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Chicago O'Hare - Frankfurt

 
 
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Plektrumprimat
Geschlecht:weiblichGänsefüßchen

Alter: 33
Beiträge: 28



Beitrag15.07.2008 20:28
Chicago O'Hare - Frankfurt
von Plektrumprimat
eBook pdf-Datei Antworten mit Zitat

Ich sitze auf dem blauen Sitz und löse ein Sudoku nach dem anderen. Zwischendurch immer wieder ein verstohlener Blick auf die Uhr – Noch eine halbe Stunde, noch 15 Minuten, noch 5 Minuten. Schließlich eine Durchsage, die so knarzend durch den Lautsprecher rauscht, dass ich sie nicht verstehe, aber nur eins bedeuten kann.
Der Abschied geht schnell. Donna umarmt mich: „Say hello to your family. Love ya!“ Dann zeige ich das Ticket vor, gehe durch die Absperrung und den Gang zum Flugzeug entlang.
Immer wieder schießt mir das selbe Wort durch den Kopf: „Geschafft!“ Verwirrend, denn nach tollen fünf Monaten sollte ich auch traurig sein, dass es vorbei ist. Aber alles, was mich im Moment bewegt ist, dass es nur noch 9 Stunden bis zu dem Moment sind, auf den ich mich in diesen 5 Monaten trotz aller schönen Erlebnisse jeden Tag gefreut habe.
Der Abflug ist kein Problem. Schon auf dem Hinweg habe ich festgestellt, dass ich das Fliegen mag und dieses Mal sitze ich sogar so, dass ich noch etwas aus dem Fenster blicken kann. Chicago von oben. Man sieht den Sears Tower, von dem ich vor einigen Wochen noch auf die Stadt herabgeblickt habe. Das war einer der schönsten Tage, voller Aufregung, voller neuer Eindrücke.

Ich sehe mich an dem selben Flughafen, den ich gerade verlassen habe, aussteigen. Der Enthusiasmus schiebt das Heimweh in den Hintergrund, alles ist aufregend. Selbst der Anblick eines Straßenschildes ist im Stande uns in Begeisterung zu versetzen, als wir übermüdet, aber viel zu aufgedreht um zu schlafen in den Bus nach Wisconsin einsteigen. Ich rufe zu Hause an und meine Stimme überschlägt sich fast vor Freude. Es scheint unglaublich, dass es wirklich endlich so weit ist und ich kann es kaum erwarten.

Ich sehe mich mit Randi ein paar Stunden später gegen Mitternacht schweigend in einem Arby’s in Madison sitzen. Langsam spüre ich, wie sich die Angst in mir ausbreitet. Was mache ich hier, tausende Kilometer weit weg von zu Hause? Wie soll ich es so lange aushalten? Ich weiß, dass Randis Gedanken bei  ihrem Freund sind, von dem sie sich in Deutschland verabschieden musste. Sie bangt darum, ob ihre Beziehung das Jahr überstehen wird. Das ist das Gute an Familie, denke ich mir. Die trennt sich nicht von einem. Jetzt aber sind sie unglaublich weit weg und können mir nicht helfen, egal was kommt. Im Hintergrund läuft “Welcome to the black parade“ im Radio. In diesem Moment ist es der Soundtrack meiner Ungewissheit.

Ich sehe mich heulend in meinem amerikanischem Zimmer auf dem Bett hocken. Bei jedem Gedanken an zu Hause entfährt mir ein neues, lautes Schluchzen und kann nicht anders, als wieder und wieder die Gesichter all der Menschen, die ich liebe, vor meinem inneren Auge abzurufen. Ablenkung wäre das richtige Mittel, aber ich kann mich noch nicht einmal dazu aufraffen, den Fernseher anzumachen. Ich will hier einfach liegen bleiben bis es vorbei ist und ich sie wieder in die Arme schließen kann. Mein Verstand weiß, dass es mir in ein, zwei Stunden wieder gut gehen wird, denn es ist ja nicht das erste Mal.
Mein Verstand weiß, dass es normal ist und dass ich eigentlich froh bin, hier zu sein.
Mein Herz hat einfach beschissenes Heimweh.
Ich habe Angst, dass ich heute nacht wieder einmal träumen werde, ich sei zu Hause. Das Aufwachen danach tut jedes Mal weh.

Ich sehe mich lechzend und mit schmerzverzerrtem Gesicht auf einer provisorisch abgesteckten Rennbahn. Mehr schlecht als recht kämpfe ich mich Meter um Meter nach vorne. In einem Hals brennt es und mit jedem Schritt scheint ein Messer mir in den Magen zu stechen. Vor allem höre ich aber die Schreie um mich herum. „Yeah yeah Ya Ya!“ „Good job!“ „Keep running!“ Ein Haufen Mädchen, schreit sich die Seele aus dem Leib, damit ich, die schlechteste Sportlerin aller Zeiten, mein erstes Cross Country-Rennen zu Ende laufe. Sie sind alle schon im Ziel und stehen nun an der Abgrenzung und feiern mich als ginge es um den Olympiasieg. Ich hätte nie gedacht, dass man gleichzeitig so leiden und so glücklich sein kann, wie ich auf den letzten Metern.Völlig ausgepumpt überquere ich lange nach allen anderen die Ziellinie. Ich bin glücklich.

Den ganzen Flug über kommen mir weitere Erinnerungen in den Sinn. Es ist unglaublich, wie groß und vielfältig die Bandbreite der Gefühle ist, die mit ihnen verbunden sind.
Aber die meiste Zeit sind meine Gedanken nicht in der Vergangenheit, sondern in der Zukunft. Der Bildschirm vor mir zeigt an, wo das Flugzeug sich befindet. Neufundland. Der Atlantik. Großbritannien. Belgien. Um fünf Uhr morgens Frankfurt. In Amerika ist es 22 Uhr, aber ich spüre nicht den leichtesten Hauch von Müdigkeit. Mir wird wärmer und wärmer und ich bin nicht sicher, ob es am kalten Klima aus dem ich komme oder an der freudigen Aufregung liegt. Als ich meine Koffer vom Band wuchte, sehe ich, dass bei einem der Reißverschluss gerissen ist. Kein Wunder, bei 18 Kilo Übergepäck. Ich stapele meine Sachen mit Mühe auf den Gepäckwagen. Die Ladung ist größer als ich und sehr schwer. Der Wagen lässt sich kaum bewegen und ich lenke ihn vor die Wand, als ich die Gepäckannahme verlasse. In dem Moment höre ich Gelächter, das mir bekannt vorkommt. Das Lachen, nach dem ich mich 5 Monate gesehnt habe. Ich umarme meine Familie und könnte vor Glück platzen.
Ich bin wieder zu Hause.

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Dichternarzisse
Geschlecht:weiblichEselsohr


Beiträge: 217
Wohnort: Banghazi-Bruessel-Zürich


Beitrag15.07.2008 22:28

von Dichternarzisse
Antworten mit Zitat

Da ich dich hier zum ersten Mal antreffe, kommt erst mal der herzliche Willkommensgruss.
Dann möchte ich dich zu deinem Stil loben. Ist schön und liest sich flüssig. Wie du die Situation beschreibst finde ich klasse, denn ich sah plötzlich vor mir das Lebhafte Bild als ich von den langen Ferien in die Schweiz zurückgekommen war.

Mir ist nichts großes aufgefallen das man anders machen könnte und ich stelle einfach meine Meinung zu der einen Wortwahl:

Zitat:
Schließlich eine Durchsage, die so knarzend durch den Lautsprecher rauscht, dass ich sie nicht verstehe, aber nur eins bedeuten kann.

Rauscht erscheint mir da nicht der richtige Ausdruck. Und was ist knarzend?

LG, Narzisse


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Nimm das Unveränderbare an und ändere das, was unannehmbar ist. Und sei klug genung den Unterschied zu kennen.
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Plektrumprimat
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Beiträge: 28



Beitrag15.07.2008 23:09

von Plektrumprimat
pdf-Datei Antworten mit Zitat

Danke für den Kommentar!

Stimmt, der Satz klingt komisch. Knarzen soll ein starkes knistern sein. Ich überlege gerade, wie man es besser formulieren könnte. Ich habe mich erstmal für diese Variante entschieden:

Zitat:
Schließlich eine Durchsage. Sie geht im Knistern des Lausprechers unter, kann aber nur eins bedeuten.
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Dichternarzisse
Geschlecht:weiblichEselsohr


Beiträge: 217
Wohnort: Banghazi-Bruessel-Zürich


Beitrag15.07.2008 23:11

von Dichternarzisse
Antworten mit Zitat

find ich auch schöner zu lesen smile

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Maria
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Beitrag15.07.2008 23:57

von Maria
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Hallo Plektrum,

mir gefällts gut wie Du zurückblickst, verschiedene Stationen der fünf Monate schilderst und man durch jeweils wenige Sätze vermittelt bekommt, wie Dein Leben dort aussah. Nicht überladen. Dein Heimweh ist nicht begründet in irgendwelchen Grausamkeiten oder mottenzerfressenen Betten und schlechtem Essen, sondern es ist einfach schlichtes, furchtbares Heimweh. Gerade das spricht mich wahrscheinlich an.

Mehr weiß ich nicht zu sagen, habs sehr gern gelesen und finde es sprachlich einwandfrei.

VG


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