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schoele
Geschlecht:männlichGänsefüßchen
S


Beiträge: 26



S
Beitrag24.11.2021 13:37
Kamtschatka
von schoele
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Hier ist ein erster Entwurf einer Kurzgeschichte, zu welcher ich Feedback benötige smile Mehrere kritische Blicke würden mir sehr beim Weiterentwickeln helfen. Ich hoffe, dass die Geschichte nicht allzu lang ist, und dass es nicht allzu viele Grammatik- und Rechtschreibfehler gibt.

Vor einigen Jahren starb meine Katze Käthe. Sie hörte plötzlich auf zu essen und zu trinken, von ein auf den anderen Tag. Kurz bevor sie starb, zog sie sich zurück, sie lag unter dem Bett meiner Mutter. In ihrer letzten Nacht hatte ich mich auf den Boden, neben dem Bett meiner Mutter, gelegen und neben ihr geschlafen. Ich wollte nicht, dass sie alleine ist und schließlich schliefen wir beide fast jede Nacht zusammen, sie schlief immer am Fußende meines Bettes, zufrieden und ruhig, manchmal schlief sie schnurrend ein. Ich wollte auch nicht, dass sie alleine stirbt. Das wollte ich sie wissen lassen.
Am Morgen, an dem sie starb, kam sie unter dem Bett hervorgekrochen und hatte sich in der Mitte des Schlafzimmers meiner Mutter verdreht hingelegt. Ich dachte, sie lag so, weil sie schmerzen hatte. Meine Mutter meinte auch, dass sie Schmerzen habe. Ich wusste, dass sie nun sterben werde.
Als sie starb, hatte ich mich neben sie gelegt, sie gestreichelt und geweint. Ich umrandete vorsichtig das verschwommene Herz, was auf ihrem Fell gezeichnet war. Nachdem sie reglos war, und ich mir sicher seien konnte, dass sie gerade gestorben war, flüsterte ich ihr ins Ohr, dass ich sie immer lieb haben werde. Sie hat mich immer verstanden, wenn ich zu ihr sprach und sie antwortete sogar. Dies mal antwortete sie nicht, aber ich war mir sicher, dass sie das gehört hat. Das Gehör ist der Sinn, der sich als letztes ausschaltet.
Danach haben wir sie abgedeckt mit einem weißen Tuch, mein Hund hatte sich mit einem Spielzeug neben ihr gelegt und winselte leicht und schmerzvoll. Wir öffneten das Fenster, damit ihre Seele rausfliegen kann und meine Mutter umarmte mich ganz fest, während ich weinte.

Ich saß in einem heruntergekommenen Polizei-Sowjetbau, der noch immer eine Polizeistation war. Das Verhörzimmer war auch heruntergekommen, alt und kalt. Ich glaub, das lag an dem weiß-kühlen Licht, eine lieblose Neonröhre, welche von oben auf die Übersetzerin und mich schien. Die Wände waren bemalt mit weißer und klinisch hellblauer Farbe. An einigen Stellen an der Wand bröckelte der Putz schon ab, vielleicht hat jemand mal dagegen geschlagen. Der Polizist hatte vor wenigen Augenblicken das Zimmer verlassen, um der Übersetzerin, mir und ihm selbst Kaffee zu holen. Meine Hände waren auf dem ollen kalten Metalltisch abgelegt, aber inzwischen war es warm an der Stelle, wo meine Hände lagen. Gegenüber von mir war der Stuhl, auf dem noch eben der Polizist saß, zu meiner Linken saß die hübsche Übersetzerin. Sie war wirklich sehr schön, sie hatte lange honigfarbene Haare, sie trug eine schöne Bluse, mit einem Ausschnitt, der genug von ihren Brüsten zeigte, um mehr erahnen zu können, und einen engen Rock, der vor ihren Knien endete. Als sie bemerkte, dass ich sie beobachtete, lächelte sie mich charmant und berührt an, ich lächelte zurück. Sie wandte daraufhin wieder ihren Blick ab und ich auch. Wir schwiegen. Rechts von mir war das verspiegelte Fenster, hinter dem, wie vermutete, niemand stand.
Der Polizist öffnete die alte quietschende Tür und kam mit drei Tassen herein. Zwei in einer Hand und die andere in der anderen Hand. Die Tür fiel hinter ihm wieder zu. Er hatte ein breites und flaches Gesicht, mit schwarzen Haaren und Monolid. Ich glaube, er war Korjake. Er stellte die erste Tasse vor der Übersetzerin auf den Tisch, die zweite vor mir und dann setzte er sich etwas fallend träge auf seinen Stuhl und hielt seine Tasse im Schoß. Er schaute mich und dann die Übersetzerin an, dann in seine Tasse und dann nochmals mich und die Übersetzerin. Anscheinend war er ein wenig beklemmt. Ich war’s auch.
Wir fingen an mit der Befragung. Er meinte, ich solle einfach drauf los erzählen. Als er das auf russisch sagte, klang das abwartend und ruhig. Kein Aufnahmegerät, nur ein Papierblock, auf dem der Polizist ab und zu etwas drauf schrieb, schon fast wie ein Psychotherapeut.
Ich fing an darüber zu erzählen, dass ich in Petropawlowsk sei für eine Recherche, es ging um die Umweltkatastrophe 2020 in der Awatscha-Bucht, dass ich aus Deutschland komme, wie alt ich sei, wo ich genau wohne, für wen ich arbeitete. Die Übersetzerin war sehr flink, unterbrach mich schon fast. Der Korjake hatte bloß genickt. Sie schaute ihn an, nahm das Nicken auf, und gab es an mich weiter. Ich schwieg kurz, denn ich versuchte alles in meinem Kopf aufzusammeln. Die Erinnerung an sein Anblick schmerzte mir, vor allem im Herzen. Ich nippte von meinem Kaffee, welcher scheußlich schmeckte. Unfassbar sauer und bitter. Ich fing an über ihn zu reden.
Ich sah ihn hier öfters. Einmal saßen wir gleichzeitig in einer Teestube, ich trank Kaffee und er hatte Tee getrunken. Er bewegte sich ziemlich zügig und zielgerichtet, wenn er über die Straßen lief, man merkte, dass er aus einer Großstadt kam. Er stach auch sehr hervor durch seine Klamotten, sehr europäisch-modisch. Aber auch was anderes machte ihn auffällig; er sah traurig aus und abgeschlossen. Eigentlich wollte ich ihn ansprechen, aber ich habe mich nicht getraut. Ich dächte, wenn ich ihn angesprochen würde, wäre es so gewesen, als hätte ich was geöffnet, was eigentlich zu bleiben sollte. Ich schaute ihn mir gerne an, immer wenn ich ihn sah. Ich sah ihn jeden Tag, an unterschiedlichen Orten, zu unterschiedlichen Zeiten, als seien wir verbunden. Ganz komisch. Ich pausierte kurz, aber ich merkte, wie ergriffen ich war von ihm. Wenn ich über ihn redete, fühlte es sich so lebendig an, als würde ich ihn schon ewig kennen.
Die Übersetzerin tat ihre Übersetzung, ich fuhr fort. Das erste Mal als er mir aufgefallen ist, war in Moskau. Dort saßen wir im gleichen Wartebereich, denn wir mussten 11 Stunden auf unseren Anschlussflug nach Petropawlowsk warten. Er ist mir erst dort aufgefallen, ich hätte aber nicht gedacht, dass ein so junger Mann nach Kamtschatka fliegen würde. Er war vielleicht 20 Jahre alt, ein Alter, wo man eher nach Istanbul, Paris oder so fliegt, wo viel Leben ist. Das machte ihn aber interessanter, dass er alleine hierher flog, es war so deplatziert und unpassend. Ich hab mich ab und zu umgesehen nach ihm, als wir da saßen, gemeinsam aber entfernt voneinander. Er saß nur da und hörte Musik, schaute mit leerem Blick vor sich. Ab und zu holte er ein Buch hervor aus seinem Beutel, las kurz, packte es wieder weg, als könne er sich nicht konzentrieren. Mal verschwand er auch, kam dann aber wieder. Es war auch ein kompliziertes Buch, jemand erzählte mir schon mal davon. Er versuchte auch zu schlafen. Als ich dann realisierte, dass er mit mir nach Petropawlowsk fliegt, war meine Aufmerksamkeit vollkommen auf ihn gerichtet.
Die Übersetzerin unterbrach mich mit einer leichten Geste und sagte zart zu mir, dass sie jetzt gerne Übersetzen würde. Ich nickte ihr lächelnd zu. Mich verwunderte, dass der Polizist alles nur aufnahm und nicht fragte, aber er notierte auf seinem Block.
Der Korjake sagte, ich solle bitte nun dazu kommen, wie ich ihn fand.
Ich stand früh auf, so um circa fünf Uhr, um Joggen zu gehen und um den Sonnenaufgang am Eingang der Awatscha-Bucht zu sehen. Ich stellte mir dieses Bild sehr szenisch vor, wie die Sonne aufgeht und dort die „Drei Brüder“ im Wasser stehen, eine Felsformation. Unsere Unterkunft ist in der Nähe des Eingangs der Bucht, von mir und meinem Übersetzer. Er half mir bei der Recherche. Jedenfalls machte ich mich auf den Weg, trug entsprechende Kleidung, denn es war sehr kalt. Nach dem ersten Kilometer wurde mir etwas wärmer. Einen Kilometer später war ich am Eingang angekommen, blieb stehen und realisierte, dass ich zu schnell war, ich musste noch auf die Sonne warten. Auf dem Weg dorthin ist mir niemand aufgefallen, schließlich war es tiefster Morgen. Ich streifte also langsam am Ufer der Bucht entlang, lief mal auf dem Weg oder auf dem schmalen Streifen Kieselstrand. Desto weiter ich lief, fiel mir in der Ferne auf, dass dort etwas am Strand liegt. Ich unterbrach mich selbst, so dass die Übersetzerin ihr Werk vollbringen konnte. Sie beeilte sich mit ihrer Übersetzung. Während sie redete, dachte ich daran, wie ich ihn dort am Strand erblickte. Ich fing wieder an zu sprechen.
Ich nährte mich langsam an. Als ich verstand, dass ein Mensch dort lag, blieb ich wie angewurzelt stehen. Es war eine halbe Ewigkeit ehe ich mich weiter voran traute. Kurze Pause.
Dort lag er auf seiner Jacke, schon fast etwas sinnlich, wäre es bloß nicht kalt, halbdunkel und feucht gewesen. Er lag dort mit halbausgezogener Hose auf dem Bauch, man konnte seinen Po sehen und sein Rücken lag frei, bis zum unteren Ende seiner Schulterblätter. Sein Kopf war schamvoll unter seinem Arm vergraben. Man sah sein braunes Haar, was leicht nass war. Der andere Arm führte Weg vom Körper, und hielt eine Flasche Wasser. Neben ihm lag ein Kopfhörer, ich glaube, dass er Musik gehört hatte. Ich schaute mich nach einem Handy um, es lag halb versteckt unter der Jacke. Ich tippte drauf und er hörte wahrscheinlich „Yours To Keep“ von Guided By Voices. Die Übersetzerin begann, ich wartete und dachte.
Er hatte einen schönen Po, dachte ich. Er lag dort so, als solle man sich dazulegen und mit den Fingern seine Wirbelsäule entlangfahren, an seinem Leberfleck vorbei, bis zu seinem Po und ihn streicheln. Ich hätte mich gerne neben ihn gelegt.
Ich fuhr fort. Neben ihm lag ein Buch, ich kann mich nicht mehr erinnern, was genau für eins, es war ein großes schwarzes dickes Buch, es sah interessant aus. Ich schlug es auf und darin waren mehrere kleine dünne beschriebene Servietten, es war ein Gespräch, zwischen ihm und jemanden. Unter den Stapel Servietten war ein altes Museumsticket, aus Hamburg. Anscheinend waren es Dinge, die ihm was bedeuteten, Erinnerungsstücke. Direkt neben ihm lag eine Schachtel Tabletten, es war Dalmadorm, starke Schlaftabletten. In der Schachtel waren mehrere Paletten, ich weiß nicht mehr wie viele. Eine Palette war komplett leer. Er atmete nicht, kein Puls schlug und er war fast ausgekühlt. Der gefaltete Zettel, den ich neben ihn fand hab, verheimlichte ich und auch, dass ich ihn einsteckte. Es war bloß ein kleines Blatt. Ich verstummte, schaute nach unten, auf meine Daumen, die sich umeinander drehten. Auf einmal fühlte ich mich unheimlich niedergeschlagen. Ich wusste nicht weshalb, viel Unverdautes in mir. Ich starrte in das Leere, was von meinen kreisenden Daumen umrahmt wurde, war völlig in Gedanken. Die Übersetzerin lag ihre Hand auf meinen Arm und bat mich fortzufahren. Ich erschrak etwas durch ihre Berührung.
Ich war vollkommen aufgelöst als ich seinen Körper dort sah, ich wusste nicht, wie mir geschieht. Ich wusste auch nicht, wie man die Polizei ruft, ich kannte die Nummer nicht, und ich kann auch kein Russisch, mein Übersetzer blieb in unserer Unterkunft als ich losging zum Joggen. Als ich langsam realisieren konnte, was sich gerade abspielte, sprintete ich zurück zu meiner Unterkunft. Alles fühlte sich leicht an, das Sprinten fiel mir leicht. Ich brauchte nur wenige Minuten. Als ich ankam, sprang ich die Treppen zu unserem Zimmer hoch, sprengte durch die Tür unseres Zimmers und rüttelte ihn wach. Ich konnte nicht sprechen, ich vergaß, dass ich keine Luft bekam, meine Lunge brannte und mein Zwerchfell krampfte. Ich versucht mich schnell zu beruhigen, stieß mit jedem Atem ein Wort aus und sagte meinem Übersetzer, er solle die Polizei rufen, ich habe einen toten jungen Mann gefunden. Die Übersetzerin hörte gepackt zu, genau wie der Polizist, obwohl er mich nicht verstehen konnte. Ich schaute die Übersetzerin lange an, bis sie realisierte, dass ich auf sie wartete, dass sie anfängt zu übersetzen. Ich glaube sie wartete, dass ich weiter erzähle, jedoch fing sie dann an zu übersetzen.
Während sie übersetzte, dachte ich an ihn. Wie er dort lag. Es war herzzerreißend, so sinnlich, schmerzvoll, schamvoll. Er war wunderschön. Es war so, als ob er alles spürte und hörte. Als fühle er sich geborgen, in der distanzierten Nähe der drei großen Brüder, im Eingang zur Bucht, mit ihrem wachenden Blick, während große Wellen des Pazifiks gegen sie zerschellten. Als ich ihn anfasste, war er noch etwas warm, sein Puls schlug nicht mehr, er atmete auch nicht mehr. Ich kniete neben ihm nieder. Ich flüstere ihm etwas ins Ohr, streichelte dabei seine Taille. Ich glaube, er hörte mich. Eine Träne tropfte auf sein Haar. Ich hätte ihn gerne gehalten.

Ich lag im Bett, ganz regungslos, äußerlich und innerlich. Ich blickte an die Decke, welche mit billigen Styropor-Stuck-Platten beklebt war. Mein Übersetzer war noch unten bei der Wirtin, erzählte ihr, was vorgefallen war. Ich hörte ihr leises Gespräch nach oben schallen. Ich hatte noch immer meine Joggingklamotten an. Ich fuhr in meine Hosentasche und fischte alles raus, was drin war und legte es auf meinen Nachttisch. Zuletzt zog ich den Zettel heraus. Ich traute mich nicht ihn zu entfalten, und das zu lesen, was ihm zuletzt durch den Kopf ging, was er hinterlassen wollte.
Der Zettel war eng und klein beschrieben. Die Buchstaben waren ganz verschwommen, weil ich Tränen in den Augen hatte. Er schrieb an seine Familie, seine Freunde und über einen Mann, den er sehr gern hatte. Er entschuldigte sich, er bat darum, dass sie ihn nie vergessen. Wenn sie ihn vergessen würden, dann sterbe er. Er schrieb über Enttäuschung, wie er sich selbst enttäuschte und wie andere ihn enttäuschten. Er werde alles vermissen, vor allem das Denken, an ihn, an seine Leidenschaften, an Theorien. Er schrieb auch direkt etwas an den Mann, den er sehr gern hatte. Dort stand eine Telefonnummer mit deutscher Vorwahl. Ich lag den Zettel weg, ich konnte nicht mehr lesen, drehte mich weg zur Seite. Irgendwann schlief ich ein, alles fühlte sich schwer an, meine Augen waren auch müde.
Mitten in der Nacht wachte ich auf, ich hatte einen komischen Traum, vergaß aber worum es ging, und erblickte die Tabletten, die ich aus der Schachtel genommen hatte. Ich dachte an die Telefonnummer, die auf dem Zettel stand. Ich nahm mein Handy vom Nachttisch, es war 3 Uhr, und schaute nach, wie spät es in Deutschland war. Ich wurde angerufen von verschiedenen Leuten. Ich glaube, sie vergaßen, dass es hier nachts ist. Mir hatten auch mehrere Leute geschrieben. Es war 16 Uhr dort. Ich war dabei, seine Nummer in mein Handy einzutippen, als mir angezeigt wurde, dass die Nummer schon in meinen Kontakten war. Ich kannte diesen Mann.

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Schalmali
Wortedrechsler


Beiträge: 73
Wohnort: Rügen


Beitrag24.11.2021 23:49

von Schalmali
Antworten mit Zitat

Was Rechtschreibung und Grammatik angeht backe ich lieber kleine Brötchen aber da sind mir doch Sachen aufgefallen, neben Anderem.

Zitat:
Danach haben wir sie abgedeckt mit einem weißen Tuch, mein Hund hatte sich mit einem Spielzeug neben ihr gelegt und winselte leicht und schmerzvoll.

Sollte "neben sie" gelegt heißen.

Zitat:
Ich glaub, das lag an dem weiß-kühlen Licht, eine lieblose Neonröhre, welche von oben auf die Übersetzerin und mich schien.

Stört mich irgendwie in der Beschreibung das "ich glaub", genauso wie das etwas spätere "vielleicht" hat wer den Putz beschädigt. Ich glaub da würd ich entweder noch zu prägnanteren Gedanken tendieren wenn der Charakter wirkich gerade über den Raum grübelt oder es aber sachlich belassen.

Zitat:
Wir schwiegen. Rechts von mir war das verspiegelte Fenster, hinter dem, wie vermutete, niemand stand.

Wie entweder "wie vermutet" niemand stand - wenn er es aus irgend einem Grund sehen könnte - oder "wie ich vermutete", dass vermutlich niemand drin war.

Zitat:
Er hatte ein breites und flaches Gesicht, mit schwarzen Haaren und Monolid. Ich glaube, er war Korjake.

Vielleicht liegts an meiner schlechten Allgemeinbildung oder so, aber ich musste sowohl Monolid als auch Korjake nachschlagen, was... gerade bei letzterem irgendwie nicht die Deutlichkeit gebacht hat und bei ersterem ich nun etwas schlauer bin. Scheinen mir aber von den Suchergebnissen nicht gerade sonderlich bekannte Begriffe. Monolid erinnerte mich erst an die Gesteinsformation Monolith. Vielleicht wäre da sowas wie "asiatische Augenzüge" leichter? Oder "ebene Augenzüge" oder dergleichen.

Zitat:
Er schaute mich und dann die Übersetzerin an, dann in seine Tasse und dann nochmals mich und die Übersetzerin.

Dann und dann und dann. Vielleicht lieber etwas Gebündelter wie: "Er schaute mich und die Übersetzerin an, dann in seine Tasse und wiederholte dies."

Zitat:
Die Erinnerung an sein Anblick schmerzte mir, vor allem im Herzen.

Ich nehm mal an "seinen" Anblick.

Zitat:
Aber auch was anderes machte ihn auffällig; er sah traurig aus und abgeschlossen.

Das kenne ich zumindest als "verschlossen".

Zitat:
Ich dächte, wenn ich ihn angesprochen würde, wäre es so gewesen, als hätte ich was geöffnet, was eigentlich zu bleiben sollte.

Liest sich für mich als wäre "ich dachte" gemeint und dann  "angesprochen hätte".

Zitat:
Es war auch ein kompliziertes Buch, jemand erzählte mir schon mal davon.

Da würd ich mich jetzt fragen: Welches Buch? Und in wie fern kompliziert? Mathematisch? Philosophisch? Schlecht geschrieben und daher so unverständlich?

Zitat:
Ich stellte mir dieses Bild sehr szenisch vor, wie die Sonne aufgeht und dort die „Drei Brüder“ im Wasser stehen, eine Felsformation.

Wenn er es sich vorstellt, liest es sich  irgendwie nicht so als wenn er davon erzählt aber so wie es sich allgemein liest, berichtet er ja davon. Ich denke, da würde es dir gut tun wenn du dir zumindest vorstellst, dass er das alles "sagt" um es zusammenfassend zu schreiben. Da es ja scheinbar um ein ernstes Thema geht, berichtet der Charakter wirklich so malerisch darüber? Auch vorher die Schwärmerei. Ist er in der Stimmung dafür zu schwärmen?

Zitat:
Er hatte einen schönen Po, dachte ich. Er lag dort so, als solle man sich dazulegen und mit den Fingern seine Wirbelsäule entlangfahren, an seinem Leberfleck vorbei, bis zu seinem Po und ihn streicheln. Ich hätte mich gerne neben ihn gelegt.


Da las es sich dann für mich doch eher wie ein Groschenromanabschnitt. Ich weiß nicht, selbst wenn ich von wem schwärme, wenn da potentiell jemand verletzt/krank/ohnmächtig am Boden liegt: Ist dann wirklich "sowas" was einem als erstes ins Hirn kommt? Gerade wenn einen die Person ja irgendwie wichtig scheint und sei es nur weil man sie so attraktiv findet, will man das vielleicht doch eher erhalten?

Danach wird der Text nur noch schräger für mich und ich geb zu ab da hab ich es dann gelassen das genauer zu zerfluseln. Da verlor mich der Text, wurde eher uninteressant. Das mag an der Perspektive liegen. Insgesamt erzählt es aus der Ich Sicht, gleichtzeitig liest sich dafür aber nicht immer so, zumindest fühlt sich das für mich so an. Wirkt wie eine Erzählerperspektive mit Einschüben der Ich-Sicht.

Der Schluss "scheint" mir dann zu sein es war alles nur ein Traum und die Person soll damit animiert werden die Nummer von jemem anzurufen, die er sowieso in sienem Handy hat - ob nun um mit ihm anzubändeln oder weil er befürchtet ihm passiert etwas.

In dieser Geschichte fehlt mir der Bezug, wieso diese Katzengeschichte darin ist, ob das ein Traumandeutung schon sein soll die am Ende geschlossen wird oder... was es genau bedeuten soll.

Anfangs wirkt es noch so als könnte es ein interessanter Krimi oder dergleichen sein aber dann sackt es für mich immer mehr ab. Vielleicht hätten mehr Dialoge gut getan. Manches könnte wohl auch kürzer sein wenn es keine Relevanz hat oder maßgeblich der Stimmung zuträglich ist. Muss ich z.B wissen wie er jetzt die Tassen jongliert und wem er sie wie zuerst hinstellt? Ist das wichtig? Hätte vielleicht sein können, machte mir aber zumindest nicht den Eindruck.

Wenn es ein Traum ist, kann natürlich vieles passieren und auch unstimmig sein, denn so liest es sich dann derzeit doch für mich: unstimmig.


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"Wenn die Winde des Wandels wehen, bauen die einen Mauern und die anderen Windmühlen." ~ Chinesisches Sprichwort
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Selanna
Geschlecht:weiblichReißwolf


Beiträge: 1146
Wohnort: Süddeutschland


Beitrag26.11.2021 16:25

von Selanna
Antworten mit Zitat

Hallo schoele,
hier ein paar Leseeindrücke und Anmerkungen von mir:
Zitat:
Ich hoffe, dass die Geschichte nicht allzu lang ist, und dass es nicht allzu viele Grammatik- und Rechtschreibfehler gibt.

Als Tipp: Bevor Du etwas ins Forum stellst, gibst Du es ja in ein Textfenster ein. Oben rechts über dem Textfenster steht „Gerold“. Wenn Du darauf klickst, überprüft das Programm Deinen Text auf Rechtschreib- und Grammatikfehler. Er findet nicht alles, aber die groben Schnitzer allemal Smile Da es aber nur ein erster Entwurf ist, merke ich solche Fehler im Text mal nicht an, Du wirst ihn ja ohnehin noch bis zum letzten Entwurf mehrmals überarbeiten Wink

Zitat:
sie lag unter dem Bett meiner Mutter … neben dem Bett meiner Mutter

Das solltest Du anders lösen, das so kurz hintereinander zu wiederholen, ist nicht elegant.
Zitat:
schließlich schliefen wir beide fast jede Nacht zusammen,

Das musst Du in die Vorzeitigkeit verschieben, denn das ist ja vor der Erzählzeit: Plusquamperfekt.
Zitat:
neben ihr geschlafen … schließlich schliefen wir beide … sie schlief immer am Fußende … manchmal schlief sie

Versuche, das Wort „schlafen“ mindestens zweimal zu umgehen, die Wiederholung ist zu gehäuft, das klingt nicht gekonnt.
Zitat:
hatte sich in der Mitte des Schlafzimmers meiner Mutter verdreht hingelegt.

Das wiederum ist nicht vorzeitig, sondern erfolgt, nachdem sie unter dem Bett hervorgekommen ist. Also: Präteritum.
Insgesamt musst Du vorsichtig sein, auch inhaltlich das richtige Maß an Wiederholung zu finden. Du wiederholst sehr oft, dass die Katze sterben wird / stirbt. Die Gefahr dabei ist, dass Du den Leser damit langweilen könntest.
Schau mal, Dein Textanfang ohne inhaltliche oder Wortwiederholungen könnte so lauten:
Selanna hat Folgendes geschrieben:
Vor einigen Jahren war meine Katze Käthe gestorben. Von einem auf den anderen Tag hatte sie aufgehört zu essen und zu trinken das „Plötzlich“ steckt in dem „von einem auf den anderen Tag“ schon mit drin und sich unter das Bett meiner Mutter zurückgezogen. In der letzten Nacht schlief ich auf dem Boden neben ihr, um ihr Gesellschaft zu leisten. Käthe hatte sich früher jede Nacht am Fußende meines Bettes zusammengerollt und im Traum hörte ich sie schnurren. Sie sollte nicht alleine sterben. Das wollte ich sie wissen lassen.
Am Morgen kam sie unter dem Bett hervorgekrochen und legte sich seltsam verdreht in die Mitte des Schlafzimmers. Ich dachte, sie müsse Schmerzen haben, und meine Mutter stimmte mir zu. Das Ende war gekommen.
Wieder legte ich mich neben sie, um sie zu streicheln, während ich um sie weinte. Mit einem Finger umrandete ich vorsichtig den herzförmigen Fleck auf ihrem Fell.

Ich habe versucht, Wortwiederholungen zu vermeiden und auch inhaltliche Wiederholungen zu kürzen. Der Text, wie er jetzt dasteht, ist in weiten Teilen noch immer Dein Text, nur zusammengeschrumpft, viele Details fehlen. Die Frage, die Du Dir stellen musst, ist, ob der Text damit an Aussage verloren hat? Und wenn ja, an welchen Stellen? Sprich: Welche Details musst Du wieder hinzufügen, damit es wieder Dein Wunschtext wird? Zum Beispiel: Brauchst Du die zweite Wiederholung, dass es das Bett der Mutter ist und dann die klare Kennzeichnung des Schlafzimmers als das der Mutter? Das sind Elemente, die können sehr wichtig sein oder sie sind schlicht überflüssig und langweilen, weil sie sich wiederholen. Wie es in Deinem Text ist, das musst Du entscheiden.

Vllt konnte ich ja ein wenig helfen, das würde mich freuen.
Liebe Grüße
Selanna


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Nur ein mittelmäßiger Mensch ist immer in Hochform. - William Somerset Maugham
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schoele
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Beitrag01.12.2021 22:46

von schoele
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Hi Schalmali und Selanna,

vielen Dank für euer Feedback smile
Eure Rückmeldungen haben mir sehr weitergeholfen an einigen Stellen

Viele Grüße
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lia88
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Beiträge: 325
Wohnort: Bayern


Beitrag01.12.2021 23:19

von lia88
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Mir hat der Text sehr gut gefallen, ich habs gern gelesen, schöner Schreibstil.

Den mittleren Teil fand ich an manchen Stellen etwas langatmig, das könnte man vll ein bisschen kürzen.
Und beim letzten Satz bin ich mir nicht sicher, wessen Telefonnummer er nun hatte: Die des Toten, oder die eines Freundes des Toten?
Geht die Geschichte dann eigtl noch weiter?
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schoele
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Beitrag05.12.2021 22:13

von schoele
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lia88 hat Folgendes geschrieben:
Mir hat der Text sehr gut gefallen, ich habs gern gelesen, schöner Schreibstil.

Den mittleren Teil fand ich an manchen Stellen etwas langatmig, das könnte man vll ein bisschen kürzen.
Und beim letzten Satz bin ich mir nicht sicher, wessen Telefonnummer er nun hatte: Die des Toten, oder die eines Freundes des Toten?
Geht die Geschichte dann eigtl noch weiter?


Vielen Dank für dein Feedback smile Freut mich, dass der Text dir zugesagt hat. Eine Fortsetzung gibt es nicht, aber in der neueren Version gibt es jetzt eine bessere Möglichkeit für eine Fortsetzung, falls ich eine schreiben sollte.
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schoele
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S
Beitrag05.12.2021 22:13

von schoele
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Vor einigen Jahren war meine Katze Käthe gestorben. Von einem auf den anderen Tag hatte sie aufgehört zu essen und zu trinken und sich unter das Bett meiner Mutter zurückgezogen. In der Nacht schlief ich auf dem Boden neben ihr, um ihr Gesellschaft zu leisten. Käthe hat sich früher jede Nacht am Fußende meines Bettes zusammengerollt, ich hörte ihr Schnurren bis in den Traum. Sie sollte nicht alleine sterben. Das wollte ich sie wissen lassen.
Am Morgen kam sie unter dem Bett hervorgekrochen, legte sich seltsam verdreht in die Mitte des Schlafzimmers. Ich dachte, sie müsse Schmerzen haben, meine Mutter dachte das auch. Ihr Ende war gekommen.
Wieder legte ich mich neben sie, um sie zu streicheln, während ich um sie weinte, meine Tränen liefen langsam an meinen Wangen runter. Mit einem Finger umrandete ich vorsichtig den herzförmigen Fleck auf ihrem Fell, der langsam verschwamm. Ich flüsterte ihr ins Ohr, dass ich sie immer lieb haben werde. Sie hat immer verstanden, wenn ich zu ihr sprach und sie antwortete manchmal sogar. Dies mal antwortete sie nicht, aber ich war mir sicher, dass sie das verstanden hat. Das Gehör ist der Sinn, der sich als letztes ausschaltet.

Ich saß in einem heruntergekommenen sowjetischen Plattenbau, in dem eine Polizeistation war. Das Verhörzimmer war alt und kalt. Das lag an dem weiß-kühlen Licht, eine lieblose Neonröhre,  die erbärmlich auf die Übersetzerin und mich hinunterschien. Die Wände waren bemalt mit weißer und klinisch hellblauer Farbe. An einigen Stellen an der Wand bröckelte der Putz schon ab, vielleicht hat jemand mal dagegen geschlagen oder einfach ein Zeichen der Zeit. Der Polizist hatte vor wenigen Augenblicken das Zimmer verlassen, um der Übersetzerin, mir und ihm selbst Kaffee zu holen. Meine Hände waren auf dem ollen kalten Metalltisch abgelegt, aber inzwischen war es warm an der Stelle, wo meine Hände lagen. Gegenüber von mir war der Stuhl, auf dem noch eben der Polizist saß, rechts von mir war das verspiegelte Fenster, hinter dem, wie ich vermutete, niemand stand. Ich glaubte, er sei der einzige Polizist hier. Zu meiner Linken saß die hübsche Übersetzerin. Sie war wirklich sehr schön, sie hatte lange honigfarbene Haare. Sie trug eine schöne Bluse, mit einem Ausschnitt, der genug von ihren Brüsten zeigte, um mehr erahnen zu können, und einen engen Rock, der vor ihren Knien endete. Durch sie wirkte der Raum ein wenig warm. Als sie bemerkte, dass ich sie beobachtete, lächelte sie mich kurz und unbeholfen an, ich lächelte zurück. Sie wandte daraufhin wieder ihren Blick ab, schaute auf ihren Notizblock, der auf ihrem Schoß lag. Wir schwiegen.
Der Polizist öffnete die alte quietschende Tür und kam mit drei Tassen herein. Zwei in einer Hand und die andere in der anderen Hand. Die Tür fiel hinter ihm wieder zu. Er hatte ein breites und flaches Gesicht, mit rasierten schwarzen Haaren, Bartstoppeln und Monolid. Ich glaube, er war Korjake. Er stellte die erste Tasse vor der Übersetzerin auf den Tisch, die zweite vor mir und dann setzte er sich etwas fallend träge auf seinen Stuhl und hielt seine Tasse im Schoß. Er schaute mich und die Übersetzerin an, dann in seine Tasse und wiederholte dies.
Wir fingen an mit der Befragung. Er meinte, ich solle einfach drauf los erzählen. Als er das auf russisch sagte, klang das abwartend und ruhig. Kein Aufnahmegerät, nur ein Notizblock, auf dem der Polizist ab und zu etwas drauf schrieb, schon fast wie ein Psychotherapeut. Mir fiel auf, dass die Übersetzerin den gleichen Notizblock hatte.
Ich fing an darüber zu erzählen, dass ich in Petropawlowsk sei für eine Recherche, es ging um die Umweltkatastrophe 2020 in der Awatscha-Bucht, dass ich aus Deutschland komme, wie alt ich sei, wo ich genau wohne, für wen ich arbeite. Die Übersetzerin war sehr flink, unterbrach mich schon fast. Der Korjake hatte bloß genickt. Sie schaute ihn an, nahm das Nicken auf, und gab es an mich weiter. Ich schwieg kurz, denn ich versuchte alles in meinem Kopf aufzusammeln. Die Erinnerung an seinen Anblick tat weh. Ich nippte von meinem Kaffee, welcher scheußlich schmeckte. Unfassbar sauer und bitter, Vulkanasche. Ich fing an.
Ich sah ihn hier öfters. Einmal saßen wir gleichzeitig in einer Teestube, ich trank Kaffee und er hatte Tee getrunken. Er bewegte sich ziemlich zügig und zielgerichtet, wenn er über die Straßen lief, man merkte, dass er aus einer Großstadt kam. Er stach auch sehr hervor durch seine Klamotten, sehr europäisch-modisch. Aber auch was anderes machte ihn auffällig; er sah traurig aus und abgeschlossen. Eigentlich wollte ich ihn ansprechen, aber ich habe mich nicht getraut. Ich dachte, wenn ich ihn angesprochen hätte, wäre es so gewesen, als hätte ich was geöffnet, was eigentlich zu bleiben sollte. Ich schaute ihn mir gerne an, immer wenn ich ihn sah. Ich sah ihn jeden Tag, an unterschiedlichen Orten, zu unterschiedlichen Zeiten, als seien wir verbunden. Ganz komisch. Ich pausierte, ich merkte, wie ergriffen ich war von ihm. Wenn ich über ihn redete, fühlte es sich so an, als hätte ich ihn schon ewig gekannt.
Die Übersetzerin tat ihre Übersetzung, ich fuhr fort. Das erste Mal, als er mir aufgefallen ist, war in Moskau. Dort saßen wir im gleichen Wartebereich, denn wir mussten elf Stunden auf unseren Anschlussflug nach Petropawlowsk warten. Er ist mir erst dort aufgefallen, ich hätte aber nicht gedacht, dass ein so junger Mann nach Kamtschatka fliegen würde. Er war vielleicht 20 Jahre alt, ein Alter, wo man eher nach Istanbul, Paris oder so fliegt, wo viel Leben ist. Das machte ihn aber interessanter, dass er alleine hierher flog, es war so deplatziert und unpassend. Ich hab mich ab und zu umgesehen nach ihm, als wir da saßen, gemeinsam aber entfernt voneinander. Er saß nur da und hörte Musik, schaute mit leerem Blick vor sich. Ab und zu holte er ein Buch hervor aus seinem Beutel, las kurz, packte es wieder weg, als könne er sich nicht konzentrieren. Es war auch ein kompliziertes Buch, jemand hatte mir schon mal davon erzählt, ich glaube es war was Philosophisches oder sowas in die Richtung. Mal verschwand er auch, kam dann aber wieder. Er versuchte auch einmal zu schlafen. Als ich dann realisierte, dass er das gleiche Ziel hat wie ich, war meine Aufmerksamkeit vollkommen auf ihn gerichtet und irgendwie wollte ich auf ihn aufpassen.
Die Übersetzerin unterbrach mich mit einer leichten Geste und sagte zart mit Akzent zu mir, dass sie jetzt gerne übersetzen würde. Ich nickte ihr gekünstelt lächelnd zu. Mich verwunderte, dass der Polizist alles nur aufnahm und nicht fragte, aber er notierte Dinge auf seinem Block.
Der Korjake sagte, ich solle bitte nun dazu kommen, wie ich den jungen Mann gefunden hatte.
Ich stand früh auf, so um circa fünf Uhr, um Joggen zu gehen und um den Sonnenaufgang am Eingang der Awatscha-Bucht zu sehen. Ich stellte mir dieses Bild sehr szenisch vor, wie die Sonne aufgeht und dort die „Drei Brüder“ im Wasser stehen, die Felsformation. Unsere Unterkunft ist in der Nähe des Eingangs der Bucht, von mir und meinem Übersetzer. Er half mir bei der Recherche. Jedenfalls machte ich mich auf den Weg, trug entsprechende Kleidung, denn es war sehr kalt. Nach dem ersten halben Kilometer wurde mir etwas wärmer. Ein wenig später war ich am Eingang angekommen, blieb stehen und realisierte, dass ich zu schnell war. Ich musste lange noch auf die Sonne warten. Ich streifte also am Ufer der Bucht entlang, lief mal auf dem Weg oder auf dem schmalen Streifen Kieselstrand. Desto weiter ich lief, fiel mir in der Ferne auf, dass dort etwas am Strand lag. Ich unterbrach mich selbst, so dass die Übersetzerin das tun kann, was eine Übersetzerin tut. Sie beeilte sich. Während sie redete, dachte ich daran, wie ich ihn dort am Strand entdeckte, ganz regungslos. Ich fing wieder an zu sprechen.
Ich nährte mich langsam an. Als ich verstand, dass ein Mensch dort lag, blieb ich wie angewurzelt stehen. Es fühlte sich wie eine halbe Ewigkeit an, ehe ich mich weiter voran traute.
 
Der Kiesel unter meinen Schuhen machen jeden Schritt unsicherer. Es ist stockduster und furchtbar kalt. Eigentlich hätte ich frieren sollen, aber ich tu es irgendwie nicht. Die Tränen stehen mir in den Augen, als seien sie das letzte, was aus mir raus kommt. Irgendwann halte ich und setze mich auf den Kiesel. Die drei riesigen dunklen Felsen kann man gerade so in der Ferne sehen, sie verschwimmen mit dem etwas helleren Hintergrund. Es ist doch nicht mehr so dunkel, ich kann ein wenig sehen. Die Musik, die auf meinen Ohren läuft, hörte ich nicht mehr.
Die Kieselsteine tun mir weh. Ich ziehe meine Jacke aus, um mich drauf zu setzen. Ich nehme  vorher die Schachtel aus meiner Jackentasche heraus. Ich öffne die Schachtel und nehme eine Palette raus, drücke jede Tablette aus ihrer Kammer und schütte alle in meine Hand. Ich hoffe, dass das reicht. Ich greife nach der Wasserflasche, die aus meinem Beutel ragt.
Mein Mund ist voll. Die Flasche setzt an und die Tabletten schwimmen nun in Wasser. Ich schlucke mehrmals.
Ich beiße mir weinend in den Arm, krümme mich vor Scham.
Ich leg mich auf meine Jacke, genauso wie ich mich ihm gerne zeigte. In mir war nur noch wenig Kraft übrig. Ich werde von Innen heraus zerfressen. Ich hatte einen Akt von mir für ihn gemalt, in genau dieser Pose. Ich hörte die Musik wieder auf meinen Ohren, ein schönes Lied. Ich will es ihm zeigen. Ich will ihm alles von mir zeigen. Jede Stelle meines Körpers, jede Phantasie und jeden Traum. Er tastete immer gerne meinen Rücken ab, jeden Knochenpunkt, meine Beckenkämme. Ich hoffe, er vergisst mich nicht.

Dort lag er auf seiner Jacke, schon fast etwas sinnlich. Er lag dort mit halbausgezogener Hose auf dem Bauch, man konnte seinen Po sehen und sein Rücken lag frei, bis zum unteren Ende seiner Schulterblätter. Sein Kopf war schamvoll unter seinem Arm vergraben. Man sah ein wenig von seinem braunen Haar, das leicht nass war. Der andere Arm führte vom Körper weg ins Leere. Er hatte Kopfhörer im Ohr. Ich versuchte ihn wach zu rütteln. Ich schaute mich nach einem Handy um, es lag halb versteckt unter der Jacke. Ich tippte drauf und er hatte „Yours To Keep“ von Guided By Voices gehört. Die Übersetzerin begann, ich wartete.
Ich fuhr fort. Neben ihm lagen Schlaftabletten, eine ganze Palette war ausgedrückt, insgesamt zehn Tabletten. Ich versuchte es nochmals ihn wach zu rütteln. Ich richtete ihn auf und versuchte ihm meine ganze Hand in den Rachen zu schieben. Er übergab sich, ich schlug ihn und schrie ihn an. In seinem Erbrochenem waren acht Tabletten, einige schon etwas aufgelöst durch die Magensäure. Während ich dies erzählte, liefen mir die Tränen.
Ich verstummte, schaute nach unten, auf meine Daumen, die sich umeinander drehten. Der gefaltete Zettel, den ich neben ihn fand, verheimlichte ich und auch, dass ich ihn einsteckte. Es war bloß ein kleines Blatt. Auf einmal fühlte ich mich unheimlich niedergeschlagen. Ich starrte in das Leere, was von meinen kreisenden Daumen umrahmt wurde, war völlig in Gedanken. Die Übersetzerin legte ihre Hand auf meinen Arm und bat mich fortzufahren. Ich erschrak etwas durch ihre Berührung.
Ich war vollkommen aufgelöst, als ich seinen Körper dort sah, ich wusste nicht, wie mir geschieht. Ich wusste auch nicht, wie man die Polizei ruft, ich kannte die Nummer nicht, und ich kann auch kein Russisch, mein Übersetzer blieb in unserer Unterkunft, als ich losging zum Joggen. Nachdem ich versucht hatte, irgendwie zu helfen, rannte ich los. Alles fühlte sich leicht an, das Sprinten fiel mir leicht. Als ich ankam, sprang ich die Treppen hoch, sprengte durch die Tür unseres Zimmers und rüttelte ihn wach. Ich konnte nicht sprechen, ich vergaß, dass ich keine Luft bekam. Meine Lunge brannte und mein Zwerchfell krampfte. Ich versucht mich schnell zu beruhigen, stieß mit jedem Atem ein Wort aus und prustete zu meinem Übersetzer nur die Worte „Polizei“, „Notarzt“, „junger Mann“ und „Schlaftabletten“.
Während sie übersetzte, dachte ich an ihn. Wie er dort lag. Es war so sinnlich, schmerzvoll, schamvoll. Er war wunderschön. Seine Haut sah in dem fast abwesenden Licht sanft hellblau aus. Es war so, als ob er alles spürte und hörte. Als wollte er unter dem wachenden Blick der Drei Brüder ruhen, während große Wellen gegen sie zerschellten.

Ich lag im Bett, ganz regungslos, äußerlich und innerlich. Ich blickte an die Decke, welche mit billigen Styropor-Stuck-Platten beklebt war. Mein Übersetzer war noch unten bei der Wirtin, erzählte ihr, was vorgefallen war. Ich hörte ihr leises Gespräch nach oben säuseln.
Er hatte einen schönen Po, dachte ich. Er lag dort so, als solle man sich dazulegen und mit den Fingern seine Wirbelsäule entlangfahren, an seinem Leberfleck vorbei, bis zu seinem Po und ihn streicheln. Ich hätte mich gerne neben ihn gelegt.
Ich hatte noch immer meine Joggingklamotten an. Ich richtete mich auf, erblickte seinen Beutel, der auf dem Stuhl lag, der gegenüber von meinem Bett stand. Darin war bloß nur noch ein Buch, den Rest hatte die Polizei mitgenommen. Ich stand auf und nahm das Buch aus der Tasche hervor. Es war ein Buch über Liebe. "Warum Liebe endet - Eine Soziologie negativer Beziehungen“
Als ich wieder im Bett lag, schlug ich das Buch auf. Darin befanden sich mehrere kleine dünne Servietten, die beschrieben waren. Auf ihnen wurde ein Gespräch festgehalten, zwischen ihm und jemanden. Unter dem Stapel Servietten war eine Museumskarte, aus Hamburg. Anscheinend waren das Erinnerungsstücke für ihn.
Ich fuhr in meine Hosentasche und fischte alles raus, was drin war und legte es auf meinen Nachttisch zu dem Buch. Zuletzt zog ich den Zettel heraus. Ich traute mich nicht ihn zu entfalten, und das zu lesen, was er hinterließ.
Der Zettel war eng und klein beschrieben. Die Buchstaben waren ganz verschwommen, weil ich Tränen in den Augen hatte. Er schrieb an seine Familie, seine Freunde und über einen Mann, den er sehr gern hatte. Er entschuldigte sich, er bat darum, dass sie ihn nicht vergessen werden, er habe nur so wenig hinterlassen. Wenn sie ihn vergessen würden, dann sterbe er. Er schrieb auch direkt etwas an den Mann, den er sehr gern hatte. Dort stand eine Telefonnummer mit deutscher Vorwahl. Unten war noch eine kleine Anmerkung, dass er bei sich zuhause einen weiteren Brief im Schubkasten seines Schreibtisches hatte. Zuletzt hatte er sich bei mir bedankt, bei demjenigen, der ihn fand. Ich lag den Zettel weg, ich konnte nicht mehr lesen, drehte mich weg zur Seite. Irgendwann schlief ich ein, alles fühlte sich schwer an.

Mitten in der Nacht wachte ich auf, ich hatte einen komischen Traum, vergaß aber worum es ging. Ich dachte an die Telefonnummer, die auf dem Zettel stand, von dem Mann, den der Junge gern hatte. Ich nahm mein Handy vom Nachttisch, es war 3 Uhr, und schaute nach, wie spät es in Deutschland war. Ich wurde angerufen und angetextet von verschiedenen Leuten. Ich glaube, sie vergaßen, dass es hier nachts war. Es war 16 Uhr dort. Mir fiel auf, dass auch eine russische Nummer mich angerufen hatte, vielleicht das Krankenhaus. Ich war dabei, seine Nummer in mein Handy einzutippen, als mir angezeigt wurde, dass die Nummer schon in meinen Kontakten war. Ich kannte diesen Mann.
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