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Luis Vänster
Geschlecht:männlichSchneckenpost

Alter: 25
Beiträge: 11
Wohnort: Norwegen


Beitrag20.09.2020 23:09
scheinbar
von Luis Vänster
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PROLOG
Rom, 2014

Ich stand wie angewurzelt mitten auf der Piazza Navona. Meine behandschuhten Hände umklammerten mein Smartphone, auf das ich ungläubig starrte. Der Moment war gekommen, auf den ich fast fünf Jahre gewartet hatte.
„Post von L.“, lautete Chiaras kurze Nachricht.
Langsam hob ich den Kopf und mit einem Schlag drangen die Stadtgeräusche wieder zu mir durch. Ich stieß zittrig eine Atemwolke in die kalte Novemberluft, ließ das Handy in meiner Manteltasche verschwinden und machte mich auf den Weg. An der Haltestelle zögerte ich und entschied mich dann für den Fußweg. Mit dem Bus wäre ich schneller zuhause, aber ich brauchte jetzt Bewegung und einen möglichst klaren Kopf. Die gedankliche Vorbereitung der letzten Jahre hat nicht viel gebracht, merkte ich. Ich fühlte mich wie überfahren und gleichzeitig wie elektrisiert. Als ich mein Viertel erreichte, verfiel ich in einen Laufschritt, bis ich es schließlich nicht mehr aushielt und zu rennen begann. Die kalte Luft stach in meiner Lunge, die Brille hüpfte bei jedem Schritt auf meine Nase und meine Stiefel patschten rücksichtslos durch Regenpfützen.
An der letzten Kreuzung blieb ich atemlos stehen, stemmte die Hände in die Seiten und blinzelte Tränen aus den Augen. Zusammenreißen, ermahnte ich mich.
Tausende Fragen stürzten über mich ein. Ich schluckte.
Ich setzte erst zögernd einen Fuß vom Gehsteig und überquerte dann die Straße. Ich drängte mich gerade zwischen zwei parkenden Autos hindurch, da gab es einen gewaltigen Schlag. So heftig, dass der Boden erzitterte. Sekundenbruchteile später stiegen dunkelgraue Wolken aus einem Hausdach etwa hundert Meter von mir entfernt empor.
Fassungslos starrte ich auf den Qualm, vernahm entfernt entsetzte Schreie. Wie von selbst trugen mich meine Beine auf das Haus zu. Ich ließ meine Tasche fallen, zog meinen Pullover über Mund und Nase, ignorierte die Rufe der Nachbarn und entriss mich den Griffen der Leute.
Zwei Stufen auf einmal nehmend hetzte ich die Treppe hinauf.
„Chiara!“, schrie ich panisch und stürzte durch das Loch, wo noch vor kurzer Zeit unsere Wohnungstür gewesen war.  „Chiara!“


KAPITEL 1
Rom, 2021

Am achten Mai um 10:36 Uhr betrat eine junge Frau mit schwarzen Locken, braunen Augen hinter großen modischen Brillengläsern, in lässigen Jeans und einem grauen Strickpullover die Galleria Comino Galtelli in der Via Funtano. Über der Schulter trug sie einen roten Sportbeutel und auf dem Gesicht ein Lächeln, das nur ihre Lippen umspielte. Sie  reichte der Frau an der Kasse ihren Studierendenausweis und passierte daraufhin ohne Probleme die Sicherheitsschranke. Zielstrebig durchquerte sie das Foyer und wählte die Treppe ins erste Obergeschoss.
Im selben Moment trat ein ungleiches Paar aus dem Gang zu den Toiletten hinaus in den Hauptausstellungssaal. Der Mann im Kapuzenpullover platzierte eine Musikbox auf der Stele neben einer Plastik aus bunten Glasstäben, was im selben Augenblick einen schrillen Alarm lossetzte. Die Frau in einem langen dunkelblauen Kleid begann sich grazil zu der Musik zu bewegen und schwebte zwischen den Kunstwerken umher.
Zwei Minuten später hatte der Sicherheitsangestellte, der heute Fabio vertrat, den Alarm ausgeschaltet und zwei bullige, aber sehr diskrete Wachmänner geleiteten das sich windende Paar hinaus auf die Straße.
Das veranlasste die gerade eingetroffene Besucherin dazu, die Kassiererin in ein Gespräch zu verstricken.
In der Zwischenzeit hatte die Schwarzhaarige den breiten Verbindungsgang im Obergeschoss erreicht. Sie lief nah an der Wand entlang, zog mit einer fließenden Bewegung den Beutel von der Schulter, ließ ihn in einem Putzwagen verschwinden, der im Flur stand und hängte sich sogleich eine identische Tasche ums Handgelenk. Ungerührt trat sie in die menschenleere Sala Nuora, legte den Beutel neben einer Bank ab und entnahm ihm ein Paar Handschuhe und eine Zange. Langsam und vorsichtig hob sie die Glasvitrine an, knipste die vier Drähte an jeder Kante durch, legte den Deckel beiseite und verstaute den Inhalt in mit Stoff ausgelegten Kästchen. Nachdem sie auf dem leeren Sockel eine schwarze Visitenkarte mit weißer Aufschrift hinterlassen hatte, platzierte sie den Deckel wieder, hob ihre Tasche auf und wandte sich gerade zum Gehen, als der Alarm wieder einsetzte. Mit einem Knirschen löste sich das Sicherheitsgitter aus der Decke und sank in Richtung Boden. Fluchend stürzte sie zu dem einzigen sich schließenden Ausgang.
„Moment.“, hielt sie eine Stimme zurück. Sie wirbelte herum und sah sich einer Frau mit verschränkten Armen gegenüber. Sie stand in einer Mischung aus ängstlicher Anspannung und gefährlicher Entspannung neben der leeren Vitrine.
„W…“, ihr blieb das Wort und die anschließende Frage im Hals stecken. Innerlich verfluchte sie Rico aufs Übelste. Aus dem Augenwinkel sah sie wie das Gitter sich mit einem letzten Rucken auf die Steinfliesen senkte. Sie war eingesperrt. Mit einer fremden Frau. Und Schmuckstücken im Wert von etwa 2,4 Millionen Euro.
„Das Sicherheitsteam wird seine Kontrolle im Sala Imperiale beginnen. Sie brauchen ungefähr zwei Minuten bis sie ins Obergeschoss wechseln. Ich weiß, wie wir hier herauskommen. Aber das werde ich dir erst sagen, wenn du meinem Deal zugestimmt hast.“, erklärte ihr die Frau mit mühsam ruhiger Stimme.
Ciocca musterte sie skeptisch. Ihr Gegenüber trug die Uniform einer Museumsangestellten. An ihrer Brusttasche steckte ein Namensschild, das sie aber nicht lesen konnte.
Sie kontrollierte die Uhr an ihrem Handgelenk. 10:52 Uhr. In einer Minute würde Izzet beginnen sich zu fragen, was schiefgegangen war.
„Was für ein Deal?“, fragte sie und unterdrückte das Kratzen in ihrem Hals.
„Ich bin ab jetzt Teil deiner Crew.“
Ciocca lachte freudlos.
„Sicher.“
Die Frau zuckte mit den Schultern, ihr Gesichtsausdruck sagte nichts über sie aus.
„Ich kenne deinen Namen.“
„Ist klar.“, Ciocca schnaubte, wischte sich eine Haarsträhne aus dem Gesicht. Die Panik sandte Gänsehautschauer über ihren Rücken.
„Ciocca Celoya.“, setzte die Frau nach.
Ihr stockte der Atem und sie konnte nicht anders als ihr Gegenüber fassungslos anzustarren. Sie hatte mit einem Flunkern gerechnet, oder wenn diese Dame tatsächlich etwas hatte, mit dem einen oder dem anderen Namen. Aber nicht damit.
Die Gedanken rasten durch ihren Kopf, sie suchte nach Auswegen und Erklärungen und fand auf die Schnelle tatsächlich nur einen.
„Gut. Wie kommen wir hier raus?“
„Danke. Das wirst du nicht bereuen. Ich bin Lisann.“, sie wagte es wirklich Ciocca lächelnd eine Hand entgegenzustrecken, die diese geflissentlich ignorierte.
„Links neben der Tür, hinter dem Hocker befindet sich eine Platte. Dahinter sitzt der Sicherungskasten.“
Ciocca wartete keine Sekunde, riss den Schemel zur Seite, zerrte die Handschuhe ab und krallte ihre Finger hinter die Kante der in derselben Farbe wie die Wand gestrichenen Verkleidung. Mit der Zange durchtrennte sie alle Kabel, die sie in dem Hohlraum fand. Blitzschnell war sie wieder auf den Beinen und packte Lisann am Oberarm.
„Eine falsche Bewegung.“, zischte sie ihr warnend ins Ohr und bedeutete ihr mit einem Wink ihr zu folgen. Gemeinsam stemmten sie das Tor hoch und schlüpften unten durch. Auf der anderen Seite rannte Lisann sogleich los, dicht gefolgt von Ciocca. Sie erreichten das Fluchttreppenhaus im selben Moment wie die Wachmänner das erste Obergeschoss. Ciocca krallte eine Hand in den Blazer ihres neuen Teammitglieds und bugsierte sie auf die andere Seite des Podests.
„Hoch, nicht runter.“, wies sie an und schickte Lisann mit einem Schubs die Stufen hinauf.
Atemlos erreichten sie das oberste Geschoss, wo Ciocca die Tür aufstieß und auf das Dach hinaustrat.
„Was hat so lange gebraucht?“, fragte Izzet sofort ungehalten, gefolgt von einem entsetzten Blick auf Cioccas Begleitung.
„Die gehört jetzt zu uns. Lass sie nicht aus den Augen! Alles andere klären wir nachher.“
„Hast du die Steine?“, wollte Izzet mit einem kritischen Blick auf Lisann wissen.
„Ja, und jetzt weg hier.“


KAPITEL 2

Der schwarze Alpha Romeo hielt mit quietschenden Reifen vor dem prächtigen Gebäude, heraus sprang ein Mann Anfang oder Mitte dreißig, Dreitagebart, schwarze Hose, weißes Hemd, die obersten Knöpfe offen. Ohne seinen zügigen Schritt zu verlangsamen hielt er den beiden Carabinieri seinen Ausweis hin, bückte sich unter der Absperrung hindurch und schritt auf seine Kollegin zu, die bereits im Foyer mit einem aufgeschlagenen Tablet auf ihn wartete.
„Was haben wir?“, fragte er noch bevor er sie erreicht hatte. Mittlerweile hatte sie sich schon so an ihn gewöhnt, dass bei seinem barschen Eintreffen nur noch ihre Augenbrauen zuckten.
„Das gleiche wie immer. Zeugen, die sich an viel erinnern, aber an nichts was uns helfen könnte. Kameraaufnahmen der letzten fünf Minuten in Dauerschleife. Eine Unterbrechung der Laserüberwachung. Eine leere Vitrine.“, sie seufzte müde, „es fehlen drei Ringe und zwei Armbänder. Der Wert wird auf 2,5 Millionen geschätzt.“
Die beiden Ermittler hatten die Sala Nuora erreicht, in der drei Beamte bereits dran waren Spuren zu sichern.
„Buon giorno. Seid ihr schon fündig geworden?“
Auf seine Frage erntete er freudloses Gelächter. Einer der Männer drückte ihm ein Plastiktütchen in die Hand. Darin befand sich eine schwarze Karte, auf der in geradlinigen weißen Buchstaben der Name RIMMALVI prangte. Die bekannteste und meistgesuchte Diebesbande von Italien, gemeinhin nur „die Wölfe“ genannt, hatte erneut zugeschlagen. Am helllichten Tag in einer der bestbesuchten Galerien von Rom.
„Okay.“, er ließ das Fundstück in eine der geöffneten Boxen fallen und wandte sich wieder an seine Kollegin, „und weiter?“
„Den Zeugenaussagen nach können wir vier Bekannte zuordnen. Die Tänzerin, ihr Begleiter im Kapuzenpullover, die Frau, an deren Gesicht sich noch nie jemand erinnern konnte und ein scheinbar neuer Mitarbeiter der Sicherhei…“
„Warte!“, unterbrach er sie, „was ist das hier?“
Er ging neben einem aufgebrochenen Hohlraum in der Wand in die Hocke.
„Der Alarm ging los und die Gitter fuhren runter. Der Dieb hat alle Kabel zerschnitten und konnte so fliehen. Diesmal über die Dächer.“
Ein schelmisches Grinsen breitete sich auf Marc d’Agostinos Gesicht aus. Ungeduldig winkte er einen der Spurensicherer herbei.
„Ich denke, wir haben ihn. Auf der Platte befinden sich Fingerabdrücke.“

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CIPO86
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C

Alter: 37
Beiträge: 183



C
Beitrag20.09.2020 23:21

von CIPO86
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Kompliment, das liest sich für mich sehr gut, auch wenn ich mit Krimis oft wenig anfangen kann (sofern nicht so fein ausgearbeitet wie bei Agatha Christi).
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boerga
Geschlecht:männlichEselsohr

Alter: 51
Beiträge: 331
Wohnort: essen


Beitrag21.09.2020 00:07

von boerga
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Auch ein Kompliment ausgesprochen. Allerdings  NUR für den Inhalt. ÄNDERE bitte das Format des Textes in Überlesbare Din-A-5 (Taschenbuch, etc)

Gruß, börga


_________________
Leser wollen ENTFÜHRT werden ...!
Die Macht des Autors ist die Unwissenheit des Lesers ...
Neugierde ist ein Trieb !
Traue niemals einem Autor wink
Mein Gott, sind wir alle interlektuent ... BOOM !!!
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Luis Vänster
Geschlecht:männlichSchneckenpost

Alter: 25
Beiträge: 11
Wohnort: Norwegen


Beitrag21.09.2020 00:14

von Luis Vänster
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Vielen Dank für die beiden Reaktionen!

@boerga: Entweder ich stehe auf dem Schlauch oder ich bin als Neuankömmling noch etwas verloren: Was bitte meinst du mit deinem Kommentar? wink

LG Luis
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Rodge
Geschlecht:männlichKlammeraffe


Beiträge: 845
Wohnort: Hamburg


Beitrag21.09.2020 08:05

von Rodge
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hmmm, mir geht das alles zu schnell. Wir erfahren nichts über die Personen, der Text bleibt mir emotional fremd, im Grunde ist mir als Leser das Schicksal der Personen egal. Obwohl technisch gut geschrieben, würde ich nicht weiterlesen wollen.
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Stefanie
Reißwolf


Beiträge: 1741



Beitrag21.09.2020 09:32
Re: scheinbar
von Stefanie
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Vom sprachlichen her finde ich es auch gut, auch wenn ich bei den Beschreibungen und sonstigen Adjektiven gewaltig kürzen würde.
Leider bleiben mir die Figuren völlig fremd. Am Anfang rennt eine Person, von der ich nicht einmal weiß, ob es ein Mann oder eine Frau ist, durch die Stadt nach einer mir unbekannten Nachricht und dann knallts.
Was soll mir das sagen? Klar kann man Fragen offenlassen, um Spannung aufzubauen, aber da habe ich überhaupt keine Anknüpfungspunkte und bin irgendwann nur noch genervt.

Im ersten Kapitel Ortsangaben, die nur Romkundigen etwas sagen. Hier wäre ein Hinweis nett, ob es sich um eine Prachtstraße handelt oder was auch immer.
Es werden haufenweise Figuren eingeführt, die mir nichts sagen. Wer ist Fabio? Und wann die ist gerade eingetroffene Besucherin eingetroffen? Die schwarzhaarige Frau ja jemand anders.
Und wie kommt Lisann in den Raum? Es gibt nur einen Ausgang, das heißt, sie muss unbemerkt an Chiara vorbeigegangen sein und sich neben die Vitrine gestellt haben, während die ihre Sachen zusammenpackt. Und wenn Chiara einfach rausgerannt wäre, wäre das Gitter runtergefallen und Lisann dahinter gefangen und somit keine Gefahr mehr für sie.
Für eine professionelle Diebin ist es sehr unprofessionell, die Handschuhe auszuziehen und am Gitter Fingerabdrücke zu hinterlassen.
Und warum lässt sie Lisann nicht einfach nach unten in die Arme der Wachleute laufen? Sie wäre sie los und die wären erstmal beschäftigt.
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silke-k-weiler
Geschlecht:weiblichKlammeraffe

Alter: 49
Beiträge: 750

Das goldene Schiff Der goldene Eisbecher mit Sahne


Beitrag21.09.2020 11:32
Re: scheinbar
von silke-k-weiler
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Moin,

ich konzentriere mich aus Zeitmangel auf den Prolog Embarassed :

Der gefällt mir gut, ich würde defintiv weiterlesen. Eine Person, die ich im Folgenden sicher noch kennenlernen werde, erhält von einer gewissen Chiara die Information, dass Post einer/eines gewissen L. eingetroffen ist. Offenbar wird diese Post erwartet, denn den/die Ich-Erzählerin wühlt die Nachricht ziemlich auf. Zuhause erlebt er/sie aber eine böse Überraschung: Die Wohnung, die er/sie sich mit Chiara teilt, steht in Flammen. Ein Schelm, wer denkt, dies könne evtl. mit der Post zusammenhängen. Insofern weckt das schonmal meine Neugier.

Luis Vänster hat Folgendes geschrieben:
Ich stand wie angewurzelt mitten auf der Piazza Navona. Meine behandschuhten Hände umklammerten mein Smartphone, auf das ich ungläubig starrte. Der Moment war gekommen, auf den ich fast fünf Jahre gewartet hatte.


Mir persönlich tauchen etwas zu viele Possessivpronomen auf. Mein Smartphone -> könnte man streichen, ich gehe nicht davon aus, dass sie das Smartphone einer anderen Person umklammert.

Luis Vänster hat Folgendes geschrieben:
Als ich mein Viertel erreichte, verfiel ich in einen Laufschritt, bis ich es schließlich nicht mehr aushielt und zu rennen begann. Die kalte Luft stach in meiner Lunge, die Brille hüpfte bei jedem Schritt auf meine Nase und meine Stiefel patschten rücksichtslos durch Regenpfützen.


Die kalte Luft stach in meiner Lunge, kommt mir irgendwie falsch vor. Als sei die Luft dort drinnen gefangen. Stach in meine Lunge? Vllt bin ich auch auf dem Holzweg. Aber irgendwie liest es sich komisch. Die Brille hüpfte aber auf meiner Nase. Und die patschenden Stiefel haben etwas Kindliches, da würde ich mir eine andere Formulierung einfallen lassen.

Luis Vänster hat Folgendes geschrieben:
Tausende Fragen stürzten über mich ein.


Tausend Fragen stürzten auf mich ein?

Luis Vänster hat Folgendes geschrieben:
Ich schluckte. Ich setzte erst zögernd einen Fuß vom Gehsteig und überquerte dann die Straße. Ich drängte mich gerade zwischen zwei parkenden Autos hindurch, da gab es einen gewaltigen Schlag.


Hier würde ich die Satzanfänge variieren, sonst haste dreimal "ich".

Sonst sehr angenehm zu lesen. Daumen hoch

Beim Überfliegen des Restes fiel mir eine falsche Zeichensetzung bei wörtlicher Rede ins Auge:

Luis Vänster hat Folgendes geschrieben:


„Moment.“, hielt sie eine Stimme zurück.


Der Punkt hinter Moment hat da nix verloren. Punkt nur, wenn kein Redebegleitsatz folgt, sonst abschließendes Anführungszeichen -> Komma -> Redebegleitsatz. Ausnahme: Ausrufe- und Fragezeichen, die schließen den Satz innerhalb der Anführungszeichen ab, dann Komma, dann Redebegleitsatz. (Wie hier: „Chiara!“, schrie ich panisch)

*klugscheiss.exe off*

Hm, jetzt bin ich gespannt, wie es weitergeht.

VG
Silke
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silke-k-weiler
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Alter: 49
Beiträge: 750

Das goldene Schiff Der goldene Eisbecher mit Sahne


Beitrag21.09.2020 23:13

von silke-k-weiler
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Hallo zurück,

an Kapitel 1 hätte ich dann schon mehr zu bemerken, da geht es mir wie Stefanie. Zunächst, gibt es Alarm lossetzen? Ich würde den Alarm auslösen lassen.
Die gerade eingetroffene Besucherin habe ich mit der Schwarzhaarigen verwechselt und musste mich kurz orientieren, als ich bemerkte, dass das zwei verschiedene Personen sind. Ich bin mir nicht sicher, ob mir der Übergang der Perspektive gefällt. Liest sich ja zuerst neutral, dann rutscht es ins Personale und wir sind an Ciocca dran.
Dass Ciocca sich nach der Stimme umdreht, klingt realistisch. Sie könnte dann ja noch einmal Gas geben und versuchen, den Ausgang zu erreichen.
Kapitel 2 setzt nach dem gleichen Schema ein.  Ein paar äußere Eigenschaften  werden abgearbeitet, bevor mir der Name des Ermittlers relativ unverblümt serviert wird.
Mein Fazit: Der Prolog hat Laune gemacht, die Kapitel sind weiter als eine Skizze, aber ich fände, etwas mehr Substanz täte gut. Ein paar Eindrücke der jeweiligen Orte wären auch gut. Müssen keine architektonischen Abhandlungen sein, aber damit ich ein paar kleine Anhaltspunkte habe, mir das zu visualisieren.
VG
Silke
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Luis Vänster
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Beiträge: 11
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Beitrag22.09.2020 14:14

von Luis Vänster
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Danke danke für die Kritiken!
Ich werde mich da nochmal dransetzen und dem Einstieg ein bisschen mehr persönliche Substanz geben. Ich muss da auch ehrlich zugeben, dass ich mir mit Ciocca (Achtung: Ciocca ist nicht Chiara!) etwas schwer tue...

VG Luis
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Luis Vänster
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Beiträge: 11
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Beitrag23.09.2020 15:54

von Luis Vänster
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KAPITEL 3

„Bist du eigentlich noch ganz bei Trost?!“, fuhr Alasca sie ungehalten an. Immerhin hatten sie ihn soweit beschwichtigen können, dass er Lisann nicht mehr mit seinem guten japanischen Messer bedrohte. Zwar lag es immer noch gefährlich nahe neben einem Haufen gehäckseltem Gemüse, das er wütend malträtiert hatte, aber Alasca lehnte mit rotem Kopf an der gegenüberliegenden Küchenzeile.
„Was hätte ich denn machen sollen?“, brüllte Ciocca, packte ihn am Kragen und zog sein Gesicht an ihres heran.
„Ciocca, bitte. Kommt runter. Beide.“, entschied Izzet, drückte Ciocca auf einen Stuhl und sah auf die Türöffnung, in der bunte Plastikgirlanden den Blick auf die Kammer dahinter verdeckten. Dort wartete Lisann an ein Metallregal gefesselt und monströsen Kopfhörern über den Ohren.
Ciocca holte tief Luft um wieder zu einer Rechtfertigung anzusetzen, aber Vittoria unterbrach sie mit einem Abwinken.
„Es ist, wie es ist. Machen wir das Beste draus.“, sie zuckte mit den Schultern, platzierte eine Gruppe Tassen auf einem Tablett und trat durch die Schwingtür hinaus ins Café. Vittoria war die Inhaberin des Scarpa, wo sie immer zusammen trafen. Unscheinbar präsentierte es sich mit einer kleinen Anzahl runder Tischchen in einer ruhigen Seitenstraße. Die Küche war grundsätzlich von Alasca in Beschlag, der dort außergewöhnliche Essenskreationen zauberte, wenn er nicht gerade auf einem seiner Streifzüge war. In den beiden Hinterzimmern hatten sie eine Werkstatt und einen Besprechungsraum eingerichtet, deren Ausstattungen alles seinesgleichen übertrumpfen konnten.
Ciocca stand kopfschüttelnd wieder auf. Im Nebenraum zog sie sich die juckende Perücke vom Kopf und verstaute sie zusammen mit der Brille in einer Kiste unter dem Tisch. Konzentriert lehnte sie sich gegen das Waschbecken, entfernte die braunen Kontaktlinsen und wischte sich das Make-Up aus dem Gesicht. Aus dem verschmierten Spiegel blickte ihr eine junge Frau mit wachen grünen Augen, dunkelblonden kinnlangen Haaren und einer tiefen Sorgenfalte auf der Stirn entgegen.
„Wo habt ihr eigentlich Milly und Rico gelassen?“, wollte Vittoria wissen, die mit einer Ladung schmutzigem Geschirr zurückgekommen war und diese in der Spüle versenkte.
„Rico muss heute früher arbeiten und Milly hat eine Probe.“, murmelte Alasca ungeduldig und traktierte Ciocca wieder mit funkelnden Blicken, „was, wenn sie eine verdeckte Ermittlerin ist?“
Ciocca stieß einen tiefen Seufzer aus und nahm dankbar das dickbelegte Focaccia entgegen, das Izzet ihr reichte.
„Rico hat sie untersucht, sie hatte keinen Sender oder irgendein anderes Abhörgerät bei sich. Noch nicht einmal ein Handy. Er hat sie durchs Portal gejagt und es kam genau das heraus, was sie uns erzählt hat. Sie heißt Lisann Verga, ist dreißig Jahre alt, aufgewachsen im Pigneto und jetzt wohnt sie in einer winzigen Wohnung in Trastevere. Sie hat Geschichte studiert, ihr Fachgebiet umfasst alles, was mit der Renaissance zu tun hat. Deswegen arbeitet sie auch als Expertin in der Nationalgalerie und berät diverse Bibliotheken. Sie behauptet, sie könnte von großem Nutzen für uns sein.“
Alasca schnaubte, aber Ciocca sprach schon weiter.
„Wenn sie von der Polizei wäre, hätte sie uns hochgehen lassen können. Die Wölfe auf frischer Tat ertappt. Wieso hätte sie so eine Chance verstreichen lassen sollen? Außerdem kennt sie meinen richtigen Namen. Hätten die Ermittler diese Information, wären wir schon längst nicht mehr hier.“
Der Gedanke jagte ihr trotzdem Schauer über den Rücken. Alles würde auseinanderfallen. Alles, was sie sich in den letzten Jahren erarbeitet hatten. Und es wäre ihr Fehler. Wie hatte das passieren können? Wie war sie so leichtsinnig sein können? So etwas war ihr noch nie unterlaufen. Und das durfte es auch nie wieder.
„Also gut. Mal angenommen, sie ist nicht von der Polizei. Dann bedeutet das aber trotzdem, dass wir ein Problem haben. Sie hat uns gefunden und sie kennt deinen Namen. Wie auch immer sie das vollbracht hat. Wir haben ein Leck, wir sind unvorsichtig geworden.“, kopfschüttelnd räumte Vittoria Gläser ins Regal. Ciocca sah auf ihr Handy, fluchte leise und verschwand wieder im Besprechungsraum, wo sie ihre Sachen in einen schwarzen Rucksack stopfte.
„Ich bin spät dran. Wir unterziehen sie einem Test. Alasca, auf der Werkbank hat Rico einen Zettel hinterlassen. Das könnte ein Auftrag für sie sein. Sie soll das allein durchziehen und du folgst ihr dabei auf Schritt und Tritt. Wenn sie das packt, sehen wir weiter. Ich überlege mir was. Vittoria, wie sieht es mit dem Käufer für das Zeug von heute aus?“
„Der kommt in einer Stunde.“
„Perfekt. Izzet, was hast du vor?“
Er schluckte hastig den letzten Bissen seines schnell heruntergeschlungenen Mittagessens herunter.
„Ich mache mich gleich auf den Weg nach Zürich. Morgen Nachmittag bin ich wieder da. Und ich bringe Londay mit.“, er grinste schief und es war nicht auszumachen, ob er erfreut oder genervt war. Izzet warf einen kurzen kontrollierenden Blick auf Ciocca, aber die schien zu ignorieren, wessen Namen er gerade erwähnt hatte.
„Gut, Leute. Der Fall war verbesserungswürdig, aber wir haben es geschafft. Wir sehen uns.“, hastig drängte sie sich durch die Schwingtür, setzte sich im Laufen den Helm auf und bretterte mit ihrer Vespa in den nachmittäglichen Verkehr.


KAPITEL 4


Wenn Ciocca Celoya nicht gerade mit ihrer Crew im Scarpa sitzt oder Kunstgalerien ausraubt, dann ist sie Eliza Moret.
Eliza ist 24 Jahre alt und eine begabte aber unterschätzte Redakteurin. Mit einem gelassenen Schulterzucken nimmt sie die Schichten an, die ihre Kollegen verschmähen. In einem alten Gemäuer, wo es immer muffig riecht, selbst wenn man dauerlüftet, verbringt sie stundenlang Zeit vertieft in hin gekritzelte Notizen und Berichte voller Rechtschreibfehler. Daraus lässt sie mit Leichtigkeit kompakte Artikel entstehen und erntet trotzdem neben einem anerkennenden Nicken ihres Chefs nur ein lausiges Volontariatsgehalt. Das kümmert Eliza aber herzlich wenig, weil sie andere Mittel hat um Geld zu verdienen und dieser Job nur dazu da ist, den Schein zu wahren. Davon haben ihre Kollegen zwar definitiv keine Ahnung, aber sie beneiden sie um ihre entspannte Einstellung. Über Elizas Lippen ist noch keine einzige Beschwerde gekommen. Die neugierigen Blicke ignoriert sie gekonnt. Sie weiß, dass sie häufig unnahbar und vielleicht auch etwas arrogant wirkt. Stets mit einem Lächeln auf dem konzentrierten Gesicht, freundlicher Small Talk, aber eben niemals mehr.
Mit fünf Minuten Verspätung huschte sie über den staubigen Terrakottaboden, ließ sich auf ihren Stuhl fallen und verschwand genau in dem Moment hinter dem großen Bildschirm, als ihr Chef um die Ecke kam. Ohne Kommentar warf er ihr einige Mappen auf den schon erheblich hohen Stapel, der dabei verdächtig ins Schwanken geriet. Ciocca steckte sich die kurzen Haarsträhnen hinters Ohr und klappte die erste Akte auf. Bis auf einen gelben Haftzettel war sie leer. Lena aus der Schicht vor ihr hatte darauf vermerkt, dass sie demnächst einen Anruf ihres Informanten bei der Polizei erwarten könnte. Die RIMMALVI hatten wieder zugeschlagen.
Cioccas Herzschlag beschleunigte sich schlagartig, sie drängte den Kloß in ihrem Hals zurück und griff nach der nächsten Mappe. Sie war jedes Mal einem Schock nahe, wenn sie den Namen ihrer Gruppe entdeckte. Und zugleich platzte sie beinahe vor Stolz. Ihr breites Grinsen versteckte sie hinter einem Ausdruck mit Infos über wiederholte Tierquälerei.
Sie widmete sich dem Bericht über verstümmelte Katzen. Mit jeder Minute wich mehr Farbe aus ihrem Gesicht, sie fror und ihr wurde übel, was nicht nur mit dem Thema zu tun hatte. Mit einem Mal war sie sich überhaupt nicht mehr sicher, ob Lisann nicht doch eine Ermittlerin war. Wider jeder Logik erwartete sie jederzeit eine schwerbewaffnete Truppe das Büro stürmen.
Ciocca hatte schon einige Zeit blicklos auf das geöffnete Textdokument geschaut, als das Klingeln des Telefons sie aus der Starre riss. Hastig nahm sie einen Schluck Wasser und meldete sich mit: „Gazzetta dell’Ombra. Sie sprechen mit Eliza Moret.“
„Ida ist aufgeflogen.“
Ihr blieb die Luft weg. Sie hatte keine Ahnung, wie lange sie schockiert stumm geblieben war, bis sie mit kläglicher Stimme eine Frage zustande brachte.
„Wie bitte?“
„Du hast mich schon richtig verstanden.“
Schweigen. Was sollte sie darauf sagen? Ein unhaltbarer Wirbelsturm raste durch ihren Kopf und machte es ihr unmöglich auch nur einen einzigen klaren Gedanken zu fassen.
„In der Galleria Comino Galtelli wurden Fingerabdrücke gefunden. Sie konnten einer gewissen Ida Benedetto zugewiesen werden. Und niemand weiß besser als du, wer das ist und was das bedeutet.“, erklärte ihr die tiefe Stimme am anderen Ende der Leitung.
„Nein, ich verstehe nur Bahnhof.“, versuchte sie es. Und dann passierte es zum zweiten Mal an diesem Tag. Eine fremde Person nannte ihren richtigen Namen.
„Ciocca, bitte. Überspringen wir das. Dein Deckname ist enttarnt.“
„Scheiße!“, rutschte es Ciocca heraus. Vier Augenpaare richteten sich gespannt auf sie. Mehr als eine Grimasse brachte sie nicht zustande. Mit butterweichen Beinen stand sie auf, trat auf den schmalen Balkon hinaus und zog die Tür hinter sich zu.
„Ja, so könnte man es auch sagen. Ich habe einen Auftrag für dich.“
Ciocca wartete voller Panik, aber der Anrufer redete nicht weiter.
„Wer bist du?“, fragte sie also atemlos.
„Du kannst mich Nunzio nennen. Nunzio, der Bote. Erfüllst du den Auftrag, den ich dir gebe, werden die Informationen und alle Beweise, die die Polizei hat, spurlos verschwinden.“
„Woher soll ich wissen, dass du mich nicht verarschst?“
„Das, Ciocca, nennt man blindes Vertrauen.“
Fassungslos legte sie den Kopf in den Nacken und sah hinauf zu den Tauben, die gurrend über die Dachkante stolzierten. Ein weiterer Deal mit einem Fremden, der ihr auch nur leere Versprechen und Lügen auftischen konnte.
„Ich nehme an, du hast jetzt erst einmal einige Dinge zu klären. Ich will dich nicht aufhalten. Morgen früh um sieben Uhr, Viale degli Ippocastani auf dem Pincio, bei der Büste von Mastro Giorgio. Viel Glück.“, und die Verbindung wurde unterbrochen.
Viel Glück? War das sein verdammter Ernst?
Voller Entsetzen und ziemlich ermattet lief Ciocca zurück an ihren Schreibtisch, kritzelte hektisch die genannte Adresse in ihren Notizblock, griff nach dem Rucksack, murmelte ihren Kollegen irgendetwas wegen eines Problems in der Familie zu und verließ wie mechanisch das Büro.
Unten angelangt lehnte sie sich mit geschlossenen Augen gegen die kühle Steinfassade und versuchte ihren Atem und Herzschlag unter Kontrolle zu bekommen.
Wie zum Henker hatte sie so dämlich sein können? Eigentlich hatte sie sich für professionell gehalten. Und dann übersah sie die beiden schmalen Beine hinter dem mattweißen Sichtschutz vor dem Fenster und wurde von Lisann auf frischer Tat ertappt. Als wäre das nicht schon unvorsichtig genug gewesen, hatte sie auch noch die Handschuhe ausgezogen!
Ja, ihre Raubzüge kamen ihr manchmal wie ein Spiel vor und sie hatte sich eventuell so in die ausgeklügelten Sicherheiten gewägt, dass sie sich selbst in dem Glauben wiegte, fehlerfrei und ohne Risiko zu handeln. Doch jetzt war sie eines Besseren belehrt worden. Der Preis brachte alles zum Schwanken und sie schlitterte über verdammt dünnes Eis von einer schrägen Situation in den nächsten unmöglichen Zufall.
Der Tag war einfach nur furchtbar.
Nach einem schnellen Rundumblick wühlte sie ein Handy aus den Tiefen ihrer Tasche und tippte im Gehen seine Nummer ein. Mit schweißnassen Händen presste sie das alte Teil ans Ohr. Nach dem zweiten Klingeln wurde sie weggedrückt. Sie seufzte und wählte erneut. Diesmal ließ er es läuten bis die Mailbox ansprang. Wahrscheinlich hatte er sie auf lautlos gestellt. Jetzt fluchte sie ungehalten und probierte es ein weiteres Mal. Nach dem ersten Freizeichen meldete er sich.
„Ich sitze in der Vorlesung.“
„Ich weiß, Matteo. Verdammte Kacke! Heute geht alles schief! Ich drehe hier durch!“
„Hey, ganz ruhig. Was ist los?“, seine gelassene Stimme, die sie sonst immer beruhigte, brachte sie nur noch mehr in Rage.
„Ich habe Ida verloren. Die Polizei hat Fingerabdrücke in der Galerie gefunden, das ist los!“
„Das ist nicht gut.“, murmelte er nachdenklich.
„Nicht gut? Willst du mich verarschen? Das ist eine Katastrophe!“
Matteo lachte tatsächlich.
„Also eine Katastrophe würde ich das nicht gerade nennen. Die Polizei wird erstmal so ihre Mühe haben. Wollte Izzet nicht nach Zürich? Ich rufe ihn an. Er soll einen Zwischenstopp in Mailand machen.“
„Mailand?“, wiederholte Ciocca verständnislos.
„Mailand.“, bestätigte Matteo, „Rico hat Ida einen ganz netten Rattenschwanz verpasst. Und auch wenn der Überfall heute Vormittag nicht wasserdicht war, der Rattenschwanz ist es.“
Ciocca strich sich über die Stirn und seufzte tief.
„Jetzt geh wieder arbeiten. Eliza wird bestimmt schon vermisst. Bis heute Abend.“


KAPITEL 5

Marc d’Agostino saß verkehrtherum auf einem Stuhl im großen Besprechungsraum. Draußen vor der Glastür veranstaltete seine Vorgesetzte ein riesen Gezeter, das zur Folge haben sollte, eine Gruppe Kommissare in Mailand zu mobilisieren.
Er strich sich übers Kinn und betrachtete das Sammelsurium auf dem Tisch.
Die schwarze Visitenkarte. Phantombilder, wobei sich diese von Zeuge zu Zeuge stark unterschieden. Eine Zusammenfassung der kläglichen Erkenntnisse aus den vorangegangenen Überfällen. Ein Blatt mit den gefundenen Fingerabdrücken.
Sein Blick wanderte weiter auf die Wandbildschirme. Das anfängliche Hochgefühl hatte sich mittlerweile eingestellt. Beim Anblick des Frauenportraits durchzuckte ihn nur noch ein missmutiges Kribbeln.
Er war beinahe hintenüber gekippt, als die Übereinstimmung in der Datenbank angezeigt worden war. Die Spuren stimmten mit einer Person überein, die aktenkundig war.
Sie hieß Ida Benedetto, war 26 Jahre alt und lebte in Mailand. Sie studierte Möbeldesign, war eine leidenschaftliche Bogenschützin und rege aktiv in den Sozialen Medien. Vor eineinhalb Jahren war sie wegen Behinderung einer Amtshandlung der Guardia di Finanza zu einer geringen Geldstrafe verurteilt worden. Allerdings war sie die Hauptverdächtige bei drei Kunstdiebstählen in Mailand, Vicenza und Venedig gewesen. Die Ermittlungen waren wegen Mangel an Beweisen im Oktober letzten Jahres eingestellt worden. Marc hatte die Akten der Fälle durchstöbert und darin nach Hinweisen auf die RIMMALVI gesucht. Vergeblich.
Und das machte ihn stutzig. Die Wölfe hinterließen immer eine Nachricht, so wie heute die Visitenkarte. Manchmal war es auch ein Graffito, eine Postkarte oder ein Stempel.
Seine Vermutung war, dass Ida Benedetto die Raube in Norditalien allein begangen hatte und erst letztens zu den Wölfen hinzugestoßen war. Das würde auch ihren Leichtsinn erklären, sich zugleich preisgegeben zu haben. So unvorsichtig arbeiteten die RIMMALVI nicht. Das wäre zwar schön gewesen, aber er hatte da so seine Zweifel. Die Crew war zu gut für solche Fehler.
Angestrengt betrachtete er Idas Foto. Feine Züge, eine kleine gerade Nase, Sommersprossen, geschwungene Lippen, dichte Augenbrauen, helle blaue Augen, eine hohe Stirn, lange glatte dunkelbraune Haare. Sie war ganz hübsch, hatte aber keine markante Ausstrahlung oder außergewöhnliche Merkmale. Sie wirkte unschuldig und erregte sicherlich nicht allzu viel Aufsehen. Entweder sie war tatsächlich so oder sie nutzte genau diesen Eindruck zu ihrem Zweck.
Mit schwindender Konzentration klickte Marc sich durch ihre Accounts auf den sozialen Plattformen. Er wollte das Tablet gerade wieder beiseitelegen, als ein roter Ring um das Profilbild seine Aufmerksamkeit erregte. Verblüfft öffnete er ihre vor wenigen Sekunden gepostete Instagram-Story. Perplex verfolgte er das wacklige Video, auf dem Ida mit einem Schmollmund hinter sich auf eine Anzeigetafel zeigte. In Regenbogenfarben flimmerte der Schriftzug „I love trenitalia!“ durchs Bild.
Nein, das hier war keine falsche Fährte. Die junge Frau wiegte sich lediglich in Sicherheit und war mehr als leichtsinnig. Die Wölfe hatten die unfähigste Diebin aller Zeiten rekrutiert und das war sein unfassbares Glück.
Ruckartig sprang er auf, der Stuhl flog scheppernd gegen die Wand und Marc stürmte aus dem Raum.
„Tabea!“, rief er seiner Chefin hinterher, die auf dem Weg in ihr Büro war, „ich weiß, wo Ida ist! Sie wartet in Roma Termini auf einen Zug nach Milano Centrale. Er hat zehn Minuten Verspätung. Wenn wir uns beeilen, haben wir sie, bevor er abfährt.“

Er parkte sein Auto in der Taxispur in zweiter Reihe, rannte durch einen der breiten Eingänge, hielt kurz inne um sich zu orientieren und sprintete dann weiter durch die Halle. Im Zickzack umrundete er Menschengruppen, wich geschickt verlorenen Touristen aus und rempelte verwirrte Senioren an, bis er schließlich an die Treppe hinunter zu Gleis 8 gelangte. Frustriert trudelte er aus. Der Zug rauschte soeben unter der Bahnhofshalle hinaus in die warme italienische Nachmittagssonne. Er kam zu spät. Fluchend schlug er eine Faust aufs Geländer. So verdammt knapp. Langsam trabte Marc die Stufen hinab auf den menschenleeren Bahnsteig. Um, unten angekommen, sogleich wie angewurzelt stehen zu bleiben. Die Anzeigetafel, unter der noch vor wenigen Minuten Ida das Video aufgenommen hatte, wies nicht den nachfolgenden Zug aus, sondern präsentierte ihm acht Buchstaben.
RIMMALVI

Marc lehnte die ihm angebotene Pizza aus einem der aufgeklappten Kartons ab. Er würde keinen Bissen runter bringen.
So bloßgestellt hatte er sich zuletzt gefühlt, als ihm seine Freundin offenbart hatte mit seinem besten Freund schon seit drei Monaten eine Affäre zu haben.
Die murmelnden Gespräche verstummten, als Tabea ausgestattet mit einem Headset den Raum betrat.
„Die Mailänder Kollegen sind jetzt vor Ort in Benedettos Wohnung. Sie werden jedes Blatt umdrehen und sie dann freundlich erwarten, wenn sie mit dem Zug aus Rom ankommt.“, sie schenkte ihm ein Augenzwinkern. Er verzog keine Miene. Marc bezweifelte, dass jemals eine Ida Benedetto in dieser Wohnung auftauchen würde. Erschöpft schwang er auf seinem Drehstuhl herum und blickte aus dem Fenster. Draußen senkte sich der Abend auf die beleuchtete Stadt.
Marc erinnerte sich noch genau an den grauen Tag vor drei Jahren als er das erste Mal gegen die Wölfe ermittelt hatte. Der Fall, zu dem er gerufen wurde, hatte nicht spektakulär geklungen, war aber der Auftakt zu einem fundamentalen Raubzug durch die gesamte Hauptstadt. Ohne erkennbares Muster und ohne Ansatzpunkte präsentierte die Gruppe leergeräumte Tresore, zerschlagene Vitrinen und statt den Originalen zurückgelassene gefälschte Kunstwerke.
„Marc!“, riss ihn Tabea aus seinen Gedanken. Sie nahm das Headset ab und legte stattdessen ihr Handy auf den Tisch. Per Lautsprecher verkündete einer der Ermittler, dass sie etwas gefunden hatten.
„Es ist ein Umschlag unter einem Stapel Bücher über Möbeldesign. Ich mache ihn jetzt auf.“, man vernahm dumpfe Geräusche und dann war der Mann wieder am Telefon, „Tabea, hören Sie mich? Darin war eine Karte. Hier steht… Moment. Was ist das denn für ein Schwachsinn. Pecorella smarrita? Verlorenes Schaf? Sagt Ihnen das etwas?“
Tabea und Marc tauschten einen genervten Blick aus. Seine Chefin schnappte sich ihr Handy und verschwand hinaus auf den Flur. Marc stand wortlos auf, griff nach seiner Lederjacke und verließ das Präsidium.
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silke-k-weiler
Geschlecht:weiblichKlammeraffe

Alter: 49
Beiträge: 750

Das goldene Schiff Der goldene Eisbecher mit Sahne


Beitrag28.09.2020 22:25

von silke-k-weiler
Antworten mit Zitat

Hallo,

ich mach mal mit Kapitel 3 weiter:

Luis Vänster hat Folgendes geschrieben:
KAPITEL 3
„Bist du eigentlich noch ganz bei Trost?!“, fuhr Alasca sie ungehalten an.


ungehalten - könnte man streichen, sein momentaner Gemütszustand geht aus der Formulierung recht eindeutig hervor.

Luis Vänster hat Folgendes geschrieben:
Immerhin hatten sie ihn soweit beschwichtigen können, dass er Lisann nicht mehr mit seinem guten japanischen Messer bedrohte. Zwar lag es immer noch gefährlich nahe neben einem Haufen gehäckseltem Gemüse, das er wütend malträtiert hatte, aber Alasca lehnte mit rotem Kopf an der gegenüberliegenden Küchenzeile.


Das mit dem "guten japanischen Messer" fand ich amüsant, hat mich an Omas "gutes Gemüsemesser" erinnert. Aber warum "noch immer gefährlich nah am Gemüse"? Schlimmer wäre es, wenn es sich gefährlich nah an Lisanns Hals o.ä. befände.

Vllt könnte man schreiben, dass er ersatzweise das Gemüse zerhäckselt hat.
So liest es sich, als könne Alasca jeden Moment austicken und erneut besinnungslos auf die wehrlose Rohkost einhacken.

Luis Vänster hat Folgendes geschrieben:
„Ciocca, bitte. Kommt runter. Beide.“(KEIN PUNKT!), entschied Izzet,


Luis Vänster hat Folgendes geschrieben:
Dort wartete Lisann an ein Metallregal gefesselt und monströsen Kopfhörern über den Ohren.


Der Satz erscheint mir unvollständig, evtl. "mit monströsen Kopfhörern über den Ohren" oder "monströse Kopfhörer über die Ohren gestülpt"

Luis Vänster hat Folgendes geschrieben:
Ciocca holte tief Luft (KOMMA) um wieder zu einer Rechtfertigung anzusetzen, aber Vittoria unterbrach sie mit einem Abwinken.


Vittoria ... eine neue Person, die dazukommt. Izzet kennen wir von eben, hm, dennoch verliere ich langsam den Überblick. Irgendwie würde ich mir die alle auch gerne vorstellen können.

Luis Vänster hat Folgendes geschrieben:
„Es ist, wie es ist. Machen wir das Beste draus.“,(KEIN KOMMA, GROß WEITER!) sie zuckte mit den Schultern, platzierte eine Gruppe Tassen auf einem Tablett und trat durch die Schwingtür hinaus ins Café. Vittoria war die Inhaberin des Scarpa, wo sie immer zusammen trafen.


In Rufnähe zum Café ist Lisann angekettet? Von ihrem Standort aus scheint sie von der Gruppe ja gesehen werden zu können. Warum ist sie nicht auch noch geknebelt?

Luis Vänster hat Folgendes geschrieben:
In den beiden Hinterzimmern hatten sie eine Werkstatt und einen Besprechungsraum eingerichtet, deren Ausstattungen alles seinesgleichen übertrumpfen konnten.


Unter dieser besonderen Ausstattung kann ich mir leider nichts vorstellen, weil Du mich als Leser nicht einweihst. Crying or Very sad

Luis Vänster hat Folgendes geschrieben:
Aus dem verschmierten Spiegel blickte ihr eine junge Frau mit wachen grünen Augen, dunkelblonden kinnlangen Haaren und einer tiefen Sorgenfalte auf der Stirn entgegen.


Der berühmte Spiegelblick Wink  aber jetzt kann ich mir Ciocca ganz gut vorstellen. Und durch das Abschminken ist es ganz gut gelöst.

Luis Vänster hat Folgendes geschrieben:
Wie war sie so leichtsinnig sein können?


hatte leichtsinnig sein können

Luis Vänster hat Folgendes geschrieben:
„Ich bin spät dran. Wir unterziehen sie einem Test. Alasca, auf der Werkbank hat Rico einen Zettel hinterlassen. Das könnte ein Auftrag für sie sein. Sie soll das allein durchziehen und du folgst ihr dabei auf Schritt und Tritt. Wenn sie das packt, sehen wir weiter.


Ich weiß nicht. Da platzt eine Fremde mitten in den Coup einer legendären Diebesbande, die haben keine Ahnung, was die vorhat, wollen sie aber testweise einen Auftrag durchziehen lassen, sie dabei aber nur "auf Schritt und Tritt" verfolgen? Das erscheint mir ein wenig blauäugig.

Luis Vänster hat Folgendes geschrieben:
Er schluckte hastig den letzten Bissen seines schnell heruntergeschlungenen Mittagessens herunter.


Könnte man kürzen auf: Izzet schlang bereits/soeben den letzten Bissen seines Mittagessens herunter.

Oder in einen Dialog einbauen: "Oh Izzet, schling doch nicht so. Nachher liegst du uns wieder wegen deinem Sodbrennen in den Ohren."

Luis Vänster hat Folgendes geschrieben:
„Gut, Leute. Der Fall war verbesserungswürdig, aber wir haben es geschafft.


Ach, das finde ich gut. Die sind tiefenentspannt, die mag ich. Naja, vllt doch ein wenig zu tiefenentspannt. Interessiert niemanden, wer das Leck sein könnte? Wie Lisann an Cioccas Name gekommen ist? Leute??

Luis Vänster hat Folgendes geschrieben:
und bretterte mit ihrer Vespa in den nachmittäglichen Verkehr.


Die Vespa versöhnt mich!

Ach, komm, noch Kapitel 4:

Luis Vänster hat Folgendes geschrieben:
Wenn Ciocca Celoya nicht gerade mit ihrer Crew im Scarpa sitzt oder Kunstgalerien ausraubt, dann ist sie Eliza Moret.
(...)Sie weiß, dass sie häufig unnahbar und vielleicht auch etwas arrogant wirkt. Stets mit einem Lächeln auf dem konzentrierten Gesicht, freundlicher Small Talk, aber eben niemals mehr.


Achtung, hier spricht Edgar Wallace! Lieber Erzähler, ich bin für alles offen, mir selbst aber noch nicht so sicher, ob ich diese Art des "Briefings" mag. Nein, eigentlich weiß ich, dass ich es nicht mag. Aber es ist Dein Text.

Luis Vänster hat Folgendes geschrieben:
Mit einem Mal war sie sich überhaupt nicht mehr sicher, ob Lisann nicht doch eine Ermittlerin war.


Endlich kommen die Zweifel. Ich hoffe, Lisann ist noch an das Metallregal gekettet.

Luis Vänster hat Folgendes geschrieben:
Ein unhaltbarer Wirbelsturm raste durch ihren Kopf und machte es ihr unmöglich auch nur einen einzigen klaren Gedanken zu fassen.


Ein Wirbelsturm ist in der Regel unhaltbar, ich würde den Satz umändern.

Luis Vänster hat Folgendes geschrieben:
„Nein, ich verstehe nur Bahnhof.“, versuchte sie es. Und dann passierte es zum zweiten Mal an diesem Tag. Eine fremde Person nannte ihren richtigen Namen.


Ach, die kennt den Anrufer gar nicht? Das hätte ich gerne vorher gewusst. Ich dachte, da wäre Izzet oder ein anderes Bandenmitglied dran.
Und Ciocca ist Ida? Woher kommt jetzt dieser Name? Ich bin verwirrt.

Luis Vänster hat Folgendes geschrieben:
Fassungslos legte sie den Kopf in den Nacken und sah hinauf zu den Tauben, die gurrend über die Dachkante stolzierten. Ein weiterer Deal mit einem Fremden, der ihr auch nur leere Versprechen und Lügen auftischen konnte.


So ist es. Eine Option wäre Leugnen? Auflegen? Ich würde nicht direkt einknicken.

Luis Vänster hat Folgendes geschrieben:
Ja, ihre Raubzüge kamen ihr manchmal wie ein Spiel vor und sie hatte sich eventuell so in die ausgeklügelten Sicherheiten gewägt, dass sie sich selbst in dem Glauben wiegte, fehlerfrei und ohne Risiko zu handeln.


Diesen "eventuell"-Satz würde ich umkrempeln. Und ihre Situation erscheint mir doch wesentlich dramatischer. Einen Schuss mehr Panik bitte. Vllt rennt sie so kopflos aus dem Büro, dass sie fast auf die Straße unter einen Bus läuft, da gibt es mannigfache Möglichkeiten.

Luis Vänster hat Folgendes geschrieben:
Doch jetzt war sie eines Besseren belehrt worden. Der Preis brachte alles zum Schwanken und sie schlitterte über verdammt dünnes Eis von einer schrägen Situation in den nächsten unmöglichen Zufall.


 Wink

Luis Vänster hat Folgendes geschrieben:
Der Tag war einfach nur furchtbar.


Sie ist aufgeflogen! Der Tag ist nicht nur furchtbar und lässt sich mit einem Gläschen Amaretto wieder ins Lot bringen.

Luis Vänster hat Folgendes geschrieben:
„Ich weiß, Matteo. Verdammte Kacke! Heute geht alles schief! Ich drehe hier durch!“


Wer ist Matteo?

Hm, ich bleibe dabei, sie mag zwar mehrere Identitäten haben, aber wenn Ida aufgeflogen ist und der Unbekannte am Telefon sie Ciocca nennt, ist Ciocca auch aufgeflogen, oder? Sie reagiert mir da noch zu "unpanisch", vor allem nach der Sache mit Lisann.

Sollte ein hilfreicher Kommentar dabeigewesen sein, nimm ihn Dir. Ich denke, die Geschichte hat Potential, aber mir fehlt noch das Fleisch, durch das sie lebendig wird.

Bitte auf jeden Fall die Zeichensetzung bei wörtlicher Rede prüfen.

Viele Grüße und frohes Schaffen
Silke
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Bildersturm
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B

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B
Beitrag29.09.2020 15:37

von Bildersturm
Antworten mit Zitat

Hallo,

ohne jetzt auf den aktuellen Inhalt einzugehen oder Details herauszugreifen, hat mich eigentlich nur eins an dem Text extrem abgeschreckt, weil es so auffällig ist: die geradezu irrsinnige Anhäufung von Inquits. Das liest sich extrem schwer, weil es auf Teufel komm raus anders sein möchte, dabei zeigen ja einige unbegleitete Dialogpassagen, dass du durchaus auch auf diese Art eine klassische Dynamik in den Text bekommst. Fast ein bisschen absurd wirkt die Inquit-Menge, wenn du eine ganze Menge Dialogsätze dahingehend verbiegst, dass du einen darauf folgenden Hauptsatz im Aktionstext einfach via Komma einleitest, wenn dir kein noch nicht verwendetes Verb einfällt. Wink

Also, nur Mut zur Reduktion, damit entschlackst du deinen Text und machst ihn zu einer wirklich runden Angelegenheit.
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Luis Vänster
Geschlecht:männlichSchneckenpost

Alter: 25
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Wohnort: Norwegen


Beitrag05.10.2020 20:56

von Luis Vänster
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PROLOG

Rom, 2014

Ich stand wie angewurzelt mitten auf der Piazza Navona. Meine behandschuhten Hände umklammerten das Smartphone, auf das ich ungläubig starrte. Der Moment war gekommen, auf den ich fast fünf Jahre gewartet hatte.
„Post von L.“, lautete Chiaras kurze Nachricht.
Langsam hob ich den Kopf und mit einem Schlag drangen die Stadtgeräusche wieder zu mir durch. Ich stieß zittrig eine Atemwolke in die kalte Novemberluft, ließ das Handy in meiner Manteltasche verschwinden und machte mich auf den Weg. An der Haltestelle zögerte ich und entschied mich dann für den Fußweg. Mit dem Bus wäre ich schneller zuhause, aber ich brauchte jetzt Bewegung und einen möglichst klaren Kopf. Die gedankliche Vorbereitung der letzten Jahre hat nicht viel gebracht, merkte ich. Ich fühlte mich wie überfahren und gleichzeitig wie elektrisiert. Als ich mein Viertel erreichte, verfiel ich in Laufschritt, bis ich es schließlich nicht mehr aushielt und zu rennen begann. Die kalte Luft stach in meiner Lunge, die Brille hüpfte bei jedem Schritt auf der Nase und meine Stiefel klatschten rücksichtslos durch Regenpfützen.
An der letzten Kreuzung blieb ich atemlos stehen, stemmte die Hände in die Seiten und blinzelte Tränen aus den Augen. Zusammenreißen, ermahnte ich mich.
Tausende Fragen stürzten auf mich ein. Ich schluckte.
Zögernd setzte ich erst einen Fuß vom Gehsteig und überquerte dann die Straße. Ich drängte mich gerade zwischen zwei parkenden Autos hindurch, da gab es einen gewaltigen Schlag. So heftig, dass der Boden erzitterte. Sekundenbruchteile später stiegen dunkelgraue Wolken aus einem Hausdach etwa hundert Meter von mir entfernt empor.
Fassungslos starrte ich auf den Qualm, vernahm entfernt entsetzte Schreie. Wie von selbst trugen mich meine Beine auf das Haus zu. Ich ließ meine Tasche fallen, zog meinen Pullover über Mund und Nase, ignorierte die Rufe der Nachbarn und entriss mich den Griffen der Leute.
Zwei Stufen auf einmal nehmend hetzte ich die Treppe hinauf.
„Chiara!“, schrie ich panisch und stürzte durch das Loch, wo noch vor kurzer Zeit unsere Wohnungstür gewesen war.  „Chiara!“


KAPITEL 1

Rom, 2021

Die Maisonne erhob sich langsam aber stetig über die roten Hausdächer und tauchte alles in ein sanftes bläulich getöntes Licht. Die Stadt schlummerte noch träge, nur eine Katze mit tränenden Augen hetzte geduckt über den Gehsteig. Die Straße war wie leergefegt, der nächtliche Wind hatte den achtlos fallen gelassenen Müll an die Kanten geweht. Zwei Tauben zankten sich um den Inhalt einer Plastikbox.
Vor einem alten Palazzo saß eine Frau, die Arme um die angezogenen Knie geschlungen und das Kinn darauf gebettet. Die flachen Steinstufen waren noch kalt. Sie fühlten sich beinahe feucht an, so glatt waren sie.
Ciocca löste den Blick von ihren dreckigen, früher einmal weißen Schuhen, hob den Kopf und straffte die Schultern. Sie nahm das Brioche aus der Papiertüte, die zusammen mit dem schwarzen Rucksack neben ihr lag. Sich immer wieder die Krümel von der Hose wischend, aß sie ihr Frühstück und behielt dabei den Eingang des Hauses schräg gegenüber im Blick. Auf die Minute genau fuhr das erste Auto diesen frühen Morgens vor, zwei Männer stiegen aus und verabschiedeten die Frau, die schon hinter der Gittertür gewartet hatte, in den verdienten Dienstschluss. Ein normaler Schichtwechsel der Sicherheitsmitarbeiter. Wäre da nicht der etwas mollige junge Kerl, der mit großen Schritten zum Eingang hinaufeilte und sich den zwei Männern vorstellte. Sie tauschten einen verwunderten Blick und winkten dann ihren neuen Kollegen hinein. Langsam schloss sich die schwere Glastür hinter den dreien und vor der wieder verlassenen Straße. Die Sonne schaffte es über das nächste Gebäude und reflektierte grell in den goldenen Buchstaben über dem Eingang.
Ciocca knüllte die Tüte zusammen, legte sich ihr Handy in den Schoß und entwirrte die Kabel. Mit routinierten Bewegungen schob sie die Kopfhörer in die Ohren und wählte den einzigen Titel in der Playlist an.
Das Lied war eines jener Musikstücke, das sich je nach Laune unterschiedlich anhörte und einen anders stimmte. Heute klang es regelrecht euphorisch mit einem leicht hektischen, drängenden Unterton. Es ließ Ciocca sich leichter fühlen und pointierte ihre positive Aufregung, die fast schon einer Art Vorfreude ähnelte.
Ihre Füße zuckten unruhig. Sie konnte niemals still sitzen und das Warten war ihr verhasst. Aber sie hatte gelernt, wie wichtig es war zu beobachten. Ciocca sammelte das Wissen, es gab ihr Sicherheit und Kontrolle.
Und das war das, was ihr Halt gab. Vielleicht hatte sie deshalb auch die einzige Schallplatte mitgenommen. Ciocca hatte sie hinter einem Regal gefunden, das Titelbild gefiel ihr. Sie steckte die Hülle in ihre kleine Tasche, in der sich nur ein paar wenige Klamotten und ihre blecherne Schatzdose befanden. Alles andere ließ sie zurück. Zurück in dem alten Leben, das mittlerweile schon elf Jahre hinter ihr lag.
Das Klavierstück neigte sich zu Ende und Ciocca versuchte die Stille in sich aufzunehmen. Sie wusste, dass das unmöglich war, die Anspannung fiel niemals von ihr ab. Sie schloss die Augen und konzentrierte sich auf ihren gleichmäßigen Herzschlag. Ciocca genoss es allein zu sein, denn dann fühlte sie sich nicht so einsam wie in Gesellschaft anderer.
Etwas berührte ihre Hand und sie fuhr erschrocken zusammen. Vor ihr saß ein hechelnder Golden Retriever und blickte sie aus treuen Augen abwartend an.
„Ich hab nichts für dich.“, flüsterte sie und streckte vorsichtig die Hand aus, strich ihm über die weichen Ohren.
„Eddy!“
Ciocca musterte den Mann in zerrissenen Jeans und Pullover auf der anderen Straßenseite. Sein Gesicht wurde von der tief in die Stirn gezogenen Kapuze verdeckt.
„Eddy!“, wiederholte er, „komm her!“
Der Hund trat die Stufen hinunter und galoppierte mit wedelndem Schwanz auf sein Herrchen zu. Ciocca blickte den beiden nach, wie sie in vertrauter Zweisamkeit um die Ecke bogen.
Der Hauch ihrer erzwungenen Ruhe war endgültig verraucht, Ciocca stand auf und schulterte den Rucksack. Sie ließ das Lied erneut abspielen und verschwand in entgegengesetzter Richtung die Straße hinunter.


KAPITEL 2

Ein paar Stunden später, genauer gesagt um 10:36 Uhr schritt eine junge Frau mit schwarzen Locken, braunen Augen hinter großen modischen Brillengläsern, in lässigen Jeans und einem grauen Strickpullover die Stufen zum Eingang der Galleria Comino Galtelli in der Via Funtano hinauf. Sie hielt kurz inne, blickte zu dem Schriftzug hinauf. Die Sonne war um die Ecke gezogen und ließ ihn nicht mehr spiegelnd leuchten. Sie schluckte die aufkeimende Nervosität hinunter und stieß die Tür auf. Über der Schulter trug sie einen roten Sportbeutel und auf dem Gesicht ein Lächeln, das nur ihre Lippen umspielte. Sie reichte der Frau an der Kasse den Studierendenausweis und passierte daraufhin ohne Probleme die Sicherheitsschleuse. Zielstrebig durchquerte sie das Foyer und wählte die Treppe ins erste Obergeschoss. Auf der Galerie angelangt, trat sie an das eiserne Geländer und tippte eine kurze Nachricht auf ihrem Handy.
Im nächsten Moment kam ein ungleiches Paar aus dem Gang zu den Toiletten in den Hauptausstellungssaal gelaufen. Der Mann platzierte eine Musikbox auf der Stele neben einer Plastik aus bunten Glasstäben, was im selben Augenblick einen schrillen Alarm auslöste. Die Frau in einem langen dunkelblauen Kleid begann sich grazil zu der Musik zu bewegen und schwebte zwischen den Kunstwerken umher.
Zwei bullige, aber sehr diskrete Wachmänner stürmten den Raum und geleiteten das sich windende Paar hinaus auf die Straße.
Die Frau auf der Galerie verfolgte die Szenerie mit ausdruckslosem Gesicht und verschickte eine weitere Anweisung.
Zwei Minuten später hatte es der neue Sicherheitsangestellte geschafft, das Warnsignal auszuschalten. Mit eingezogenem Kopf entschuldigte er sich bei den restlichen Museumsbesuchern für die Unannehmlichkeiten und verschwand hektisch zurück ins Büro.
Die Schwarzhaarige fokussierte mit zusammengekniffenen Augen die Person, die von dem Mann im Kapuzenpullover auf den Eingangsstufen grob angerempelt wurde. Sie wedelte empört mit den Armen und betrat kopfschüttelnd die Kunstgalerie. Diese ungestüme Begegnung veranlasste sie dazu, die Kassiererin in ein erregtes Gespräch zu verwickeln.
Die Frau mit den dunklen Locken steckte zufrieden lächelnd das Telefon in die Tasche und machte ein paar langsame Schritte rückwärts, dann huschte sie unbemerkt durch die Tür in den Flur. Sie lief nahe an der Wand entlang, zog mit einer fließenden Bewegung den Beutel von der Schulter, ließ ihn in einem Putzwagen verschwinden und hängte sich sogleich eine identische Tasche ums Handgelenk. Ungerührt betrat sie die menschenleere Sala Nuora, legte den Beutel neben einer Bank ab und entnahm ihm ein Paar Handschuhe und eine Zange. Langsam und vorsichtig hob sie die Glasvitrine an, knipste die vier Drähte an jeder Kante durch, legte den Deckel beiseite und verstaute den Inhalt in mit Stoff ausgelegten Kästchen. Nachdem sie auf dem leeren Sockel eine schwarze Visitenkarte mit weißer Aufschrift hinterlassen hatte, platzierte sie den Deckel wieder, hob ihre Tasche auf und wandte sich gerade zum Gehen, als der Alarm wieder einsetzte. Mit einem Knirschen löste sich das Sicherheitsgitter aus der Decke und sank in Richtung Boden. Fluchend stürzte sie zu dem einzigen sich schließenden Ausgang.
„Moment!“
Sie wirbelte herum und sah sich einer Frau mit verschränkten Armen gegenüber. Sie stand in einer Mischung aus ängstlicher Anspannung und gefährlicher Entspannung neben der leeren Vitrine.
„W…“, ihr blieb das Wort und die anschließende Frage im Hals stecken. Innerlich verfluchte sie Rico aufs Übelste. Aus dem Augenwinkel sah sie wie das Gitter sich mit einem letzten Rucken auf die Steinfliesen senkte. Sie war eingesperrt. Mit einer fremden Frau. Und Schmuckstücken im Wert von etwa 2,4 Millionen Euro.
„Das Wachpersonal wird seine Kontrolle im Sala Imperiale beginnen. Sie brauchen ungefähr zwei Minuten bis sie ins Obergeschoss wechseln. Ich weiß, wie wir hier herauskommen. Aber das werde ich dir erst sagen, wenn du meinem Deal zugestimmt hast.“, erklärte ihr die Frau mit mühsam ruhiger Stimme.
Die Schwarzhaarige musterte sie skeptisch. Ihr Gegenüber trug die Uniform einer Museumsangestellten. An ihrer Brusttasche steckte ein Namensschild, das sie aber nicht lesen konnte. Sie hatte absolut keine Ahnung wie sie unbemerkt in den Saal hatte gelangen konnte.
Sie kontrollierte die Uhr an ihrem Handgelenk. 10:52 Uhr. In einer Minute würde Izzet beginnen sich zu fragen, was schiefgegangen war.
„Was für ein Deal?“
„Ich bin ab jetzt Teil deiner Crew.“
Sie lachte freudlos auf.
„Sicher.“
Die Frau zuckte mit den Schultern, ihr Gesichtsausdruck sagte nichts über sie aus.
„Ich kenne deinen Namen.“
„Ist klar.“
Sie schnaubte, wischte sich eine Haarsträhne aus dem Gesicht. Die Panik sandte Gänsehautschauer über ihren Rücken.
„Ciocca Celoya.“
Ihr stockte der Atem und sie konnte nicht anders als ihr Gegenüber fassungslos anzustarren. Sie hatte mit einem Flunkern gerechnet, oder wenn diese Frau tatsächlich etwas hatte, mit dem einen oder dem anderen Namen. Aber nicht damit.
Die Gedanken rasten durch ihren Kopf, sie suchte nach Auswegen und Erklärungen und fand auf die Schnelle tatsächlich nur einen.
„Gut. Wie kommen wir hier raus?“
„Danke. Das wirst du nicht bereuen. Ich bin Lisann.“.
Sie wagte es wirklich Ciocca lächelnd eine Hand entgegenzustrecken, die diese geflissentlich ignorierte.
„Links neben der Tür, hinter dem Hocker befindet sich eine Platte. Dahinter sitzt der Sicherungskasten.“
Ciocca wartete keine Sekunde, riss den Schemel zur Seite, zerrte die Handschuhe ab und krallte ihre Finger hinter die Kante der in derselben Farbe wie die Wand gestrichenen Verkleidung. Mit der Zange durchtrennte sie alle Kabel, die sie in dem Hohlraum fand. Blitzschnell war sie wieder auf den Beinen und packte Lisann am Oberarm.
„Eine falsche Bewegung.“, zischte sie ihr warnend ins Ohr und bedeutete ihr mit einem Wink ihr zu folgen. Gemeinsam stemmten sie das Tor hoch und schlüpften unten durch. Auf der anderen Seite rannte Lisann sogleich los, dicht gefolgt von Ciocca. Sie erreichten das Fluchttreppenhaus im selben Moment wie die Wachmänner das erste Obergeschoss. Ciocca krallte eine Hand in den Blazer ihres neuen Teammitglieds und bugsierte sie auf die andere Seite des Podests.
„Hoch, nicht runter!“
Mit einem kräftigen Schubs schickte sie Lisann die Stufen hinauf.
Atemlos erreichten sie das oberste Geschoss, wo Ciocca die Tür aufstieß und auf das Dach hinaustrat.
„Was hat so lange gebraucht?“, fragte Izzet sofort ungehalten, gefolgt von einem entsetzten Blick auf Cioccas Begleitung.
„Die gehört jetzt zu uns. Lass sie nicht aus den Augen! Alles andere klären wir nachher.“
„Hast du die Steine?“, wollte Izzet mit einem kritischen Blick auf Lisann wissen.
„Ja, und jetzt weg hier.“


KAPITEL 3

Der schwarze Alpha Romeo hielt mit quietschenden Reifen vor dem prächtigen Gebäude, heraus sprang ein Mann Mitte dreißig, Dreitagebart, schwarze Hose, weißes Hemd, die obersten Knöpfe offen. Ohne seinen zügigen Schritt zu verlangsamen hielt er den beiden Carabinieri seinen Ausweis hin, bückte sich unter der Absperrung hindurch und schritt auf seine Kollegin zu, die bereits im Foyer mit einem aufgeschlagenen Tablet auf ihn wartete.
„Was haben wir?“, fragte er noch bevor er sie erreicht hatte. Mittlerweile hatte sie sich schon so an ihn gewöhnt, dass bei seinem barschen Eintreffen nur noch ihre Augenbrauen zuckten.
„Das gleiche wie immer. Zeugen, die sich an viel erinnern, aber an nichts was uns helfen könnte. Kameraaufnahmen der letzten fünf Minuten in Dauerschleife. Eine Unterbrechung der Laserüberwachung. Eine leere Vitrine.“, sie seufzte müde, „es fehlen drei Ringe und zwei Armbänder. Der Wert wird auf 2,5 Millionen geschätzt.“
Die beiden Ermittler hatten die Sala Nuora erreicht, in der drei Beamte bereits dran waren Spuren zu sichern.
„Buon giorno. Seid ihr schon fündig geworden?“
Auf seine Frage erntete er freudloses Gelächter. Einer der Männer drückte ihm ein Plastiktütchen in die Hand. Darin befand sich eine schwarze Karte, auf der in geradlinigen weißen Buchstaben der Name RIMALVI prangte. Die bekannteste und meistgesuchte Diebesbande von Italien, gemeinhin nur „die Wölfe“ genannt, hatte erneut zugeschlagen. Am helllichten Tag in einer der bestbesuchten Galerien von Rom.
„Okay.“, er ließ das Fundstück in eine der geöffneten Boxen fallen und wandte sich wieder an seine Kollegin, „und weiter?“
„Den Zeugenaussagen nach können wir vier Bekannte zuordnen. Die Tänzerin, ihr Begleiter im Kapuzenpullover, die Frau, an deren Gesicht sich noch nie jemand erinnern konnte und ein scheinbar neuer Mitarbeiter der Sicherhei…“
„Warte! Was ist das hier?“
Er ging neben einem aufgebrochenen Hohlraum in der Wand in die Hocke.
„Der Alarm ging los und die Gitter fuhren runter. Der Dieb hat alle Kabel zerschnitten und konnte so fliehen. Diesmal über die Dächer.“
Ein schelmisches Grinsen breitete sich auf Marc d’Agostinos Gesicht aus. Ungeduldig winkte er einen der Spurensicherer herbei.
„Ich denke, wir haben ihn. Auf der Platte befinden sich Fingerabdrücke.“


KAPITEL 4

„Bist du eigentlich noch ganz bei Trost?!“, fuhr Alasca sie an. Immerhin hatten sie ihn soweit beschwichtigen können, dass er Lisann nicht mehr mit seinem guten japanischen Messer bedrohte. Zwar lag es immer noch nahe neben einem Haufen gehäckseltem Gemüse, das er wütend malträtiert hatte, aber Alasca lehnte mit rotem Kopf an der gegenüberliegenden Küchenzeile.
„Was hätte ich denn machen sollen?“, brüllte Ciocca, packte ihn am Kragen und zog sein Gesicht an ihres heran.
„Ciocca, bitte. Kommt runter. Beide“, bat Milly inständig, drückte Ciocca auf einen Stuhl und sah auf die Türöffnung, in der bunte Plastikgirlanden den Blick auf die Kammer dahinter verdeckten. Dort wartete Lisann an ein Metallregal gefesselt, mit monströsen Kopfhörern über den Ohren und einem von Vittorias bunten Tüchern im Mund.
Ciocca holte tief Luft um wieder zu einer Rechtfertigung anzusetzen, aber Vittoria unterbrach sie mit einem Abwinken.
„Es ist, wie es ist. Machen wir das Beste draus.“
Sie zuckte mit den Schultern und platzierte eine Gruppe Tassen auf einem Tablett.
„Wie kannst du da so cool bleiben?“
Alasca machte einen Schritt in Richtung der Kammer, aber Milly legte ihm beschwichtigend eine Hand auf den Arm.
Ungerührt trat Vittoria durch die Schwingtür hinaus ins Café. Sie war die Inhaberin des Scarpa, wo sie immer zusammen trafen. Unscheinbar präsentierte es sich mit einer kleinen Anzahl runder Tischchen in einer ruhigen Seitenstraße. Die Küche war grundsätzlich von Alasca in Beschlag, der dort außergewöhnliche Essenskreationen zauberte, wenn er nicht gerade auf einem seiner Streifzüge war. In den beiden Hinterzimmern hatten sie eine Werkstatt und einen Besprechungsraum eingerichtet, deren Ausstattungen alles seinesgleichen übertrumpfen konnten.
Ciocca stand kopfschüttelnd wieder auf. Im Nebenraum zog sie sich die juckende Perücke vom Kopf und verstaute sie zusammen mit der Brille in einer Kiste unter dem Tisch. Konzentriert lehnte sie sich gegen das Waschbecken, entfernte die braunen Kontaktlinsen und wischte sich das Make-Up aus dem Gesicht. Aus dem verschmierten Spiegel blickte ihr eine junge Frau mit wachen grünen Augen, dunkelblonden kinnlangen Haaren und einer tiefen Sorgenfalte auf der Stirn entgegen.
„Wo habt ihr eigentlich Rico gelassen?“
Vittoria war mit einer Ladung schmutzigem Geschirr zurückgekommen und versenkte diese in der Spüle.
„Der ist irgendwo unterwegs.“, murmelte Alasca ungeduldig und traktierte Ciocca wieder mit funkelnden Blicken, „was, wenn sie eine verdeckte Ermittlerin ist?“
Ciocca stieß einen tiefen Seufzer aus und nahm dankbar das dickbelegte Focaccia entgegen, das Milly ihr reichte.
„Rico hat sie untersucht, sie hatte keinen Sender oder irgendein anderes Abhörgerät bei sich. Noch nicht einmal ein Handy. Er hat sie durchs Portal gejagt und es kam genau das heraus, was sie uns erzählt hat. Sie heißt Lisann Verga, ist dreißig Jahre alt, aufgewachsen im Pigneto und jetzt wohnt sie in einer winzigen Wohnung in Trastevere. Sie hat Geschichte studiert, ihr Fachgebiet umfasst alles, was mit der Renaissance zu tun hat. Deswegen arbeitet sie auch als Expertin in der Nationalgalerie und berät diverse Bibliotheken. Sie behauptet, sie könnte von großem Nutzen für uns sein.“
Alasca schnaubte, aber Ciocca sprach schon weiter.
„Wenn sie von der Polizei wäre, hätte sie uns hochgehen lassen können. Die Wölfe auf frischer Tat ertappt. Wieso hätte sie so eine Chance verstreichen lassen sollen? Außerdem kennt sie meinen richtigen Namen. Hätten die Ermittler diese Information, wären wir schon längst nicht mehr hier.“
Der Gedanke jagte ihr trotzdem Schauer über den Rücken. Alles würde auseinanderfallen. Alles, was sie sich in den letzten Jahren erarbeitet hatten. Und es wäre ihr Fehler. Wie hatte das passieren können? Wie war sie so leichtsinnig sein können? So etwas war ihr noch nie unterlaufen. Und das durfte es auch nie wieder.
„Also gut. Mal angenommen, sie ist nicht von der Polizei. Dann bedeutet das aber trotzdem, dass wir ein Problem haben. Sie hat uns gefunden und sie kennt deinen Namen. Wie auch immer sie das vollbracht hat. Wir haben ein Leck, wir sind unvorsichtig geworden.“
Kopfschüttelnd räumte Vittoria Gläser ins Regal. Ciocca sah auf ihr Handy, fluchte leise und verschwand wieder im Besprechungsraum, wo sie ihre Sachen in einen schwarzen Rucksack stopfte.
„Ich bin spät dran.“
„Du gehst jetzt einfach?“, fragte Alasca entsetzt.
„Noch mehr Aufsehen kann ich mir heute nicht leisten!“
„Was machen wir jetzt mit Lisann? Wir können sie ja nicht da drin lassen.“
Sowohl Ciocca als auch Alasca sahen Milly angespannt an.
„Wir könnten sie auch im Tiber ertränken.“
Ciocca bedachte Alasca mit einem strafenden Blick.
„Ich muss mir was überlegen. Bis dahin bleibt sie an das Regal gekettet. Alasca, schaue ab und zu nach ihr. Toilette, Wasser und so weiter. Wir sind schließlich nicht in Guantanamo.“
Der kleine Mann mit dem vor Wut erhitzten Gesicht wechselte kopfschüttelnd an die andere Küchentheke.
„Und lass das Messer liegen! Vittoria, wie sieht es mit dem Käufer für das Zeug von heute aus?“
„Der kommt in einer Stunde.“
„Perfekt. Milly, was hast du vor?“
„Ich mache mich gleich auf den Weg ins Studio. Übrigens hat sich Londay für morgen Nachmittag angekündigt.“
Milly grinste vorsichtig und es war nicht auszumachen, ob sie erfreut oder genervt war. Sie warf einen kurzen kontrollierenden Blick auf Ciocca, aber die schien zu ignorieren, wessen Namen gerade erwähnt worden war.
„Gut, Leute. Der Fall war verbesserungswürdig, aber wir haben es geschafft. Wir sehen uns.“
Hastig drängte sie sich durch die Schwingtür. Alasca brodelte weiter vor Anspannung und warf ihr ein „Was für ein Bullshit!“ hinterher. Ciocca setzte sich im Laufen den Helm auf und bretterte mit ihrer Vespa in den nachmittäglichen Verkehr.


KAPITEL 5

Sie hatte den Motorroller zu den etlichen anderen unter das Blechdach gestellt und blickte nun die graue Steinfassade empor. In dem früher einmal stattlichen, mittlerweile vernachlässigten Gebäude befand sich die Redaktion der Gazzetta dell’Ombra, einer wichtigen römischen Tageszeitung. Erleichtert entspannte Ciocca ihre verkrampften Schultern.
Wahrscheinlich stand ihre Crew noch im Scarpa zusammen und spekulierte darüber, warum sie so verdammt kühl bleiben konnte. Das war sie allerdings überhaupt nicht. Die Panik war ihr in jede Faser gekrochen, nur konnte sie das nicht zeigen. Ihre innere Aufgewühltheit äußerte sich stets als stoische Kälte.
Ciocca zog das Namensschild aus der Hosentasche und steckte es sich an die helle Bluse. Langsam strich sie über den Plastikanstecker und sich die Haare hinter die Ohren.
Es war an der Zeit für den nächsten Identitätswechsel.
Denn wenn Ciocca Celoya nicht gerade mit den anderen Wölfen Pläne schmiedete oder Kunstgalerien ausraubte, war sie Eliza Moret.
Eliza war 24 Jahre alt und eine begabte aber unterschätzte Redakteurin. Mit einem gelassenen Schulterzucken nahm sie die Schichten an, die ihre Kollegen verschmähten. In dem alten Gemäuer, wo es immer muffig roch, selbst wenn man dauerlüftete, verbrachte sie stundenlang Zeit vertieft in hin gekritzelte Notizen und Berichte voller Rechtschreibfehler. Daraus ließ sie mit Leichtigkeit kompakte Artikel entstehen und erntete trotzdem neben einem anerkennenden Nicken ihres Chefs nur ein lausiges Volontariatsgehalt. Das kümmerte Eliza aber herzlich wenig, weil sie schließlich andere Mittel hatte um Geld zu verdienen und dieser Job nur dazu da war, den Schein zu wahren. Davon hatten ihre Kollegen zwar definitiv keine Ahnung, aber sie beneideten sie um ihre entspannte Einstellung. Über Elizas Lippen war noch keine einzige Beschwerde gekommen. Die neugierigen Blicke ignorierte sie gekonnt. Sie wusste, dass sie häufig unnahbar und vielleicht auch etwas arrogant wirkte. Stets mit einem Lächeln auf dem konzentrierten Gesicht, freundlicher Small Talk, aber eben niemals mehr.
Mit fünf Minuten Verspätung huschte Ciocca über den staubigen Terrakottaboden, ließ sich auf ihren Stuhl fallen und verschwand genau in dem Moment hinter dem großen Bildschirm, als ihr Chef um die Ecke kam. Ohne Kommentar warf er ihr einige Mappen auf den schon erheblich hohen Stapel, der dabei verdächtig ins Schwanken geriet. Ciocca steckte sich die kurzen Haarsträhnen hinters Ohr und klappte die erste Akte auf. Bis auf einen gelben Haftzettel war sie leer. Lena aus der Schicht vor ihr hatte darauf vermerkt, dass sie demnächst einen Anruf ihres Informanten bei der Polizei erwarten könnte. Die RIMALVI hatten wieder zugeschlagen.
Cioccas Herzschlag beschleunigte sich schlagartig, sie drängte den Kloß in ihrem Hals zurück und griff nach der nächsten Mappe. Sie war jedes Mal einem Schock nahe, wenn sie den Namen ihrer Gruppe entdeckte. Und zugleich platzte sie beinahe vor Stolz. Ihr breites Grinsen versteckte sie hinter einem Ausdruck mit Infos über wiederholte Tierquälerei.
Sie widmete sich dem Bericht über verstümmelte Katzen. Mit jeder Minute wich mehr Farbe aus ihrem Gesicht, sie fror und ihr wurde übel, was nicht nur mit dem Thema zu tun hatte. Mit einem Mal war sie sich überhaupt nicht mehr sicher, ob Lisann nicht doch eine Ermittlerin war. Wider jeder Logik erwartete sie jederzeit eine schwerbewaffnete Truppe das Büro stürmen.
Ciocca hatte schon einige Zeit blicklos auf das geöffnete Textdokument geschaut, als das Klingeln des Telefons sie aus der Starre riss. Hastig nahm sie einen Schluck Wasser und meldete sich mit: „Gazzetta dell’Ombra. Sie sprechen mit Eliza Moret.“
„Ida ist aufgeflogen.“
Ihr blieb die Luft weg. Mit bis zum Anschlag klopfendem Herzen nahm sie den Hörer vom Ohr und schaute aufs Display. Ein anonymer Anrufer, die Stimme kannte sie auch nicht. Ciocca hatte keine Ahnung, wie lange sie schockiert stumm geblieben war, bis sie mit kläglicher Stimme eine Frage zustande brachte.
„Wie bitte?“
„Du hast mich schon richtig verstanden.“
Schweigen. Was sollte sie darauf sagen? Ein Wirbelsturm raste durch ihren Kopf und machte es ihr unmöglich auch nur einen einzigen klaren Gedanken zu fassen.
„In der Galleria Comino Galtelli wurden Fingerabdrücke gefunden. Sie konnten einer gewissen Ida Benedetto zugewiesen werden. Und niemand weiß besser als du, wer das ist und was das bedeutet.“
„Nein, ich verstehe nur Bahnhof.“, versuchte sie es. Und dann passierte es zum zweiten Mal an diesem Tag. Eine fremde Person nannte ihren richtigen Namen.
„Ciocca, bitte. Überspringen wir das. Dein Deckname ist enttarnt.“
„Scheiße!“, rutschte es Ciocca heraus. Vier Augenpaare richteten sich gespannt auf sie. Mehr als eine Grimasse brachte sie nicht zustande. Mit butterweichen Beinen stand sie auf, trat auf den schmalen Balkon hinaus und zog die Tür hinter sich zu.
„Ja, so könnte man es auch sagen. Ich habe einen Auftrag für dich.“
Ciocca wartete voller Panik, aber der Anrufer redete nicht weiter.
„Wer bist du?“
„Du kannst mich Nunzio nennen. Nunzio, der Bote. Erfüllst du den Auftrag, den ich dir gebe, werden die Informationen und alle Beweise, die die Polizei hat, spurlos verschwinden.“
„Woher soll ich wissen, dass du mich nicht verarschst?“
„Das, Ciocca, nennt man blindes Vertrauen.“
Fassungslos legte sie den Kopf in den Nacken und sah hinauf zu den Tauben, die gurrend über die Dachkante stolzierten. Ein weiterer Deal mit einem Fremden, der ihr auch nur leere Versprechen und Lügen auftischen konnte.
„Ich nehme an, du hast jetzt erst einmal einige Dinge zu klären. Ich will dich nicht aufhalten. Morgen früh um sieben Uhr, Viale degli Ippocastani auf dem Pincio, bei der Büste von Mastro Giorgio. Viel Glück.“
Und die Verbindung wurde unterbrochen.
Viel Glück? War das sein verdammter Ernst?
Ciocca hielt das Telefon mit schweißnassen Händen fest umklammert, starrte über die Hausdächer hinweg ohne etwas wahrzunehmen.
Ida Benedetto. Das letzte I in RIMALVI.
Von Panik überwältigt rang sie hilflos nach Luft. Ihr war schlecht und alles begann sich zu drehen. Ciocca griff nach dem Geländer, ihre Lippen bebten und sie schloss verzweifelt die Augen. War jetzt alles vorbei?
Das Gedankenkarussell drehte sich so schnell, dass die Ketten zu reißen drohten. Unmengen an Fragen schossen ihr durch den Kopf, bedingten die nächsten und doch beantwortete sich keine.
Alles zog sich in ihr zusammen, als sie daran dachte, dass sie vielleicht ihre ganze Gruppe mit hinunter in den Abgrund riss. Waren sie jetzt alle aufgeflogen? Sie musste von hier verschwinden!
Voller Entsetzen und zugleich unendlich ermattet lief Ciocca zurück an ihren Schreibtisch, kritzelte hektisch die genannte Adresse in ihren Notizblock, griff nach dem Rucksack, murmelte ihren Kollegen irgendetwas wegen eines Familienproblems zu und verließ wie mechanisch das Büro.
Unten angelangt lehnte sie sich mit geschlossenen Augen gegen die kühle Steinfassade und versuchte ihren Atem und Herzschlag unter Kontrolle zu bekommen.
Wie zum Henker hatte sie so dämlich sein können? Eigentlich hatte sie sich für professionell gehalten. Und dann übersah sie die beiden schmalen Beine hinter dem mattweißen Sichtschutz vor dem Fenster und wurde von Lisann auf frischer Tat ertappt. Als wäre das nicht schon unvorsichtig genug gewesen, hatte sie auch noch die Handschuhe ausgezogen!
Ja, ihre Raubzüge kamen ihr manchmal wie ein Spiel vor und sie hatte sich eventuell so in die ausgeklügelten Sicherheiten gewägt, dass sie sich selbst in dem Glauben wiegte, fehlerfrei und ohne Risiko zu handeln. Doch jetzt war sie eines Besseren belehrt worden. Der Preis brachte alles zum Schwanken und sie schlitterte über verdammt dünnes Eis von einer schrägen Situation in den nächsten unmöglichen Zufall.
Nach einem schnellen Rundumblick wühlte sie ein Handy aus den Tiefen ihrer Tasche und tippte im Gehen seine Nummer ein. Mit schweißnassen Händen presste sie das alte Teil ans Ohr. Nach dem zweiten Klingeln wurde sie weggedrückt. Sie seufzte und wählte erneut. Diesmal ließ er es läuten bis die Mailbox ansprang. Wahrscheinlich hatte er sie auf lautlos gestellt. Jetzt fluchte sie ungehalten und probierte es ein weiteres Mal. Nach dem ersten Freizeichen meldete er sich.
„Ich sitze in meinem Wochenendseminar!“
„Ich weiß, Izzet. Verdammte Kacke! Es geht alles den Bach runter! Ich drehe hier durch!“
„Hey, ganz ruhig. Was ist los?“
Seine gelassene Stimme, die sie sonst immer beruhigte, brachte sie nur noch mehr in Rage.
„Ich habe Ida verloren. Die Polizei hat Fingerabdrücke in der Galerie gefunden, das ist los!“
„Das ist nicht gut.“
„Nicht gut? Willst du mich verarschen? Das ist eine Katastrophe!“
Izzet lachte tatsächlich.
„Also eine Katastrophe würde ich das nicht gerade nennen. Die Polizei wird erstmal so ihre Mühe haben. Ist Londay nicht auf dem Weg nach Rom? Ich rufe ihn an. Er soll einen Zwischenstopp in Mailand machen.“
„Mailand?“
„Mailand.“, bestätigte Izzet, „Rico hat Ida einen ganz netten Rattenschwanz verpasst. Und auch wenn der Überfall heute Vormittag nicht wasserdicht war, der Rattenschwanz ist es.“
Ciocca strich sich über die Stirn und seufzte tief.
„Jetzt geh wieder arbeiten. Eliza wird bestimmt schon vermisst. Bis heute Abend.“


KAPITEL 6

Marc d’Agostino saß verkehrtherum auf einem Stuhl im großen Besprechungsraum. Draußen vor der Glastür veranstaltete seine Vorgesetzte ein riesen Gezeter, das zur Folge haben sollte, eine Gruppe Kommissare in Mailand zu mobilisieren.
Er strich sich übers Kinn und betrachtete das Sammelsurium auf dem Tisch.
Die schwarze Visitenkarte. Phantombilder, wobei sich diese von Zeuge zu Zeuge stark unterschieden. Eine Zusammenfassung der kläglichen Erkenntnisse aus den vorangegangenen Überfällen. Ein Blatt mit den gefundenen Fingerabdrücken.
Sein Blick wanderte weiter auf die Wandbildschirme. Das anfängliche Hochgefühl hatte sich mittlerweile eingestellt. Beim Anblick des Frauenportraits durchzuckte ihn nur noch ein missmutiges Kribbeln.
Er war beinahe hintenüber gekippt, als die Übereinstimmung in der Datenbank angezeigt worden war. Die Spuren stimmten mit einer Person überein, die aktenkundig war.
Sie hieß Ida Benedetto, war 26 Jahre alt und lebte in Mailand. Sie studierte Möbeldesign, war eine leidenschaftliche Bogenschützin und rege aktiv in den Sozialen Medien. Vor eineinhalb Jahren war sie wegen Behinderung einer Amtshandlung der Guardia di Finanza zu einer geringen Geldstrafe verurteilt worden. Allerdings war sie die Hauptverdächtige bei drei Kunstdiebstählen in Mailand, Vicenza und Venedig gewesen. Die Ermittlungen waren wegen Mangel an Beweisen im Oktober letzten Jahres eingestellt worden. Marc hatte die Akten der Fälle durchstöbert und darin nach Hinweisen auf die RIMALVI gesucht. Vergeblich.
Und das machte ihn stutzig. Die Wölfe hinterließen immer eine Nachricht, so wie heute die Visitenkarte. Manchmal war es auch ein Graffito, eine Postkarte oder ein Stempel.
Seine Vermutung war, dass Ida Benedetto die Raube in Norditalien allein begangen hatte und erst letztens zu den Wölfen hinzugestoßen war. Das würde auch ihren Leichtsinn erklären, sich zugleich preisgegeben zu haben. So unvorsichtig arbeiteten die RIMALVI nicht. Das wäre zwar schön gewesen, aber er hatte da so seine Zweifel. Die Crew war zu gut für solche Fehler.
Angestrengt betrachtete er Idas Foto. Feine Züge, eine kleine gerade Nase, Sommersprossen, geschwungene Lippen, dichte Augenbrauen, helle blaue Augen, eine hohe Stirn, lange glatte dunkelbraune Haare. Sie war ganz hübsch, hatte aber keine markante Ausstrahlung oder außergewöhnliche Merkmale. Sie wirkte unschuldig und erregte sicherlich nicht allzu viel Aufsehen. Entweder sie war tatsächlich so oder sie nutzte genau diesen Eindruck zu ihrem Zweck.
Mit schwindender Konzentration klickte Marc sich durch ihre Accounts auf den sozialen Plattformen. Er wollte das Tablet gerade wieder beiseitelegen, als ein roter Ring um das Profilbild seine Aufmerksamkeit erregte. Verblüfft öffnete er ihre vor wenigen Sekunden gepostete Instagram-Story. Perplex verfolgte er das wacklige Video, auf dem Ida mit einem Schmollmund hinter sich auf eine Anzeigetafel zeigte. In Regenbogenfarben flimmerte der Schriftzug „I love trenitalia!“ durchs Bild.
Nein, das hier war keine falsche Fährte. Die junge Frau wiegte sich lediglich in Sicherheit und war mehr als leichtsinnig. Die Wölfe hatten die unfähigste Diebin aller Zeiten rekrutiert und das war sein unfassbares Glück.
Ruckartig sprang er auf, der Stuhl flog scheppernd gegen die Wand und Marc stürmte aus dem Raum.
„Tabea!“, rief er seiner Chefin hinterher, die auf dem Weg in ihr Büro war, „ich weiß, wo Ida ist! Sie wartet in Roma Termini auf einen Zug nach Milano Centrale. Er hat zehn Minuten Verspätung. Wenn wir uns beeilen, haben wir sie, bevor er abfährt.“

Er parkte sein Auto in der Taxispur in zweiter Reihe, rannte durch einen der breiten Eingänge, hielt kurz inne um sich zu orientieren und sprintete dann weiter durch die Halle. Im Zickzack umrundete er Menschengruppen, wich geschickt verlorenen Touristen aus und rempelte verwirrte Senioren an, bis er schließlich an die Treppe hinunter zu Gleis 8 gelangte. Frustriert trudelte er aus. Der Zug rauschte soeben unter der Bahnhofshalle hinaus in die warme italienische Nachmittagssonne. Er kam zu spät. Fluchend schlug er eine Faust aufs Geländer. So verdammt knapp. Langsam trabte Marc die Stufen hinab auf den menschenleeren Bahnsteig. Um, unten angekommen, sogleich wie angewurzelt stehen zu bleiben. Die Anzeigetafel, unter der noch vor wenigen Minuten Ida das Video aufgenommen hatte, wies nicht den nachfolgenden Zug aus, sondern präsentierte ihm sieben Buchstaben.
RIMALVI

Marc lehnte die ihm angebotene Pizza aus einem der aufgeklappten Kartons ab. Er würde keinen Bissen runter bringen.
So bloßgestellt hatte er sich zuletzt gefühlt, als ihm seine Freundin offenbart hatte mit seinem besten Freund schon seit drei Monaten eine Affäre zu haben.
Die murmelnden Gespräche verstummten, als Tabea ausgestattet mit einem Headset den Raum betrat.
„Die Mailänder Kollegen sind jetzt vor Ort in Benedettos Wohnung. Sie werden jedes Blatt umdrehen und sie dann freundlich erwarten, wenn sie mit dem Zug aus Rom ankommt.“
Sie schenkte ihm ein Augenzwinkern. Er verzog keine Miene. Marc bezweifelte, dass jemals eine Ida Benedetto in dieser Wohnung auftauchen würde. Erschöpft schwang er auf seinem Drehstuhl herum und blickte aus dem Fenster. Draußen senkte sich der Abend auf die beleuchtete Stadt.
Marc erinnerte sich noch genau an den grauen Tag vor drei Jahren als er das erste Mal gegen die Wölfe ermittelt hatte. Der Fall, zu dem er gerufen wurde, hatte nicht spektakulär geklungen, war aber der Auftakt zu einem fundamentalen Raubzug durch die gesamte Hauptstadt. Ohne erkennbares Muster und ohne Ansatzpunkte präsentierte die Gruppe leergeräumte Tresore, zerschlagene Vitrinen und statt den Originalen zurückgelassene gefälschte Kunstwerke.
„Marc!“, riss ihn Tabea aus seinen Gedanken. Sie nahm das Headset ab und legte stattdessen ihr Handy auf den Tisch. Per Lautsprecher verkündete einer der Ermittler, dass sie etwas gefunden hatten.
„Es ist ein Umschlag unter einem Stapel Bücher über Möbeldesign. Ich mache ihn jetzt auf.“
Man vernahm dumpfe Geräusche und dann war der Mann wieder am Telefon.
„Tabea, hören Sie mich? Darin war eine Karte. Hier steht… Moment. Was ist das denn für ein Schwachsinn. Pecorella smarrita? Verlorenes Schaf? Sagt Ihnen das etwas?“
Tabea und Marc tauschten einen genervten Blick aus. Seine Chefin schnappte sich ihr Handy und verschwand hinaus auf den Flur. Marc stand wortlos auf, griff nach seiner Lederjacke und verließ das Präsidium.
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