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Epic Fails


 
 
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Christof Lais Sperl
Geschlecht:männlichKlammeraffe

Alter: 62
Beiträge: 942
Wohnort: Hangover
Der silberne Roboter


Beitrag27.10.2018 14:42
Epic Fails
von Christof Lais Sperl
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Eine Zusammenstellung dummer Situationen. Sehr reduzierte Sprache. Eingedampft.

Epic Fails


Wer über gewisse Dinge den Verstand nicht verliert, der hat keinen zu verlieren.
Gotthold Ephraim Lessing



Der Vorname musste ins Unglück führen. Ob mir all das widerfahren wäre, wenn Mutter mir einen anderen gegeben hätte, weiß ich nicht. Für sie ist es  jedenfalls bequem, ihn durch die Gegend schmettern zu können. Sie hat ihn wohl nur deshalb gewählt, weil seine zwei Silben so gut zu rufen sind. I-O-I-O, so geht das den ganzen Tag. In der Grundschule haben sie mich immer Pisspott genannt. Christof,  Pisspott, gucktderblöde, hahaha.
Mit so einem Vornamen ist alles zum Scheitern verurteilt. Seit Lebensbeginn ist Unglück in ihm angelegt. Weil ich, Murphys Gesetz entsprechend, allen Schlamassel magnetisch anziehe, sollte ich besser sterben gehen. Es ist daher Zeit für den testamentarischen Entschluss, das bisher Peinlichste zusammenzusuchen, und in Quarantäne zu stellen. Vielleicht hilft's. Die blödeste Sache habe ich für das Ende aufgespart, wenn nicht noch was dazwischenkommt.


Franzmann Philippe und ich sind in Schweden. Interrail bis zum Polarkreis und noch weiter. Campingplatz Kiruna. Das Zelt ist schon aufgebaut. Wir müssen noch mal in die Verwaltungsbude, um den Aufenthaltsschein abzuliefern. Ich gebe der jungen Frau hinterm Tresen den abgesegneten Wisch zurück. Eine Frage: Gib’s hier eigentlich auch Rentiere und Lappen? Ich würde gern mal welche sehen, worauf die Frau sagt: Ja sicher, du stehst gerade vor einer.
Muss ich schön bescheiden geguckt haben. Da will man am liebsten von der Klippe springen.


Wir fahren zum Nordkap, und dann wieder südlich runter in einen Ort namens Boden. Neben uns urlaubt eine schwedische Familie mit zwei Teenagertöchtern. Kommt doch mal zum Abendbrot. Der Vater sagt fast nichts, aber Muttern umso mehr. Dabei leert sie zu drei Vierteln eine große Flasche Whisky, und kümmert sich ansonsten um Jugendliche mit Alkoholproblemen. Da haben wir gelacht. Wir kriegen sogar den Familien-VOLVO. Eine der Töchter lenkt ihn in die nächste Disco, aber der Eintritt ist für uns zu teuer. Also zum Spielplatz.


Nummer eins ist ziemlich hübsch, die zwei weniger. Bei Philippe und mir ist das genauso. Er ist mit seinem französischen Schwarzkopf klarer Gewinner. Die Hübsche greift ihn sich ohne lang rumzufackeln, und knutscht mit ihm unter der Rutsche. Hat sich den zu eigen gemacht, als wäre es die natürlichste Sache der Welt, ihn vor Nummer zwei schnell abzugreifen. Die und ich sitzen an genau gegenüberliegenden Stellen auf dem Rand vom Sandkasten. Sie quiekt und kichert, um mich zu ihr rüberzulocken. Ich mag sie aber einfach nicht. Rauche eine nach der anderen, und penne trotz der Kälte auch noch ein.

Am Morgen steht die komplette Familie am Bahnhof. Philippe drückt die Hübsche noch mal. Ich spüre den vorwurfsvollen Blick der Nummer zwei im Rücken kribbeln. Da drehe ich mich um und flüstere ihr zu, ich wäre eigentlich schwul. Sie prustet durch gespreizte Finger los. Der Zug komm. Wir steigen ein. Philippe winkt noch durchs Fenster. So schlecht wie das gelogen war. Sie hat sicher nichts geglaubt.

Zurück in Deutschland. Fete bei Stahl. Ich lerne Claudia kennen. Die finde die richtig gut. Für einmal fasse ich allen Mut zusammen:

"Claudia, darf ich in deinem Namen das a weglassen?"
"Nein, ich möchte ja nicht Cludia heißen!"


Danach mal wieder Paris. Verrückt genug, mit einem Auto herumzufahren bin ich. Wo doch die Métro viel schneller und billiger ist. Wenn ich Leute mitnehme, und den Französinnen die Beifahrertür nicht gleich aufschließe, sind die richtig pikiert. In Deutschland schnippen die Frauen mir  zu, sie könnten ihre Tür selber aufmachen Muss auch erst mal gelernt werden, wie wann was zu tun sein soll. Man weiß ja nie, wo man dran ist. Ich komme in den verschiedenen Ländern immer durcheinande, und vermassele alles.


Mein alter WG-Kumpel Helmi kriegt es besser hin, obwohl der als Schrauber von Frankreich uns so weiter null Peilung hat. Aber dafür hat er alles im Blut. Wo ich lange rumstottere und Blödsinn erzähle, genügen ihm Blicke und Gesten. Darin kann er Gedanken lesen.

Wir bewohnen eine 3 ZKB, das kleinste Zimmer ist Gitarren- und Verstärkerraum.

Silversterparty bei Nachbarn. Helmi ist schon um acht an einer dran. Um zehn wird's ernst. Ich bin an dem Abend mal wieder komplett leer ausgegangen, aber schon vor zwölf ziemlich voll heimgekommen. Er kommt mit der Frau etwas später, sie machen die ganze Nacht im Gitarrenzimmer rum. Ich kann kein Auge zukriegen. Vor allem, weil die so laut und seltsam keuchen, dass ich mir gar nicht vorstellen kann, was genei die tun. Sicher mal wieder Dinge, von denen ich noch keine Ahnung habe.


Bin jetzt mit der Uni fertig. Job als wissenschaftlicher Mitarbeiter. Bibliothek, Fernleihe, bestellen, kopieren, Messungen im Labor machen, in den USA rumtelefonieren. Mit Kollegen einen Psycholinguistik-Kongress organisieren.  

Ein paar Monate später trudeln alle Professoren zum Kongress ein, darunter eine Mittfünfzigerglatze mit einer Jungschen im Schlepptau: Blondes Langhaar, pechschwarze Augen. Ich stehe an der Rezeption, beide kommen zu meinem Empfangstisch rüber, Unterlagen holen. Der Professor hat zwar schon ein Schild am Jackett, aber ich glotze nur auf die Kollegin und erkenne den Namen nicht richtig. Begrüße beide auf Englisch, ein paar Floskeln, wie man sie sich in solcher Lage zusammenstottert. Nice weather, waren Sie schon mal in Deutschland? Sie gehen mit erstauntem Blick weiter. Anhand der Anwesenheitsliste erkenne ich hinter einer Schweißstirn, dass es zwei Top-Germanisten aus Amerika sind. Und zwar weltweit die berühmtesten Groß-Wissenschaftler überhaupt. Knapp hinter Chomsky. Zum Glück muss ich mich  um ein paar enthusiastisch nickende Japaner kümmern. Schmach abladen. Ich schreibe ich mich in alle Veranstaltungen der Blonden ein, und höre am Nachmittag und in der ersten Reihe extra aufmerksam zu. Auf konzentriert tun kann ich ziemlich gut. Aber egal, bei der war ich wahrscheinlich nur noch der Vollidiot, der die Giganten der Wissenschaft in schlechtem Englisch anspricht.


Ein Kumpel von mir, Stahl, will Frauen kennenlernen, und hat an der Uni ein Spaß-Plakat aufgehängt:

                                     NUR FÜR FRAUEN!!!
                       TROMMEL DICH FREI IN DER TOSKANA!

Darunter seine Telefonnummer. Es rufen tatsächlich massenweise Frauen an. Als er sie aufklärt, nur ein Spaß, werden sie fuchsteufelswild. Irgendwoher haben sie seine Daten organisiert. Bei der Post angerufen, Rufnummer samt Adresse ermitteln lassen. Es sieht aus, als wollten sie ihn lynchen. Aus Sicherheitsgründen ist  er vorübergehend zu uns in die WG gekommen. Gitarrenzimmer.

Ich bin glücklos wie Stahl und probiere mal was Klassisches aus:  Antwort auf eine Uni-Kontaktanzeige. Mit Passbild aus dem Automaten. Sitze aufgeregt in der Cafete, rauche Samson Halfzware, und warte auf was kommt. Schüttet mir auf einmal eine Kurzhaarige einen Becher Cola über den Kopf, ich springe auf, sie schubst mir den Stuhl vor die Füße, haut ab. Muss eine Fake-Anzeige gewesen sein, um den Männern mal zu zeigen, was sie für Arschlöcher sind, wenn sie auf Annoncen antworten. Ich stehe wie ein Denkmal in der Cafete, die Meute glotzt. Das übliche Klappern von Besteck und Geschirr erstirbt. Es ist, als hätte jemand die Musik ausgeschaltet, und eine Kette gezogen. Der Tag verschwindet in einem trüben Abflussstrudel.  

Fange als Bundfaltenhose mit Goldknopfleiste im Schlosshotel an. Porsches einparken, Koffer schleppen, Thermometer ablesen, Spülern die Teller hinräumen und Küchenabfall in stinkende Tonnen schmeißen. Knallharte Hotelhackordnung. Jeder macht jeden fertig, und die Spüler sind die Letzten. Wenn von oben gedisst wird, können sie nicht mehr weiter nach unten treten, nur noch um sich beißen.
  
Hoteltag zwei. Hausdiener drei lockt mich zum Bier in den Kakerlaken-Keller: Können hier alle Bier trinken, kein Problem. Hausdiener drei und ich Pagenfigur am Bier. Literglas zu zweit. Der Page, also ich, nimmt gerade einen großen Schluck, als sich die Tür öffnet, und ein Spüler reinguckt. Der Hausdiener drei verpisst sich wie angebrannte Katze (man ruft mich!), die Tusse von der Rezeption klingelt am Haustelefon: In drei Minuten zum Chef hoch. Ich stehe dumm im Büro rum, drehe die Schlosshotel-Mütze in den Händen wie eine Gebetskette. Das war ein ganz schlechter Beginn, Herr Ähm, darf nicht wieder vorkommen, während der Dienstzeit strikt verboten, und überhaupt, wo kämen wir denn hin. Ich bin so fassungslos, dass keine Sprache mehr kommt.


Nach ein paar Monaten also wieder Paris. Immer, wenn nichts mehr weitergeht, Paris. Aber diesmal hartes Pflaster: Achtzehnter Bezirk. Da lässt niemand Elektronikverpackungen zum Wegschmeißen von der Tür stehen. Denn dann kommen gleich welche, die das zugehörige Gerät aus der Wohnung räumen. Auch tagsüber. Koks verkaufen sie in gegrillten Maiskolben, finstere Straßenstreuner in billigen Jacketts, Verhüllte, aggressive Hütchenspieler, Verrückte, die in der Métro rumschreien, und dabei Musiker und Schienengeheul übertönen. Die aus dem Achtzehnten reden anders als Leute aus dem Zwanzigsten. Überall 3615-Plakate.

Zeitung Libération geholt, Stellenanzeigen. Steige ein bei SFA. Weltweit Schadenfälle am laufenden Band multilingual abarbeiten. Überm Tisch riesige Aktentonnen mit Drehachse. Da kann man sich ganz schnell die richtige Akte ziehen, wenn einer mit seinen Problemen anruft. Ein paar immerzu genervte Pariserinnen in Glaskästen als Aufsicht über die Telefonsklaven mit Headset. Mosern ist Pariser Standard und macht Pariserinnen cool. Manchmal stöckeln sie auf den Balkon, eine Gauloise Blonde durchziehen.


Im Sommer brauchen wir Personal. Also großer Bewerbertag, wer wen Gutes kennt, unbedingt einladen. Ich rufe Christine an, die ist zwar meistens bekifft, kann aber Englisch und hat eine gute Stimme, tagsüber könnte sie den Job hinkriegen. Ihr Typ bin ich leider nicht, also wäre an der Arbeit alles unverfänglich. Am Nachmittag gibt es Häppchen und Sekt. Ich schiebe Christine ein bißchen rum und stelle sie den Leuten vor. Auf einmal ist sie nicht mehr zu sehen. Neben mir steht der angeschickerte Capellaro. Personaler. Hat seinen sentimentalen Tag, greift mich am Unterarm, und schwallt mich über was wegen seiner Frau voll, erzählt von seiner Karriere, die er als Manager in einem Dritte-Welt-Laden begonnen hat. Hört sich ziemlich albern an: CEO der Jutetaschen.

Christine, die ich gerade bei Capellaro in höchsten Tönen angepriesen habe, beginnt sich am Sekt zu besaufen. Das heißt, sie ist jetzt schon stramm. Raucht eine nach der anderen, und lacht sich kaputt. Mit ihren blonden Haaren und den schwarzen Augen macht sie ziemlich was her. Aber das Schöne beginnt sich in etwas Schrillem aufzulösen. Jetzt kommt sie auf uns zu. Glaubt, Capellaro sei ein Kumpel von mir. Duzt den auch noch. Noch schlimmer: Schulterklopfen. Zum Glück hört der in dem Stimmengewirr nicht viel von ihrer Sülze, glotzt Christine aber unablässig an. Ich bugsiere sie zum Aufzug, wir fahren in den Zweiten. Unterwegs kotzt sie die Kabine voll. Hole ein paar Zewas aus der Kaffeküche und schrubbe den Lift. Soll auch Eindruck auf Christine machen, die ich vielleicht durch diesen übelriechenden Liebesbeweis doch noch irgendwann später mal rumkriegen kann. Nun fährt das Ding, obwohl ich den Blockierschalter umgelegt habe, nach unten. Christine hat das Gleichgewicht verloren, und den Blockierknopf im Sturz mit der Schulter deaktiviert. Ich konnte noch nicht alles wegwischen. Christine liegt grinsend in einer Lache aus Erbrochenem und ein wenig Blut. Ich behämmere den Schalter FERMER wie einen Flipperknopf. Doch der Lift öffnet sich mit hellsilbernem Blechgeklapper, durch die Öffnung stiert im Hochformat das Management. Wie Orgelpfeifen steht die Führungsriege herum. Sie haben Christine trotzdem genommen. Auf ausdrücklichen Wunsch von Capellaro.

In der Woche darauf Party bei Isabelle. Vorstadtsiedlung. Mit ein paar Hübschen. Kolleginnen, Nachbarinnen, Yoga-Freundinnen und weiteren Leuten. Ich rechne mir nicht die geringsten Chancen aus, als ich das Wohnzimmer betrete. Mein Gespür für die Grenze des Unerreichbaren. Die Mädchen liegen alle überm Limit  - Nummern zu geil für mich. Außerdem kann ich Laurent und Tarik in der Küche ausmachen: Zwei Schwerenöter, die alles abräumen. Die Türöffnung gibt den Blick auf einen Teil des Tisches frei. Ein Joint kreist. Tarik ist ganz der orientalische Zuckerschleimer. Und keiner kapiert, wie Laurent das immer macht, ohne viel Gerede punktgenau und maßgeschneidert einlullen zu können.  

Raus in die lauwarme Oktobernacht. Laurent salbadert auf Isabelle ein, eine schlanke Rothaarige mit hüftlangem Haar und Sommersprossen bis unter die Fingernägel. Tarik hat sich Ariane vorgenommen, sie machen im Bushäuschen rum. Arianes Haar hängt vor Tariks Gesicht herab. Ich stehe dumm rum und rauche. Glas nur in Hüfthöhe, das macht sich besser. Aber für wen?

Einige der Gäste stehen im Pulk auf der gegenüberliegenden Straßenseite und gucken zu, wie ein Mann versucht, einen altersschwachen Ami 6 anzulassen. Oben auf dem Bushäuschen gluckst und giggelt es herum. Gucke hoch. Bin Catherine. Eine dicke Mütze rückt ins Licht. Ich soll ihr eine Zigarette geben und werfe ihr mein Päckchen Graven aufs Dach hoch. Laurent kommt auf mich zu, macht eine Geste mit der erhobenen Handfläche.  Isabelle bleibt stehen, und schleudert ihr Haar hinter die linke Schulter. Laurent ganz nah an mir dran: Die will was von dir. Wenn die so rumalbern, dann brauchst du nicht mehr lange zu warten. Was soll ich denn tun? Laurent meint, vom Bushäuschen runterhelfen und ein bisschen spazierern und  reden. Läuft dann alles von selber. Ich helfe dem Mädchen Catherine mit einer englischen Leiter runter, weiß gar nicht, wie sie da hochgekommen ist. Sie steht im orangefarbenen Licht der Straßenlaterne. Ein Risikotyp. Die Art praktische kleine Krankenschwester. Nicht so meins, aber trotzdem ganz gut. Sie nimmt mich mit in ihre Wohnung direkt über der von Isabelle. Alles voller Bilder. Wir trinken Schampus und rauchen eine. Doch doch, sehr nett anzusehen, das Mädchen. Die schwarzen Augen. Mütze hat sie immer noch auf. Wir ziehen uns gegenseitig aus, sie trägt nur Sachen mit Knöpfen und Reißverschlüssen, da muss nichts übergestreift werden. Sie fängt an, französisches Englisch zu sprechen: Warum das denn? Wenn ich Sex habe, rede ich Englisch, war schon immer so. Kisse mie, äfriwähr. Englisch, Alkohol und Bilder bringen mich durcheinander. Wir stehen Gesicht an Gesicht. Ich kann spüren, wie mein Pimmel Catherines Bauch berührt, und umfasse ihren Nacken. Die Mütze fällt herunter. Der Griff fühlt sich leicht wie Luft an. Es ist, als langte ich ins Leere: Geschorener Hinterkopf, kurzes Haar. Catherine zieht mich aufs Bett, wälzt sich über mich und reibt sich an mir. Nun beginne ich, überwältigt, zu schwitzen. Übelkeit kriecht korkenzieherförmig und langsam in meiner Speiseröhre hoch: Es regt sich nichts. Was mich lähmt, ist das Kurzhaar,  Mähne bedeutet alles. Da kann mir ohne keine kommen. Mit Kurzhaarmädchen ist für mich fast schon wie Mann und Mann. Entschuldige mich, liegt nicht an dir, ich kann auch nichts dafür. Catherines Kopfschütteln, wir rauchen noch, kann nicht bleiben, sitze bis zum Morgengrauen kotzübel an der Haltestelle.  


An der Arbeit ist Assane mein bester Kollege. Germanist. Zentralafrika. Pechschwarz, gelassen und mit Wiener Studium. A gmahte Wiesn ist für den sprachlich kein Problem. Das ist immer lustig, Afrikaner und grüß Gott gnä' Frau. Die Firma will mich  nach München schicken. Filiale aufbauen. Da wäre mir Assane als Kollege gerade recht. Einmal in München, will ich ihn nachholen. Habe schon ein gutes Team zusammen. In eine Münchner Firma integriert. Sammelsurium aus ewigen Studenten, Dolmetschern, Leuten mit seltsamen Abschlüssen und  Fachabiturienten ohne Perspektiven. Assane hat schon die Wohnung gekündigt, und in Frankreich auch sonst alles abgemeldet. Sitzt mit seiner Frau auf gepackten Koffern.

Mein neuer Chef mag keine Verbesserungsvorschläge, der Prophet im Unternehmen ist schlecht, sagt er, ich war früher selber Marxist, ich kenn mich aus, deshalb bin ich hier gleichzeitig Boss und Betriebsrat in Personalunion. Gewerkschaften braucht deshalb auch keiner. Er fragt täglich nach Assane. Ich kann wegen der Arbeitsgenehmigung ja auch nur in diesem blöden Kreisverwaltungsreferat anrufen. Doch obwohl die da alle selber schwarz sind, wollen sie in Bayern keine richtigen Schwarzen zum Arbeiten haben, blockieren, wo geht. Nach vier Wochen platzt dem Alten der Kragen: Herrn Assane anrufen, absagen. Rufe seine Pariser Nummer, die französischen Nummern habe ich immer auf Französisch im Kopf, tut mir leid, Chef will nicht mehr. Assane sagt nichts, legt auch nicht auf, während sich ein dunkler Fortschrittsbalken der absoluten Stille ins Gesichtsfeld schiebt.


Manche müssen Platten kaufen, andere bekommen davonTapes geschenkt. In der Firma ist ein Mädchen, dem dutzende Leute Compilations am laufenden Band zusammenstellen. Einen Teil davon hat sie in der Handtasche. In ihrer kleinen Künstlerwohnung türmt sich der Rest:  Liebevoll gestaltete Cassettenhüllen, die Inlays mit dem PC ausgedruckt und mit Fotos versehen. Sie selbst kann über die neuesten Arto Lindsays oder Björks reden, weil sie eben immer alles hat. Renaldo and the Loaf, Neubauten, Pixies, Negativland, Malaria und Throbbing Christle kann man in ihrem Cassettenhaufen aufstöbern, die Residents sind fast schon Mainstream. Mich hat sie natürlich auch in der Mache. Ich habe nämlich ein Auto. Gut zu wissen, für irgendwelche IKEA-Transportaufgaben und so was. Sie sieht richtig gut aus, und ist vor allem clever. Liest zwar nie was, gibt nur weiter, was andere ihr über Bücher berichtet haben, kann das aber so tun, als hätte sie alles selbst durchgeackert. Ich nehme ihr auch was auf, bringt Punkte, da bittet sie mich, sie zu einer Vernissage nach Oberschleißheim zu fahren, klimperklimperklimper. Mit der Aussicht auf einen Abend mit anschließendem Nachhausebringen sage ich natürlich nicht nein.

Manche haben einen Kompass im Kopf. Mit meinem Orientierungssinn ist das aber so eine Sache. Wo bei anderen Mathematik und Navi sitzen, ist bei mir ein Loch im Hirn. Um nach Oberschleißheim zu gelangen, muss man eigentlich nur die öde Leopoldstraße, und dann die Ingolstädter langfahren, dann war’s das. In München kennt jeder Chinese nach einer Woche die Ingolstädter, aber nicht ich. OK, die Leopold geht noch, aber bei der Ingolstädter begehe ich einen Fehler. Irgendein blödes Schild. Wir gelangen zu Panzerwiese, Feldmoching, nur dieses verkackte Oberschleißheim taucht nirgends auf. Mitten im Winter fange ich an zu schwitzen. Haltenkuppelnersterzweiterampelabbiegen. Sie raucht daneben schweigend Kette. Der Kippengestank mischt sich mit warmer Heizungsluft.



„Wir fahren schon stundenlang rum. Dürfte doch nicht so schwer sein, dieses
Oberschleißheimding mal jetzt zu finden. Da ist eine wichtige Vernissage. Oberschleißheim, das kennt in München doch jeder, Mann.“   

„Du bist doch die Münchnerin. Sag mir einfach, wo’s langgeht. Dann fahre ich dich meinetwegen bis Moskau. Ich kenne die Straßen nicht.“

„Was heißt denn hier Münchnerin? Bin ja auch keine von den richtigen Locals. Mit den Öffentlichen kenne ich alles. Aber im Auto?“

„Mädchen, ich bin unfähig, dieses verdammte Oberschleißheim zu finden. Kapierst du das? Ich bin da der falsche Mann.  Hier sieht ja alles gleich aus. Kein Schild, kein Nix. Ich lasse es. Ich geb dir Geld für ein Taxi.“

Was für eine blöde Idee. Mein Geld. Ihr Taxi.

„Fahr mich heim.“

Merkwürdig, dass ich sofort den Heimweg finde. Da macht sie noch saurer. Sie verlässt das Auto und knallt die Beifahrertür zu. Sicherlich hätte jeder der anderen bescheuerten Cassettenaufnehmer dieses Kaff gefunden, nur ich mal wieder nicht.


In der Firma gibt es den normalen Chef und einen medizinischen Leiter. Der Ex-Marxist kümmert sich um Verträge und Businesskram. Der Arzt passt auf, dass unsere Entscheidungen heilkünsterlisch vertretbar sind. Er heißt Wenzel, ist Zyniker, klein, so knauserig wie alle Geldleute, und nicht besonders ansehnlich. Wir nennen ihn unseren Kampfzwerg. Der Gnom dreht alle paar Wochen einmal durch. Dann wird vor versammelter Mannschaft immer ein anderer plattgemacht. Auch die ihm untergebenen Ärzte nimmt er sich vor. Aber nur am Telefon. Die sind ja nicht im Büro. Wir können ihn dann immer im Glaskasten brüllen hören: Nein Uwe, der Herzinfarkt kann muss sitzend fliegen, da reicht ein Sani, Kollege ist zu teuer! Die Leber fährt im Krankenwagen, und, Wen Lung, der Priapismus muss erst noch mal in den USA bleiben! Wäre ja schön, wenn wir jeden Schwanz immer gleich zurückholen! Wen Lung, wenn den Leuten schon am Flughafen von Kathmandu das Blut aus dem Maul trieft, ist das doch deren Problem, wenn sie den Everest nicht schaffen!  

Einmal im Jahr gibt es zum Ausgleich Party, da lässt er richtig was springen. Diesmal hat er ins Chada geladen. Büffet und Trinken bis Abwinken. Ich also rein in den Thailänder, sind erst ein paar Leute da, auch Wenzel, durch die Durchreiche sieht man Personal in der Küche arbeiten. Von Essen ist noch nichts zu sehen. An der Theke sitzt ein junger Asiate. Wahrscheinlich der Chef vom Laden. Neben ihm ist noch ein Hocker frei. Ich bestelle mir einen Wodka-O, fange ein Gespräch an:

„Hallo, Christof mein Name, war noch nie hier. Sind Sie denn schon lange in der Gärtnerstraße? Läuft der Laden? Und was gibt es denn heute so zu essen?“

„Grüß Gott. Dr. Wen Lung, Internist, Kardiologie und Intensiv. Arbeite für Wenzel, Sie sicher auch, oder?“



© Christof Sperl



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Nihil
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Beitrag14.11.2018 11:49

von Nihil
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Moin Christof,
wollte dir schon lange mal rückmelden, dass ich die einzelnen Ausschnitte ziemlich großartig finde. Ich kann gar nicht verstehen, dass bislang niemand einen Kommentar zu deinem Text dagelassen hat. Du hattest mich schon beim ersten Satz, der nach Erb-Unglück klingt, aber gleichzeitig auch nach einem wenigstens zur Hälfte ironischen Selbst-Narrativ, das die ausgewählten Fragmente aus dem Leben des Erzählers zu bestätigen scheinen. Dieser ist weder in Deutschland, noch Schweden oder Paris glücklich, geschweige denn zu Hause und nimmt sein Leben wie eine Reihe von Niederlagen war, bei denen andere immer schneller oder mächtiger sind oder einfach mehr Glück haben als er. Ich denke ein bisschen an einen literarischen Donald Duck. Laughing

Gleichzeitig wünsche ich mir aber auch mehr Kitt zwischen den einzelnen Szenen. Etwas, das den Text von gleichnamigen Youtube-Videos abhebt, in denen Bauchplatscher in den Pool sich mit Skateboard-Unfällen abwechseln. Man erkennt die klare Linie, aber ich für meinen Teil könnte das 300+ Seiten lang lesen – halt nur nicht als bloße Auflistung von persönlichem Pech. Zum Beispiel hätte ich hier SEHR gerne mehr erfahren:

CLS hat Folgendes geschrieben:
Zurück in Deutschland. Fete bei Stahl. Ich lerne Claudia kennen. Die finde die richtig gut. Für einmal fasse ich allen Mut zusammen:

"Claudia, darf ich in deinem Namen das a weglassen?"
"Nein, ich möchte ja nicht Cludia heißen!"


 Laughing
Ich wette zwar und unterstelle dir mal einfach, dass das ein One-Liner war, der eben noch „mit rein musste“, aber trotzdem entsteht hier schon eine ganze Person, von der ich denke: Ja, eine Frau mit so einem Humor und so einer Schlagfertigkeit, von der will ich mehr. Da war ich doch ziemlich enttäuscht, dass es über die Pointe des Witzes nicht weiter hinausging. Man erfährt nicht einmal, ob der Erzähler die berühmte Sekunde zu lang für eine schlagfertige Antwort gebraucht hat oder warum aus der Sache nichts weiter geworden ist. Die Reduktion auf einen knappen Kalauer wird der Figur nicht gerecht, die sich hier schon deutlich abgezeichnet hat, und außerdem kann ihre Erwiderung wohl nicht als Epic Fail für den Protagonisten gelten. Von dem hört man ja eben nichts.

Wenn du dir vorstellen könntest, die Szenen noch mit mehr Geschichte und Entwicklung aufzufüllen, könnte daraus ein sehr geiler Roman werden. Zumindest ich wäre daran interessiert. Verstecken

Gruß,
Nihil
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Christof Lais Sperl
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Beitrag14.11.2018 17:43
Lücken
von Christof Lais Sperl
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Nihil hat hier auf etwas sehr Wichtiges hingewiesen. An dieser Stelle wird noch gebaut. Very Happy

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Christof Lais Sperl
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Beitrag02.12.2018 15:44
Epic Fails
von Christof Lais Sperl
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Eine Zusammenstellung dummer Situationen. Sehr reduzierte Sprache. Eingedampft.

Epic Fails


Wer über gewisse Dinge den Verstand nicht verliert, der hat keinen zu verlieren.
Gotthold Ephraim Lessing



Der Vorname musste ins Unglück führen. Ob mir all das widerfahren wäre, wenn Mutter mir einen anderen gegeben hätte, weiß ich nicht. Für sie jedenfalls bequem, ihn durch die Gegend schmettern zu können. Sie hat ihn wohl nur deshalb gewählt, weil seine zwei Silben so gut zu rufen sind. I-O-I-O, so geht das den ganzen Tag. In der Grundschule haben sie mich immer Pisspott genannt. Christof,  Pisspott, gucktderblöde, hahaha.

Mit so einem Vornamen ist alles zum Scheitern verurteilt. Seit Lebensbeginn ist Unglück in ihm angelegt. Weil ich, Murphys Gesetz entsprechend, allen Schlamassel magnetisch anziehe, sollte ich besser sterben gehen. Es ist daher Zeit für den testamentarischen Entschluss, das bisher Peinlichste zusammenzusuchen, und in Quarantäne zu stellen. Vielleicht hilft's. Die blödeste Sache habe ich für das Ende aufgespart, wenn nicht noch was dazwischenkommt.


Franzmann Philippe und ich sind in Schweden. Interrail bis zum Polarkreis und noch weiter. Campingplatz Kiruna. Das Zelt ist schon aufgebaut. Wir müssen noch mal in die Verwaltungsbude, um den Aufenthaltsschein abzuliefern. Ich gebe der jungen Frau hinterm Tresen den abgesegneten Wisch zurück. Eine Frage: Gib’s hier eigentlich auch Rentiere und Lappen? Ich würde gern mal welche sehen, worauf die Frau sagt: Ja sicher, du stehst gerade vor einer.

Muss ich schön bescheiden geguckt haben. Will man am liebsten von der nächsten Klippe springen.


Wir fahren zum Nordkap, und dann wieder südlich runter in einen Ort namens Boden. Neben uns urlaubt eine schwedische Familie mit zwei Teenagertöchtern. Kommt doch mal zum Abendbrot. Der Vater sagt fast nichts, aber Muttern umso mehr. Dabei leert sie zu drei Vierteln eine große Flasche Whisky, und kümmert sich ansonsten um Jugendliche mit Alkoholproblemen. Da haben wir gelacht. Wir kriegen sogar den Familien-VOLVO. Eine der Töchter lenkt ihn in die nächste Disco, aber der Eintritt ist für uns zu teuer. Also zum Spielplatz.


Nummer eins ist ziemlich hübsch, die zwei weniger. Bei Philippe und mir ist das genauso. Er ist mit seinem französischen Schwarzkopf klarer Gewinner. Die Hübsche greift ihn sich ohne lang rumzufackeln, und knutscht mit ihm unter der Rutsche. Hat sich den zu eigen gemacht, als wäre es die natürlichste Sache der Welt, ihn vor Nummer zwei schnell abzugreifen. Die und ich sitzen an genau gegenüberliegenden Stellen auf dem Rand vom Sandkasten. Sie quiekt und kichert, um mich zu ihr rüberzulocken. Ich mag sie aber einfach nicht. Rauche eine nach der anderen, und penne trotz der Kälte auch noch ein.

Am Morgen steht die komplette Familie am Bahnhof. Philippe drückt die Hübsche noch mal. Ich spüre den vorwurfsvollen Blick der Nummer zwei im Rücken kribbeln. Da drehe ich mich um und flüstere ihr zu, ich wäre eigentlich schwul. Sie prustet durch gespreizte Finger los. Der Zug komm. Wir steigen ein. Philippe winkt noch durchs Fenster. So schlecht wie das gelogen war. Sie hat sicher nichts geglaubt.

Zurück in Deutschland. Fete bei Stahl. Ich lerne Claudia kennen. Offensichtlich schlagfertig. Immer den passenden Spruch parat. Die finde die richtig gut. Sie leert eine Flasche Weißherbst. Außer Weißherbst gäbe es für sie nichts Trinkbares. Und dann hätte sie auch noch einen LKW-Führerschein. Klasse zwei. Ich hab nur eins und drei. Also Moped und Auto. Sie sagt, sie hätte einen alten Audi 100. Das macht mich richtig fertig. Hübsche Mädchen in Lederjacken und mit dicken Autos. Toller Kontrast. Weiche blonde Locken, harte Jacken und die abgerockte Schüssel auf dem Parkstreifen unten. Für einmal fasse ich allen Mut zusammen:

"Claudia, darf ich in deinem Namen das a weglassen?"
"Nein, ich möchte ja nicht Cludia heißen!"

Ich sage zu Stahl ich geh dann mal, ich hab noch was anderes vor heute. Die Claudia grinst mir hinterher.

Danach mal wieder Paris. Verrückt genug, mit einem Auto herumzufahren bin ich. Wo doch die Métro viel schneller und billiger ist. Wenn ich Leute mitnehme, und den Französinnen die Beifahrertür nicht gleich aufschließe, sind die richtig pikiert. In Deutschland schnippen die Frauen mir  zu, sie könnten ihre Tür selber aufmachen.  Muss auch erst mal gelernt werden, wie wann was zu tun sein soll. Man weiß ja nie, wo man dran ist. Ich komme in den verschiedenen Ländern immer durcheinander, und vermassele alles.

Bei ORION gibt’s P1. Das ist ein Pheromonspray. Einmal aufgetragen, soll das wie Hammer wirken. Aber nur auf Frauen, versteht sich. Ich habe mich für den Abend vorsorglich mit Tatjana verabredet. Die war in meiner Klasse der Star. Rote Mähne wie ein Poncho. Wir wollen ins Tutu. Im Rathauskeller. Ist immer verraucht und rappelvoll. Ich komme etwas früher, schmiere auf dem Klo erstmal kräftig P1 an den Hals, und dann in die Menge raus. Tatjana ist nirgends zu sehen. Ich mache ein paar Runden und schiebe mich durch die Massen. Auf einmal steht die eine aus der Uni vor mir. Schwester vom Frank Zarges oder so. Hat schon ein Kind, sagt man.  Das sind die Schlimmsten. Tut ganz erfreut und sülzt mich ein. Die Musik ist laut, wir müssen und ins Ohr brüllen. Jazzrock. Passport, Stanley Clarke und so was. Tatjana ist immer noch nicht da. Die Gegenwart ist ziemlich kräftig. Ich hab mit so welchen keine Erfahrung. Und ziemlich rollig. Das verfluchte P1 hat auf die Falsche gewirkt. Das kann man ja nicht steuern, auf welche es wirken soll und so. Und jetzt habe ich die Fette vom Zarges am Hals, und die zieht mich in ihr Gelaber rein, sie hieße Alexa, schubst mich raus auf den Parkplatz. Da steht ihr BX. Ich könnte meinen am Tutu stehen lassen, kannst ihn ja morgen holen. BX rein, gerade kommt Tatjanas Polo um die Ecke, mir ist es zu peinlich noch mal auszusteigen. Morgen wird mir schon irgendwas einfallen. Sie fährt mich zu sich, Kind schläft schon, nein rauchen darfst du hier nicht, komm mal hier hinein, ich soll mich sofort ausziehen, zwischen wilden Knutschattacken zerre ich mir alles vom Leib. Jetzt entblößt sie selbst ihre Massen, es ist um mich geschehen, das heißt, sie schmeißt mich in die Doppelkiste, wälzt sich, fließt wie eine Sauce über meinen Körper, „Baby du bist so schön schwer“ von den Zöllnern kommt mir in den Sinn, doch von schön kann keine Rede sein, da geht nichts, passiert nichts, krieg ich keine Luft. Zum Glück schon so besoffen, dass ich ganz schnell einpennen kann. Das Schlimmste das Frühstück am nächsten Morgen und die Fahrt zum Parkplatz vom Tutu. Steht ja meine Karre noch.

Mein alter WG-Kumpel Helmi kriegt es besser hin, obwohl der als Schrauber von Frankreich uns so weiter null Peilung hat. Aber dafür hat er alles im Blut. Wo ich lange rumstottere und Blödsinn erzähle, genügen ihm Blicke und Gesten. Darin kann er Gedanken lesen.

Wir bewohnen eine 3 ZKB, das kleinste Zimmer ist Gitarren- und Verstärkerraum.

Silversterparty bei Nachbarn. Helmi ist schon um acht an einer dran. Um zehn wird's ernst. Ich bin an dem Abend mal wieder komplett leer ausgegangen, aber schon vor zwölf ziemlich voll heimgekommen. Er kommt mit der Frau etwas später, sie machen die ganze Nacht im Gitarrenzimmer rum. Ich kann kein Auge zukriegen. Vor allem, weil die so laut und seltsam keuchen, dass ich mir gar nicht vorstellen kann, was genei die tun. Sicher mal wieder Dinge, von denen ich noch keine Ahnung habe.


Bin jetzt mit der Uni fertig. Job als wissenschaftlicher Mitarbeiter. Bibliothek, Fernleihe, bestellen, kopieren, Messungen im Labor machen, in den USA rumtelefonieren. Mit Kollegen einen Psycholinguistik-Kongress organisieren.   

Ein paar Monate später trudeln alle Professoren zum Kongress ein, darunter eine Mittfünfzigerglatze mit einer Jungschen im Schlepptau: Blondes Langhaar, pechschwarze Augen. Ich stehe an der Rezeption, beide kommen zu meinem Empfangstisch rüber, Unterlagen holen. Der Professor hat zwar schon ein Schild am Jackett, aber ich glotze nur auf die Kollegin und erkenne den Namen nicht richtig. Begrüße beide auf Englisch, ein paar Floskeln, wie man sie sich in solcher Lage zusammenstottert. Nice weather, waren Sie schon mal in Deutschland? Sie gehen mit erstauntem Blick weiter. Anhand der Anwesenheitsliste erkenne ich hinter einer Schweißstirn, dass es zwei Top-Germanisten aus Amerika sind. Und zwar weltweit die berühmtesten Groß-Wissenschaftler überhaupt. Knapp hinter Chomsky. Zum Glück muss ich mich  um ein paar enthusiastisch nickende Japaner kümmern. Schmach abladen. Ich schreibe ich mich in alle Veranstaltungen der Blonden ein, und höre am Nachmittag und in der ersten Reihe extra aufmerksam zu. Auf konzentriert tun kann ich ziemlich gut. Aber egal, bei der war ich wahrscheinlich nur noch der Vollidiot, der die Giganten der Wissenschaft in schlechtem Englisch anspricht.


Ein Kumpel von mir, Stahl, will Frauen kennenlernen, und hat an der Uni ein Spaß-Plakat aufgehängt:

                                     NUR FÜR FRAUEN!!!
                       TROMMEL DICH FREI IN DER TOSKANA!

Darunter seine Telefonnummer. Es rufen tatsächlich massenweise Frauen an. Als er sie aufklärt, nur ein Spaß, werden sie fuchsteufelswild. Irgendwoher haben sie seine Daten organisiert. Bei der Post angerufen, Rufnummer samt Adresse ermitteln lassen. Es sieht aus, als wollten sie ihn lynchen. Aus Sicherheitsgründen ist  er vorübergehend zu uns in die WG gekommen. Gitarrenzimmer.

Ich bin glücklos wie Stahl und probiere mal was Klassisches aus:  Antwort auf eine Uni-Kontaktanzeige. Mit Passbild aus dem Automaten. Sitze aufgeregt in der Cafete, rauche Samson Halfzware, und warte auf was kommt. Schüttet mir auf einmal eine Kurzhaarige einen Becher Cola über den Kopf, ich springe auf, sie schubst mir den Stuhl vor die Füße, haut ab. Muss eine Fake-Anzeige gewesen sein, um den Männern mal zu zeigen, was sie für Arschlöcher sind, wenn sie auf Annoncen antworten. Ich stehe wie ein Denkmal in der Cafete, die Meute glotzt. Das übliche Klappern von Besteck und Geschirr erstirbt. Es ist, als hätte jemand die Musik ausgeschaltet, und eine Kette gezogen. Der Tag verschwindet in einem trüben Abflussstrudel.   

Fange als Bundfaltenhose mit Goldknopfleiste im Schlosshotel an. Porsches einparken, Koffer schleppen, Thermometer ablesen, Spülern die Teller hinräumen und Küchenabfall in stinkende Tonnen schmeißen. Knallharte Hotelhackordnung. Jeder macht jeden fertig, und die Spüler sind die Letzten. Wenn von oben gedisst wird, können sie nicht mehr weiter nach unten treten, nur noch um sich beißen.
   
Hoteltag zwei. Hausdiener drei lockt mich zum Bier in den Kakerlaken-Keller: Können hier alle Bier trinken, kein Problem. Hausdiener drei und ich Pagenfigur am Bier. Literglas zu zweit. Der Page, also ich, nimmt gerade einen großen Schluck, als sich die Tür öffnet, und ein Spüler reinguckt. Der Hausdiener drei verpisst sich wie angebrannte Katze (man ruft mich!), die Tusse von der Rezeption klingelt am Haustelefon: In drei Minuten zum Chef hoch. Ich stehe dumm im Büro rum, drehe die Schlosshotel-Mütze in den Händen wie eine Gebetskette. Das war ein ganz schlechter Beginn, Herr Ähm, darf nicht wieder vorkommen, während der Dienstzeit strikt verboten, und überhaupt, wo kämen wir denn hin. Ich bin so fassungslos, dass keine Sprache mehr kommt.


Nach ein paar Monaten also wieder Paris. Immer, wenn nichts mehr weitergeht, Paris. Aber diesmal hartes Pflaster: Achtzehnter Bezirk. Da lässt niemand Elektronikverpackungen zum Wegschmeißen von der Tür stehen. Denn dann kommen gleich welche, die das zugehörige Gerät aus der Wohnung räumen. Auch tagsüber. Koks verkaufen sie in gegrillten Maiskolben, finstere Straßenstreuner in billigen Jacketts, Verhüllte, aggressive Hütchenspieler, Verrückte, die in der Métro rumschreien, und dabei Musiker und Schienengeheul übertönen. Die aus dem Achtzehnten reden anders als Leute aus dem Zwanzigsten. Überall 3615-Plakate.

Zeitung Libération geholt, Stellenanzeigen. Steige ein bei SFA. Weltweit Schadenfälle am laufenden Band multilingual abarbeiten. Überm Tisch riesige Aktentonnen mit Drehachse. Da kann man sich ganz schnell die richtige Akte ziehen, wenn einer mit seinen Problemen anruft. Ein paar immerzu genervte Pariserinnen in Glaskästen als Aufsicht über die Telefonsklaven mit Headset. Mosern ist Pariser Standard und macht Pariserinnen cool. Manchmal stöckeln sie auf den Balkon, eine Gauloise Blonde durchziehen.


Im Sommer brauchen wir Personal. Also großer Bewerbertag, wer wen Gutes kennt, unbedingt einladen. Ich rufe Christine an, die ist zwar meistens bekifft, kann aber Englisch und hat eine gute Stimme, tagsüber könnte sie den Job hinkriegen. Ihr Typ bin ich leider nicht, also wäre an der Arbeit alles unverfänglich. Am Nachmittag gibt es Häppchen und Sekt. Ich schiebe Christine ein bißchen rum und stelle sie den Leuten vor. Auf einmal ist sie nicht mehr zu sehen. Neben mir steht der angeschickerte Capellaro. Personaler. Hat seinen sentimentalen Tag, greift mich am Unterarm, und schwallt mich über was wegen seiner Frau voll, erzählt von seiner Karriere, die er als Manager in einem Dritte-Welt-Laden begonnen hat. Hört sich ziemlich albern an: CEO der Jutetaschen.

Christine, die ich gerade bei Capellaro in höchsten Tönen angepriesen habe, beginnt sich am Sekt zu besaufen. Das heißt, sie ist jetzt schon stramm. Raucht eine nach der anderen, und lacht sich kaputt. Mit ihren blonden Haaren und den schwarzen Augen macht sie ziemlich was her. Aber das Schöne beginnt sich in etwas Schrillem aufzulösen. Jetzt kommt sie auf uns zu. Glaubt, Capellaro sei ein Kumpel von mir. Duzt den auch noch. Noch schlimmer: Schulterklopfen. Zum Glück hört der in dem Stimmengewirr nicht viel von ihrer Sülze, glotzt Christine aber unablässig an. Ich bugsiere sie zum Aufzug, wir fahren in den Zweiten. Unterwegs kotzt sie die Kabine voll. Hole ein paar Zewas aus der Kaffeküche und schrubbe den Lift. Soll auch Eindruck auf Christine machen, die ich vielleicht durch diesen übelriechenden Liebesbeweis doch noch irgendwann später mal rumkriegen kann. Nun fährt das Ding, obwohl ich den Blockierschalter umgelegt habe, nach unten. Christine hat das Gleichgewicht verloren, und den Blockierknopf im Sturz mit der Schulter deaktiviert. Ich konnte noch nicht alles wegwischen. Christine liegt grinsend in einer Lache aus Erbrochenem und ein wenig Blut. Ich behämmere den Schalter FERMER wie einen Flipperknopf. Doch der Lift öffnet sich mit hellsilbernem Blechgeklapper, durch die Öffnung stiert im Hochformat das Management. Wie Orgelpfeifen steht die Führungsriege herum. Sie haben Christine trotzdem genommen. Auf ausdrücklichen Wunsch von Capellaro.

In der Woche darauf Party bei Isabelle. Vorstadtsiedlung. Mit ein paar Hübschen. Kolleginnen, Nachbarinnen, Yoga-Freundinnen und weiteren Leuten. Ich rechne mir nicht die geringsten Chancen aus, als ich das Wohnzimmer betrete. Mein Gespür für die Grenze des Unerreichbaren. Die Mädchen liegen alle überm Limit  - Nummern zu geil für mich. Außerdem kann ich Laurent und Tarik in der Küche ausmachen: Zwei Schwerenöter, die alles abräumen. Die Türöffnung gibt den Blick auf einen Teil des Tisches frei. Ein Joint kreist. Tarik ist ganz der orientalische Zuckerschleimer. Und keiner kapiert, wie Laurent das immer macht, ohne viel Gerede punktgenau und maßgeschneidert einlullen zu können.   

Raus in die lauwarme Oktobernacht. Laurent salbadert auf Isabelle ein, eine schlanke Rothaarige mit hüftlangem Haar und Sommersprossen bis unter die Fingernägel. Tarik hat sich Ariane vorgenommen, sie machen im Bushäuschen rum. Arianes Haar hängt vor Tariks Gesicht herab. Ich stehe dumm rum und rauche. Glas nur in Hüfthöhe, das macht sich besser. Aber für wen?

Einige der Gäste stehen im Pulk auf der gegenüberliegenden Straßenseite und gucken zu, wie ein Mann versucht, einen altersschwachen Ami 6 anzulassen. Oben auf dem Bushäuschen gluckst und giggelt es herum. Gucke hoch. Bin Catherine. Eine dicke Mütze rückt ins Licht. Ich soll ihr eine Zigarette geben und werfe ihr mein Päckchen Graven aufs Dach hoch. Laurent kommt auf mich zu, macht eine Geste mit der erhobenen Handfläche.  Isabelle bleibt stehen, und schleudert ihr Haar hinter die linke Schulter. Laurent ganz nah an mir dran: Die will was von dir. Wenn die so rumalbern, dann brauchst du nicht mehr lange zu warten. Was soll ich denn tun? Laurent meint, vom Bushäuschen runterhelfen und ein bisschen spazierern und  reden. Läuft dann alles von selber. Ich helfe dem Mädchen Catherine mit einer englischen Leiter runter, weiß gar nicht, wie sie da hochgekommen ist. Sie steht im orangefarbenen Licht der Straßenlaterne. Ein Risikotyp. Die Art praktische kleine Krankenschwester. Nicht so meins, aber trotzdem ganz gut. Sie nimmt mich mit in ihre Wohnung direkt über der von Isabelle. Alles voller Bilder. Wir trinken Schampus und rauchen eine. Doch doch, sehr nett anzusehen, das Mädchen. Die schwarzen Augen. Mütze hat sie immer noch auf. Wir ziehen uns gegenseitig aus, sie trägt nur Sachen mit Knöpfen und Reißverschlüssen, da muss nichts übergestreift werden. Sie fängt an, französisches Englisch zu sprechen: Warum das denn? Wenn ich Sex habe, rede ich Englisch, war schon immer so. Kisse mie, äfriwähr. Englisch, Alkohol und Bilder bringen mich durcheinander. Wir stehen Gesicht an Gesicht. Ich kann spüren, wie mein Pimmel Catherines Bauch berührt, und umfasse ihren Nacken. Die Mütze fällt herunter. Der Griff fühlt sich leicht wie Luft an. Es ist, als langte ich ins Leere: Geschorener Hinterkopf, kurzes Haar. Catherine zieht mich aufs Bett, wälzt sich über mich und reibt sich an mir. Nun beginne ich, überwältigt, zu schwitzen. Übelkeit kriecht korkenzieherförmig und langsam in meiner Speiseröhre hoch: Es regt sich nichts. Was mich lähmt, ist das Kurzhaar,  Mähne bedeutet alles. Da kann mir ohne keine kommen. Mit Kurzhaarmädchen ist für mich fast schon wie Mann und Mann. Entschuldige mich, liegt nicht an dir, ich kann auch nichts dafür. Catherines Kopfschütteln, wir rauchen noch, kann nicht bleiben, sitze bis zum Morgengrauen kotzübel an der Haltestelle.   


An der Arbeit ist Assane mein bester Kollege. Germanist. Zentralafrika. Pechschwarz, gelassen und mit Wiener Studium. A gmahte Wiesn ist für den sprachlich kein Problem. Das ist immer lustig, Afrikaner und grüß Gott gnä' Frau. Die Firma will mich  nach München schicken. Filiale aufbauen. Da wäre mir Assane als Kollege gerade recht. Einmal in München, will ich ihn nachholen. Habe schon ein gutes Team zusammen. In eine Münchner Firma integriert. Sammelsurium aus ewigen Studenten, Dolmetschern, Leuten mit seltsamen Abschlüssen und  Fachabiturienten ohne Perspektiven. Assane hat schon die Wohnung gekündigt, und in Frankreich auch sonst alles abgemeldet. Sitzt mit seiner Frau auf gepackten Koffern.

Mein neuer Chef mag keine Verbesserungsvorschläge, der Prophet im Unternehmen ist schlecht, sagt er, ich war früher selber Marxist, ich kenn mich aus, deshalb bin ich hier gleichzeitig Boss und Betriebsrat in Personalunion. Gewerkschaften braucht deshalb auch keiner. Er fragt täglich nach Assane. Ich kann wegen der Arbeitsgenehmigung ja auch nur in diesem blöden Kreisverwaltungsreferat anrufen. Doch obwohl die da alle selber schwarz sind, wollen sie in Bayern keine richtigen Schwarzen zum Arbeiten haben, blockieren, wo geht. Nach vier Wochen platzt dem Alten der Kragen: Herrn Assane anrufen, absagen. Rufe seine Pariser Nummer, die französischen Nummern habe ich immer auf Französisch im Kopf, tut mir leid, Chef will nicht mehr. Assane sagt nichts, legt auch nicht auf, während sich ein dunkler Fortschrittsbalken der absoluten Stille ins Gesichtsfeld schiebt.


Manche müssen Platten kaufen, andere bekommen davonTapes geschenkt. In der Firma ist ein Mädchen, dem dutzende Leute Compilations am laufenden Band zusammenstellen. Einen Teil davon hat sie in der Handtasche. In ihrer kleinen Künstlerwohnung türmt sich der Rest:  Liebevoll gestaltete Cassettenhüllen, die Inlays mit dem PC ausgedruckt und mit Fotos versehen. Sie selbst kann über die neuesten Arto Lindsays oder Björks reden, weil sie eben immer alles hat. Renaldo and the Loaf, Neubauten, Pixies, Negativland, Malaria und Throbbing Christle kann man in ihrem Cassettenhaufen aufstöbern, die Residents sind fast schon Mainstream. Mich hat sie natürlich auch in der Mache. Ich habe nämlich ein Auto. Gut zu wissen, für irgendwelche IKEA-Transportaufgaben und so was. Sie sieht richtig gut aus, und ist vor allem clever. Liest zwar nie was, gibt nur weiter, was andere ihr über Bücher berichtet haben, kann das aber so tun, als hätte sie alles selbst durchgeackert. Ich nehme ihr auch was auf, bringt Punkte, da bittet sie mich, sie zu einer Vernissage nach Oberschleißheim zu fahren, klimperklimperklimper. Mit der Aussicht auf einen Abend mit anschließendem Nachhausebringen sage ich natürlich nicht nein.

Manche haben einen Kompass im Kopf. Mit meinem Orientierungssinn ist das aber so eine Sache. Wo bei anderen Mathematik und Navi sitzen, ist bei mir ein Loch im Hirn. Um nach Oberschleißheim zu gelangen, muss man eigentlich nur die öde Leopoldstraße, und dann die Ingolstädter langfahren, dann war’s das. In München kennt jeder Chinese nach einer Woche die Ingolstädter, aber nicht ich. OK, die Leopold geht noch, aber bei der Ingolstädter begehe ich einen Fehler. Irgendein blödes Schild. Wir gelangen zu Panzerwiese, Feldmoching, nur dieses verkackte Oberschleißheim taucht nirgends auf. Mitten im Winter fange ich an zu schwitzen. Haltenkuppelnersterzweiterampelabbiegen. Sie raucht daneben schweigend Kette. Der Kippengestank mischt sich mit warmer Heizungsluft.



„Wir fahren schon stundenlang rum. Dürfte doch nicht so schwer sein, dieses
Oberschleißheimding mal jetzt zu finden. Da ist eine wichtige Vernissage. Oberschleißheim, das kennt in München doch jeder, Mann.“    

„Du bist doch die Münchnerin. Sag mir einfach, wo’s langgeht. Dann fahre ich dich meinetwegen bis Moskau. Ich kenne die Straßen nicht.“

„Was heißt denn hier Münchnerin? Bin ja auch keine von den richtigen Locals. Mit den Öffentlichen kenne ich alles. Aber im Auto?“

„Mädchen, ich bin unfähig, dieses verdammte Oberschleißheim zu finden. Kapierst du das? Ich bin da der falsche Mann.  Hier sieht ja alles gleich aus. Kein Schild, kein Nix. Ich lasse es. Ich geb dir Geld für ein Taxi.“

Was für eine blöde Idee. Mein Geld. Ihr Taxi.

„Fahr mich heim.“

Merkwürdig, dass ich sofort den Heimweg finde. Da macht sie noch saurer. Sie verlässt das Auto und knallt die Beifahrertür zu. Sicherlich hätte jeder der anderen bescheuerten Cassettenaufnehmer dieses Kaff gefunden, nur ich mal wieder nicht.


In der Firma gibt es den normalen Chef und einen medizinischen Leiter. Der Ex-Marxist kümmert sich um Verträge und Businesskram. Der Arzt passt auf, dass unsere Entscheidungen heilkünsterlisch vertretbar sind. Er heißt Wenzel, ist Zyniker, klein, so knauserig wie alle Geldleute, und nicht besonders ansehnlich. Wir nennen ihn unseren Kampfzwerg. Der Gnom dreht alle paar Wochen einmal durch. Dann wird vor versammelter Mannschaft immer ein anderer plattgemacht. Auch die ihm untergebenen Ärzte nimmt er sich vor. Aber nur am Telefon. Die sind ja nicht im Büro. Wir können ihn dann immer im Glaskasten brüllen hören: Nein Uwe, der Herzinfarkt kann muss sitzend fliegen, da reicht ein Sani, Kollege ist zu teuer! Die Leber fährt im Krankenwagen, und, Wen Lung, der Priapismus muss erst noch mal in den USA bleiben! Wäre ja schön, wenn wir jeden Schwanz immer gleich zurückholen! Wen Lung, wenn den Leuten schon am Flughafen von Kathmandu das Blut aus dem Maul trieft, ist das doch deren Problem, wenn sie den Everest nicht schaffen!   

Einmal im Jahr gibt es zum Ausgleich Party, da lässt er richtig was springen. Diesmal hat er ins Chada geladen. Büffet und Trinken bis Abwinken. Ich also rein in den Thailänder, sind erst ein paar Leute da, auch Wenzel, durch die Durchreiche sieht man Personal in der Küche arbeiten. Von Essen ist noch nichts zu sehen. An der Theke sitzt ein junger Asiate. Wahrscheinlich der Chef vom Laden. Neben ihm ist noch ein Hocker frei. Ich bestelle mir einen Wodka-O, fange ein Gespräch an:

„Hallo, Christof mein Name, war noch nie hier. Sind Sie denn schon lange in der Gärtnerstraße? Läuft der Laden? Und was gibt es denn heute so zu essen?“

„Grüß Gott. Dr. Wen Lung, Internist, Kardiologie und Intensiv. Arbeite für Wenzel, Sie sicher auch, oder?“


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Beitrag23.12.2018 11:44
Fortsetzung und Ende
von Christof Lais Sperl
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Nun habe ich es aufgegeben. Ich mache auf Solo, und sitze jetzt immer mit Lahme in der Cafete. Malle Rauchen, Kaffee, Frauengucken. Lahme promoviert seit vier Jahren in Linguistik. Da mangelt es nicht an interessantem Gesprächsstoff, wenn in den Vorlesungsstunden nichts zum Gucken kommt. Lahme meint, im Büro fiele ihm zur Diss sowieso nichts ein. Da guckt er lieber in der Cafete rum und zeichnet das ganze Jahr über Weihnachtsmänner, die sich untereinander prügeln.  Eigentlich sitzt er seit vier Jahren hier am Kaffeebecher. Und obwohl verheiratet, kann er es kaum lassen zu lästern, wenn Publikum kommt und geht. Weil er seit vier Jahren hier rumhockt, kennt er alle.

„Was ist mir der?“

„Zu blöd. Kriegt fachlich nix gebacken. Germanistik. Liest aber nichts.“

„Und die Große da?“

„Nicht mal Diplom. Nur Lehramt! Worüber soll ich mit der schon reden? Förderpläne?“

„Kennst du die große Rothaarige?“

„Wenn die ihren Müslischleim aus dem grünen Tupperbecher löffelt, wird mir immer ganz schlecht.“

„Und die Blonde neben Petersen?“

„Langweilig! Drei Bücher im Schrank, davon ist eines das Telefonbuch. Hält Goethe für ein Gedicht von Chiller.“

„Was hältst du von der Schwarzhaarigen?“

„Nichts. Die raucht nicht!“


***


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Beitrag23.12.2018 12:08

von Pickman
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Hi!

Hübsche Ideensammlung. Als nächstes könntest Du eine schlüssige und spannende Geschichte daraus machen.

Cheers

Pickman


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Christof Lais Sperl
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Beitrag23.12.2018 13:35
Danke fürs Lesen
von Christof Lais Sperl
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Ich wollte es eher kurz und knackig als lang halten. Ich überlege aber noch mal. Vlg cls

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Beitrag23.12.2018 16:59
Re: Danke fürs Lesen
von Pickman
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Christof Lais Sperl hat Folgendes geschrieben:
Ich wollte es eher kurz und knackig als lang halten.


Das ist kein Fehler, und es ist dir gelungen.


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Beitrag14.04.2019 10:34
Fails 3,0
von Christof Lais Sperl
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Ich habe noch Fails dazugebaut. Hoffentlich gefällt's.

Eine Zusammenstellung dummer Situationen.  

Epic Fails


Wer über gewisse Dinge den Verstand nicht verliert, der hat keinen zu verlieren.
Gotthold Ephraim Lessing


Der Vorname steht für Unglück. Ob mir all das widerfahren wäre, wenn Mutter mir einen anderen gegeben hätte, weiß ich nicht. Für sie jedenfalls bequem, ihn durch die Gegend schmettern zu können. Sie hat ihn wohl nur deshalb gewählt, weil seine zwei Silben so gut zu rufen sind. I-O-I-O, so geht das den ganzen Tag. In der Grundschule haben sie mich immer Pisspott genannt. Christof,  Pisspott, gucktderblöde, hahaha.

Mit so einem Vornamen ist alles zum Scheitern verurteilt. Seit Lebensbeginn ist Versagen in ihm angelegt. Weil ich, Murphys Gesetz entsprechend, allen Schlamassel magnetisch anziehe, sollte ich besser sterben gehen. Es ist daher Zeit für den testamentarischen Entschluss, das bisher Peinlichste zusammenzusuchen, und in Quarantäne zu stellen. Vielleicht hilft's. Die blödeste Sache habe ich für kurz vor Ende aufgespart, wenn nicht noch was dazwischenkommt.


Franzmann Philippe und ich sind in Schweden. Interrail bis zum Polarkreis und noch weiter. Campingplatz Kiruna. Das Zelt ist schon aufgebaut. Wir müssen noch mal in die Verwaltungsbude, um den Aufenthaltsschein abzuliefern. Ich gebe der jungen Frau hinterm Tresen den abgesegneten Wisch zurück. Eine Frage: Gib’s hier eigentlich auch Rentiere und Lappen? Ich würde gern mal welche sehen, worauf die Frau sagt: Ja sicher, du stehst gerade vor einer.

Muss ich schön bescheiden geguckt haben. Will man am liebsten von der nächsten Klippe springen.


Wir fahren zum Nordkap, und dann wieder südlich runter in einen Ort namens Boden. Neben uns urlaubt eine schwedische Familie mit zwei Teenagertöchtern. Kommt doch mal zum Abendbrot. Der Vater sagt fast nichts, aber Muttern umso mehr. Dabei leert sie zu drei Vierteln eine große Flasche Whisky, und kümmert sich ansonsten um Jugendliche mit Alkoholproblemen. Da haben wir gelacht. Wir kriegen sogar den Familien-VOLVO. Eine der Töchter lenkt ihn in die nächste Disco, aber der Eintritt ist für uns zu teuer. Also zum Spielplatz.


Nummer eins ist ziemlich hübsch, die zwei weniger. Bei Philippe und mir ist das genauso. Er ist mit seinem französischen Schwarzkopf klarer Gewinner. Die Hübsche greift ihn sich ohne lang rumzufackeln, und knutscht mit ihm unter der Rutsche. Hat sich den zu eigen gemacht, als wäre es die natürlichste Sache der Welt, ihn vor Nummer zwei schnell abzugreifen. Die und ich sitzen an genau gegenüberliegenden Stellen auf dem Rand vom Sandkasten. Sie quiekt und kichert, um mich zu ihr rüberzulocken. Ich mag sie aber einfach nicht. Rauche eine nach der anderen, und penne trotz der Kälte auch noch ein.

Am Morgen steht die komplette Familie am Bahnhof. Philippe drückt die Hübsche noch mal. Ich spüre den vorwurfsvollen Blick der Nummer zwei im Rücken kribbeln. Da drehe ich mich um und flüstere ihr zu, ich wäre eigentlich schwul. Sie prustet durch gespreizte Finger los. Der Zug komm. Wir steigen ein. Philippe winkt noch durchs Fenster. So schlecht wie das gelogen war. Sie hat sicher nichts geglaubt.

Zurück in Deutschland. Fete bei Stahl. Ich lerne Claudia kennen. Offensichtlich schlagfertig. Immer den passenden Spruch parat. Die finde die richtig gut. Sie leert eine Flasche Weißherbst. Außer Weißherbst gäbe es für sie nichts Trinkbares. Und dann hätte sie auch noch einen LKW-Führerschein. Klasse zwei. Ich hab nur eins und drei. Also Moped und Auto. Sie sagt, sie hätte einen alten Audi 100. Das macht mich richtig fertig. Hübsche Mädchen in Lederjacken und mit dicken Autos. Toller Kontrast. Weiche blonde Locken, harte Jacken und die abgerockte Schüssel auf dem Parkstreifen unten. Für einmal fasse ich allen Mut zusammen:

"Claudia, darf ich in deinem Namen das a weglassen?"
"Nein, ich möchte ja nicht Cludia heißen!"

Ich sage zu Stahl ich geh dann mal, ich hab noch was anderes vor heute. Die Claudia grinst mir hinterher.

Danach mal wieder Paris. Verrückt genug, mit einem Auto herumzufahren bin ich. Wo doch die Métro viel schneller und billiger ist. Wenn ich Leute mitnehme, und den Französinnen die Beifahrertür nicht gleich aufschließe, sind die richtig pikiert. In Deutschland schnippen die Frauen mir  zu, sie könnten ihre Tür selber aufmachen.  Muss auch erst mal gelernt werden, wie wann was zu tun sein soll. Man weiß ja nie, wo man dran ist. Ich komme in den verschiedenen Ländern immer durcheinander, und vermassele alles.

Bei ORION gibt’s P1. Das ist ein Pheromonspray. Einmal aufgetragen, soll das wie Hammer wirken. Aber nur auf Frauen, versteht sich. Ich habe mich für den Abend vorsorglich mit Tatjana verabredet. Die war in meiner Klasse der Star. Rote Mähne wie ein Poncho. Aber elider nicht für mich. Wir wollen ins Tutu. Im Rathauskeller. Ist immer verraucht und rappelvoll. Ich komme etwas früher, schmiere auf dem Klo erstmal kräftig P1 an den Hals, und dann in die Menge raus. Tatjana ist nirgends zu sehen. Ich mache ein paar Runden und schiebe mich durch die Massen. Auf einmal steht die eine aus der Uni vor mir. Schwester vom Frank Zarges oder so. Hat schon ein Kind, sagt man. Das seinen die Schlimmsten. Tut ganz erfreut und sülzt mich ein. Die Musik ist laut, wir müssen und ins Ohr brüllen. Jazzrock. Passport, Stanley Clarke und so was. Tatjana ist immer noch nicht da. Die von der Uni ist ziemlich kräftig, ich hab mit so welchen keine Erfahrung. Und ziemlich rollig. Das verfluchte P1 hat auf die Falsche gewirkt. Das kann man ja nicht steuern, auf welche es wirken soll und so. Und jetzt habe ich die Fette vom Zarges am Hals, und die zieht mich in ihr Gelaber rein, sie hieße Alexa, schubst mich raus auf den Parkplatz. Da steht ihr roter BX. Ich könnte meinen am Tutu stehen lassen, kannst ihn ja morgen holen. BX rein, gerade kommt Tatjanas Polo um die Ecke, mir ist es zu peinlich noch mal auszusteigen. Morgen wird mir schon irgendwas einfallen. Die Dicke fährt mich zu sich, Kind schläft schon, nein rauchen darfst du hier nicht, komm mal hier hinein, ich soll mich sofort ausziehen, zwischen wilden Knutschattacken zerre ich mir alles vom Leib. Jetzt entblößt sie selbst ihre Massen, es ist um mich geschehen, im negativen Sinne, sie schmeißt mich in die Doppelkiste, wälzt sich, fließt wie Schlamm über meinen Körper, „Baby du bist so schön schwer“ von den Zöllnern kommt mir in den Sinn, doch von schön kann keine Rede sein, da geht nichts, passiert nichts, krieg ich keine Luft. Zum Glück schon so besoffen, dass ich ganz schnell einpennen kann. Das Schlimmste das Frühstück am nächsten Morgen und die Fahrt zum Parkplatz vom Tutu. Steht ja meine Karre noch.

Mein alter WG-Kumpel Helmi kriegt es besser hin, sogar mit Französinnen, obwohl der als Schrauber von Frankreich uns so weiter null Peilung hat. Aber dafür hat er alles im Blut. Wo ich lange rumstottere und Blödsinn erzähle, genügen ihm Blicke und Gesten. Darin kann er Gedanken lesen.

Wir bewohnen eine 3 ZKB, das kleinste Zimmer ist Gitarren- und Verstärkerraum.

Silversterparty bei Nachbarn. Helmi ist schon um acht an einer dran. Um zehn wird's ernst. Ich bin an dem Abend mal wieder komplett leer ausgegangen, aber schon vor zwölf ziemlich voll heimgekommen. Er kommt mit der Frau etwas später, sie machen die ganze Nacht im Gitarrenzimmer rum. Ich kann kein Auge zukriegen. Vor allem, weil die so laut und seltsam keuchen, dass ich mir gar nicht vorstellen kann, was genau die tun. Sicherlich Dinge, von denen ich noch keine Ahnung habe.


Bin jetzt mit der Uni fertig. Job als wissenschaftlicher Mitarbeiter. Bibliothek, Fernleihe, bestellen, kopieren, Messungen im Labor machen, in den USA rumtelefonieren. Mit Kollegen einen Psycholinguistik-Kongress organisieren.   

Ein paar Monate später trudeln alle Professoren zum Kongress ein, darunter eine Mittfünfzigerglatze mit einer Jungschen im Schlepptau: Blondes Langhaar, pechschwarze Augen. Ich stehe an der Rezeption, beide kommen zu meinem Empfangstisch rüber, Unterlagen holen. Der Professor hat zwar schon ein Schild am Jackett, aber ich glotze nur auf die Kollegin und erkenne den Namen nicht richtig. Begrüße beide auf Englisch, ein paar Floskeln, wie man sie sich in solcher Lage zusammenstottert. Nice weather, waren Sie schon mal in Deutschland? Sie gehen mit erstauntem Blick weiter. Anhand der Anwesenheitsliste erkenne ich hinter einer Schweißstirn, dass es zwei Top-Germanisten aus Amerika sind. Und zwar weltweit die berühmtesten Groß-Wissenschaftler überhaupt. Ganz knapp hinter Chomsky. Zum Glück muss ich mich  um ein paar enthusiastisch nickende Japaner kümmern. Zum Abladen der Schmach schreibe ich mich in alle Veranstaltungen der Blonden ein, und höre am Nachmittag und in der ersten Reihe extra aufmerksam zu. Auf konzentriert tun kann ich ziemlich gut. War schon in der Schulle so. Aber egal, bei der war ich wahrscheinlich nur noch der Vollidiot, der die Giganten der Wissenschaft in schlechtem Englisch anspricht.


Ein Kumpel von mir, Stahl, will Frauen kennenlernen, und hat an der Uni ein Quatsch-Plakat aufgehängt:

                                     NUR FÜR FRAUEN!!!
                       TROMMEL DICH FREI IN DER TOSKANA!

Darunter seine Telefonnummer. Es rufen tatsächlich massenweise Frauen an. Als er sie aufklärt, nur ein Spaß, werden sie fuchsteufelswild. Irgendwoher haben sie seine Daten organisiert. Bei der Post angerufen, Rufnummer samt Adresse ermitteln lassen. Es sieht aus, als wollten sie ihn lynchen. Aus Sicherheitsgründen ist  er vorübergehend zu uns in die WG gekommen. Ins Gitarrenzimmer.

Ich bin glücklos wie Stahl und probiere mal was Klassisches aus:  Antwort auf eine Uni-Kontaktanzeige. Mit Passbild aus dem Automaten. Sitze aufgeregt in der Cafete, rauche Samson Halfzware, und warte auf was kommt. Schüttet mir auf einmal eine Kurzhaarige einen Becher Cola über den Kopf, ich springe auf, sie schubst mir den Stuhl vor die Füße, haut ab. Muss eine Fake-Anzeige gewesen sein, um den Männern mal zu zeigen, was sie für Arschlöcher sind, wenn sie auf Annoncen antworten. Ich stehe wie ein Denkmal in der Cafete, die Meute glotzt. Das übliche Klappern von Besteck und Geschirr erstirbt. Es ist, als hätte jemand die Musik ausgeschaltet, und eine Kette gezogen. Der Tag verschwindet in einem trüben Abflussstrudel.   

Fange als Bundfaltenhose mit Goldknopfleiste im Schlosshotel an. Porsches einparken, Koffer schleppen, Thermometer ablesen, Spülern die Teller hinräumen und Küchenabfall in stinkende Tonnen schmeißen. Knallharte Hotelhackordnung. Jeder macht jeden fertig, und die Spüler sind die Letzten. Wenn von oben gedisst wird, können sie nicht mehr weiter nach unten treten, nur noch um sich beißen.
   
Hoteltag zwei. Hausdiener drei lockt mich zum Bier in den Kakerlaken-Keller: Können hier alle Bier trinken, kein Problem. Hausdiener drei und ich Pagenfigur am Bier. Literglas zu zweit. Der Page, also ich, nimmt gerade einen großen Schluck, als sich die Tür öffnet, und ein Spüler reinguckt. Der Hausdiener drei verpisst sich wie angebrannte Katze (man ruft mich!), die Tusse von der Rezeption klingelt am Haustelefon: In drei Minuten zum Chef hoch. Ich stehe dumm im Büro rum, drehe die Schlosshotel-Mütze in den Händen wie eine Gebetskette. Das war ein ganz schlechter Beginn, Herr Ähm, darf nicht wieder vorkommen, während der Dienstzeit strikt verboten, und überhaupt, wo kämen wir denn hin. Ich bin so fassungslos, dass keine Sprache mehr kommt.


Nach ein paar Monaten also wieder Paris. Immer, wenn nichts mehr weitergeht, Paris. Aber diesmal hartes Pflaster: Achtzehnter Bezirk. Da lässt niemand Elektronikverpackungen zum Wegschmeißen von der Tür stehen. Denn dann kommen gleich welche, die das zugehörige Gerät aus der Wohnung räumen. Auch tagsüber. Koks verkaufen sie in gegrillten Maiskolben, finstere Straßenstreuner in billigen Jacketts, Verhüllte, aggressive Hütchenspieler, Verrückte, die in der Métro rumschreien, und dabei Musiker und Schienengeheul übertönen. Die aus dem Achtzehnten reden anders als Leute aus dem Zwanzigsten. Überall 3615-Plakate.

Zeitung Libération geholt, Stellenanzeigen. Steige ein bei SFA. Weltweit Schadenfälle am laufenden Band multilingual abarbeiten. Überm Tisch riesige Aktentonnen mit Drehachse. Da kann man sich ganz schnell die richtige Akte ziehen, wenn einer mit seinen Problemen anruft. Ein paar immerzu genervte Pariserinnen in Glaskästen als Aufsicht über die Telefonsklaven mit Headset. Mosern ist Pariser Standard und macht Pariserinnen cool. Manchmal stöckeln sie auf den Balkon, eine Gauloise Blonde durchziehen.


Im Sommer brauchen wir Personal. Also großer Bewerbertag, wer wen Gutes kennt, unbedingt einladen. Ich rufe Christine an, die ist zwar meistens bekifft, kann aber Englisch und hat eine gute Stimme, tagsüber könnte sie den Job hinkriegen. Ihr Typ bin ich leider nicht, also wäre an der Arbeit alles unverfänglich. Am Nachmittag gibt es Häppchen und Sekt. Ich schiebe Christine ein bißchen rum und stelle sie den Leuten vor. Auf einmal ist sie nicht mehr zu sehen. Neben mir steht der angeschickerte Capellaro. Personaler. Hat seinen sentimentalen Tag, greift mich am Unterarm, und schwallt mich über was wegen seiner Frau voll, erzählt von seiner Karriere, die er als Manager in einem Dritte-Welt-Laden begonnen hat. Hört sich ziemlich albern an: CEO der Jutetaschen.

Christine, die ich gerade bei Capellaro in höchsten Tönen angepriesen habe, beginnt sich am Sekt zu besaufen. Das heißt, sie ist jetzt schon stramm. Raucht eine nach der anderen, und lacht sich kaputt. Mit ihren blonden Haaren und den schwarzen Augen macht sie ziemlich was her. Aber das Schöne beginnt sich in etwas Schrillem aufzulösen. Jetzt kommt sie auf uns zu. Glaubt, Capellaro sei ein Kumpel von mir. Duzt den auch noch. Noch schlimmer: Schulterklopfen. Zum Glück hört der in dem Stimmengewirr nicht viel von ihrer Sülze, glotzt Christine aber unablässig an. Ich bugsiere sie zum Aufzug, wir fahren in den Zweiten. Unterwegs kotzt sie die Kabine voll. Hole ein paar Zewas aus der Kaffeküche und schrubbe den Lift. Soll auch Eindruck auf Christine machen, die ich vielleicht durch diesen übelriechenden Liebesbeweis doch noch irgendwann später mal rumkriegen kann. Nun fährt das Ding, obwohl ich den Blockierschalter umgelegt habe, nach unten. Christine hat das Gleichgewicht verloren, und den Blockierknopf im Sturz mit der Schulter deaktiviert. Ich konnte noch nicht alles wegwischen. Christine liegt grinsend in einer Lache aus Erbrochenem und ein wenig Blut. Ich behämmere den Schalter FERMER wie einen Flipperknopf. Doch der Lift öffnet sich mit hellsilbernem Blechgeklapper, durch die Öffnung stiert im Hochformat das Management. Wie Orgelpfeifen steht die Führungsriege herum. Sie haben Christine trotzdem genommen. Auf ausdrücklichen Wunsch von Capellaro.

In der Woche darauf Party bei Isabelle. Vorstadtsiedlung. Mit ein paar Hübschen. Kolleginnen, Nachbarinnen, Yoga-Freundinnen und weiteren Leuten. Ich rechne mir nicht die geringsten Chancen aus, als ich das Wohnzimmer betrete. Mein Gespür für die Grenze des Unerreichbaren. Die Mädchen liegen alle überm Limit  - Nummern zu geil für mich. Außerdem kann ich Laurent und Tarik in der Küche ausmachen: Zwei Schwerenöter, die alles abräumen. Die Türöffnung gibt den Blick auf einen Teil des Tisches frei. Ein Joint kreist. Tarik ist ganz der orientalische Zuckerschleimer. Und keiner kapiert, wie Laurent das immer macht, ohne viel Gerede punktgenau und maßgeschneidert einlullen zu können.   

Raus in die lauwarme Oktobernacht. Laurent salbadert auf Isabelle ein, eine schlanke Rothaarige mit hüftlangem Haar und Sommersprossen bis unter die Fingernägel. Tarik hat sich Ariane vorgenommen, sie machen im Bushäuschen rum. Arianes Haar hängt vor Tariks Gesicht herab. Ich stehe dumm rum und rauche. Glas nur in Hüfthöhe, das macht sich besser. Aber für wen?

Einige der Gäste stehen im Pulk auf der gegenüberliegenden Straßenseite und gucken zu, wie ein Mann versucht, einen altersschwachen Ami 6 anzulassen. Oben auf dem Bushäuschen gluckst und giggelt es herum. Gucke hoch. Bin Catherine. Eine dicke Mütze rückt ins Licht. Ich soll ihr eine Zigarette geben und werfe ihr mein Päckchen Graven aufs Dach hoch. Laurent kommt auf mich zu, macht eine Geste mit der erhobenen Handfläche.  Isabelle bleibt stehen, und schleudert ihr Haar hinter die linke Schulter. Laurent ganz nah an mir dran: Die will was von dir. Wenn die so rumalbern, dann brauchst du nicht mehr lange zu warten. Was soll ich denn tun? Laurent meint, vom Bushäuschen runterhelfen und ein bisschen spazierern und  reden. Läuft dann alles von selber. Ich helfe dem Mädchen Catherine mit einer englischen Leiter runter, weiß gar nicht, wie sie da hochgekommen ist. Sie steht im orangefarbenen Licht der Straßenlaterne. Ein Risikotyp. Die Art praktische kleine Krankenschwester. Nicht so meins, aber trotzdem ganz gut. Sie nimmt mich mit in ihre Wohnung direkt über der von Isabelle. Alles voller Bilder. Wir trinken Schampus und rauchen eine. Doch doch, sehr nett anzusehen, das Mädchen. Die schwarzen Augen. Mütze hat sie immer noch auf. Wir ziehen uns gegenseitig aus, sie trägt nur Sachen mit Knöpfen und Reißverschlüssen, da muss nichts übergestreift werden. Sie fängt an, französisches Englisch zu sprechen: Warum das denn? Wenn ich Sex habe, rede ich Englisch, war schon immer so. Kisse mie, äfriwähr. Englisch, Alkohol und Bilder bringen mich durcheinander. Wir stehen Gesicht an Gesicht. Ich kann spüren, wie mein Pimmel Catherines Bauch berührt, und umfasse ihren Nacken. Die Mütze fällt herunter. Der Griff fühlt sich leicht wie Luft an. Es ist, als langte ich ins Leere: Geschorener Hinterkopf, kurzes Haar. Catherine zieht mich aufs Bett, wälzt sich über mich und reibt sich an mir. Nun beginne ich, überwältigt, zu schwitzen. Übelkeit kriecht korkenzieherförmig und langsam in meiner Speiseröhre hoch: Es regt sich nichts. Was mich lähmt, ist das Kurzhaar,  Mähne bedeutet alles. Da kann mir ohne keine kommen. Mit Kurzhaarmädchen ist für mich fast schon wie Mann und Mann. Entschuldige mich, liegt nicht an dir, ich kann auch nichts dafür. Catherines Kopfschütteln, wir rauchen noch, kann nicht bleiben, sitze bis zum Morgengrauen kotzübel an der Haltestelle.   

Eine Wiese in Saumur, nicht weit von Angers. Im Vordergrund ein paar Schafe. Weit hinten etwas Brustartiges, das sich scharf vom Himmel absetzt. Hügel mit Warze. Die Ränder sind zerklüftet. Ich bewege mich mit Ariane auf das Objekt zu. Ein Pulk mit einem Hohepriester in der Mitte. Der Kerl muss Ende Zwanzig sein. Um ihn herum gemischtes Volk. Überwiegend Jüngere. Ariana flüstert, sie kennte den Priester aus ihrer Kindheit im Dorf. Wäre immer der Schlaueste gewesen. Finger recken sich in die Luft. Der Priester erteilt das Wort mit ausgestrecktem, behaartem Arm und Jesusartiger Handfläche in der Senkrechten. Wir hören Fragefetzen. Blut? Notfall? Gestorbene? Mal einen Toten gesehen?
Leiche rumgeschnippelt? Viel zu lernen? Der Priester antwortet in aufgesetzt wirkender, schlichter und keinen Widerspruch duldender Sprache: „Da ist dann oft alles vollgespritzt. Richtige Sauerei. Haufen Arbeit für die Putzfrauen, wenn und so einer ausläuft, und wir den Matsch reanimieren müssen. Da kommt alles rein. Allergischer Schock bis verbrühtes Kleinkind, Hackfleisch mit Motorradhelm und verschluckten Zungen. Müssen wir denen mit nem Lappen wieder rausziehen, wenn sie noch leben. Sehen eigentlich ganz normal aus. Nur die Nase ist ein bisschen spitz, und haben dann Flecken, wenn sie länger liegen. Ja, da stinkt’s dann schon eklig nach Formalin. Die jungen Studentinnen fallen reihenweise um. Und wenn man die Gesichtshaut vom Kinn aus nach oben übern Schädel zieht, das ist schon heftig. Ja klar, lernste Leber kommt Niere, und lernste Niere, kommt Herz! Wenn einer durchgefallen ist, hat der Prof immer Schädelbasisbruch gesagt.“ Das Publikum lauscht ehrfurchtsvoll demjenigen, welcher seine Heldenhaftigkeit sorar auf einer Schafweide unter die Massen bringen muss. Das Universum soll wissen, wie geil der Typ ist. Obwohl Frank Zappa mal gesagt hat: „Don’t never let her know you are smart. The universe is nowhere to start.“ Zappa kennt der natürlich nicht. Ariane und ich müssen in Richtung Tor am Pulk vorbei.

Mein Gesicht hat der Kerl noch nie gesehen. Sein Blick setzt sich an mir fest. Nun ruft er mir mit ausgestreckten Händen entgegen.

„Du hat doch in Angers Medizin gemacht, oder?“
„Nein, ich war in den Geisteswissenschaften.“
Der Held zögert einen winzigen Moment des Contenanceverlustes.
„Du hast aber absolut die Fresse von ’nem Typen, der in Angers Medizin gemacht hat.“


An der Arbeit ist Assane mein bester Kollege. Germanist. Zentralafrika. Pechschwarz, gelassen und mit Wiener Studium. A gmahte Wiesn ist für den sprachlich kein Problem. Das ist immer lustig, Afrikaner und grüß Gott gnä' Frau. Die Firma will mich  nach München schicken. Filiale aufbauen. Da wäre mir Assane als Kollege gerade recht. Einmal in München, will ich ihn nachholen. Habe schon ein gutes Team zusammen. In eine Münchner Firma integriert. Sammelsurium aus ewigen Studenten, Dolmetschern, Leuten mit seltsamen Abschlüssen und  Fachabiturienten ohne Perspektiven. Assane hat schon die Wohnung gekündigt, und in Frankreich auch sonst alles abgemeldet. Sitzt mit seiner Frau auf gepackten Koffern.

Mein neuer Chef mag keine Verbesserungsvorschläge, der Prophet im Unternehmen ist schlecht, sagt er, ich war früher selber Marxist, ich kenn mich aus, deshalb bin ich hier gleichzeitig Boss und Betriebsrat in Personalunion. Gewerkschaften braucht deshalb auch keiner. Er fragt täglich nach Assane. Ich kann wegen der Arbeitsgenehmigung ja auch nur in diesem blöden Kreisverwaltungsreferat anrufen. Doch obwohl die da alle selber schwarz sind, wollen sie in Bayern keine richtigen Schwarzen zum Arbeiten haben, blockieren, wo geht. Nach vier Wochen platzt dem Alten der Kragen: Herrn Assane anrufen, absagen. Rufe seine Pariser Nummer, die französischen Nummern habe ich immer auf Französisch im Kopf, tut mir leid, Chef will nicht mehr. Assane sagt nichts, legt auch nicht auf, während sich ein dunkler Fortschrittsbalken der absoluten Stille ins Gesichtsfeld schiebt.


Manche müssen Platten kaufen, andere bekommen davon Tapes geschenkt. In der Firma ist ein Mädchen, dem dutzende Leute Compilations am laufenden Band zusammenstellen. Einen Teil davon hat sie in der Handtasche. In ihrer kleinen Künstlerwohnung türmt sich der Rest:  Liebevoll gestaltete Cassettenhüllen, die Inlays mit dem PC ausgedruckt und mit Fotos versehen. Sie selbst kann über die neuesten Arto Lindsays oder Björks reden, weil sie eben immer alles hat. Renaldo and the Loaf, Neubauten, Pixies, Negativland, Malaria und Throbbing Christle kann man in ihrem Cassettenhaufen aufstöbern, die Residents sind fast schon Mainstream. Mich hat sie natürlich auch in der Mache. Ich habe nämlich ein Auto. Gut zu wissen, für irgendwelche IKEA-Transportaufgaben und so was. Sie sieht richtig gut aus, und ist vor allem clever. Liest zwar nie was, gibt nur weiter, was andere ihr über Bücher berichtet haben, kann das aber so tun, als hätte sie alles selbst durchgeackert. Ich nehme ihr auch was auf, bringt Punkte, da bittet sie mich, sie zu einer Vernissage nach Oberschleißheim zu fahren, klimperklimperklimper. Mit der Aussicht auf einen Abend mit anschließendem Nachhausebringen sage ich natürlich nicht nein.

Manche haben einen Kompass im Kopf. Mit meinem Orientierungssinn ist das aber so eine Sache. Wo bei anderen Mathematik und Navi sitzen, ist bei mir ein Loch im Hirn. Um nach Oberschleißheim zu gelangen, muss man eigentlich nur die öde Leopoldstraße, und dann die Ingolstädter langfahren, dann war’s das. In München kennt jeder Chinese nach einer Woche die Ingolstädter, aber nicht ich. OK, die Leopold geht noch, aber bei der Ingolstädter begehe ich einen Fehler. Irgendein blödes Schild. Wir gelangen zu Panzerwiese, Feldmoching, nur dieses verkackte Oberschleißheim taucht nirgends auf. Mitten im Winter fange ich an zu schwitzen. Haltenkuppelnersterzweiterampelabbiegen. Sie raucht daneben schweigend Kette. Der Kippengestank mischt sich mit warmer Heizungsluft.



„Wir fahren schon stundenlang rum. Dürfte doch nicht so schwer sein, dieses
Oberschleißheimding mal jetzt zu finden. Da ist eine wichtige Vernissage. Oberschleißheim, das kennt in München doch jeder, Mann.“    

„Du bist doch die Münchnerin. Sag mir einfach, wo’s langgeht. Dann fahre ich dich meinetwegen bis Moskau. Ich kenne die Straßen nicht.“

„Was heißt denn hier Münchnerin? Bin ja auch keine von den richtigen Locals. Mit den Öffentlichen kenne ich alles. Aber im Auto?“

„Mädchen, ich bin unfähig, dieses verdammte Oberschleißheim zu finden. Kapierst du das? Ich bin da der falsche Mann.  Hier sieht ja alles gleich aus. Kein Schild, kein Nix. Ich lasse es. Ich geb dir Geld für ein Taxi.“

Was für eine blöde Idee. Mein Geld. Ihr Taxi.

„Fahr mich heim.“

Merkwürdig, dass ich sofort den Heimweg finde. Da macht sie noch saurer. Sie verlässt das Auto und knallt die Beifahrertür zu. Sicherlich hätte jeder der anderen bescheuerten Cassettenaufnehmer dieses Kaff gefunden, nur ich mal wieder nicht.


In der Firma gibt es den normalen Chef und einen medizinischen Leiter. Der Ex-Marxist kümmert sich um Verträge und Businesskram. Der Arzt passt auf, dass unsere Entscheidungen heilkünsterlisch vertretbar sind. Er heißt Wenzel, ist Zyniker, klein, so knauserig wie alle Geldleute, und nicht besonders ansehnlich. Wir nennen ihn unseren Kampfzwerg. Der Gnom dreht alle paar Wochen einmal durch. Dann wird vor versammelter Mannschaft immer ein anderer plattgemacht. Auch die ihm untergebenen Ärzte nimmt er sich vor. Aber nur am Telefon. Die sind ja nicht im Büro. Wir können ihn dann immer im Glaskasten brüllen hören: Nein Uwe, der Herzinfarkt kann muss sitzend fliegen, da reicht ein Sani, Kollege ist zu teuer! Die Leber fährt im Krankenwagen, und, Wen Lung, der Priapismus muss erst noch mal in den USA bleiben! Wäre ja schön, wenn wir jeden Schwanz immer gleich zurückholen! Wen Lung, wenn den Leuten schon am Flughafen von Kathmandu das Blut aus dem Maul trieft, ist das doch deren Problem, wenn sie den Everest nicht schaffen!   

Einmal im Jahr gibt es zum Ausgleich Party, da lässt er richtig was springen. Diesmal hat er ins Chada geladen. Büffet und Trinken bis Abwinken. Ich also rein in den Thailänder, sind erst ein paar Leute da, auch Wenzel, durch die Durchreiche sieht man Personal in der Küche arbeiten. Von Essen ist noch nichts zu sehen. An der Theke sitzt ein junger Asiate. Wahrscheinlich der Chef vom Laden. Neben ihm ist noch ein Hocker frei. Ich bestelle mir einen Wodka-O, fange ein Gespräch an:

„Hallo, Christof mein Name, war noch nie hier. Sind Sie denn schon lange in der Gärtnerstraße? Läuft der Laden? Und was gibt es denn heute so zu essen?“

„Grüß Gott. Dr. Wen Lung, Internist, Kardiologie und Intensiv. Arbeite für Wenzel, Sie sicher auch, oder?“

Nun habe ich es aufgegeben. Ich mache auf Solo, und sitze jetzt immer mit Lahme in der Cafete. Malle Rauchen, Kaffee, Frauengucken. Lahme promoviert seit vier Jahren in Linguistik. Da mangelt es nicht an interessantem Gesprächsstoff, wenn in den Vorlesungsstunden nichts zum Gucken kommt. Lahme meint, im Büro fiele ihm zur Diss sowieso nichts ein. Da guckt er lieber in der Cafete rum und zeichnet das ganze Jahr über Weihnachtsmänner, die sich untereinander prügeln.  Eigentlich sitzt er seit vier Jahren hier am Kaffeebecher. Und obwohl verheiratet, kann er es kaum lassen zu lästern, wenn Publikum kommt und geht. Weil er seit vier Jahren hier rumhockt, kennt er alle.

„Was ist mir der?“

„Zu blöd. Kriegt fachlich nix gebacken. Germanistik. Liest aber nichts.“

„Und die Große da?“

„Nicht mal Diplom. Nur Lehramt! Worüber soll ich mit der schon reden? Förderpläne?“

„Kennst du die große Rothaarige?“

„Wenn die ihren Müslischleim aus dem grünen Tupperbecher löffelt, wird mir immer ganz schlecht.“

„Und die Blonde neben Petersen?“

„Langweilig! Drei Bücher im Schrank, davon ist eines das Telefonbuch. Hält Goethe für ein Gedicht von Chiller.“

„Was hältst du von der Schwarzhaarigen?“

„Nichts. Die raucht nicht!“


***


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Christof Lais Sperl
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Der silberne Roboter


Beitrag13.07.2019 15:39
Fails. Extended Mix.
von Christof Lais Sperl
pdf-Datei Antworten mit Zitat

Ich habe noch ein paar Fails hinzugefügt. Das Leben besteht aus Pannen.

Epic Fails


Wer über gewisse Dinge den Verstand nicht verliert, der hat keinen zu verlieren.
Gotthold Ephraim Lessing



Der Vorname musste ins Unglück führen. Ob mir all das widerfahren wäre, wenn Mutter mir einen anderen gegeben hätte, weiß ich nicht. Für sie jedenfalls bequem, ihn durch die Gegend schmettern zu können. Sie hat ihn wohl nur deshalb gewählt, weil seine zwei Silben so gut zu rufen sind. I-O-I-O, so geht das den ganzen Tag. In der Grundschule haben sie mich immer Pisspott genannt. Christof,  Pisspott, ätschebätsche, gucktderblöde, hahaha.

Mit so einem Vornamen ist alles zum Scheitern verurteilt. Seit Lebensbeginn ist Unglück in ihm angelegt. Und weil ich, Murphys Gesetz entsprechend, allen Schlamassel magnetisch anziehe, sollte ich besser sterben gehen. Es ist daher Zeit für den testamentarischen Entschluss, das bisher Peinlichste zusammenzusuchen, und in die schriftliche Quarantäne zu stellen. Vielleicht hilft's. Die blödeste Sache habe ich für das Ende aufgespart, wenn nicht noch was dazwischenkommt.

Die kleine Ari-Jane habe ich im Jugendzentrum kennengelernt. Eigentlich darf sie ja nicht raus. Strenger Vater und so. Aber wenn es darum geht, den blöden Sabberboxer zum Kacken zu führen, ist Ari-Jane dann doch wieder gut genug. Sie hat traurige Augenbrauen und wenn sie einmal lacht, klingt das wie ein kurzes Aufjauchzen. Ihr älterer Bruder hört Maffay-LPs und ist zwölf Jahre bei der Bundeswehr verpflichtet. Peinlicher geht es ja schon nicht mehr. Wenn nichts zu Rauchen da ist, hören wir bei Ari-Jane Jarreau, Klaus Schulze und Dylan. Aber wenn wir bekifft sind, schleichen wir und in das Zimmer vom Bruder und hören den Maffay. Die Musik ist so bekloppt, dass wir Lachkrämpfe kriegen.

Du bist alles, wenn du giebst
Du verlierst dich, wenn du liehbst


Ari-Jane und ich machen Kissenschlachten. Und wenn wir erschöpft sind, sagt sie:

„Einmal im Leben H nehmen, das ist mein Traum. Den mache ich wahr. H ist die geilste Droge die es gibt. Sonst würden’s ja nicht so viele nehmen.“

Ich muss immer um elf heim.

Die Uni habe ich schnell durchgezogen. Frauenmäßig ging nämlich nichts. Also keine Ablenkung und genug Zeit zum Lernen. Franzmann Philippe und ich sind nach dem Studium in Schweden. Interrail bis zum Polarkreis und noch weiter. Campingplatz Kiruna. Das Zelt ist schon aufgebaut. Wir müssen noch mal in die Verwaltungsbude, um den Aufenthaltsschein abzuliefern. Ich gebe der jungen Frau hinterm Tresen den abgesegneten Wisch zurück.

„Eine Frage: Gib’s hier eigentlich auch Lappen? Ich würde gern mal welche sehen“, worauf die Frau sagt:

„Ja sicher, du stehst gerade vor einer.“

Muss ich schön bescheiden geguckt haben. Will man sich am liebsten vor den nächsten Rentierschlitten werfen.


Wir fahren zum Nordkap, und dann wieder südlich runter in einen Ort namens Boden. Neben uns urlaubt eine schwedische Familie mit zwei Teenagertöchtern: Kommt doch mal zum Abendbrot rüber. Vater sagt fast nichts, aber Muttern umso mehr. Dabei leert sie zu drei Vierteln eine große Flasche Whisky. Was sie beruflich macht? Sie kümmert sich um Jugendliche mit Alkoholproblemen. Da haben wir gelacht. Auch der Vater. Wir kriegen sogar den Familien-VOLVO. Eine der Töchter lenkt ihn in die nächste Disco, aber der Eintritt ist zu teuer. Also Spielplatz. Wohin auch sonst nachts in Boden?


Nummer eins ist ziemlich hübsch, die zwei weniger. Bei Philippe und mir ist das genauso. Er ist mit seinem französischen Schwarzkopf klarer Schwedinnengewinner. Die Hübsche grabscht ihn sich ohne lang rumzufackeln, und knutscht mit ihm unter der Rutsche. Hat sich den zu eigen gemacht, als wäre es die natürlichste Sache der Welt, ihn vor Nummer zwei noch schnell abzugreifen. Die und ich sitzen an genau gegenüberliegenden Stellen auf dem Rand vom Sandkasten. Sie quiekt und kichert, um mich zu ihr rüberzulocken. Ich mag sie aber einfach nicht. Rauche eine nach der anderen, und penne trotz der Kälte auch noch ein.

Am Morgen die komplette Familie am Bahnhof. Philippe drückt die Hübsche noch mal extra lange. Ich spüre den vorwurfsvollen Blick der Nummer zwei im Rücken kribbeln. Da drehe ich mich um und flüstere ihr zu, sorry, ich wäre eigentlich schwul. Sie prustet durch gespreizte Finger los. Der Zug kommt. Wir steigen ein. Philippe winkt noch durchs Fenster. So schlecht wie das gelogen war, hat sie mit Sicherheit nichts geglaubt.

Zurück in Deutschland. Fete bei Stahl. Ich lerne Claudia kennen. Offensichtlich schlagfertig. Immer den passenden Spruch parat. Die finde die richtig gut. Sie leert eine Flasche Weißherbst. Außer Weißherbst gäbe es für sie nichts Trinkbares. Und dann hätte sie auch noch einen LKW-Führerschein. Klasse zwei. Ich hab nur eins und drei. Also Moped und Auto. Sie sagt, sie hätte einen alten Audi 100. Das macht mich richtig fertig. Hübsche Mädchen in Lederjacken und dicken Autos. Toller Kontrast. Weiche blonde Locken über hart knirschenden Jacken - und eine runtergerockte Schüssel unten auf dem Parkstreifen. Für einmal fasse ich allen Mut zusammen:

"Claudia, darf ich in deinem Namen das a weglassen?"
"Nein, ich möchte ja nicht Cludia heißen!"

Ich sage zu Stahl: Ich geh dann mal, ich hab noch was anderes vor heute. Die Claudia grinst mir hinterher.


Ari-Jane war lange verschwunden. Nun ist sie zurück. War im Puff arbeiten und dort für das Perverse zuständig gewesen, wie sie sagt. „Arsch und so was“. Ihr kleiner Körper und die Seele sind haltlos und matt geworden. Sie wollen bei mir unterschlüpfen. Eine Auszeit vom H und dem Puff nehmen. Dafür soll mir „holen, was ich vorher nie gekriegt“ habe. Denn die Typen mit genügend Dope waren immer erfolgreicher gewesen. Nun läuft alles zu routiniert, das Ausziehen, die Gesten und Aufforderungen. Der siebzehnjährige, kleine, matte, widerstandslose und angeschlagene Körper wälzt sich über mich und fühlt sich an wie eine ranzige Fleischwelle. Ich kann das nicht. Was mich reizte, stößt mich ab. Ari-Jane weint, und als ich vom Klo zurück bin, ist sie für immer verloren und verschwunden.

Danach mal wieder Paris. Verrückt genug bin ich, mit einem Auto herumzufahren. Wo doch die Métro viel schneller und billiger ist. Wenn ich Leute mitnehme, und den Französinnen die Beifahrertür nicht gleich aufschließe, sind die richtig pikiert. In Deutschland schnippen die Frauen mir  zu, sie könnten ihre Tür selber aufmachen Muss auch erst mal gelernt werden, wie wann was zu tun sein soll. Man weiß ja nie, wo man dran ist. Ich komme in den verschiedenen Ländern immer durcheinander, und vermassele alles.

Bei ORION gibt’s P1. Das ist ein Pheromonspray. Einmal aufgetragen, soll das wie Hammer wirken. Aber nur auf Frauen, versteht sich. Ich habe mich für den Abend vorsorglich mit Tatjana verabredet. Die war in meiner Klasse der Star. Rote Mähne wie ein Poncho. Wir wollen ins Tutu. Im Rathauskeller. Ist immer verraucht und rappelvoll. Ich komme etwas früher, schmiere auf dem Klo erstmal kräftig P1 an den Hals, und dann in die Menge raus. Tatjana ist nirgends zu sehen. Ich mache ein paar Runden und schiebe mich durch die Massen. Auf einmal steht eine aus der Uni vor mir. Schwester von Frank Zusel oder so. Hat schon ein Kind, glaube ich. Das sind die Schlimmsten, sagt man. Tut ganz erfreut und umarmt mich mit ihrer Sülze. Die Musik ist laut, wir müssen uns ins Ohr brüllen. Jazzrock: Passport, Stanley Clarke und so was. Tatjana ist immer noch nicht da. Die Gegenwart ist ziemlich kräftig. Ich hab mit so welchen keine Erfahrung. Kräftig und jetzt auch noch rollig. Das verfluchte P1 hat gewirkt. Aber auf die Falsche. Kann man ja nicht steuern, bei welcher es auslösen soll. Und jetzt habe ich die Fette vom Zusel am Hals, und die zieht mich in ihr unablässiges Gelaber rein, hieße Alexa, schubst mich raus auf den Parkplatz. Da steht ihr BX. Ich könnte meinen am Tutu stehen lassen, kannst ihn ja morgen holen. BX rein, gerade kommt Tatjanas Polo um die Ecke, mir ist es jetzt zu peinlich noch mal auszusteigen und von Tatjana mit der Fetten erwischt zu werden. Wenn sie fragt, wo ich war, wird mir bis morgen noch was einfallen. Sie fährt mich zu sich, Kind schläft schon, nein rauchen darfst du hier nicht, komm mal hier hinein, ich soll mich sofort ausziehen, zwischen wilden Knutschattacken zerre ich mir alles vom Leib. Jetzt entblößt sie selbst ihre Massen, es ist um mich geschehen, das heißt, sie schmeißt mich in die Doppelkiste, wälzt sich, fließt wie Götterspeise über meinen Körper, „Baby du bist so schön schwer“ von den Zöllnern kommt mir in den Sinn, doch von schön kann keine Rede sein, da geht nichts, passiert nichts, krieg ich keine Luft. Zum Glück schon so besoffen, dass ich ganz schnell einpennen kann. Das Schlimmste sind das Frühstückschweigen am nächsten Morgen und die Fahrt zum Parkplatz vom Tutu. Da steht ja meine Karre noch.

Mein alter WG-Kumpel Helmi kriegt es besser hin, obwohl der als Schrauber von Frankreich uns so weiter null Peilung hat. Aber dafür hat er alles im Blut. Wo ich lange rumstottere und Blödsinn erzähle, genügen ihm Blicke und Gesten. Darin kann er Gedanken lesen. Sogar mit der Audi-100-Claudia hatte er mal was. Wir bewohnen eine 3 ZKB, das kleinste Zimmer ist Gitarren- und Verstärkerraum.

Silversterparty bei Nachbarn. Helmi ist schon um acht an einer dran. Um zehn wird's ernst. Ich bin an dem Abend mal wieder komplett leer ausgegangen, aber schon vor zwölf ziemlich voll heimgekommen. Er kommt mit der Frau etwas später, sie machen die ganze Nacht im Gitarrenzimmer rum. Ich kann kein Auge zukriegen. Vor allem, weil die so laut und seltsam keuchen, dass ich mir gar nicht vorstellen kann, was die genau tun. Sicher mal wieder Dinge, von denen ich noch keine Ahnung habe.


Bin jetzt mit der Uni fertig. Job als wissenschaftlicher Mitarbeiter. Bibliothek, Fernleihe, bestellen, kopieren, Messungen im Labor machen, in den USA rumtelefonieren. Mit Kollegen einen Psycholinguistik-Kongress organisieren.   

Ein paar Monate später trudeln alle Professoren zum Kongress ein, darunter eine Mittfünfzigerglatze mit einer Jungschen im Schlepptau: Blondes Langhaar, pechschwarze Augen. Ich stehe an der Rezeption, beide kommen zu meinem Empfangstisch rüber, Unterlagen holen. Der Professor hat zwar schon ein Schild am Jackett, aber ich glotze nur auf die Kollegin und erkenne den Namen nicht richtig. Begrüße beide auf Englisch, ein paar Floskeln, wie man sie sich in solcher Lage zusammenstottert. Nice weather, waren Sie schon mal in Deutschland? Sie gehen mit erstauntem Blick weiter. Anhand der Anwesenheitsliste erkenne ich hinter einer Schweißstirn, dass es zwei Top-Germanisten aus Amerika sind. Und zwar weltweit die berühmtesten Groß-Wissenschaftler überhaupt. Knapp hinter Chomsky. Zum Glück muss ich mich sofort um ein paar enthusiastisch nickende Japaner kümmern. So kann ich Schmach abladen. Ich schreibe ich mich trotzdem in alle Veranstaltungen der Blonden ein, und höre am Nachmittag und in der ersten Reihe extra aufmerksam zu. Auf konzentriert tun kann ich ziemlich gut. Aber egal, bei der war ich wahrscheinlich nur noch der Vollidiot, der die Giganten der Wissenschaft in schlechtem Englisch anspricht.


Auch Stahl will Mädels kennenlernen, und hat an der Uni ein Spaß-Plakat aufgehängt:

                                     NUR FÜR FRAUEN!!!
                       TROMMEL DICH FREI IN DER TOSKANA!

Darunter seine Telefonnummer. Es rufen tatsächlich massenweise Frauen an. Als er sie aufklärt, nur ein Spaß, werden sie fuchsteufelswild. Sie haben seine Daten organisiert. Bei Meldebehörde und Post angerufen, Rufnummer samt Adresse ermitteln lassen. Es sieht aus, als wollten sie ihn lynchen. Aus Sicherheitsgründen ist  er vorübergehend zu uns in die WG gezogen. Ins Gitarrenzimmer.

Ich probiere mal was Klassisches aus:  Antwort auf eine Uni-Kontaktanzeige. Mit Passbild aus dem Automaten. Sitze aufgeregt in der Cafete, rauche Samson Halfzware, und warte auf was kommt. Schüttet mir auf einmal eine Kurzhaarige einen Becher Cola über den Kopf, ich springe auf, sie schubst mir den Stuhl vor die Füße, haut ab. Muss eine Fake-Anzeige gewesen sein, um den Männern mal zu zeigen, was sie für Arschlöcher sind, wenn sie auf Annoncen antworten. Ich stehe wie ein Denkmal in der Cafete, die Meute glotzt. Das übliche Klappern von Besteck und Geschirr erstirbt. Es ist, als hätte jemand die Musik ausgeschaltet und die Kette gezogen: Der Tag verschwindet in einem trüben Abflussstrudel.   

Fange als Bundfaltenhose mit Goldknopfleiste im Schlosshotel an. Porsches einparken, Koffer schleppen, Thermometer ablesen, Spülern die Teller hinräumen und Küchenabfall in stinkende Tonnen schmeißen. Knallharte Hotelhackordnung. Jeder macht jeden fertig, und die Spüler sind die Letzten. Wenn von oben gedisst wird, können sie nicht mehr weiter nach unten treten, nur noch um sich beißen.
   
Hoteltag zwei. Hausdiener drei lockt mich zum Bier in den Kakerlaken-Keller: Können hier alle Bier trinken, kein Problem. Hausdiener drei und ich Pagenfigur am Bier. Literglas zu zweit. Der Page, also ich, nimmt gerade einen großen Schluck, als sich die Tür öffnet, und ein Spüler reinguckt. Der Hausdiener drei verpisst sich wie angebrannte Katze, die Tusse von der Rezeption klingelt am Haustelefon: In drei Minuten zum Chef hoch. Ich stehe dumm im Büro rum, drehe die Schlosshotel-Mütze in den Händen. Das war ein ganz schlechter Beginn, Herr Ähm, darf nicht wieder vorkommen, während der Dienstzeit strikt verboten, und überhaupt, wo kämen wir denn hin. Ich bin so fassungslos, dass keine Sprache mehr kommt.


Nach ein paar Monaten also wieder Paris. Immer, wenn nichts mehr weitergeht, Paris. Aber diesmal hartes Pflaster: Achtzehnter Bezirk. Da lässt niemand Elektronikverpackungen zum Wegschmeißen von der Tür stehen. Denn dann kommen gleich welche, die das zugehörige Gerät aus der Wohnung räumen. Auch tagsüber. Koks verkaufen sie in gegrillten Maiskolben, finstere Straßenstreuner stehen in billigen Jacketts herum, dazu Verhüllte, aggressive Hütchenspieler, Verrückte, die in der Métro rumschreien, und dabei Musiker und das Schienengeheul übertönen. Die aus dem Achtzehnten reden anders als Leute aus dem Zwanzigsten. Und überall 3615-Plakate.

Zeitung Libération geholt, Stellenanzeigen. Steige ein bei SFA. Weltweit Schadenfälle am laufenden Band multilingual abarbeiten. Überm Tisch riesige Aktentonnen mit Drehachse. Da kann man sich ganz schnell die richtige Akte ziehen, wenn einer mit seinen Problemen anruft. Ein paar immerzu genervte, aufgetakelte Weiber in Glaskästen als Aufsicht über die Headset-Telefonsklaven. Gereiztes Mosern ist Pariser Standard und macht die tonangebende Kategorie von Pariserinnen cool. Manchmal stöckeln sie auf den Balkon, eine Gauloise Blonde durchziehen.


Im Sommer brauchen wir Personal. Also großer Bewerbertag, wer wen Gutes kennt, unbedingt einladen. Ich rufe die hübsche Christine an, die ist zwar meistens bekifft, kann aber Englisch und hat eine gute Stimme, tagsüber könnte sie den Job hinkriegen. Ihr Typ bin ich leider nicht, also wäre an der Arbeit alles unverfänglich. Am Nachmittag gibt es Häppchen und Sekt. Ich schiebe Christine ein bisschen rum und stelle sie den Leuten vor. Auf einmal ist sie nicht mehr zu sehen. Neben mir steht der angeschickerte Capellaro. Personaler. Hat seinen sentimentalen Tag, greift mich am Unterarm, und schwallt mich wegen seiner Frau voll, erzählt von seiner Karriere, die er als Manager in einem Dritte-Welt-Laden begonnen hat. Hört sich ziemlich albern an: CEO der Jutetaschen.

Christine, die ich gerade bei Capellaro in höchsten Tönen angepriesen habe, taucht wieder auf und beginnt sich am Sekt zu besaufen. Das heißt, sie ist jetzt schon stramm. Raucht eine nach der anderen, und lacht schrill auf. Mit ihren blonden Haaren und den schwarzen Augen macht sie ziemlich was her. Aber das Schöne beginnt sich in etwas Exzentrischem aufzulösen. Jetzt kommt sie auf uns zu. Glaubt, Capellaro sei ein Kumpel von mir. Duzt den auch noch. Noch schlimmer: Schulterklopfen. Zum Glück hört der in dem Stimmengewirr nicht viel von ihrer Quatscherei, glotzt Christine aber unablässig an. Ich bugsiere sie zum Aufzug, wir fahren in den Zweiten. Unterwegs kotzt sie die Kabine voll. Hole ein paar Zewas aus der Kaffeküche und schrubbe den Lift. Soll auch Eindruck auf Christine machen, die ich vielleicht durch diesen übelriechenden Liebesbeweis doch noch irgendwann später mal rumkriegen kann. Nun fährt das Ding, obwohl ich den Blockierschalter umgelegt habe, nach unten. Christine hat das Gleichgewicht verloren, und den Blockierknopf im Sturz mit der Schulter wieder deaktiviert. Ich konnte noch nicht alles wegwischen. Christine liegt grinsend in einer Lache aus Erbrochenem und ein wenig Blut. Ich behämmere den Schalter FERMER wie einen Flipperknopf. Doch der Lift öffnet sich mit hellsilbernem Blechgeklapper, durch die Öffnung stiert im Hochformat das Management. Wie Orgelpfeifen steht die Führungsriege herum. Sie haben Christine trotzdem genommen. Auf ausdrücklichen Wunsch von Capellaro.

In der Woche darauf Party bei Isabelle. Vorstadtsiedlung. Mit ein paar Hübschen. Kolleginnen, Nachbarinnen, Yoga-Freundinnen und weiteren Leuten. Ich rechne mir nicht die geringsten Chancen aus, als ich das Wohnzimmer betrete. Mein Gespür für die Grenze des Unerreichbaren. Die Mädchen liegen alle überm Limit  - Nummern zu gut für mich. Außerdem kann ich Laurent und Tarik in der Küche ausmachen: Zwei Schwerenöter, die alles abräumen. Die Türöffnung gibt den Blick auf einen Teil des Tisches frei. Ein Joint kreist. Tarik ist ganz der orientalische Zuckerschleimer. Und keiner kapiert, wie Laurent das immer macht, ohne viel Gerede punktgenau und maßgeschneidert einlullen zu können. Liegt wahrscheinlich an seinem gefährlich langen Mantel.

Raus in die lauwarme Oktobernacht. Laurent salbadert auf Isabelle ein, eine schlanke Rothaarige mit hüftlangem Haar und Sommersprossen bis unter die Fingernägel. Tarik hat sich Ariane vorgenommen, sie machen im Bushäuschen rum. Arianes Haar hängt vor Tariks Gesicht herab. Ich stehe dumm rum und rauche. Glas nur in Hüfthöhe, das macht sich besser. Aber für wen?

Einige der Gäste stehen im Pulk auf der gegenüberliegenden Straßenseite und gucken zu, wie ein Mann versucht, einen altersschwachen Ami 6 anzulassen. Oben auf dem Bushäuschen gluckst und giggelt es herum. Gucke hoch. Bin Catherine. Eine dicke Mütze rückt ins Licht. Ich soll ihr eine Zigarette geben und werfe ihr mein Päckchen Graven aufs Dach hoch. Laurent kommt auf mich zu, macht eine Geste mit der erhobenen Handfläche.  Isabelle bleibt stehen, und schleudert ihr Haar hinter die linke Schulter. Laurent ganz nah an mir dran: Die will was von dir. Wenn die so rumalbern, dann brauchst du nicht mehr lange zu warten. Was soll ich denn tun? Laurent meint, vom Bushäuschen runterhelfen und ein bisschen spazieren und  reden. Läuft dann alles von selber. Ich helfe dem Mädchen Catherine mit einer englischen Leiter runter, weiß gar nicht, wie sie da hochgekommen ist. Sie steht im orangefarbenen Licht der Straßenlaterne. Ein Risikotyp. Die Art praktische kleine Krankenschwester. Nicht so meins, aber trotzdem ganz gut. Sie nimmt mich mit in ihre Wohnung direkt über der von Isabelle. Alles voller Bilder. Wir trinken Schampus und rauchen eine. Doch doch, sehr nett anzusehen, das Mädchen. Die schwarzen Augen. Mütze hat sie immer noch auf. Wir ziehen uns gegenseitig aus, sie trägt nur Sachen mit Knöpfen und Reißverschlüssen, da muss nichts übergestreift werden. Sie fängt an, französisches Englisch zu sprechen: Warum das denn? Wenn ich Sex habe, rede ich Englisch, war schon immer so. Kisse mie, äfriwähr. Englisch, Alkohol und Bilder bringen mich durcheinander. Wir stehen Gesicht an Gesicht. Ich kann spüren, wie mein Pimmel ihren Bauch berührt, und umfasse Catherines Nacken. Die Mütze fällt herunter. Der Griff fühlt sich leicht wie Luft an. Es ist, als langte ich ins Leere: Geschorener Hinterkopf, kurzes Haar. Catherine zieht mich aufs Bett, wälzt sich über mich und reibt sich Englisch sprechend an mir. Nun beginne ich, überwältigt, zu schwitzen. Übelkeit kriecht korkenzieherförmig und langsam in meiner Speiseröhre hoch: Es regt sich nichts. Was mich lähmt, ist das Kurzhaar,  Mähne bedeutet alles. Da kann mir ohne keine kommen. Mit Kurzhaarmädchen ist für mich fast schon wie Mann und Mann. Entschuldige mich, liegt nicht an dir, ich kann auch nichts dafür. Catherines Kopfschütteln, wir rauchen noch eine, kann nicht in der Bude bleiben, sitze bis zum Morgengrauen kotzübel an der verlassenen Haltestelle.   


An der Arbeit ist Assane mein bester Kollege. Germanist. Zentralafrika. Pechschwarz, gelassen und mit Wiener Studium. A gmahte Wiesn ist für den sprachlich kein Problem. Das ist immer lustig, Afrikaner und grüß Gott gnä' Frau. Die Firma will mich  nach München schicken. Filiale aufbauen. Da wäre mir Assane als Kollege gerade recht. Einmal in München, will ich ihn nachholen. Habe schon ein gutes Team zusammen. In eine Münchner Firma integriert. Sammelsurium aus ewigen Studenten, Dolmetschern, Leuten mit seltsamen Abschlüssen und  Fachabiturienten ohne Perspektiven. Assane hat schon die Wohnung gekündigt, und in Frankreich auch sonst alles abgemeldet. Sitzt mit seiner Frau auf gepackten Koffern.

Mein neuer Chef mag keine Verbesserungsvorschläge, der Prophet im Unternehmen ist schlecht, sagt er, ich war früher selber Marxist, ich kenn mich aus, deshalb bin ich hier gleichzeitig Boss und Betriebsrat in Personalunion. Gewerkschaften braucht deshalb auch keiner. Er fragt täglich nach Assane. Ich kann wegen der Arbeitsgenehmigung ja auch nur in diesem blöden Kreisverwaltungsreferat anrufen. Doch obwohl die da alle selber schwarz sind, wollen sie in Bayern keine richtigen Schwarzen zum Arbeiten haben, blockieren, wo geht. Nach vier Wochen platzt dem Alten der Kragen: Herrn Assane anrufen, absagen. Rufe seine Pariser Nummer, die französischen Nummern habe ich immer auf Französisch im Kopf, tut mir leid, Chef will nicht mehr. Assane sagt nichts, legt auch nicht auf, während sich ein dunkler Fortschrittsbalken der absoluten Stille ins Gesichtsfeld schiebt.


Manche müssen Platten kaufen, andere bekommen Tapes davon geschenkt. In der Firma ist ein Mädchen, dem dutzende Leute Compilations am laufenden Band zusammenstellen. Einen Teil davon hat sie in der Handtasche. In ihrer kleinen Künstlerwohnung türmt sich der Rest:  Liebevoll gestaltete Cassettenhüllen, die Inlays mit dem PC ausgedruckt und mit Fotos versehen. Sie selbst kann über die neuesten Arto Lindsays oder Björks reden, weil sie eben immer alles hat. Renaldo and the Loaf, Neubauten, Pixies, Negativland, Malaria und Throbbing Christle kann man in ihrem Cassettenhaufen aufstöbern, die Residents sind fast schon Mainstream. Mich hat sie natürlich auch in der Mache. Ich habe nämlich ein Auto. Gut zu wissen, für irgendwelche IKEA-Transportaufgaben und so was. Sie sieht richtig gut aus, und ist vor allem clever. Liest zwar nie was, gibt nur weiter, was andere ihr über Bücher berichtet haben, kann das aber so tun, als hätte sie alles selbst durchgeackert. Ich nehme ihr auch was auf, bringt Punkte, da bittet sie mich, sie zu einer Vernissage nach Oberschleißheim zu fahren, klimperklimperklimper. Mit der Aussicht auf einen Abend mit anschließendem Nachhausebringen sage ich natürlich nicht nein.

Manche haben einen Kompass im Kopf. Mit meinem Orientierungssinn ist das aber so eine Sache. Wo bei anderen Mathematik und Navi sitzen, ist bei mir ein Loch im Hirn. Um nach Oberschleißheim zu gelangen, muss man eigentlich nur die öde Leopoldstraße, und dann die Ingolstädter langfahren, dann war’s das. In München kennt jeder Chinese nach einer Woche die Ingolstädter, aber nicht ich. Okay, die Leopold geht noch, aber bei der Ingolstädter begehe ich einen Fehler. Irgendein blödes Schild. Wir gelangen zu Panzerwiese, Feldmoching, nur dieses verkackte Oberschleißheim taucht nirgends auf. Mitten im Winter fange ich an zu schwitzen. Haltenkuppelnersterzweiterampelabbiegen. Sie raucht daneben schweigend Kette. Der Kippengestank mischt sich mit warmer Heizungsluft.



„Wir fahren schon stundenlang rum. Dürfte doch nicht so schwer sein, dieses
Oberschleißheimding mal jetzt zu finden. Da ist eine wichtige Vernissage. Oberschleißheim, das kennt in München doch jeder, Mann.“    

„Du bist doch die Münchnerin. Sag mir einfach, wo’s langgeht. Dann fahre ich dich meinetwegen bis Moskau. Ich kenne die Straßen nicht.“

„Was heißt denn hier Münchnerin? Bin ja auch keine von den richtigen Locals. Mit den Öffentlichen kenne ich alles. Aber im Auto?“

„Mädchen, ich bin unfähig, dieses verdammte Oberschleißheim zu finden. Kapierst du das? Ich bin da der falsche Mann.  Hier sieht ja alles gleich aus. Kein Schild, kein Nix. Ich lasse es. Ich geb dir Geld für ein Taxi.“

Was für eine blöde Idee. Mein Geld. Ihr Taxi.

„Fahr mich heim.“

Merkwürdig, dass ich sofort den Heimweg finde. Da macht sie noch saurer. Sie verlässt das Auto und knallt die Beifahrertür zu. Sicherlich hätte jeder der anderen bescheuerten Cassettenaufnehmer dieses Kaff gefunden, nur ich mal wieder nicht.


Im Sommer nach San Francisco. Konzert der Residents. Ihr wisst schon, die mit den selbstgebauten Instrumenten und den zylindergekrönten Augenmasken. Vor der Hotelrezeption warten ein paar Typen und drehen Augenmodelle in der Hand. Sicherlich auch Residents-Fans.

„Bist du auch zum Residents-Konzert hier?“
„Was für ein Konzert? Wir sind vom Ophtalmologen-Kongress.“

Das Konzert war trotzdem gut.

In der Firma gibt es den normalen Chef und einen medizinischen Leiter. Der Ex-Marxist kümmert sich um Verträge und Businesskram. Der Arzt passt auf, dass unsere Entscheidungen heilkünsterlisch vertretbar sind. Er heißt Wenzel, ist Zyniker, klein, so knauserig wie alle Geldleute, und nicht besonders ansehnlich. Wir nennen ihn unseren Kampfzwerg. Der Gnom dreht alle paar Wochen einmal durch. Dann wird vor versammelter Mannschaft immer ein anderer plattgemacht. Auch die ihm untergebenen Ärzte nimmt er sich vor. Aber nur am Telefon. Die sind ja nicht im Büro. Wir können ihn dann immer im Glaskasten brüllen hören: Nein Uwe, der Herzinfarkt kann muss sitzend fliegen, da reicht ein Sani, Kollege ist zu teuer! Die Leber fährt im Krankenwagen, und, Wen Lung, der Priapismus muss erst noch mal in den USA bleiben! Wäre ja schön, wenn wir jeden Schwanz immer gleich zurückholen! Wen Lung, wenn den Leuten schon am Flughafen von Kathmandu das Blut aus dem Maul trieft, ist das doch deren Problem, wenn sie den Everest nicht schaffen!   

Einmal im Jahr gibt es zum Ausgleich Party, da lässt er richtig was springen. Diesmal hat er ins Chada geladen. Büffet und Trinken bis Abwinken. Ich also rein in den Thailänder, sind erst ein paar Leute da, auch Wenzel, durch die Durchreiche sieht man Personal in der Küche arbeiten. Von Essen ist noch nichts zu sehen. An der Theke sitzt ein junger Asiate. Wahrscheinlich der Chef vom Laden. Neben ihm ist noch ein Hocker frei. Ich bestelle mir einen Wodka-O, fange ein Gespräch an:

„Hallo, Christof mein Name, war noch nie hier. Sind Sie denn schon lange in der Gärtnerstraße? Läuft der Laden? Und was gibt es denn heute so zu essen?“

„Grüß Gott. Dr. Wen Lung, Internist, Kardiologie und Intensiv. Arbeite für Wenzel, Sie sicher auch, oder?“


Nun habe ich es aufgegeben. Ich mache auf Solo, und sitze jetzt immer mit Lahme in der Cafete. Malle Rauchen, Kaffee, Frauengucken. Lahme promoviert seit vier Jahren in Linguistik. Da mangelt es nicht an interessantem Gesprächsstoff, wenn in den Vorlesungsstunden nichts zum Gucken kommt. Lahme meint, im Büro fiele ihm zur Diss sowieso nichts ein. Da guckt er lieber in der Cafete rum und zeichnet das ganze Jahr über Weihnachtsmänner, die sich verprügeln.  Eigentlich sitzt er seit vier Jahren hier am Kaffeebecher. Und obwohl verheiratet, kann er es kaum lassen zu lästern, wenn Publikum kommt und geht. Weil er seit vier Jahren hier rumhockt, kennt er alle.

„Was ist mir der?“

„Zu blöd. Kriegt fachlich nix gebacken. Germanistik. Liest aber nichts.“

„Und die Große da?“

„Nicht mal Diplom. Nur Lehramt! Worüber soll ich mit der schon reden? Förderpläne?“

„Kennst du die große Rothaarige?“

„Wenn die ihren Müslischleim aus dem grünen Tupperbecher löffelt, wird mir immer ganz schlecht.“

„Und die Blonde neben Petersen?“

„Langweilig! Drei Bücher im Schrank, davon ist eines das Telefonbuch. Hält Goethe für ein Gedicht von Chiller.“

„Was hältst du von der Schwarzhaarigen?“

„Nichts. Die raucht nicht!“


***


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Lais
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Gast







Beitrag21.03.2022 16:30

von Gast
Antworten mit Zitat

Du liebe Güte, welch ein Erzähl-Tempo! "Eingedampft" und aufs Nötigste reduziert ... daher ähnlich atemlos und an einem Stück gelesen.
Dieser Ich-Erzähler mäandert von amüsanten, jugendlichen Insterburg-Erinnerungen(ich liebte ein Mädchen in Offenbach, die hat mir einst in die Fresse gelacht ...) zu peinlichen Versagensängsten des Heranwachsenden bis zu den wirklich peinlichen Auftritten des erwachsenen Ich-Erzählers: Ich bin ihm auf seiner Tour durch die Blamagen des Lebens sehr, sehr gerne gefolgt: amüsiert grinsend, zuweilen fremdschämend, durch manche Niederträchtigkeit der Kollegen durchempört, aber auch leise staunend.



"Claudia, darf ich in deinem Namen das a weglassen?"
"Nein, ich möchte ja nicht Cludia heißen!"

 Laughing
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Abari
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Alter: 43
Beiträge: 1838
Wohnort: ich-jetzt-hier
Der bronzene Durchblick


Beitrag21.03.2022 17:41

von Abari
Antworten mit Zitat

Hey,

die Idee ist gut. Ich mag den Text grundsätzlich.

Allerdings strengt mich das Parataxenstaccato teilweise an. Ja, es charakterisiert vielleicht die Figur als rastlosen, unausgegorenen Geist und vielleicht ist es Dein, für Dich genau richtiger Stiefel. Aber für mich ist es an mancher Stelle "over the Top", weil es zT gar keine Sätze mehr sind (wie Chomsky womöglich anmerken würde wink ) und mir das stete Auffüllen zu "vollständigen" Sätzen Ressourcen raubt und meinen Lesefluss eher hemmt.

Freilich wirkt es dadurch gehetzt, so wie sich die Figur durchs Leben hetzt und stolpert. Aber dennoch könnte ich mir hier und da ein wenig mehr Satzfluss vorstellen.

Was mir wirklich gefällt, ist die Konzentriertheit des Textes bei gleichzeitigem scheinbaren mäandrieren an der Textoberfläche und scheinbar fehlender Struktur. Es ist halt eine der modernen Erzählweisen, die sich von der klassischen Stringenz verabschiedet haben.


_________________
Das zeigt Dir lediglich meine persönliche, höchst subjektive Meinung.
Ich mache (mir) bewusst, damit ich bewusst machen kann.

LG
Abari
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Christof Lais Sperl
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Alter: 62
Beiträge: 942
Wohnort: Hangover
Der silberne Roboter


Beitrag25.03.2022 16:45
Abari
von Christof Lais Sperl
pdf-Datei Antworten mit Zitat

Grundsätzlich gebe ich Dir recht. Das ist eine Grundlage für eine Neubearbeitung, die schon länger schläft! Aber bald kommt Neues! Very Happy

_________________
Lais
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John McCrea
Geschlecht:männlichLeseratte

Alter: 50
Beiträge: 152
Wohnort: OWL


Beitrag26.03.2022 11:46

von John McCrea
Antworten mit Zitat

Hi Christof,

ich kann mich meinen Vorrednern soweit, logisch nachvollziehend, anschließen.

Der Text beeindruckt mich.

Es ist erstaunlich, dass der Text soweit für mich funktioniert, da er extrem verdichtet, nach und nach vielleicht eine Thematik herausarbeitet.
Ich bin mir allerdings nicht sicher und würde daher weiterlesen wollen.
Der Weg kann auch das Ziel sein.
Es ist überraschend, dass der Text funktioniert, da er eine ordentliche Zeitspanne umfasst, welche aber tatsächlich abgedeckt wird. Und das durch eine Erzählweise, welche einem "stream of consciousness" sehr nahe kommt.

Überraschend gut funktioniert das leicht mäandernde, hohe Tempo, dass Du aufwirfst.

Ich kann mich mit dem Erzähler-Ich identifizieren, aber er raubt mir ebenfalls Kraft.


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