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Zwei halbe Leben in Schwärze

 
 
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anderswolf
Geschlecht:männlichReißwolf


Beiträge: 1069



Beitrag21.05.2021 13:00

von anderswolf
Antworten mit Zitat

Speeddating bei Tiffany. Oder: Eigentlich gehören wir nicht mal zusammen.

Ich will diesen Text mögen, weil ich Audrey Hepburn mag, weil ich Marchettis Fascination mag, weil ich die Umsetzung des Themas irgendwie auch hübsch finde: nicht wörtlich an geöffneten Fenstern vorbeigehen, sondern beim Speeddating Einblicke zu geben in die Gedankenwelt eines Menschen. Vor allem durch den Kniff der Perspektivverschiebung. Eigentlich erwarte ich, dass die Protagonistin "an den Fenstern vorübergeht", aber in diesem Fall sind es die Männer, die am geöffneten Fenster von Sarahs Erzählstrom vorbeigehen. Sie bekommen alle nur einen Ausschnitt präsentiert, nur einen Teil dessen, was Sarah zu sagen hat.

Aber dann ist der Text halt leider so, wie er ist. Es beginnt mit dem Wort "Faszination", und ich denke mir: "Halt, was, wie? Was habe ich verpasst? So beginnt doch niemand ein Gespräch? Und was ist überhaupt der Aufhänger dafür? Sitzt Sarah da rum und spricht die ganze Zeit eigentlich mehr mit sich selbst als mit den Herren? Ah, oh, ja, das tut sie."
Und dann denke ich mir gleichzeitig, muss ich jetzt den Wikipedia-Artikel lesen zu dem Film oder dem Buch, und das will ich nicht und dann mache ich es doch und dann bin ich auch nicht schlauer, weil ich nämlich auch mit Sebastian nix anfangen kann, weil ich irgendwie den Wikipedia-Artikel nur überflogen oder was ganz allgemein verpasst habe.  

Und dann eben der verhängnisvolle Absatz, bei dem mir der Text komplett aus den Punkterängen rutscht, der Absatz, der mit Hingebungsvolles Tanzen beginnt, und ich denke mir: Ach nö, was soll denn die Wortwahl? Tanzt sie hingebungsvoll? Beobachtet sie hingebungsvolle Tanzende? Beides? Keins von beidem? Und was ist "Hingebungsvoll" überhaupt für ein Wort und was soll es mir hier sagen? Und warum denke ich über all diese Dinge nach und kein bisschen über den Text? Aber der Text sagt mir ja letztlich auch nix, auch wenn es irgendwie schon schön ist, Sarahs Schwermut irgendwo aus ihrem Wortfluss rauszufischen, aus diesem langsamen Spaziergang mit Rudolfo an der Leine durch die Nacht und diesem Moment, wo sie vor dem letzten Haus in der Straße steht und es ist Traurigkeit in diesem Haus und dann stellt sich raus, es ist ihr Haus und ihre Traurigkeit und da bricht mein Herz ein bisschen, aber dann wird alles ruiniert durch die Frage, was "Hingebungsvoll" für ein Adjektiv ist, wenn es das Wort Tanzen begleitet.

Es ist, nur um das klarzustellen, nicht dieses eine Wort, auch nicht nur der eine Absatz, dessentwegen ich Keine Punkte für diesen Text habe. Es ist die gesamte Verschlossenheit, die ich nicht durchdringen kann. Es ist, als zitierte der Text Audrey Hepburn in Frühstück bei Tiffany: Wenn ich selbst weiß, was ich will, dann werde ich es dir sagen.
So lange kann ich aber nicht warten.
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holg
Geschlecht:männlichExposéadler

Moderator

Beiträge: 2396
Wohnort: knapp rechts von links
Bronzenes Licht Der bronzene Roboter


Beitrag22.05.2021 15:14

von holg
Antworten mit Zitat

Sarah träumt sich durch ein Speed-Dating.
Sie erzählt und erzählt, während ihr gegenüber Herren Platz nehmen und wieder gehen. Sie beachtet die Männer kaum, stellt zuweilen überrascht fest, dass einer weg ist, oder schon wieder ein neuer da sitzt.

Schließlich stürzt sie die Ähnlichkeit des Jungspundes ihr gegenüber mit einer verflossenen Liebe in Erinnerungen an ihre Vergangenheit, als sie ein Kind gebar und in die Babyklappe legte. Und vielleicht, ja vielleicht …


So witzig die Vorstellung eines Speddating ist, bei dem ein Teinehmy einfach irgend etwas erzählt, während auf der anderen Tischseite munter nach Takt gewechselt wird (gibt es so etwas am Ende wirklich, ich meine das mit dem einfach irgend etwas heruntererzählen (die Taktung gehört wohl dazu)? Ich hab da null Erfahrung mit), so wenig funktioniert der Text für mich.

Ich hab maximale Sympathie für vor sich hin träumelnde Figuren.
Vielleicht hab ich zu viele Speedating-Szenen gesehen, vielleicht ist mir das zu 80er-elegisch, vielleicht erinnert mich der Twist zu sehr an eine Impulsprosa-Aufgabe in meinem Sprachkurs 1984 (!) in Bristol, bei der ein paar Worte in dem Text auftauchen mussten. Eins davon war Leihmutter. Und jetzt rat mal, was ich damals da draus gebastelt habe. Allerdings aus der Sicht des Sohnes und nicht beim Speeddating. Bin ich nicht stolz drauf. Muss ich nur gerade leider dran denken.

Jedenfalls, ob der Text ohne diese meine Vorgeschichte eine Chance auf die Top Ten hätte? Weiß nicht.

Da sind ein paar Kleinigkeiten, die stören. Ein Beispiel:
Zitat:
das Ebenbild eines Geschäftsmannes. Man kann an den obersten Falten erkennen, dass dort bis vor Kurzem eine Krawatte getragen wurde
Da wird ein Klischee von einem schiefen Bezug gejagt.
Wie auch immer heutzutage ein Geschäftsmann bildhaft auszusehen haben mag, meine obersten Falten sitzen mitten auf der Stirn. Da trag ich eher selten Krawatte.
Ich vermute, da war noch ein Verweis auf den Hals oder das Hemd im Text, der bei einer Überarbeitung raus geflogen ist?

Die Abschnitte scheinen auch nicht konsequent gesetzt. Einerseits bilden sie klare Unterteilungen zwischen dem, was Sarah so sagt und denkt und dem Wechsel der Typen, andererseits fehlen sie an der ein oder anderen Stelle.

Wieder andererseits gibt es echt schöne Passagen, die mich ein Stück weit mitnehmen.


Außerhalb des Wettbewerbs und ohne die echt starke Konkurrenz würde mein Kommentar wahrscheinlich deutlich positiver ausfallen.


_________________
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Gast







Beitrag24.05.2021 08:58

von Gast
Antworten mit Zitat

Hm, wie immer sehr interessant, die eigenen Notizen im Nachhinein mit denen der anderen RezensentInnEn zu vergleichen...

Ja, das mit der Klappe und dem verlorenen Sohn macht natürlich Sinn und gibt der Erzählung noch so einen ganz neuen twist.

Es ist aber für mich eher gefährlich, den Schlüssel zum Verständnis im (fast) letzten Absatz an einem einzigen Wort aufzuhängen. Bis dahin gibt es keine einzige Erwähnung oder Ahnung einer familiären Vergangenheit von der Prota. Das ist Subtilität als russisch Roulette Spiel; wären Hinweise auf die Vorgeschichte schon vorher eingewoben worden, wäre der Herueka! Effekt bei LeserIn so richtig eine Punktlandung gewesen. So besteht die Möglichkeit, dass die Autorin sich selbst aussubtiliert.

Also revidiere ich meine vorherige Analyse bzgl. des happy ends, aber die mglw. dadurch mehr angehäuften Punkte wären durch den Stilbruch dann wieder weggegangen. Ich mag meine Lesart irgendwie lieber, Klappe auf oder zu (obwohl die Klappe als Fenster betrachtet natürlich den Vorgaben nochmal auf eine dritte Art und Weise gerecht wird).
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V.K.B.
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Das goldene Rampenlicht Das silberne Boot
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Beitrag24.05.2021 14:37

von V.K.B.
Antworten mit Zitat

Ah, die Klappe, klar, eine Säuglingsklappe Kopf an die Wand
Bin ich nicht drauf gekommen, schade. Gibt dem Text gleich eine ganz andere Bedeutung und ich hätte ihn ganz anders bewertet, wäre das etwas deutliche gewesen. Wenn man es (dank ein paar anderen Kommentaren) verstanden hat, scheint es völlig klar. Aber beim eigenen Lesen bin ich nicht darauf gekommen, hab einfach nicht die richtige Assoziation zu "Klappe" gehabt. Wie RAc sagt, gefährlich, das an einem einzigen Wort (und dem richtigen Gedanken dazu) festzumachen. Ich hab an die Heckklappe eines Kranken- oder Leichenwagens gedacht, oder in einem Fach der Pathologie. Oder die metahphorische Szenenklappe, die abrupt eine bisherige Lebenssituation mit einem Knall beendet. Auf Babyklappe bin ich überhaupt nicht gekommen. Wahrscheinlich fehlten mir explizitere Hinweise im Abschnitt davor, dass sie ihr Kind weggeben wollte und mit der Entscheidung gehadert hat.


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