wagen?“
Der Mann neben ihm nickte ebenfalls und spähte um die Ecke.
„Der lässt sich aber Zeit!“
„Wird schon noch kommen: wenn er zu seinen Alten will, muss er hier längs.“
Er klappte vorsichtig sein Messer auf und machte sich bereit. Er musste diese Aussage haben – die entscheidende Aussage gegen Erik Forsbrand: das würde seinen Kopf retten! Wenn der alte Forsbrand erst mal als Mörder verurteilt war, würden die Ermittlungen eingestellt. Niemand würde dann mehr auf ihn kommen. Und dafür war er bereit, jedes Risiko einzugehen!

*

Åke legte das Lagerverzeichnis gut sichtbar auf den Schreibtisch im Kontor und schloss die Tür sorgfältig hinter sich ab. Es war das erste Mal gewesen, dass er den Lagerbestand ganz allein aufgenommen hatte. Hoffentlich hatte er alles richtig eingetragen, dachte er, während er sich auf den Weg zu seinen Eltern machte:
’Sehr gut gemacht, mein Junge!’ würde Kaufmann Ekdal dann sagen und ihm anerkennend auf die Schulter klopfen. Åse Ekdal würde vielleicht auch endlich ein lobendes Wort für ihn finden. Und Greta würde strahlen und stolz auf ihn sein. Und – ja und ganz vielleicht würde sie dann auch ‚ja’ sagen, wenn er sie zu einem kleinen Picknick einlud: sie könnten zu dieser hübschen kleinen Lichtung oben im Wald wandern… – Er würde Mutter bitten, für sie beide ihre köstlichen „Krøller“ zu backen: zarte, in sich verschlungene, zuckerbestreute Kekse, die auf der Zunge zergingen und…
Ein nasses Tuch, das süßlich roch, wurde ihm plötzlich fest auf Mund und Nase gepresst - und im gleichen Moment fühlte er eine scharfe Klinge an seiner Kehle.
„Schön still halten! Und schön tief weiteratmen! Dann passiert dir auch nichts!“
Åke gehorchte zitternd. Er wurde in einen kleinen Weg zwischen zwei Häusern gezerrt. Jemand riss seine Hände nach hinten und band sie fest mit einem Strick zusammen, ebenso wie seine Füße. Nach und nach wurde ihm seltsam schwindlig.
„Schnell, die Lappen!“ hörte er – wie aus weiter Ferne - eine Stimme zischen.
Das letzte, was er bewusst wahrnahm war, dass ihm jemand die Augen verband. Und dann versank alles um ihn her…

*

Agda Forsbrand stand in ihrer mehr als spärlich eingerichteten Küche und sah bekümmert ihre Vorräte durch. Die Kartoffeln würden diese Woche wieder mal nicht reichen… Die Frau seufzte müde. Sie wusste ja, wohin ihre Kartoffeln immer verschwanden. Und sie konnte ihrem Mann noch nicht mal wirklich böse darüber sein: seine Kinder waren immer sein größter Stolz und seine ganze Freude gewesen und vor allem an der Kleinen hatte er mit jeder Faser gehangen. Sie erinnerte sich noch, wie er Elin zum ersten Mal im Arm gehalten hatte – überglücklich und voll ungläubigem, kindlichen Staunen darüber, dass er selbst an diesem kleinen Wunder beteiligt sein sollte… Elin war Zeit ihres Lebens sein ein und alles gewesen, ihr langsamer, schleichender Tod hatte ihn bis ins Mark erschüttert und ihm jeden noch verbliebenen Halt geraubt…
Sie ging zum Fenster und sah hinaus in den winzigen Garten. Im Schuppen brannte noch Licht und sie wusste, jetzt stand er da und braute sich den einzigen Trost zusammen, den er noch kannte. Sie wandte sich ab, ging hinüber zum Küchenschrank und öffnete ihn.
Wenigstens um ihren Jungen musste sie sich keine Sorgen mehr machen. Seit Kaufmann Ekdal ihn eingestellt hatte, bekam er an jedem Werktag zwei kräftige, anständige Mahlzeiten und einen guten Wochenlohn noch dazu. Es ging sogar das Gerücht, dass Hjalmar Ekdal überlegte, ihn in die Lehre zu nehmen, damit Åke später einmal Kaufmann werden sollte… Ihr erschien diese Möglichkeit immer noch wie ein Traum aus einem Märchen.
Agda Forsbrand holte eine Tasse aus dem Schrank – stark angeschlagen, so wie all ihr Geschirr – und suchte nach der Keksdose. Wenn ihr Junge nach Hause kam, hatte er gern noch einen kurzen Augenblick bei ihr in der Küche, bevor er sich schlafen legte…

*

Als Åke zu sich kam, fand er sich auf einem Stuhl wieder – und irgendjemand war gerade damit beschäftigt, ihn mit ein paar Stricken fest darauf anzubinden. Er versuchte, sich zu wehren, aber es war zwecklos. Je wacher Åke wurde, umso wütender wurde er.
„Bindet mich sofort los, ihr Blödmänner!“
Höhnisches Lachen war die Antwort.
„Schau an! Sobald der kleine Verbrecherbengel wach wird, fängt er an und wird frech!“
Åke sah sich um. Um ihn herum standen einige Gestalten, alle mit Kapuzen über dem Kopf, und schienen sich prächtig über ihn zu amüsieren. Jetzt trat einer zwei Schritte vor.
„Oh sofort, mein lieber Junge! Du musst uns nur einen kleinen Gefallen tun, dann binden wir dich sofort wieder los! Du musst nur dem Lensmann und später dem Richter sagen, dass dein versoffener Vater den Landstreicher erschlagen hat, dann bist du sofort wieder frei!“
„Meinen Vater beschuldigen, obwohl der nichts gemacht hat? Einfach so, weil‘s euch so passt?“ Åke warf einen empörten Blick in die Runde. „Ihr seid ja wohl vom wilden Troll gebissen !“
Ein zweiter Mann trat vor, unter der Verkleidung war sein Gesicht nicht zu erkennen und im Gegensatz zu den anderen war seine Stimme kalt wie Eis. Es bestand kein Zweifel, dass er es todernst meinte:
„Also gut, dann geben wir dir ein bisschen Zeit um hier in aller Ruhe drüber nachzudenken – sagen wir so zwei oder drei Wochen? Oder etwas länger? Vielleicht wirst du ja ein bisschen zugänglicher für unsere Ideen, wenn du erst mal Hunger kriegst. Oder Durst ...“
„... Oder auch mal eine kleine Tracht Prügel zwischendurch!“ ergänzte ein Dritter süffisant.
Åke unterdrückte mühsam die Angst, die ihn ihm aufstieg. Das hier klang nicht mehr nach einem dummen Streich... Er hob den Kopf noch etwas höher und starrte zurück: bloß nichts anmerken lassen, dachte er. Für einen Hosenschisser sollten die ihn nicht halten!
„Träumt weiter!“ zischte er durch seine zusammengebissenen Zähne, „Ewig könnt ihr mich ja nicht hier sitzen lassen!“
„So? Können wir das nicht?“
Der Entführer, der hinter seinem Rücken stand und ihn am Stuhl festgebunden hatte, klang höhnisch:
„Dann hör’ mir jetzt mal gut zu, mein lieber Junge!“
Eine Hand packte ihn an der Kehle, riss seinen Kopf zurück und der scharfe Geruch von Spiritus und Schellack brannte Åke in der Nase. Der Mann beugte sich ganz nah über ihn, die Stimme hinter dem Stoff war nur noch ein leises, gehässiges Flüstern an seinem Ohr:
„Glaub’ mir, wir können! Oder bildest du dir etwa ein, dass irgendjemand ein Verbrecherbalg wie dich vermissen oder gar suchen wird? Und selbst wenn: hier findet dich so schnell keiner! Du hast also genau zwei Möglichkeiten: entweder du sagst aus, was wir hören wollen, oder … -“
Er sprach nicht zu Ende, aber seine Stimme hatte einen Unterton, von dem es Åke plötzlich eiskalt vor Entsetzen wurde: kein Zweifel, das hier war tödlicher Ernst!
’Ruhig bleiben!’, dachte er und kämpfte gegen die Panik an, die in ihm emporkroch, ‚Und gut nachdenken – denn irgendjemand wird mich suchen! Greta und Gunnar bestimmt! Und wenn die mich rechtzeitig finden, müssen sie wissen, wer mich entführt hat! Also, wer…?’
Der hier hinter ihm musste jedenfalls einer aus der Tischlerei sein! Der Geruch von den Zutaten für Möbelpolitur war unverkennbar! Aber wer? Gunnar nicht, so viel war klar! Und Oskar, der Lehrling, war zu klein und zu schmächtig: das hier war ein erwachsener Mann. Also entweder Karlsson oder Iversen…
Eine eiskalte Stimme unterbrach seine Gedanken:
„Du hast ja jetzt die ganze Nacht Zeit, um drüber nachzudenken, wie angenehm es hier auf Dauer für dich wird!“ Der Mann, der gesprochen hatte, wandte sich zum Gehen, „Vielleicht bist du ja dann morgen ein bisschen vernünftiger!“  
Sie ließen ihn allein – sie ließen ihn tatsächlich allein und an den Stuhl gefesselt zurück! Åke stöhnte leise auf und zerrte in ohnmächtiger Wut an den Stricken, die sich tief in seine Haut schnitten. Ein leise-klirrendes Geräusch, gefolgt von einem lauten Knirschen und Quietschen verriet ihm, dass sie ihn zu allem Überfluss auch noch eingeschlossen hatten. Verdammt! Jetzt saß er fest – jetzt saß er wirklich in der Falle!
Dreckskerle! Schweinepriester! Otterngezüchte! Hundsfötter! Åke fluchte noch eine ganze Weile weiter, bis seine Tränen die Flüche erstickten und er nur noch leise schluchzte. Und dann fing er an, darauf zu warten, dass die Nacht vorbeiging.

Im Dorf verbreiten die Entführer das Gerücht, Åke sei weggelaufen. Greta, die Nichte des Kaufmanns, glaubt nicht daran: Sie ist gut mit Åke befreundet und weiß genau, dass er niemals weglaufen würde, ohne ihr wenigstens einen Abschiedsbrief zu schreiben. Aber niemand interessiert sich für ihre Meinung. Sie macht sich schreckliche Sorgen um ihren Freund.

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Chamomila
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Beitrag14.04.2022 18:31

von Chamomila
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Fortsetzung...
Zitat:
Åke wachte davon auf, dass er fror – und von den Schmerzen. Die Stricke schnitten sich tief in seine Arme und Fußgelenke und zwangen ihn, die ganze Zeit über in derselben Haltung auf diesem elenden Stuhl zu sitzen. Jetzt schon die zweite Nacht lang.  
Er zerrte an den Fesseln, er versuchte, sie wenigstens etwas zu lockern, musste aber bald einsehen, dass es zwecklos war. Das einzige, was er damit erreichte, war, dass die groben Stricke nach und nach seine Haut aufscheuerten und die Schmerzen nur noch schlimmer wurden. Er stöhnte leise auf. Es müsste gesetzlich verboten werden, solche Stricke herzustellen! Seine Eltern fielen ihm ein: seine bisher so tapfere Mutter – und sein armer Vater… Sein Verschwinden würde die beiden schwer treffen! Aber gleichzeitig wusste er, dass er das einzig richtige getan hatte: er war stark geblieben, er war nicht eingeknickt, er hatte nicht falsch ausgesagt. Wenigstens die Verhaftung und das Gefängnis konnte er seinem Vater ersparen! Schon allein der Gedanke daran, dass sein Vater elend und ohne jeden Trost in einer kahlen Zelle sitzen würde, war unerträglich. Aber arme Mutter, armer Vater: jetzt verloren sie nach Elin auch noch ihren Sohn!
’Bitte mach‘, dass sie mich suchen ...’ betete Åke stumm, während ihm die Tränen lautlos über das Gesicht liefen, ‚... dass mich irgendwer sucht – irgendwer … - und dass sie mich finden – bitte …!’

*

Greta lag in ihrer Kammer auf dem Bett und lauschte angestrengt in die Dunkelheit. Sie war erschöpft vom vielen Weinen, aber schlafen konnte sie nicht. Ihre Gedanken rasten im Kreis und ließen ihr keine Ruhe. Sie musste etwas tun, sie konnte sich jetzt nicht einfach schlafen legen, als wäre nichts! Greta wusste nicht, wie gefährlich es tatsächlich da draußen in der freien Natur war, aber sie ahnte es. Åke war sicherlich etwas passiert, vielleicht lag er irgendwo, hilflos und verletzt – und niemand suchte nach ihm… - Sie hob energisch den Kopf. Dann musste sie eben allein auf die Suche gehen! Sie musste Åke finden – und sie musste ihn schnell finden, das spürte sie.
Endlich – endlich! - hörte sie leises, zweistimmiges Schnarchen und wusste, dass Onkel Hjalmar und Tante Åse jetzt schliefen. Leise, um auf keinen Fall jemanden zu wecken, stand sie von der Bettkante auf und schlich zum Tisch. Mit zitternden Fingern zündete sie die Kerze an und öffnete vorsichtig die Schranktür. Was nahm man mit, wenn man jemanden suchte? Vielleicht warme Sachen? Ganz hinten im Schrank fand sie eine Wolljacke und ein Tuch und klemmte sich beides unter den Arm.
Greta nahm ihre Schuhe, löschte die Kerze, riegelte mit klopfendem Herzen die Tür auf und schlich sich zur Treppe. Ein Schritt auf die erste Stufe – im gleichen Moment schrak sie zurück: ein hässliches, lautes Knarren, sicher laut genug, um Tote zu wecken! Das Mädchen lauschte mit angehaltenem Atem – nein, ein Glück: hinter der Tür zur Schlafkammer hörte man immer noch ruhiges Schnarchen!
Vorsichtig stellte sie die Schuhe neben die Treppe, zog die Jacke an, hängte sich das Tuch um, schwang kurz entschlossen ein Bein über das Treppengeländer und hielt sich an den Gittersprossen fest. Ja, das ging gut! Sie hangelte sich Stück für Stück am Geländer nach unten. Ihre Schuhe musste sie oben zurücklassen, aber neben der Tür vom Warenlager standen ihre alten Schnürstiefel, die würde sie anziehen!
Endlich war sie unten angekommen und ließ sich lautlos auf den Flickenteppich vor der Treppe sinken. Im Halbdunkel tastete sie sich zur Garderobe und nahm einen Beutel vom Haken: falls Åke irgendwo verunglückt war, hatte er sicher seit seinem Verschwinden nichts mehr gegessen… Konnte man überhaupt zwei Tage und zwei Nächte überleben, ohne etwas zu essen? Wenn die Küchentür nur nicht so quietschen würde! Millimeter für Millimeter zog sie die schwere Tür auf…
Im Brotkasten war noch ein Zuckerbrötchen, das konnte sie mitnehmen – und außerdem noch den Rest Wurst aus der Speisekammer, ein paar von den Keksen aus der Dose und eine von den kleinen Flaschen mit dem Kirschsaft… Greta wickelte alles hastig in Papier und verstaute es zusammen mit einer Schachtel Streichhölzer in ihrem Beutel. Jetzt kam das Schwierigste: unbemerkt ins Warenlager gelangen, im Dunkeln die Laterne und ihre Stiefel holen und sich heimlich aus dem Haus schleichen - hoffentlich steckte der Schlüssel in der Tür!
Sie hatte Glück: alles lief wie am Schnürchen! Nur wenige Minuten später zog sie die Tür nach draußen hinter sich zu und rannte über den Hof. Sie würde Åke finden, das schwor sie sich!

*

Die Nacht war warm und angenehm. Gustav Trulsen ging seine letzte Runde durch das Dorf. Diese letzte Runde war ihm seit jeher die liebste: für gewöhnlich lagen um diese Zeit sämtliche Leute aus Solvangen ruhig in ihren Betten und schliefen den Schlaf der Gerechten. Zu dieser Stunde hatte niemand mehr besondere Lust auf Hexenjagden und auch kein gesteigertes Interesse mehr daran, unbeliebte Nachbarn zu erschlagen. Jetzt war die Welt so, wie er sie am liebsten hatte: friedlich und gut…
Im nächsten Moment kam eine kleine, magere Gestalt um die Ecke und prallte gegen ihn. Sie schrie kurz auf und starrte ihn einen Moment lang erschrocken an. Im blassen Mondlicht erkannte er die Nichte von Kaufmann Ekdal. Nur eine Sekunde später traf ein Stiefelabsatz schmerzhaft seine Zehenspitzen, das Mädchen drehte sich hastig um und rannte los. Er brauchte nur ein paar schnelle Schritte, dann hatte er sie am Kragen.
„Hiergeblieben! Wo wollen wir denn so eilig hin?“
„Lassen Sie mich los!“ Greta begann jetzt laut zu schluchzen, während sie weiter versuchte, sich zu befreien. „Das verstehen Sie nicht! Keiner versteht das!“
„Oh oh oh!“ Gustav Trulsen wartete ab, bis Greta ihre Gegenwehr aufgab und zog dann sein Taschentuch, „Ich verstehe hier nur eins: dass kleine Mädchen nachts nicht unterwegs sein, sondern lieber in ihrem schönen, weichen Bett liegen sollten!“ Er wischte ihr das Gesicht ab und legte ihr freundlich, aber bestimmt den Arm um die Schultern. „So – und jetzt bring’ ich dich wieder nach Hause zu deinem Onkel und deiner Tante. Und auf dem Weg erzählst du mir, warum du auch noch ausreißen wolltest. Das wird hier ja richtig Mode bei den jungen Leuten, scheint mir …“
„Åke ist nicht ausgerissen! Nie im Leben!“ Greta riss sich los und packte ihn am Arm, „Er würde nie ausreißen, ohne mir vorher auf Wiedersehen zu sagen – oder mir wenigstens einen Brief zu schreiben! Niemals! Ihm ist was passiert – aber keiner glaubt mir!“ sie begann wieder zu weinen, „Und wenn ihm jetzt was passiert ist und keiner sucht nach ihm“, schluchzte sie, „was wird denn dann aus ihm?“
Lensmann Trulsen musste sich eingestehen, dass ihn langsam ein wohlbekanntes Gefühl beschlich – dieses Gefühl, das er auch gern ‚seinen siebten Sinn‘ nannte und das ihm zuverlässig mitteilte, wenn irgendwo etwas nicht stimmte. Sicher, Åke kam aus elenden Verhältnissen, deshalb glaubte auch jeder nur allzu gern an diese Ausreißer-Geschichte. Aber wenn er tatsächlich nicht weggelaufen war…? Eine seltsame Unruhe befiel ihn. Åke war jetzt schon zwei Tage verschwunden. Angenommen ihm war tatsächlich etwas zugestoßen…
Gustav Trulsen nickte Greta beruhigend zu.
„Ich werde mich darum kümmern“, versprach er, „gleich morgen früh. Jetzt bringe ich dich erst mal nach Hause und auf dem Weg erzählst du mir alles, was du über Åke Forsbrand weißt. Ihr seid ja wohl gut befreundet, nicht wahr? Habt ihr zum Beispiel besondere Lieblingsplätze hier in der Gegend? Und hat Åke noch andere Freunde außer dir?“
Greta nickte. Sie begann zu erzählen und ließ sich bereitwillig zurück nach Hause bringen.

Am nächsten Morgen...
Zitat:
„Guten Morgen, Herr Trulsen! Was darf es heute sein?“
Åse Ekdal stand allein im Laden, als der Lensmann eintrat. Er kam sofort zur Sache.
„Guten Morgen, Frau Ekdal! Ich möchte von Ihnen einige Dinge über Åke Forsbrand wissen.“
Die Frau des Kaufmanns nickte leicht.
„Wahrscheinlich könnte mein Mann Ihnen mehr sagen – aber der ist gerade nicht da…“
„Dann beginnen wir damit, was Sie wissen! Was ist Åke für ein Junge? Wie macht er sich bei Ihnen?“
Åse Ekdal zuckte die Schultern. Sie musste sich fast beschämt eingestehen, dass sie Åke kaum kannte, auch wenn er jetzt bei ihnen arbeitete. Sie hatte es bisher so weit wie möglich vermieden, mit dem Jungen zusammenzutreffen.
„Ja – was soll ich sagen … Åke hat immer nur im Lager gearbeitet und das ist Hjalmars Bereich, nicht meiner.“
„Wissen Sie, ob es ihm bei seiner neuen Arbeit hier gefallen hat?“
Die Frau des Kaufmanns zuckte wieder die Schultern.
„Ja … ich glaube schon. Er hat es jedenfalls gut gehabt bei uns: mein Mann hat ihn fast behandelt, wie einen Sohn …“
„Was hat Åke auf Sie für einen Eindruck gemacht?“ hakte der Lensmann nach, „Sind Sie und Ihr Mann mit ihm zufrieden? Gab es irgendwelche Vorfälle? Und wie steht es mit Åkes Ehrlichkeit?“
Die Frau des Kaufmanns dachte nach.
„Hjalmar konnte sich bisher nicht beklagen“, meinte sie schließlich, „Åke war immer sehr zuverlässig und gründlich, das muss ich zugeben. Und fleißig: morgens immer der Erste im Lager und der Letzte, der abends geht. Und gefehlt hat auch noch nie etwas, weder von den Waren noch in der Kasse. Ich hatte ja anfangs meine Zweifel, aber … nein, davon hat sich nichts bestätigt.“
„Dann wäre es also eher nicht seine Art, einfach so, ohne eine Nachricht wegzulaufen?“
Åse Ekdal seufzte.
„Was weiß man denn schon über die Leute um einen herum? Man denkt, man kennt sie und dann tun sie plötzlich Dinge … - aber entschuldigen Sie, ich schweife ab …“
„Wissen Sie denn noch, wann Sie Åke zum letzten Mal gesehen haben?“
„Ja: vergangenen Sonnabend.“ Åse Ekdal dachte noch einmal angestrengt nach, „Nach dem Abendessen hatte er sich noch verabschiedet. ‚Bis Montag’ … - ja, daran erinnere ich mich jetzt wieder, ganz sicher: ‚bis Montag’ hat er gesagt … Und dann ist er noch mal ins Lager gegangen, um die Bestandsaufnahme fertig zu machen. Danach wollte er dann nach Hause gehen …“
„… Wo er aber nie angekommen ist …“, Gustav Trulsen strich sich über den Bart und schüttelte dann besorgt den Kopf, während er sich an der Fensterbank anlehnte. „Diese Sache gefällt mir immer weniger … - Ich fürchte, Ihre Nichte hat nicht ganz Unrecht: an dieser Ausreißer-Geschichte scheint irgendetwas nicht zu stimmen!“
Er stand energisch auf und ging zum Ladentisch.
„Ich werde der Sache jedenfalls nachgehen“, entschied er, „Und falls Ihnen noch etwas einfallen oder auffallen sollte – und wenn es noch so unbedeutend erscheinen mag…“
„… Gebe ich Ihnen natürlich sofort Bescheid, selbstverständlich!“
Åse Ekdal griff nach dem Glas mit dem Pfefferminz und hielt es ihm hin. Gustav Trulsen nahm sich ein Bonbon, lüftete höflich dankend seine Mütze und verließ den Laden.

*

Weder Frau Ekdal noch Lensmann Trulsen hatten die Gestalt bemerkt, die vor dem offenen Fenster stand - die ihr Gespräch mithörte und die plötzlich nervös wurde. Sehr nervös…

Diese ganze Geschichte wurde immer brenzliger! Wer konnte denn auch ahnen, dass sich Åke Forsbrand eine kleine Freundin zugelegt hatte! Und dann auch noch ausgerechnet dieses rothaarige Satansbalg , das sich der Kaufmann letztes Jahr aufgehalst hatte – unmöglich, sich die auch vorzuknöpfen, dafür war die viel zu gut behütet! Und das Schlimmste daran: diese tollwütige kleine Hexe würde nicht eher Ruhe geben, bis der Bengel gefunden wurde! Und wenn der ihn vielleicht erkannt hatte – oder später noch wiedererkannte und dann aussagte… Lensmann Trulsen war kein Dummkopf, der würde sich schon so einiges zusammenreimen! Eine hirnverbrannte  Idee, diese Entführung, man sollte wirklich keine Pläne machen, wenn man zuviel gesoffen hatte! – Und jetzt war es zu spät: jetzt musste er den Forsbrand-Jungen auch loswerden - aber möglichst auf eine Weise, die etwas weniger unappetitlich war, als beim letzten Mal… - ja, er könnte es diesmal vielleicht sogar so anstellen, dass er sich die Finger überhaupt nicht schmutzig machen brauchte – ohne etwas zu trinken würden bei diesem heißen Sommerwetter wenige Tage genügen und das Versteck, in das sie den Jungen gebracht hatten, war weit weg und abgelegen genug! - Ja, er brauchte sich einfach nur die Schlüssel zum Versteck besorgen und dafür zu sorgen, dass sonst niemand mehr Zugang dazu bekam – und danach konnte er dann in Ruhe abwarten und die Zeit für sich arbeiten lassen...

In den nächsten Tagen...
Zitat:
Finsternis – und Kälte, die ihn schauern ließ. Åke öffnete mühsam seine Augen. Seine wundgescheuerten Handgelenke schmerzten, genau wie sein restlicher Körper. Aber noch schlimmer war der brennende Durst, gegen den alles andere gleichgültig wurde. Seine Kehle und sein Mund schmerzten unerträglich. Jetzt würde er aussagen, was immer diese Männer hören wollten, wenn er dafür nur einen Schluck Wasser bekäme… Aber sie waren nicht mehr gekommen und langsam gab er die Hoffnung auf, dass sie noch einmal kommen würden. Er wimmerte leise und erschrak selbst über das Geräusch: nur noch ein heiseres Stöhnen. Wie lange war er jetzt schon hier? Zwei oder drei Tage? Oder eine Woche? Er wusste es nicht. Er wusste nur, dass er nicht mehr lange durchhalten würde. Wie lange konnte man überleben, ohne etwas zu trinken? Und wie qualvoll war wohl ein Tod durch verdursten? Åke biss die Zähne zusammen und verbot sich, weiter darüber nachzudenken. Stattdessen zerrte er noch einmal an seinen Fesseln, in der törichten Hoffnung, dass sie diesmal vielleicht nachgeben würden. Vergeblich. Ein verzweifelter Zorn stieg in ihm auf und verlieh ihm einen letzten Anflug von Kraft. Er bäumte sich in sinnloser Raserei auf. Der Stuhl schwankte, kippte … im nächsten Moment schlug Åke auf dem Steinboden auf. Ein harter Schmerz an seiner Stirn, ein heller Blitz vor seinen Augen – und dann kam nichts mehr.


Zitat:
Åke blinzelte und versuchte kurz, sich zu erinnern, wie er hierher gekommen war. Es gelang ihm nicht. Sein schmerzender Kopf lag in einer klebrig-feuchten Pfütze und er fror auf den kalten Steinen. Aber das alles war unwichtig im Vergleich zu etwas anderem: etwas tropfte neben sein Ohr und lief ihm den Hals hinunter. Wasser? Åke nahm seine letzten Kräfte zusammen und rutschte mühsam ein kleines Stück zur Seite. Es war wirklich Wasser, das jetzt auf seine Wange tropfte und ihm in den Mundwinkel lief. Er schluckte jeden einzelnen, kostbaren Tropfen und wartete ungeduldig auf den nächsten, der nach einer gefühlten Ewigkeit auf seiner Wange landete...


Zitat:
Åke lag auf dem Steinboden, in einem barmherzigen Halbschlaf, in dem ihn Schmerzen, Kälte, Hunger und Durst nicht mehr erreichten. Das Wasser tropfte immer noch auf seine Wange, lief in seinen Mundwinkel und war das einzig Wirkliche, was es noch gab. Eine schwere Müdigkeit breitete sich immer mehr in ihm aus. Ihm war längst klar, dass der nächste Schlaf auch sein letzter Schlaf werden würde – aber sogar das war ihm inzwischen gleichgültig. Seine Augen wurden schwer… Er wusste nicht mehr, ob er noch wach war, oder ob er schon schlief und träumte. Ja, er war immer noch in der Höhle, aber dort, in der Ecke… Greta? Ja, da stand sie, in dem weißen Kleid, das sie sonntags immer zur Kirche trug, und lächelte ihn an. Ihre rotbraunen Haare fielen ihr offen über die Schultern und sie hatte kleine, weiße Blüten hineingesteckt, Blüten wie Sterne... Sie war Åke noch nie so schön vorgekommen. Jetzt streckte sie ihre Hand nach ihm aus… ‚Wie ein Engel’, dachte er, ‚Wie ein Engel, der mich in die Ewigkeit holen kommt!’ Er bewegte mühsam die trockenen Lippen, konnte aber keinen Ton herausbringen. ‚Ja’, dachte er, ‚ja, ich komme ja schon…’ Er seufzte leise auf und verlor endgültig das Bewusstsein.

Nach tagelanger vergeblicher Suche fällt Krister endlich ein abgelegenes Sommerhaus ein, das einer Familie aus Kongssand gehört. Hier finden Tore, Gunnar und er endlich die richtige Spur: die kleine Mari Hafstrøm, deren Vater das Sommerhaus über die Ferien gemietet hat, hat einen Mann gesehen, der aus dem Wald kam. Dieser Mann hatte sie davor gewarnt, den Wald zu betreten und hatte ihr eingeredet, dass es dort eine Höhle mit einem bösen Troll gibt. Tore überredet Mari, ihm den Weg zur „Trollhöhle“ zu zeigen...
Zitat:
Der Eingang der Höhle war erstaunlich groß – von weitem hatte er ausgesehen, wie eine winzige Öffnung, durch die man sich hindurchzwängen musste, aber bei näherem Hinsehen war er breit genug, dass mindestens zwei Leute nebeneinander hindurchpassten. Tore nahm die Laterne und ging vor, Gunnar und Krister folgten ihm. Nur wenige Sekunden später hörten sie einen leisen, aber saftigen Kraftausdruck. Im Schein der Laterne erkannten sie auch warum: der Eingang der Höhle war mit einer soliden Gittertür versperrt.
„Hilstads alter Vorratsraum für das Sommerhaus – verflixter Mist, daran hätte ich viel früher denken müssen!“ zischte Tore, „Ich hab ihnen das Ding doch damals selbst eingebaut!“
Er rüttelte an der Tür, aber die war abgeschlossen.
„Nichts zu machen!“ stellte er fest. Krister kam näher und untersuchte das Schloss im Schein der Laterne.
„Kannst du ein Schloss knacken?“ erkundigte er sich bei Gunnar. Der schüttelte ratlos den Kopf.
„Nein ...“
„Aber ich!“
Krister zog sein Klappmesser und hantierte eine Weile an dem Schloss herum. Endlich gab es quietschend nach und die Tür öffnete sich. Tore und Gunnar hielten sich nicht weiter mit der Frage auf, wo der Sohn von Pferdehändler Hjerdestad solche Kunststücke gelernt hatte. Hauptsache, die Tür war offen!
Tore nahm die Laterne und betrat als erster die Höhle
„Allmächtiger!“
Als Gunnar Tores Stimme hörte, wurde ihm eiskalt. Ein paar entsetzliche Augenblicke lang glaubte er, sie wären zu spät gekommen. Der Schmied stellte hastig die Laterne ab und beugte sich über das reglose Bündel Mensch am Boden.
„Er lebt!“ Tores Stimme schwankte vor Erleichterung „Schnell, Krister, das Messer!“
Krister war schon dabei und säbelte an den Stricken herum.
„Du solltest es mal wieder zum Schleifen bringen“, stellte Tore trocken fest, während er und Gunnar vorsichtig Åkes Kopfwunde untersuchten und verbanden.
„Wenn ich hier fertig bin!“ knurrte Krister zurück.
Endlich gaben die Stricke nach und Åke sackte auf den Boden. Krister beförderte den Stuhl mit einem heftigen Tritt in die Ecke und hielt die Lampe hoch. Der Schmied legte den reglosen Körper vorsichtig auf die Wolldecke und bettete Åkes Kopf auf seine Knie. Gunnar kniete neben ihm, hielt die Hand des Jungen und strich ihm tröstend über den Kopf.
„Åke - kannst du uns hören? Es ist vorbei, wir sind hier - hörst du, wir sind bei dir!“
Tore öffnete die Wasserflasche und holte einen sauberen Lappen aus dem Beutel.
„Er hatte Glück, dass es hier so feucht ist. Das hier …“ er deutete auf das Wasser, das von der Decke tropfte, „… hat ihm wohl das Leben gerettet!“
Er hob Åkes Kopf etwas an, hielt ihm das nasse Tuch gegen die Lippen und drückte es vorsichtig aus. Krister und Gunnar sahen ängstlich zu und warteten auf eine Reaktion. Endlich – eine winzige Schluckbewegung… Åke blinzelte und öffnete mühsam die Augen.
„Da bist du ja wieder!“ Tores Stimme war gütig und warm und er schaffte es sogar, zu lächeln, „Wir hatten dich schon vermisst! Ich bring‘ dich jetzt nach Hause - ja?“
Åke sah sich verwirrt um, sein Blick streifte die besorgten Gesichter von Krister und Gunnar und blieb dann am väterlichen Lächeln von Tore Sjøberg hängen. Er bewegte lautlos die trockenen, rissigen Lippen und nickte leicht, bevor er das Bewusstsein wieder verlor. Tore wickelte ihn vorsichtig in die Decke und hob ihn hoch.
„Wir müssen uns noch eine harmlose Geschichte für Mari ausdenken“, stellte er fest, „Das, was wirklich hier passiert ist, sollte sie lieber nicht hören – sie ist doch noch so klein.“
Krister nickte stumm. Gunnar dachte kurz nach.
„Åke wollte den Troll fangen, ist dabei unglücklich gefallen und hat sich den Fuß verletzt?“ schlug er vor, „Und er schläft deshalb die ganze Zeit, weil es schon so spät ist und er sehr müde?“
Der Schmied überlegte kurz und nickte dann.
„Ja, das klingt überzeugend!“
„Und der Troll?“ warf Krister ein. Tore überlegte kurz.
„Sagen wir mal, der macht wohl gerade ein bisschen Sommerfrische in… – ja, hmmmh … Spitsbergen vielleicht?“
Tore trug Åke behutsam nach draußen, die beiden jungen Männer folgten ihm.


Das sind alle bisherigen Passagen, die ich für diesen "Nebenfall" habe. Zwischendurch abgelöst mit Passagen, in denen es um den "Hauptfall" - den Mord - geht.

Was müsste/sollte/könnte daran noch verbessert werden?
Gibt es noch Lücken, die geschlossen werden müssen?
...?

LG, Cammy

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