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Ralphie
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Beitrag07.11.2020 13:19
Lager
von Ralphie
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Das Lager lag außerhalb des eigentlichen Stadtgebietes von Lyon – in unmittelbarer Nähe des Viaduc de la Méditerranée, auf dem in Fünfminutenabständen Güterzüge und leer fahrende Einzellokomotiven über die Rhône rumpelten. Es wurde von grimmig dreinblickenden französischen Soldaten in blauen Uniformen bewacht. Der Kommandant des Lagers, Capitaine Georges Maréchal, stammte wie Jacqueline Renouard aus einem Dorf in Südfrankreich, war beinahe einen Meter neunzig groß und besaß die klassischen Züge eines griechischen Apolls. Einmal im Monat wurde im Lager ein Film gezeigt oder ein Theaterstück in deutscher Sprache aufgeführt. Manchmal trat auch eine üppige Blondine namens Marie Leroux-Berbert auf und sang französische Volkslieder.
Peter war in Block 27 untergebracht und teilte sein eisernes Stockbett mit einem schnurrbärtigen Unteroffizier aus Neckarsulm, der die Angewohnheit hatte, während des Essens zu furzen, und Witze riss, über die nur er allein lachen konnte. Der Mann hieß Waldemar Rebholz und war am selben Tag wie Peter gefangen genommen worden.
Er furzte auch sonst an einem Stück und stank dabei, als wäre er im Inneren verfault, wie die anderen Gefangenen sagten. Er hielt sich für den klügsten Mann im Lager und verstand sich gut mit Sergent Perrin Rousselle, dem der Block 27 unterstand.
Eines Tages traf im Lager ein neuer Trupp Gefangener ein. Es war an einem Sonntag im August 1918. Peter saß auf einer Stufe vor dem Eingang des Blocks 27 und sah die müden Gestalten in Dreierreihen durch das Lagertor wanken, Männer, die in den endlosen Verhören durch die Agenten des französischen Geheimdienstes, dem Deuxième Bureau unter Edmond de Cointet, wohl dieselben Schikanen hatten ertragen müssen, denen auch Peter und Unteroffizier Rebholz ausgeliefert gewesen waren.
An der Spitze des Zuges entdeckte er einen jungen Mann, der ihm seltsam bekannt vorkam. Er war sich sicher, dass er dieses Gesicht schon einmal gesehen hatte, wusste es aber im Augenblick nicht einzuordnen. Der junge Mann hatte strohblondes Haar und ausgeprägte friesische Züge. Peter schätzte, dass er so alt war wie er selbst. Vielleicht stammte er aus Leer oder aus Aurich. Grüne Fliegen, von dem Blut auf seiner Uniform angezogen, umschwirrten seinen Körper. Plötzlich fiel Peter der Name des Jungen wieder ein.
Anselm!
Die ausgehungerte Gestalt auf der anderen Seite des Appellplatzes war Anselm Schindler, der junge Mann, den Peter am Morgen seiner Musterung kennengelernt hatte.
Nun erinnerte er sich genau.
Anselm Schindler war vor ihm an der Reihe gewesen, weil die Musterungskommission die Musterlinge in alphabetischer Reihenfolge aufgerufen hatte. Er besaß im Keller eines Wohnhauses auf der Oldenburger Cäcilienstraße einen kleinen Kolonialwarenladen. Seine Frau litt an Asthma. Peter erinnerte sich, dass Anselm ihm erzählt hatte, dass sie keine Treppe hochsteigen konnte, ohne sich unterwegs hinsetzen zu müssen. Was wohl aus ihr geworden ist?, dachte Peter. Ob sie noch lebte?
Er erhob sich und ging auf den Haufen Männer zu. Kompaniestärke, dachte er. Etwa hundertzwanzig Mann. Wie dünn Anselm geworden ist. Seine Hose schlottert um seine Beine.
»Erinnerst du dich an mich?«, fragte Peter und streckte ihm die Hand entgegen.
»Ja natürlich«, antwortete Anselm.
»Wie ist es dir ergangen?«
»Das siehst du doch.«
»Die ganze Zeit an der Westfront gewesen?«
»Ich war auch in Russland dabei, als sie in Brest-Litowsk die Waffen gestreckt haben.«
»Ach so.«
»Jetzt regiert ein Este das Land, das wir erobert hatten, ein Baron namens Roman von Ungern-Sternberg, der marodierend von Dorf zu Dorf zieht. Aber in Petrograd sind die Bolschewiki an der Macht. Es heißt, dass es in Russland zu wenig Bäume gibt, um alle Adligen aufzuhängen.« Anselm löste sich von der Gruppe Gefangener und folgte Peter zum Eingang von Block 27. Im Lager hatte es eine Läusefleckfieberepidemie gegeben, der fast zwei Drittel aller Insassen von Block 27 zum Opfer gefallen waren. Während die anderen Gefangenen seines Zuges weitergingen, betraten er und Peter die Baracke. Kurt Anderhalten, der Blockälteste, wies ihm eine Pritsche in der Nähe des Fensters zu.

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Gast







Beitrag07.11.2020 18:06

von Gast
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Hi Ralphie,

liest sich flüssig, macht neugierig auf die Fortsetzung.

Einziger Punkt: Ich finde es werden sehr viele Personen in dem kurzen Abschnitt namentlich eingeführt. Ich meine dann immer, mir die Namen alle merken zu müssen, und da wäre ich hier bereits überfordert. Meine Freundin,  der ich das vorgelesen habe, hat damit überhaupt kein Problem...

LG
DLurie
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Ralphie
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Beitrag07.11.2020 23:06

von Ralphie
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Na ja, mit den Namen habe ich so gelernt.
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Gast







Beitrag08.11.2020 11:25

von Gast
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Ralphie hat Folgendes geschrieben:
Na ja, mit den Namen habe ich so gelernt.

Ist wohl mehr ein Problem meines nachlassenden Kurzzeitgedächtnisses ... Embarassed
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Ralphie
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Beitrag09.11.2020 20:47

von Ralphie
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Ich habe diesen Text hier im Altersheim geschrieben, während meine Mitbewohner darüber rätselten, was ich den ganzen Tag mache. Das einzige Problem ist die Brücke, für die in meiner Fantasie die Südbrücke in Köln Pate gestanden hat, und natürlich dieses Läusefleckfieber am Schluss des Textes.
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Gast







Beitrag09.11.2020 22:31

von Gast
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Guten Abend Ralphie,

Ralphie hat Folgendes geschrieben:
Ich habe diesen Text hier im Altersheim geschrieben, während meine Mitbewohner darüber rätselten, was ich den ganzen Tag mache.

Gibt es da niemanden, der literarisch interessiert wäre?

Ralphie hat Folgendes geschrieben:

Das einzige Problem ist die Brücke, für die in meiner Fantasie die Südbrücke in Köln Pate gestanden hat

Warum Probleme? Da gibt es doch sogar Ähnlichkeiten mit dem Viaduc de la Méditerranée.  Lebst Du in der Nähe von Köln?

Ralphie hat Folgendes geschrieben:

...und natürlich dieses Läusefleckfieber am Schluss des Textes.

Klingt aber auch schlüssig für mich. Das ist doch eine durch Läuse übertragene Typhuserkrankung, die in den Kriegslagern ziemlich verbreitet war.    

LG
DLurie
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Ralphie
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Beitrag10.11.2020 10:11

von Ralphie
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Nun ja, die Brücke ist ziemlich weit weg von Lyon. Und ja, ich lebe etwa 30 Kilometer von Köln entfernt.
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