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Ein Lehrer


 
 
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pentz
Geschlecht:männlichEselsohr


Beiträge: 262



Beitrag14.07.2021 22:13
Ein Lehrer
von pentz
eBook pdf-Datei Antworten mit Zitat

Bei früheren Lehrern, wenn du ihnen begegnest, schwankst du zwischen Verachtung und Bewunderung.
So erging es mir auch. Wenngleich: die Sympathie überwog - in der Erinnerung...
Es war mein Lieblingslehrer. Geschichte und Deutsch.
Ich konnte ihm nicht mehr glauben, wie als dummer Schuljunge, was er heute erzählte. Er hatte sich bereits als Opportunist geoutet. Aber Lehrer müssen es sein, opportunistisch, nicht wahr? Sonst müssten sie mindestens alle zehn Jahre den Job wechseln. Aber Lehrer sind gerade dafür bekannt, dass sie ihren Job ihr Leben lang behalten oder anders gesagt, diejenige Spezies Mensch unter den Studenten, die ein festes Leben wünschen, mit wenig Schwankungen und Unwägbarkeiten und etwas Grips haben oder besser aus gutgestellten Familien kommen, suchen einen Lehramt auf.

Wie gehen solche Herren vor?
Er ist bekennender Liberaler gewesen. Lehrer zu sein in der Schule, wo noch ein Abglanz von 68iger Umwälzung und Revolution wehte, müssen sich dem stellen. Er war der einzige, der dies tat in unserer Schule. Der sich zu den Reformwilligen der 68iger bekannte, als es immerhin schon die 70iger Jahre waren. Das kreideten ihnen die Schüler hoch an, auch wenn er ein Liberaler war.
Aber er war bereit, Politik an die Schule zu tragen, wie das die 68iger sich wünschten und forderten. Der Plan war der, Gerechtigkeit solle siegen und Ausgewogenheit garantiert werden, dass jeweils ein politischer Vertreter der etablierten Parteien zu einem Gespräch an die Schule eingeladen werden würde, allerdings nicht für sämtliche Schüler, sondern für die Schüler der oberen Klassen.
So kam ein Politiker der Liberalen als erster. Das war logisch: zu denen hatte er die beste Verbindung. Dass danach kein anderer Politiker mehr eingeladen werden würde, war so nicht ausgemacht, aber für diesen Herrn Lehrer logisch. (So machen es viele. Zuerst werden ihre Interessen befriedigt, dann kommt - nichts. Aber entlarve sie einmal in ihrer Unseriösität!) Letztlich wollte er wohl nur für seine eigene Partei die Werbetrommel rühren. Natürlich durften keine spontanen Fragen gestellt werden, sondern die Schüler lasen brav von ihren wohlpräparierten Zetteln ab, die sie in den Geschichts- und Deutschstunden dieses Lehrers vorformuliert hatten oder, ich hoffe, aber nicht nur, ich war nicht dabei, ich war in einer unteren Klasse, dass dieser Lehrer ihnen nicht bloß diktiert hatte.
Danach, als dieser Lehrer ein paar Jahre später die Schule wechseln konnte, nämlich in eine neuerrichtete seines Wohnortes, hörte ich, dass er über diese Zeit und diese Schüler folgendes gesagt haben soll: „An dieser Schule waren Linke!“ Nun, 15 bis 17jährige so zu bezeichnen, wobei dies eine Diffamierung ist, kann nur dem Umstand geschuldet sein, dass er sich in der neuen Schule und neuen Umgebung Lieb Kind machen wollte. Oder wurde er vor die Rede gestellt: „Sie haben damals in der Schule Politik betrieben!“ „Ja, ich musste, denn das war ein Hort linker Schüler!“ Wer weiß.

Das erste, was folgte, als ich mich als Schüler von ihm zu erkennen gab: „Sie sind doch der Lehrer... Ich hatte sie in Roth in der Realschule als Geschichts- und Deutschlehrer!“, lächelte er erst einmal das Lächeln der Generation der Leugner und Geschichtskitterer, der er angehörte als 80jähriger, denn das hatten sie gut heraus und sich angeeignet, gerät’s du in unangenehme Situationen, lächele zuerst einmal ungenant. Er entschuldigte sich quasi dafür, dass er sich leider nicht mehr an mich erinnerte ,nein, sich entschuldigen, wäre zu viel gesagt, daß ihm mein Gesicht nicht mehr erinnerlich ist. „Macht nichts“, meinte ich. „Lehrer sehen viele Menschen im Laufe ihrer Laufbahn an sich vorbeiziehen“. "Aber gehen wir doch“, machten wir uns auf beide auf den gleichen Weg mit dem gleichen Fahrzeug, die Bahn, zum gleichen Zielbahnhof Nürnberg.
Nun, zuerst, nachdem ich mich also vorgestellt hatte, lachte er erst einmal über den sogenannten “Nürnberger Trichter“, wobei er den Erfinder dieser Metapher nannte, dessen entfallener Namen ich mich weigere nachzuschauen, weil mir das Bild des sogenannten Nürnberger Trichters, wodurch man Lehrer-Wissen in die lernresistenten Köpfe der Schüler eintrichtert für meine Vorstellungskraft ein allzu krudes, blutiges und abstoßendes Bild darstellt.
„Ich war ein stiller Schüler!“, sagte ich ihm am Schluß. „Sie werden sich bestimmt nicht mehr an mich erinnern können.“

Aber nun erst, am Anfang unserer Begegnung war ich immerhin ein Schüler, der ihm, wie wohl alle, es schwer machten, mit Wissen, das als notwendig erachtet wird, zu füllen. In der Tat, bei mir hatten alle Lehrer einen schweren Stand.
Während ich das schreibe, spiele ich zwischendurch Musik von den Beatles. „Filling me up with their rules, the teacher werent cool. Turning me round, holding me down". Voila, die Beatles drückten aus, was die meisten jungen Menschen in den Schulen dieser Welt von den Lehrern erfahren und erdulden müssen.
Ich wüsste kein deutschsprachiges Lied, das einen derartigen Inhalt herüberbrächte.

Eigenartiger Weise gebrauchte er zwischendurch immer wieder einen nichtgebräuchlichen, nichtdeutschen Ausdruck. „Das ist mein Goijm“, im Sinne von dies ist mein Hobby, mein Spaß, meine Freude. (Ich finde keine Bedeutung dafür, außer der, dass es sich um einen jüdischen Ausdruck für einen Nichtjuden  handelt.)
Ist er auch einer derjenigen Heutigen, die sich gerne mit Jüdischem schmückten? Deren gibt es mittlerweile viele, alle wollen was mit Judentum zu tun haben, ja, die Abkömmlinge der größten Judenhasser möchten sich gerne mit dem Judentum schmücken. Jeder wäre froh, selbst jüdischen Blut zu haben (immer noch rassistisch), alles was jüdisch ist, ist „in“, obwohl es ehemals ach so „out“ war.
Jedenfalls sprach er immer wieder von seinem Goijm... befremdlich.
Dann erzählte er von einem seiner Ahnen, ein führender Kopf in Nürnberg während der Reformationszeit. Er leitete irgendein Symposium, eine Bürgerversammlung in der Reichsstadt bezüglich religiöser Belange. Die Katholen wurden in die Ratsversammlung mit eingeladen. Aber das Volk stand bereits vor den Toren, das die Freiheit eines Christenmenschen forderte, nämlich auch Privatbesitz haben zu dürfen – übrigens dieses Verständnis für das Recht eines Christenmenschen hat mir gerade dieser Lehrer als katholischer Schüler in der staatlichen Schule einen Begriff vermittelt – und drinnen tagten die sich verfeindeten Konfessionen. Das protestantische Volk vor den Stadtmauern wurde es allmählich leid, dieses Herumdisputieren, und begann bereits die Ärmel hochzukrempeln, bereit, dem Reden Taten folgen zu lassen und die verhassten Katholischen auf protestantische Art und Weise die Leviten zu lesen. Aber nein, sein Verwandter, der übrigens Hardtmann hieß, aber gegen Nomen est Omen verstieß, beruhigte und besänftige die lynchlustige Meute, da er den Katholen nun einmal freien Abzug zugesichert hatte und herrschte somit die Hitzköpfe nieder, so daß die Delegation der Päpstlichen ungeschoren wieder abziehen konnte. So war sein Verwandter, ein Vorfahr!
Einfach mustergültig, zu schön, um wahr zu sein!
Gleiches Verhalten, ergänzte der Herr Lehrer, zeigte er übrigens auch bei den Bilderstürmerei in Nürnberg, indem er die Meute zurückpfiff sozusagen, bevor sie die Heiligen, die wertvollen Gemälde der Christenheit herunterrissen und verbrennen und zerstören wollten.
Also, der Herr Lehrer durfte sich stolz auf eine beeindruckende, humanistisch gesinnte Verwandtschaftslinie berufen, sofern es denn stimmte! Denn so wie die einstigen Nazis plötzlich keine mehr waren, niemals gewesen waren, nach 45, so waren die protestantischen also auch keine Bilderstürmer und Katholenverhauer mehr gewesen, obwohl, wie jeder Geschichtslehrer zugeben musste, es doch an allen Ecken und Kanten brannte. Aber natürlich, wir, unsere Vorfahren, wir waren die Ausnahme – damit kann sich heute jede Familie mit Stolz schmücken, zumal eine, die mittlerweile Professoren (nämlich in Mikrobiologie, wenn das nicht rassistisch ist!) als Schwiegersöhne ihr eigenen nennen konnte. Klar, darunter tut es unsere Familie schließlich nicht, bei dieser Ahnengalerie und familiären Historie!
Geschichtslehrer!
Und wie im kleinen, in der Kernzelle der Gesellschaft, der Familie, ist auch immer im Großen der Wunsch groß, die Geschichte so hinzudrehen, wie es einem passt.
So erzählt er von seiner Tochter, die beratend einer neuzugründenden katholischen Bücherei beisteht. Klar, wir sind protestantisch, haben aber keine Berührungsängste mit den Katholen, zudem sind wir so gebildet, daß uns die anderen gerne zu Rate ziehen, einladen, wenn nicht um Hilfe bitten.
„Und da ist der Bedarf an historischen Romanen unstillbar!“, ergänzt er.
Der Trend in der Literatur, historische Romane! Diese Gesellschaft hat es nötig, offenbar.
(Wobei in Zeichen der digitalen Zukunft zu fragen ist: wozu n o c h eine Bücherei und zudem, Ökumene schön  und gut, aber haben die Katholischen nicht ihre eigenen Gelehrten oder haben sie gerade auf Evangelische gewartet, die ihnen eine Leselektüre zusammenstellen muß, die sie konsumieren sollten.)
Entsprechend hat man in der Stadt, aus der er kommt, auch eine Historikerin in den Landtag gewählt, die die Sehnsucht der Historien- und Geschichtslehrer befriedigt, in dem sie alljährlich ein Buch veröffentlicht. Na, solche Märchenerzähler braucht es in der Politik! Und offenbar auch unter dem Volk, das es gewählt hat.
Daß die neue Landtagsabgeordnete grün ist, in einer weniger geschichtsträchtige Partei, wenn nicht die überhaupt, versteht sich von selbst. Sie scheint es nötig zu haben, neue Mysterien zu spinnen.

Dann die alles entscheidende Frage: wer ist Nationalist? Unter den Schüler natürlich keiner.
Aber schauen wir uns einmal das Kaugummi-Kauen an. Man erinnert sich in den 60iger Jahren durchaus an die Aufnahme aus den 40igern von kaugummi-kauenden amerikanischen Kriegsgefangenen, die als Beispiele tierischer Wesen mit ihren permanenten Kiefern-Bewegungen ins Bild gesetzt worden waren. „Kaugummi-Kauen ist nicht gut!“, sagte auch dieser Lehrer. „Weil Kaubewegung permanent Speichel produziert und dem Magen Essen vorgegaukelt wird, so dass er mit Säureüberproduktion reagiert und dieses Organ sich selbst auffrisst, indem es Geschwüre bildet.“ Das klingt logisch und ich habe es damals auch geglaubt, obwohl ich sehr skeptisch gegenüber Lehrer und Schule war als ein gebranntes Kind von Nazi-Lehrern aus der Volksschule bereits.
Wer Nazi ist oder war oder sein könnte, wurde heftig diskutiert unter der Schülerschar.
Die polarisierten Schüler kamen gerade von der Pause zurück ins hufeisenförmig geordnete Klassenzimmer. Ein langer, schlampig gekleideter - die meisten waren dies in der Realschule - deutete mit dem Finger auf jeden einzelnen in der Runde: „Jeder wäre damals Nazi gewesen! Du, du und du!“
Mich empörte dies zwar total, so dass ich instinktiv die Arme vor der Brust verschränkte, trotzig zeigend, dass ich die Ausnahme gewesen wäre. Doch kamen mir keine rechten Worte über die Lippen, die Gedanken, die durch meinen Kopf gingen, konnte ich nicht richtig formulieren, aussprechen und mich damit in Szene setzen, mich verteidigend: „Gerade dies zu behaupten, dass alle Nazis gewesen wären, ist eine Nazi-diktatorische Aussage und gleicht dem Gleichschaltungsterror dieser Tyrannen!“
Habe ich mich hier verständlich gemacht, schwierig, nicht?
Man kann nachvollziehen, was hinderlich und unmöglich erschien, sich in diesem Sinne auszudrücken. Ich konnte es nicht. Aber ich wusste, ich hatte recht damit. Diese Gruppengleichschaltung, die dieser Junge gerade selbst praktizierte, demonstrierte ein Mittel der Nazis!

Wo er mich wirklich nervös gemacht hat schließlich, war, als der Herr Lehrer das Wort „Machtergreifung“ der Nazis mit Anführungsstrichen versah, wozu er seine beiden Hände nahm und diese Striche in die Luft zeichnete.
Dieser Ausdruck ist heute noch heftig umstritten.
Nach meinem Verständnis heißt dies: Machtergreifung ohne Bindestrich – die Nazis haben schon im Vorfeld ihrer Gewinn-Wahl 1933 die Bevölkerung, Behörden und alles andere Erdenkliche kontrolliert, tyrannisiert und manipuliert und somit die Stimmabgabe beeinflusst, wie es meine Großmutter in ihrem Wahlkreis bestätigen kann. Oder aber sie sind doch mehrheitlich, quasi aus dem Herzen des Volkes heraus freiwillig und gerne gewählt worden – was er mit seiner Gestik ausdrücken wollte! Und das machte mich nervös –obwohl er, nachdem ich ihm von Schwierigkeiten meiner Großmutter durch die Nazis erzählte, erwähnte, dass auch aus seinem Familien- oder Verwandtenkreis Personen ins Konzentrationslager verschleppt und gesteckt worden seien, wobei er zwei Namen von solchen KZ’s nannte.
Wie passte dies zusammen?
Lügt er? Geschichtsklittert er? Ist er ein großartiger Märchenerzähler, der Herr Deutsch- und Geschichtslehrer, vor sich selbst, dem Herrn und anderen?
Ist Geschichte überhaupt nur Märchenerzählerei!
Immerhin lässt er sich nicht lumpen, ist hilfsbereit.
Nach Studiumsabschluß brachte ich meine erstes Buch heraus, besuchte ich ihn an seiner Schule, an der er zum Konrektor aufgestiegen war und er nahm mir anstandslos ein Buch ab, ob er mich nun als Schüler erkannte oder nicht damals.
Jedenfalls hatte er Charisma! Für mich als Schüler und für eine Freundin, eine Bekanntin, die Englisch- und Deutschlehrerin an seiner Schule gewesen war und davon geschwärmt hatte, dass sie es als Lehrerin und an dieser Schule nur ausgehalten habe, weil dieser Lehrer dort Konrektor war. Und, sagte sie zu mir: „Wußest Du, dass er Schauspieler gewesen war, äh, halt Theaterwissenschaft studiert hat, wo man auch als solcher Erfahrungen sammeln muss, bevor er in den Schuldienst gegangen ist!“
Das glaubte ich durchaus und vervollständigte mein Bild von ihm.

                                                                                      *

Wenn die Freiheit eines Christenmenschen darin bestand, Privatbesitz zu haben, hätte ich mich fragen müssen, warum ich als in einer Familie Katholischer Hineingeborener durchaus mit einigem Privatbesitz „gesegnet“ war. Waren diejenigen, die anno 1600 keinen eigenen Grund und Boden besaßen, nämlich die baldigen Protestanten, weniger gläubig, als dass man sie nicht mit Besitz von Kirche und Adligen bedacht hätte? Oder hat meine Familie, in denen auch Pfarrer waren, nicht allein deswegen Besitz bekommen, sondern aus anderem Grunde, weil alle Besitz bekamen, sofern sie nur gläubig waren?
Was ist die Wahrheit?

© werner pentz

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Calvin Hobbs
Geschlecht:männlichKlammeraffe

Alter: 55
Beiträge: 563
Wohnort: Deutschland


Beitrag15.07.2021 17:13
Re: Ein Lehrer
von Calvin Hobbs
Antworten mit Zitat

Hallo smile
pentz hat Folgendes geschrieben:
Bei früheren Lehrern, wenn du ihnen begegnest, (Wenn Du früheren Lehrern/den Lehrern Deiner Vergangenheit begegnest) schwankst du zwischen Verachtung und Bewunderung.
So erging es mir auch. Wenngleich: die Sympathie überwog - in der Erinnerung...
Es war mein Lieblingslehrer. Geschichte und Deutsch.
Ich konnte ihm nicht mehr glauben, wie als dummer Schuljunge, was er heute erzählte. Verstehe ich nicht. Hast Du ihm als Schuljunge auch schon nicht geglaubt?
 Er hatte sich bereits als Opportunist geoutet. Aber Lehrer müssen es sein, opportunistisch, nicht wahr? Sonst müssten sie mindestens alle zehn Jahre den Job wechseln. Aber Lehrer sind gerade dafür bekannt, dass sie ihren Job ihr Leben lang behalten oder anders gesagt, diejenige Spezies Mensch unter den Studenten, die ein festes Leben wünschen, mit wenig Schwankungen und Unwägbarkeiten und etwas Grips haben oder besser aus gutgestellten Familien kommen, suchen einen Lehramt auf.

Wie gehen solche Herren vor?
Er ist bekennender Liberaler gewesen. Lehrer zu sein in der Schule, wo noch ein Abglanz von 68iger Umwälzung und Revolution wehte, müssen sich dem stellen. Dem Liberalismus? Er war der einzige, der dies tat in unserer Schule. Der sich zu den Reformwilligen der 68iger bekannte, als es immerhin schon die 70iger Jahre waren. Das kreideten ihnen die Schüler hoch an, auch wenn er ein Liberaler war. Entweder die Schüler rechneten ihm das hoch an oder sie kreideten ihm das an. Zwei völlig verschiedene Dinge.
Aber er war bereit, Politik an die Schule zu tragen, wie das die 68iger sich wünschten und forderten. Der Plan war der, Gerechtigkeit solle siegen und Ausgewogenheit garantiert werden, dass jeweils ein politischer Vertreter der etablierten Parteien zu einem Gespräch an die Schule eingeladen werden würde, allerdings nicht für sämtliche Schüler, sondern für die Schüler der oberen Klassen. Thomas Mann war ein Meister der Endlossätze. Solche Könner sind selten.
So kam ein Politiker der Liberalen als Erster. Das war logisch: zu denen hatte er der Lehrer die beste Verbindung. Dass danach kein anderer Politiker mehr eingeladen werden würde, war so nicht ausgemacht, aber für diesen Herrn Lehrer logisch. (So machen es viele. Zuerst werden ihre Interessen befriedigt, dann kommt - nichts. Aber entlarve sie einmal in ihrer Unseriösität!) Letztlich wollte er wohl nur für seine eigene Partei die Werbetrommel rühren. Natürlich durften keine spontanen Fragen gestellt werden, sondern die Schüler lasen brav von ihren wohlpräparierten Zetteln ab, die sie in den Geschichts- und Deutschstunden dieses Lehrers vorformuliert hatten oder, ich hoffe, aber nicht nur, ich war nicht dabei, ich war in einer unteren Klasse, dass dieser Lehrer ihnen nicht bloß diktiert hatte. WTF??? Der Erzähler war nicht dabei und schwurbelt darüber als ob es kein Morgen gibt?
Danach, als dieser Lehrer ein paar Jahre später die Schule wechseln konnte, nämlich in eine neuerrichtete seines Wohnortes, hörte ich, dass er über diese Zeit und diese Schüler folgendes gesagt haben soll: „An dieser Schule waren Linke!“ Nun, 15 bis 17jährige so zu bezeichnen, wobei dies eine Diffamierung ist, kann nur dem Umstand geschuldet sein, dass er sich in der neuen Schule und neuen Umgebung Lieb Kind machen wollte. Oder wurde er vor die Rede gestellt: „Sie haben damals in der Schule Politik betrieben!“ „Ja, ich musste, denn das war ein Hort linker Schüler!“ Wer weiß.

Das Erste, was folgte, als ich mich als Schüler von ihm zu erkennen gab: „Sie sind doch der Lehrer Lerzeichen...Leerzeichen Ich hatte sie in Roth in der Realschule als Geschichts- und Deutschlehrer!“, lächelte er erst einmal das Lächeln der Generation der Leugner und Geschichtsklitterer, der er angehörte als 80jähriger, denn das hatten sie gut heraus und sich angeeignet, gerät’s geräts du in unangenehme Situationen, lächele zuerst einmal ungenant. Er entschuldigte sich quasi dafür, dass er sich leider nicht mehr an mich erinnerte kein Leerzeichen , Leerzeichen Nein, sich entschuldigen, wäre zu viel gesagt, daß ihm mein Gesicht nicht mehr erinnerlich ist.
„Macht nichts“, meinte ich. „Lehrer sehen viele Menschen im Laufe ihrer Laufbahn an sich vorbeiziehen Punkt
"Aber gehen wir doch“, machten wir uns auf beide auf den gleichen Weg mit dem gleichen Fahrzeug, die Bahn, zum gleichen Zielbahnhof Nürnberg.
Nun, zuerst, nachdem ich mich also vorgestellt hatte, lachte er erst einmal über den sogenannten “Nürnberger Trichter“, wobei er den Erfinder dieser Metapher nannte, dessen entfallener Namen ich mich weigere nachzuschauen, weil mir das Bild des sogenannten Nürnberger Trichters, wodurch man Lehrer-Wissen in die lernresistenten Köpfe der Schüler eintrichtert für meine Vorstellungskraft ein allzu krudes, blutiges und abstoßendes Bild darstellt.
„Ich war ein stiller Schüler!“, sagte ich ihm am Schluss. „Sie werden sich bestimmt nicht mehr an mich erinnern können.“ Das wurde oben bereits gesagt.

Aber nun erst, am Anfang unserer Begegnung war ich immerhin ein Schüler, der ihm, wie wohl alle, es schwer machten, mit Wissen, das als notwendig erachtet wird, zu füllen. In der Tat, bei mir hatten alle Lehrer einen schweren Stand.
Während ich das schreibe, spiele ich zwischendurch Musik von den Beatles. „Filling me up with their rules, the teacher werent cool. Turning me round, holding me down". Voila, die Beatles drückten aus, was die meisten jungen Menschen in den Schulen dieser Welt von den Lehrern erfahren und erdulden müssen.
Ich wüsste kein deutschsprachiges Lied, das einen derartigen Inhalt herüberbrächte.

Eigenartiger Weise gebrauchte er zwischendurch immer wieder einen nichtgebräuchlichen, nichtdeutschen Ausdruck. „Das ist mein Goijm“, im Sinne von dies ist mein Hobby, mein Spaß, meine Freude. (Ich finde keine Bedeutung dafür, außer der, dass es sich um einen jüdischen Ausdruck für einen Nichtjuden handelt.)
Ist er auch einer derjenigen Heutigen, die sich gerne mit Jüdischem schmückten? Deren gibt es mittlerweile viele, alle wollen was mit Judentum zu tun haben, ja, die Abkömmlinge der größten Judenhasser möchten sich gerne mit dem Judentum schmücken. Jeder wäre froh, selbst jüdischen Blut zu haben (immer noch rassistisch), alles was jüdisch ist, ist „in“, obwohl es ehemals ach so „out“ war. Sagt wer? Wie kommt man zu solchen Behauptungen?


Nach weiterem Querlesen habe ich abgebrochen, denn mir erschließt sich der tiefere Sinn dieses geschwätzigen Geschwurbels in keinster Weise. Es ist durchaus möglich, aus dem Thema und diesem Text etwas unterhaltsames und lesbares zu machen. Allerdings funktioniert das eher, wenn man sich nicht nur selbst am liebsten reden hört.
Sorry, für mich war das nix.
MfG


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F.J.G.
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Beiträge: 1955
Wohnort: Wurde erfragt


Beitrag15.07.2021 17:37
Re: Ein Lehrer
von F.J.G.
Antworten mit Zitat

Hallo Pentz!

pentz hat Folgendes geschrieben:
Ist er auch einer derjenigen Heutigen, die sich gerne mit Jüdischem schmückten? Deren gibt es mittlerweile viele, alle wollen was mit Judentum zu tun haben, ja, die Abkömmlinge der größten Judenhasser möchten sich gerne mit dem Judentum schmücken.


Wieso wohl würden sich Leute gern mit dem Judentum "schmücken"?
Es könnte mehrere Begründungen dafür geben, aber alle laufen sie darauf hinaus, dass die schwierige Geschichte dieser Ethnie ostentativ vorgezeigt und auf sich selbst angewandt wird. Und dann sind wir schon in Rufweite eines Holocaust, den diese von dir kolportierten "Wunsch-Juden" für sich instrumentalisieren. Fingerspitzengefühl nenne ich anders.

pentz hat Folgendes geschrieben:
Jeder wäre froh, selbst jüdischen Blut zu haben (immer noch rassistisch), alles was jüdisch ist, ist „in“, obwohl es ehemals ach so „out“ war.


Ehemals ach so out?

Sorry, jetzt muss ich Tacheles reden: Die Bezeichnung "ach so out" für den Umgang mit einem Volk, das in unseren Landen plus Umgebung durch die Ereignisse der Shoa auf ein Minimum dezimiert wurde, finde ich äußerst grenzwertig.

Jemand, der nicht das neueste Lacoste-Poloshirt trägt, mag "out sein".
Mein Großonkel väterlicherseits, der in Auschwitz geblieben ist, wird jetzt vom Himmel aus weinend auf dich herabsehen, wenn du von einer Vergasung von 6 Millionen Menschen redest wie von einer Modeerscheinung.

pentz hat Folgendes geschrieben:
Wenn die Freiheit eines Christenmenschen darin bestand, Privatbesitz zu haben, hätte ich mich fragen müssen, warum ich als in einer Familie Katholischer Hineingeborener durchaus mit einigem Privatbesitz „gesegnet“ war. Waren diejenigen, die anno 1600 keinen eigenen Grund und Boden besaßen, nämlich die baldigen Protestanten, weniger gläubig, als dass man sie nicht mit Besitz von Kirche und Adligen bedacht hätte? Oder hat meine Familie, in denen auch Pfarrer waren, nicht allein deswegen Besitz bekommen, sondern aus anderem Grunde, weil alle Besitz bekamen, sofern sie nur gläubig waren?
Was ist die Wahrheit?


Die Wahrheit ist: Du legst weder auch nur das geringste kulturelle Fingerspitzengefühl an den Tag, noch ist deine Wortwahl für Tragödien wie den Holocaust angemessen.

Bedaure.


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pentz
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Beitrag15.07.2021 21:07
Antisemitismus
von pentz
pdf-Datei Antworten mit Zitat

Nun, es ist wie eine Modebewegung, daß so sich so viele Menschen gerne selbst als "Jüdisch" sehen wollten/würden.
Modebewegungen werden mit "out" oder "in" sanktioniert, also sowohl im positiven als auch negativen Sinne.
Daß diese Modewörter in der Erzählung in Anführungszeichen gesetzt sind, zeigt die Distanziertheit des Erzählers und sind quasi als wörtliche Rede der Hauptakteure aufzufassen.

Daß der Erzähler diese Formulierungen verwendet, spiegelt nur den Blickwinkel der Protagonisten wider, nicht den des Erzählers, in diesem Fall die Personen, über die der Ich-Erzähler, hier identisch mit dem Schüler schreibt, nämlich den Lehrer, der exemplarisch für andere, sich gerne als "Jüdisch"-Seiender identifizieren will oder generiert.

Von daher verstehe ich das "bedauere" nicht. Es kann nicht auf mich, auf den Erzähler, bezogen sein bzw. werden.
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pentz
Geschlecht:männlichEselsohr


Beiträge: 262



Beitrag15.07.2021 21:11
Das ist Nix
von pentz
pdf-Datei Antworten mit Zitat

dazu fällt mir momentan nichts ein, vor allem, daß ich so selbstgefällig schreiben würde. darüber muß ich nachdenken.
allerdings, ja, ich bin stark involviert, ich kann nicht als neutrales Er über diese Begegnung schreiben, hmm...
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schmurr
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Alter: 14
Beiträge: 32
Wohnort: Udine


Beitrag15.02.2022 23:39
Hallo an alle,
von schmurr
Antworten mit Zitat

ich erledige mal wieder das Kleinvieh:
ich gerate, du gerätst
68 = achtundsechzig, also
68iger = achtundsechzigiger Razz
Ansonsten teile ich die Kritik von Kojote und Calvin Hobbs.
Gruß aus Italien an alle
Martin


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Deutscher in Italien, Autor von lustigen oder tragikomischen Werken: schmurr.webs.com/dpl.htm Ich mag Wandern, wilde Orchideen, Lesen, Katzen und klassische Musik.
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