Kaugummi [Drabble]

[Klemens_Fitte]

Aufschreiben 3

Ein Stück Holz kratzt es in die Erde. Die Typenhebel einer Schreibmaschine hämmern es aufs Papier. Ein Kugelschreiber zieht nervöse Kringel, eine Stahlfeder harte Linien wie Kufen auf dem Eis. Eine Bleistiftmine reibt sich auf. Eine Nadel sticht es unter die Haut, ein Messer ritzt es ins Brot. Und dann ist da noch er, der lediglich digitale Trugbilder auf den Monitor zaubert, die spurlos verschwinden, wenn er sich vertippt, alles löschen muss, was nicht mit der Aufnahme übereinstimmt, die er hört, als einen endlosen Strom aus Banalitäten – ausgenommen, wenn er kurz pausiert und Zeigefinger und Daumen gegen die Nasenwurzel drückt.

[Klemens_Fitte]

[Klemens_Fitte]

Sätze bilden

»Das ist das Perfide am Sprechen und Schreiben: man denkt zwangsläufig, dass Sprache sinnstiftend ist. Und dann zieht man Sätze wie ein Klebeband um das Unbegreifliche und glaubt, man kriegt es damit gebändigt, in Form gebracht, während es überall herausquillt und immer unförmiger wird. Wie damals bei der Kommunion, wenn mir die Hostie auf die Zunge gelegt wird, die ich nicht kauen darf, also warte ich, dass sie sich auflöst und habe gleichzeitig das Gefühl, diese Masse, dieser Brei wird immer größer, denn klar, denke ich panisch, du hast den Leib Christi im Maul. Da krieg ich heute noch Herzrasen.«

[Klemens_Fitte]

Am Ufer

Im stark kontrastierenden Licht der Abenddämmerung wirkten die Bäume am jenseitigen Ufer wie mit der Fransenschere bearbeitet, und Knut Thumser, der sich seit Wochen vor einem überfälligen Friseurtermin drückte, seufzte auf: ein derartiger Anblick, und sein Denken blieb in gänzlich trivialen Assoziationen hängen. Ungewohnt halbherzig legte er den Gürtel mit den Bleigewichten um. Die Ruhe und Stille, die er üblicherweise im See suchte, stellte sich ihm an diesem Abend als etwas Bedrückendes dar, ohne dass er den Grund dafür zu fassen bekam – vielleicht, dachte er sich, war es die Last der Fragen, die er diesmal mit ins Wasser nehmen wollte.

[hobbes]

Na, hoffentlich taucht er wieder auf, der Knut.

Boah, Jan, ich bin echt platt, wie das machst. So wenig Worte und die sagen so viel und genau richtig. Dachte ich gestern auch schon, bei den Sätzen*. Bei mir quellen sie zwar nicht heraus, sondern bleiben eher irgendwo stecken, aber ich fühlte mich trotzdem sehr verstanden.

* und überhaupt schön des öfteren

[Klemens_Fitte]

[Mumienfreund]

[Klemens_Fitte]

Das Video

»Autounfall. Kurz nach der Hochzeit.«
»Shit. Ist er deshalb aus dem Projekt raus?«
»Er ist aus allem raus. Hat sämtliche Kontakte abgebrochen und sich in sein Haus zurückgezogen. Sein Bewältigungsmechanismus war, die VHS-Kassette der Hochzeit anzusehen, ununterbrochen.«
»Puh. Klingt eher wie Folter.«
»…«
»…«
»Jedenfalls kennt er die Aufnahme schon auswendig, als ihm Unstimmigkeiten auffallen.«
»Unstimmigkeiten?«
»Seine Nichte, die auf einmal ein anderes Kleid trägt. Eine Person im Hintergrund, die nicht mehr links, sondern rechts sitzt. Oder Trausprüche, die er nie zuvor gehört hat. Steht alles in den Aufzeichnungen, die er uns übergeben hat.«
»Wow.«
»Und, bereit?«
»Bereit? Wofür?«
»Es dir anzusehen.«

[Klemens_Fitte]

Ich hab den zweiten Zuspruch übrigens nicht übersehen, sondern mir sehr drüber gefreut. Und danke für die Idee mit dem Abreißkalender, ich werde das mal ernsthaft ins Auge fassen. Fehlen ja nur noch gut 300 Drabbles …

[Mumienfreund]

Ja, habe auch schon mit der Idee rumgespielt. Man könnte eine Art "Sammelalbum" beilegen, in die man die einzelnen Themen einsortieren könnte. Wäre ziemlich einzigartig, was aber nicht heißen soll, dass es so etwas noch nicht gegeben hätte. Statt doofe Fußballer zu sammeln, Geschichten sammeln.

[Mumienfreund]

Ach, eigentlich auch egal, was du daraus machst. Müsste  auch mit einem anderen Medium funktionieren.

Trage mich bitte auf die Liste der Vorbesteller ein.

[Klemens_Fitte]

[hobbes]

Cool, da mache ich auch mit

[Klemens_Fitte]

[Kiara]

Wenn es dann auch einen Pausenhofbeschränkungsgruppenabreißkalender gibt?

[Klemens_Fitte]

Dann müssen wir uns bei der Pausenhofkontaktbeschränkungsgruppenabreißkalenderaufsicht einschleimen.

[Klemens_Fitte]

French Open

[Klemens_Fitte]

Erinnern 2

Als die Schulzeugnisse – die letztendlich das Daumenkino einer zunehmenden Uneignung für diszipliniertes Lernen bildeten – noch nicht auf Ziffern reduziert waren, sondern in ganzen Sätzen von ihm sprachen, bescheinigten sie dem Jungen, verschlossen zu sein. Und wenn daraus der Wunsch sprach, er möge sich öffnen, dann auch der Irrtum, diese Verschlossenheit sei die erwartbare Begleiterscheinung einer überdurchschnittlichen Intelligenz. Der Junge selbst hatte keinen Anlass, sich für intelligent zu halten, resultierte doch keiner der Sätze, der Absätze, die ihm während des Unterrichts vor Augen standen, aus eigenem Nachdenken; und überdies war nie sicher, was davon mit der akzeptierten Wirklichkeit des Unterrichtsstoffs übereinstimmte.

[nebenfluss]

[Mumienfreund]

Gut, das es hier weitergeht.

Ohne dass es mir bewusst geworden war, hatte ich mich so an die morgendlichen drabbles gewöhnt, dass ich nicht mehr ohne sie weiterschreiben konnte. Ich fragte mich: Was ist los mit Herrn Fitte?

Sitzt er vielleicht zuhause und hat eine Schreibblockade entwickelt? Kaut er seit Tagen auf einem seiner halben Bleistiftstummel, die er immer heimlich bei Ikea mitgehen lässt, unter dem fadenscheinigen Vorwand, er müsse sich Notizen machen, für ein neue Küche, obwohl er genau weiß, dass er weder Geld hat für Küche noch Geschirr, geschweige denn Lebensmittel, außer einem Fünf-Kilo-Sack Reis, der schon zur Hälfte geleert ist und der dennoch den ganzen Winter reichen muss. Oder wägt er sorgfältig ab, weiterzuschreiben, weiß er doch um den Winter, und macht sich stumme  Vorwürfe, dass er Seite um Seite füllt, wo doch beides - Papier und Stifte – im Kachelofen Wärme spenden könnten und er doch den ganzen Sommer lang deswegen täglich bei Ikea gewesen ist?
Man weiß es nicht.

[Klemens_Fitte]

Überforderung

Noch nicht aus der Kirche ausgetreten zu sein, sondern im Gegenteil noch regelmäßig zum Gottesdienst zu gehen, rechtfertigte sie sich selbst gegenüber stets damit, dass es ihrer Vorstellung davon, wie sie dereinst durchdrehen würde, den Witz und die Brisanz nähme. Die Vorstellung bestand darin, vor Beginn oder während eines mäßig besuchten Gottesdiensts mit gebeugtem Rücken zu Kreuze zu kriechen, bis ihre Lippen beinah die nackten Zehen des Heilands berührten, und dabei eine Art Litanei aufzusagen, die sie in ihrer Vorstellung nicht mit Inhalt zu füllen vermochte, wäre sie doch in diesem Moment der Ausdruck einer akuten Überforderung mit der Wirklichkeit.

[Klemens_Fitte]