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Babella
Geschlecht:weiblichKlammeraffe

Alter: 61
Beiträge: 889

Das goldene Aufbruchstück Der bronzene Roboter


Beitrag29.04.2021 19:00
Geh weg
von Babella
eBook pdf-Datei Antworten mit Zitat

Ein Stadtteil von Köln, der seinen Namen nicht in der Zeitung lesen möchte. Einwohner, die dort zum Inventar gehören, so lange wohnen sie schon da, und deren Fenster im Erdgeschoss niedrig und gleich am Gehweg gelegen sind, so dass sie als Tresen benutzt werden können. Und werden. Ein paar Fenster stehen geöffnet, und auf den Fensterbänken stehen, ordentlich aufgereiht, Pinneken. Gefüllte Schnapsgläser für Leute, die vorbeikommen auf ein Schwätzchen. Man lacht, man schwatzt, und nachher geht man mit dem Kölschen Wisch über die Theke und dann schlafen.
Und Jakob, Richter am Familiengericht, Jakob, der vorbeigeht an den geöffneten Fenstern, Jakob, dessen Aufmerksamkeit nicht den freundlichen, ehrlichen Gesichtern gilt, in denen ein Lächeln steht, sondern den Gläschen. Ausschließlich den Gläschen. Es ist Karneval. Natürlich wird getrunken.
Wie wird die Entscheidung gefällt, zuzugreifen? Das Zugreifen, das Zuprosten, das Herunterstürzen und sich den Mund abwischen, das noch einmal Zugreifen und schließlich das Nichtaufhörenkönnen? Ein Zucken, die Muskeln wissen es früher als der Verstand, vielleicht ein Zurückzucken, weil das Hirn Alarm funkt, im letzten Moment: Schon der erste Schluck würde alles zerstören, was man sich in den letzten Jahren erarbeitet hat.
Und warum schafft er es nicht, in die offenen Fenster hineinzusehen? Warum sieht er nicht die Gesichter, die ihn anlächeln, die Wohnzimmer, in denen die Jahre ihre Spuren und die Charaktere der Bewohner ihren Abdruck hinterlassen haben, einfache Räume, in denen doch so viel Leben und Geschehen, so viel Schicksal und Ereignis, Zeit und Zeitloses anwesend, ja, mit Händen zu greifen ist? So viel Geschichte hinter jedem Fenster. Man sollte stehen bleiben und zuhören. Die Kinder. Die Enkel. Die Freunde.
Warum nur sieht er nur die Schnapsgläser, die sich in sein Gehirn gebrannt haben, wie wird man das los, diese Gedanken, warum immer nur diese Gedanken, die ihn verfolgen und die er nicht abschütteln kann, nicht durch plötzliche Wendemanöver oder Durchbrechen von Absperrungen, warum darf man nicht denken, was man will, nicht entscheiden, wie man es für richtig hält? Was macht er überhaupt hier? Hat er vergessen, das Karneval ist?
Jakob hat in Bonn gelebt, zusammen mit Marie. Marie hat ihn verlassen, so wie Marie Hans Schnier verlassen hatte, bei Heinrich Böll, ob den noch jemand las? Immer wieder hatte er die Ansichten eines Clowns gelesen, damals in Bonn, schon bevor Marie ihn verließ, und als Marie ihn verließ, las er sie fast täglich, fühlte mit dem traurigen Clown, der lebte wie ein Mönch, aber ich bin kein Mönch, nein, Jakob war auch kein Mönch, aber auch kein Clown, nicht einmal ein trauriger, aber er lebte in Bonn, damals, als Bonn noch Hauptstadt war und man in der Schule Böll las.
Sie hatten studiert, er Jura, sie Physik. Und sie hatte ihn nicht wegen eines Katholiken verlassen, sondern wegen Piet, holländische Wurzeln, er studierte auch Physik, wenige Frauen gab es da, Marie besuchte sein Tutorium. Marie verließ ihn an Weiberfastnacht. Sie kam am Nachmittag zu ihm, sagte ihm, sie müsse mit ihm reden: Sie könne nicht mehr mit ihm zusammensein, es täte ihr Leid. Aber sie war schon lange fertig mit ihm, sie hatte diese Sätze sogfältig vorbereitet und brachte sie schnell wie einen kurzen Bühnenauftritt hinter sich.
Er war nicht vorbereitet. Er brauchte Tage, bis er es begriffen hatte. Tage im rheinischen Karneval, nichts passte zusammen, das Gefeiere, der Lärm, die alberne Fröhlichkeit und sein Gefühl, ihm fehle ein Körperteil, seine Mitte sei verloren, alles Heitere aus seinem Leben ausgelöscht.
Er war keine rheinische Frohnatur, aber der Karneval in Bonn hatte ihn angesteckt. In fast jedem Stadtteil ein Karnevalszug. Die Leute, die im Erdgeschoss wohnten, stellten Schnapsgläschen ins Fenster und man durfte sich im Vorbeigehen bedienen.
Jakob tat das. Morgens um 11 schon, am Sonntag, nachdem Marie ihn verlassen hatte. Er war trinkfest und stolz darauf, an den Abenden in der Studentenverbindung so manch einen unter den Tisch zu trinken. Nicht nur an Karneval. Er war auch gut darin, schlechte Witze zu erzählen, dreckige, alberne, niveaulose Witze, die man erzählen musste, damit es einen Grund gab, grölend zu lachen, sich auf die Schenkel zu klopfen und noch einen zu heben. Witze, wegen denen man im einundzwanzigsten Jahrhundert manchen Posten hätte verlieren können, weil man heimlich gefilmt wurde, woran damals noch niemand dachte.
Er ging an vielen Fenstern vorbei, durchstreifte die ganze Route des Karnevalszugs, es war kalt, der Schnaps ließ ihn das nicht spüren, und auch nicht, dass Marie ihn verlassen hatte. Trotzdem war sie überall. Die Funkemariechen. Die kleinen Mädchen. Ihre Mütter. Alte Frauen, die an Fenstern standen und Schnapsgläschen nachfüllten. Jakob war in einem Hauseingang zusammengesunken und eingeschlafen. Wie lange hatte er dort gelegen bei Temperaturen um den Gefrierpunkt? Es war sein Glück, dass einer er Burschenschafter ihn auflas, der alte Fritz, wie ihn alle nannten,  obwohl er jung war und Frieder hieß. Jakob war tagelang krank gewesen, an Leib und Seele, wie man so sagt, lag vor sich hin jammernd und allein in seinem Bett und konnte nicht fassen, dass Marie nicht da war, um ihn zu pflegen. Niemand war da.
Die Trennungen gehörten zu dieser Zeit. Man lernte jemanden kennen, man verliebte sich, man trennte sich. Es war eine Zeit des Ausprobierens, man war schließlich jung, aber ausprobieren taten doch nur die anderen, er und Marie, das war etwas anderes, und dass Marie ihn nach viereinhalb Jahren, als er schon fast sicher war, dass sie heiraten würden, wegen eines Physikers verließ, warf ihn aus der Bahn.
Sie hatten zusammen gelacht über Leute, die Germanistik studierten oder Geschichte oder, das allerletzte, „auf Lehramt“. Sie wollte in die Forschung, er wollte Richter werden. Sie schmiedeten Pläne, gemeinsame Pläne, alle Türen schienen ihnen offen zu stehen, sie waren jung und intelligent, alle beide, sie gaben einander Kraft und vertrauten sich grenzenlos, und dann verließ sie ihn wegen eines Physikers.
Er war jung und intelligent, ja. Aber er war verletzbar, mehr, als er geahnt hatte.
In seiner Erinnerung war der ganze Schmerz um die Trennung zusammengeschrumpft auf die albernen Schnapsgläschen, die die Leute auf die Fensterbänke gestellt hatten. Als sei dieser Karnevalssonntag der Wendepunkt gewesen, der Punkt, an dem es kein Zurück mehr gab.
Marie hatte ihn nicht des Alkohols wegen verlassen. Der hatte zu dieser Zeit noch nicht diese Macht über ihn. Glaubte er zumindest. Er verstand nicht, wie so viele aus seiner Verbindung später ihr Feierabendbierchen tranken, aber nie ein echtes Suchtproblem bekamen. Er hatte in seiner Kindheit herumgeforscht, in seiner Verwandtschaft. Von Alkoholkranken war nichts bezeugt, aber es gab auch nicht viele Verwandte.
Es gab aber überall trinkende Väter und trinkende Mütter, leidende Kinder, zerrüttete Verhältnisse, Gewalt und Unfälle, und als Richter beurteilte und entschied er, sah glasklar, was der Alkohol anrichten konnte.
Und in sich der Dämon. Wie kann ich wollen, was ich will, wie kann ich lassen, was ich hasse.
Er wollte sich hinstellen und sagen: Gute Frau. Mag sein, dass Ihr Mann sie schlägt. Er würde das nicht tun, wenn er Sie nicht lieben würde. Warum sollte er? Wenn er sie nicht lieben würde, würde er einfach gehen. Aber das kann er nicht. Er kann nicht, verstehen Sie? Ich kann auch nicht, ich funktioniere bloß, und Ihr Mann funktioniert noch nicht einmal. Begreifen Sie es? Ja, Sie begreifen es, aber Sie können auch nicht mehr. Was soll ich sagen! Lieber Herr X. Ihre Frau trinkt, ja? Sie wollen Ihr ihre Kinder nicht anvertrauen? Da haben Sie recht, aber haben Sie auch gesehen, was vorher gewesen ist? Haben Sie begriffen, was mit Ihrer Frau geschehen ist, bevor Sie sie an die Flasche verloren haben? Sie kann nicht. Und Sie können nicht. Was machen wir? Wissen Sie was: Ich weiß es auch nicht. Ich versuche, Ordnung in Ihr Leben zu bringen, aber mein eigenes habe ich nicht im Griff, ich funktioniere nur.
Er wollte, oder vielmehr, der Dämon in ihm wollte, aber er blieb in seiner Rolle. Es strengte ihn an und am Abend war er erschöpft vom Entscheiden und Bedauern, und schon wenn er die Haustür aufschloss, wusste er, dass dies wieder ein verlorener Tag war, und dass auch die Liebe seiner Frau nicht mehr helfen konnte.
Seine Frau hieß nicht Marie, sie hieß Katrin, und Katrin verließ ihn des Alkohols wegen, diesmal war er vorbereitet, denn ihr Leidensweg war lang. Seiner auch, aber über ihn urteilte man anders. Wer schreit, hat Unrecht. Wer trinkt, auch.
Was Liebe nicht bewirken konnte, bewirkte die Trennung. Er suchte und fand Hilfe. Er kämpfte gegen den Dämon, und diesmal hatte er eine Truppe hinter sich.
Ein Stadtteil in Köln. Jakob, der nicht denken kann, was er denken will, vor den offenen Fenstern, Jakob, der mit sich kämpft und zuckt und nicht an den Pinneken vorbei sehen kann.
Jakob, der keinen Lächeln auf den Lippen, aber ein Zittern in den Händen hat. Jakob, der eigentlich auf einem guten Weg ist, Jakob, der an Karneval nicht verkleidet und stocknüchtern ist. Jakob, dem ein Schlag auf die Schulter trifft. „Jakob – ich werd‘ nicht mehr! Was machst du denn hier?  Wie lang ist das her -? Komm, darauf trinken wir einen!“
Er dreht sich zur Seite, blickt in ein weiß getünchtes, breit grinsendes Gesicht unter einem schwarzen Tuch über einem weißen Skelett, es trägt eine Sense über der Schulter.
Der alte Fritz. Was macht der denn hier.

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hobbes
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Das goldene Aufbruchstück Das goldene Gleis
Der silberne Scheinwerfer Ei 4
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Beitrag10.05.2021 00:00

von hobbes
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Der alte Fritz, na sowas. Irgendwie hatte ich den spontan eher so eingeordnet, dass er ihn vom Trinken ab- statt dazu anhalten würde.
Da lag ich wohl falsch.

Gibt es das wirklich, diesen Brauch? Habe ich noch nie von gehört. Hätte ich wohl auch nie von gehört, weil Fasching, oh, Verzeihung: Karneval - bzw. der Ausfall von Karneval - das ist eine der wenigen guten Seiten dieser Pandemie. Direkt gefolgt von Silvester.

Aber ich schweife ab. Zurück zum Text. Und zum Titel. Ich frage mich, ob das "Geh weg" und "Gehweg" Absicht ist.

Ansonsten ist das einer dieser Texte, bei denen ich lieber abschweife, als konkret etwas zum Text zu sagen. Das ist einerseits gut, denn mir fallen anscheinend nicht sofort x Sachen auf, die ich doof finde. Das ist andererseits schlecht, denn so richtig begeistern tut er mich auch nicht, der Text.


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Stefanie
Reißwolf


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Beitrag10.05.2021 09:15

von Stefanie
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Gefiel bis zu dem Punkt, wo diese toxische "Liebes"-Definition kam:
"Mag sein, dass Ihr Mann sie schlägt. Er würde das nicht tun, wenn er Sie nicht lieben würde."

Das ist keine Liebe. Das ist besitzen und kontrollieren wollen. Wenn er solche Einstellungen hat, verstehe ich, warum er verlassen wurde. Er ist nicht bedauernswert, sondern erbärmlich.

Guter Twist am Ende, dass der, der ihn mal gerettet hat, jetzt ins Verderben führen wird.
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Gast







Beitrag11.05.2021 11:38

von Gast
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Ein Mann kämpft gegen seine Alkoholsucht an. Die geschilderte Momentaufnahme ist - wie zu befürchten im Raum steht - eine von vielen verlorenen Schlachten, die den Krieg nicht gewinnbar machen.

Vorgabentreue: Für mich eine der besten und intelligentesten Umsetzungen der Vorgabe im gesamten Wettbewerb. Die offenen Fenster symbolisieren sehr eindringlich und schlüssig die Verheißungen, die der Alkohol verspricht - Leichtigkeit, Geselligkeit, Witz, Erfolg bei der Brautschau etc -, wodurch die verzweifelten Bemühungen des Protas, sich den Verheißungen zu entziehen, eine starke metaphorische Wirkung haben - geht er vorüber, hat er eine Schlacht gewonnen.

Ausgestaltung: Sehr gut, schlüssig und eindringlich geschrieben, ohne in Stereotypen zu verfallen. Starke Millieustudie mit evokativen Schilderungen sowohl der Umgebung als auch der mentalen Mechanismen, die Sucht auslösen.

Der erste Satz sollte definitiv den "Es war eine kalte und stürmische Nacht" award des Jahres kriegen. Sehr stark!

Definitiv in der Wertung, und wenn da nicht noch viele gleich starke Texte kommen, ist das locker sehr weit oben.
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d.frank
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D

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Beiträge: 1125
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D
Beitrag12.05.2021 15:31

von d.frank
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Das hat mich bewegt.

Auch, wenn ich fast mal zählen möchte, wie oft der Name Jakob hier drinsteckt.
Es ist sicherlich weniger expressionistisch, experimentell und sprachgewaltig als andere Beiträge und das Thema Sucht ist jetzt weder neu noch in diesem Beitrag irgendwie bahnbrechend beleuchtet. Aber trotzdem: Ich mag es.

edit:
Also: 2 Punkte. Warum?
Das ist dann wohl eher eine Bauchentscheidung, die sich an der Mitte des Textes ausrichtet:

Zitat:
Er wollte sich hinstellen und sagen: Gute Frau. Mag sein, dass Ihr Mann sie schlägt. Er würde das nicht tun, wenn er Sie nicht lieben würde. Warum sollte er? Wenn er sie nicht lieben würde, würde er einfach gehen. Aber das kann er nicht. Er kann nicht, verstehen Sie? Ich kann auch nicht, ich funktioniere bloß, und Ihr Mann funktioniert noch nicht einmal. Begreifen Sie es? Ja, Sie begreifen es, aber Sie können auch nicht mehr. Was soll ich sagen! Lieber Herr X. Ihre Frau trinkt, ja? Sie wollen Ihr ihre Kinder nicht anvertrauen? Da haben Sie recht, aber haben Sie auch gesehen, was vorher gewesen ist? Haben Sie begriffen, was mit Ihrer Frau geschehen ist, bevor Sie sie an die Flasche verloren haben? Sie kann nicht. Und Sie können nicht. Was machen wir? Wissen Sie was: Ich weiß es auch nicht. Ich versuche, Ordnung in Ihr Leben zu bringen, aber mein eigenes habe ich nicht im Griff, ich funktioniere nur.


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Nihil
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Beitrag13.05.2021 00:15

von Nihil
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Ein alkoholsüchtiger (Ex?)-Anwalt torkelt durch Köln und gönnt sich gut Schnaps, schließlich ist Karneval und Marie hat ihn verlassen. Er denkt an seine Pläne zurück und wie Marie ihn verlassen hat. Ein Physiker und halber Holländer ist schuld, dass Marie ihn verlassen hat. Am Ende läuft er in einen alten Burschi-Kollegen, der sich als Tod verkleidet hat, aber Marie hat ihn immer noch verlassen. Wie übrigens auch die Frau, die nach Marie gekommen ist. Alle verlassen ihn, nur das Saufen ist ihm geblieben, in welchem er damals im Turnerbund an so manchem Abend die Goldmedaille errungen hat.

Obwohl die Geschichte eigentlich nicht besonders originell und das Personal mir auch nicht gerade sympathisch (wer lacht bitte über Germanisten? Crying or Very sad Lehrämtler hingegen! lol ), aber trotzdem ist das gut und gekonnt erzählt. Wie Marie etwa die Worte schon vorher aufsagt und „wie einen kurzen Bühnenauftritt hinter sich bringt“, fand ich gelungen. Ein paar weiterer solcher ein wenig originellerer Wendungen lassen sich beim Lesen schon finden – beim ersten Mal warne sie mir entgangen. Deshalb musste ich gegen Ende auch einem anderen Text deine Punkte klauen. Ich gebe dir die Schuld dafür. Ich hoffe, du bist stolz auf dich.

Wir sehen uns Sonntag nach der großen Enthüllung. Verstecken
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nebenfluss
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Beitrag14.05.2021 01:00

von nebenfluss
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Jakob hat ein Suchtproblem. Zwei Frauen hat er bereits an den Alkohol verloren. Nach der ersten Trennung hat er sich noch volllaufen lassen, nach der zweiten eine Therapie begonnen bzw. sich den Anonymen Alkoholikern angeschlossen. Am Ende der Erzählung trifft er einen Burschenschaftler, der in der Vergangenheit gut zu ihm war.
Unklar bleibt, warum sich Jakob den Karneval überhaupt antut; mir scheint es für einen Alkoholsuchtgefährdeten im Rheinland der Termin das Jahres zu sein, den man unbedingt meidet, sich zu Hause vor Netflix abschottet oder in Urlaub fährt.
Gut gefallen mir Jakobs Reflexionen als Jurist, wie er aus der eigenen Erfahrung heraus die (wenn vielleicht auch nur vermeintliche) Unmöglichkeit eines fairen Urteils erkennt. Allein das Nachdenken darüber kategorisiert den Text für mich als E.
Insgesamt ein recht überzeugender Beitrag, für den bestimmt ein paar Punkte übrig bleiben werden.


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Constantine
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Beitrag14.05.2021 19:26

von Constantine
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Ich weiß nicht, warum ich saufe, oder wer braucht schon Tiefe, wenn man breit ist

Bonjour Inko,

bei diesem Text hat sich zuerst der innere Korrektor gemeldet, weil mir einiges noch nicht fertig erscheint, allein nur vom Formalen her:
Zitat:
Ein Stadtteil von Köln, der seinen Namen nicht in der Zeitung lesen möchte. Einwohner, die dort zum Inventar gehören, so lange wohnen sie schon da, und deren Fenster im Erdgeschoss niedrig und gleich am Gehweg gelegen sind, so dass sie als Tresen benutzt werden können. Und werden. Ein paar Fenster stehen sind geöffnet, und auf den Fensterbänken stehen, ordentlich aufgereiht, Pinneken. Gefüllte Schnapsgläser für Leute, die auf ein Schwätzchen vorbeikommen auf ein Schwätzchen. Man lacht, man schwatzt, und nachher geht man mit dem Kölschen Wisch über die Theke und dann schlafen.
Und Jakob, Richter am Familiengericht, Jakob, der vorbeigeht an den geöffneten offenen Fenstern vorbeigeht, Jakob, dessen Aufmerksamkeit nicht den freundlichen, ehrlichen Gesichtern gilt, in denen ein Lächeln steht, sondern den Gläschen. Ausschließlich den Gläschen. Es ist Karneval. Natürlich wird getrunken.
Wie wird die Entscheidung gefällt, zuzugreifen? Das Zugreifen, das Zuprosten, das Herunterstürzen und sich den Mund abwischen, das noch einmal Zugreifen Nocheinmalzugreifen und schließlich das Nichtaufhörenkönnen? Ein Zucken, die Muskeln wissen es früher als der Verstand, vielleicht ein Zurückzucken, weil das Hirn Alarm funkt, im letzten Moment: Schon der erste Schluck würde alles zerstören, was man sich in den letzten Jahren erarbeitet hat.
Und warum schafft er es nicht, in die offenen Fenster hineinzusehen? Warum sieht er nicht die Gesichter, die ihn anlächeln, die Wohnzimmer, in denen die Jahre ihre Spuren und die Charaktere der Bewohner ihren Abdruck hinterlassen haben, einfache Räume, in denen doch so viel Leben und Geschehen, so viel Schicksal und Ereignis, Zeit und Zeitloses anwesend, ja, mit Händen zum Greifen ist? So viel Geschichte hinter jedem Fenster. Man sollte stehen bleiben und zuhören. Die Kinder. Die Enkel. Die Freunde.
Warum nur sieht er nur die Schnapsgläser, die sich in sein Gehirn gebrannt haben, wie wird man das sie los, diese Gedanken, warum immer nur diese Gedanken, die ihn verfolgen und die er nicht abschütteln kann, nicht durch plötzliche Wendemanöver oder durch DurchBrechen von Absperrungen, warum darf man er nicht denken, was man er will, nicht entscheiden, wie man er es für richtig hält? Was macht er überhaupt hier? Hat er vergessen, dass Karneval ist?
Jakob hatte in Bonn gelebt, zusammen mit Marie. Marie hatte ihn verlassen, so wie Marie Hans Schnier verlassen hatte, bei Heinrich Böll, ob den noch jemand las? Immer wieder hatte er die "Ansichten eines Clowns" gelesen, damals in Bonn, schon bevor Marie ihn verließ verlassen hatte, und als Marie ihn verließ ging, las er sie fast täglich, fühlte mit dem traurigen Clown, der lebte wie ein Mönch lebte, aber ich <-- Warum hier plötzlich Ich-Perspektive? bin kein Mönch, nein, Jakob war auch kein Mönch, aber auch kein Clown, nicht einmal ein trauriger, aber er lebte in Bonn, damals, als Bonn noch Hauptstadt war und man in der Schule Böll las.
Sie hatten studiert, er Jura, sie Physik. Und sie hatte ihn nicht wegen eines Katholiken verlassen, sondern wegen Piet, holländische Wurzeln, der studierte auch Physik studierte, wenige Frauen gab es da, Marie besuchte sein Tutorium. Marie verließ ihn Jakob an Weiberfastnacht. Sie kam am Nachmittag zu ihm, sagte ihm, sie müsse mit ihm reden: Sie könne nicht mehr mit ihm zusammensein, es täte ihr Leid. Aber sie war schon lange fertig mit ihm, sie hatte diese Sätze sogfältig vorbereitet und brachte sie schnell wie einen kurzen Bühnenauftritt schnell hinter sich.
Er war nicht vorbereitet gewesen. Er brauchte Tage, bis er es begriffen hatte. Tage im rheinischen Karneval, nichts passte zusammen, das Gefeiere, der Lärm, die alberne Fröhlichkeit und sein Gefühl, ihm fehle ein Körperteil, seine Mitte sei verloren, alles Heitere aus seinem Leben ausgelöscht.
Er war keine rheinische Frohnatur, aber der Karneval in Bonn hatte ihn angesteckt. In fast jedem Stadtteil ein Karnevalszug. Die Leute, die im Erdgeschoss wohnten, stellten Schnapsgläschen ins Fenster und man durfte sich im Vorbeigehen bedienen.
Jakob tat das. Morgens um 11 schon, am Sonntag, nachdem Marie ihn verlassen hatte. Er war trinkfest und stolz darauf, an den Abenden in der Studentenverbindung so manch einen unter den Tisch zu trinken. Nicht nur an Karneval. Er war auch gut darin, schlechte Witze zu erzählen, dreckige, alberne, niveaulose Witze, die man erzählen musste, damit es einen Grund gab, grölend zu lachen, sich auf die Schenkel zu klopfen und noch einen zu heben. Witze, wegen denen man im einundzwanzigsten Jahrhundert manchen Posten hätte verlieren können, weil man heimlich gefilmt wurde worden war, woran damals noch niemand dachte.
Er ging an vielen Fenstern vorbei, durchstreifte die ganze Route des Karnevalszugs, es war kalt, der Schnaps ließ ihn das nicht spüren, und auch nicht, dass Marie ihn verlassen hatte. Trotzdem war sie überall. Die Funkemariechen. Die kleinen Mädchen. Ihre Mütter. Alte Frauen, die an Fenstern standen und Schnapsgläschen nachfüllten. Jakob war in einem Hauseingang zusammengesunken und eingeschlafen. Wie lange hatte er dort gelegen bei Temperaturen um den Gefrierpunkt gelegen? Es war sein Glück, dass einer der Burschenschafter ihn auflas aufgelesen hatte, der alte Fritz, wie ihn alle nannten,  obwohl er jung war und Frieder hieß. Jakob war tagelang krank gewesen, an Leib und Seele, wie man so sagt, lag vor sich hin jammernd und allein in seinem Bett und konnte nicht fassen, dass Marie nicht da war, um ihn zu pflegen. Niemand war da.
Die Trennungen gehörten zu dieser Zeit. Man lernte jemanden kennen, man verliebte sich, man trennte sich. Es war eine Zeit des Ausprobierens, man war schließlich jung, aber Ausprobieren taten doch nur die anderen, er und Marie, das war etwas anderes, und dass Marie ihn nach viereinhalb Jahren, als er schon fast sicher war, dass sie heiraten würden, wegen eines Physikers verließ, warf ihn aus der Bahn.
Sie hatten zusammen gelacht über Leute gelacht, die Germanistik studierten oder Geschichte oder, das allerletzte, „auf Lehramt“. Sie wollte in die Forschung, er wollte Richter werden. Sie schmiedeten Pläne, gemeinsame Pläne, alle Türen schienen ihnen offen zu stehen, sie waren jung und intelligent, alle beide, sie gaben einander Kraft und vertrauten sich grenzenlos, und dann verließ sie ihn wegen eines Physikers.
Er war jung und intelligent, ja. Aber er war verletzbar, mehr, als er geahnt hatte.
In seiner Erinnerung war der ganze Schmerz um die Trennung zusammengeschrumpft auf die albernen Schnapsgläschen, die die Leute auf die Fensterbänke gestellt hatten. Als sei dieser Karnevalssonntag der Wendepunkt gewesen, der Punkt, an dem es kein Zurück mehr gab.
Marie hatte ihn nicht des Alkohols wegen verlassen. Der hatte zu dieser Zeit noch nicht diese Macht über ihn. Glaubte er zumindest. Er verstand nicht, wie so viele aus seiner Verbindung später ihr Feierabendbierchen tranken, aber nie ein echtes Suchtproblem bekamen. Er hatte in seiner Kindheit herumgeforscht, in seiner Verwandtschaft. Von Alkoholkranken war nichts bezeugt, aber es gab auch nicht viele Verwandte.
Es gab aber überall trinkende Väter und trinkende Mütter, leidende Kinder, zerrüttete Verhältnisse, Gewalt und Unfälle, und als Richter beurteilte und entschied er, sah glasklar, was der Alkohol anrichten konnte.
Und in sich der Dämon. Wie kann ich wollen, was ich will, wie kann ich lassen, was ich hasse. <-- Kursiv für Gedanken.
Er wollte sich hinstellen und sagen: Gute Frau. Mag sein, dass Ihr Mann Sie schlägt. Er würde das nicht tun, wenn er Sie nicht lieben würde. Warum sollte er? Wenn er Sie nicht lieben würde, würde er einfach gehen. Aber das kann er nicht. Er kann nicht, verstehen Sie? Ich kann auch nicht, ich funktioniere bloß, und Ihr Mann funktioniert noch nicht einmal. Begreifen Sie es? Ja, Sie begreifen es, aber Sie können auch nicht mehr. Was soll ich sagen! Lieber Herr X. Ihre Frau trinkt, ja? Sie wollen Ihr ihre Kinder nicht anvertrauen? Da haben Sie recht, aber haben Sie auch gesehen, was vorher gewesen ist? Haben Sie begriffen, was mit Ihrer Frau geschehen ist, bevor Sie sie an die Flasche verloren haben? Sie kann nicht. Und Sie können nicht. Was machen wir? Wissen Sie was: Ich weiß es auch nicht. Ich versuche, Ordnung in Ihr Leben zu bringen, aber mein eigenes habe ich nicht im Griff, ich funktioniere nur.
Er wollte, oder vielmehr, der Dämon in ihm wollte, aber er blieb in seiner Rolle. Es strengte ihn an und am Abend war er erschöpft vom Entscheiden und Bedauern, und schon wenn er die Haustür aufschloss, wusste er, dass dies wieder ein verlorener Tag war, und dass auch die Liebe seiner Frau nicht mehr helfen konnte.
Seine Frau hieß nicht Marie, sie hieß Katrin, und Katrin verließ ihn des Alkohols wegen, diesmal war er vorbereitet, denn ihr Leidensweg war lang. Seiner auch, aber über ihn urteilte man anders. Wer schreit, hat Unrecht. Wer trinkt, auch.
Was Liebe nicht bewirken konnte, bewirkte die Trennung. Er suchte und fand Hilfe. Er kämpfte gegen den Dämon, und diesmal hatte er eine Truppe hinter sich.
Ein Stadtteil in Köln. Jakob, der nicht denken kann, was er denken will, vor den offenen Fenstern, Jakob, der mit sich kämpft und zuckt und nicht an den Pinneken vorbei sehen kann.
Jakob, der keinen Lächeln auf den Lippen, aber ein Zittern in den Händen hat. Jakob, der eigentlich auf einem guten Weg ist, Jakob, der an Karneval nicht verkleidet und stocknüchtern ist. Jakob, demn ein Schlag auf die Schulter trifft. „Jakob – ich werd‘ nicht mehr! Was machst du denn hier?  Wie lang ist das her -? Komm, darauf trinken wir einen!“
Er dreht sich zur Seite, blickt in ein weiß getünchtes, breit grinsendes Gesicht unter einem schwarzen Tuch über einem weißen Skelett, es trägt eine Sense über der Schulter.
Der alte Fritz. Was macht der denn hier.

Bei den Tempus-Fragen bin ich mir selbst nicht sicher und müsste überdacht werden, ob diese ganzen Rückblenden in Rückblenden und all die Wiederholungen (hab nicht gezählt, wie oft gesagt wird, dass Marie ihn wegen eines Physikers verlassen hatte) in der jetzigen Form passen, nur um später von Katrin verlassen zu werden, diesmal traf ihn der Bruch nicht so unvorbereitet, konnte er ihn doch mit dem Dämon Alkohol gut begießen.

Von den beiden Alkoholismus-Storys im Wettbewerb überzeugt mich diese hier weniger, bleibt sie doch leider sehr an der Oberfläche, mir Jakobs Motivation für den Alkohol anschaulich und vor allem näher am Protagonisten zu bringen, vor allem warum er bereits in der Beziehung mit Marie viel trank. Und Marie ist natürlich ein Goldstück, ihn nicht wegen des Alkohols verlassen zu haben. Weswegen denn dann? Es scheint auch keinen Streit, kein Kampf um die Beziehung oder sonstiges zwischen den beiden gegeben zu haben, sie ließ einfach los und er hielt dafür die Flasche um so enger. So ganz deutlich wird die Beziehung und der Bruch von Jakob und Marie leider nicht, was zwischen den beiden nun nicht so passte, da scheint Jakob keinerlei Hypothese als intelligenter Jurist zu haben und ich bekomme nur das, was mir der Erzähler mal distanziert, mal etwa näher an Jakob erzählt und das ist nicht viel. Dafür erfahre ich mehr über die Karnevalskultur von Bonn und Köln mit den Fensterbänken (ob nun Fiktion oder real, den beiden Städten traue ich es zu, solche Sitten zu pflegen), soweit ist der Lehrauftrag des Textes erfüllt.

Es tut mir leid. Der Text hat es nicht in meine Top Ten geschafft: zéro points

Merci beaucoup
Constantine
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Raven1303
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Beitrag14.05.2021 23:08

von Raven1303
Antworten mit Zitat

Liebe/r Unbekannte/r,

ist das wirklich so mit den Fenstern und den Schnapsgläschen an Karneval?
Die Idee finde ich klasse, aber statt der detaillierten Geschichte seines Kummers um die Beziehung hätte ich mir mehr Aktion gewünscht. Du hättest gar nicht so viel aus der Vergangenheit erzählen müssen, vielleicht nur andeuten, mehr hätte deine Geschichte gar nicht gebraucht.
Das Ende finde ich gelungen!
Teilweise habe ich deinen Schreibstil als etwas holprig und nicht so flüssig empfunden.
Anforderungen des Wettbewerbs sind aus meiner Sicht aber alle erfüllt.
Ich möchte dir auch Punkte geben, muss mich aber hier noch sortieren.
Bis später also ...

LG Raven

Edit: leider nun doch keine Punkte mehr übrig. Sad


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F.J.G.
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Beitrag15.05.2021 09:32

von F.J.G.
Antworten mit Zitat

Guten Morgen!

Also, ich muss sagen, die Erzählweise ist top! Da versteht jemand was vom Schreiben.

An manchen Stellen gibt es Probleme mit der Groß- und Kleinschreibung, was gerade bei "Sie/sie" oder "Ihr/ihr" zu Verständnisproblemen führt, und einmal wurden das und dass verwechselt. Und bei …

Zitat:
Warum nur sieht er nur die Schnapsgläser, die sich in sein Gehirn gebrannt haben, wie wird man das los, diese Gedanken, warum immer nur diese Gedanken, die ihn verfolgen und die er nicht abschütteln kann, nicht durch plötzliche Wendemanöver oder Durchbrechen von Absperrungen, warum darf man nicht denken, was man will, nicht entscheiden, wie man es für richtig hält?


... dachte ich mir nur: Uff!

Manchmal wirkt es Wunder, mit Punkten (im Sinne von Satzzeichen) nicht zu geizen. Wunder, die bewirken, dass die Leser nicht ermüden beim Erklimmen des akademischen Elfenbeinturms und auch keine wertvollen Punkte abziehen, weil die Verständnisfrage von Schachtelsätzen geradezu einem IQ-Test gleichkommt.

Sehr gern gelesen und daher mit 4 Punkten dotiert.
Der Kojote


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Beitrag15.05.2021 14:54

von Ribanna
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Sehr gern gelesen. In so wenigen Zeilen so viel Charakterbeschreibung und eine Geschichte zu erzählen, das ist einfach gut. Ja, gefällt mir sehr.

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Gast







Beitrag15.05.2021 22:13

von Gast
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Liebe/r Autor/in,

das ist ein Text, bei dem mich bereits der erste Satz irritiert und der meine Aufmerksamkeit nach dem ersten Abschnitt verliert.

Ein Mann, den die Trennung von seiner großen Liebe aus der Bahn wirft. Oder war es nur der letzte Anstoß, der gefehlt hat, um seine inneren Dämonen mit Alkohol betäuben zu können? Die Handlung kann mich nicht so recht mitnehmen, ich weiß nicht, was ich von Jakob halten soll? Ein alkoholkranker Richter am Familiengericht, der über Schicksale bestimmt, aber unfähig ist, sein eigenes Leben auf die Reihe zu kriegen. Er kämpft mit seiner Sucht, bemüht sich der ständigen Versuchung zu widerstehen, das Ende der Geschichte lässt offen, ob er daran scheitert.

Du hast einen flüssigen Schreibstil und das Thema "an offenen Fenstern vorübergehen" klar im Text einfließen lassen. Für meinen persönlichen Lesegeschmack haben mir andere Beiträge jedoch besser gefallen, weshalb du leider nicht in meiner Top Ten bist.

Liebe Grüße,
Katinka
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V.K.B.
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Beitrag16.05.2021 18:25

von V.K.B.
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Hallo unbekanntes Wesen, das das geschrieben hat,

Alkoholikerdrama, Jakob, zweimal verlassen, fing aus Liebeskummer an zu saufen, ist gerade trocken und muss sich beim Karneval echt zusammenreißen, nicht rückfällig zu werden. Die Geschichte ist recht berichtartig erzählt, beginnt in der Gegenwart, dann folgt eine lange Rückblende, die die Hintergründe erklärt, bevor es kurz in die Gegenwart zurückgeht. Also nichts besonderes, und genau das ist mein Problem hier. Beim Zehntausender werden nicht nur Texte mit ernsthaften Thema erwartet, sondern auch besondere Texte, die sich trauen, neue Wege einzuschlagen. Das sehe ich hier nicht, und von daher muss ich jenen den Vortritt lassen, die sich wirklich bemüht haben, die fundamentalste Vorgabe an einen Zehntausendertext tatsächlich umzusetzen.

Edit: Zur Endwertung: Ich habe die Texte in die Kategorien grün (genau wie ein Zehntausendertext mMn sein sollte, also definitiv E-Lit, aber auch besonders geschrieben und neue Wege beschreitend, oder das zumindest versuchend), gelb (ernsthafte Themen, aber realtiv traditionell geschrieben) und rot (Text, der mMn nicht in diesen Wettbewerb passt, auch nicht teilweise) eingeteilt. Die Rangfolge für die Punkte erfolgt dann nicht größtenteils nach persönlichem Gefallen, sondern erstmal innerhalb der Gruppen.

Diesen Text habe ich in den gelben Bereich eingeteilt, er erfüllt die Vorgaben dieses Wettbewerbs teilweise, schafft es aber nicht in meine Top Ten und erhält daher leider auch keine Punkte.


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MoL
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Beitrag16.05.2021 20:10

von MoL
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Lieber Inko!

Schon wieder ein Alkoholsuchtthema, und schon wieder finde ich den Text einfach nur klasse. Einfühlsam, reflektierend, aber dann doch in den entscheidenden Momenten menschlich-schwach, ausblendend, es wohnt dem Ganzen eine mit Hoffnung getränkte Hilflosigkeit inne, klasse!

Sprachlich sehr sauber, alles wunderbar, Vorgaben sind wunderbar umgesetzt. Ein weiteres Highlight ist für mich der Titel. So subtil wie ein Vorschlaghammer sagt er doch alles, was man als Leser am Ende des Textes sagen, nein, herausbrüllen möchte.

Ganz ganz wundervoll, meine Nummer 2!


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"Menschen und andere seltsame Wesen"
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Hexenherz-Trilogie: "Eisiger Zorn", "Glühender Hass" & "Goldener Tod", Acabus Verlag 2017, 2019, 2020.
"Die Tote in der Tränenburg", Alea Libris 2019.
"Der Zorn des Schattenkönigs", Legionarion Verlag 2021.
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marinaheartsnyc
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Beiträge: 137



Beitrag17.05.2021 17:35

von marinaheartsnyc
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Ich finde den Text sprachlich gesehen gut und er ist für mich auf jeden Fall E-Literatur. Trotzdem gab es leider Texte, die mich noch ein bisschen mehr überzeugt haben.

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- Rumi
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Gast







Beitrag17.05.2021 18:02

von Gast
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Jacob geht zieht durch die Straßen des rheinischen Karnevals und erinnert sich u.a. daran wie er vor langer Zeit  - auch zu Karneval - von seiner Jugendliebe verlassen wurde, danach fürchterlich abstürzte, zum Alkoholiker wurde, woran schließlich eine spätere Ehe mit einer anderen Frau scheiterte.
Nun ist er zwar trocken, aber der in den offenen Fenstern dem Passanten  angebotene Schnaps ist immer noch eine große Versuchung für den ehemaligen Alkoholiker - der Dämon ist immer noch da, wartet nur auf eine Gelegenheit wie diese. Es wird ihm bewusst, wie fragil seine Fassade des bloßen Funktionierens ist, die er gegen den Dämon Alkohol aufgebaut hat, und das obwohl er als Familienrichter tagtäglich mit abschreckenden Beispielen der negativen Auswirkungen der Sucht konfrontiert ist.
Der Leser fragt sich natürlich, warum Jakob sich freiwillig diesen Versuchungen aussetzt. Ich kann diese Frage nicht abschließend beantworten. Vielleicht wird ihm auf seinem Gang auch die Sinnentleertheit seines bisherigen Lebens klar.
Am Ende begegnet er ausgerechnet dem Bekannten aus Studienzeiten, der ihn seinerzeit wahrscheinlich vor dem Erfrieren im Suff bewahrt hat. Der bietet ihm natürlich einen Umtrunk zur Feier des Wiedersehens an – im Kostüm des Sensemanns. Das finde ich dann etwas dick aufgetragen...
Dennoch hat mich die Geschichte angesprochen, und ich vergebe 3 Punkte.
LG
DLurie
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Jenni
Geschlecht:weiblichBücherwurm


Beiträge: 3310

Das goldene Aufbruchstück Die lange Johanne in Gold


Beitrag17.05.2021 22:24

von Jenni
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Jakobs Leben, das sind viele Schnapsgläser und Marie, die ihn verlassen hat. Um Marie trauert er, zu den Schnapsgläsern kann er nicht nein sagen. Wegen Marie. Warum ist nur Marie nicht da, aber da sind viele Schnapsgläser, dann war da auch mal Katrin, aber die ist weg. Wegen der Schnapsgläser. Und ganz ehrlich, zwischendrin kommt es mir so vor, als weiß der Verfasser des Textes selbst nicht, ob er eigentlich auf irgendwas hinaus will. Klar, ist schlimm, verlassen zu werden. Alkoholismus, unschöne Sache. Aber was willst du hier erzählen?
Fenster kommen vor. Nur vorbeigehen kann Jakob nicht ohne zu einem Schnapsglas zu greifen. Bis der Tod vor ihm steht in Figur seines Retters.
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anderswolf
Geschlecht:männlichReißwolf


Beiträge: 1069



Beitrag18.05.2021 12:14

von anderswolf
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Jakob und die Schnapsstiege. Oder: Dämonstreiter.

Ein Text wie eine schiefe Ebene, auf der ich, kaum die ersten Leseschritte getan, unaufhörlich nach unten gehe. Gehen muss, mich dem Sog ergeben muss, wie ein Trinker, der versucht hat nicht zu trinken, wieder anfängt mit dem Trinken, wenn er erstmal wieder angefangen hat. Ein Text wie ein Rausch also, wie ein Absturz oder zumindest doch einer, der auf einen sehr gefährlichen Punkt zusteuert: eine Krise, eine Zuspitzung, einen vielleicht fatalen Tiefst- oder eben Wendepunkt. Doch dazu gleich.

Zunächst die Geschichte: Jakob, der Trinker (im Nebenberuf Richter), oder vielmehr sich rehabilitierender Alkoholiker, geht durch schnapsgesäumte Straßen, er sucht die Konfrontation mit dem Dämon in sich, sonst würde er an Karneval ja nicht durch die Straßen gehen. Unmaskiert, denn Jakob versteckt sich nicht, er hat sein Trinken lange genug versteckt, hat sich versteckt, aber nur wer ehrlich zu sich selbst ist, kann hoffen, diese schiefe Ebene wieder einigermaßen unbeschadet zu verlassen.
Angesichts der geöffneten Fenster, in denen die Schnapsgläschen stehen und durch die er in die Leben fremder Menschen sehen kann, erinnert er sich an sein eigenes Leben, das auch schon mal besser war, aber auch schon mal schlimmer, und am Ende der Reise begegnet er einem alten Freund, vermeintlich aus Studientagen, aber auch da war der Alte Fritz wahrscheinlich schon eine Verkörperung des versuchenden Teufels und weniger der wohlmeinende Freund, als den ihn Jakob in Erinnerung hat. Und vermutlich, das lese ich so, sagt Jakob zu seinem alten Fritz Freund den Titel der Geschichte: "Geh weg."
So viel zur Hoffnung.

Die aber immerhin berechtigt ist, denn Jakob ist Richter am Familiengericht und kennt also nicht nur aus eigener Anschauung die Wirkung des Alkohols auf das Familienleben, sondern weiß durch die zahllosen Fälle, über die er zu entscheiden hatte, dass der Alkohol häufig eine ähnliche Wirkung hat, er ist ein ewiger Dämon, einer der alles zerfrisst, wenn er zu viel Raum bekommt. Der sich als Freund verkleidet, aber eigentlich keiner ist, denn ein Freund zerstört nicht das Leben eines Freundes.

Die aber auch aus anderem Grund berechtigt ist, die Hoffnung. Nicht nur weil es immer Grund zur Hoffnung gibt, sondern weil der Protagonist ein Jakob ist. Nun bin ich ja kein bibelfester Mensch, aber selbst ich weiß, dass Jakob ein biblischer Name ist, ein sehr spezifischer sogar. Jakob, der Zweitgeborene, der seinem Bruder Esau das Erstgeburtsrecht für ein Linsengericht abkaufte; Jakob, dem im Traum die Himmelsleiter erschien; Jakob, der zweimal verheiratet war; Jakob, der vor allem aber gegen einen Unbekannten kämpfte, der sich später als Gott selbst entpuppt und Jakob den Namen Israel gibt, was Gottesstreiter heißt (oder heißen soll, ich habe keine Ahnung).

Nun ist der vorliegende Wettbewerbstext nicht biblisch und es hat auch nix mit den aktuellen Entwicklungen im Nahen Osten zu tun, aber das Motiv, dass Jakob mit Gott ringt, ist durchaus wichtig, weil ebenso wie die Hoffnung, immer präsent. Erst im Ringen mit Gott erkennt Jakob seine eigene Stärke, erst in der Herausforderung versteht Jakob, dass er das Hindernis überwinden kann. Eigentlich fürchtet Jakob nämlich Esau, den übervorteilten Bruder, doch da Esau überhaupt nicht vor Ort ist, fürchtet Jakob im Ringen mit Gott nur die Furcht. Er ringt mit sich selbst, und als er erkennt, dass er siegen kann, wenn er nicht aufgibt, hat er schon gewonnen. Mehr oder weniger, ich bin kein Theologe oder sonst was.

Die Relevanz für den Wettbewerbstext ist jene: Jakob begegnet seinem Freund, dem Alten Fritz, der in seiner Maskerade als Tod eher aussieht wie Bruder Hein und ihm das Trinken wieder näher bringen möchte wie damals in Studienzeiten, als das Trinken begonnen hat. Jakob begegnet seiner Vergangenheit und vor allem der Angst, von dieser Vergangenheit wieder verschlungen zu werden. Und da kann es natürlich nur eine richtige Antwort geben: Geh weg.

Der ganze biblische Kram muss da gar nicht mitgelesen werden, den kennt ja auch niemand mehr. Vielleicht ist der auch gar nicht da, ich sehe den nur darin, wie wenn ich an einem geöffneten Fenster vorbeigehe und mir so meine Gedanken mache über das, was ich da gesehen habe. Viele Gedanken sind das, und nicht alle passen, aber manche eben doch, und das lässt mich stutzig werden, und sowas erwarte ich eben auch in einem E-Wettbewerb. Dass ich hinter dem Text etwas erkenne, und sei es die lose Assoziation zu einem urbiblischen Motiv, das aber genau so auch in anderen Mythologien finden lässt, wie häufig Mythologien sich in spezifischen Details ähneln, weil sie auf Erfahrungen basieren, die eben allgemeingültig und vielfach bekannt sind. Das Ringen mit sich selbst (oder eben den inneren Dämonen) gehört dazu. Letztlich auch ein Teil des vorbiblischen Gilgamesh-Epos', als der große König Gilgamesh (im Nebenberuf ziemlich arroganter Halbgott) von den Göttern seinen Widersacher Enkidu vor die Nase gesetzt bekommt (von den Göttern als Mischung aus Tier und Mensch geschaffen und dennoch dem großen König ebenbürtig). Sie kämpfen miteinander, können aber erst Frieden finden, als sie sich als Gefährten anerkennen. Im Kampf erkennt Gilgamesh sich selbst, er erkennt seine eigene Menschlichkeit an und später, als Enkidu schließlich von einer Krankheit dahingerafft wird, auch seine eigene Sterblichkeit. Enkidu ist Gilgameshs Spiegel, in dem er sich selbst erkennt wie Jakob im Ringen mit Gott  und der Trinker im Angesicht des Todes.

Dass ich all das da überhaupt lesen kann, liegt an der Freiheit, die mir der Text gibt, indem er sich selbst nicht in den Vordergrund drängt. Sicher, da steht eine ganz andere Geschichte, die Geschichte eines Mannes, der es nicht schafft in die offenen Fenster hineinzusehen:

Zitat:
Und warum schafft er es nicht, in die offenen Fenster hineinzusehen? Warum sieht er nicht die Gesichter, die ihn anlächeln, die Wohnzimmer, in denen die Jahre ihre Spuren und die Charaktere der Bewohner ihren Abdruck hinterlassen haben, einfache Räume, in denen doch so viel Leben und Geschehen, so viel Schicksal und Ereignis, Zeit und Zeitloses anwesend, ja, mit Händen zu greifen ist? So viel Geschichte hinter jedem Fenster. Man sollte stehen bleiben und zuhören. Die Kinder. Die Enkel. Die Freunde.
Warum nur sieht er nur die Schnapsgläser, die sich in sein Gehirn gebrannt haben, wie wird man das los, diese Gedanken, warum immer nur diese Gedanken, die ihn verfolgen und die er nicht abschütteln kann, nicht durch plötzliche Wendemanöver oder Durchbrechen von Absperrungen, warum darf man nicht denken, was man will, nicht entscheiden, wie man es für richtig hält? Was macht er überhaupt hier? Hat er vergessen, das Karneval ist?


Jakob hat vor lauter Schnapsgläschen, vor lauter Angst vor dem Alkohol die Fähigkeit verlernt, in die Menschen hineinzusehen, mit ihnen zu fühlen, er sieht nur noch die Fassaden, die von Alkohol durchtränkten Leidgeschichten der Menschen und nicht das, was sie alle miteinander verbindet: ihre Menschlichkeit und die Sehnsucht dazuzugehören. Er sieht nicht die zeitlose Geschichte, er sieht nur den Schnaps.

Die Sprache ist es, die mir sofort gefallen hat, der erste Satz schon, eigentlich ein Witz, zugleich aber auch ziemlich traurig, denn warum will jemand den eigenen Namen nicht in der Zeitung sehen? Weil etwas schlimmes passiert ist in der Regel (seltener weil da jemand im Lotto gewonnen hat). Der erste Satz und dann der zweite und dann fließen die Sätze ineinander und in mich, und dann geht es wie ein Sturzbach durch die Geschichte, durch Gegenwart und Vergangenheit und am Ende steht da Bruder Hein und winkt Jakob ein Memento Mori entgegen, dieses unaufhaltsame Abgleiten im Text, das hat es mir angetan und da kann ich nicht anders, da gebe ich 8 Punkte.
Mehr kann ich nicht geben, nicht nur, weil alle Punkte nur einmal vergeben werden können, sondern weil ich mir nicht sicher sein kann, ob die Parallelen zwischen den Jakobsen vielleicht nicht einfach von mir hinkuratiert wurden, obwohl da keine sind.
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Kiara
Geschlecht:männlichReißwolf

Alter: 44
Beiträge: 1404
Wohnort: bayerisch-Schwaben


Beitrag18.05.2021 14:14

von Kiara
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Hallo,
vielen Dank für deine schöne Geschichte über den Dämon der Sucht. Ich gebe dir 10 Punkte.


_________________
Zum Schweigen fehlen mir die Worte.

- Düstere Lande: Das Mahnmal (2018)
- Düstere Lande: Schatten des Zorns (2020)
- Düstere Lande: Die dritte Klinge (2023)
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Globo85
Geschlecht:männlichKlammeraffe

Alter: 38
Beiträge: 742
Wohnort: Saarland
Das silberne Eis in der Waffel DSFo-Sponsor


Beitrag20.05.2021 14:02

von Globo85
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Die Fenster sind offen, einfach mit der Maus vorübergehen.


Disclaimer

Die folgende Bewertung stellt nur meine persönlichen Leseeindrücke dar. Wertende Aussagen beziehen sich lediglich auf den gelesenen Text, nie auf die Verfasser:innen. Die Punktevergabe und meine persönliche Rangliste ist natürlich vollkommen subjektiv, insbesondere die Bewertung unter dem Gesichtspunkt E-Literatur.


Ersteindruck

Der Kampf gegen den Alkohol und wie er nie aufhört.


E-Lit-Zugehörigkeit

Inhaltlicher Anspruch/etwas zu sagen/tiefer gründender Inhalt

Alkoholismus und die Selbstverständlichkeit des gesellschaftlichen Trinkens. Fragen, die man im Alltag leicht übersieht, die aber existenzbedrohende Bedeutung haben können.

Stilistischer Anspruch

Lange, verschachtelte Sätze im Wechsel mit kurzen. Ein paar Ellipsen. Sehr gefällig.

Ungefügigkeit und Mehrschichtigkeit

Eher nein.

Für mich: E-Literatur.


Umsetzung des Themas

Fenster

Check. Aber nicht nur die tatsächlichen sondern die Fenster auch als Versuchung.

offen

Check.

Vorübergehen

Check. Für die metaphorischen Versuchungsfenster nicht unbedingt.

Dennoch für mich: Thema (auch wörtlich) umgesetzt.


Was mir gefällt

Die angedeutete Beliebigkeit, dass bei einem die Suchterkrankung auftritt, bei anderen nicht (zumindest oberflächlich). Hier hätte es gern mehr sein dürfen.

Was mir nicht gefällt

Die „was man früher noch sagen durfte“-Keule, find ich unnötig und deplaziert. Sie reißt mich raus, weil sie eine vom restlichen Text gelöste Botschaft vermittelt. Wirkt auf mich wie ein Fremdkörper.


Lieblingsstelle/Lieblingssatz

"Es ist Karneval. Natürlich wird getrunken."


Fazit und Punkte

In sehr gefälliger Sprache geschriebener Text. Für meine Begriffe überlässt er dem/der Leser:in leider nicht mehr viel, es steht alles da, nichts zwischen den Zeilen. Wegen der starken Konkurrenz daher leider nicht in meinen Top Ten gelandet.

Keine Punkte.
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silke-k-weiler
Geschlecht:weiblichKlammeraffe

Alter: 49
Beiträge: 749

Das goldene Schiff Der goldene Eisbecher mit Sahne


Beitrag20.05.2021 18:52

von silke-k-weiler
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Lieber Text,

ein sehr ernstes Thema, Alkoholismus, wie man darin abgleitet, was er mit Beziehungen, Familien und einem selbst macht. Das liest sich gut, an manchen Stellen aber etwas zäh, wenn sich die ganze Vorgeschichte von Jakob ausbreitet. Gut finde ich, dass beide Seiten beleuchtet werden, was es mit der Familie macht, was es mit dem Abhängigen macht.

Starke Stelle:

Es gab aber überall trinkende Väter und trinkende Mütter, leidende Kinder, zerrüttete Verhältnisse, Gewalt und Unfälle, und als Richter beurteilte und entschied er, sah glasklar, was der Alkohol anrichten konnte.
Und in sich der Dämon. Wie kann ich wollen, was ich will, wie kann ich lassen, was ich hasse.
Er wollte sich hinstellen und sagen: Gute Frau. Mag sein, dass Ihr Mann sie schlägt. Er würde das nicht tun, wenn er Sie nicht lieben würde. Warum sollte er? Wenn er sie nicht lieben würde, würde er einfach gehen. Aber das kann er nicht. Er kann nicht, verstehen Sie? Ich kann auch nicht, ich funktioniere bloß, und Ihr Mann funktioniert noch nicht einmal. Begreifen Sie es? Ja, Sie begreifen es, aber Sie können auch nicht mehr.


Obwohl es am Ende nicht für Punkte gereicht hat, gerne gelesen.

Viele Grüße
Silke
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nicolailevin
Geschlecht:männlichEselsohr


Beiträge: 259
Wohnort: Süddeutschland


Beitrag21.05.2021 11:41

von nicolailevin
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Zu Karneval geht der trockene Alkoholiker Jakob durch ein Kölner Veedel, sieht die Versuchung der angebotenen Schnapsgläser und sinniert über seine Lebensgeschichte. Als seine Freundin ihn im Studium verlassen hat, fing er mit dem Trinken an, wurde Familienrichter, der Alkohol beeinflusste seine Entscheidungen, er heiratete und wurde geschieden, dann machte er Entzug und ist jetzt trocken. Am Ende der Überlegungen trifft er einen alten Verbindungsbruder, der ihn zum Trinken auffordert und sinnigerweise als Tod verkleidet ist.

Der Text hat einen schlechten Start, denn die Gags der ersten beiden Sätze verfangen bei mir nicht; ich finde sie unlustig, weil untreffend. Wie sich Jakob dann gegen die Versuchung sträubt, wie er weiß, dass das Widerstehen gegen den Alkohol ein lebenslanger Kampf bleiben wird, das finde ich interessant und lebendig und treffend geschrieben. Der Rückblick auf Bonn bleibt dagegen blass, diesen krassen Nexus, dass das Beziehungsende (und die vezweifelte Sauftour) schlagartig zum Alkoholismus führt, kann ich schwer nachvollziehen. Und der Bezug zu Böll, dessen Clown auch dem Suff verfallen ist, hat schon schwer was von bildungsbeflissenem Deutschaufsatz.

Die Idee, die Assoziation, die Story – finde ich nachvollziehbar und ok. In der Umsetzung sehe ich weder den Sog der Droge, noch komm ich so richtig an Jakob ran. Das Treffen am Ende mit dem Sensenmann ist dann so symbolschwer und holzhammermäßig, dass es schon wieder lustig ist und ich es kaufe.

Fenster erfüllt, E-Anspruch erfüllt, wobei die Umsetzung für meine Begriffe nur so mittel gelingt. Handwerklich stören mich Plattituden wie „Wohnzimmer, in denen die Jahre ihre Spuren und die Charaktere der Bewohner ihren Abdruck hinterlassen haben“ und ein paar Flüchtigkeitsfehler. Insgesamt aber mag ich den Stil, und schön fand ich ein paar der Formulierungen wie „aber er lebte in Bonn, damals, als Bonn noch Hauptstadt war und man in der Schule Böll las.“

Hat es im zweiten Anlauf in die Punkterunde geschafft und sich dann irgendwie hochgearbeitet.
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