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Autor |
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Elena Eselsohr
E Alter: 82 Beiträge: 218 Wohnort: Berlin
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E 30.08.2020 06:46 Ein sehr alter Mann erzählt von Elena
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Du fragst, wie es mir geht, so ganz alleine?
Ach, irgendwie kommt man doch immer hin.
Die Zeit, sie führt mich an der kurzen Leine,
am Ende bleibt sie die Gewinnerin.
Ich fühl, mir kam da irgendwas abhanden,
vielleicht der Gleichmut oder was weiß ich,
weil schon so viele Freunde still verschwanden.
Ich jetzt allein – nicht angenehm für mich.
Stupide Tage voller Langeweile,
ich denk an dies und das. Und überhaupt,
an manchen Tagen lauf ich eine Meile,
sobald der alte Körper es erlaubt.
Als Fremder gehe ich durch meine Straßen,
und was da lebt, ist nicht mehr meine Welt.
Die Häuser, die mich lange schon vergaßen,
was hat die Zeit mit ihnen angestellt?
Zu Hause endlich, schließe ich die Türen,
will nichts mehr sehen, keinen Laut mehr hören,
die Gegenwart kann mich nicht mehr berühren,
sie würde meine leise Welt bloß stören.
So lebt sich’s hin, ich zähl zum Überreste,
der kranke Baum, der‘s nicht mehr lange macht.
Ein letzter Schlaf, ach ja, der wär das beste.
Dann liege ich und warte auf die Nacht.
Den Frühling möchte ich noch mal erleben,
die Welt wie neu, wenn alles blüht und grünt,
ein Restchen Leben wäre mir gegeben.
Wer weiß? Ich denk, ich habe es verdient.
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findling Leseratte
Beiträge: 112
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30.08.2020 08:27
von findling
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Auch wenn du glaubst, mich nicht zu kennen, bring ich dir einen Gruß, dein Herz soll wieder brennen
von Deinem Engel einen Kuß auf deine Stirn, steig in den Fluß, vergiß dein Hirn
https://m.youtube.com/watch?v=LSr6AJyDtCA
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Elena Eselsohr
E Alter: 82 Beiträge: 218 Wohnort: Berlin
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Michel Bücherwurm
Alter: 52 Beiträge: 3376 Wohnort: bei Freiburg
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02.09.2020 16:03
von Michel
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Spannend. Ich habe lange gezögert, den Link anzuklicken, vielleicht aus Furcht, eigene Gedanken wiederzufinden - selbst wenn ich hoffentlich noch ein paar Jahre mehr habe als das Lyrische Ich.
Der gleichzeitig lakonische und wehmütige Ton hat es mir angetan. Ich finde, das verträgt sich gut mit einer formal streng geordneten Form. (Deshalb ist mir der Bruch in Strophe fünf so aufgestoßen.) Ich sehe jemanden, der sich zunehmend von der Welt entfremdet erlebt, aber eine strenge Haltung bewahrt, so weit es noch geht. Der Erzählton schwankt. Auf der einen Seite eben diese Strenge, die sich selbst nicht so wichtig nimmt ("Irgendwie kommt man doch immer hin") und mir meine Großmutter vor Augen führt, die genau diese Haltung eingenommen hatte. Auf der anderen Seite vielleicht beginnende Gedächtnisprobleme, Langeweile und ein, hm, nachlässigerer Ton ("und überhaupt", den ich als das andere Authentisch erlebe, als ob zwei Seiten einer Persönlichkeit miteinander rangeln. Nicht nur die Zeit bleibt Sieger, die Strenge wird irgendwann auch verlieren.
Macht nachdenklich. Macht Angst. Und lässt den Lieblingssatz meiner Eltern ("Alt werden ist nichts für Feiglinge") noch einmal in einem neuen Licht scheinen.
_________________ Seit 27. April im Handel: "Rond", der dritte Band der Flüchtlings-Chroniken |
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Elena Eselsohr
E Alter: 82 Beiträge: 218 Wohnort: Berlin
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E 02.09.2020 17:35 Ein sehr alter Mann erzählt von Elena
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Lieber Michel,
das Gedicht ist nach einem Gespräch mit meinem Großonkel entstanden, da war er 96 Jahre alt. Geistig noch völlig auf der Höhe, noch sehr selbstständig, aber immer am Rand einer Depression wegen der Einsamkeit. Und trotzdem war er ein sehr humorvoller Mensch, wir konnten uns gut unterhalten. Was für ein schöner alter Mann, wenn er lachte. Ich habe ihn sehr gern gehabt. Und da habe ich mir gedacht: Onkel Bruno, ich schreib dir was, aber er hat das Gedicht nicht mehr lesen können, einige Monate später starb er im Krankenhaus. Wenn er es noch hätte lesen können, ich glaube, wir hätten beide darüber gelacht.
Alle Menschen wollen lange leben, alt sein aber wollen sie nicht. Dabei ist das Alter die schönste Zeit im Leben, vieles ist nicht mehr wichtig, man lebt für den Tag. Aber es ist was dran, wie du schreibst: Altsein ist nichts für Feiglinge.
Hab vielen Dank für den verständnisvollen Kommentar.
Lieben Gruß, Elena
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BlueNote Stimme der Vernunft
Beiträge: 7304 Wohnort: NBY
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02.09.2020 22:22
von BlueNote
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Ein schöner Text!
Er fängt so viel ein von dem, was ich gerade um mich herum beobachte - und vielleicht auch schon ein Stück weit selbst empfinde.
Besonders gefällt mir diese Strophe:
Zu Hause endlich, schließe ich die Türen,
will nichts mehr sehen, keinen Laut mehr hören,
die Gegenwart kann mich nicht mehr berühren,
sie würde meine leise Welt bloß stören.
Das Zuhause ist ein wichtiges Refugium, besonders wenn man älter ist. Am besten, man ist in sich selbst zuhause. Gut, wer dies beizeiten gelernt hat.
Ein kleiner Trost: Ich habe den Eindruck, dass die jetzige jüngere Generation toleranter gegenüber den Älteren ist, als das noch der Fall war, als meine Generation jung war. Die Einsamkeit ist aber wahrscheinlich immer noch ein Problem. Man denkt (gesellschaftlich) über so vieles nach, darüber aber kaum.
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