18 Jahre Schriftstellerforum!
 
Suchen
Suchabfrage:
erweiterte Suche

Login

Jetzt erhältlich! Eine Anthologie von und mit unseren Usern. Jetzt bestellen! Die erste, offizielle DSFo-Anthologie! Lyrikwerkstatt Das DSFo.de DSFopedia


Deutsches Schriftstellerforum Foren-Übersicht -> Antiquariat -> Zehntausend 05/2021
Zwei halbe Leben in Schwärze

 
 
Gehe zu Seite 1, 2  Weiter
Neues Thema eröffnen   Neue Antwort erstellen
 Vorheriges Thema anzeigen :: Nächstes Thema anzeigen  « | »  
Autor Nachricht
Kiara
Geschlecht:männlichReißwolf

Alter: 44
Beiträge: 1404
Wohnort: bayerisch-Schwaben


Beitrag29.04.2021 19:00
Zwei halbe Leben in Schwärze
von Kiara
eBook pdf-Datei Antworten mit Zitat

„Faszination. Ich liebe diese Melodie – dieses sanfte, gleichzeitig schwungvolle; es scheint, die Musik fordert uns dazu auf, zu tanzen; man schwebt sozusagen auf einer Welle mit und kann gar nicht anders, als sich im Moment zu verlieren. Alleine durch den Film mit Audrey Hepburn hat sich die Bekanntheit von Marchettis Stück vervielfacht. Liebe am Nachmittag, ja, bei dieser Melodie kann es nur um Liebe gehen. Es passt perfekt. Finden Sie -“

Sarah sieht auf, doch ihr Gegenüber – besser gesagt ehemaliger Gegenüber – hat sich bereits erhoben und steuert den Nachbartisch an. Selbst sein Name – stand er doch auf dem Schild, befestigt an seinem gebügelten Hemd – ist schon aus ihrer Erinnerung gelöscht. Enttäuscht blickt Sarah auf die Tischplatte. Kratzer und kleine Kerben.

„Faszination ist perfekt“, sagt sie mit Nachdruck, sieht jedoch nicht auf, als sich jemand setzt. „Ich hörte die Melodie aus den beiden dunklen Fenstern an jenem Abend, dort, wo ich mit Rudolfo den Abendspaziergang mache, wenn die Stadt langsam zur Ruhe kommt, die Geschäftsleute mit ihren wichtigen Mienen verschwinden und Platz machen für junge, belächelnswerte Halbstarke, die meinen, in jedem Satz muss ‚ficken‘ und ‚Hurensohn‘ vorkommen. Sieben Häuser, die Fassade barocker Pracht nachempfunden – womöglich hat man deswegen das bucklige Kopfsteinpflaster nicht ersetzt, damit die Autofahrer durch die erzwungen langsamere Fahrt die Möglichkeit haben, diesen Anblick zu würdigen – und nahezu jeder Bewohner versuchte, die unerträgliche Hitze des Tages aus den Räumen zu scheuchen, um eine kühle Brise, ja, nur einen erfrischenden Hauch zu erhaschen, der das Gefühl der Taubheit nimmt und erfrischt wie ein Schwall kaltes Wasser. Ich konnte das Brennen des Tages in den Steinen spüren, Rudolfo hingegen störte das nicht im Geringsten. Er klapperte die Bäume der Allee ab – die Buchen wurden immer so gepflanzt, das sie zwischen den beiden Fenstern der Fassade stehen, damit die Menschen, sollten sie aus ihren Fenstern schauen, nicht nur auf einen Stamm blicken – und liest Hundenachrichten. Wenn ihm danach ist, hebt er das Bein und entlässt ein paar Tröpfchen in die Freiheit. Wobei von diesen Tröpfchen nur die Hälfte den Boden erreicht. Der Rest bleibt in den Haaren oder an den Hinterläufen hängen. Und beschmiert später die Hundedecke auf dem Sofa.“

Sarah blickt auf. Ihr sitzt ein Mann gegenüber, lehnt an der billigen Lederimitation der Rücklehne, hat die Arme verschränkt und schaut sie an, einen eigenartigen Ausdruck in seinem Gesicht; eine Mischung aus Freundlichkeit und Überheblichkeit. Frank steht auf seinem Schild.

„Doch mir war es in diesem Moment einerlei“, fährt Sarah fort. Ihr Blick wird weich, als ob sie sich in ihrer Erinnerung verliert; eine Pflanze im Hintergrund wird der Fluchtpunkt ihres Gemäldes des Augenblicks. „Marchettis Klänge waren leise, ganz zart, man musste schon innehalten, um sie zu hören, und doch waren sie da. Ich stellte mir vor, wie dort, im Dunklen zwei Menschen miteinander tanzen, eng umschlungen, ganz dem Rausch der Gefühle verfallen – dem mächtigsten aller Gefühle – hingebungsvoll, und doch so vergänglich und zerbrechlich wie eine getrocknete Rose.
Rudolfo zog ungeduldig an der Leine, er konnte nicht verstehen, was mich verharren ließ.
In den beiden nächsten Fenster war das Licht gedimmt; ich vernahm ein leises Lachen. Nicht gekünstelt, mehr verliebt, ein Geräusch, das nicht verebbt und vergeht, sondern beendet wird, wie durch einen Kuss.
Das Nebenhaus lag gänzlich still da; dünner Stoff hing lose vor dem dunklen Fenster, als würde jemand dort schlafen.
Aus den Räumen daneben drang Leben, Wortfetzen in unterschiedlichen Stimmlagen, untermalt von den typischen Geräuschen des Bestecks. Gerne hätte ich einen Moment gelauscht, diesen familiären Augenblick verbotenerweise geteilt, doch aus dem Nachbarhaus ertönte ein Schrei, der mich zusammenzucken ließ. Irgendetwas fiel zerbrechend auf den Boden – oder wurde geworfen – ein weiterer Ruf ertönte, gefolgt von Stille. Das Licht erlosch; kurz darauf wurde das Fenster zugezogen. Auch die Essensgeräusche der Familie verstummten einen Augenblick, doch Marchettis leise Klänge waren immer noch zu hören.
Was auch immer gerade geschehen war – es war einfach Leben in dieser Straße, verstehen Sie?“

Sarahs Blick wird fester, erfasst ihr Gegenüber. Ein gutgekleideter, älterer Herr sitzt dort – Eduard; er nickt und blickt – aber nicht in ihre Augen, sondern auf seine Armbanduhr.

Dass Männer nicht zuhören können, dieses Klischee – es stimmt, jedenfalls bei Sarah. Irgendwann, so ihre beste Freundin Lydia, wirst du ihn finden, den Richtigen. Was auch immer früher war, lass es in der Vergessenheit ruhen. Sarah schaut auf die Gemälde, welche die Wand neben ihr zweifelhaft schmücken; abstraktes Öl in psychedelischen Farben. Kein Augenschmaus. Entschlossen, sich nicht aus der Ruhe bringen zu lassen, erzählt sie weiter: „Der Moment der Stille wurde jäh durchbrochen – Babygeschrei. Vermutlich war das Kleine geweckt worden. Kurz darauf veränderten sich die gequälten Rufe aus dem kleinen Mund, wurden leiser, entspannter.
Ist das nicht großartig? Was muss das für ein überwältigendes Gefühl sein, die- oder derjenige mit der Macht zu sein, diesen winzigen Menschen zu beruhigen?
Zeitgleich drangen die letzten Klänge von Faszination an meine Ohren, ganz leise, auslaufend.
Aus einem Fenster des sechsten Hauses, dass Rudolfo und ich passierten, lehnte sich ein älterer Mann. Hinter ihm flackerte das Licht in bläulichen Farben; ich vernahm das Lachen einer Frau und Zuschauern gleichermaßen. Bevor der Mann aus meinem Blickfeld verschwand, hob er die Hand an den Mund, entfachte das feurige Rund einer Zigarette und schnippte den glühenden Stummel hinter mir auf den Gehweg.
Während Rudolfo mich weiterzog und ich zu den Fenstern des letzten Hauses emporblickte, spürte ich Traurigkeit, aber ich weiß nicht, wieso. Verschlossene Fenster; kein Leben drang aus ihnen hervor. Meine Hände tasteten wie gewohnt in der Tasche, wurden fündig, ergriffen den Schlüssel.“

„Ihre Zeit ist gleich um“, ertönt eine Stimme nahe des Eingangs. „Die Herren werden ein letztes Mal gebeten, einen Tisch weiterzugehen. Vielen Dank für die zahlreiche Teilnahme, wir wünschen Ihnen allen viel Glück bei eventuellen weiteren Begegnungen!“
Vor Sarah sitzt das Ebenbild eines Geschäftsmannes. Man kann an den obersten Falten erkennen, dass dort bis vor Kurzem eine Krawatte getragen wurde. Hans heißt er und sieht Sarah aus blauen Augen an, bevor er sich erhebt. „Hat mich gefreut“, murmelt er. Mehr pflichtbewusst als ehrlich.
Sarah beobachtet ihn, wie er sich mit einem Lächeln zu einem Tisch begibt, an dem eine Frau mit dunklen Haaren wartet.
"Mich auch", doch er hört es nicht mehr.
Im nächsten Augenblick lässt sich ein schmächtiger junger Mann vor ihr nieder und grinst sie an.
Der muss fast zwanzig Jahre jünger als ich sein, denkt Sarah. Was will der denn hier? Sieht aus, als wäre er gerade volljährig geworden.
Er sagt etwas. Doch Sarah hört es nicht; ihr Atem stockt.
Mit offenem Mund starrt sie den jungen Mann an, blickt in seine Augen.

Hingebungsvolles Tanzen, sie trägt ein cremefarbenes Kleid.
Ihre Hand auf einer behaarten Männerbrust.
Ein Säugling in ihren Armen.
Dunkelheit – eine Autofahrt – die niedrige Klappe, Wärme – unendliche Kälte, Leere – und da ist sie wieder, die Schwärze, diese alles verschlingende, so gut bekannte Schwärze.


Sarah schließt die Augen, ungläubig.
Öffnet sie wieder, ängstlich und gleichzeitig hoffnungsvoll.
Ihr Blick fällt auf das Namensschild: Sebastian.
Und endlich findet eine Träne den Weg und läuft Sarah die Wange hinunter.

Nach oben
Benutzer-Profile anzeigen Private Nachricht senden Website dieses Benutzers besuchen
Gast







Beitrag10.05.2021 17:25

von Gast
Antworten mit Zitat

Liebe/r Autor/in,

hm, so ganz warm werde ich nicht mit deinem Text.

Zitat:
Was auch immer gerade geschehen war – es war einfach Leben in dieser Straße, verstehen Sie?“

Beinahe die Hälfte des Textes ist erreicht und erst jetzt spricht sie ihren Gesprächspartner an? Das scheint doch eine Art Speed-Dating zu sein, sollte es da nicht Sinn und Zweck sein, miteinander zu reden? Das ist es auch, was mich an der ganzen Aktion stört und irgendwie unlogisch erscheint, Sarah zeigt überhaupt kein Interesse daran, ernsthaft mit ihrem Gegenüber ins Gespräch zu kommen und wundert sich dann, weshalb niemand auf ihren Monolog abfährt? Wenn es ihr Ziel war, einen Mann kennenzulernen, verhält sie sich dazu widersprüchlich.

Dieser Monolog, ihre Erzählung von dem Spaziergang, liest sich für mein Empfinden wenig lebendig. So redet niemand und die Situation wirkt auf mich unnatürlich. Das Ende der Geschichte lässt mich rätselnd zurück. Wer zum Teufel ist Sebastian? Eine Reinkarnation ihres Mannes, den sie vor 20 Jahren bei einem Autounfall verloren hat? Das mittlerweile erwachsene Baby, das sie nach der Geburt und vor dem Autounfall - den sie natürlich überlebt hat - noch schnell in eine Babyklappe geschoben hat? Ich bitte um Aufklärung!

Das Thema hast du glasklar umgesetzt und die Idee mit dem Spaziergang finde ich eigentlich auch ganz schön. Faszination ist ein sehr unbeschwert klingendes Stück, voller Leben, deine Assoziationen dazu gefallen mir.

Liebe Grüße,
Katinka
Nach oben
Stefanie
Reißwolf


Beiträge: 1741



Beitrag11.05.2021 13:57

von Stefanie
Antworten mit Zitat

Anfangs zarte Ironie, dass sie den Männern nicht zuhört, sondern sie zulabert, aber meint, dass Männern nicht zuhören können.
Das Ende verstehe ich nicht. Muss man dafür den Film kennen?
Nach oben
Benutzer-Profile anzeigen Private Nachricht senden
hobbes
Geschlecht:weiblichTretbootliteratin & Verkaufsgenie

Moderatorin

Beiträge: 4292

Das goldene Aufbruchstück Das goldene Gleis
Der silberne Scheinwerfer Ei 4
Podcast-Sonderpreis


Beitrag11.05.2021 13:59

von hobbes
Antworten mit Zitat

Aha. Das ist also der Text, unter den ich "Ach Gott" drunterschreibe.

Leider habe ich vollstes Verständnis für die nicht zuhörenden Männer.


_________________
Don't play what's there, play what's not there.
Miles Davis
Nach oben
Benutzer-Profile anzeigen Private Nachricht senden Website dieses Benutzers besuchen
d.frank
Geschlecht:weiblichReißwolf
D

Alter: 44
Beiträge: 1123
Wohnort: berlin


D
Beitrag11.05.2021 15:01

von d.frank
Antworten mit Zitat

Zitat:
eine Pflanze im Hintergrund wird der Fluchtpunkt ihres Gemäldes des Augenblicks


Tut mir leid, so Sprache ist mir zu gestelzt. Deswegen habe ich mich entgegen der Fairness dazu entschieden, mich nicht weiter mit dem Text herumzuquälen. Vielleicht nochmal, wenn es darum geht, wer die Punkte bekommt - bis dann.

Wieder da. Hab es bis zum Ende geschafft und mit neuer Puste war´s dann auch gar nicht soo schlimm, wie zunächst gedacht. Vielleicht sogar besser, als manch andere Geschichte, der ich im ersten Reflex weniger vor den Kopf gestoßen hab. Aber trotzdem: Das ist eine Pointengeschichte und die Pointe für sich genommen wirkt irgendwie platt. Da ist diese schöngeistige Dame, die ihren Hund Rudolfo nennt. Die sitzt bei einem Date Abend und sieht ihr verlorenes Kind in einem jungen Mann. Oder entdeckt/entwickelt sie einen Komplex? Das wäre die interessantere Variante.
Jedenfalls, sie ist einsam. Und das nicht ohne Grund.
Ist ja so schlecht dann wirklich nicht. Die Geschichte.
Ich mag tatsächlich mehreres daran: Den Konflikt aus Familie und Leidenschaft, die Gedanken zu Einsamkeit und Individualisierung.
Aber rund ist das nicht. Der Monolog ist zu künstlich und die Pointe wirklich eine, weil sie kaum vorbereitet wird.

Trotzdem: 1 Punkt


_________________
Die Wahrheit ist keine Hure, die sich denen an den Hals wirft, welche ihrer nicht begehren: Vielmehr ist sie eine so spröde Schöne, daß selbst wer ihr alles opfert noch nicht ihrer Gunst gewiß sein darf.
*Arthur Schopenhauer
Nach oben
Benutzer-Profile anzeigen Private Nachricht senden
marinaheartsnyc
Geschlecht:weiblichLeseratte

Alter: 31
Beiträge: 137



Beitrag11.05.2021 18:02

von marinaheartsnyc
Antworten mit Zitat

Sprachlich und inhaltlich gesehen für mich auf jeden Fall ganz klassische E-Literatur. Ich mag, wie das Thema umgesetzt wurde, dass das Ende so offen ist, und die Atmosphäre, die der Text erzeugt. Auch die Geschichte an sich finde ich sehr originell und schön - mein Platz drei smile

_________________
Yesterday I was clever, so I wanted to change the world. Today I am wise, so I am changing myself.

- Rumi
Nach oben
Benutzer-Profile anzeigen Private Nachricht senden
Babella
Geschlecht:weiblichKlammeraffe

Alter: 61
Beiträge: 889

Das goldene Aufbruchstück Der bronzene Roboter


Beitrag11.05.2021 20:19

von Babella
Antworten mit Zitat

Hm ja, also. Speed-Dating, Sarah redet und redet und redet.
Natürlich hört keiner zu bei diesem Monolog. Dann setzt sich ein junger Mann vor sie, der offenbar ihr Sohn ist, den sie einst in einer Babyklappe gelegt hat. So in etwa?

Haben nun die offenen Fenster etwas damit zu tun, von denen sie redet und hinter denen sich Leute verbergen, die sie belauscht? Und der Hund? Ist da auch eine Message dahinter?

Ich weiß nicht recht.
Nach oben
Benutzer-Profile anzeigen Private Nachricht senden
nebenfluss
Geschlecht:männlichShow-don't-Tellefant


Beiträge: 5988
Wohnort: mittendrin, ganz weit draußen
Podcast-Sonderpreis


Beitrag12.05.2021 09:59

von nebenfluss
Antworten mit Zitat

In diesem Beitrag gibt es gewissermaßen zwei Geschichten. Die äußere spielt wohl auf einer Art Singletreffen, bei der die Damen an Tischen sitzen und die Herren sie - in erstaunlich hektischen Intervallen - nacheinander abklappern. Im Sinne der Aufgabenstellung fungiert Sarah als Fenster, an der die Männer vorbeiziehen, und - wenn sie interessiert wären - einen Blick auf die innere Geschichte werfen könnten, die von einem ihrer Abendspaziergänge mit Hund handelt, auf dem sie diverse belebte Fenster passiert, bevor sie wieder an ihrer eigenen, deprimierend verlassenen Wohnung ankommt.
Dieses Bild ist gekonnt in die Szenerie umgesetzt, da Sarah im Grunde einen Monolog hält und ihre Gegenüber nur flüchtig zur Kenntnis nimmt (die Erfüllung des Klischees, dass Männer keine guten Zuhörer sind, dürfte damit zu tun haben) - bis das Bild stehenbleibt. Vor ihr sitzt nun ein grinsender jungen Mann, der ihr Sohn sein könnte. Ich nehme jedenfalls an, dass dies die Wendung der Geschichte sein soll, obwohl der Text hier nur sehr vage Hinweise liefert - möglicherweise, um konsequent in der personalen Perspektive zu bleiben. Ich glaube, es hätte der Dramaturgie gut getan, schon früher im Text einen Hinweis zu geben, den man am Ende "wiedererkennen" kann. Ein hingebungsvoller Tanz mit einem Mann wird erwähnt, eine Autofahrt, dazwischen eine Klappe, mit der eine Babyklappe gemeint sein könnte - Sarah hätte also als sehr junge Mutter ihren Säugling weggegeben und würde ihn in diesem Moment wiedererkennen, vielleicht aufgrund einer Ähnlichkeit mit dem Vater.
So originell ich die Umsetzung des Themas finde, kann ich doch mit der Geschichte an sich wenig anfangen. Sarah wirkt auf dieser Veranstaltung deplatziert. . Das Ende bleibt zu vage, um die eigentlich interessante Geschichte, die sich anschließen könnte, im Kopf weiterspinnen zu können.


_________________
"You can't use reason to convince anyone out of an argument that they didn't use reason to get into" (Neil deGrasse Tyson)
Nach oben
Benutzer-Profile anzeigen Private Nachricht senden
Nihil
{ }

Moderator
Alter: 34
Beiträge: 6039



Beitrag13.05.2021 00:16

von Nihil
Antworten mit Zitat

Ein Speed-Dating-Event, das von der Ich-Erzählerin hauptsächlich zum Schwärmen über die Musik Marchettis genutzt wird. Sarah erzählt gegen eine Wand, ohne sich auf ihre wechselnden Gegenüber einzulassen, was sie jedoch nicht davon abhält, selbst stichelnde Kommentare über die schlecht zuhörenden Männer zu denken. Am Ende zeigt ihr kommunikationsunwilliger Monolog aber dennoch Früchte, denn plötzlich sitzt ihr Sohn, den sie vor Jahren per Babyklappe abgegeben hatte, ihr gegenüber und lacht sie an. Kein Wunder, denn als Baby war er ja auch schon immer so schön zu Marchetti eingeschlafen.

Die Babyklappe als Fenster finde ich ungewöhnlich und damit erstmal spannend. Das übrige Setup allerdings, puh. Da steht man mehr als knietief im Kitsch. Was vor allem daran liegt, dass wir hier etwas lesen, dass von oben bis unten wahrscheinlich das unwahrscheinlichste ist, was ich seit Langem gelesen habe. Und ich kenne meine Kontoauszüge. Sarahs Monolog kann meinetwegen alles sein, aber nicht die natürliche Äußerung eines menschlichen Subjekts.
Zwei halbe Leben in Schwärze hat Folgendes geschrieben:
„Faszination ist perfekt“, sagt sie mit Nachdruck, sieht jedoch nicht auf, als sich jemand setzt.
Entweder ich verstehe hier einen Bezug nicht, oder Sarah muss mal zum Nervenarzt. Faszination ist perfekt? Was ist das für ein Satz? Naja. Den Deus ex Machina am Ende verstehe ich auch nicht so ganz. Es ist ja vielleicht ganz schön, wenn sich ein unverhofftes Happy End ergibt, aber das klappt alles etwas zu conveniently. Ist nicht der Sinn einer Babyklappe, dass die Mutter anonym bleibt? Und selbst wenn der Sohn weiß, wie seine Mutter heißt und aussieht und wie sehr sie auf Marchetti abfährt, wieso sollte er auf die Idee kommen, an einem Speeddating teilnehmen, statt wie Leute in seinem Alter Tinder und Ähnliches zu benutzen? Für mich geht das hier nicht so ganz auf, obwohl das unerwartete Wiedersehen eigentlich eine nette Idee gewesen ist.
Nach oben
Benutzer-Profile anzeigen Private Nachricht senden
Constantine
Geschlecht:männlichBücherwurm


Beiträge: 3311

Goldener Sturmschaden Weltrettung in Bronze


Beitrag14.05.2021 19:28

von Constantine
Antworten mit Zitat

So redet doch niemand oder das Beste kommt zum Schluss

Bonjour Inko,

ich tue mich schwer mit deiner Idee, während einer Art Speeddating deine Protas ellenlanges Dialoge monologisierend von sich zu geben. Es kommt für mich dabei bezüglich Sarah und Sebastian leider keinerlei Empathie zustande, um die Titel gebenden beiden Leben in Schwärze nachzuvollziehen.

Zitat:
Im nächsten Augenblick lässt sich ein schmächtiger junger Mann vor ihr nieder und grinst sie an.
Der muss fast zwanzig Jahre jünger als ich sein, denkt Sarah. Was will der denn hier? Sieht aus, als wäre er gerade volljährig geworden.
Er sagt etwas. Doch Sarah hört es nicht; ihr Atem stockt.
Mit offenem Mund starrt sie den jungen Mann an, blickt in seine Augen.

Hingebungsvolles Tanzen, sie trägt ein cremefarbenes Kleid.
Ihre Hand auf einer behaarten Männerbrust.
Ein Säugling in ihren Armen.
Dunkelheit – eine Autofahrt – die niedrige Klappe, Wärme – unendliche Kälte, Leere – und da ist sie wieder, die Schwärze, diese alles verschlingende, so gut bekannte Schwärze.

Sarah schließt die Augen, ungläubig.
Öffnet sie wieder, ängstlich und gleichzeitig hoffnungsvoll.
Ihr Blick fällt auf das Namensschild: Sebastian.
Und endlich findet eine Träne den Weg und läuft Sarah die Wange hinunter.


Das ist zu wenig, um in Sarah die Emotion des Tränenausbruchs und ihre Schwärze für mich als Leser zu greifen.
Auch Sebastian ist mir viel zu wenig, um diese beiden halben Leben, die mir der Titel verspricht, nachzuvollziehen.
So bleiben für mich Sarah und Sebastian leider zu oberflächlich.
Stattdessen werde ich als Leser von Monologen überflutet, die mich wie Sarah leider nicht interessieren, um mich zu packen, um mich bei der Stange zu halten. Erst gegen Ende des Textes näherst du dich deiner eigentlichen Story und dann ist dein Text fertig und ich frage mich, was war das alles davor: belanglos? Den die beiden halben Leben in Schwärze kommen zum Schluss, aber da hat mich der Text bereits verloren und Sarah und Sebastian sind wie beiläufig da, um irgendwie zum Ende zu kommen.

Es tut mir leid, dein Text verliert sich in anderen Themen und legt den Schwerpunkt zu sehr auf die anderen Speeddater und zu sehr auf Monologe, als mir das zu liefern, was mir der Titel verspricht und was der Text zum Schluss fast übers Knie bricht, als dass er mit zwei halbe Leben in Schwärze zeigt. Ich sehe da eher ein halbes Leben und das zweite rutscht zum Schluss grad noch so rein, aber das ist zu wenig.

Es tut mir leid. Dein Text hat es nicht in meine Top Ten geschafft: zéro points.

Merci beaucoup
Constantine
Nach oben
Benutzer-Profile anzeigen Private Nachricht senden
Raven1303
Geschlecht:weiblichKlammeraffe

Alter: 41
Beiträge: 540
Wohnort: NRW


Beitrag14.05.2021 21:40

von Raven1303
Antworten mit Zitat

Liebe/r Unbekannte/

Ich mag die Idee, die du hier hattest.
Was bezweckt sie wohl bei diesem Speeddating?
Zitat:
Dass Männer nicht zuhören können, dieses Klischee – es stimmt, jedenfalls bei Sarah.


Naja, sie hält ja auch Monologe, ohne sich für die Männer vor ihr zu interessieren. Sie kreist sehr ums ich selbst, obgleich mir ihre Geschichte vom Spaziergang sehr gefällt.

Dann am Ende brichst du aber mit der Geschichte, finde ich und das plötzlich ihr Sohn vor ihr sitzt - wenn ich das richtig verstanden habe? - das passt für mich nicht zu der ganzen Vorgeschichte.
Ich hatte erwartet, dass dann doch der eine Mann kommt, der ihr zuhört, die entscheidende Frage stellt, die sie verstummen lässt und alles verändert, oder der ihre Geschichte zu Ende erzählen kann und sie aus ihrem Monolog heraus zieht. Weil er ähnlich tickt wie sie selbst.

Anforderungen des Wettbewerbs sehe ich als erfüllt an und du bekommst auch Punkte von mir. Ich bin mir nur noch nicht sicher über die Höhe.
Bis später ...

LG Raven

Edit: zwei Punkte von mir.

LG Raven


_________________
Ich lebe mein Leben in wachsenden Ringen, die sich über die Dinge ziehn.
Ich werde den Nächsten vielleicht nicht vollbringen, aber versuchen will ich ihn.
Ich kreise um Gott, um den uralten Turm und ich kreise Jahrtausende lang.
Und ich weiß noch nicht: bin ich ein Falke, ein Sturm? Oder ein großer Gesang... (R.M. Rilke)
Nach oben
Benutzer-Profile anzeigen Private Nachricht senden
V.K.B.
Geschlecht:männlich[Error C7: not in list]

Alter: 51
Beiträge: 6154
Wohnort: Nullraum
Das goldene Rampenlicht Das silberne Boot
Goldenes Licht Weltrettung in Silber


Beitrag15.05.2021 15:14

von V.K.B.
Antworten mit Zitat

Zitat:
Hallo unbekanntes Wesen, das das geschrieben hat

recht seltsame Geschichte, der ich nicht so richtig folgen kann. Mag an mir liegen, aber irgendwie kriege ich da keinen richtigen Sinn rein. Sarah ist auf irgendeiner Veranstaltung und labert irgendwelche wechselnden Typen mit belanglosem Zeug zu, das niemanden zu interessieren scheint (und den Leser – mich zumindest – auch nicht). Jedenfalls wechseln die Herren, bis sie jemand anblickt, und sie eine Gefühlsregung in Form einer Träne zeigt. Irgendwie mag diese Geschichte vielleicht die Antithese meines autistisch-analytischen Denkens sein ("Smalltalk" ist eine Fremdsprache für mich, und ich sehe auch keinen Sinn darin, ähnlich wie in den meisten keinem klaren Zweck dienenden Sozialkontakten). Der Inhalt der Geschichte ist mir auf jeden Fall komplett fremd und bleibt das auch, ganz egal wie oft ich sie lese. Einzig der vorletzte Absatz erscheint mir kurz interessant. Hat sie mal eine Familie gehabt und Mann und Kind bei einem Autounfall verloren? Und sucht jetzt verzweifelt jemanden neues, um den alten Zustand wiederherzustellen?

Sorry, absolut nicht meins, ich finde da überhaupt keinen Zugang zu. Ich halte mich von daher mal lieber an den Spruch "Wenn man keine Ahnung hat, einfach mal die Fresse halten" und versuche gar nicht erst, irgendwas dazu zu sagen. Tut mir leid, dass ich dir hier keine große Hilfe oder auch nur Feedbackgeber sein kann.

Edit: Zur Endwertung: Ich habe die Texte in die Kategorien grün (genau wie ein Zehntausendertext mMn sein sollte, also definitiv E-Lit, aber auch besonders geschrieben und neue Wege beschreitend, oder das zumindest versuchend), gelb (ernsthafte Themen, aber realtiv traditionell geschrieben) und rot (Text, der mMn nicht in diesen Wettbewerb passt, auch nicht teilweise) eingeteilt. Die Rangfolge für die Punkte erfolgt dann nicht größtenteils nach persönlichem Gefallen, sondern erstmal innerhalb der Gruppen.

Diesen Text habe ich in den gelben Bereich eingeteilt, er erfüllt die Vorgaben dieses Wettbewerbs teilweise, schafft es aber nicht in meine Top Ten und erhält daher leider auch keine Punkte.


_________________
Hang the cosmic muse!

Oh changelings, thou art so very wrong. T’is not banality that brings us downe. It's fantasy that kills …
Nach oben
Benutzer-Profile anzeigen Private Nachricht senden
F.J.G.
Geschlecht:männlichBitte keinen Weichspüler verwenden

Alter: 33
Beiträge: 1955
Wohnort: Wurde erfragt


Beitrag15.05.2021 15:49

von F.J.G.
Antworten mit Zitat

Guten Abend,

huch, was ist denn da passiert?

Eine wirkliche Handlung sehe ich nicht. Wohl aber jede Menge Schmalz, als hätte man die Schreibfeder von Rosamunde Pilcher angezapft. Das Fensterthema wurde erfüllt, aber meines Erachtens eher schlecht als recht.

Der/die Autor/-in mag sich viel Mühe gegeben haben, die ich auch respektiere, aber mir persönlich sagt dieser Text aus subjektiver Betrachtungsweise einfach nicht zu.

Bedaure.
Der Kojote


_________________
Ab sofort erhältlich: Achtung Ungarn! Ein humorvolles Benutzerhandbuch
Nach oben
Benutzer-Profile anzeigen Private Nachricht senden
Gast







Beitrag15.05.2021 18:20

von Gast
Antworten mit Zitat

Ein (hoffentlich) fiktiver Hochzeitsbazar 2.0, in dem die hoffnungslos romantische Sarah ihren Traummann findet.

Vorgaben: Ja, sowohl literal (Abendspaziergänge an offenen Fenstern, die in Sarahs Erzählung eine wiederkehrende Rolle einnehmen) als auch metaphorisch. Dieser Hochzeitsbasar hat Elemente einer Peep Show, bei der die Frauen den fremden Männern wesentlich intimere Teile als ihre nackten Körper zur Schau stellen, nämlich ihr tiefstes Inneres, in die die Männer (die im Gegenzug Nichts von sich weggeben müssen) wie durch offenen Fenster sehen können.

Ausgestaltung: Handwerklich sehr ordentlich. Da ist auch ein großes E drin, denn die Basis der Erzählung ist die (sehr unfaire, aber die Evolution zeichnet sich nicht unbedingt durch fairness aus) genetisch verankerte Rollenverteilung der Geschlechter bei den Menschen - Frauen preisen sich an, und Männer wählen. In diesem fiktiven Bazar wird das Schema in seiner ganzen Hässlichkeit dargestellt, denn während sich die Frauen - durch Sarah symbolisiert - komplett bis auf die Seele ausziehen und in ihrer ganzen Verletzlichkeit vor den Männern präsentieren, sind diese weitgehend uninteressiert und ziehen von einem Fenster zum Nächsten.

Das Einzige, was mir dabei missfällt, ist das Happy End. Es impliziert, dass das Schema nicht nur funktioniert (das hat es ja seit Jahrtausenden, sonst hätte es nicht so lange überlebt), sondern auch noch gut funktioniert. Definiere "gut -" in der Praxis ist es ja oft eher so, dass sich die Frauen mit dem kleinsten Übel zufrieden geben, das bereit ist, sich mit ihnen zu beschäftigen.* Es wird keine Option für die Frau aufgezeigt, am Schema vorbei ein eigenständiges und selbstbestimmtes Leben zu wählen und auszugestalten. Diese Optionen gibt es ja aber heutzutage. Die Darstellung von Sarah als hoffnungslose Romantikerin macht sie zu einem passiven Wesen, das das System so akzeptiert, wie es ist. Eine stärkere und selbstbewusstere Frau wäre zeitgemäßer.

Insgesamt aber ein sehr ordentlicher Text, der auf Grund der wirklich sehr starken Konkurrenz zwar nicht in die Spitzengruppe kommt, aber doch im guten Mittelfeld punkten kann.




* Natürlich innerhalb der Metapher der Geschichte überspitzt.
Nach oben
MoL
Geschlecht:weiblichQuelle


Beiträge: 1838
Wohnort: NRW
Das bronzene Stundenglas


Beitrag16.05.2021 20:51

von MoL
Antworten mit Zitat

Lieber Inko!

Ich liebe diese Szene! Die Frau, die unaufhörlich vor sich hinbrabbelt, im Grunde ja sehr unverschämt ist, der ich dann aber ob ihrer Worte dann doch nicht böse sein kann.
Das Ende ist wundervoll!

Einziges Manko: ich frage mich wirklich ganz ernsthaft, was sie da überhaupt zu suchen hat. Ernst kann sie es ja nicht meinen. Hat sie eine Wette verloren? Macht sie das nur, damit ihre Mutter/beste Freundin Ruhe gibt? Etwas mehr Hintergrund wäre schön gewesen.

Schöne Sache, lieber Inko, und mein Platz 9!


_________________
NEU - NEU - NEU
gemeinsam mit Leveret Pale:
"Menschen und andere seltsame Wesen"
----------------------------------
Hexenherz-Trilogie: "Eisiger Zorn", "Glühender Hass" & "Goldener Tod", Acabus Verlag 2017, 2019, 2020.
"Die Tote in der Tränenburg", Alea Libris 2019.
"Der Zorn des Schattenkönigs", Legionarion Verlag 2021.
Nach oben
Benutzer-Profile anzeigen Private Nachricht senden Website dieses Benutzers besuchen
Michel
Geschlecht:männlichBücherwurm

Alter: 52
Beiträge: 3376
Wohnort: bei Freiburg
Das bronzene Bühnenlicht Das goldene Niemandsland
Der silberne Durchblick Der silberne Spiegel - Prosa
Silberne Neonzeit


Beitrag17.05.2021 12:29

von Michel
Antworten mit Zitat

Sarah findet ihren verlorenen Sohn wieder. Oder?
So lese ich die Geschichte. Eine verschraubt wirkende Frau sitzt beim Speeddating und scheint es darauf anzulegen, möglichst niemanden kennenlernen zu müssen. Sie spricht in erster Linie mit und für sich selbst, über offene Fenster (Themavorgabe erfüllt), einen Spaziergang mit Rudolfo, Perfektion - einiges scheint austauschbar.

Schwierig hat es mir der Text auf jeden Fall gemacht; ich kann nicht sooo gut mit verschraubter Sprache. Hier hat es am Anfang ganz gut funktioniert, aber gefühlt hast Du gegen Ende ihrer Monolog die Konzentration verloren (ich auch) und weniger sauber gearbeitet.

Die Schlusspointe lese ich als das unerwartete Wiedersehen mit dem verlorenen Sohn, den sie damals in der Babyklappe abgegeben hat. Da erreicht mich in wenigen kursiven Zeilen die gesamte tragische Vorgeschichte. Das funktioniert über die wenigen Bilder, die du erzeugst, ganz gut, hat für mich aber etwas Effekthascherisches.

Insgesamt werde ich nicht so richtig warm mit der Geschichte.


_________________
Seit 27. April im Handel: "Rond", der dritte Band der Flüchtlings-Chroniken
Nach oben
Benutzer-Profile anzeigen Private Nachricht senden Website dieses Benutzers besuchen
Gast







Beitrag17.05.2021 18:22

von Gast
Antworten mit Zitat

Frau erzählt bei einem Dating-Event von ihren Eindrücken während ihrer Spaziergänge mit ihrem Hund, die sie an offenen Fenstern vorüberführen. Die Offenheit der Fenster als die Musikalität des Lebens und die Sehnsucht nach Liebe.
Sie erzählt selbstversunken, fast autistisch, ohne Begrüßung, Pause oder Erklärungen des Kontextes für die verschiedenen Männer, die sich in kurzen Abständen an ihren Tisch setzen. Sie scheint diese Männer gar nicht richtig wahrzunehmen, gibt ihnen auch keine Gelegenheit, selbst etwas zu sagen.
Das erzeugt geschickt Spannung, der Leser fragt sich, warum sie sich in dieser Situation, wo es darum geht, sich gegenseitig kennenzulernen, derart unangemessen verhält.
Am Ende taucht ein junger Mann auf, der ihr Sohn sein könnte. Ab hier, etwas spekulativ, da im Text nur angedeutet: Sie hat vor Jahren ihren Mann und ihr Kind bei einem Autounfall (?) verloren und dieses traumatisierende Ereignis in sich vergraben. Der junge Mann, der sich zu ihr an den Tisch setzt, erinnert sie an ihren Mann - auch sein Name(?) – was sie (endlich) zum Weinen bringt, also den Schmerz aufbricht.
Der Text hat mich überzeugt und berührt. 8 Punkte.
LG
DLurie
Nach oben
Jenni
Geschlecht:weiblichBücherwurm


Beiträge: 3310

Das goldene Aufbruchstück Die lange Johanne in Gold


Beitrag17.05.2021 22:29

von Jenni
Antworten mit Zitat

Rätselhaft. Die Erzählerin befindet sich bei einem Speeddating und gleichzeitig in ihrer Erinnerung an einen Abendspaziergang entlang offener Fenster, hinter denen sie verschiedene Szenen sieht, das letzte Haus ist ihr eigenes, dunkel ohne Leben. Das finde ich ganz cool gemacht, wie Sarah ihre Geschichte und ihre Beobachtungen, letztlich ihr Erleben mitteilt, ohne ihr Gegenüber überhaupt wahrzunehmen, und das selbst empfindet, als würde ihr nicht zugehört, bliebe sie unverstanden.
Am Ende Erkennen, da sitzt ihr ein Mann gegenüber, den sie aus der Vergangenheit zu kennen scheint oder meint, entweder aus einem der Häuser, oder diese sind doch nur Metaphern für Stationen ihres eigenen Lebens. Ist er ihr Kind, dass sie weggeben hat? So meine Vermutung aufgrund des vorletzten Absatzes, der auf das tanzende Paar Bezug nimmt und dann einen Säugling und eine Säuglingsklappe (?) erwähnt. Dann hätte ich mir gewünscht, dass diese Entwicklung ein bisschen organischer in die Erzählung eingebettet ist, nicht so unvermittelt als Wendung am Ende. Dann würde mir der Zufall, das Kind hier zu treffen auch weniger übertrieben vorkommen.
Aber interessant schon, die Art, wie du hier erzählst und deine Erzählerin charakterisierst.
Das Thema ist einerseits in den tatsächlichen Fenstern umgesetzt, in den Erinnerungen, die sie repräsentieren (falls ich das richtig verstanden habe), andererseits in der Situation der ungenutzten Begegnungen Sarahs in der Gegenwart.
5 Punkte von mir.
Nach oben
Benutzer-Profile anzeigen Private Nachricht senden
silke-k-weiler
Geschlecht:weiblichKlammeraffe

Alter: 49
Beiträge: 748

Das goldene Schiff Der goldene Eisbecher mit Sahne


Beitrag18.05.2021 21:37
Re: Zwei halbe Leben in Schwärze
von silke-k-weiler
Antworten mit Zitat

Lieber Text,

diese Passage hat mich neben der unten zitieren sehr bewegt:

Señora Incógnita hat Folgendes geschrieben:
In den beiden nächsten Fenster war das Licht gedimmt; ich vernahm ein leises Lachen. Nicht gekünstelt, mehr verliebt, ein Geräusch, das nicht verebbt und vergeht, sondern beendet wird, wie durch einen Kuss.
Das Nebenhaus lag gänzlich still da; dünner Stoff hing lose vor dem dunklen Fenster, als würde jemand dort schlafen.
Aus den Räumen daneben drang Leben, Wortfetzen in unterschiedlichen Stimmlagen, untermalt von den typischen Geräuschen des Bestecks. Gerne hätte ich einen Moment gelauscht, diesen familiären Augenblick verbotenerweise geteilt, doch aus dem Nachbarhaus ertönte ein Schrei, der mich zusammenzucken ließ. Irgendetwas fiel zerbrechend auf den Boden – oder wurde geworfen – ein weiterer Ruf ertönte, gefolgt von Stille. Das Licht erlosch; kurz darauf wurde das Fenster zugezogen. Auch die Essensgeräusche der Familie verstummten einen Augenblick, doch Marchettis leise Klänge waren immer noch zu hören.
Was auch immer gerade geschehen war – es war einfach Leben in dieser Straße, verstehen Sie?


Von der Handlung her nehme ich an, dass Sarah einen Verlust bei einem Unfall erlitten hat? Und sich nun wieder ins Leben zurückzutasten versucht?

Señora Incógnita hat Folgendes geschrieben:
IVerschlossene Fenster; kein Leben drang aus ihnen hervor. Meine Hände tasteten wie gewohnt in der Tasche, wurden fündig, ergriffen den Schlüssel.


Berührende Geschichte, dennoch hast Du es nicht auf meine Punkteränge geschafft. Es war knapp, da ich zwischen mehreren Texten wählen musste, die mir ähnlich lieb waren. Gerne gelesen!

Herzlichst
Silke
Nach oben
Benutzer-Profile anzeigen Private Nachricht senden Website dieses Benutzers besuchen
nicolailevin
Geschlecht:männlichEselsohr


Beiträge: 259
Wohnort: Süddeutschland


Beitrag20.05.2021 09:37

von nicolailevin
Antworten mit Zitat

Da ist also diese Frau, Sarah, beim Speed-Dating und labert ohne Rücksicht auf ihre wechselnden Gegenüber die Männer voll in überkandideltem Deutsch und den gänzlich belanglosen Eindrücken, die sie auf ihrem Abendspaziergang mit dem Hund gesammelt hat.

Der letzte Mann in der Runde ist jung und ruft in ihr Erinnerungen hervor. Die „niedrige Klappe“, die ihr in den Sinn kommt, ist wohl die Babyklappe, an die sie vor 20 Jahren ihr Kind verloren hat, das – so schließe ich – Sebastian hieß, wie der junge Mann vor ihr. Trifft sie also ihren eigenen Sohn?

Die Grundidee find ich gar nicht schlecht: Trauernde Frau wagt sich ins Getümmel, fremdelt mit der Realität der modernen Partnerfindung und wird schlagartig mit ihrer Vergangenheit konfrontiert.

Aber da geht es los mit den Einwänden: Zwanzig Jahre igelt sie sich ein? Trauert? Und macht dann ausgerechnet Speed-Dating auf Anraten der besten Freundin? Dazu ihre gestelzte Redeweise – die geht mir massivst auf den Senkel, wird nicht begründet und trägt auch nichts zur Geschichte bei.

Auf mich wirkt das fast, als hätte jemand zwei Storys von zwei Schreiber_innen zusammengpappt – so sehr unterscheiden sich die letzten drei Absätze vom Rest. Diese letzten sind sperrig, haben Geheimnis, eher zu viel als zu wenig, so richtig auflösen kann ichs nicht – vielleicht deutet die Klappe ja auch auf einen Unfall mit dem Auto (Kofferraumklappe oder so) - und Mann und Kind sind tot? Vielleicht erschließt sich alles, wenn man diesen Film mit Audrey Hepburn kennt, aus dem das Lied ist … Kenn ich aber nicht.

Jedenfalls hätte man für meinen Geschmack mehr in die Ausarbeitung der Hintergrundgeschichte investieren können und sich dafür bei den extrem manieristisch anmutenden Abendspaziergangsimpressionen knapper halten.

Weitere Minuspunkte für ein paar ärgerliche Rechtschreibfehler und stilistische Holperer. („eine Pflanze im Hintergrund wird der Fluchtpunkt ihres Gemäldes des Augenblicks“, „ich vernahm das Lachen einer Frau und Zuschauern gleichermaßen.“ Hä?!)

Hat es leider nicht in die Punkterunde geschafft.
Nach oben
Benutzer-Profile anzeigen Private Nachricht senden
Ribanna
Geschlecht:weiblichKlammeraffe

Alter: 61
Beiträge: 772
Wohnort: am schönen Rhein...


Beitrag20.05.2021 10:44

von Ribanna
Antworten mit Zitat

Kommentar um zu punkten. Sorry, hab nicht viel zeit. Laughing

_________________
Wenn Du einen Garten hast und eine Bibliothek wird es Dir an nichts fehlen.
Nach oben
Benutzer-Profile anzeigen Private Nachricht senden
Globo85
Geschlecht:männlichKlammeraffe

Alter: 38
Beiträge: 740
Wohnort: Saarland
Das silberne Eis in der Waffel DSFo-Sponsor


Beitrag20.05.2021 15:07

von Globo85
Antworten mit Zitat

Die Fenster sind offen, einfach mit der Maus vorübergehen.


Disclaimer

Die folgende Bewertung stellt nur meine persönlichen Leseeindrücke dar. Wertende Aussagen beziehen sich lediglich auf den gelesenen Text, nie auf die Verfasser:innen. Die Punktevergabe und meine persönliche Rangliste ist natürlich vollkommen subjektiv, insbesondere die Bewertung unter dem Gesichtspunkt E-Literatur.


Ersteindruck

Speeddating mit blassen Partnern.


E-Lit-Zugehörigkeit

Inhaltlicher Anspruch/etwas zu sagen/tiefer gründender Inhalt

Wirklich tiefer gründenden Inhalt kann ich nicht entdecken. Der Text erzählt, aber hat auch was zu sagen? Zumindest mir hat es sich nicht offenbart.

Stilistischer Anspruch

Fast der gesamte Text in Form eines Monologs.

Ungefügigkeit und Mehrschichtigkeit

Kann ich beides nicht entdecken.

Für mich: E-Literatur.


Umsetzung des Themas

Fenster

Check.

offen

Check.

Vorübergehen

Check.

Für mich: Thema (wörtlich) umgesetzt.


Was mir gefällt

Die ruhige Sprache, das eigene Tempo, die Beharrlichkeit der Protagonistin, die sich nicht "aus der Ruhe bringen" lässt.

Was mir nicht gefällt

Die stoische Ruhe der Speeddatingpartner.


Lieblingsstelle/Lieblingssatz

„Nicht gekünstelt, mehr verliebt, ein Geräusch, das nicht verebbt und vergeht, sondern beendet wird, wie durch einen Kuss.“


Fazit und Punkte

Schöne ruhige Erzählung. Wegen der starken Konkurrenz leider nicht in meiner Top Ten.

Keine Punkte.
Nach oben
Benutzer-Profile anzeigen Private Nachricht senden
Beiträge der letzten Zeit anzeigen:   
Neues Thema eröffnen   Neue Antwort erstellen
Seite 1 von 2 Gehe zu Seite 1, 2  Weiter

Deutsches Schriftstellerforum Foren-Übersicht -> Antiquariat -> Zehntausend 05/2021
Du kannst keine Beiträge in dieses Forum schreiben.
Du kannst auf Beiträge in diesem Forum nicht antworten.
Du kannst Deine Beiträge in diesem Forum nicht bearbeiten.
Du kannst Deine Beiträge in diesem Forum nicht löschen.
Du kannst an Umfragen in diesem Forum nicht teilnehmen.
In diesem Forum darfst Du Ereignisse posten
Du kannst Dateien in diesem Forum nicht posten
Du kannst Dateien in diesem Forum nicht herunterladen
 Foren-Übersicht Gehe zu:  


Ähnliche Beiträge
Thema Autor Forum Antworten Verfasst am
Keine neuen Beiträge Werkstatt
Das Leben im Forum
von Cholyrika
Cholyrika Werkstatt 1 15.04.2024 10:59 Letzten Beitrag anzeigen
Keine neuen Beiträge Werkstatt
Zwei Flaschen Vodka
von polarheld
polarheld Werkstatt 3 24.03.2024 00:27 Letzten Beitrag anzeigen
Keine neuen Beiträge Werkstatt
leben auf einem baum
von Perry
Perry Werkstatt 2 02.03.2024 13:05 Letzten Beitrag anzeigen
Keine neuen Beiträge Verlagsveröffentlichung
100 Impulse für ein naturverbundener...
von Wildpflanzenliebe
Wildpflanzenliebe Verlagsveröffentlichung 13 26.02.2024 22:24 Letzten Beitrag anzeigen
Keine neuen Beiträge Einstand
Schwarze Löcher mit Sahne,Sardinen u...
von Anka
Anka Einstand 4 12.02.2024 19:39 Letzten Beitrag anzeigen

EmpfehlungBuchEmpfehlungEmpfehlungEmpfehlungEmpfehlungEmpfehlungEmpfehlungBuchBuch

von Charlie Brokenwood

von zwima

von Boudicca

von madrilena

von Mogmeier

von Beka

von RememberDecember59

von EdgarAllanPoe

von Boudicca

von Micki

Impressum Datenschutz Marketing AGBs Links
Du hast noch keinen Account? Klicke hier um Dich jetzt kostenlos zu registrieren!