Anachronismus

[Ralphie]

Mir ist ein schlimmer Anachronismus passiert. Ich habe im Jahre 1915 einen Froschtest durchführen lassen, obwohl der Erfinder des Froschtestes erst 1916 geboren wurde. Das Schlimme an der Sache ist, dass ich diese Szene nicht streichen kann, weil ich sonst den ganzen Roman wegwerfen müsste. Wie würdet Ihr in diesem Fall verfahren?

[tiptoe]

Lieber Ralphie,

es gibt nicht nur einen, sondern eine ganze Reihe physiologischer "Froschtests": Den uralten Schwangerschaftstest, den der elektrischen Reizleitung oder den mit der Luftfeuchtigkeit. Sind alle nicht neu, sondern historisch. Von welchem sprichst du?

Vielleicht kann ich Dir helfen.

lg

tiptoe

[Maunzilla]

In Camerons Film "Titanic" schwadronieren die Leute beim Essen über ein Buch von Sigmund Freud, das erst acht Jahre später erschienen sein wird.
Hat den Riesenerfolg des Films nicht beeinträchtigt.

So lange man keine groben Fehler macht, die dem Durchschnittsleser sogleich sauer aufstoßen, sondern nur Fachleute bemerken, muß man sich (so ärgerlich es einem selber erscheinen mag) keine großen Sorgen machen.

[Ralphie]

Ich dachte an den Galli-Mainini-Test, als ich den Text niedergeschrieben habe, aber dieser Mann wurde erst 1916 geboren. Meine Szene ist also totaler Unsinn und ich versuche mich zu beruhigen, dass in den meisten historischen Romanen Anachronismen vorkommen.

[tiptoe]

Lancelot Hogben, der als "Erfinder" des "Froschtests" gilt , wurde 1895 in Portsmouth geboren.  Vorgestellt hat er seine Forschungen erstmals 1930: HOGBEN, L. (1930), Some remarks on the relation of the pituitary gland to ovulation and skin secretion in Xenopus laevis. Proc. R. Soc. S. Africa, March 19,1930. In: Trans. R. Soc. S. Africa 22: pt. 2, xvii-xviii.

Ob er der alleinige "Erfinder" ist, weiß man nicht so genau; ein offizieller Schwangerschaftsnachweis war dieser biologische Test hierzulande aber nie.

Mit Sicherheit ist davon auszugehen, dass in Afrika, wo der Frosch ursprünglich herkommt, aber auch anderenorts immer schon mit Lurchen herumexperimentiert wurde, um an ihnen bei Menschen nur Innerliches auch äußerlich sichtbar zu machen.

Da es sich beim "Froschtest" nie um eine amtlich anerkannte Methode gehandelt hat, war sie in den 1940er und 50er Jahren hier bei uns eine "Doktor Eisenbart"-Nummer, die man sich leistete oder nicht. Das Dumme war ja, dass dieser "Test" nur schlecht heimlich zu machen war - das Mädchen, das Gewissheit suchte, war ja immer auf Dritte, in aller Regel Fremde, angewiesen.

Falls der Test in Deinem Roman ein "amtlicher" gewesen sein soll, wär's also ohnehin (und nicht nur zeitlich) schon fragwürdig.

Falls es kein "amtlicher" Test gewesen ist: Mit Sicherheit hat auch besagter Hogben damals nicht alle Katzen aus dem Sack gelassen und in s.o. Arbeit auf die Historie der "Froschnummern", die's immer schon gegeben hat, nicht hingewiesen. Er war seinerzeit auch nicht unumstritten als "Erfinder". Ich würde dir raten, Ralphie, falls noch möglich, den Test in das Dreckloch eines Kräuterweibchens zu verlegen; es kann durchaus sein, dass schon um die Wende des vorvorigen Jahrhunderts auch hierzulande eine Hexe übrig gelassen worden war, die wusste, wie man ein Mädchen über eine Kröte pinkeln lässt, damit die hinterher Eier legt. Geheimnis des Glaubens!

lg

tiptoe

[Ralphie]

Okay, danke! Du hast mir sehr geholfen! Ich denke, ich werde die Szene umschreiben müssen. Schließlich gab es schon den Weizentest, den Mäusetest und den Wurmtest - obwohl mir diese Tests dramaturgisch nicht weiterhelfen.

[tiptoe]

... und dann gibt's noch den ultimativen Froschtest, natürlich: wo die Prinzessin den Lurch erst mit ins Bett nimmt, dann an die Wand schmeißt und - Puff! - den Prinzen im Arm hat.

Vielleicht kannst du diese Variante ja auch noch einbauen?

lg

tiptoe

[tiptoe]

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