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Shelly
Geschlecht:weiblichWortedrechsler
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Alter: 57
Beiträge: 64
Wohnort: Speckgürtel Berlin


S
Beitrag10.03.2021 10:51
Timmi und die heile Welt
von Shelly
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Timmi und die heile Welt

Peitschender Wind weht um die Ecke, als ich die Tür zur Kita öffne. Wohlige Wärme empfängt mich und streichelt die gefrorenen Wangen. Meine kalte Hand schließt schnell die Tür zur Dunkelheit. Es ist ganz still. Nur das Ticken der Wanduhr begrüßt mich. Ich habe noch Zeit. Die nasse Jacke auch. Der warme Kaffeedampf benetzt mein kaltes Gesicht. Die Wärme kribbelt angenehm in den Händen, die den heißen Pott umschließen. Ich tanke den Augenblick von Wärme und Stille.
Die Spielsachen scheinen verwirrt auf die Kinder zu warten. Sie kommen schon noch. Es geht gar nicht anders. Immer wieder schaue ich zur Tür. Nur die Dunkelheit schaut zurück. Im Schein der Straßenlaterne glitzern weiße Regentropfen. Schnee wäre so viel schöner.
Ich nehme einen tiefen Schluck. Während die Wärme spürbar durch die Kehle rinnt, überkommt mich ein Frösteln. Ich spüre wie sich meine Haut der einer gerupften Gans nähert.
In der nächsten Stunde kommen immer wieder Kinder mit rotgefrorenen Wangen. Heute fällt es nicht so schwer anzukommen, obwohl die Mama nicht herein darf. Ich pendle zwischen Waschraum, Garderobe und Gruppenraum, der sich langsam füllt. Im Waschraum knistert es vor Schalk in jeder Ecke. Die ertappten Lausbuben tauchen im Spiel unter.
Alles ist wie immer. Der Raum ist erfüllt von Kinderlachen, Spielzeuggeräuschen, Papierrascheln und ab und an Misstönen. Eine heile Kinderwelt. Auch jetzt. Wie in einer Zeitblase. Ohne Gefahr und Aufregung um das Virus.
Vor der Tür taucht eine rote Bommelmütze auf. Es ist Timm. Die Mutter wirft mir kurz ein: “Verschlafen!“ zu, während sie den Kleinen in den Raum schiebt. Ehe die Tür zufällt, ist sie schon außer Sichtweite. Timm steht da, als wäre er Opfer eines Zaubers. Eben noch im Pyjama, steht er plötzlich hier. Ungläubig schaut er sich um.
Ich nehme ihn bei der Hand und begleite ihn in die Garderobe. Seine kleinen Finger sind eiskalt, er bekommt die Jacke einfach nicht auf. Ich schnappe mir die Bommelmütze und helfe ihm. Meine Hände sind schon lange warm. Der Reißverschluss klemmt etwas. Auf halbem Weg schaut mich ein sehr gefährlich aussehender Tyrannosaurus Rex an. Die scharfen Zähne blitzen aus der leicht geöffneten Jacke." Hallo, wer bist du denn?“ Timmis Augen beginnen zu funkeln, die kalten Bäckchen glühen rot. “Den hat Mama kauft. Soooo stark ist der!“ Dabei hält er die Ärmchen in Angriffsstellung und aus dem süßen Kindermund rollen  drohende Geräusche.
 Ein Schmunzeln huscht über mein Gesicht. Timm ist so zart und schüchtern und klein für sein Alter. Der Dino macht ihn stark und gibt ihm Selbstvertrauen.
Ich schicke ihn nach der Händewaschenbegrüßung erstmal frühstücken. Viel Hunger war da wohl nicht im Bauch, so schnell ist er wieder da und greift sich die begehrte Kiste mit den Sauriern.
In der Leseecke warten die wohl allergrößten Fans von Bilderbuchgeschichten. Erwartungsvolle Kinderaugen folgen mir. Ihre Lippen zucken, Münder stehen offen. Strumpfhosen werden gezogen, das Shirt bis an die Lippen gepresst. Manche kauen darauf herum, während ich die Geschichte vortrage. Timm hat heute irgendwie keine Lust, obwohl er Bücher liebt. Voller Hingabe spielt er versunken für sich allein in der Welt der Dinosaurier.
Während ich vorlese, durchdringt ein kräftiges Niesen die spannungsgeladene Stille. Kurz darauf empörtes Kindergeschrei meiner Zuhörer: „ Ihhhh, der Dino hat Rotze auf’n Kopf!“ Entsetzt schaut Timmi auf seine Brust.
Eine Blase aus Schleim ist tatsächlich auf dem Kopf des Tyrannosaurus getropft und bahnt sich ihren Weg über das geöffnete Maul. Die scharfen Zähne verschwinden im Nebel des Grauens. Bei einer so heftigen Attacke des Schleimmonsters  ist schnelle Hilfe gefragt. Ich nehme ein Feuchttuch und befreie den Dino. Die Spuren der Attacke glänzen im Schein der Deckenlampe. Normalerweise würde ich das ignorieren, aber in diesen Zeiten kann ich das nicht.
Ich erkläre Timmi, dass sein Dino Ruhe braucht, damit er wieder gesund wird. Timmi war schon oft krank. Er versteht, was ich meine. Tapfer hebt er die Arme, so dass ich das Shirt vorsichtig ausziehen kann.
Der Wechselbeutel hat wenig Auswahl. Neben einer kurzen Hose, Minisöckchen, einem T-Shirt, das schon viele Sonnentage gesehen hat, findet  sich ein Shirt mit einem Baggermotiv.
Fertig angezogen sieht Timmi nicht grade glücklich aus. Enttäuscht schaut er auf seine Brust. Die Baggerphase ist wohl vorbei.
Sein Kummer scheint vergessen, als ich ihm den großen Bagger im Flur zeige. Er ist noch ganz neu, aus glänzendem Metall. Knallgelb steht er bereit und wartet auf Timmi. Strahlend voller Stolz trägt der Kleine den schweren Bagger zu den spielenden Kindern.
Ablenken, umlenken und schon scheint die kleine Seelensonne wieder. Schade, dass es nur bei Kindern so leicht funktioniert. Erwachsene grübeln manchmal viel zu tief. Bis sie darin versinken.
Eine kleine Weile ist die Welt wieder normal. Erfüllt vom Klang spielender Kinder.
Mitten durch diese  Welt dröhnt ein heftiges Niesen. Bitte nicht schon wieder! Ich schaue zu Timm herüber, wie er verstohlen seinen Arm über sein Gesicht zieht. Ein Kind ruft vorwurfsvoll:“Ihhh, du sollst doch in den Arm niesen!“ Wütend springt Timm auf und wirft den Bagger auf den Boden. Die Kinder weichen erschrocken zurück.
„Was ist denn heute mit Timmi los?“
Timm stampft er hörbar in den Waschraum. Ich gehe ihm nach, er braucht mich wieder.
Timm steht wie erstarrt. Seine Augen spiegeln den ganzen Kummer dieser Welt. Die Schleimspur an seinem Ärmel beginnt gefährlich zu glitzern. Und leider keine Schnecke weit und breit, der man dafür die Schuld geben könnte. Das Schleimmonster hat es schon wieder getan!
Timm sagt kein Wort. Leere.
Die Enttäuschung zieht sich bis in die äußersten Mundwinkel. Die Lippen beginnen leicht zu zucken. Glanzlose Augen sehen mich flehend an.
Mit einem Ruck wirft Timmi die Arme hoch. Wie mit letzter Kraft. Kein Dino kann helfen. Kein  Bagger die Enttäuschung wegschaufeln. Der hat inzwischen neue Freunde. So ist das eben. Timmi weiß das.
In der Garderobe wartet das letzte Shirt. Timmis Augen füllen sich mit Tränen. Plötzlich bricht es aus ihm heraus: “Meine Mama!“ Schluchzend wirft sich der Kleine in meine Arme. Der kleine Körper bebt unter heftigen Schluchzern. Ich halte ihn ganz fest. Bis das Beben verebbt.
Während ich kurz darüber nachdenke, wie unmöglich Abstandsregeln umsetzbar wären, spüre ich etwas Warmes, Nasses an meinem Hals und wünsche mir für einen Moment, dass es Tränen sind. Sanft schiebe ich den Kleinen leicht zurück und schaue in sein verweintes Gesichtchen. Die roten Wangen sind nass. Die Augen sehen verschwommen aus.
Kummerertrunken.
Timmi ist heute nicht wie sonst. Irgendetwas stimmt mit ihm nicht. Besorgt trockne ich die Tränen, putze ihm die verschnodderte kleine Nase und ziehe ihm sein letztes Shirt an. Das ausgeblichene, vergilbte Motiv untermalt den Eindruck. Timmi ist nicht Timmi. Bestimmt wird er krank. Bestimmt bekommt er Schnupfen. Bestimmt, ganz bestimmt ist es nur ein harmloser Schnupfen. Mein Blick fällt auf die Tüte im Fach. Der Tyrannosaurus liegt darin zusammengerollt. Jetzt sieht er kein bisschen stark mehr aus.
Timmi muss abgeholt werden. Und seine Shirts auch.
Das Telefonat mit der  Mutter ist kurz und unangenehm. „Na wenn es denn sein muss, muss ich wohl kommen! Man kann´s auch übertreiben!“ Barsch ist die Leitung unterbrochen. Ich schaue auf das Häufchen Elend vor mir und schüttle es ab. Wie so vieles grad.
Wenig später steht sie vor der Tür. Ich ziehe Timmi in der Garderobe an, unter ihren Blicken wäre mir das unangenehm. Ich greife noch schnell die Tüte mit den Shirts und den Wechselbeutel. Die Mutter sieht mich verdutzt an. „ Timmi braucht neue Wechselsachen!“ Ich reiche ihr den fast leeren Beutel und die Tüte. „Zwei Shirts? Nur heute?“ Ihre Stimme klingt drohend. Ich möchte ihr vom Schleimmonster erzählen und wie tapfer Timmi war. Aber der Blick raubt mir die Worte. Timmi rettet mich: „ Das Schleimmonster hat mich heute gekämpft!“ Die Mutter schüttelt den Kopf und trabt energischen Schrittes los. Ich werfe ihr noch hinterher, dass Timmi 48h symptomfrei sein muss, bevor er wieder in die Kita darf. Böse Augen blitzen mir zu. Ich fühle mich schuldig und unschuldig zugleich. Timmi schaut mich an, ich hocke mich zu ihm runter und flüstere: „ Gute Besserung, mein Schatz!“. Die kleine Hand winkt mir heimlich zu. Dann folgt er seiner Mutter.
Keiner von uns Beiden ahnt, dass wir uns eine lange Zeit nicht wiedersehen….
Ich atme tief durch und schließe die Tür. Mich fröstelt es. Durch mein Shirt spüre ich wieder dieses Gänsegefühl, das einfach nicht weichen will. Mein Kopf fühlt sich schwer an, ich muss ihn aufstützen.
Draußen rüttelt  der Wind an den entblößten Bäumen, die mir traurig zuwinken .Tapfer wehren sie sich. Auch der gefrorene Sand widersteht der Laune. Plötzlich hat der Wind einen Ball gefunden, der beim letzten Spiel draußen wohl zurückgelassen wurde. Heulend jagt er ihn über den Spielplatz. Die Kinder schauen erstaunt  dem Schauspiel zu. Ein Spielplatz, der ohne Kinder spielt. Wie eine Geisterwelt. Ich wende mich ab. Kann den Anblick nicht aushalten. Die Kinder drücken ihre Nasen an die kaltgeblasene Türscheibe,  um das Spiel des Windes nicht zu verpassen. Jeder rangelt um den besten Platz. Die Scheibe ist übersäet mit Abdrücken. Der Atemhauch zaubert Phantasiegestalten. Ich muss wieder an die Regeln denken:
Abstand. Händewaschen. Atemschutz. AHA. So sicher ist die heile Welt. So sicher. Bestimmt ist sie das.


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Ich gehöre zu den Menschen mit zu vielen Wörtern im Kopf. Reden oder Schreiben ist quasi Selbsttherapie.Von Buchstabensuppen muss ich mich fernhalten.
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Merlinor
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Beitrag10.03.2021 10:54

von Merlinor
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Hallo Shelly

Als Deine Geschichte gestern verschoben war, habe ich mir überlegt, ob ich Dir ein paar Worte dazu schreiben soll. Also habe ich die beiden Textversionen und die zugehörige Konversation gelesen.
Am Ende war ich ratlos: Was ist Dein Fokus? Ist es die Wut, die Dich umtreibt, weil die Politik Euch vergessen hat? Sind es die Kinder, die Du liebst und die nicht verstehen können, warum ihre Welt sich so einschneidend verändert hat? Sind es die Eltern, die Dich ärgern, weil manche von ihnen ihre Kinder einfach bei Euch "abladen", um ihren eigenen Alltag besser bewältigen zu können? Oder ist es die eigene Angst, weil Ihr allesamt ungeschützt in diesem Strudel steckt?
Es ist schwierig, etwas zu diesem Text zu schreiben, weil zumindest mir nicht klar ist, welches Ziel Du mit ihm verfolgst. Willst Du uns eine Geschichte erzählen, die uns fesseln soll, einen einfachen Tatsachenbericht, ein Situationsbild, oder gar ein Pamphlet?

Ich bin zu keinem Ergebnis gekommen, denn die Geschichte ist meinem Gefühl nach in ihrer Zielsetzung weder Fisch noch Fleisch. Also ist es schwer, Dir eine solide Textkritik zu geben. Du schreibst ein gutes Deutsch, aber da Du selbst nicht recht zu wissen scheinst, wohin Du mit dem Text willst, kannst Du Deine Sprache auch nicht gezielt als Stilmittel einsetzen.
Zum Beispiel schreibst Du weite Partien in kurzen Sätzen. Ich mag kurze, klare Sätze. Aber sie müssen zielgerichtet eingesetzt werden: Ein solches Stakkato dient eigentlich dazu, um Geschwindigkeit aufzubauen, wenn die Handlung es erfordert. Da die Handlung aber keine wirklichen Höhepunkte setzt, wirkt dieses Stilmittel in Deinem Text gelegentlich deplatziert. Dies nur als Beispiel, um Dir mein Dilemma zu veranschaulichen.

Meine Vorredner haben es erwähnt: Spannungsbögen! Doch Spannungsbögen kann man nur setzen, wenn die Geschichte die man erzählen will – aber auch ein sachliches Essay – einen klaren Fokus, eine Richtung und ein Ziel hat.
Als erstes solltest Du deshalb meiner Meinung nach entscheiden, wohin Du mit Deinem Text willst. Sonst wird er nur das bleiben, was er – zumindest für mein Gefühl – bisher ist: Der Versuch, Deinen persönlichen Gefühlen dadurch Luft zu verschaffen, dass Du die schwierige Situation in der Du, Deine Kolleginnen, die Kinder und ihre Eltern zur Zeit stecken, in Form einer einfachen Szenenbeschreibung in Worte fasst.

Soweit meine Meinung zu Deinem Text. Ich hoffe, dass ich Dir damit ein paar Denkanstöße geben konnte.
Wie auch immer: Du solltest unbedingt weitermachen! Schreiben kannst Du und man spürt, dass Du daran auch Spaß hast. Und das ist doch das wichtigste …

LG Merlinor


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„Ich bin fromm geworden, weil ich zu Ende gedacht habe und nicht mehr weiter denken konnte.
Als Physiker sage ich Ihnen nach meinen Erforschungen des Atoms:
Es gibt keine Materie an sich, Geist ist der Urgrund der Materie.“

MAX PLANCK (1858-1947), Mailand, 1942
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Shelly
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Alter: 57
Beiträge: 64
Wohnort: Speckgürtel Berlin


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Beitrag10.03.2021 11:18

von Shelly
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Lieber Merlinor,

vielen Dank für deine Zeit, die du meinem 1. Versuch hier gewidmet hast. Das freut mich schon sehr.
Wo fange ich an? Du hast natürlich recht, es ist keine eigentliche Geschichte mit stilistischen Mitteln, von denen du sprichst und die ich wohl erst lernen muß.
Diese Geschichte ist eine Spiegelung, eigentlich eine reale Episode, die ich ein bisschen umschrieben habe.Mein Ziel ist es, dem Leser einen Blick hinter die heile welt zu geben, die die Politik der Masse vorgaugelt. Du hast den Kern des problems dabei sehr gut erkannt. Natürlich fließt da einiges an Emotionen. Die hab ich einfach rausgelassen. Das Ergebnis hat mich daran erinnert, dass mir so etwas leicht fällt und schon als Kind einfach da war. Hatte ich nur vergessen.
Ich denke aber, der Zeitpunkt war gut. Ich habe wieder Leidenschaft für das Spiel mit den Wörtern, was man in meiner Überarbeitung vielleicht schon mehr erkennen kann. Hoffe ich.
Ich habe die Geschichte heute nochmal probiert. Einen großen Moment der Emotionen hatte ich gekappt. Dann hatte ich die Kritik mit den zuvielen Leerzeichen in Fließtext umgesetzt. Das nimmt aber so mancher Aussage den Effekt, finde ich. Dann wird es eine Suppe.
Ich bin dir für deine Offenheit sehr dankbar und bleibe einfach dran.Der Weg ist das Ziel Laughing
lg Shelly


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Rike La
Geschlecht:weiblichLeseratte


Beiträge: 164



Beitrag10.03.2021 12:00

von Rike La
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Hallo Shelly,

danke, dass du die neue Version hier eingestellt hast. Zur ersten hatte ja schon etwas geschrieben, den neuen Text finde ich leider auch nicht viel besser...

Es beginnt schon mit - zumindest für meinen Geschmack - viel zu vielen Adjektiven, dann plätschert es wieder so vor sich hin. Teilweise sind da etwas seltsame, unpassende Bilder drin und es wirkt stellenweise unglaublich pathetisch (Seelensonne, kummerertrunken, der warme Kaffeedampf benetzt mein kaltes Gesicht...).

Ich kann nicht sagen, ob der Text für andere Menschen funktioniert, die eher in dem Thema drin sind, mich langweilt er immer noch.

Und ich weiß auch immer noch nicht, was du mit dem Text ausdrücken willst..

Tut mir leid, das soll nicht allzu vernichtend rüberkommen, vielleicht gefällt der Text anderen Leser*innen ja auch besser, das sind nur mal meine subjektiven Eindrücke...

Liebe Grüße
Rike
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Elena
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Alter: 82
Beiträge: 218
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Beitrag10.03.2021 12:09

von Elena
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Liebe Shelly,

das ging aber schnell mit der Überarbeitung. Hättest dir ruhig etwas Zeit lassen können, da wären vielleicht noch Gedanken gekommen, die du jetzt noch nicht berücksichtigt hattest. Ich mach das so mit Gedichten, ich lass sie immer erst liegen, bis ich einen Gedankenblitz habe, und manchmal liegen sie ein halbes Jahr oder länger.

Aber zur Geschichte selbst:

Das liest sich schon stärker als die 1. Fassung, obwohl ich mit einigen Korrekturen nicht so konform gehe. Aber das ist sicher Geschmackssache. Du versuchst zu gestalten, und stellenweise ist dir das auch schon ganz gut gelungen. Aber den Spannungsbogen hast du noch nicht im Griff. Das soll kein Vorwurf sein, es ist deine erste Geschichte, und da kann erfahrungsgemäß noch viel mehr nicht passen. So weit, schon ganz gut. Leider hast du in der 2. Fassung den sympathischen Dialog herausgenommen und dich mehr aufs Erzählen verlegt. Dadurch aber, dass du im Präsens schreibst, ist man als Leser nahe in die Ereignisse "einbezogen", und ich halte es bei dieser Geschichte auch angebracht. Obwohl das Präsens eigentlich ein Paradox ist, denn schreiben kann man immer erst hinterher, wenn sich ein Ereignis begeben hat. Aber das nur nebenbei.

Dialog ist für eine Geschichte sehr wichtig, er treibt ohne große Erklärungen die Handlung weiter. Und da bin ich bei der Handlung. Eine Handlung, die im Mittelpunkt der Erzählung stehen müsste, sehe ich Blindschleiche nicht, sondern du schreibst protokollartig auf, was an diesem Tag in der Kita passiert ist. Mit einer Handlung aber hättest du einen Spannungsbogen fast umsonst gehabt.

Eine Corona-Geschichte ist es nicht geworden. Nicht den Mut gehabt?
Ja, du hast Korrekturen eingesetzt. Ob sie immer das Bessere sind gegenüber der ersten Fassung? Im Grunde bist du bei der Grundform der ersten Fassung geblieben und erzählst keine Geschichte, sondern einfach einen Tag in der Kita, an irgendeinem Wochentag, aber nicht während Corona. Da wirkt die eine Zeile, die sich auf Corona bezieht, beinahe deplaziert. Corona muss doch Auswirkungen haben, auch im Kita-Alltag. Die lese ich aber nicht in deinem Text.

Den Auftritt der Mutter empfinde ich beinahe beiläufig und stilistisch auch ein bisschen zu "dick". Warum spricht die Erzieherin nicht mit der Mutter?
Erstens hättest du einen Dialog gehabt, zweitens hättest du das Thema Corona dringehabt und drittens hätte da auch ein Stück Kritik wenigstens durchscheinen können. Oder ist man in der Kita mit allen Maßnahmen völlig einverstanden? Hat sich durch Corona der Kita-Alltag nicht doch etwas verändert? Außerdem hätte man erfahren, wie schwierig es für werktätige Mütter ist, unter Coronabedingungen zurechtzukommen. Mut braucht man schon zum Schreiben, wenn man die Wahrheit schreiben will. Und auf die Wahrheit kommt es an.

Aber nichtsdestotrotz ist deine erste Geschichte ein guter Anfang, ausbaufähig ist sie noch, ein Anfang, der gar nicht schlecht ist und einiges hoffen lässt. Ich drück dir die Daumen, dass du beim Schreiben bleibst, vielleicht sogar in der Kita-Welt, die vielen deiner künftigen Leser vielleicht gar kein Begriff ist. Du hast es in der Hand, ihnen diese Welt näherzubringen. Du weißt, was so geredet wird: Die Leute schaffen sich gedankenlos Kinder an und laden sie dann bei fremden Leuten in der Kita ab. Schreib auch darüber, dass sie sich irren, dass die Kita die Grundbedingung für uns Frauen ist, nicht weiter nur für Haus und Herd zuständig zu sein.

Liebe, aufmunternde Grüße, Elena
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Ralphie
Geschlecht:männlichForenonkel

Alter: 71
Beiträge: 6395
Wohnort: 50189 Elsdorf
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Beitrag10.03.2021 12:13

von Ralphie
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Hallo, Shelly!

Das liest sich schon ganz ausgezeichnet.

 smile extra
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Shelly
Geschlecht:weiblichWortedrechsler
S

Alter: 57
Beiträge: 64
Wohnort: Speckgürtel Berlin


S
Beitrag10.03.2021 13:12

von Shelly
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Liebe Elena,

vielen lieben Dank für deine wieder sehr umfassende Kritik und nein, ich nehme sie dir nicht übel, ich freue mich immer sehr darüber. Du hast natürlich recht, ich war sehr schnell. Weil es so unter den Fingern juckte. Ein Versuch. Merlinor hat mir da auch ein paar Denkanstöße verpasst. Ich finde das super.Und ich komme langsam dahinter, was ihr meint. Ich verpacke zuviel in eine Geschichte, reiße alles an, aber setze es gleichwertig ein. Das verwirrt.
Wenn ich mir nur die Passage ab der Bommelmütze anschaue, in der nur Timm wichtig ist. Sein Tag sozusagen, dann lese ich es selbst anders. Ich werde Schwerpunkte setzen. Glaub,mit Timmi fang ich an. Dann kann ich jedes Thema für sich aufbauen, genug Wörter hab ich dafür ja. Laughing

liebe Grüße zurück, Shelly


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Shelly
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Beitrag27.03.2021 17:12
Wie sicher ist die heile Welt?
von Shelly
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Liebe Leser,
ich hab meine 1. Kurzgeschichte nochmal überarbeitet und bin jetzt sehr gespannt, ob sie euch besser gefällt oder ich sie verschlimmbessert habe? Soll ja auch vorkommen Laughing
Viel Spaß beim Lesen und Kritik verfassen.

lg Shelly

Wie sicher ist die heile Welt?

Eiskalter Wind weht um die Ecke, als ich die Tür zur Kita öffne. Wohlige Wärme empfängt mich und streichelt die gefrorenen Wangen. Meine kalte Hand schließt schnell die Tür zur Dunkelheit. Es ist ganz still. Nur das Ticken der Wanduhr begrüßt mich. Ich habe noch Zeit. Die nasse Jacke auch. Ein Kaffee wäre jetzt genau richtig, oh ja.
Im Radio verkünden sie die neuesten Beschlüsse der Ministerkonferenz: “In den Schulen wird der Präsenzunterricht bis zu den Weihnachtsferien ausgesetzt. Im Hort wird Notbetreuung für  Systemrelevante angeboten. Die Kitas …bleiben offen. Eltern sollen ihre Kinder jedoch möglichst  Zuhause betreuen.“  Ich verschlucke mich prompt am Kaffee. Wie bitte??? Das ist doch nicht ihr Ernst? Wer kann denn einfach so für sein Kind zuhause bleiben? Keine berufstätige Mutter. Und das sind fast alle. Hausfrauen gibt es im Osten des 21. Jahrhunderts kaum. Und was ist an Kitakindern anders? Die Kleinen ertragen keine Abstandsregeln, sie brauchen Nähe. Schulkinder verstehen das schon eher. Zusammenspielen ist ungefährlicher als gemeinsam  zu lernen?
Eine leuchtend rote Bommelmütze an der Fensterscheibe reißt mich aus diesen sinnlosen Gedanken. Strahlende Augen und Kinderlachen  fangen mich auf, als ich die Tür zum Gruppenraum  öffne. Fritz zieht seine Stiefelchen aus und geht mit mir in die Garderobe. Seine Wangen glühen rot vor Kälte und  Aufregung:„ Ich bekomme heute Nachmittag ein Päckchen…“, er holt tief Luft…“ von Oma, weil sie nicht zu Weihnachten kommen darf.“ Seine Aussprache  spüre ich im Gesicht. Fritz schaut mich mit großen Augen an. “Wann geht Corona wieder weg? Das ist so gemein!“, fügt er leise hinzu. Die funkelnden Augen füllen sich mit Tränen. Viele Omas fürchten sich vor den einsamen Tagen zu ihrem Schutz. Und die Kinder werden gar nicht gefragt. Liebevoll streichle ich über sein kurzes, blondes Haar.
„Du bekommst heute schon ein Weihnachtspäckchen? Das ist ja toll! Was wird da wohl drin sein?“ zwinkere ich ihm zu. Fritz lächelt wieder. Nach gründlichem Händewaschen macht er sich zum Frühstück auf. Es geht ihm wieder gut.

In der nächsten Stunde kommen immer wieder Kinder mit rotgefrorenen Wangen. Heute fällt es leichter anzukommen, obwohl die Mama nicht herein darf. Es ist nicht einfach, so in den Raum geschoben zu werden.  Die Schleuse zwischen den Welten fehlt: Mama in der Garderobe beim Ausziehen noch einmal drücken, ein inniges Küsschen und ein Versprechen für den Tag…

Ich muss in den Waschraum, dort wird es gerade laut. Als ich die Tür öffne, schauen mich meine Lausbuben mit weit aufgerissenen Augen an. Schalk knistert in jeder Ecke. Ich verkneife mir ein Schmunzeln und winke die Bande in den Raum, der sich allmählich gefüllt hat. Überall wird gespielt, gelacht und ja, auch mal gezankt. Eigentlich wie immer. Eine heile Welt.  Mit Händewaschen und Lüften zum Schutz für Groß und Klein. Warum haben dann Läden geschlossen? Und Kinos? Alles hat doch zu, wo Abstandhalten möglich wäre. Ich schaue zu meinen spielenden Kindern. Abstände kann ich nicht entdecken. Und möchte es auch gar nicht.

Vor der Tür taucht ein kleiner Wichtel auf: Timm. Die Mutter wirft mir kurz ein:„ Verschlafen!“ zu, während sie den Kleinen in den Raum schiebt. Ehe die Tür zufällt, ist sie schon außer Sichtweite.
Timm steht da, als wäre er Opfer eines Zaubers. Eben noch im Pyjama, steht er plötzlich hier. Ungläubig schaut er sich um.
Ich nehme ihn an die Hand und begleite ihn in die Garderobe. Seine kleinen Finger sind eiskalt, er bekommt die Jacke einfach nicht auf. Der Reißverschluss klemmt etwas. Natürlich helfe ich ihm. Auf halbem Weg schaut mich ein sehr gefährlich aussehender Tyrannosaurus Rex an. Die scharfen Zähne blitzen aus der leicht geöffneten Jacke." Hallo, wer bist du denn?“ Timmis Augen beginnen zu funkeln, die kalten Bäckchen glühen rot. “Den hat Mama kauft. Soooo stark ist der! Der kann alle Dinos fressen!“, dabei hält er die Ärmchen in Angriffsstellung und aus dem süßen Kindermund rollen  drohende Geräusche. Ein Schmunzeln huscht über mein Gesicht. Timm ist so zart, schüchtern und ziemlich klein für sein Alter. Der Dino macht ihn stark und gibt ihm Selbstvertrauen.
Nach dem Händewaschen frage ich ihn, ob er schon gefrühstückt hat. Er schüttelt den Kopf und reicht mir seine kleine Hand. Ich verstehe, er möchte nicht alleine gehen. Leider kann ich nicht mitkommen, ich kann die Kinder hier nicht alleine lassen. Ich zwinkere ihm zu und gebe ihm eine Dinosaurierfigur in die Hand. „ Schau mal, der Dino sieht sehr hungrig aus. Magst du mit ihm frühstücken gehen?“ Timm nimmt den Dino und tippelt los. Ich kann sein Stimmchen den Flur entlang hören. Was er dem Dino wohl zu erzählen hat? Einen kurzen Moment später steht Timm wieder im Raum und steuert direkt auf die Kiste mit den Dinosauriern zu. Der Kleine stellt alle Dinos auf und ist ganz vertieft in sein Spiel.
In der Leseecke warten schon die größten Fans von Bilderbuchgeschichten auf mich. Erwartungsvolle Kinderaugen, zuckende Lippen, offene Münder und das Shirt bis an die Lippen gepresst sitzen sie da, während ich die Geschichte vortrage. Nur Timm hat heute irgendwie keine Lust, obwohl er Bücher liebt. Voller Hingabe spielt er versunken für sich allein in der Welt der Dinosaurier. Während ich vorlese, durchdringt ein kräftiges Niesen die spannungsgeladene Stille. Kurz darauf schreit Fritz mit schriller Stimme: „ Ihhhh, Timmis Dino hat Rotze auf’n Kopf!“
Entsetzt schaut der Kleine auf seine Brust. Eine Blase aus Schleim ist tatsächlich auf dem Kopf des Tyrannosaurus getropft und bahnt sich ihren Weg über das geöffnete Maul. Die scharfen Zähne verschwinden im Nebel des Grauens.
Schnell nehme ich Timm an die Hand und verschwinde im Waschraum. Er  braucht jetzt wirklich Hilfe. “Oje, ich glaube dein Dino wurde angegriffen! Von einem ganz gefährlichen Schleimmonster! Wir müssen ihm schnell helfen.“
Timmi nickt tapfer. Ich nehme ein Feuchttuch und befreie den Dino. Die Spuren der Attacke sind aber noch deutlich zu sehen. Normalerweise würde ich das ignorieren, aber jetzt? Ich erkläre ihm,  dass sein Dino nun Ruhe braucht, um wieder gesund zu werden und wir das Shirt besser ausziehen. Timmis  Augen füllen sich mit Tränen, aber er hebt tapfer die kleinen Arme, so dass ich das Shirt leicht ausziehen kann. Während der Kleine sich gründlich die Hände wäscht, stecke ich das kontaminierte Shirt unbemerkt in eine Tüte.
„Komm, wir schauen mal nach einem frischen Shirt!“ Der dunkelgrüne Rucksack ist ziemlich leer. Neben kurzen Hosen, sehr kleinen Strumpfhosen und einem kurzärmligen Shirt, das schon sehr viele Sonnentage gesehen hat, findet sich ein Shirt mit einem knallgelben Bagger. Bevor Timm Dinos für sich entdeckte, liebte er Bagger. Fertig angezogen sieht er wenig glücklich aus. Enttäuscht schaut er auf seine Brust. Die Baggerphase ist wohl vorbei?
Sein Kummer scheint vergessen, als ich ihm den großen Bagger im Flur zeige. Er ist noch ganz neu, aus glänzendem Metall. Knallgelb steht er bereit und wartet auf Timmi. Strahlend voller Stolz trägt der Kleine den schweren Bagger in den Raum.  Andere Kinder möchten sofort mitspielen. Timmi  ist einverstanden, besteht aber darauf, der Baggerfahrer zu sein und deutet vielsagend auf den Bagger auf seiner Brust. Die Kinder akzeptieren das Argument und schaffen Bausteine herbei, damit der Bagger arbeiten kann.
Ich gehe meine Hände  gründlich waschen, die Desinfektion juckt sofort auf der Haut. Egal. Mein Kaffee ist mittlerweile eiskalt und landet im Ausguss. Kalter Kaffee macht schön? Wem nützt denn Schönheit?

Draußen rüttelt der Wind an den kahlen Bäumen. Der gefrorene Sand widersteht der Einladung. Plötzlich rollt ein Ball, wie von Geisterhand bewegt über die Terrasse. Ein Spielplatz, der ohne Kinder spielt. Neugierig pressen  die Kleinen ihre Nasen an die kaltgeblasene Fensterscheibe und beobachten das Schauspiel. Jeder rangelt um den besten Platz. Die Scheibe ist übersäet mit Abdrücken und ihr Atemhauch zaubert Phantasiegestalten. Sie sind sich jetzt besonders nah – Kinder eben. Händewaschen und Luftaustausch machen solche Alltagsmomente nicht ungeschehen.
Aber Kinder sollen keinen Einfluss am Pandemiegeschehen haben. Nichts wünsche ich mir mehr…

Während die Kinder fröhlich spielen, durchströmt erneut ein kräftiges Niesen und empörtes Kindergeschrei den Raum:„Ihhhhh!!! Wir sollen doch  in den Arm niesen!“
Timm zieht in dem Augenblick seinen Ärmel  über die Nase. Schuldbewusst sitzt er nun da, eine Hand am Bagger. An seinem Ärmel beginnt eine Schleimspur  anzutrocknen, glitzernd und bedrohlich. Und leider keine Schnecke weit und breit, der man dafür die Schuld geben könnte.
Das Schleimmonsterchen hat es  schon wieder getan! Widerwillig lässt Timmi seinen Bagger los und trottet mit mir in den Waschraum. Ehe ich etwas sagen kann, hebt er die Arme. Ich nicke ihm zu und befreie ihn. Die Enttäuschung zieht sich bis in die äußersten Mundwinkel. Die Lippen beginnen leicht zu zucken. Glanzlose Augen sehen mich flehend an.
Kein Dino kann helfen. Kein  Bagger die Enttäuschung wegschaufeln. Der hat inzwischen schon neue Freunde. So ist das eben. Timmi weiß das. Seine blauen Kulleraugen füllen sich mit Tränen. Plötzlich bricht es aus ihm heraus: “Meine Mama!“ Weinend wirft sich der Kleine in meine Arme. Der kleine, warme Körper bebt unter heftigen Schluchzern. Ich halte ihn ganz fest. Bis das Beben verebbt.
Während ich kurz darüber nachdenke, wie unmöglich Abstandsregeln umsetzbar wären, spüre ich etwas Warmes, Nasses an meinem Hals und wünsche mir für einen Moment, dass es Tränen sind. Sanft schiebe ich den Kleinen leicht zurück und schaue in sein verweintes Gesichtchen. Die roten Wangen sind nass. Die Augen sehen verschwommen aus. Kummerertrunken.
Timmi ist heute nicht wie sonst. Irgendetwas stimmt mit ihm nicht. Besorgt trockne ich die Tränen, putze ihm die verschnodderte kleine Nase und ziehe ihm sein letztes Shirt an. Das ausgeblichene, vergilbte Motiv untermalt den Eindruck. Timmi ist nicht Timmi. Vielleicht wird er krank. Hoffentlich ist es nur ein harmloser Schnupfen…

Ich muss ihn abholen lassen!

Das Telefonat mit der  Mutter ist kurz und unangenehm. „Na wenn es denn sein muss, muss ich wohl kommen! Wegen so einem  bisschen Schnupfen. Man kann´s auch übertreiben!“ Barsch ist die Leitung unterbrochen.
Ich schaue auf das Häufchen Elend vor mir und schüttle es ab. Wie so vieles grad.
Wenig später steht sie vor der Tür. Ich ziehe Timmi in der Garderobe an, unter ihren Blicken wäre mir das unangenehm. Ich greife noch schnell die Tüte mit den Shirts und den Wechselbeutel. Die Mutter sieht mich verdutzt an. „ Timmi braucht neue Wechselsachen!“ ich reiche ihr den fast leeren Beutel und die Tüte. „Zwei Shirts? Nur heute?“ Ihre Stimme klingt drohend. Ich möchte ihr vom Schleimmonster erzählen und wie tapfer Timmi war. Aber der Blick raubt mir die Worte. Timmi rettet mich: „ Das Schleimmonster hat mich heute gekämpft!“ Die Mutter schüttelt den Kopf und trabt energischen Schrittes los. Ich werfe ihr noch hinterher, dass Timmi 48h symptomfrei sein muss, bevor er wieder in die Kita darf. Böse Augen blitzen mir zu. Ich fühle mich schuldig und unschuldig zugleich. Timmi schaut mich an, ich hocke mich zu ihm und flüstere: „ Gute Besserung, mein Schatz!“. Die kleine Hand winkt mir heimlich zu. Dann folgt er seiner Mutter.

Keiner von uns ahnt, dass wir uns eine lange Zeit nicht wiedersehen…


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Elena
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Beitrag27.03.2021 17:27

von Elena
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Liebe Shelly,

die Überarbeitung hat deiner Geschichte gutgetan. Hier und da noch ein kleiner stilistischer Kritikpunkt, den ich aber nicht überbewerten würde.
Jetzt ist die Coronazeit aktuell in der Geschichte, und ich verstehe, was sich im Kindergarten tut in dieser Zeit. Die Reaktionen der Kleinen sind typisch für unsere Zeit. Meine Kinder wurden noch zur Rücksicht auf andere Kinder erzogen. Aber das war eben eine andere Zeit.

Ich würde die Geschichte so lassen. Du kannst stolz auf deine erste Geschichte sein, Shelly.

Viele liebe Grüße, Elena
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Ralphie
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Beitrag27.03.2021 17:46

von Ralphie
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Es sind noch ein paar Rechtschreifehler in deinem Text, aber die lassen sich leicht ausmerzen. Ansonsten finde ich die Geschichte fabelhaft!

 Very Happy
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Shelly
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Beitrag27.03.2021 18:00
Wie sicher ist die heile Welt?
von Shelly
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Liebe Elena,

vielen lieben Dank für die lobenden Worte. Ich freue mich natürlich sehr. Jetzt passt sie für mich auch besser. Ich habe Worte gefunden, all das aufzuschreiben, was mich bewegt hat. Und ich bin süchtig nach Schreiben...was toll ist. Andere Laster hab ich nicht Laughing

ganz liebe Grüße an dich
Shelly


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Shelly
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Beitrag27.03.2021 18:05
Wie sicher ist die heile Welt?
von Shelly
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Lieber Ralphie,

ich freue mich sehr, dass dir meine Überarbeitung gefällt. Das bedeutet mir wirklich viel.

Rechtschreibfehler...hm...Word zeigt mir keine weiteren, meine zuständige Gehirnzelle sieht sie nicht. Kannst du mir vielleicht helfen?

Ich möchte sie gern zum Salsa-Verlag schicken, dort werden aktuell Coronageschichten für eine Anthologie gesammelt. Hab ich zufällig entdeckt und fand es irgendwie gut. Was meinst du?

lg Shelly


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Ralphie
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Beitrag27.03.2021 18:17
Re: Wie sicher ist die heile Welt?
von Ralphie
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Shelly hat Folgendes geschrieben:
Liebe Leser,
ich hab meine 1. Kurzgeschichte nochmal überarbeitet und bin jetzt sehr gespannt, ob sie euch besser gefällt oder ich sie verschlimmbessert habe? Soll ja auch vorkommen Laughing
Viel Spaß beim Lesen und Kritik verfassen.

lg Shelly

Wie sicher ist die heile Welt?

Eiskalter Wind weht um die Ecke, als ich die Tür zur Kita öffne. Wohlige Wärme empfängt mich und streichelt die gefrorenen Wangen. Meine kalte Hand schließt schnell die Tür zur Dunkelheit. Es ist ganz still. Nur das Ticken der Wanduhr begrüßt mich. Ich habe noch Zeit. Die nasse Jacke auch. Ein Kaffee wäre jetzt genau richtig, oh ja.
Im Radio verkünden sie die neuesten Beschlüsse der Ministerkonferenz: “In den Schulen wird der Präsenzunterricht bis zu den Weihnachtsferien ausgesetzt. Im Hort wird Notbetreuung für  Systemrelevante angeboten. Die Kitas …bleiben offen. Eltern sollen ihre Kinder jedoch möglichst  zu Hause betreuen.“  Ich verschlucke mich prompt am Kaffee. Wie bitte??? Das ist doch nicht ihr Ernst? Wer kann denn einfach so für sein Kind zu Hause bleiben? Keine berufstätige Mutter. Und das sind fast alle. Hausfrauen gibt es im Osten des 21. Jahrhunderts kaum. Und was ist an Kitakindern anders? Die Kleinen ertragen keine Abstandsregeln, sie brauchen Nähe. Schulkinder verstehen das schon eher. Zusammenspielen ist ungefährlicher als gemeinsam  zu lernen?
Eine leuchtend rote Bommelmütze an der Fensterscheibe reißt mich aus diesen sinnlosen Gedanken. Strahlende Augen und Kinderlachen  fangen mich auf, als ich die Tür zum Gruppenraum  öffne. Fritz zieht seine Stiefelchen aus und geht mit mir in die Garderobe. Seine Wangen glühen rot vor Kälte und  Aufregung. „ Ich bekomme heute Nachmittag ein Päckchen …“, er holt tief Luft …, “ von Oma, weil sie nicht zu Weihnachten kommen darf.“ Seine Aussprache spüre ich im Gesicht. Fritz schaut mich mit großen Augen an. “Wann geht Corona wieder weg? Das ist so gemein!“, fügt er leise hinzu. Die funkelnden Augen füllen sich mit Tränen. Viele Omas fürchten sich vor den einsamen Tagen zu ihrem Schutz. Und die Kinder werden gar nicht gefragt. Liebevoll streichle ich über sein kurzes, blondes Haar.
„Du bekommst heute schon ein Weihnachtspäckchen? Das ist ja toll! Was wird da wohl drin sein?“ zwinkere ich ihm zu. Fritz lächelt wieder. Nach gründlichem Händewaschen macht er sich zum Frühstück auf. Es geht ihm wieder gut.

In der nächsten Stunde kommen immer wieder Kinder mit rotgefrorenen Wangen. Heute fällt es leichter anzukommen, obwohl die Mama nicht herein darf. Es ist nicht einfach, so in den Raum geschoben zu werden.  Die Schleuse zwischen den Welten fehlt: Mama in der Garderobe beim Ausziehen noch einmal drücken, ein inniges Küsschen und ein Versprechen für den Tag…

Ich muss in den Waschraum, dort wird es gerade laut. Als ich die Tür öffne, schauen mich meine Lausbuben mit weit aufgerissenen Augen an. Schalk knistert in jeder Ecke. Ich verkneife mir ein Schmunzeln und winke die Bande in den Raum, der sich allmählich gefüllt hat. Überall wird gespielt, gelacht und ja, auch mal gezankt. Eigentlich wie immer. Eine heile Welt.  Mit Händewaschen und Lüften zum Schutz für Groß und Klein. Warum haben dann Läden geschlossen? Und Kinos? Alles hat doch zu, wo Abstandhalten möglich wäre. Ich schaue zu meinen spielenden Kindern. Abstände kann ich nicht entdecken. Und möchte es auch gar nicht.

Vor der Tür taucht ein kleiner Wichtel auf: Timm. Die Mutter wirft mir kurz ein:„ Verschlafen!“ zu, während sie den Kleinen in den Raum schiebt. Ehe die Tür zufällt, ist sie schon außer Sichtweite.
Timm steht da, als wäre er Opfer eines Zaubers. Eben noch im Pyjama, steht er plötzlich hier. Ungläubig schaut er sich um.
Ich nehme ihn an die Hand und begleite ihn in die Garderobe. Seine kleinen Finger sind eiskalt, er bekommt die Jacke einfach nicht auf. Der Reißverschluss klemmt etwas. Natürlich helfe ich ihm. Auf halbem Weg schaut mich ein sehr gefährlich aussehender Tyrannosaurus Rex an. Die scharfen Zähne blitzen aus der leicht geöffneten Jacke." Hallo, wer bist du denn?“ Timmis Augen beginnen zu funkeln, die kalten Bäckchen glühen rot. “Den hat Mama kauft. Soooo stark ist der! Der kann alle Dinos fressen!“, dabei hält er die Ärmchen in Angriffsstellung und aus dem süßen Kindermund rollen  drohende Geräusche. Ein Schmunzeln huscht über mein Gesicht. Timm ist so zart, schüchtern und ziemlich klein für sein Alter. Der Dino macht ihn stark und gibt ihm Selbstvertrauen.
Nach dem Händewaschen frage ich ihn, ob er schon gefrühstückt hat. Er schüttelt den Kopf und reicht mir seine kleine Hand. Ich verstehe, er möchte nicht alleine gehen. Leider kann ich nicht mitkommen, ich kann die Kinder hier nicht alleine lassen. Ich zwinkere ihm zu und gebe ihm eine Dinosaurierfigur in die Hand. „ Schau mal, der Dino sieht sehr hungrig aus. Magst du mit ihm frühstücken gehen?“ Timm nimmt den Dino und tippelt los. Ich kann sein Stimmchen den Flur entlang hören. Was er dem Dino wohl zu erzählen hat? Einen kurzen Moment später steht Timm wieder im Raum und steuert direkt auf die Kiste mit den Dinosauriern zu. Der Kleine stellt alle Dinos auf und ist ganz vertieft in sein Spiel.
In der Leseecke warten schon die größten Fans von Bilderbuchgeschichten auf mich. Erwartungsvolle Kinderaugen, zuckende Lippen, offene Münder und das Shirt bis an die Lippen gepresst sitzen sie da, während ich die Geschichte vortrage. Nur Timm hat heute irgendwie keine Lust, obwohl er Bücher liebt. Voller Hingabe spielt er versunken für sich allein in der Welt der Dinosaurier. Während ich vorlese, durchdringt ein kräftiges Niesen die spannungsgeladene Stille. Kurz darauf schreit Fritz mit schriller Stimme: „ Ihhhh, Timmis Dino hat Rotze auf’n Kopf!“
Entsetzt schaut der Kleine auf seine Brust. Eine Blase aus Schleim ist tatsächlich auf dem Kopf des Tyrannosaurus getropft und bahnt sich ihren Weg über das geöffnete Maul. Die scharfen Zähne verschwinden im Nebel des Grauens.
Schnell nehme ich Timm an die Hand und verschwinde im Waschraum. Er  braucht jetzt wirklich Hilfe. “Oje, ich glaube dein Dino wurde angegriffen! Von einem ganz gefährlichen Schleimmonster! Wir müssen ihm schnell helfen.“
Timmi nickt tapfer. Ich nehme ein Feuchttuch und befreie den Dino. Die Spuren der Attacke sind aber noch deutlich zu sehen. Normalerweise würde ich das ignorieren, aber jetzt? Ich erkläre ihm,  dass sein Dino nun Ruhe braucht, um wieder gesund zu werden und wir das Shirt besser ausziehen. Timmis  Augen füllen sich mit Tränen, aber er hebt tapfer die kleinen Arme, so dass ich das Shirt leicht ausziehen kann. Während der Kleine sich gründlich die Hände wäscht, stecke ich das kontaminierte Shirt unbemerkt in eine Tüte.
„Komm, wir schauen mal nach einem frischen Shirt!“ Der dunkelgrüne Rucksack ist ziemlich leer. Neben kurzen Hosen, sehr kleinen Strumpfhosen und einem kurzärmligen Shirt, das schon sehr viele Sonnentage gesehen hat, findet sich ein Shirt mit einem knallgelben Bagger. Bevor Timm Dinos für sich entdeckte, liebte er Bagger. Fertig angezogen sieht er wenig glücklich aus. Enttäuscht schaut er auf seine Brust. Die Baggerphase ist wohl vorbei?
Sein Kummer scheint vergessen, als ich ihm den großen Bagger im Flur zeige. Er ist noch ganz neu, aus glänzendem Metall. Knallgelb steht er bereit und wartet auf Timmi. Strahlend voller Stolz trägt der Kleine den schweren Bagger in den Raum.  Andere Kinder möchten sofort mitspielen. Timmi  ist einverstanden, besteht aber darauf, der Baggerfahrer zu sein und deutet vielsagend auf den Bagger auf seiner Brust. Die Kinder akzeptieren das Argument und schaffen Bausteine herbei, damit der Bagger arbeiten kann.
Ich gehe meine Hände  gründlich waschen, die Desinfektion juckt sofort auf der Haut. Egal. Mein Kaffee ist mittlerweile eiskalt und landet im Ausguss. Kalter Kaffee macht schön? Wem nützt denn Schönheit?

Draußen rüttelt der Wind an den kahlen Bäumen. Der gefrorene Sand widersteht der Einladung. Plötzlich rollt ein Ball, wie von Geisterhand bewegt über die Terrasse. Ein Spielplatz, der ohne Kinder spielt. Neugierig pressen  die Kleinen ihre Nasen an die kaltgeblasene Fensterscheibe und beobachten das Schauspiel. Jeder rangelt um den besten Platz. Die Scheibe ist übersäet mit Abdrücken und ihr Atemhauch zaubert Phantasiegestalten. Sie sind sich jetzt besonders nah – Kinder eben. Händewaschen und Luftaustausch machen solche Alltagsmomente nicht ungeschehen.
Aber Kinder sollen keinen Einfluss am Pandemiegeschehen haben. Nichts wünsche ich mir mehr…

Während die Kinder fröhlich spielen, durchströmt erneut ein kräftiges Niesen und empörtes Kindergeschrei den Raum:„Ihhhhh!!! Wir sollen doch  in den Arm niesen!“
Timm zieht in dem Augenblick seinen Ärmel  über die Nase. Schuldbewusst sitzt er nun da, eine Hand am Bagger. An seinem Ärmel beginnt eine Schleimspur  anzutrocknen, glitzernd und bedrohlich. Und leider keine Schnecke weit und breit, der man dafür die Schuld geben könnte.
Das Schleimmonsterchen hat es  schon wieder getan! Widerwillig lässt Timmi seinen Bagger los und trottet mit mir in den Waschraum. Ehe ich etwas sagen kann, hebt er die Arme. Ich nicke ihm zu und befreie ihn. Die Enttäuschung zieht sich bis in die äußersten Mundwinkel. Die Lippen beginnen leicht zu zucken. Glanzlose Augen sehen mich flehend an.
Kein Dino kann helfen. Kein  Bagger die Enttäuschung wegschaufeln. Der hat inzwischen schon neue Freunde. So ist das eben. Timmi weiß das. Seine blauen Kulleraugen füllen sich mit Tränen. Plötzlich bricht es aus ihm heraus: “Meine Mama!“ Weinend wirft sich der Kleine in meine Arme. Der kleine, warme Körper bebt unter heftigen Schluchzern. Ich halte ihn ganz fest. Bis das Beben verebbt.
Während ich kurz darüber nachdenke, wie unmöglich Abstandsregeln umsetzbar wären, spüre ich etwas Warmes, Nasses an meinem Hals und wünsche mir für einen Moment, dass es Tränen sind. Sanft schiebe ich den Kleinen leicht zurück und schaue in sein verweintes Gesichtchen. Die roten Wangen sind nass. Die Augen sehen verschwommen aus. Kummerertrunken.
Timmi ist heute nicht wie sonst. Irgendetwas stimmt mit ihm nicht. Besorgt trockne ich die Tränen, putze ihm die verschnodderte kleine Nase und ziehe ihm sein letztes Shirt an. Das ausgeblichene, vergilbte Motiv untermalt den Eindruck. Timmi ist nicht Timmi. Vielleicht wird er krank. Hoffentlich ist es nur ein harmloser Schnupfen…

Ich muss ihn abholen lassen!

Das Telefonat mit der  Mutter ist kurz und unangenehm. „Na wenn es denn sein muss, muss ich wohl kommen! Wegen so einem  bisschen Schnupfen. Man kann´s auch übertreiben!“ Barsch ist die Leitung unterbrochen.
Ich schaue auf das Häufchen Elend vor mir und schüttle es ab. Wie so vieles grad.
Wenig später steht sie vor der Tür. Ich ziehe Timmi in der Garderobe an, unter ihren Blicken wäre mir das unangenehm. Ich greife noch schnell die Tüte mit den Shirts und den Wechselbeutel. Die Mutter sieht mich verdutzt an. „ Timmi braucht neue Wechselsachen!“ ich reiche ihr den fast leeren Beutel und die Tüte. „Zwei Shirts? Nur heute?“ Ihre Stimme klingt drohend. Ich möchte ihr vom Schleimmonster erzählen und wie tapfer Timmi war. Aber der Blick raubt mir die Worte. Timmi rettet mich: „ Das Schleimmonster hat mich heute gekämpft!“ Die Mutter schüttelt den Kopf und trabt energischen Schrittes los. Ich werfe ihr noch hinterher, dass Timmi 48h symptomfrei sein muss, bevor er wieder in die Kita darf. Böse Augen blitzen mir zu. Ich fühle mich schuldig und unschuldig zugleich. Timmi schaut mich an, ich hocke mich zu ihm und flüstere: „ Gute Besserung, mein Schatz!“. Die kleine Hand winkt mir heimlich zu. Dann folgt er seiner Mutter.

Keiner von uns ahnt, dass wir uns eine lange Zeit nicht wiedersehen…


So, ich hoffe, dass ich keine Fehler übersehen habe ...
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Shelly
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Beitrag27.03.2021 22:03
Wie sicher ist die heile Welt?
von Shelly
Antworten mit Zitat

Lieber Ralphie,

du bist großartig. Hab vielen Dank! Very Happy

ganz liebe Grüße,
Shelly


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Merlinor
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Beitrag28.03.2021 10:26

von Merlinor
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Hallo Shelly

Gratuliere! Das Überarbeiten hat sich gelohnt: Jetzt ist die Geschichte rund. Jetzt hat sie Hand und Fuß.
Du erzählst lebendig und in einer schönen Sprache. Auch der Fokus auf die Problematik Corona versus Kita wird nun ausreichend deutlich, ohne überzogen zu wirken.
Deine Sprache fesselt den Leser und zieht ihn in die Geschichte hinein, ohne dass besondere Spannungselement bemüht werden müssen. Das ist wirklich gut gemacht.
Kurz: Ich mag die Geschichte ... smile

LG Merlinor


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„Ich bin fromm geworden, weil ich zu Ende gedacht habe und nicht mehr weiter denken konnte.
Als Physiker sage ich Ihnen nach meinen Erforschungen des Atoms:
Es gibt keine Materie an sich, Geist ist der Urgrund der Materie.“

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Shelly
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Beitrag28.03.2021 10:40
Timmi
von Shelly
Antworten mit Zitat

Lieber Merlinor,

Vielen lieben Dank für dein großes Lob. Damit habe ich noch gar nicht gerechnet. Jetzt bin ich platt vor Stolz.
Vielen lieben Dank. Du hast mich auf den richtigen Weg gebracht. Jetzt bin ich nicht zu bremsen Laughing

Ganz doll fröhliche Grüsse
Shelly


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Elena
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Beitrag28.03.2021 11:11

von Elena
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Liebe Shelly,

was ist denn hier los? Den Kommentar habe ich dir geschrieben, nur nicht die letzte Zeile. Ja, die liebe Technik, die macht's möglich.

Lieben Gruß nochmal, Elena
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