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nebenfluss Show-don't-Tellefant
Beiträge: 5994 Wohnort: mittendrin, ganz weit draußen
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18.09.2020 20:14
von nebenfluss
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Überflüssige Antwort nach Schema II:
sleepless_lives hat Folgendes geschrieben: | Wie wär's mit 'Landesundregionalvariabelgehandhabtessentielletätigkeitenundeinrichtungenwiesupermärkteund-arztpraxensowiezeitundregionsabhängigbaumärkteausschließendausgangssperre'?
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Das müsste man nach dieser Methode schon noch weiter spezifizieren, denn eine allgemeine Ausgangssperre gab es natürlich erst recht nicht; es sei denn, man betrachtete jedes Verlassen der vier Wände, bei dem nicht ein paar Schuhe oder [beliebigen Konsumartikel einsetzen, soweit nicht im Super- oder Baumarkt erhältlich] erworben oder Risikopatienten bzw. Massenansammlungen besucht werden, als Zu-Hause-bleiben (also so Tätigkeiten wie Fahrradfahren, Gassi-gegangen-werden oder Joggen als Beispiele).
_________________ "You can't use reason to convince anyone out of an argument that they didn't use reason to get into" (Neil deGrasse Tyson) |
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sleepless_lives Schall und Wahn
Administrator Alter: 58 Beiträge: 6477 Wohnort: München
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18.09.2020 21:54
von sleepless_lives
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nebenfluss hat Folgendes geschrieben: | Überflüssige Antwort nach Schema II:
sleepless_lives hat Folgendes geschrieben: | Wie wär's mit 'Landesundregionalvariabelgehandhabtessentielletätigkeitenundeinrichtungenwiesupermärkteund-arztpraxensowiezeitundregionsabhängigbaumärkteausschließendausgangssperre'?
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Das müsste man nach dieser Methode schon noch weiter spezifizieren, denn eine allgemeine Ausgangssperre gab es natürlich erst recht nicht; es sei denn, man betrachtete jedes Verlassen der vier Wände, bei dem nicht ein paar Schuhe oder [beliebigen Konsumartikel einsetzen, soweit nicht im Super- oder Baumarkt erhältlich] erworben oder Risikopatienten bzw. Massenansammlungen besucht werden, als Zu-Hause-bleiben (also so Tätigkeiten wie Fahrradfahren, Gassi-gegangen-werden oder Joggen als Beispiele). |
Stimmt, aber das würde meine Wordbildungskapazitäten gewaltig übersteigen.
_________________ Es sollte endlich Klarheit darüber bestehen, dass es uns nicht zukommt, Wirklichkeit zu liefern, sondern Anspielungen auf ein Denkbares zu erfinden, das nicht dargestellt werden kann. (Jean-François Lyotard)
If you had a million Shakespeares, could they write like a monkey? (Steven Wright) |
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sleepless_lives Schall und Wahn
Administrator Alter: 58 Beiträge: 6477 Wohnort: München
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18.09.2020 22:39
von sleepless_lives
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Andere Sache. Der Faden hat einen so schönen Titel, dass es schade wäre, sich hier auf die ewige Frendwörterdiskussion zu beschränken. Zudem scheint mir - vor allem auch in den älteren ähnlichen Threads -, dass selbst hier in einem Schriftstellerforum selten, wenn überhaupt, jemand beschreibt, was in welcher Weise er oder sie an der deutschen Sprache mag oder weniger mag, liebt oder gar hasst. Wenn ich mit einem Hobbyschmetterlingszüchter (die gibt es wirklich) über Schmetterlinge reden würde, der oder die würd mir aber was erzählen. Da würden selbst die schweigsamsten Naturen auftauen. Aber hier scheint das eigenartiger- und interessanterweise kaum ein Thema zu sein. Die Sprache, nicht die Schmetterlinge natürlich (die sind ein Dauerthema im Forum).
Also, hier ist eine Herausforderung: Wann ist auf Deutsch zu schreiben der Himmel auf Erden, wann verflucht ihr es? Welche Satzkonstruktionen oder Wörter findet ihr schön oder hässlich, welche gehen euch flüssig von der Hand, welche bereiten euch immer wieder Schwierigkeiten?
Ich fang mal mit einem Zitat an:
Georg Büchner hat Folgendes geschrieben: | Anfangs drängte es ihm in der Brust, wenn das Gestein so wegsprang, der graue Wald sich unter ihm schüttelte und der Nebel die Formen bald verschlang, bald die gewaltigen Glieder halb enthüllte; es drängte in ihm, er suchte nach etwas, wie nach verlornen Träumen, aber er fand nichts. |
aus 'Lenz' von Georg Büchner
Der Satz allein würde mich überzeigen, dass es sich lohnt, auf Deutsch zu schreiben.
_________________ Es sollte endlich Klarheit darüber bestehen, dass es uns nicht zukommt, Wirklichkeit zu liefern, sondern Anspielungen auf ein Denkbares zu erfinden, das nicht dargestellt werden kann. (Jean-François Lyotard)
If you had a million Shakespeares, could they write like a monkey? (Steven Wright) |
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Abari Alla breve
Alter: 43 Beiträge: 1838 Wohnort: ich-jetzt-hier
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18.09.2020 23:57
von Abari
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sleepless_lives hat Folgendes geschrieben: | Andere Sache. Der Faden hat einen so schönen Titel, dass es schade wäre, sich hier auf die ewige Frendwörterdiskussion zu beschränken.
Ein hervorragender Einfall.
Zudem scheint mir - vor allem auch in den älteren ähnlichen Threads -, dass selbst hier in einem Schriftstellerforum selten, wenn überhaupt, jemand beschreibt, was in welcher Weise er oder sie an der deutschen Sprache mag oder weniger mag, liebt oder gar hasst. Wenn ich mit einem Hobbyschmetterlingszüchter (die gibt es wirklich) über Schmetterlinge reden würde, der oder die würd mir aber was erzählen. Da würden selbst die schweigsamsten Naturen auftauen. Aber hier scheint das eigenartiger- und interessanterweise kaum ein Thema zu sein. Die Sprache, nicht die Schmetterlinge natürlich (die sind ein Dauerthema im Forum).
Yap, jedenfalls nicht in den "offiziellen" Boards.
Also, hier ist eine Herausforderung: Wann ist auf Deutsch zu schreiben der Himmel auf Erden, wann verflucht ihr es? Welche Satzkonstruktionen oder Wörter findet ihr schön oder hässlich, welche gehen euch flüssig von der Hand, welche bereiten euch immer wieder Schwierigkeiten? |
Ich liebe unsere Sprache und sog ihren Klang, der für mich die richtige Mischung aus "harten" und "weichen" Tönen ist, im Mutterleibe auf (wie jeder Mensch die seinige). Ein "Verfluchen" derselben oder des Ausdrückens darin käme mir nie in den Sinn. Ich bedaure nur zuweilen, dass die Gemütsregungen irgendwie schlechter wegkommen als z.B. die Wissenschaft, wo mir der Wortschatz deutlich größer zu sein scheint. Wir sind eben doch das Volk der Dichter und Denker; weniger die empfindsamen Naturen - mindestens sprachlich. Und Denken ist ein analytischer Vorgang, der den Deutschen mehr zu liegen scheint als die Versprachlichung von Gefühlen. Das ist für mich nicht schlimm; allein, ein Zentralafrikaner mag auf dem Gebiet der Emotionsäußerung mehr auf dem Kasten haben als wir.
Dennoch gibt es Sternstunden, nämlich wenn es in Fluss gerät und bleibt. Derer durfte ich schon etliche haben und ich bin dem Himmel zutiefst dankbar dafür. Dann berauschte ich mich geradezu an der Sprache und es sind für mein Dafürhalten schöne Texte herausgekommen.
Meine persönlichen Hasswörter: (gab es das nicht hier schon irgendwo?)
3. Fernsehen (emotionale Aversion)
2. Katasteramt (ein Wort wie ein 2x2x2m Betonklotz)
1. Bereich (absolutes Wischi-Waschi-Wort).
Lieblingswörter:
3. Eleganz (ist, was es sagt)
2. Licht (schlicht und ergreifend, klar)
1. unentwegt (emotionale Bindung).
Ich meine, mit allen Satzkonstruktionen (selbst Schillerschen und Kantschen) fertig zu werden und könnte - so ich es wollte - entsprechende Bögen spannen. Dennoch ist es in meinen Augen oft die größere Herausforderung, die Schlichtheit zu erreichen, zu der sich viele Autor:innen immer wieder gezwungen haben. Wenn der Gedanke vor der Feder herspringt, humpelt die letztre oft in ungenügendem Maße nach und es türmen sich die Satzungetüme auf. - Aber mittlerweile meine ich den Gedanken so bezähmt und die Feder so flüssig gemacht zu haben, dass sie im einträchtigen Gleichklang einhergehen können.
Es ist ja immer eine Stilfrage und die Frage, an wen ich mich wenden möchte. Sprachadel und -schönheit liegen für mich im Schlichten und Natürlichen verborgen, das ich mir mit viel Schweiß und Herzblut erkauft habe. Vor 25 Jahren liebte ich das Komplexe und habe es bis zum Erbrechen durchdekliniert. Heute schreibe ich viel einfacher und erspüre darin, wieviel mehr das die sprachliche Rose zu Erblühen bringt.
_________________ Das zeigt Dir lediglich meine persönliche, höchst subjektive Meinung.
Ich mache (mir) bewusst, damit ich bewusst machen kann.
LG
Abari |
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Vogelsucher Leseratte
Alter: 18 Beiträge: 179
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06.01.2021 19:06
von Vogelsucher
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Abari hat Folgendes geschrieben: |
Meine persönlichen Hasswörter: (gab es das nicht hier schon irgendwo?)
3. Fernsehen (emotionale Aversion)
2. Katasteramt (ein Wort wie ein 2x2x2m Betonklotz)
1. Bereich (absolutes Wischi-Waschi-Wort). |
"Katasteramt" ist ein wunderbares Wort! Eben weil es als 8-m3-Betonklotz im Satz lastet. Natürlich passt es nicht in die Duineser Elegien, aber z. B. als Arbeitsplatz eines grauen Büromenschen eignet es sich hervorragend. Derart lautmalerische Begriffe sind schätzenswert.
Grüße,
Vogelsucher.
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MissClara Klammeraffe
Beiträge: 666
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06.01.2021 19:50
von MissClara
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Vogelsucher hat Folgendes geschrieben: | Abari hat Folgendes geschrieben: |
Meine persönlichen Hasswörter: (gab es das nicht hier schon irgendwo?)
3. Fernsehen (emotionale Aversion)
2. Katasteramt (ein Wort wie ein 2x2x2m Betonklotz)
1. Bereich (absolutes Wischi-Waschi-Wort). |
"Katasteramt" ist ein wunderbares Wort! Eben weil es als 8-m3-Betonklotz im Satz lastet. Natürlich passt es nicht in die Duineser Elegien, aber z. B. als Arbeitsplatz eines grauen Büromenschen eignet es sich hervorragend. Derart lautmalerische Begriffe sind schätzenswert.
Grüße,
Vogelsucher. |
Wollte auch gerade Einspruch erheben - ich finde Katasteramt ein tolles Wort!
Lieblingswort: Nichtsdestotrotz - kaum ein Wort ist so schwammig und so glasklar zur gleichen Zeit
Hasswort: Flieger -Korrigiert mich, wenn ich falsch liege, aber ich hielt es immer für Pauschaltouristen-Slang. Jetzt verwenden es sogar schon Nachrichtensprecher. Gruselig.
Ich liebe an der deutschen Sprache, dass man durch simple Aneinanderreihung neue Worte schaffen kann. Im Spanischen zum Beispiel muss man immer ein holpriges "de" dazwischen setzen. Erbsenzähler = "contador de chicharos"
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Maunzilla Exposéadler
Beiträge: 2822
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08.01.2021 12:15
von Maunzilla
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Mir gefällt, daß die deutsche Sprache so elitär ist. Während andere Sprachen sehr leicht zu lernen sind, weil sie nach eindeutigen Regeln gebildet werden, muß man im Deutschen jedes einzelne existierende Wort für sich allein lernen und sich alle abgeleiteten Formen merken. Dazu braucht es ein starkes Gedächtnis.
Das Erfinden neuer Wörter ist besonders einfach, weil jeder seine eigene Form nach Belieben ersinnen kann.
_________________ "Im Internet weiß keiner, daß du eine Katze bist." =^.^= |
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Thomas74 Exposéadler
Alter: 49 Beiträge: 2332 Wohnort: Annaburg
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08.01.2021 12:49
von Thomas74
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Maunzilla hat Folgendes geschrieben: | muß man im Deutschen jedes einzelne existierende Wort für sich allein lernen und sich alle abgeleiteten Formen merken. Dazu braucht es ein starkes Gedächtnis.
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Das ist kein deutsches Alleinstellungsmerkmal. Ich lerne seit einiger Zeit Polnisch, in der dortigen Grammatik ist bei der Konjunktion die Liste der Regelfälle deutlich kürzer, als die der Ausnahmen.
_________________ Optimismus ist, bei Gewitter in einer Kupferrüstung auf dem höchsten Berg zu stehen und "Scheiß Götter!!" zu rufen. |
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DerAndreas Leseratte
D
Beiträge: 189
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D 08.01.2021 14:55
von DerAndreas
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Maunzilla hat Folgendes geschrieben: | Mir gefällt, daß die deutsche Sprache so elitär ist. Während andere Sprachen sehr leicht zu lernen sind, weil sie nach eindeutigen Regeln gebildet werden, muß man im Deutschen jedes einzelne existierende Wort für sich allein lernen und sich alle abgeleiteten Formen merken. Dazu braucht es ein starkes Gedächtnis.
Das Erfinden neuer Wörter ist besonders einfach, weil jeder seine eigene Form nach Belieben ersinnen kann. |
Das würde ich so ohne weiteres nicht unterschreiben. Ich glaube nicht, das deutsch eine so furchtbar schwere Sprache ist, auch wenn Mark Twain das sicher anders sah.
Sicher, wer deutsch gut und richtig sprechen will, der muss viele, viele regeln beherrschen. Aber im Gegensatz zu vielen anderen Sprachen ist deutsch so robust, dass man es auch in seiner gebrochenen Form noch super versteht. Das sieht man z.B. sehr gut an den Holländern. Deutsche und Holländer können sich immer irgendwie verständigen, und das obwohl holländisch nur teilweise deutsch ist.
Auch eine Kommunikation mit geborenen Dialekt-Sprechern ist zumeist sehr gut möglich. Beim Englischen hingegen verstehe ich z.B. vom Afro-Amerikanischen Slang nicht ein einziges Wort und das obwohl mein englisch durchaus nicht schlecht ist.
Apropos englisch. Ja, englisch gilt auf der Welt als soooo viel einfacher und so viel besser erlernbar, als deutsch. Doch grade bei der Aussprache bringt das englische derart viele Inkonsistenzen mit sich, das man neu-Lerner schon vor echte Herausforderungen stellt.
Ich erinnere hier nur mal an gothi, ghoughphtheightteeau und tiogh.
Was ich an der deutschen Sprache so mag, ist, wie viel man damit machen kann. Egal ob man literarisch sein will, präzise, oder beides zusammen. Im Deutschen findet sich immer mindestens ein Werkzeug. Meistens sogar gleich mehrere.
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Paracelsus Gänsefüßchen
Alter: 58 Beiträge: 20 Wohnort: Österreich/Kapfenberg
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09.01.2021 14:33
von Paracelsus
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Hallo!
Dies ist eine der interessantesten Diskussionen, auf die ich gestoßen bin.
Recht emotional geführt, möchte man meinen.
Aus meiner bescheidenen Sicht ist das emotionale hier ein Hinweis darauf, das es hier keine Lösung oder Wahrheit gibt, auf die man sich einigen könnte.
Wie auch - es geht um Sprache. Ausdrucksform. Verständigungsmittel.
Ich liebe Deutsch, ja das tu ich.
Ich halte Deutsch für eine Sprache, die poetisch sein kann, scharf wie ein Messer und präzise wie ein Schweißroboter in einem VW Werk.
Und manchmal(!) einfach kalt - wie es der Präzision zu eigen ist.
Anfangs habe ich, ähnlich hans1, gedacht und gewettert und bin aufmarschiert gegen Anglizismen - und hab mich geweigert in Foren solche zu verwenden und lieber stattdessen einen Kreislauf geschrieben - was man auch in einem Wort hätte sagen können - das noch dazu alle verstanden hätten.
Bis 2 Dinge in meinem Leben sich änderten.
Ich hatte eine Tochter.
Ich wurde Programmierer.
Ich konnte nur zusehen, wie mein Kind mit Modebegriffen um sich warf und später in furchtbar abgekürzten Hülsen und Dialekt per whattsapp kommunizierte.
Und als Programmierer, in unzähligen Foren unterwegs, Tonnen an Fachliteratur verschlingend, musste ich mich zwangläufig mit der Enlischen Sprache auseinandersetzen.
Ich habe mit Menschen aus aller Welt kommuniziert - auf Englisch natürlich, das wurde erst mit dieser Sprache möglich.
Heute bin ich der Überzeugung das Sprache nicht Kultur ist.
Sondern das Mittel, mit dem ich Kultur tranportiere - oder sogar erst Kultur erschaffe.
Michaelangelo hat aus Stein Kultur erschaffen - hier ist der Stein das Mittel zum Zweck, aber nicht die Kultur an sich - so ist es für mich auch mit der Sprache.
Sprache ist dynamisch, sie hat sich zu allen Zeiten verändert, erweitert und angepasst.
Das alte Deutsch der Gebrüder Grimm, Schillers oder Goethes ist mit dem heute gelehrten nur noch als Vorgänger zu vergleichen - es ist Bestenfalls der Grundstein, auf dem das Heute aufbaut.
Hans1 folgend müsste es einen Haltknopf geben, der gedrückt, jede weitere Entwicklung der Deutschen Sprache beendet, einfriert um das darin erhaltene Kulturgut für die Zukunft zu erhalten.
Und genau das ist - mMn - ein Trugschluß.
Denn wo oder Besser: wann sollte der Knopf gedrückt werden?
Wann ist die Deutsche Sprache so perfekt, um als "Kulturgut" konserviert zu werden.
War es das nicht schon vor 300 Jahren? Oder doch vor 150? Und, typisch Deutsch: Wer entscheidet das?
Oben genannte Poeten sind auch heute noch in der alten Sprache zu lesen. Sie sind erhalten geblieben.
Und das, obwohl wir uns heute in einer deutlich unterschiedlichen version des Deutschen bedienen.
So wird es auch mit den Meistern sein, von denen man gestern gelernt hat oder es Morgen wird.
Man wird sie auch in 100 Jahren noch lesen, so wie sie es geschrieben haben.
Das liegt nicht an der verwendeten Sprache, die liefert nur den Rahmen, wie der Marmor Michaelangelo's - es liegt daran, WIE diese Menschen schrieben und mit den Worten zauberten, die ihnen zu ihrer Zeit gegeben waren.
Heute schreibe ich, wie es mir passt, ich pfeife mitunter auf all die Gleichbehandlungsregeln, vermeide manchmal auch nicht rassistisch konotierte Wörter. Ich verwende Anglizismen flüssig. Es geht mir um den Kontext, nicht ums Wort.
Was nun auch eine Diskussion über Lesekompetenz auslösen müsste.
Und in meinem eben getippsten text finden sich eine unmenge an wörtern, deren Stamm nicht Deutsch ist - wie sich das auch in 100 Jahren ebenso verhalten wird.
Damals waren es die Franzosen, Italiener, die Mauren meinethalben, die unter uns gelebt haben und unsere Srache veränderten - heute ist es die ganze Welt, deren Einfluß man Morgen sprachlich nicht einmal mehr wahrnehmen wird.
Fazit: Sprache ist nicht Kulturgut. Kulturgut kann werden, was ich daraus erschaffe.
_________________ Der Schalltrichter Podcast sucht Autoren, die gerne Ihren Text als Podcast veröffentlicht haben möchten. Infos: Bitte mich anschreiben oder Website der-schalltrichter.at |
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Ralphie Forenonkel
Alter: 71 Beiträge: 6398 Wohnort: 50189 Elsdorf
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15.01.2021 16:05
von Ralphie
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Um noch mal auf den Dialekt zu sprechen zu kommen: Ich überarbeite gerade einen Roman, dessen Mittelteil in Ostpreußen spielt. Die Leute, die dort leben, reden alle hochdeutsch, auch untereinander, weil ich diesen Dialekt nicht beherrsche. Das ist ein Fehler. Die Leute sind vom Land und sprechen unter sich ganz bestimmt kein Hochdeutsch miteinander. Jetzt habe ich eine Internetseite gefunden, wo zumindest ein paar Wörter ins Ostpreußische übersetzt werden. Jetzt habe ich eine "ambarschtige" Frau und die Fische sind "frösch utem Prejel". Ich denke, das kann jeder verstehen oder sich einen Sinn daraus machen.
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Christof Lais Sperl Klammeraffe
Alter: 62 Beiträge: 942 Wohnort: Hangover
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15.01.2021 16:15 Linguistik von Christof Lais Sperl
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Liebe Leute, an dieser Stelle muss ich auch meinen Senf als Sprachwissenschaftler dazugeben. Eine Grundkonstante der Sprache ist die Veränderung. Dagegen kann nichts tun. Sie lebt. Deskriptive Linguistik beschreibt einen Zustand A in einer Zeit a. Präskriptive Linguistik schreibt vor und muss oft scheitern. Dies zeigen die Franzosen mit ihren Gesetzen gegen Anglizismen, die nur medial, aber nie Allgemeinsprachlich formen. Man erinnere sich an den lustigen baladeur statt Walkman...
_________________ Lais |
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Rainer Prem Reißwolf
R Alter: 66 Beiträge: 1271 Wohnort: Wiesbaden
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R 16.01.2021 15:26 Re: Linguistik von Rainer Prem
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Christof Lais Sperl hat Folgendes geschrieben: | Liebe Leute, an dieser Stelle muss ich auch meinen Senf als Sprachwissenschaftler dazugeben. Eine Grundkonstante der Sprache ist die Veränderung. Dagegen kann nichts tun. Sie lebt. Deskriptive Linguistik beschreibt einen Zustand A in einer Zeit a. Präskriptive Linguistik schreibt vor und muss oft scheitern. Dies zeigen die Franzosen mit ihren Gesetzen gegen Anglizismen, die nur medial, aber nie Allgemeinsprachlich formen. Man erinnere sich an den lustigen baladeur statt Walkman... |
Ah, jemand vom Fach.
Da hätte ich doch mal eine Frage: In der (US-amerikanischen) Buchserie 1632 wird eine komplette amerikanische Kleinstadt aus dem Jahr 2000 in das Thüringen des Jahres 1631 versetzt. Da von diesen nur wenige Deutsch sprechen, und da kurz darauf der Ort zu einer Touristenattraktion wird, entwickelt sich eine Mischmasch-Sprache mit dem Namen "Amideutsch". Ich (als Mit-Autor einer der wenigen Deutschen) bin der Meinung, dass damals die deutsche Sprache (speziell in der mitteldeutschen Heimat von Martin Luther) so weit ausgereift war, dass zwar Wörter aus dem Amerikanischen übernommen werden, aber die Grammatik grundsätzlich beibehalten wird. Zumal es in dieser Zeit auch schon Grammatik-Schulbücher gab.
Ich stehe allerdings mit der Meinung bei den Amerikanern ziemlich allein, weil die sich vorstellen, dass ihre Kultur so stark ist, dass sie alles durchdringt.
Hier kommt endlich die Frage: Wer hat recht? Bzw: Gibt es in der Historie Beispiele für eine ähnliche Sprachvermischung und wurde dabei die Grammatik der Mehrheit verändert?
Grüße
Rainer
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Christof Lais Sperl Klammeraffe
Alter: 62 Beiträge: 942 Wohnort: Hangover
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16.01.2021 17:38 Die stärkere Grammatik - Versuch einer Antwort von Christof Lais Sperl
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Gute Frage! Nun ja, in der Wissenschaft kennt man das nicht ganz verstandene Phänomen der Arealtypologie / der Kontaktphänonene. Voneinander völlig verschiedene benachbarte Sprachen übernehmen danach strukturelle Teilbereiche voneinander. Doch es geht nicht darum, wer oder was das Stärkere ist. Das lässt sich ohnehin nicht sagen. Eine Änderung kann nur stattfinden, wenn das Ziel reibungsloser Kommunikation nicht gefährdet ist.
_________________ Lais |
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Meanwhile in Canada Gänsefüßchen
M Alter: 48 Beiträge: 48 Wohnort: Oakville, Ontario, Kanada
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M 25.01.2021 00:02
von Meanwhile in Canada
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Hallo liebe Foristen,
ich bin auch Linguistin und bin in dieser Diskussion, auch wenn sie ja nun schon etwas älter ist, sogleich hängengeblieben. Vieles wurde hier schon geschrieben zum Sprachwandel und der Unmöglichkeit, präskriptiv auf die Nutzung der Sprache einzuwirken, das ich auf Basis meines Studiums hundertprozentig unterschreiben kann.
Allerdings bin ich ja eben auch Autorin, und als solche habe ich nicht nur eine rein intellektuelle, sondern auch eine sehr emotionale Bindung zur Sprache, in der ich schreibe. Insofern kann ich verstehen, dass es schmerzt, andere Sprecher/SchreiberInnen die Sprache auf eine Weise verwenden zu sehen, die ich selbst als Verhunzung oder Verschandelung empfinde. Was aber hier, wenn ich das richtig sehe, noch nicht zur Sprache gekommen ist: Auch diese von meiner eigenen stark abweichende Verwendung kann unglaublich kreativ sein, wie ich anerkennend feststellen muss. Ich bin zB überhaupt kein Fan von Deutschrap (oder überhaupt Rap), aber wenn ich mir die Texte anhöre, bin ich oft sehr beeindruckt von der spielerischen Kreativität mit Reimschemata oder deutsch-englischen Formulierungen (Beispiel auf die Schnelle: "Like mich am A***" von Deichkind).
Schön fand ich die Frage von weiter oben:
sleepless_lives hat Folgendes geschrieben: | Wann ist auf Deutsch zu schreiben der Himmel auf Erden, wann verflucht ihr es? Welche Satzkonstruktionen oder Wörter findet ihr schön oder hässlich, welche gehen euch flüssig von der Hand, welche bereiten euch immer wieder Schwierigkeiten? |
Das beantwortet die Frage jetzt nicht hundertprozentig ... aber durch mein englischsprachiges Umfeld und meine frühere Tätigkeit als Lektorin für deutsche und englische Texte finde ich Deutsch immer dann am schwierigsten, wenn die englische Sinnentsprechung mit ein paar eleganten -ing-Formen und einem Minimum an Wörtern auskommen würde. Im Deutschen muss ich dann stattdessen entweder umständliche Nebensätze oder klobigen Nominalstil benutzen - oder das Ganze komplett umformulieren. Dennoch liebe ich das Schreiben auf Deutsch mehr, weil es mir als Muttersprache hundertprozentig zur Verfügung steht. Ich kann damit spielen, ich kenne die Nuancen zwischen fast, aber eben nicht ganz gleichen Bedeutungen oder Konstruktionen und weiß, welche für das, was ich ausdrücken will, am besten passt. Im Englischen weiß ich das mittlerweile zwar auch, vertraue meiner Intuition aber nicht und muss mich immer bei meinem Mann rückversichern.
Wenn man meinen Mann nach dem hässlichsten deutschen Wort fragt, nennt er übrigens "Brautstrauß". Wie kann ein Wort so etwas Schönes bezeichnen und zugleich so harsch klingen?
Grüße über den Ozean
S.
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