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Nasses Laub


 
 
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FaithinClouds
Geschlecht:weiblichLeseratte
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Beiträge: 158
Wohnort: Südlich vom Norden


F
Beitrag15.08.2021 13:14
Nasses Laub
von FaithinClouds
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Hey alle, 😄

hier findet ihr eine neue Kurzgeschichte/Erzählung. Sie hat um die 3500 Wörter. Ich habe versucht, die Sprache mal ein bisschen näher an die Hauptfigur ranzubringen, sie ein bisschen gedankenartiger zu machen. Ich hoffe, die Geschichte kann euch unterhalten. Habt einen schönen Sonntag!😺

Nasses Laub

Wir sehen Grün, langweilig perfekt. Es hebt und senkt sich wie eine sanfte Welle, eine Kinderkrippe unter den achtsamen Bewegungen eines schlaflosen Elternteils. Die Sonne hat ihren höchsten Punkt erreicht. Das Blau des Himmels ist kühl und leicht in Augen und Lunge. Karl Lohmann fühlt sich nicht ganz so alt an Morgen wie diesem. Der Schläger in seinen Händen wiegt angenehm schwer und prüfend über dem Gras. Es ist Zeit. Immer ist Zeit. Sie existiert ohne Bedingung.
Ein Storch stakst an der Wasserstelle entlang. Wenn er Arme hätte, hätte er sie mit Bestimmtheit in seinem Rücken verschränkt. Er scheint den Schlick am Grund des Teichs aufgewühlt zu haben. Dunkle Erde führt wie eine Schleifspur zu einer Stelle, an der die Wiese abflacht und in den Teich übergeht.
Der alte Mann hebt den Blick während des Abschlags und verliert den Ball trotzdem kurz aus den Augen, als der helle Himmel seine Konturen überspielt. Er hält den Atem an, als er in der Entfernung hinabsinkt und wie ein Stein auf einem Fluss über das Gras hüpft.
Karl wendet den Blick ab, ehe er zum Erliegen gekommen ist. Sein oranges Polo ist ihm selbst unangenehm grell. Er mag Sport, der ihn nicht zum Schwitzen bringt. Und er mag das Wandern zu einem bestimmten Ziel nach dem Abschlag, die Tasche geschultert, den Rücken durchgebogen wie ein britischer Gentleman oder ein ähnlich oberflächliches Wesen, für das in der realen Welt kein Platz mehr ist. Es ist Zeit. Der Termin bei Marquardt Consulting fände erst gegen 16 Uhr statt und so blieb ihm noch einige Zeit. Es ist eine andere Zeit. Er merkt es eher an Kleinigkeiten als an den großen Veränderungen, die sich quälend langsam in die Welt gestohlen hatten, sodass ihre Anwesenheit kaum mehr auffiel. 16 Uhr - Besprechung: Synergien nutzen. Die Dinge wurden nicht besser, man fand schlicht neue Wörter für sie. Es ist Zeit und er spielt einfach mit, lässt sich auf ihren Wellen tragen, in der Hoffnung leicht genug zu sein, um wie ein Laubblatt obenauf zu schwimmen, und gleichsam im Bewusstsein, dass dies nicht selbstverständlich sei.
Er geht über die Wiese und gerät bereits nach wenigen Minuten außer Atem. Er ist alt geworden und je älter er wird, desto schwerer fällt es ihm, es zu ignorieren. Manchmal hat er Seitenstechen, wenn er am Abend nach Hause kommt, und kaum mehr Kraft, um mehr zu tun, als sich in sein Bett zu legen, wo er lange braucht, um Schlaf zu finden, weil es scheint, als müsse er wie bei einer chemischen Reaktion erst eine Kraft aufwenden, dass diese von selbst weiterlaufen könne.
Es ist Zeit, nachzudenken. Doch er verschließt sich davor und dennoch gelingt es einzelnen Gedanken – und er hatte versucht sie zu unterdrücken – an die Oberfläche seines Bewusstseins zu treten wie Korken in einem Teich, wo sie im Licht des Tages tänzelten. Manchmal sind es nicht wirkliche Gedanken, sondern deren Splitter, die sich tief in sein Hirn schneiden, ihm glatte, brennende Wunden zufügen.
Da ist sein Vater und dessen hastige Hände, die seinem Sohn die silberne Brosche entreißen, lange bevor dieser das Hakenkreuz darauf benennen konnte. Da ist Katja, Karls Tochter, die von der Schaukel fällt und ihm mit betränten Augen trotzig schluchzend entgegenschreit: „Warum warst du nicht da?“ Da ist der geraffte Rock Ingrids, in der Tür stehend, als sie siebzehn waren und in der Scheune ihrer Eltern miteinander geschlafen hatten. Da ist das Kreischen der Schweine zwischen den Metallstreben, die zu begreifen beginnen, dass sie sterben werden.

Das Gras, auf dem er geht, könnte ebenso Moos sein, der Tag ebenso ein Sonntag und Karl nur ein Storch, der über die Wiese wankt und an nichts zu denken braucht, dessen ineinander klappenden Gelenke sich schließen, während seine Füße ruckartig aufsetzen. Manche sagten, es mache keinen Spaß allein. Sie verstanden das Spiel vielleicht einfach nicht. Ein großer Baum am Rand der Golfbahn wirft eckige Schatten. Er könnte aus Stein sein, die Furchen seiner Rinde das Ergebnis des jahrhundertelangen Hinabperlens des Regens. Der Frühling wird trocken sein, so lauten die Prognosen der Meteorologen und man hofft auf einen Irrtum, wie man es nur bei Menschen tut, die man im Grunde seines Herzens respektiert.
Man kann die Luft nur spüren, wenn man atmet. Karls Herz rast und er weiß nicht, warum. Sein Blick wird am Rand dunkler. Er hält für einen Moment inne. Der Rasen ist ebenso hell wie der Himmel. Der Storch wendet sich zu Karl und blickt ihn an, seine Augen schwarz und gleichgültig.

Seine Tochter hat ihn angerufen, gestern, als er nicht damit rechnete und daher besser mit ihren Worten klarkam. Katjas Stimme hatte noch immer wie früher geklungen. Es machte es schwerer, sie als Erwachsene ernst zu nehmen.
„Ich bin wieder im Stift“, hatte sie gesagt.
Und er, weil er nicht wusste, was er sagen sollte: „Was ist passiert?“
„Es ging nicht mehr zuhause“, hatte sie geantwortet und ihre trockene Kehle hatte ihre Stimme zum Surren gebracht.
„Ich habe Angst, Papa.“ Und das hatte gereicht, um ihm das Gefühl zu geben, dass er fiel.
„Das musst du nicht.“ Es war ihm schwergefallen, etwas zu entgegnen. Er hatte sich nutzlos gefühlt.
„Ich habe Angst, dass das nie vorbeigeht.“
„Katja-“
„Ich weiß, dass ich ungerecht bin.“
„Nein, Schatz, ich-“
„Ich weiß, dass ich zu viel von dir fordere.“
Er hatte geschwiegen, weil sie Recht hatte und weil er sie immer noch nicht trösten konnte. Er hatte es nie gekonnt.
„Es tut mir so leid, Katja.“
„Du kannst doch nichts dafür.“
„Vielleicht doch.“ Abermals hatte er geschwiegen, seinen Kopf geschüttelt, albern und alt wie er war, während er darüber nachdachte, ob das nicht dasselbe war. „Wir haben euch belogen, als wir gesagt haben, die Welt wäre gut zu euch.“
„Nein, ihr habt nie gesagt, es wär leicht.“
„Aber auch nie, wie schwer es wirklich ist.“
Es war gut gewesen, dass er sie nur hörte und nicht sah. Er hatte geglaubt, ihr Weinen in ihren Worten zu erkennen, aber nicht danach gefragt. Eine ganze Stunde hatte er mit ihr telefoniert, bis ihnen beiden die Wörter ausgegangen waren und sie sich schleppend wie zwei bloße Bekannte durch die verbliebene Zeit manövrierten, von der sie glaubten, dass sie nötig sei.

Wo ist er? Er scheint ihn verloren zu haben. Suchend pendelt sein Blick über den Platz. Noch immer scheint der Rand seines Gesichtsfelds dunkler, die Dinge nehmen Konturen an, wie wenn man lange nicht geschlafen hat. Wen verloren? Den
Ball? Den Storch? Etwas ohne Namen?
Der Wind ist wie ein Gähnen, das man hinter einer geschlossenen Tür hört. Nur die Geräusche existieren im Raum. Es ist Zeit. Auch sie gähnt. Ihr offener Schlund droht nicht, aber schweigt, und das ist ebenso schlimm. Es war einmal Zeit, doch sie ist vergangen. Es wird Zeit sein. Ob es dieselbe ist?
Da! Da ist er! Weiß im Grün, ein blindes Auge. Karl geht auf ihn zu, seine Schläger zittern metallisch, als sie in der Tasche gegeneinanderschlagen. Er hört den Wind, aber keine Vögel. Es ist lächerlich, hier zu stehen. Alles um ihn herum ist herrlich lächerlich. Es erleichtert ihn. Das perfekte Gras, die Bäume, die Teiche, alles unecht, an ihrer Stelle war wirkliches Gras, wirkliche Bäume, ein wirklicher See gewesen. Und nun? Karl schaut in die Ferne, wo drei Hochhäuser obszön in den Himmel ragen. Warum tat er dies? Spielte ein Spiel, dessen Regeln auch nur willkürlich erdacht worden waren? Lächerlich. Es ist Zeit und auch sie ist lächerlich, wie sie sich aufplustert und dennoch genauso groß ist, wie sie gestern gewesen war. Nein, das Leben war nicht kurz, wenn er darüber nachdachte. Es kam ihm nur immer wieder so vor. Man kann solche Gedanken zu ernst nehmen, sodass sie zu einem Leiden heranwuchsen. Man kann es aber auch sein lassen.
Der Storch ist wieder da. Er weiß nicht, wo er gewesen ist, nur dass er jetzt wieder da ist. Sein langer Schnabel öffnet sich sachte beim Gedanken an frühere Fänge. Karls Schritte sind hart, er spürt seine Fersen fest auf dem Rasen aufsetzen. Die Sonne ist grell wie das Geräusch über Keramik schabender Messer. Alles ist irgendetwas. Karl ist alt, der Morgen ebenso, und sie beide können sich nicht vorstellen, dass da noch viel mehr kommen könne.
Vielleicht findet er sich deswegen auf seinen Knien wieder. Seine Hände vor sich im Gras aufgestützt, versucht er einzuatmen, doch es verspricht keine Erleichterung. Was ist passiert? Ein Schlag, nein nicht ganz, aber es war wie ein Schlag, jetzt, jetzt. Nur Kinder dürfen so im Gras hocken.
Dunkle Schatten nebeln seinen Blick ein, wie angelaufenes Silber. Vielleicht müsste man sie hinausnehmen, die Augen, und aufpolieren. Es ist sein Herz. Ein Schmerz schießt ihm bis in seinen Hals. Karl greift sich an sein linkes Hosenbein und zieht das Handy aus seiner Tasche. Er wählt hektisch eine Nummer und fragt sich währenddessen, ob es die richtige ist. Es ist lächerlich, dass er hier stirbt. Er schämt sich beinahe.
Eine Stimme am Hörer, er wartet nicht ab.
Guten Tag, mein Name ist Lohmann, Lohmann, Karl ja, und ich habe einen Herzinfarkt, glaube ich. Er nennt die Adresse des Golfclubs. Ja, genau. Loch 7. Bei dem Baum, der so eckig vor dem Himmel steht.
Eine Frau am anderen Ende. Er ist froh, dass es kein Mann ist. Männer sind den Sterbenden keine guten Begleiter. Vielleicht hat Gott es deswegen so eingerichtet, dass sie früher starben.
Er seufzt, als er auflegt. Es ist schön, jetzt alleine zu sein. Er denkt nicht an Vergangenes, noch nicht, und das macht ihm Hoffnung, dass es hier nicht enden werde. Was sind wir für alberne Wesen, dass wir sterben? Dass wir leben und etwas wichtig nehmen?
Katja. Er sollte sie vielleicht anrufen und ihr etwas sagen. Aber was? Was bloß? Er weiß es nicht. Sie darf nicht traurig sein, dass wir gehen müssen. Sie sind sinnlos, so sinnlos, all unsere Ängste. Und sie ist zu jung, um ihnen nachzuhängen, jenen fürchterlich peinlichen Gedanken, die man im Alter Weisheit und in der Jugend Larmoyanz nennt.
Sein T-Shirt ist zu orange, als dass er sich wirklich ernst nehmen könnte, wie er aufgestützt im Gras verharrt, als hätte er bloß eine Kontaktlinse verloren. Ein Lachen. Er dreht sich um. Nein, es gehört niemandem. Dann erkennt er, dass er selbst es war, der gelacht hat, und lacht umso mehr.
Es stimmt nicht, dass nur die, die träumen, Angst haben können.
Die Sonne scheint und er ist böse auf sie. Dass sie ihm den Tod nicht leichter macht. Ihr lockendes Licht, ihre prüfende Wärme in seinem Gesicht. Warum? Er will nicht die Gründe kennen, sondern bloß klagen. Das sollte ihm noch erlaubt sein. Warum scheint sie ihm, einem Sterbenden? Warum nicht für Katja oder sonst jemanden, der das Licht braucht? Es ist Zeit und er ist alt. Trotzdem nennt er die Dinge vorschnell ungerecht, wie es Kinder tun.
Karl bereut vieles, nicht erst jetzt, doch nun ist seine Reue größer als zuvor. Es ist schade, dass er nicht mehr geliebt hat. Dass er kam, blieb und nun gehen würde, ohne etwas zum Schluss dazugeben zu können. Er bereut, dass seine letzten Worte an Katja nicht groß gewesen waren. Tschüss, Schatz. Schweigen, trocken. Das wird schon wieder. Er hat die Frauen nie ganz verstanden, auch das bereut er nun. Eine Erinnerung, eine Feder im Wind, Teil von etwas Größerem, trudelt auf seine Schulter.
Er mit aufgestützten Armen am Frühstückstisch, vor ihm das Buch, das liebste seiner Mutter. Sie war bei einem Verlag angestellt gewesen, vor dem Krieg. Die Sätze waren lang, aber nicht untergeordnet, ein Fluss von Gedanken, er brach nicht ab, aber verschob sich. Mrs Dalloway trudelte durch London und Karl mit ihr in einen Abgrund, so schien es ihm, während er las und sich fragte, ob die Frauen so immer dächten, die Worte sich überschlagend, und wie zum Teufel sie damit weitermachen konnten, ihre Gedanken neblige Eiswürfel, die erst durch ein stetes Wenden aufklarten. Als Katja Jahrzehnte später ihre erste depressive Episode bekam – es war kurze Zeit nach ihrer ersten Monatsblutung geschehen – erinnerte er sich an jenes Buch zurück und begriff, dass es nicht die Frauen waren, die wahnsinnig waren, sondern die Welt um sie herum. Und wie sie ihm erzählte, was sie nicht beschreiben konnte, dieses Nichtfühlen, aber Erleben ihrer Regungen, stützte er ebenso seine Arme auf den Tisch und versuchte, zu begreifen, was seine Tochter ihm in leisen Worten sagte.

Karl weint und ist erstaunt, weil doch niemand seine Tränen sehen würde. Und er weint auch nicht aus Angst, sondern weil er es kann und diese Möglichkeit Grund genug scheint. Der Geruch des Grases ist ihm seltsam vertraut, und er fragt sich, ob er dieses Leben schon einmal geführt hat, und weiß, dass seine Frage unsinnig ist. Nein, es macht auch keinen Sinn, nun nach einem solchen suchen zu wollen, dazu besteht keine Zeit. Er hat die Frauen zu oft mit Rehen verwechselt, vielleicht war das sein Fehler gewesen. Dass er geglaubt hatte, Unterschiede machen zu müssen, die es womöglich gar nicht gab.
Da ist immer noch Liebe zu geben. Noch immer. Katja, Marion, selbst Ingrid, die er nach dem Vorfall in der Scheune nie wiedergesehen hat. Wieso wartet man mit dem Lieben, bis man stirbt? Es ist Zeit, zu gehen. Ihm wird weh, wie bei jedem drohenden Abschied.
Der Storch blickt ihn noch immer aus seinen schwarzen Augen an. Da ist keine Neugier, vielleicht nicht einmal Intelligenz.
Er wird sie zurücklassen, Katja. Er wird sie verlassen und schämt sich dafür, dass er ihr nicht mehr war, als Zeit dafür bestand. Es gibt für alles eine Zeit und seine ist bald vergangen. Er war ein Narr gewesen, doch er hatte darum gewusst. Er war durchs Licht getaumelt wie all die anderen Idioten. Und es war ihnen wirklich etwas wert gewesen, dies alles. Warum wollten wir immer mehr werden? Weil wir uns selbst nicht genug waren? Nein, wir hatten Angst, dass wir die eine Chance, die wir uns zuzustehen glaubten, verwirken würden. Deswegen mehr sein, mehr werden, und trotzdem weniger: fühlen, glauben, lieben, weil die eine Chance uns eine Kraft gegeben hätte, für das alles zu kämpfen, während deren Überzahl uns gleichgültig gemacht hatte.
Gibt es das Gute? Ja, er ist sich sicher und schämt sich gleichfalls, weil er nicht weiß, warum er dann überhaupt diese Frage stellt. Karl schämt sich auch für sein Selbstmitleid und dafür, dass seine letzten Gedanken zu klein sein würden.
Der Tod, der Schnee, das Scheitern, die großen Gleichmacher.
Er kann nicht wütend sein, nicht so wunderschön sinnlos toben, wie es nur Kinder können. Katja kann es noch immer, hat es sich bewahrt. Sie hätte damit weit kommen können, doch diese Welt duldete keine wütenden Frauen.
Es gibt einen Unterschied zwischen Zorn und Wut, aber er hat vergessen, worin dieser lag. Seine Frau hätte es ihm erklärt, ebenso seine Mutter, aber sie alle sind schon vorausgegangen, ihre Spuren wie im Sand hinterlassen, von herangetragenen Wellen überspült.

Es ist komisch. Karl glaubt nicht an Gott, aber an Engel. Und er weiß selbst nicht, was das bedeutet. Da! Er hört ein Flüstern, dann ist es fort. Vielleicht ist es nur das Blut, das seinen Schädel nicht erreicht. Ja, die Sterbenden lügen. Natürlich lügen sie. Bloß nicht mehr aus Böswilligkeit.
Es ist Karl immer noch wichtig, was man über ihn denken wird.
Gestern Abend kam er am Bahnhof an. Es nieselte hinter den bis zum Boden reichenden Fenstern, hektisch zerrte er seinen Hartschalentrolley hinter sich her über die glänzenden Bodenfliesen des Bahnhofs, der zu einer Zeit erbaut worden war, als man glaubte, die Bahn sei die Zukunft der geschäftlichen Fortbewegung. Karl lief zu einem haltenden Taxi und nannte dem lächelnden Fahrer sein Ziel, während dieser die Worte seines Passagiers in das Suchfeld der Google-Maps-App auf seinem Smartphone eintippte. Karl hatte Kopfschmerzen von der langen Fahrt und dem modrigen Geruch der Bahnhofshalle, die mit dunklem Stein verkleidet drohend vor dem melierten Himmel aufragte. Er dachte noch immer an das Gespräch mit Katja am Morgen.
Er war so alt, dass er in jedem Mädchen seine Tochter zu erkennen glaubte. Er merkte es, als sie eine Bushaltestelle passierten, unter deren Überdachung eine junge Frau zitternd wie eine Krähe auf einer Oberleitung saß und auf den Bildschirm ihres I-Phones schaute, der mit seinem matten Licht ihr Gesicht bleichte. Karl überlegte unernst, ob er dem Mädchen anbieten solle, sie mitzunehmen, doch da waren sie bereits vorbeigefahren und die Straße verschob sich im Rückspiegel zu jener Art Erinnerung, die man gewöhnlich nur an Sonntagen hegte.
Oh, wie dumm man im Alter bleiben konnte. Karl schaut nicht mehr auf die Wiese, sein Blick verliert sich und ihn, verschwimmt und breitet sich in die Gegenwart aus. Ihm wird bewusst: Liebe ist die Angst, die Dinge zu verlieren. Die großen Wörter: er meidet sie noch immer.

Es ist Zeit und niemand will sie haben, eine der bedeutenden Tragödien der neuen Generation. Es ist eine Feststellung, die ihm leicht über die Lippen kommt, aber nur, wenn sie an nichts Grundlegendem rührt. Wie schwer sein Arm ihm wird: Es scheint beinahe unmöglich, dass er vor einer Stunde noch einen Golfschläger schwang. Er dreht sich auf den Rücken, sodass seine Brust ihm schwerer, aber sein Blick leichter wird. Man muss Kompromisse eingehen, wenn man den Himmel sehen will.
Ein Klatschen im Wasser, wie wenn ein Kind aus einer Laune heraus in der Badewanne zu strampeln beginnt. Karl legt das Kinn auf seine Brust, als würde er im Liegen lesen, sein Nacken spannt sich. Da ist eine Bewegung, aber er kann sie nicht zuordnen. Er vertraut seinem Blick auch nicht mehr wirklich.
Er weiß jetzt, wie schwer ein Herz sein kann, und es stimmt ihn vergnügt, als er einen Gedanken fasst, der so lächerlich scheint, dass er ihn vor Scham leise flüstert. Er kann wieder jung sein. Sein Herz ist so schwer, wie es nur damals war. Es ist Zeit und der Himmel weit. Karl sieht, aber erkennt nichts.
Seine Knie schmerzen, aber nicht genug, um ihn von seinem Herzen abzulenken. Er denkt, das sei ein großer Gedanke: Wir nehmen so viel in Kauf, nur um für einen kurzen Augenblick unsere Herzen zu vergessen.
Es ist Zeit, aber ein Gott? Vielleicht. Da ist etwas von früher: Er in der Schule, hölzerne Stühle, im Rücken genietet. Sie waren klein, aber das erkannte man erst, wenn man älter wurde. Karl erinnert den Priester, der ihren Religionsunterricht leitete, Pater Martin. Er war jung für einen Pfarrer, doch auch das erkannte er erst, als er längst von der Schule gegangen war. Ein schwarzes Gewand umhüllte seine hagere Gestalt wie die Wolle eines Pudels dessen Hinterläufe. Warum glauben wir? Die Frage stand im Raum und trug ebenso einen Mantel. Niemand meldete sich.
„Wisst ihr, an Gott glauben ist immer auch ein Zweifeln“, sagte Pater Martin. Seine Augen funkelten dabei, seine Stimme klang gedrückt, wie bei einem Kind, das sich schämt, zu ehrlich zu sprechen.
„Wenn wir sagen, wir glauben an Gott, meinen wir auch immer: wir wissen es nicht.“ Er hielt inne, seine Augen wanderten über die Schüler hinweg. Karl mied den Blick des Paters, schaute in seinen Schoß, wie er es immer tat, wenn er nichts von Wert zu entgegnen wusste.
„Wir wissen es nicht. Nur die Toten tun es und vielleicht nicht mal sie.“ Er hielt sich den Finger an die Unterlippe, als dächte er nach. Vielleicht überlegte er, was er sagen wolle, vielleicht aber auch, ob er das, was er sagen wollte, auch wirklich aussprechen solle.
„Wir wissen nur eines: Wir werden sterben.“ Er schaute zum Fenster, wie man es immer tut, wenn man über etwas weit Entferntes nachdenkt.
„Es ist auch der Wunsch, dass da mehr ist und wir uns nicht bloß auflösen.“
Karl hatte ihm aufmerksam zugehört, auch wenn er während der Rede des Pfarrers nicht aufgesehen hatte, und so war er selbst überrascht, als Pater Martin seinen Monolog unterbrach. Karl hob den Blick von seinen Knien, deren schorfige Flecken von unzähligen Stürzen auf den Asphalt des Pausenhofs dunkel zwischen seinem hellen Fleisch hervortraten, wie Erde unter hellem Sand. Der Priester schaute ihn unverwandt an und erst jetzt bemerkte Karl, dass er den Arm gehoben hatte.
„Was ist denn, Karl?“, fragte der junge Mann. Es gelang ihm nicht, seine Ungehaltenheit zu überspielen. Sie drückte seine Stimme und schliff sie rauer, als er es beabsichtigte.
„Tut es weh?“, fragte Karls Stimme.
Die Augenbrauen des Pfarrers senkten sich gleichmäßig wie dunkle Scharniere und drückten das Fleisch zwischen sich zu einer tiefstehenden Falte zusammen.
„Was meinst du?“
„Sich aufzulösen, tut das weh?“
„Na ja. Ich denke nicht. Warum?“
„Dann fände ich es nicht so schlimm. Wenn es nicht weh tut, meine ich.“

Warum denkt er nicht an Marion, so kurz vor dem Tod? Es ist Zeit, aber nicht dafür, darüber nun böse auf sich zu werden. Er ist schlicht verwundert. Er hat es sich anders vorgestellt, das Sterben. Sein Rücken schmerzt nicht mehr sonderlich, sein Körper ist hart und steif, während sein Denken auseinanderwabert wie der Rauch einer alten Pistole nach dem Schuss. Zwischen seinen Füßen ist Schilf. Er versucht seine Beine zu bewegen und kurz glaubt er, Erfolg zu haben, als seine Augen ein Zittern wahrnehmen. Es geht nicht von ihm aus, sondern von dem Farn des Sees. Die Zweige neigen sich auseinander, öffnen sich wie ein V. Etwas bewegt das Schilf. Und dann ist Karl sich nicht mehr sicher, ob er wirklich hier ist. Etwas entsteigt dem Wasser. Es ist Zeit, aber was, wenn nur im Traum? Das Etwas spreizt seine Beine von sich, es hatte sie angewinkelt, um durch den See zu rudern. Nun ist es beinahe lächerlich, wie es über das Grün watschelt. In Träumen haben die Dinge immer eine Bedeutung. Karl hält inne. Im echten Leben etwa nicht? Was bedeutet es, dass er hier im Sterben liegt und ein Krokodil sieht?
Seine Füße bewegen sich. Er ist selbst überrascht, bis er merkt, dass es sein Lachen ist, das sie schüttelt. Der Storch ist verschwunden, vielleicht hat er das Tier gewittert. Du beschissener Feigling. Es ist einfach, so zu denken, wenn man selbst bald stirbt. Und es ist egal, ob es echt oder ein Traum ist: Nichts hat mehr eine große Bedeutung für ihn. Aber Katja. Hätte er ihr doch nur mehr gesagt, als Zeit dafür bestand. Er weiß, warum er nicht an Marion gedacht hat. Er sieht sie immer in seiner Tochter, tut ihnen beiden damit Unrecht, und kann es dennoch nicht unterlassen. Er hat immer an rosa Elefanten gedacht, wenn er es nicht wollte.
Er denkt, dass da Zeit war, genug für ein Leben, aber hatte er sie genutzt? Müde, zu müde für Reue. Sein Blick starrt, doch er wird nicht von außen gehalten. Da war Zeit, irgendwann einmal.



Danke fürs Lesen! 😄

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marinaheartsnyc
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Beiträge: 137



Beitrag18.08.2021 17:12
Re: Nasses Laub
von marinaheartsnyc
Antworten mit Zitat

Hallo FaithinClouds,

du hast ja noch gar keine Rückmeldung zu deinem Text bekommen, dann mache ich mal den Anfang smile

Zunächst: Ich finde ihn unglaublich gut geschrieben! Sehr E, sehr flüssig, sehr erhaben, sehr ausgefallene Bilder und ein schöner Satzbau bzw. Satzmelodie. Und auch inhaltlich finde ich ihn grundsätzlich ganz spannend und habe auf jeden Fall ohne zu Zögern bis zum Ende gelesen. Werde deshalb auch gar nicht groß in detaillierte Textarbeit einsteigen, weil mich sprachlich gesehen auf den ersten Blick praktisch nichts gestört hat. Und dein Anliegen, die Sprache nah an die Hauptfigur zu bringen und sie "gedankenartig" zu machen, ist dir meiner Meinung nach sehr gut gelungen!

Allerdings habe ich das Problem, das ich oft mit klassischer E-Literatur habe: Ich habe ein wenig das Gefühl, dass die Form über dem Inhalt steht. Denn die zentrale Aussage des Textes ist ja ein wenig "irgendwann sterben wir alle und bereuen dann die Dinge, die wir nie getan haben" (überspitzt formuliert, aber das war das, was ich mitgenommen habe). Und das ist mir irgendwie zu pauschal und zu wenig überraschend. Dabei hast du meines Erachtens eine super spannende Aussage in deinem Text, zu der ich unglaublich gerne mehr gelesen hätte, nämlich die:

FaithinClouds hat Folgendes geschrieben:
Als Katja Jahrzehnte später ihre erste depressive Episode bekam – es war kurze Zeit nach ihrer ersten Monatsblutung geschehen – erinnerte er sich an jenes Buch zurück und begriff, dass es nicht die Frauen waren, die wahnsinnig waren, sondern die Welt um sie herum. Und wie sie ihm erzählte, was sie nicht beschreiben konnte, dieses Nichtfühlen, aber Erleben ihrer Regungen, stützte er ebenso seine Arme auf den Tisch und versuchte, zu begreifen, was seine Tochter ihm in leisen Worten sagte.


Hättest du das noch irgendwie ausgebaut, also diese feministische Perspektive auf mentale Gesundheit und den Zustand der Welt und wie Karl das alles sieht, hätte ich den Text gleich noch viel spannender gefunden.
Das ist aber natürlich meine super subjektive Meinung, und es ist dein Text und deine Botschaft dahinter. Aber ich dachte, ich teile trotzdem mal meine Gedanken dazu, vielleicht kannst du ja etwas damit anfangen smile

Liebe Grüße
Marina


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Yesterday I was clever, so I wanted to change the world. Today I am wise, so I am changing myself.

- Rumi
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FaithinClouds
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F
Beitrag18.08.2021 18:07
Re: Nasses Laub
von FaithinClouds
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Hey Marina, 😄

vielen Dank, dass du meinen Text gelesen hast, bevor er in der Versenkung verschwunden ist😅 ("In das Schweigen hineinschreien" wollte ich nämlich auch nicht😳)

marinaheartsnyc hat Folgendes geschrieben:

Zunächst: Ich finde ihn unglaublich gut geschrieben!


Vielen Dank auch für dieses Kompliment! Ich habe bis jetzt aufgeräumter geschrieben. Also so, dass die Gedanken klarer zu einer der Hauptpersonen zuzuordnen waren. Es ist schön, dass es (zumindest für dich) in dem "anderen Stil" geklappt hat.


marinaheartsnyc hat Folgendes geschrieben:

Allerdings habe ich das Problem, das ich oft mit klassischer E-Literatur habe: Ich habe ein wenig das Gefühl, dass die Form über dem Inhalt steht. Denn die zentrale Aussage des Textes ist ja ein wenig "irgendwann sterben wir alle und bereuen dann die Dinge, die wir nie getan haben" (überspitzt formuliert, aber das war das, was ich mitgenommen habe). Und das ist mir irgendwie zu pauschal und zu wenig überraschend.


Danke für die Ehrlichkeit. Ich hatte - ehrlich gesagt - auch nicht die Absicht, eine richtige Message einzubauen. Es ist ja doch ein persönlicher Text geworden. Nicht wegen der Handlung an sich, sondern weil der Text die Reaktionen wiedergibt, die für mich zum Sterben dazugehören. Ich habe mir vorgestellt, wie es so wäre, zu sterben, und das dann in den Text mit reinfließen lassen. Ich kann verstehen, wenn dir das zu wenig ist, um dich bis zum Ende zu unterhalten.
Ist E-Literatur eigentlich Erwachsenenliteratur? Oder meinst du Onlinetexte?

Marina hat Folgendes geschrieben:

Dabei hast du meines Erachtens eine super spannende Aussage in deinem Text, zu der ich unglaublich gerne mehr gelesen hätte, nämlich die:

FaithinClouds hat Folgendes geschrieben:
Als Katja Jahrzehnte später ihre erste depressive Episode bekam – es war kurze Zeit nach ihrer ersten Monatsblutung geschehen – erinnerte er sich an jenes Buch zurück und begriff, dass es nicht die Frauen waren, die wahnsinnig waren, sondern die Welt um sie herum. Und wie sie ihm erzählte, was sie nicht beschreiben konnte, dieses Nichtfühlen, aber Erleben ihrer Regungen, stützte er ebenso seine Arme auf den Tisch und versuchte, zu begreifen, was seine Tochter ihm in leisen Worten sagte.


Hättest du das noch irgendwie ausgebaut, also diese feministische Perspektive auf mentale Gesundheit und den Zustand der Welt und wie Karl das alles sieht, hätte ich den Text gleich noch viel spannender gefunden.
Das ist aber natürlich meine super subjektive Meinung, und es ist dein Text und deine Botschaft dahinter. Aber ich dachte, ich teile trotzdem mal meine Gedanken dazu, vielleicht kannst du ja etwas damit anfangen smile

Liebe Grüße
Marina


Ja, also da habe ich schon versucht, dass Karl über die Frauen nachdenkt. Es ist ja auch nicht die einzige Textstelle, in der er darauf zu sprechen kommt. An einer Stelle fragt er sich, ob er die Frauen zu oft mit Rehen verwechselt hat. An einer anderen sagt er, dass wütende Frauen in der Welt nicht so weit kommen können wie wütende Männer (es sind noch andere Stellen dazu im Text). Es ist aber keine feministische Perspektive im klassischen Sinn, sondern die Perspektive von Karl, aus der erzählt wird. Und Karl ist eben auch ein Kind seiner Zeit (weiße Oberschicht, hat sich hochgearbeitet, einer der paar  - zumindest finanziellen - Gewinner des Kapitalismus).

Übrigens danke für deine Meinung. Ich nehme sie schon ernst, keine Sorge. Nur weiß ich gerade selbst nicht genau, was für eine "Botschaft" ich eigentlich haben will. Es gibt ja die Vorstellung, dass der Tod den Dingen nachträglich einen Sinn geben soll, aber an so was glaube ich gar nicht. Wir sind hier und irgendwann eben nicht mehr. Natürlich hat man Angst, weil es endet, oder denkt dann darüber nach, was man alles verpasst hat, aber ob da eine Botschaft drin liegt?
Ich habe den Text ja auch geschrieben, um das Ganze einmal durchzspielen (vielleicht auch, um irgendwie auf eine anmaßende Weise "gerüstet" zu sein, wenn es mal soweit ist, ein richtig dummer Gedanke😅).

Na ja 😂 Danke dir jedenfalls für dein Feedback. Ich denke darüber schon noch ein bisschen nach👍

Alles Gute!
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Gast







Beitrag18.08.2021 18:25

von Gast
Antworten mit Zitat

Hallo Wolkenvertrauerin!

Erstmal auch Kompliment, Lob und Danke von mir: Genau mein Beuteschema, deine Geschichte. Sie zeigt sehr schön, dass es auch im Hier und Jetzt genügend erzählenswerte Geschichten zu erzählen gibt, so dass Niemand auf Morde, Elfen und Trolle, in die Luft fliegende Panzer, Aliens und sonstiges Gedönsel zurückgreifen muss.

Ich stimme auch mit Marina darin überein, dass die Geschichte sehr gut erzählt ist!

Das zweite dicke Kompliment geht an Marina, denn ihre Gedanken zu deinem Text decken sich so sehr mit meinen, dass ich da wenig Neues hinzufügen kann. Auch ich sehe das Ganze am Ende des Tages als Variante der "unerträglichen Schwere des Seins," wenn Du damit etwas anfangen kannst - ja, wir sterben alle, und ja, wir nehmen alle dahin mit, was sich im Leben darin angestaut hat. Und auch wenn die Beschreibung dessen, was im konkreten Fall diese aufgestaute Last ist, erzählt werden soll, kann und muß, fehlt auch mir hier die wirklich neue Erkenntnis.

Du hast ja mit dem Anruf an den Notdienst einen losen Faden nicht zusammengeknotet. Ich habe im Hinterkopf immer die Erwartung gehabt, dass am Ende der Geschichte der Notdienst doch noch kommt und Karl gerade so eben vor dem Tod bewahrt. Interessant wäre an der Stelle, was er dann aus diesen Nahtoderkenntnissen in seinem "neuen Leben" macht. Vielleicht wäre das eine Möglichkeit, dem sonst eher statischen plot eine neue Wendung zu erlauben?

Aber ansonsten nochmal thumbs up, da sehe ich sehr viel Potential drin.
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Gast







Beitrag19.08.2021 20:30

von Gast
Antworten mit Zitat

Hallo FaithinClouds,

dieses kleine Juwel hätte ich doch fast übersehen! Dickes Kompliment von mir !

Im Unterschied zu den Vorpostern vermisse ich irgendwelche neuen Erkenntnisse in diesem Text überhaupt nicht. Ich finde der Text ist - bis auf  wenige Details - brilliant geschrieben und er enthält viele Sätze, die mich zum Nachdenken angeregt haben.



LG
DLurie
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Tribalis
Geschlecht:weiblichEselsohr


Beiträge: 251



Beitrag19.08.2021 20:39

von Tribalis
Antworten mit Zitat

Zitat:
Hallo FaithinClouds,

dieses kleine Juwel hätte ich doch fast übersehen! Dickes Kompliment von mir !

Im Unterschied zu den Vorpostern vermisse ich irgendwelche neuen Erkenntnisse in diesem Text überhaupt nicht. Ich finde der Text ist - bis auf  wenige Details - brilliant geschrieben und er enthält viele Sätze, die mich zum Nachdenken angeregt haben.



LG
DLurie


Ich will das unterschreiben. Fast wäre er mir durchgerutscht. Ich habe wirklich nach was zum Mäkeln gesucht, aber nichts gefunden.

Danke für diesen feinen Text.

Liebe Grüße
Tribalis
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marinaheartsnyc
Geschlecht:weiblichLeseratte

Alter: 31
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Beitrag20.08.2021 16:16
Re: Nasses Laub
von marinaheartsnyc
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Hallo FaithinClouds,

FaithinClouds hat Folgendes geschrieben:

vielen Dank, dass du meinen Text gelesen hast, bevor er in der Versenkung verschwunden ist😅 ("In das Schweigen hineinschreien" wollte ich nämlich auch nicht😳)


Es freut mich auf jeden Fall, wenn ich deinem Text noch ein wenig dazu verhelfen konnte, die Aufmerksamkeit zu bekommen, die er verdient hat! Offensichtlich bin ich ja nicht die Einzige, die ihn richtig gut fand smile

FaithinClouds hat Folgendes geschrieben:
Ich hatte - ehrlich gesagt - auch nicht die Absicht, eine richtige Message einzubauen.


Das musst du prinzipiell auch nicht; es ist ja wie gesagt dein Text, und offensichtlich funktioniert er für andere Leser:innen auch so, wie er ist. Ich persönlich bin nur so eine kleine Erklärtante, die gerne eine Botschaft in ihre Texte packt angel

FaithinClouds hat Folgendes geschrieben:
Ist E-Literatur eigentlich Erwachsenenliteratur? Oder meinst du Onlinetexte?


Damit meinte ich "Ernste" Literatur, im Gegensatz zur U (Unterhaltungs-)Literatur smile

@RAc: Spannend, dass sich unsere Gedanken zum Text so decken!

Liebe Grüße
Marina


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Yesterday I was clever, so I wanted to change the world. Today I am wise, so I am changing myself.

- Rumi
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FaithinClouds
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Beitrag20.08.2021 17:25
Re: Nasses Laub
von FaithinClouds
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Hallo alle 😄

ich schreibe euch mal hier in einem einzigen Post, und nicht jedem gesondert (ich hoffe, das ist okay 😅)
Generell freut es mich, dass der Text so viel Lob bekommen hat! Ich war nicht am Angeln nach Komplimenten oder so, aber es wäre gelogen, wenn ich sagen würde, ich fände es nicht schön, dass man das, was ich schreibe, auch (gerne) liest.

@RAc

Zitat:
ja, wir sterben alle, und ja, wir nehmen alle dahin mit, was sich im Leben darin angestaut hat. Und auch wenn die Beschreibung dessen, was im konkreten Fall diese aufgestaute Last ist, erzählt werden soll, kann und muß, fehlt auch mir hier die wirklich neue Erkenntnis.


Ja, ich habe das schon Marina geschrieben. Eine richtige Erkenntnis habe ich auch (noch) nicht. Es ging mir darum, diese Erfahrung, die ja jeder wohl oder übel bei einem Verlust macht, auch hier zu übertragen. Es ist ja auch schwierig, eine solche Erkenntnis zu formulieren, weil sie nah dran an dem Gedanken: warum sind wir eigentlich hier? ist. Und den SInn des Lebens habe ich leider weder gefunden, noch gepachtet.
Ich überlege mir noch, wie ich (vor allem das Ende) die Geschichte umschreiben möchte, muss dich aber enttäuschen: Für Karl wird es keine Rettung geben. Keine Kavallerie, kein weißes Pferd. Ich wollte wirklich über das Sterben schreiben, in seiner ganzen scheiß Endgültigkeit.

@DLurie
Zitat:
dieses kleine Juwel hätte ich doch fast übersehen! Dickes Kompliment von mir !


Dankesehr😅 Also "Juwel" finde ich doch zu viel des Guten. Es freut mich, dass die Geschichte dich unterhalten und zum Nachdenken bringen konnte. Die "wenigen Details" kannst du gerne noch nennen. Lass dich nicht abschrecken!

@Tribalis

Danke auch dir für das Kompliment 😺

@Marina

Marina hat Folgendes geschrieben:
Das musst du prinzipiell auch nicht; es ist ja wie gesagt dein Text, und offensichtlich funktioniert er für andere Leser:innen auch so, wie er ist. Ich persönlich bin nur so eine kleine Erklärtante, die gerne eine Botschaft in ihre Texte packt


Ja, wie gesagt: Ich hadere noch. Ihr macht es einem auch nicht leicht, wenn eine Hälfte für eine Ausführung der Botschaft ist und die andere Hälfte sagt, dass es so in Ordung ist😓
Generell ist das aber ja nicht dein Problem. Du hast genau das gemacht, was ich mit dem Einstellen hier erbeten habe: eine Kritik geäußert. Danke nochmal dafür.
Diese Einteilung in Ernsthaft und Unterhaltung kannte ich bis jetzt nicht. Ich will mit dem Text ja eigentlich auch unterhalten (Ich finde auch nicht, dass sich das so wirklich ausschließen muss)Danke für die Erklärung 👍

Danke generell an alle, die den Text (bis zum Ende hoffentlich 😅 ) gelesen haben! Es war immer frustrierend nur für sich selbst geschrieben zu haben (Ich hatte aber immer Spaß daran). Habt ein schönes Wochenende!
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Selanna
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Beitrag01.09.2021 19:36

von Selanna
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Hallo FaithinClouds,
hier mal ein paar Leseeindrücke und Gedanken von mir:
Zitat:
eine Kinderkrippe

Davor: perfekt. Danach: sehr schön. Aber das „Kinderkrippe“ reißt mich raus. Im ersten Moment denke ich an Kindergarten und frage mich, was hat das mit Grün zu tun? Dann erst komme ich auf Wiege, aber der schöne Lesefluss ist dahin. Wäre Wiege vllt auch möglich (ich seh grad, Du verwendest später „wiegt“, also geht das eher nicht)? Wobei ich mich insgesamt frage, warum es mit einem Kinderbettchen zu tun haben muss? Embarassed
Zitat:
Das Blau des Himmels ist kühl und leicht in Augen und Lunge.

Im ersten Moment denke ich mir: Ein Bezugsfehler, wie kann die Himmelsfarbe in die Lunge geraten? Dann denke ich mir, es ist wohl poetisch gemeint. Hm. Zwei Farbvergleiche hintereinander. Grünes Gras, blauer Himmel, mit allen Sinnen empfinden. Ambitioniert (im positiven Sinne), aber für mich (ganz klar subjektiv) ist es nicht so eingängig beim Lesen.

Was mir auch noch auffiel: drei „und“-Verbindungen im ersten Absatz: hebt und senkt, kühl und leicht, schwer und prüfend. Zum Letzten: Kann etwas „prüfend wiegen“?
Zitat:
Es ist Zeit. Immer ist Zeit. Sie existiert ohne Bedingung.

Sehr schön Smile Ebenso gelungen ist der Storch-Absatz Daumen hoch
Zitat:
als er in der Entfernung hinabsinkt

Sinkt ein Golfball? Er fällt wie später erwähnter Stein, zumindest nach meinem Empfinden.
Zitat:
Karl wendet den Blick ab, ehe er zum Erliegen gekommen ist.

Bezug. Wer kommt zum Erliegen? Der Blick? Karl? Ich weiß, Du meinst den Ball, aber auf den Ball wiederum passt „zum Erliegen kommen“ nicht so ganz (imho). Man bringt ein System oder sonst etwas Größeres zum Erliegen, wie etwa den Bahnverkehr. Oder? Ein Ball hingegen „bleibt liegen“ oder „rollt aus“.
Zitat:
Sein oranges Polo ist ihm selbst unangenehm grell.

Kann man das sagen? Ich weiß es (wirklich) nicht. Polo ist für mich ein Sport. Meine ich das Kleidungsstück, sage ich immer „Polohemd/-shirt“, aber vllt ist das nur eine dumme Angewohnheit von mir Embarassed Und: Bisher war nur die Außensicht präsent: Gras, Himmel, Teich, Ball. Jetzt sieht er an sich hinunter und bemerkt sein Hemd, fühlt sich unwohl. Danach geht es weiter mit seiner Einstellung zu Sport. Wie passt da das Polohemd rein? Vllt kannst Du es aussagekräftiger in den Text einbinden?
Zitat:
den Rücken durchgebogen wie ein britischer Gentleman oder ein ähnlich oberflächliches Wesen, für das in der realen Welt kein Platz mehr ist.

Schön. Und irritierend (was nicht schlecht ist!), denn erst kommt der Gentleman so positiv in dem Satz rüber und dann konterkarierst Du meinen Leseeindruck ganz wunderbar, um ihn im Relativsatz wieder auferstehen zu lassen. Gut!
Zitat:
Er merkt es eher an Kleinigkeiten als an den großen Veränderungen, die sich quälend langsam in die Welt gestohlen hatten, sodass ihre Anwesenheit kaum mehr auffiel.

Der Absatz ist auch gelungen, nur das „ihre“ finde ich vom Bezug her schwierig. Da es sich auf Welt und Veränderungen ebenso beziehen könnte. Ist akzeptabel (vom Satzbau), denke ich, aber erschließt sich erst im Rückblick. Jetzt kommt es darauf an, welche Art Text Du schreiben willst Wink
Zitat:
dass dies nicht selbstverständlich sei.

Das habe ich leider nicht verstanden. Wie meinst Du das?

Mir geht gerade die Zeit aus. Ich hoffe, ich komme später noch einmal dazu.
Ein schöner Text, man merkt, wie viel Überlegung, wie viel Bedacht darin steckt, wie sorgfältig Du Worte und Vergleiche ausgesucht, Bilder geschaffen hast. Ich habe an vielen Kleinigkeiten herumgenörgelt, darum möchte ich noch einmal betonen, damit kein falscher Eindruck entsteht: Es ist ein schöner Text!
Liebe Grüße
Selanna


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Nur ein mittelmäßiger Mensch ist immer in Hochform. - William Somerset Maugham
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Selanna
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Beitrag06.09.2021 18:05

von Selanna
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Hallo nochmal,
ich habe inzwischen weitergelesen Smile
Zitat:
und kaum mehr Kraft, um mehr zu tun,

WW: mehr
Zitat:
weil es scheint, als müsse er wie bei einer chemischen Reaktion erst eine Kraft aufwenden, dass diese von selbst weiterlaufen könne.

Der Satz gefällt mir sehr, sehr gut bis zu dem „weil“. Da fände ich es schöner, wenn Du den Satz für sich stehen lässt, unangebunden. Einfach: Es scheint, als müsse er …
Den Vergleich verstehe ich nicht ganz. Was soll denn weiterlaufen? Dass er einschlafen kann?
Zitat:
Doch er verschließt sich davor und dennoch gelingt es einzelnen Gedanken – und er hatte versucht sie zu unterdrücken –

Hier sind ziemlich viele Widersprüche aneinandergereiht (doch, dennoch, Unterdrückungsversuch), das wirkt (auf hohem Niveau kritisch betrachtet) etwas redundant. Es ist ein Auf und Ab: Nachdenken – doch nicht – einzelne Gedanken trotzdem – doch er unterdrückt. Verstehst Du, was ich meine? Es ist nur die Frage, ob Du das willst, ob es das Stilmittel ist, das Du bewusst einsetzt – oder ob es unbewusst von Dir gewählt war. Ganz elegant finde ich es nicht. Alles Nachfolgende in dem Absatz gefällt mir übrigens sehr!
Zitat:
die seinem Sohn die silberne Brosche entreißen,

Ist „seinem Sohn“ Karl? Dann finde ich das etwas irreführend. Denn Karls Vater ist zwar „sein Vater“, aber wenn danach „sein Sohn“ folgt, wäre das Karls Sohn, also der Enkel von Karls Vater. Wenn Du „seinem Sohn“ einfach durch „ihm“ ersetzt? Oder besser noch, durch „Karl“? Und: Die Brosche hätte ich eher als „Abzeichen“ bezeichnet, bei Brosche (was das Abzeichen faktisch natürlich ist) denke ich eher an Anstecknadeln an Blusen zum Schmuck.
Zitat:
mit betränten Augen

Tränenden?
Zitat:
Da ist das Kreischen der Schweine zwischen den Metallstreben, die zu begreifen beginnen, dass sie sterben werden.

Interessant: Vater, Tochter, Geliebte, Schweine. Wenn das einen tieferen Sinn hat: Sehr gut. Wenn nicht: Seltsam.

Zitat:
Seine Tochter hat […] Katjas Stimme hatte […]

Warum Vorzeitigkeit? Die Stimme klang doch bei dem Telefonat so, also Gleichzeitigkeit, oder? Auch im Weiteren gehst Du (meist) in die Vorzeitigkeit, obwohl Du in der Hinführung zum Telefonat teilweise im Perfekt schreibst. Das solltest Du vereinheitlichen.
Zitat:
die Welt wäre gut zu euch.“
„Nein, ihr habt nie gesagt, es wär leicht.“
„Aber auch nie, wie schwer es wirklich ist.“

Die Stelle gefällt mir nicht so sehr, sie dreht sich ein wenig im Kreis, oder? Und sie streift ein kleines Bisschen an Plattitüden entlang, was Du sonst so wunderbar vermeidest. Aber vllt ist das auch nur mein Eindruck und vllt auch nur ein momentaner, ich bin mir selbst nicht sicher.
Zitat:
Den
Ball? Den Storch?

Hier würde ich nach „Den“ drei Punkte oder einen Bindestrich setzen, sonst fehlt etwas (mE) Wesentliches.
Zitat:
Der Wind ist wie ein Gähnen, das man hinter einer geschlossenen Tür hört.

Toll!
Zitat:
und das ist ebenso schlimm

Wenn Du es streichst, würde der Kontext gewinnen (imho).
Zitat:
an ihrer Stelle war wirkliches Gras, wirkliche Bäume, ein wirklicher See gewesen.

„War gewesen“? Das klingt nichtssagend. Nicht wenigstens etwas mit bestanden, gestanden, befunden oder so? Und warum Vorzeitigkeit?
Zitat:
Warum tat er dies?

Nicht die Hochhäuser anschauen, sonst stände das im Präsens. Er fragt sich irgendwas, was er früher tat, richtig?
Zitat:
Er weiß nicht, wo er gewesen ist, nur dass er jetzt wieder da ist

Würde ich streichen, das geht eindeutig aus dem Text hervor, auch ohne dass es extra erwähnt wird.
Zitat:
Karl ist alt, der Morgen ebenso,

Er ist alt wie der Morgen. Toller Vergleich!
Zitat:
Er nennt die Adresse des Golfclubs.

Das musst Du recte setzen, da er es ja nicht sagt, sondern der Text es paraphrasiert.
Zitat:
dass wir gehen müssen.

Wer ist „wir“? Lässt Du das mit Absicht im Unklaren?
Zitat:
Ein Lachen.

Ich frage mich, rein medizinisch betrachtet, ob man in diesem Moment die Luft hat, um lachen zu können. Aber ich weiß es nicht. Vllt weiß es irgendein Mitglied im dsfo, das Arzt ist.
Zitat:
Schweigen, trocken

Das musst Du recte setzen.
Zitat:
dass es nicht die Frauen waren, die wahnsinnig waren,

„wahnsinnig“ assoziiere ich nicht zwangsläufig mit „depressiv“. Hat „Wahnsinn“ nicht auch immer etwas Hervorbrechendes, etwas Ausbrechendes, etwas Aktives? Mit Depression verbinde ich Zurückgezogenheit und Passivität. Aber es ist Karls Sicht und natürlich kann er andere, sogar falsche Assoziationen haben. Wollte ich nur anmerken, weil es mir auffiel.
Zitat:
Und wie sie ihm erzählte,

Schreib Katja. Das letzte Femininum, auf was sich „sie“ beziehen könnte, ist „Welt“, davor „Monatsblutung“, davor „Zeit“ etc.
Zitat:
ist erstaunt, weil doch niemand seine Tränen sehen würde.

Ist man darüber erstaunt? Oder bedauert man das, ist erleichtert, oder was auch immer. Aber staunt man darüber? Bringe ich nicht so überein.
Zitat:
dazu besteht keine Zeit.

Kann man in diesem Kontext „bestehen“ sagen? Eher „bleibt“?
Zitat:
Dass er geglaubt hatte, Unterschiede machen zu müssen, die es womöglich gar nicht gab.

Hat das noch was mit den Rehen zu tun oder ist das ein Gedankensprung?
Zitat:
als Zeit dafür bestand.

Hier stört mich „bestehen“ nicht, vllt liege ich mit meinem Sprachgefühl oben also falsch.
Zitat:
Katja kann es noch immer, hat es sich bewahrt.

Eines der Hauptprobleme von depressiven Menschen ist es, dass sie Wut unterdrücken oder nach innen kehren. Dass also ausgerechnet Katja vor Wut toben kann, finde ich unrealistisch. Selbst mit dem Nachsatz. Hätte sie sich die Wut bewahrt, wäre sie ja wegen Tobsucht oder Hysterie im Stift, aber nicht wegen Depression. Die Depression ist ein Zeichen, dass sie ihre Wut vielmehr verloren hat.
Zitat:
die mit dunklem Stein verkleidet drohend vor dem melierten Himmel aufragte.

Das ist schon sehr zugekleistert mit beschreibenden Adjektiven und Adverben. Besonders das Dunkel-verkleidet-drohend, aber ich weiß nicht, wie man das kürzen könnte. Vllt die aus dunklem Stein drohend/ dessen dunkle Steine drohend? Oder Du kürzt wenigstens das „meliert“ raus, als Ausgleich zu der Anhäufung davor?
Zitat:
Karl überlegte unernst,

Nicht ganz im Ernst? Flüchtig? – „Unernst“ finde ich hier nicht passend. Es ist ein seltenes Wort (wenn es das überhaupt wirklich gibt), das nur eingesetzt werden sollte, wenn es einen besonderen Zweck erfüllt, aber an dieser Stelle sehe ich keinen. Natürlich imho Embarassed
Zitat:
wie wenn ein Kind aus einer Laune heraus in der Badewanne zu strampeln beginnt

Ist das „aus einer Laune heraus“ wichtig? Ich meine, warum sonst sollte das Kind strampeln? Doch nicht, weil es jemand von ihm einfordert Wink
Zitat:
Karl erinnert den Priester, der ihren Religionsunterricht leitete, Pater Martin.

Ich denke, es muss reflexiv sein. Selbst wenn es im poetischen Sinne verwendet wird, sonst wäre es falsch bis extrem altertümelnd? Wenn Du gehoben schreiben willst, wie wäre es mit: entsann sich des?
Zitat:
Er war jung für einen Pfarrer, doch auch das erkannte er erst, als er längst von der Schule gegangen war. Ein schwarzes Gewand umhüllte seine hagere Gestalt wie die Wolle eines Pudels dessen Hinterläufe. Warum glauben wir? Die Frage stand im Raum und trug ebenso einen Mantel. Niemand meldete sich.

Toll!
Zitat:
Er schaute zum Fenster, wie man es immer tut,

Ich würde das „immer“ streichen.
Zitat:
und drückten das Fleisch zwischen sich

Ich würde Fleisch durch Haut ersetzen.

So, war ein langer Text. Normalerweise lese ich nur stur 2000 Wörter, dann breche ich ab, weil ich es nicht mag, wenn jemand mehr einstellt als in den Regeln steht. Aber der Text war wirklich sehr, sehr schön, da ist Dir wirklich ein kleines Juwel gelungen. Obwohl, das klingt zu zufällig, sagen wir lieber: Da hast Du ein kleines Juwel geschaffen.
Nur ein Manko, das wirklich nicht sein müsste: Achte auf die Zeit. Oh, das hört sich fast zynisch an nach diesem Text. Ich meine: Tempus. Es ist ärgerlich, dass Du die Zeitform in einem so schönen Text nicht konsequent einhältst. Ich habe bei Weitem nicht alle Fehler angemerkt, da sind etliche drin. Es würde mich freuen, wenn da den Text speziell darauf hin noch einmal durchsiehst.
Und, ganz am Schluss und ganz klein angemerkt: Vllt kannst Du ein kleines Bisschen kürzen. Nicht viel, ganz dezent. So ab der Mitte zieht es sich etwas (nur ganz wenig) für mich. Du beschreibst es wirklich sowohl sehr intensiv wie auch sehr extensiv, dehnst den Moment in jede (Sinnes-)Richtung. Ich würde Dir raten, den Text zwei, drei Wochen liegen zu lassen und dann Absatz für Absatz oder sogar Satz für Satz durchzugehen und zu überlegen, ob er wirklich Relevantes (an Info, an Gefühl, an Subtext) zum Text beiträgt oder ob er redundant ist. Ich glaube, der Text wiederholt sich in winzigen Details (nicht in den gewollten, wie der Zeit), die man kürzen könnte.
Aber am Schluss soll stehen: Ein kleines Juwel, ein wirklich toller Text!
Liebe Grüße
Selanna


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FaithinClouds
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Beitrag13.09.2021 11:55

von FaithinClouds
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Hey Selanna,

danke für dein ausführliches Feedback! 😄 Sorry, dass ich dir jetzt erst schreibe. Ich hatte nicht so wirklich Zeit in den letzten Tagen und wollte auch ausführlich auf deine Kritik eingehen.

Selanna hat Folgendes geschrieben:

Davor: perfekt. Danach: sehr schön. Aber das „Kinderkrippe“ reißt mich raus. Im ersten Moment denke ich an Kindergarten und frage mich, was hat das mit Grün zu tun? Dann erst komme ich auf Wiege, aber der schöne Lesefluss ist dahin. Wäre Wiege vllt auch möglich (ich seh grad, Du verwendest später „wiegt“, also geht das eher nicht)? Wobei ich mich insgesamt frage, warum es mit einem Kinderbettchen zu tun haben muss?


Hier kann ich schon Kinderwiege stattdessen schreiben xD


Selanna hat Folgendes geschrieben:
Das Blau des Himmels ist kühl und leicht in Augen und Lunge.
Im ersten Moment denke ich mir: Ein Bezugsfehler, wie kann die Himmelsfarbe in die Lunge geraten? Dann denke ich mir, es ist wohl poetisch gemeint. Hm. Zwei Farbvergleiche hintereinander. Grünes Gras, blauer Himmel, mit allen Sinnen empfinden. Ambitioniert (im positiven Sinne), aber für mich (ganz klar subjektiv) ist es nicht so eingängig beim Lesen.


Ich wollte so ein bisschen das Gefühl vermitteln, das so ein Morgen hervorruft. Weil ich finde, dass es diese Art Luft gibt, die man mit geschlossenen Augen einatmen kann und schon daran merkt, dass der Himmel blau sein muss. 😅 Aber vielleicht ist das zu viel Assoziation.

Selanna hat Folgendes geschrieben:
Was mir auch noch auffiel: drei „und“-Verbindungen im ersten Absatz: hebt und senkt, kühl und leicht, schwer und prüfend. Zum Letzten: Kann etwas „prüfend wiegen“?


Also das "prüfend" kann ich auch streichen. Beim Golfen prüft man halt ein paar Mal (vor allem am Anfang) den genauen Abschlagsweg, bevor man den Ball dann wirklich trifft.



Selanna hat Folgendes geschrieben:

"als er in der Entfernung hinabsinkt "
Sinkt ein Golfball? Er fällt wie später erwähnter Stein, zumindest nach meinem Empfinden.


Ich finde, hier passt sinken besser, weil es so ist, wie wenn man etwas von einem Turm fallen lässt. Ab einer bestimmten Höhe, die etwas fällt, wird irgendwie der Fall abstrakter (ich weiß auch nicht, wie ich das erklären kann -_-)

Selanna hat Folgendes geschrieben:
Karl wendet den Blick ab, ehe er zum Erliegen gekommen ist.
Bezug. Wer kommt zum Erliegen? Der Blick? Karl? Ich weiß, Du meinst den Ball, aber auf den Ball wiederum passt „zum Erliegen kommen“ nicht so ganz (imho). Man bringt ein System oder sonst etwas Größeres zum Erliegen, wie etwa den Bahnverkehr. Oder? Ein Ball hingegen „bleibt liegen“ oder „rollt aus“.


Ich schreib einfach: ehe er ausgerollt ist.

Selanna hat Folgendes geschrieben:
Sein oranges Polo ist ihm selbst unangenehm grell.
Kann man das sagen? Ich weiß es (wirklich) nicht. Polo ist für mich ein Sport. Meine ich das Kleidungsstück, sage ich immer „Polohemd/-shirt“, aber vllt ist das nur eine dumme Angewohnheit von mir :oops:  


Ist halt umgangsprachlicher, aber man sagt das schon ^^.

Selanna hat Folgendes geschrieben:
Bisher war nur die Außensicht präsent: Gras, Himmel, Teich, Ball. Jetzt sieht er an sich hinunter und bemerkt sein Hemd, fühlt sich unwohl. Danach geht es weiter mit seiner Einstellung zu Sport. Wie passt da das Polohemd rein? Vllt kannst Du es aussagekräftiger in den Text einbinden?


Ich fand das ein gutes Bild. Wie bei einem Film, wo auf einmal rausgezoomt wird und man sieht von Weitem eine kleine, orange Gestalt ganz allein auf einem grünen, flachen Feld. Aber wenn das zu plötzlich oder einsam steht, kann ich es auch einfach rausstreichen.



Selanna hat Folgendes geschrieben:
"dass dies nicht selbstverständlich sei."
Das habe ich leider nicht verstanden. Wie meinst Du das?


Dass es nicht selbstverständlich ist, obenauf zu schwimmen. Dass die Zeit und ihre Gewalt einen auch jederzeit unter sich begraben kann.


Danke für deine Anmerkungen 😄  Einiges verstehe ich, wie gesagt, und werde es auch ändern. Bei manchen Sachen bin ich mir immer noch unsicher. Ich finde die Konjunktionen zu Beginn zum Beispiel nicht so störend. Manche Bilder mag ich, aber weiß nicht, ob jemand Anderes sie auch verstehen oder mögen kann. Und ich will ja, dass der Text verstanden wird.😓
Die Fortsetzung deiner Kritik habe ich auch schon gesehen. Ich werde darauf auch noch eingehen. Danke für die viele Mühe, die du dir gegeben hast. Ich nehme alles ernst!

Alles Gute!
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Beitrag13.09.2021 12:56

von FaithinClouds
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Selanna hat Folgendes geschrieben:

 und kaum mehr Kraft, um mehr zu tun,

Okay, wird gestrichen xD

Selanna hat Folgendes geschrieben:
"weil es scheint, als müsse er wie bei einer chemischen Reaktion erst eine Kraft aufwenden, dass diese von selbst weiterlaufen könne."
Der Satz gefällt mir sehr, sehr gut bis zu dem „weil“. Da fände ich es schöner, wenn Du den Satz für sich stehen lässt, unangebunden. Einfach: Es scheint, als müsse er …
Den Vergleich verstehe ich nicht ganz. Was soll denn weiterlaufen? Dass er einschlafen kann?


Den Nebensatz kann ich auflösen. Bei einer chemischen Reaktion muss man eine Aktivierungsenergie investieren, damit dann mehr Energie freiwird, als man ursprünglich investiert hat. Ich meinte damit, dass es für ihn so ist, als müsse er sich anstrengen, einzuschlafen, um dann durch den Schlaf wieder Erholung zu finden. 😓 Werde es aber streichen, weil das zu sehr um die Ecke gedacht ist.


Selanna hat Folgendes geschrieben:
"Doch er verschließt sich davor und dennoch gelingt es einzelnen Gedanken – und er hatte versucht sie zu unterdrücken – "

Hier sind ziemlich viele Widersprüche aneinandergereiht (doch, dennoch, Unterdrückungsversuch), das wirkt (auf hohem Niveau kritisch betrachtet) etwas redundant. Es ist ein Auf und Ab: Nachdenken – doch nicht – einzelne Gedanken trotzdem – doch er unterdrückt. Verstehst Du, was ich meine? Es ist nur die Frage, ob Du das willst, ob es das Stilmittel ist, das Du bewusst einsetzt – oder ob es unbewusst von Dir gewählt war. Ganz elegant finde ich es nicht. Alles Nachfolgende in dem Absatz gefällt mir übrigens sehr!


Es soll eigentlich auch redundant sein, weil seine Gedanken eher ein Fluss als ein See sind. Das erste "doch" streiche ich aber 😅


Selanna hat Folgendes geschrieben:
"die seinem Sohn die silberne Brosche entreißen."

Ist „seinem Sohn“ Karl? Dann finde ich das etwas irreführend. Denn Karls Vater ist zwar „sein Vater“, aber wenn danach „sein Sohn“ folgt, wäre das Karls Sohn, also der Enkel von Karls Vater. Wenn Du „seinem Sohn“ einfach durch „ihm“ ersetzt? Oder besser noch, durch „Karl“? Und: Die Brosche hätte ich eher als „Abzeichen“ bezeichnet, bei Brosche (was das Abzeichen faktisch natürlich ist) denke ich eher an Anstecknadeln an Blusen zum Schmuck.


Okay, ich schreibe "Karl" und "Abzeichen".

Selanna hat Folgendes geschrieben:
"mit betränten Augen"
Tränenden?


Ist das nicht dasselbe?😅

Zitat:
"Da ist das Kreischen der Schweine zwischen den Metallstreben, die zu begreifen beginnen, dass sie sterben werden."
Interessant: Vater, Tochter, Geliebte, Schweine. Wenn das einen tieferen Sinn hat: Sehr gut. Wenn nicht: Seltsam.


Na ja. Ich wollte vom Persönlichen ins Universelle. Erst die Familiengeschichte von Karl in Episoden, dann irgenwie die Endlichkeit aller Kreaturen...

Zitat:
"Seine Tochter hat […] Katjas Stimme hatte […]"
Warum Vorzeitigkeit? Die Stimme klang doch bei dem Telefonat so, also Gleichzeitigkeit, oder? Auch im Weiteren gehst Du (meist) in die Vorzeitigkeit, obwohl Du in der Hinführung zum Telefonat teilweise im Perfekt schreibst. Das solltest Du vereinheitlichen.


Okay, ich überarbeite das Tempus nochmal. Der Text war, glaube ich, ursprünglich auch im Präteritum. Dann habe ich ihn mehrfach überarbeitet, aber irgendwie hat es sich total komisch angefühlt, den im Präsens zu lesen, und ich war etwas verwirrt, wie ich besonders den Dialog mit Kat ändern soll.😔


Zitat:
die Welt wäre gut zu euch.“
„Nein, ihr habt nie gesagt, es wär leicht.“
„Aber auch nie, wie schwer es wirklich ist.“

Die Stelle gefällt mir nicht so sehr, sie dreht sich ein wenig im Kreis, oder? Und sie streift ein kleines Bisschen an Plattitüden entlang, was Du sonst so wunderbar vermeidest. Aber vllt ist das auch nur mein Eindruck und vllt auch nur ein momentaner, ich bin mir selbst nicht sicher.


Das ist Absicht. Karls Hilflosigkeit soll dadurch zum Ausdruck kommen. Er weiß nicht, was er sagen kann, um es besser für Kat zu machen. Deswegen die Klischees.

Selanna hat Folgendes geschrieben:
"Den Ball? Den Storch?"
Hier würde ich nach „Den“ drei Punkte oder einen Bindestrich setzen, sonst fehlt etwas (mE) Wesentliches.


Also Punkte oder Bindestriche wirken irgendwie "verschleppend". Ich finde das so in Ordnung.

Zitat:
und das ist ebenso schlimm
Wenn Du es streichst, würde der Kontext gewinnen (imho).


Okay, dann streiche ich es.

Zitat:
an ihrer Stelle war wirkliches Gras, wirkliche Bäume, ein wirklicher See gewesen.
„War gewesen“? Das klingt nichtssagend. Nicht wenigstens etwas mit bestanden, gestanden, befunden oder so? Und warum Vorzeitigkeit?


Ja, ich setze das dann ins Präteritum. Es geht ja nicht um bestehen/stehen, sondern um die bloße Existenz. Dass Dinge gehen müssen und durch Sachen ersetzt werden, die gar nicht nötig sind.👻


Selanna hat Folgendes geschrieben:
"Er weiß nicht, wo er gewesen ist, nur dass er jetzt wieder da ist"
Würde ich streichen, das geht eindeutig aus dem Text hervor, auch ohne dass es extra erwähnt wird.


Okay, dann wird's gestrichen. 🤗

Selanna hat Folgendes geschrieben:
Er nennt die Adresse des Golfclubs.
Das musst Du recte setzen, da er es ja nicht sagt, sondern der Text es paraphrasiert.


Ja, mach ich. 👍

Selanna hat Folgendes geschrieben:
"wir gehen müssen."
Wer ist „wir“? Lässt Du das mit Absicht im Unklaren?  


Damit meint er die Gesamtheit aller Lebewesen.

Selanna hat Folgendes geschrieben:
Ein Lachen.
Ich frage mich, rein medizinisch betrachtet, ob man in diesem Moment die Luft hat, um lachen zu können. Aber ich weiß es nicht. Vllt weiß es irgendein Mitglied im dsfo, das Arzt ist.


Ja, ist es schon. Ein Herzinfarkt ist ein Ausfall von Herzmuskelgewebe. Also das Herz kann einen Teil seiner Arbeit nicht mehr verrichten. Je nach Ausmaß des Arterienverschlusses (und auch Lage des Versorgungsgebiets) fällt das schwerer oder weniger schwer aus. Hier ist es dann noch genug (zumal im Anfangsstadium des Infarkts), um noch das Zwerchfell ein paar Mal anzuspannen.

Zitat:
Schweigen, trocken
Das musst Du recte setzen.  


Okay 👌

Zitat:
dass es nicht die Frauen waren, die wahnsinnig waren,

„wahnsinnig“ assoziiere ich nicht zwangsläufig mit „depressiv“. Hat „Wahnsinn“ nicht auch immer etwas Hervorbrechendes, etwas Ausbrechendes, etwas Aktives? Mit Depression verbinde ich Zurückgezogenheit und Passivität. Aber es ist Karls Sicht und natürlich kann er andere, sogar falsche Assoziationen haben. Wollte ich nur anmerken, weil es mir auffiel. [/quote]

Ja, aber Wahnsinn ist eben diffuser und passt besser in den Kontext (weil Karl ja in diesem Abschnitt nicht nur speziell über Kat nachdenkt). Das Wort Hysterie kommt ja auch vom griechischen Wort  "hystera" für Gebärmutter, weil die in der Antike geglaubt haben, der Uterus sei der Ursprung für Wahnsinn (und dieser dann etwas "typisch Weibliches"🤮)

Zitat:
Und wie sie ihm erzählte
Schreib Katja. Das letzte Femininum, auf was sich „sie“ beziehen könnte, ist „Welt“, davor „Monatsblutung“, davor „Zeit“ etc.


Na ja. Die anderen Nomen waren nie Subjekte und sind auch nicht in der Lage, etwas zu erzählen.😅 Also ich finde, das das bis jetzt so gepasst hat.

Selanna hat Folgendes geschrieben:
"ist erstaunt, weil doch niemand seine Tränen sehen würde."
Ist man darüber erstaunt? Oder bedauert man das, ist erleichtert, oder was auch immer. Aber staunt man darüber? Bringe ich nicht so überein.


Er glaubt, dass man immer nur weint, um anderen zu zeigen, dass man traurig ist. Aber jetzt, wo niemand da ist, weint er trotzdem. Und das erstaunt ihn.😬

Zitat:
"dazu besteht keine Zeit"
Kann man in diesem Kontext „bestehen“ sagen? Eher „bleibt“?


Okay, ja, "bleibt" klingt besser ^^

Selanna hat Folgendes geschrieben:
"Dass er geglaubt hatte, Unterschiede machen zu müssen, die es womöglich gar nicht gab".
Hat das noch was mit den Rehen zu tun oder ist das ein Gedankensprung?


Ja, er hat geglaubt, dass Frauen wie Rehe sind und anders behandelt werden müssten als Männer. Jetzt fragt er sich, ob es diesen Unterschied überhaupt gibt.


Selanna hat Folgendes geschrieben:
"Katja kann es noch immer, hat es sich bewahrt."
Eines der Hauptprobleme von depressiven Menschen ist es, dass sie Wut unterdrücken oder nach innen kehren. Dass also ausgerechnet Katja vor Wut toben kann, finde ich unrealistisch. Selbst mit dem Nachsatz. Hätte sie sich die Wut bewahrt, wäre sie ja wegen Tobsucht oder Hysterie im Stift, aber nicht wegen Depression. Die Depression ist ein Zeichen, dass sie ihre Wut vielmehr verloren hat.


Es gibt keine "eine" Depression. Psychische Erkrankungen folgen keinem bestimmten Schema. Jeder Mensch reagiert anders. Wut kann auch befreiend sein. Sie hat diese "schlechten" Gefühle so lange unterdrückt, dass es sich für sie jetzt so anfühlt, als könne sie diese Gefühle gar nicht mehr haben. Als müsse sie sich immer verstellen. Sie weiß eigentlich gar nicht mehr, wie sie ist.

Selanna hat Folgendes geschrieben:
die mit dunklem Stein verkleidet drohend vor dem melierten Himmel aufragte.
Das ist schon sehr zugekleistert mit beschreibenden Adjektiven und Adverben. Besonders das Dunkel-verkleidet-drohend, aber ich weiß nicht, wie man das kürzen könnte.


Also ich fand, dass das nicht "zu viel" ist, weil die Adjektive sich in ihrer Bedeutung nicht wirklich doppeln. Etwas Dunkles droht ja nicht immer, deswegen habe ich das "drohend" dazu gemacht. 😄 Und der melierte Himmel soll zeigen, dass es regnet und nicht so bald damit aufhört.


Selanna hat Folgendes geschrieben:
"Karl überlegte unernst"
Nicht ganz im Ernst? Flüchtig? – „Unernst“ finde ich hier nicht passend. Es ist ein seltenes Wort (wenn es das überhaupt wirklich gibt), das nur eingesetzt werden sollte, wenn es einen besonderen Zweck erfüllt, aber an dieser Stelle sehe ich keinen. Natürlich imho :oops:


Ich weiß nicht, ob flüchtig so richtig passt.🤔 Flüchtig ist ja: Er überlegt kurz und merkt eigentlich sofort, dass seine Überlegung nicht aufgeht. Unernst ist: Er weiß von vorneherein, dass die Überlegung nicht aufgeht.

Zitat:
"wie wenn ein Kind aus einer Laune heraus in der Badewanne zu strampeln beginnt"
Ist das „aus einer Laune heraus“ wichtig? Ich meine, warum sonst sollte das Kind strampeln? Doch nicht, weil es jemand von ihm einfordert :wink:


Ja, ich streiche einfach das "aus einer Laune heraus".👍

Zitat:
Karl erinnert den Priester, der ihren Religionsunterricht leitete, Pater Martin.
Ich denke, es muss reflexiv sein. Selbst wenn es im poetischen Sinne verwendet wird, sonst wäre es falsch bis extrem altertümelnd? Wenn Du gehoben schreiben willst, wie wäre es mit: entsann sich des? .


Dann mache ich das reflexiv. Entsann klingt geschwollen.

Zitat:
Er schaute zum Fenster, wie man es immer tut,

Ich würde das „immer“ streichen.

Ja, mach ich.

Zitat:
und drückten das Fleisch zwischen sich

Ich würde Fleisch durch Haut ersetzen.

👍 Okay, das mach ich auch. 😆

Zitat:
Normalerweise lese ich nur stur 2000 Wörter, dann breche ich ab, weil ich es nicht mag, wenn jemand mehr einstellt als in den Regeln steht.

Ups, ich wusste gar nicht, dass das eine der Vorgaben ist.
😳


Zitat:
Nur ein Manko, das wirklich nicht sein müsste: Achte auf die Zeit.


Ja, das hatte ich eh nochmal vor. Ich schaue auch noch einmal drüber, was ich kürzen könnte.

Danke für die Zeit, die du in den Text investiert hast! Und für die ausführliche Kritik. Ich habe gemerkt, dass du dir viel Mühe gemacht hast und dass du aufrichtig und ernsthaft an den Text rangegangen bist. Und das ist schon verdammt viel dafür, dass wir uns nur über das Forum hier kennen.😄 Also wirklich: Vielen, lieben Dank!😺 Deine Kritik war für mich immer verständlich und ich werde Vieles umsetzen.

Hab eine schöne Woche! (und sorry fürs so späte Melden)
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Selanna
Geschlecht:weiblichReißwolf


Beiträge: 1146
Wohnort: Süddeutschland


Beitrag13.09.2021 18:53

von Selanna
Antworten mit Zitat

Hallo FaithinClouds,

Zitat:
danke für dein ausführliches Feedback! 😄 Sorry, dass ich dir jetzt erst schreibe.

Der Text hat es wirklich verdient. Und kein Problem Wink
Zitat:
Ich wollte so ein bisschen das Gefühl vermitteln, das so ein Morgen hervorruft. Weil ich finde, dass es diese Art Luft gibt, die man mit geschlossenen Augen einatmen kann und schon daran merkt, dass der Himmel blau sein muss. 😅

Dazu möchte ich meinen Kommentar auch revidieren. Lass es bitte so, inzwischen gefällt es mir richtig gut!
Zitat:
Aber wenn das [oranges Polo] zu plötzlich oder einsam steht, kann ich es auch einfach rausstreichen.

Fiel mir auf, aber überleg es Dir in Ruhe. Es muss ja nicht alles, was mir auffiel, auch wirklich änderungswürdig sein.
Zitat:
Dass es nicht selbstverständlich ist, obenauf zu schwimmen. Dass die Zeit und ihre Gewalt einen auch jederzeit unter sich begraben kann.

Wenn Du selbst kritisch hinschaust: Geht das aus dem Text hervor? Oder weißt Du das nur, weil Du das als Autor im Hinterkopf hast?
Zitat:
Bei manchen Sachen bin ich mir immer noch unsicher.

Dann änder sie lieber nicht. Ist ja Dein Stil. Mach Dir vllt nur einen Kommentar im Text und lies es Dir in zwei, drei Monaten nochmal durch. So mach ich das oft, zeitlicher Abstand erleichtert die Entscheidung, finde ich.
Zitat:
Manche Bilder mag ich, aber weiß nicht, ob jemand Anderes sie auch verstehen oder mögen kann. Und ich will ja, dass der Text verstanden wird.😓

Klar, aber wenn sie Dir gefallen, kannst Du sie ja behalten und nur leicht abändern / verdeutlichen? Dezent dosiert kannst Du auch rätselhafte Bilder im Text beibehalten, finde ich, insbes. wenn sie durch ihre Poesie einen Eigenwert erhalten. Aber sie sollten nicht überhand nehmen (das muss Du entscheiden).

Zitat:
Den Nebensatz kann ich auflösen. Bei einer chemischen Reaktion muss man eine Aktivierungsenergie investieren, damit dann mehr Energie freiwird, als man ursprünglich investiert hat. Ich meinte damit, dass es für ihn so ist, als müsse er sich anstrengen, einzuschlafen, um dann durch den Schlaf wieder Erholung zu finden. 😓 Werde es aber streichen, weil das zu sehr um die Ecke gedacht ist.

Hab ich schon verstanden (so grob), aber ich fands auch zu sehr um die Ecke gedacht. Aber streich bitte nur den Nachsatz.

Zitat:
Selanna hat Folgendes geschrieben:
"mit betränten Augen"
Tränenden?
-->Ist das nicht dasselbe?😅

Ist natürlich Korinthenkackerei, schon klar Laughing Embarassed Aber bei tränend werden seine Augen feucht, weil er Tränen produziert (aktiv), „betränt“ wäre eher, wenn sie passiv feucht werden, etwa durch Augentropfen. Aber das sind Kinkerlitzchen.
Zitat:
Erst die Familiengeschichte von Karl in Episoden, dann irgenwie die Endlichkeit aller Kreaturen...

Und wenn Du allgemein über Tiere / Kreaturen schreibst? Denn ausgerechnet Schweine stehen in unserer Gesellschaft für bestimmte Eigenschaften und sind eher negativ konnotiert.
Zitat:
aber irgendwie hat es sich total komisch angefühlt, den im Präsens zu lesen, und ich war etwas verwirrt, wie ich besonders den Dialog mit Kat ändern soll.😔

Gerade bei Dialogen gehen die Meinungen ja auseinander: Wie genau muss man sich in wörtlicher Rede an korrekte Grammatik halten? Außen herum, also im Fließtext, wäre einheitliches Tempus aber schon gut Wink

Zitat:
Die Stelle gefällt mir nicht so sehr, sie dreht sich ein wenig im Kreis, oder? Und sie streift ein kleines Bisschen an Plattitüden entlang, was Du sonst so wunderbar vermeidest. Aber vllt ist das auch nur mein Eindruck und vllt auch nur ein momentaner, ich bin mir selbst nicht sicher.

Mach Dir eine Notiz im Text und lies es in ein paar Wochen nochmal Wink
Zitat:
Selanna hat Folgendes geschrieben:
"wir gehen müssen."
Wer ist „wir“? Lässt Du das mit Absicht im Unklaren?  
--> Damit meint er die Gesamtheit aller Lebewesen.

Lies Dir nochmal konzentriert durch, ob das für Dich allein anhand des Geschriebenen deutlich wird. Wenn ja: lass es so Smile
Zitat:
Es gibt keine "eine" Depression. Psychische Erkrankungen folgen keinem bestimmten Schema. Jeder Mensch reagiert anders. Wut kann auch befreiend sein. Sie hat diese "schlechten" Gefühle so lange unterdrückt, dass es sich für sie jetzt so anfühlt, als könne sie diese Gefühle gar nicht mehr haben. Als müsse sie sich immer verstellen. Sie weiß eigentlich gar nicht mehr, wie sie ist.

Meiner Meinung nach habe ich so ziemlich genau das Gleiche geschrieben (von der Aussage her): Unterdrückung von Wut / allg. Gefühlen -> Depression. Wut hingegen -> befreiend (keine Depression). Darum halte ich meine Kritik an dem Punkt mal aufrecht … Embarassed
Zitat:
Also ich fand, dass das nicht "zu viel" ist, weil die Adjektive sich in ihrer Bedeutung nicht wirklich doppeln.

Ich meinte nicht redundant, sondern dass der Satz „vollgestopft“ mit Information /Beschreibung etc. ist, somit überladen. Aber das ist natürlich nur eine subjektive Meinung.
Zitat:
Ups, ich wusste gar nicht, dass das eine der Vorgaben ist. 😳

Ist es auch nicht, glaube ich, sondern nur eine Empfehlung Wink
Zitat:
Danke für die Zeit, die du in den Text investiert hast! Und für die ausführliche Kritik. Ich habe gemerkt, dass du dir viel Mühe gemacht hast und dass du aufrichtig und ernsthaft an den Text rangegangen bist.

Habe ich wirklich gern gemacht, es war ja auch ein toller Text. Und die Diskussion mit Dir ist wunderbar anregend und respektvoll, das macht Spaß und tut richtig gut. Smile
Liebe Grüße
Selanna


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Nur ein mittelmäßiger Mensch ist immer in Hochform. - William Somerset Maugham
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