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Deutsches Schriftstellerforum Foren-Übersicht -> Antiquariat -> Zehntausend 05/2021
Lou

 
 
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Globo85
Geschlecht:männlichKlammeraffe

Alter: 38
Beiträge: 740
Wohnort: Saarland
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Beitrag29.04.2021 19:00
Lou
von Globo85
eBook pdf-Datei Antworten mit Zitat

Lou


Schweigend sitzt er vor dem Fenster, schaut nach draußen, sieht graublaue Wolken melierte Formen an den Himmel malen, schwer hängend, nahezu elegisch, eine Traurigkeit tragend, die ihn selbst erfasst, erfüllt, länger schon, als ihm bislang bewusst war.
»Die Zeit ist fast um, haben Sie noch etwas, worüber Sie heute sprechen wollen oder sollen wir für heute Schluss machen?«
Ob sie Schluss machen sollen? Sollen? Nein, sollen sie nicht, aber wenn er das artikulieren, wenn er es einfach aussprechen könnte, säße er nicht hier in diesem in Schlichtheit verblichenen Gelass, dem Mahnmal der Funktionalität, mit dem Schreibtisch aus Holz, dessen Fasern triefen von Erinnerungen und Offenbarungen. Den alten Stoffsesseln, getränkt in Schmerz und Gefühl. Einem Kabinett der Schaustellung, das aus jeder Ecke, jedem Winkel, jedem nichtigen Fleckchen die ebengleiche Trübsal herausschreit, wie sie dort draußen dem bleiernen Himmelsbildnis entspringt, nur um sie augenblicklich wieder in samtiger Dumpfheit zu ersticken. Dennoch ist er hier. Weil er weiß, tief in sich erkannt hat, dass er nicht weiterkommt, dass er etwas tun muss. Das Was dieser Konation ist ihm bekannt. Woran es hapert, was ihm fehlt, das Manko, ist das Wie. Ein erster Schritt wäre, etwas zu sagen. Vielleicht sogar herauszuschreien. Zu brüllen, mit fünf Ausrufezeichen und dem Hashtag ›ernsthaft?‹: Nein!!! Wir sollen nicht Schluss machen für heute!! #ernsthaft? Aber er schreit nicht. Er flüstert. »Lou.«
»Wie bitte?«
So. Er hat es gesagt, nein, geflüstert. Das Wispern der Wahrheit, das den Umfang der ihr inne liegenden Bedeutung umgekehrt proportional zum Ausdruck bringen soll und doch nicht mehr ist, als fader Dunst bei diesem Versuch. Und mit dem Brodem kommt der ebenso laue Moment des Bedauerns: Nun gibt es kein Zurück, jetzt musst Du liefern. »Lou, ich möchte noch über Lou sprechen, wenn es geht.«
Der Blick der Therapeutin hellt sich auf, wandert zur schmalen Uhr am Handgelenk, flüchtig. Nein, nicht flüchtig. Eilig, blitzartig. Ein Blinzeln der Vergewisserung, ob der aufgetane Bruch in der Blockade lohnt, näher betrachtet zu werden und die ausstehende Zeit ein solches Schauen hinter die Fassade zulässt. Das Schweigen spricht: Die Chance, einen Schritt voranzukommen, hat in der Güterabwägung obsiegt. Die Therapeutin hat wohl etwas gesehen, erahnt und handelt konform. All das, die Abwägung eines pünktlichen Beginns der Mittagspause oder des Feierabends oder des nächsten Termins oder was auch immer sonst jetzt anstehen könnte, gegenüber dem Seelenheil dieser Person, die dort sitzt, aus dem Fenster starrt und versucht, zumindest ein kleines Guckloch ins eigene Innere aufzustoßen. All das in einem winzigen flüchtigen Moment des raschen Blickes auf die Handschelle des Alltags, gefolgt von Scham darüber, vielleicht ertappt worden zu sein. Oder überhaupt abgewogen zu haben?
»Und wer ist Lou?«
Wer Lou ist? Lou ist die Rettung aus dieser Tristesse, dieser Melange aus Grau. Er muss nicht einmal die Augen schließen, um es sehen zu können, Lou und er, Hand in Hand dasitzend an der Promenade, die Sonne aufgehend und die Spuren der Nacht enthüllend. Er und Lou im Urlaub, war es der Erste? War es der Letzte? Was spielt das schon für eine Rolle. Lou ist alles. Wie könnte er also in Worte fassen, für sein Gegenüber, für irgendwen, wer Lou ist oder was sie ihm bedeutet. Wie kann er einem fremden Menschen begreiflich machen, dass Lou die Welt ist für ihn und die Lösung, Lou ist die Heilung. »Lou ist eine Kollegin von mir.«
Das Kratzen der Offenbarung ertönt. Es muss schweres Papier sein und eine harte Mine, denn es ist geradezu unerträglich laut, scharf und steinern, eckig. Eine Dissonanz in diesem Raum der verschlissenen, watteartigen Taubheit.
»Und verstehen Sie sich gut mit Lou?«
Ob sie sich gut miteinander verstehen? Sie sind füreinander geschaffen, sie sind eins, Lou und er. Sie sind Twitter und Hashtag, Facebook und Like, Bonnie und Clyde, Jekyll und Hyde. Aber das würde die Therapeutin nicht begreifen. Wie auch? Er kann diese Wahrheit selbst nicht durchdringen, so umfassend, so wirklich, so felsenfest ist sie. »Ich … Ich denke schon, keine Ahnung.«
»Aber Sie mögen Lou?«
Understatement in therapeutischer Gesprächsführung? Aber lieben ist ja auch zu schnöde, zu schal. Lieben kann jeder und schlimmer noch, jeder behauptet, dass er es tut. Was Lou und ihn verbindet, ist mehr. Die Therapeutin wird es nicht anerkennen, sie wird ihm nicht glauben. Sie wird sagen, es sei wie bei Leni und Mara. Aber dieses Mal ist es anders. »Ja, ich … ich mag sie sogar sehr.«
»Und haben Sie sich schon mit ihr verabredet?«
Ist die Sonne heute schon untergegangen? Zeit, meine Teuerste, will er ihr entgegnen, alles eine Frage der Zeit. Schicksal? Nein, Schicksal ist was für Spinner und Romantiker. Das hier ist Naturgesetz. »Nein … Ich warte auf die richtige Gelegenheit.«
Da ist es. Das Seufzen. #ernsthaft? Sie denkt, dass er es nicht merkt, nicht einschätzen kann, vielleicht ist es ihr auch egal? Was weiß sie schon, sie versteht nicht, ihr Geist ist zu simpel, um diese Wahrheit erfassen zu können, dieses Axiom: Er und Lou gehören zusammen.
»Aber sie arbeiten doch miteinander. Da wird sich doch bestimmt eine Gelegenheit ergeben, oder nicht? Und Sie wissen noch, was wir besprochen haben? Über das Gelegenheitenergreifen?«
Einfach machen. Einfach? Was soll daran einfach sein? Wenn es einfach wäre, dann würde er es ja auch einfach machen. So geht das schon die ganze Zeit. Probieren Sie es doch einfach mal, bewerben Sie sich doch einfach mal, buchen Sie doch einfach mal. Warum haben Sie Ihren Bericht nicht einfach mal abgegeben, die Beförderung hatten Sie doch schon sicher, meinten Sie? Verfickt noch mal, ja! Er hatte die Beförderung sicher gehabt, er hatte sich ja auch schon im neuen Büro gesehen, mit Personalverantwortung. Seine Leute liebten ihn, endlich mal einer von ihnen, einer der wusste, wie es lief. Der wusste, was er wann sagen musste und wann er vielleicht einfach mal nichts sagen musste. Sie fragten ihn um Rat, beruflichen und privaten. Sie respektierten ihn. Manche schwärmten sogar für ihn. Den Bericht zu schreiben, wäre ein Klacks gewesen, hat er hunderte Male gemacht.
Er hätte auch einfach Leni fragen können, ob sie mit ihm ausgehen will, er ist ja schließlich nicht auf den Mund gefallen, verdammte Scheiße. Einfach mal machen. »Ja, ich sollte einfach mal ins kalte Wasser springen.«
Sie schüttelt den Kopf. »Ich weiß, dass es schwer ist. Aber wir arbeiten daran, hören Sie? Und das ist harte Arbeit, verdammt harte Arbeit.«
#verdammtrichtig. »Und wie? Wie können wir daran arbeiten?«
»Wir lernen. Wir lernen aus unserem Tun. Oder auch Nichttun. Was empfinden Sie, wenn Sie an vergangene Gelegenheiten denken? Wissen Sie noch, als Sie mir erzählt haben, dass Sie Ihre Bekannte fragen wollten, ob sie mit Ihnen ausgeht?« Sie blättert. Drei Seiten, vier Seiten. Ja, schweres Papier, dumpf und träge. »Leni?«
Was er empfindet, wenn er an Leni denkt? Erleichterung. Determination. Es hatte nicht anders laufen können, wie auch. Das war ein Prüfstein, eine Lektion. Eine unverzichtbare Zwischenstation auf seinem Weg ins Jetzt und weiter in die Zukunft zu dem einen Ziel, das unausweichlich vor ihm liegt.

Lou.


Die Therapeutin will hören, dass er bedauert. Dass er sich ärgert, Leni nicht gefragt zu haben, als sich die Möglichkeit geboten hat. Sie hatte ihn angelächelt. Damals. Sie hatten nebeneinandergesessen auf Fabians Geburtstag. Und er hatte sich gesehen, wie er zurückgelächelt hatte, sie angesprochen hatte, was sie gern trinke. Sie hätte Gin Tonic geantwortet und er ihr erwidert, dass er da eine Bar kenne. Sie wären ausgegangen, hätten gealbert, Händchen gehalten. Sie hätte ihn mit nach Hause genommen, er wäre über Nacht geblieben. Was er nun empfindet? Aufatmen, wäre er jetzt mit Leni zusammen, vielleicht hätten sie schon ein Kind und was wäre dann mit Lou? Aber die Therapeutin versteht das nicht, sie braucht ihren Erfolg. Sonst kommen sie nicht weiter. Er muss mitspielen. Do ut des! »Ich glaube, dass ich Leni einfach hätte fragen sollen. Nach einer Verabredung, Sie wissen schon. Im schlimmsten Fall hätte sie Nein gesagt. Aber dann wüsste ich es. Dann müsste ich mir nicht immer noch Gedanken darüber machen.«
Die Therapeutin lächelt. Dann nickt sie. Das Nicken der Unwissenheit. Er schaut nach draußen, durchs Fenster. Lou geht daran vorbei. Sie lächelt ihn an. Sie wartet auf ihn. Ein Sonnenstrahl. Das Fenster steht weit offen. Ja, er ist auf dem Weg zu ihr, unaufhaltsam. Das Wie lernt er jetzt. Ganz einfach.

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hobbes
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Das goldene Aufbruchstück Das goldene Gleis
Der silberne Scheinwerfer Ei 4
Podcast-Sonderpreis


Beitrag10.05.2021 09:06

von hobbes
Antworten mit Zitat

Einer dieser Texte, zu denen mir spontan ziemlich wenig einfällt. Daher lasse ich es zuerst mal bei der einen Sache, die ich unschön fand. Dass er nämlich die Fragen wiederholt und sich dieses Muster der wiederholten Fragen dann auch noch wiederholt. Das hier meine ich (eventuell kommt es noch öfter vor, hier ist es mir aufgefallen):
Zitat:
»Und wer ist Lou?«
Wer Lou ist? Lou ist (...)

Zitat:
»Und verstehen Sie sich gut mit Lou?«
Ob sie sich gut miteinander verstehen? Sie sind füreinander (...)

Kommt mir jetzt ein bisschen kleinkrämerisch vor, wenn ich es so hinschreibe, aber mei. Ich finde es unnötig (die Wiederholungen).

Beim zweiten Lesen wundere ich mich. Sowas hier:
Zitat:
Nein, sollen sie nicht, aber wenn er das artikulieren, wenn er es einfach aussprechen könnte, säße er nicht hier in diesem in Schlichtheit verblichenen Gelass, dem Mahnmal der Funktionalität, mit dem Schreibtisch aus Holz, dessen Fasern triefen von Erinnerungen und Offenbarungen. Den alten Stoffsesseln, getränkt in Schmerz und Gefühl. Einem Kabinett der Schaustellung, das aus jeder Ecke, jedem Winkel, jedem nichtigen Fleckchen die ebengleiche Trübsal herausschreit, wie sie dort draußen dem bleiernen Himmelsbildnis entspringt, nur um sie augenblicklich wieder in samtiger Dumpfheit zu ersticken.

Das ist doch nun eigentlich auch ziemlich überbordend. Und überbordend ist ja eigentlich so gar nicht meins. Hier aber denke ich: Irgendwie ziemlich cool. Diese Worte. Gelass, Kabinett, ebengleich, bleiern, ... - das ist dann halt doch etwas anderes als dieser rüschige Überfluss, bei dem ich üblicherweise denke: joah, das ist alles viel zu viel, das gefällt mir nicht. Aber das stimmt ja gar nicht, fällt mir mir jetzt auf. Viel zu viel kann man eben auch auf diese oder auf jene Art umsetzen. Die hier gefällt mir smile


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nebenfluss
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Beitrag11.05.2021 17:07

von nebenfluss
Antworten mit Zitat

Ein Mann, von Hemmungen und Ängsten bestimmt, in einer Therapiesitzung, die offenbar nur aus Gesprächen besteht, Verhaltenstherapie vermutlich. Es geht um seine Kollegin Lou, mit der er sich ein herrliches Leben erträumt, sich aber nicht traut, sie anzusprechen. Gegen Ende der Erzählung glaubt er sie draußen am Fenster vorbeigehen zu sehen und es doch schaffen zu können. Ob es klappt, bleibt ungewiss.
In der sogenannten ersten Welt nimmt die Anzahl der Menschen, die irgendwann eine Psychotherapie in Anspruch nehmen, beständig zu, was sich mittlerweile auch in der Literatur und insbesondere in diesem Wettbewerb abbildet. Meist kommen die Therapierenden dabei nicht sonderlich gut weg; so auch hier. Die Therapeutin scheint dem typischen Küchentischratgeber nicht viel hinzuzufügen zu haben - ich glaube jedenfalls nicht, dass man Ängste überwindet, indem man etwas "über das Gelegenheitenergreifen bespricht". Der Klient scheint auch kein besonderes Vertrauen in das Ganze zu haben.
Naheliegende Umsetzung des Themas, analog zu anderen Beiträgen: das Vorübergehen an offenen Fenstern als das Verpassen von Chancen.
Was diesen Text sofort in meine Top 10 befördert hat, ist nicht, was mir hier erzählt wird, sondern wie das geschieht, wie scheinbar mühelos die Sprache sich in die Situation hinein-assoziiert, wie beispielsweise eine Armbanduhr zur Handschelle des Alltags wird.


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"You can't use reason to convince anyone out of an argument that they didn't use reason to get into" (Neil deGrasse Tyson)
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marinaheartsnyc
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Beitrag11.05.2021 17:53

von marinaheartsnyc
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Sprachlich gesehen für mich der beste Text - niveauflexibel, klar und präzise, und trotzdem ausgeschmückt und ausgefallen. Auch der Inhalt ist auf originelle Weise gleich dreifach (offene Fenster zum Seelenleben, verpasste Gelegenheiten, und ein tatsächliches Vorüberlaufen am offenen Fenster) umgesetzt. Sehr gerne gelesen und mein Platz zwei smile

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Yesterday I was clever, so I wanted to change the world. Today I am wise, so I am changing myself.

- Rumi
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d.frank
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D

Alter: 44
Beiträge: 1124
Wohnort: berlin


D
Beitrag11.05.2021 21:47

von d.frank
Antworten mit Zitat

Ernsthafte Literatur ist nicht gleich Wortegedöns...

Zitat:
Den alten Stoffsesseln, getränkt in Schmerz und Gefühl. Einem Kabinett der Schaustellung, das aus jeder Ecke, jedem Winkel, jedem nichtigen Fleckchen die ebengleiche Trübsal herausschreit, wie sie dort draußen dem bleiernen Himmelsbildnis entspringt, nur um sie augenblicklich wieder in samtiger Dumpfheit zu ersticken.


, meiner Meinung nach. Ich kenne aber noch jemanden, der das findet:

Zitat:
Man gebrauche gewöhnliche Worte und sage ungewöhnliche Dinge.


*Arthur Schopenhauer

wink

Alles in allem empfinde ich das als zu aufgeblasen für den  Inhalt. Obwohl ich den Inhalt ja vielleicht verkenne.
Die aktuellen, zeitgenössischen Begriffe haben ja sicher noch eine andere Funktion, als das Verstaubte aufzuwerten?
Weiß nicht, muss ich noch nachdenken. Bis dahin:



Zitat:
Understatement in therapeutischer Gesprächsführung? Aber lieben ist ja auch zu schnöde, zu schal. Lieben kann jeder und schlimmer noch, jeder behauptet, dass er es tut.


 Daumen hoch


_________________
Die Wahrheit ist keine Hure, die sich denen an den Hals wirft, welche ihrer nicht begehren: Vielmehr ist sie eine so spröde Schöne, daß selbst wer ihr alles opfert noch nicht ihrer Gunst gewiß sein darf.
*Arthur Schopenhauer
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Nihil
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Moderator
Alter: 34
Beiträge: 6039



Beitrag13.05.2021 00:16

von Nihil
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Ein Mann in Tsüschotherapie mit Versagensängsten, die ihn davon abhalten, seinen Langzeitcrush (seine Langzeitcrushin?) anzusprechen, eine Situation, an der er verzweifelt. Im Behandlungszimmer schaut er eichendörfflerisch sehnsüchtelnd aus dem Fenster, während er (nicht) erzählt, was er denkt, wie er sich fühlt, woher seine Hemmungen wohl kommen könnten. Zum Glück kann der Leser die Gedanken lesen, was die Tsüschotherapeutin nicht kann, weil sie keinen Text vor sich hat, sondern nur eine fiktionale Person wie sie selbst eine ist. Die Herausposaunung des weiblichen Vornamens stellt bereits einen enormen Fortschritt in dem überaus spärlich beworteten 1-on-1 dar.

Mich haben einige Dinge zu sehr gestört, eigentlich genervt, als dass es noch für Punkte gereicht hätte. Bei den Hashtags war tatsächlich mein erster Gedanke: Will der jetzt auf jugendlich tun? Vielleicht verbringt er seine Arbeitszeit aber auch auf Instagram, statt über die Möglichkeiten einer Lou zu ruminieren. Leider sind jedoch auch die Dialoge, die in diesem Setting nun einmal wirklich wichtig sind, wenigstens was ihre Natürlichkeit angeht, misslungen.
Lou hat Folgendes geschrieben:
Sie schüttelt den Kopf. »Ich weiß, dass es schwer ist. Aber wir arbeiten daran, hören Sie? Und das ist harte Arbeit, verdammt harte Arbeit.«
#verdammtrichtig. »Und wie? Wie können wir daran arbeiten?«
»Wir lernen. Wir lernen aus unserem Tun. Oder auch Nichttun. Was empfinden Sie, wenn Sie an vergangene Gelegenheiten denken?
Puh. Ich glaub denen kein Wort. Das steht eine Stufe über Infodumping, in seinem pastoral-larmoyanten Duktus aber auch nicht wesentlich  höher. Das freigestellte Lou rückt den Text zum Abschluss noch ins unnötig Kitschige. So kann ich leider nicht wirklich viel Positives sagen, weil ich wirklich gerne mit dem Erzähler mitgefühlt hätte. Aber so kann ich nicht.
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Gast







Beitrag13.05.2021 13:18

von Gast
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Liebe/r Autor/in,

ein Mann sitzt bei seinem Shrink, weil er erkannt hat, dass er sich selbst im Weg steht und nach einer Lösung für sein Problem sucht.

Oh Leni, oh Mara, oh Lou, Jennifer, Alison, Phillipa, Sue, Deborah, Annabel, too Laughing.
Zitat:
Ob sie sich gut miteinander verstehen? Sie sind füreinander geschaffen, sie sind eins, Lou und er. Sie sind Twitter und Hashtag, Facebook und Like, Bonnie und Clyde, Jekyll und Hyde.

Bei all der Tragik finde ich durchaus Komisches in dieser Geschichte, ist vielleicht nur meine Leseart, aber nicht nur dieser Abschnitt entlockt mir ein breites Schmunzeln, danke dafür.

Ich mach's kurz, weil ich wirklich nichts an diesem Text zu meckern habe, im Gegenteil, er ist wunderbar geschrieben, die Gedanken des Protas wirken authentisch, die Thematik soziale Phobie/Introvertiertheit wird auf eine tragisch-komische Weise behandelt, was dir gut gelungen ist und mir sehr gut gefällt.

Das Fenster hast du erwähnt, ja. Aber welche Rolle spielt es für den Text?

Dein Wettbewerbsbeitrag gefällt mir, mal sehen, ob es Punkte gibt ...

Liebe Grüße,
Katinka
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Constantine
Geschlecht:männlichBücherwurm


Beiträge: 3311

Goldener Sturmschaden Weltrettung in Bronze


Beitrag14.05.2021 19:27

von Constantine
Antworten mit Zitat

Ich traue mich nicht, weil ich depri bin oder ich bin depri, weil ich mich nicht traue

Bonjour Inko,

ein weiterer Protagonist in Therapie.
Sein Problem:
- Kontakte zu Frauen aufzubauen. Er traut sich nicht, sie anzusprechen.
- Depressionen aufgrund vertaner Chancen im Leben, Frauen, die ihn interessierten, nicht angesprochen zu haben

Es dreht sich um Lou, aber auch um Leni. Leni ist eine vergangenere Chance als Lou, Lou ist aktueller und am Ende geht sie, der Themenvorgabe entsprechend, am Fenster vorbei. Hoffnung kommt auf, dass der Prota es diesmal schaffen könnte und Lou ansprechen könnte.

Hier bleibe ich hängen:
Zitat:
Er schaut nach draußen, durchs Fenster. Lou geht daran vorbei. Sie lächelt ihn an. Sie wartet auf ihn.

So ganz bekomme ich die Reihenfolge und die Infos nicht sortiert:
Lou geht am Fenster vorbei.
Dann lächelt sie ihn an?
Dann wartet sie auf ihn?

Oder eher:
Lou lächelt ihn an,
geht am Fenster vorbei,
bleibt dann stehen,
vielleicht schaut sie nochmal zu ihm hinauf
und wartet dann auf ihn?

Oder ist das alles nur Wunschdenken und  gar nicht real, was draußen unter dem Fenster vor sich geht. Dann ist die Reihenfolge egal.

Im Wettbewerb gab es Texte, die mich insgesamt mehr überzeugt haben, stärker waren und irgendwie auch frischer mit ihren Themen und Ideen, dass mich dieser Text leider nicht überzeugen konnte, Punkte von mir zu bekommen.
Nicht in meiner Top Ten: zéro points.
Es tut mir leid.

Merci beaucoup
Constantine
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Raven1303
Geschlecht:weiblichKlammeraffe

Alter: 41
Beiträge: 540
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Beitrag14.05.2021 21:13

von Raven1303
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Liebe/r Unbekannte/r,

da waren einige sehr starke Momente drin in deinem Ausdruck und bei den Beschreibungen seines Seelenzustands. Besonders der Anfang riss mich mit und ich war sehr gespannt, was passiert. Am Ende war ich aber enttäuscht. Es blieb dann doch irgendwie seicht bei der Handlung und bei der Auflösung am Ende. Okay, er spielt sich etwas vor, wird den gleichen Fehler wohl wieder und wieder und immer wieder machen, um sich dann einzureden, dass es gut war. Weil vermutlich eine neue, vermeintlich bessere Frau kommen wird, die er dann anschmachten und doch wieder nicht ansprechen wird. Sehr traurig eigentlich.

Andere Texte haben mir mehr überzeugt, wenngleich du alle Anforderungen - aus meiner Sicht - erfüllt hast. Von mir daher  keine Punkte.

LG Raven


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F.J.G.
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Beitrag15.05.2021 12:22

von F.J.G.
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Guten Tag,

diesem Text kann ich leider keine Punkte geben.
Die Sprache ist viel zu blumig und "sophisticated" und ist so für mich extrem anstrengend zu lesen.

Bedaure, keine besseren Nachrichten zu haben.

Danke dennoch für den Text.

Viele Grüße
der Kojote


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Gast







Beitrag15.05.2021 22:51

von Gast
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Ein beziehungsgestörter Mann bei seiner Therapeutin.

Vorgabentreue:

Hm. Das im letzten Abschnitt (!) lieblos hereingequetschte offene Praxisfenster liest sich zunächst mal wie der ziemlich pathetische Versuch, die Vorgaben noch irgendwie hinbiegen zu wollen. Wäre da nicht das "kleine Guckloch ins eigene Innere," mit dem eine metaphorische Umsetzung impliziert ist.

Klar, bei einer Therapie geht es immer irgendwie darum, ins eigene Innere zu blicken, dazu lässt die Redewendung zu viele Interpretationen zu. Damit würde fast jede Geschichte qualifizieren. Die Frage ist hier, ob es der Therapeutin tatsächlich gelingt, den Patienten zum Öffnen des Fensters zu bringen (da das Guckloch erst "aufgestoßen" werden muss, ist es offensichtlich noch geschlossen) - und danach im zweiten Schritt an dem dann offenen Fenster eben nicht vorüberzugehen, sondern hineinzugucken.

Dafür gibt es aber keine Hinweise im Text, deswegen sehe ich die Vorgaben als nicht erfüllt an.

Ausgestaltung:

Nicht sehr überzeugend. Patient und Therapeutin scheinen sich gegenseitig weder Respekt noch ein ernsthaftes Interesse an der Lösung des Problems zuzugestehen. Die Sprache ist entweder grundlos vulgär oder aufgesetzt unschlüssig allegorisch ("Eine Dissonanz in diesem Raum der verschlissenen, watteartigen Taubheit" - meine Güte...), der Charakter des Protas unstimmig.

Da darf noch mehr kommen. Fenster auf, frische Luft reinkommen lassen und nochmal anfangen. Nicht zur Strafe, nur zur Übung... Wink
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holg
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Beitrag16.05.2021 12:52

von holg
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Eine Geschichte von Gelegenheitsfenstern, Möglichkeitsfenstern, Wahrscheinlichkeitsfenstern und ein paar realen Fenstern, die offen stehen und an denen man vorbei gehen kann.

Eigentlich ist das voll nach meinem Geschmack. Und eigentlich ist das auch gut gemacht, verpackt in Geschichte von einem, der im Wettstreit mit seiner Psychologin liegt, der taktiert, Erwartungen vorausspürt und möglicherweise am Ende genau dadurch Fortschritte macht.

Leider reicht das nicht für ganz nach vorne (aber locker in meine top Ten). Vielleicht liegt es an der Erzählweise.
Vielleicht liegt es an der in meinen Augen zu sehr ausgemalten Selbstanalyse. Das passt zwar zur Erzählform, nimmt in dieser eher kurzen Geschichte aber sehr viel Raum ein, der erzählerisch hätte genutzt werden können. Es soll ja ein erzählender  Prosatext sein.

Jedenfalls ist er zu gut, um keine Punkte abzubekommen.


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Beitrag16.05.2021 13:53

von V.K.B.
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Hallo unbekanntes Wesen, das das geschrieben hat,

eine interessante Geschichte mit einem (wie mir scheint) unzuverlässigen Erzähler, der in seiner eigenen Traumwelt lebt, hier scheinen Selbst– und Fremdwahrnehmung jedenfalls meilenweit auseinanderzuliegen. Bisweilen frage ich mich, ob ihn die reale Lou (sollte es sie überhaupt geben) überhaupt interessiert, wo er doch schon mit seiner Traumversion von ihn zusammen ist. Und natürlich die zynische Frage, womit er letztendlich besser fährt. Realität ist individudell und imaginäre Beziehungen gehen vielleicht nicht so schmerzlich kaputt, wie reale das immer wieder zu tun pflegen.

Anspruchsvoll geschrieben und erfüllt auch die speziellen Vorgaben an einen Zehntausendtext, landet also im grünen Bereich und ist damit automatisch Punktekandidat (bisher hab ich erst 9 grüne Texte, aber noch ein paar nicht gelesen). Punkte verteile ich aber erst, wenn ich alles gelesen habe, kann also noch nichts sagen, oder die Chancen stehen nicht schlecht.

Edit: Zur Endwertung: Ich habe die Texte in die Kategorien grün (genau wie ein Zehntausendertext mMn sein sollte, also definitiv E-Lit, aber auch besonders geschrieben und neue Wege beschreitend, oder das zumindest versuchend), gelb (ernsthafte Themen, aber realtiv traditionell geschrieben) und rot (Text, der mMn nicht in diesen Wettbewerb passt, auch nicht teilweise) eingeteilt. Die Rangfolge für die Punkte erfolgt dann nicht größtenteils nach persönlichem Gefallen, sondern erstmal innerhalb der Gruppen.

Diesen Text habe ich in den grünen Bereich eingeteilt, er erfüllt die Vorgaben dieses Wettbewerbs vollständig, landet auf Platz 8 und erhält damit 3 Punkte.


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Hang the cosmic muse!

Oh changelings, thou art so very wrong. T’is not banality that brings us downe. It's fantasy that kills …
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MoL
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Beiträge: 1838
Wohnort: NRW
Das bronzene Stundenglas


Beitrag16.05.2021 20:32

von MoL
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Ach, lieber Inko,
ich wünschte fast, es würde die anderen Texte nicht geben!
Ich nehme es gleich vorweg: Das hier ist mein Platz Nummer 7!
Aber nicht, weil ich hier was zu bekritteln hätte, sondern weil mir die anderen Texte eben noch einen Tacken besser gefallen haben. Da musste ich harte und haarscharfe Entscheidungen treffen.
Nichtsdestotrotz finde ich Deinen Text wirklich absolut gelungen und grandios! Stilistisch richtig richtig gut, alle Vorgaben erfüllt - wobei mir auch der metaphorische Aspekt des/r Fenster sehr gut gefällt - und der Inhalt ist wirklich sagenhaft gut.
Kennst Du das, wenn man eine Antho kauft? Da hat man immer Texte, die echt enttäuschen und bei denen man sich fragt, wie zur Fanta die es in die Sammlung geschafft haben, ein breites Mittelfeld an Texten, die ganz gut sind, und dann ganz wenige, die einen echt umhauen. Das kann auch oft nur ein einziger sein, aber für den hat es sich dann gelohnt, das Ding zu laufen und ganz zu lesen. So ein Text ist das hier für mich, lieber Inko! Ein Text, den ich als absolute Bereicherung ansehe. Danke dafür!


_________________
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Hexenherz-Trilogie: "Eisiger Zorn", "Glühender Hass" & "Goldener Tod", Acabus Verlag 2017, 2019, 2020.
"Die Tote in der Tränenburg", Alea Libris 2019.
"Der Zorn des Schattenkönigs", Legionarion Verlag 2021.
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Jenni
Geschlecht:weiblichBücherwurm


Beiträge: 3310

Das goldene Aufbruchstück Die lange Johanne in Gold


Beitrag17.05.2021 22:26

von Jenni
Antworten mit Zitat

Das mag ich ja sehr. Warum mir ein Text gut gefällt, warum ist das eigentlich so viel schwieriger zu begründen als Nichtgefallen. Hm.
Was mir am Text gefällt:
- der intensive Ton, der mich fesselt, interessiert und gänzlich ungelangweilt durch den Text trägt
die vielen Assoziationen und das für meinen Geschmack ideal austarierte Verhältnis aus Handlung (hier Dialog) und Gedankenwelt
die Diskrepanz zwischen den Gedanken/Gefühlen und dem Gesagten und was innerhalb dieses Spannungsverhältnisses entsteht
der missglückte und irgendwie trotzige Versuch, Gefühle durch Hashtags zu kategorisieren
die Euphorie bezüglich Lou, die letztlich nur einer Phantasie entspringt und dann für einen Moment so schmerzhaft in der Luft hängen bleibt, bevor sie langsam zu Boden sinkt.
Die „Heilung“ am Ende, die natürlich keine ist, nur auf den Text bezogen (jede Geschichte hat ein happy end, wenn man im richtigen Moment aufhört zu erzählen?), die finde ich nicht ganz so gelungen im Vergleich zu dem, was vorher aufgebaut wurde.
Das Thema des Vorbeilaufens an offenen Fenstern sehe ich gelungen umgesetzt in den Gelegenheiten, die der Erzähler als solche erkennt aber nicht in der Lage (vielleicht sogar gar nicht Willens) ist zu nutzen.
10 Punkte.
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silke-k-weiler
Geschlecht:weiblichKlammeraffe

Alter: 49
Beiträge: 749

Das goldene Schiff Der goldene Eisbecher mit Sahne


Beitrag17.05.2021 23:07

von silke-k-weiler
Antworten mit Zitat

Lieber Text,

der Anfang war extrem vielversprechend, bei:

Schweigend sitzt er vor dem Fenster, schaut nach draußen, sieht graublaue Wolken melierte Formen an den Himmel malen, schwer hängend, nahezu elegisch, eine Traurigkeit tragend, die ihn selbst erfasst, erfüllt, länger schon, als ihm bislang bewusst war.

kam ich so was von in den E-Modus.

Aber dann dies hier:

Señora Incógnita hat Folgendes geschrieben:
Zu brüllen, mit fünf Ausrufezeichen und dem Hashtag ›ernsthaft?‹: Nein!!! Wir sollen nicht Schluss machen für heute!! #ernsthaft?


und das

Señora Incógnita hat Folgendes geschrieben:
Sie sind Twitter und Hashtag, Facebook und Like


und das

Señora Incógnita hat Folgendes geschrieben:

Da ist es. Das Seufzen. #ernsthaft?


und das

Señora Incógnita hat Folgendes geschrieben:

#verdammtrichtig. »Und wie? Wie können wir daran arbeiten?«


Und ich frage mich: was hat das # da verloren? Was sollen diese krampfhaften Verweise auf soziale Medien (und auf das ernsthaft)? Auf mich wirkt es wie ein Kratzer in einer Schallplatte, über den die Nadel hüpft. Anders als bei „Flut aus Rauch und Feuer“, wo das Thema der sozialen Medien und der eklatant von der Wirklichkeit abweichenden Selbstdarstellung des einzelnen zentraler Pfeiler der Geschichte ist, stört es mich hier kollossal. Klar, vielleicht hat es etwas mit der Unfähigkeit der Figur zu tun, sich aufzuraffen, Kontakte zu knüpfen, überhaupt in die Tiefe gehen zu wollen, aber es fühlt sich so bemüht an, dass ich mich nach dem schönen, sehr üppigen Anfang richtig ärgere.

Allein die Stelle, wenn die Therapeutin auf die Uhr guckt, finde ich großartig:

Señora Incógnita hat Folgendes geschrieben:

Der Blick der Therapeutin hellt sich auf, wandert zur schmalen Uhr am Handgelenk, flüchtig. Nein, nicht flüchtig. Eilig, blitzartig. Ein Blinzeln der Vergewisserung, ob der aufgetane Bruch in der Blockade lohnt, näher betrachtet zu werden und die ausstehende Zeit ein solches Schauen hinter die Fassade zulässt. Das Schweigen spricht: Die Chance, einen Schritt voranzukommen, hat in der Güterabwägung obsiegt. Die Therapeutin hat wohl etwas gesehen, erahnt und handelt konform. All das, die Abwägung eines pünktlichen Beginns der Mittagspause oder des Feierabends oder des nächsten Termins oder was auch immer sonst jetzt anstehen könnte, gegenüber dem Seelenheil dieser Person, die dort sitzt, aus dem Fenster starrt und versucht, zumindest ein kleines Guckloch ins eigene Innere aufzustoßen.


Und dann wird es irgendwie zunehmend banaler. Ist das die Auflösung?

Hm, nächste Runde ist fraglich.

VG
Silke
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Gast







Beitrag18.05.2021 11:28

von Gast
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Aus Zeitgründen muss ich mich auf das Kommentieren meiner zehn Favoriten beschränken, und unter der Vielzahl der Texte hat es dieser nicht in meine (höchst subjektiven) Top Ten geschafft.
Dennoch vielen Dank fürs Lesendürfen!
LG
DLurie
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Kiara
Geschlecht:männlichReißwolf

Alter: 44
Beiträge: 1404
Wohnort: bayerisch-Schwaben


Beitrag18.05.2021 14:47

von Kiara
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Hallo,
vielen Dank für deinen schönen Text. Sehr gut geschrieben, du verstehst dein Handwerk. Interessante Charaktere, ebenso die Geschichte. Ich gebe dir meinen letzten Punkt.


_________________
Zum Schweigen fehlen mir die Worte.

- Düstere Lande: Das Mahnmal (2018)
- Düstere Lande: Schatten des Zorns (2020)
- Düstere Lande: Die dritte Klinge (2023)
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Globo85
Geschlecht:männlichKlammeraffe

Alter: 38
Beiträge: 740
Wohnort: Saarland
Das silberne Eis in der Waffel DSFo-Sponsor


Beitrag20.05.2021 14:27

von Globo85
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Hallo Text,

da bist du also. Mein erstes vollendetes Prosawerk.

Wenn ich mir deine Konkurrenz anschaue, muss ich doch leider sagen, dass du noch ein wenig unausgereift bist, zu viel erklärst, zu viel abnimmst. Die Sprache wirkt zu aufgesetzt, zu gewollt "E".

Aber ich bin trotzdem stolz auf dich, weil du der erste Text bist, den ich zu Ende geschrieben habe und der erste, den ich bei einem Wettbewerb eingereicht habe.
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nicolailevin
Geschlecht:männlichEselsohr


Beiträge: 259
Wohnort: Süddeutschland


Beitrag20.05.2021 19:49

von nicolailevin
Antworten mit Zitat

Der Icherzähler sitzt bei seiner Therapeutin und spricht an, dass er sich mit seiner Kollegin Lou treffen will. Er hat es schon zuvor bei anderen Frauen verpasst, sie näher kennenzulernen, so wie er seine Beförderung verpasst hat, weil er wohl zu passiv war. Am Ende will er sie aber ansprechen, sagt er zu.

Innerer Monolog auf der Couch. Das ist für meine Begriffe so mittel in Sachen Tiefe und Vielschichtigkeit und all dem. Das offene Fenster ist hier in erster Linie ein Metaphorisches, da hätte es für meine Begriffe die Vision im letzten Absatz gar nicht gebraucht.

Der Auftakt gerät schwach: Bräsiger Welthass („Fasern triefen von Erinnerungen und Offenbarungen. Den alten Stoffsesseln, getränkt in Schmerz und Gefühl“) und selbstmitleidiges Geeiere beim Therapeuten. Weder neu, noch besonders gut gemacht.

Dann aber auf einmal, ab da, wo die Therapeutin auf die Uhr schaut, wird es für mein Empfinden richtig klasse. Wie er ihr Verhalten beobachtet und analysiert und dann seine eigenen Erlebnisse und Schwächen reflektiert, das ist klug und lebensnah und ich kann mich da sehr gut reinversetzen. Das ist ein gelungenes Psychogramm von jemandem, der irgendwie an der Welt scheitert. Empathisch und – ja: irgendwie sogar witzig!

Den letzten Absatz finde ich dann wieder deutlich schwächer – egal wie ich ihn interpretiere (er will tatsächlich – oder er stellt es nur so dar, um der Therapeutin willen).

Auch sprachlich finde ich den Anfang zu gewunden und gewollt, manchmal sogar an die Grenze des unfreiwillig Komischen („Das Wispern der Wahrheit, das den Umfang der ihr inne liegenden Bedeutung umgekehrt proportional zum Ausdruck bringen soll“) - wenn sich der Blick auf die Therapeutin richtet, wird das viel besser. Da ist dann auch der Unterschied zwischen dem aufgewühlten inneren Monolog und dem kontrollierten, gehemmten äußeren Sprechtext fein rausgearbeitet. Diese Passagen sind für mich richtig gut formuliert!

Diese Wendung im letzten Absatz mit seinen kurzen Sätzen, die kann ich nur schwer nachvollziehen und – wie gesagt – wenn es eine scheinbare sein soll, gefällt mir das erst recht nicht.

Hat es leider nicht in die Punkterunde geschafft.
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anderswolf
Geschlecht:männlichReißwolf


Beiträge: 1069



Beitrag21.05.2021 13:26

von anderswolf
Antworten mit Zitat

Ein Haarschnitt hätt' es auch getan. Oder: #TooMuchTooLittle

Therapiesitzung. LEr hat die große Liebe gefunden. Die Therapeutin ist genervt, den LEr hat die große Liebe gefunden, schon wieder.

Als jemand, der selbst schon den Fehler begangen hat, einen Wettbewerb mit einer Therapiegeschichte bestritten zu haben, darf ich sagen, was für ein Risiko das ist. Was es nämlich nicht ist: eine gute Idee. Denn was passiert in einer Therapiesitzung? Nix. Nix außer Introspektion und vielleicht Gesprächsführung, die aber letztlich auch nur Introspektion ist. Oder, wer weiß, vielleicht passiert auch was anderes: Tränen, Gewalt, Erkenntnis, Lachen. Oder auch nicht, was weiß ich. Ich hatte noch keine Therapiesitzung, ich habe nur drüber geschrieben, weil ich mir gedacht habe, das wäre eine tolle Idee oder, eigentlich, eine passende.

Nun ist Introspektion bei dem vorgegebenen Thema nicht ganz abwegig. Man guckt ja schließlich beim Vorübergehen an geöffneten Fenstern auch rein (in der Regel). Ganz fern liegt das also nicht, sich eine Therapiesitzung auszumalen oder - falls das nicht nur eine reine Fantasiedarstellung einer Therapiesitzung ist - ihren tatsächlichen Verlauf abzubilden. Wie gesagt: ich habe keine Ahnung, nur die Erinnerung daran, dass mir damals angekreidet wurde, wie unrealistisch meine Darstellung einer Therapiesitzung war.

Naja. Ziemlich viele Worte, um eigentlich zu sagen: keine überzeugende Umsetzung einer wenig überzeugenden Idee.

Zur Geschichte: Dass jemand Gefühle für jemanden entwickelt, aber gleichzeitig nicht den nötigen Mut, diese Gefühle dieser Person gegenüber auch auszusprechen, ist nicht  ungewöhnlich. Muss es also die Sprache retten, und sehen wir mal von den Hashtags ab (sind ja nur drei), ist die nicht nur solide, sondern fast schon schwelgerisch, elegisch, ja überbordend, fast schon zu viel des Guten, also eher schon fast über Bord gehend. Denn das ist ja die Gefahr bei E-Wettbewerben (gewissermaßen die E-Fahr): hochwolkige Sprache mit Anspruch zu verwechseln, Pathos mit Tiefe, Vielwortigkeit mit Vielschichtigkeit. Insgesamt #TooMuchTooLittle und Keine Punkte.
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Globo85
Geschlecht:männlichKlammeraffe

Alter: 38
Beiträge: 740
Wohnort: Saarland
Das silberne Eis in der Waffel DSFo-Sponsor


Beitrag24.05.2021 11:47

von Globo85
pdf-Datei Antworten mit Zitat

Hallo hobbes,

vielen Dank fürs Lesen und die Punkte.

hobbes hat Folgendes geschrieben:
Daher lasse ich es zuerst mal bei der einen Sache, die ich unschön fand. Dass er nämlich die Fragen wiederholt und sich dieses Muster der wiederholten Fragen dann auch noch wiederholt. [...] Ich finde es unnötig (die Wiederholungen).


Ja, mit ein wenig Abstand muss ich dir absolut recht geben. Ist tatsächlich ziemlich überflüssig.

hobbes hat Folgendes geschrieben:
Viel zu viel kann man eben auch auf diese oder auf jene Art umsetzen. Die hier gefällt mir smile


Vielen Dank, das bedeutet mir viel.
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