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Der zerbrochene Mond


 
 
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Luis Vänster
Geschlecht:männlichSchneckenpost

Alter: 25
Beiträge: 11
Wohnort: Norwegen


Beitrag25.10.2020 08:40
Der zerbrochene Mond
von Luis Vänster
eBook pdf-Datei Antworten mit Zitat

Mein zweiter Einstand: Diesmal kein ellenlanges Manuskript, sondern eine kleine Geschichte, die ich vor einigen Jahren geschrieben habe. Ich bin gespannt, was ihr dazu zu schreiben habt...


Mahtab sitzt auf dem einzigen Stuhl, eine Decke um die Beine geschlungen. Ihre schwarzen Augen sind auf Shakik gerichtet, der an der Brüstung lehnt und raucht. Der Wind fährt ihr unter die Haare und lässt sie durch die dunkle Luft flattern. Sie fröstelt.

Shakik starrt hinunter auf die Straße, niemand ist unterwegs. Er legt den Kopf in den Nacken und sucht den Sternenhimmel ab. Er findet nicht, was er sucht.

Mahtab folgt jeder seiner Bewegungen. Sie ahmt seine Mimik nach, seine Gesten, wie er sich am Geländer festhält. Sie prägt sich seine Konturen ein, seine Angewohnheiten, wie er mit dem Feuerzeug spielt, wie er seinen linken Fuß hinter den rechten Schuh lehnt.
Es tut so weh.
Sie hebt den Blick, immer höher.
Der Mond. Hell und glänzend im schwarzen Himmel.
Panisch beobachtet sie Shakik, er spricht. Konzentriert hängt sie an seinen Lippen.
Sie versteht nicht.
Warum redet er so schnell? Er ist so liebevoll, aber in diesem Punkt kümmert er sich nicht um sie, achtet nicht auf das Wesentliche.
So oft denkt sie über Perfektion nach. Shakik ist ihr perfekter Bruder, aber manchmal zeigt er eine Seite, die das Gegenteil von perfekt ist. Dann verdunkelt sich Mahtabs Gesicht als würde ein Schatten auf sie fallen.

Shakik beobachtet seine Schwester, seine perfekte Schwester. Aber manchmal zerfällt sie, zerbricht sie und all die blutigen Scherben verteilen sich über das grüne Gras. Dann will er allein sein, obwohl er weiß, er wird gebraucht. Dann will er allein sein, weil er denkt, ohne ihr geht es ihm besser, ohne ihr kann er mehr erleben, weil er denkt, sie ist ein Klotz, ein Hindernis. Manchmal ist er zu müde, ihr alles zu zeigen und zu erklären, manchmal ist er es leid.
Er glaubt zu erkennen, dass es keine Perfektion gibt, weil man selbst die Fehler ausfindig macht, weil man sie findet, auch wenn man nicht gesucht hat.

Eine Scheibe schiebt sich über den Mond, wie ein großer runder Schatten. Die Erde, unsere Welt. Ich bin Teil dieses Schattens, ich trage dazu bei, dass es dunkel wird, denkt Shakik und er ist wehmütig. Er fühlt sich schuldig.
Mahtab richtet sich erstaunt und zugleich erschrocken auf. Der Mond! Er zerbricht! Er wird zerfressen!
Wo ist er hin?
Sie klammert sich an die Decke. Nur dieses eine Mal wünscht sie zu schreien, zu fragen. Sie will wissen, denn sie versteht es nicht.
Sie wird es nie verstehen, sie wird es nie wissen.
Alleinig bleibt ihr die Erinnerung, die Verwirrung und ihre Fantasie.
Selbst der Mond ist nicht perfekt, denkt sie.

Weitere Werke von Luis Vänster:
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Stefanie
Reißwolf


Beiträge: 1741



Beitrag25.10.2020 10:42

von Stefanie
Antworten mit Zitat

Lässt mich ein bisschen ratlos zurück.
Bruder und Schwester, aneinander gebunden. Ist die Schwester behindert und deshalb auf ihn angewiesen? Warum beschreibt er sie als perfekt?
Ein paar merh Andeutungen, um Sinn aus der Situation zu machen, wären gut.

Stilistisch gefällt es mir.
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Mara
Geschlecht:weiblichLeseratte


Beiträge: 140
Wohnort: Linz/Donau


Beitrag27.10.2020 18:50

von Mara
Antworten mit Zitat

Hallo Luis,

deine Geschichte berührt mich. Sie ist ganz eigen und ungewöhnlich.

Am Anfang hatte ich Schwierigkeiten mit der "Verortung": zunächst war ich in einem Raum (wegen dem Stuhl), dann auf einer Brücke (wegen der Brüstung) und erst beim zweiten Absatz auf einem Balkon (wegen: "starrte hinunter auf die Straße").

Ich hätte das auch als Geschwisterpaar interpretiert (wobei die Schwester in irgendeiner Form beeinträchtigt ist), das sich nahe steht und doch seine Differenzen hat. Das finde ich sehr gut herausgearbeitet.

Zudem bin ich davon ausgegangen, dass die beiden eine Mondfinsternis beobachten, daher hat sich mir der Ausruf: "Der Mond! Er zerbricht!" nicht erschlossen. "Er wird zerfressen" (oder aufgegessen) passt für mich. Aber wenn er zerbricht, müssten zwei getrennte Teile des Mondes zu sehen sein, aber bei einer Mondfinsternis "verschwindet" der Mond ja nach und nach. Außer es gibt ein mir unbekanntes Himmelsphänomen, dass den Mond tatsächlich "zerbrochen" aussehen lässt. Wink

Soweit meine Gedanken zu deinem Text, den ich gerne gelesen habe. Smile
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Ralphie
Geschlecht:männlichForenonkel

Alter: 71
Beiträge: 6398
Wohnort: 50189 Elsdorf
DSFo-Sponsor


Beitrag27.10.2020 19:05

von Ralphie
Antworten mit Zitat

Ausgezeichnet. Namen und kurze Sätze, wie ich es liebe.

 Daumen hoch
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Gast







Beitrag27.10.2020 19:07

von Gast
Antworten mit Zitat

Hm,

auf jeden Fall Gedankenfutter, das ist schon Mal ein gutes Zeichen.

Ich versuche die Namen einzuordnen, und in mir ist etwas (reine Vorurteile?), das vermutet, dass die Beiden durch gesellschaftliche Erwartungen aneinander gebunden sind - die Schwester "braucht" im Kulturkreis, in dem die Beiden gross geworden sind, einen Beschützer (bis sie einen Mann gefunden hat?), und der Bruder nimmt die Rolle an, obgleich es ihm eine Bürde ist? Beide zweifeln das System nicht an.

Bitte nicht mißverstehen: Ich kann diesem Rollenverständnis nichts Positives abgewinnen, habe aber leider mehrfach so eine Konstellation miterleben müssen. In manchen Gesellschaften sind Konventionen in dieser Art fest verankert.

Für die Schwester ist eine Mondfinsternis offenbar eine völlig neue unvorbereitete Erfahrung, also ist sie offenbar sehr abgeschottet von Informationsquellen wie Medien, die sie zweifellos darauf vorbereitet hätten.

Aber vielleicht lese ich das auch völlig falsch.

Gut und eindringlich geschrieben, aber Interpunktion und Satzaufbauten sind verbesserungswürdig.
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Luis Vänster
Geschlecht:männlichSchneckenpost

Alter: 25
Beiträge: 11
Wohnort: Norwegen


Beitrag27.10.2020 19:18

von Luis Vänster
pdf-Datei Antworten mit Zitat

Vielen Dank für das Feedback!

Anscheinend habe ich es nicht klar genug herausgearbeitet: Mahtab ist taubstumm.
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Abari
Geschlecht:männlichAlla breve

Alter: 43
Beiträge: 1838
Wohnort: ich-jetzt-hier
Der bronzene Durchblick


Beitrag27.10.2020 19:44

von Abari
Antworten mit Zitat

Luis Vänster hat Folgendes geschrieben:
Mahtab ist taubstumm.


Darauf wäre ich nie gekommen. Ich habe die Geschichte vor ein paar Tagen das erste Mal gelesen und immer herumgerätselt, was das denn nun wäre.

Da stecken schon interessante Bilder drin, aber sie kommen relativ unvermittelt und schemenhaft. Ich denke, wenn Du die Geschichte ausbaust, wird sich da einiges glätten; v. a. die von Dir erwähnte Einschränkung klarer hervorteten.


_________________
Das zeigt Dir lediglich meine persönliche, höchst subjektive Meinung.
Ich mache (mir) bewusst, damit ich bewusst machen kann.

LG
Abari
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Weltenbruch
Geschlecht:männlichSchneckenpost
W


Beiträge: 8



W
Beitrag08.11.2020 12:40

von Weltenbruch
Antworten mit Zitat

Ich bin auch nicht darauf gekommen, dass Mahtab taubstumm ist, habe den Text aber auch so sehr gerne gelesen - ich find den Stil sehr schön, das einzige, was ich mich gefragt habe.

Zitat:

Dann will er allein sein, weil er denkt, ohne ihr geht es ihm besser, ohne ihr kann er mehr erleben, weil er denkt, sie ist ein Klotz, ein Hindernis.


Müsste es dort nicht zweimal sie heißen statt ihr? Vielleicht ist mir das auch einfach nicht geläufig.

Du konntest eine richtig schöne vage, seltsame Stimmung mit dem Text erzeugen, da hätte es für mich gar keine klare Erklärung gebraucht. Toll!
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stenzeljulia
Geschlecht:weiblichGänsefüßchen

Alter: 22
Beiträge: 18
Wohnort: Tübingen


Beitrag09.11.2020 19:37

von stenzeljulia
Antworten mit Zitat

Der Text ist sehr gelungen! Wie bei den anderen bin auch ich nicht vollständig hinter das Taubstumme gekommen, aber ich hatte nicht das Gefühl, dass ich etwas verpasst habe, wenn ich es davor irgendwie gewusst hätte.
Du hast die Verwirrung der Schwester sehr gut in den Text eingebunden, genauso wie auch das Hin und Her des Bruders. Vielleicht ist es genau deswegen in meinen Augen so klasse. Um das ganze zu verstehen, braucht es etwas Zeit, als müsse man wie sie an den Lippen des Erzählers hängen, der wie der Bruder manchmal in eine Art Erzählhast gerät. Was für mich auch sehr gut war: Die Beschreibungen der Charaktere. Als Aesthetin liebe ich Details. Ich konnte mir es gerade zu bildlich vorstellen, wie er dort am Geländer lehnt und sein Bein am anderen stützt. Oder wie sie voller Furcht aufsteht und gen Mond und Bruder starrt.
Ich denke über Schreib- und Grammatikfehler muss ich nichts mehr sagen, weiter oben gab es ja schon ein paar Tipps.
Es war echt schön, diesen Text gelesen zu haben. Gerne mehr!

Liebe Grüße
J. Stenzel


_________________
"Gebt mir den Mann, den seine Leidenschaft / Nicht macht zum Sklaven" - Hamlet von Shakespeare (III,2)
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