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Wie können meine Charaktere ein Eigenleben entwickeln?

 
 
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Taranisa
Geschlecht:weiblichBücherwurm

Alter: 54
Beiträge: 3211
Wohnort: Frankenberg/Eder


Beitrag10.07.2020 12:25

von Taranisa
Antworten mit Zitat

Ich plane vorab ausführlich den Haupthandlungsstrang und notiere, was zusätzlich passieren kann/sollte. Während des Schreibens lerne ich die (Neben-)Charaktere besser kennen und kann der Geschichte mehr Tiefe geben. Ein "Eigenleben" entwickeln sie nicht, haben sie sich doch, wie ich oben schon geschrieben hatte, bei mir "gemeldet". Bei einer Figur arbeitete ich z.B. beim aktuellen Projekt die Frömmigkeit noch weiter aus. Und ja, auch mir fallen spontan Möglichkeiten ein, wie ich etwas besser / tiefer / stimmiger zeigen kann. Daher halte ich mich zwar an den Plan, baue diesen aber gerne aus.
Meine Figurenliste ist von der Ausschmückung her recht übersichtlich: Jeweils die wichtigsten Infos, der Rest ist in meinem Kopf lebendig und kann an die Geschichte angepasst werden.


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Henkersweib, Burgenwelt Verlag, ET 12/18
Die Ehre des Henkersweibs, Burgenwelt Verlag, ET 12/20
Spielweib, Burgenwelt Verlag, ET 12/21
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Der Stab der Seherin, Burgenwelt Verlag, Herbst 2024
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Natalie2210
Geschlecht:weiblichKlammeraffe
N

Alter: 37
Beiträge: 583



N
Beitrag29.07.2020 14:34

von Natalie2210
Antworten mit Zitat

Hallo!

die meisten Tipps sind wohl schon gesagt worden.
Meine Charaktere haben auch bereits ein "Eigenleben" entwickelt - in dem Sinne, dass sich in verschiedenen Szenen herauskristallisiert hat, wie sie ticken und in anderen Szenen müssen sie dann entsprechend logisch handeln. Mein Hauptcharakter ist ein zurückhaltender, nachdenklicher und auch sehr sturer Junge - der geht einfach nicht so auf fremde Leute zu und erzählt ihnen seine Lebensgeschichte.

Wie man darauf kommt? Viele verschiedene Szenen schreiben - vermutlich am Besten, ohne diese vorher zu plotten. Ich habe manchmal eine bestimmte Idee im Kopf und muss dann ganz schnell an Stift und Papier, um sie aufzuschreiben - um herauszufinden, was passiert, und wie die Szene ausgeht. Das geht einfach am Besten, in dem man schreibt und "zuschaut" - die Szene entfaltet sich dann im Kopf wie ein Film. Dabei findet man auch gut heraus, wie ein Charakter ist.

Ich lasse auch manchmal verschiedene Charaktere miteinander plaudern - manchmal haben sie sich etwas zu sagen, und manchmal auch nicht.

lg,
Natalie
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Sushi
Gänsefüßchen
S


Beiträge: 15



S
Beitrag09.01.2023 19:22

von Sushi
Antworten mit Zitat

Ich plotte gerne im Voraus. In der Regel den gesamten Roman, gerade bei meinem umfangreichsten Werk aber stets nur einige Kapitel im Voraus, weil diese Geschichte nicht von der Handlung, sondern wirklich von den Figuren getrieben war.
Manchmal, wenn ich schreibe, passiert es, dass sie zwar tun, was ich möchte, ich aber erst beim Entwickeln der Szene merke, welch anderer Antrieb noch in ihnen steckt. Das ist für mich das Eigenleben.
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Boycott-Nestle
Geschlecht:männlichGänsefüßchen

Alter: 30
Beiträge: 18
Wohnort: Zwickau


Beitrag16.01.2023 11:45

von Boycott-Nestle
Antworten mit Zitat

Meine aktuelle Geschichte ist auch von vorn bis hinten durchgeplottet, trotzdem habe ich gestern eine Szene gehabt, in der etwas völlig unvorhergesehenes passiert ist. Der verschwundene Bruder des Protagonisten ist aufgetaucht, es hat sich einfach die perfekte Gelegenheit ergeben (Der Protagonist versteckt sich vor dem Feind und stößt in seinem Versteck auf seinen Bruder).
Es ist enorm spannend wenn das passiert. Nun habe ich eine weitere wichtige Person, deren Charakter ich anfangs entwickelt habe, mit der ich spielen kann, die etwas beitragen kann, die Geschichten erzählen kann aus der Zeit ihres Verschwindens.

Leider kann ich jedoch auch nicht wirklich erklären, was es braucht damit so etwas passiert.
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Caloustine
Geschlecht:weiblichGänsefüßchen


Beiträge: 17



Beitrag09.10.2023 21:30

von Caloustine
Antworten mit Zitat

"Ich mag ja diese Formulierung nicht so sehr - als ob Charaktere ein Eigenleben entwickeln. Ich entscheide ja immer, ob ich es auch so aufschreibe, wie sich etwas in meinem Kopf gebildet hat."

Das stimmt: als Autor:in sollte man Schöpfer bleiben. Es ist wie eine Hierarchie: hier Protagonisten, da Chef:in. Diese Ebenen zu vermischen, ist unklug.

Und doch gibt es bei mir Charaktere, denen ich besonders zugetan bin. Vielleicht, weil sie mir ähnlich sind, vielleicht, weil ich bemerke, dass sie mehr Potential haben als ursprünglich gedacht.
Diese Figuren entwickeln ein Eigenleben. Und ich lasse es zu. Solche Protagonisten dürfen mir sogar widersprechen.
Ich finde das sehr schön. In manchen Zeiten verbringe ich mit meinen Figuren mehr Zeit als mit mit meiner Familie. Sie werden zu Vertrauten, und je ausgeprägter ihre Charakterzüge sind, desto mehr Eigenständigkeit entwickeln sie.
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Taranisa
Geschlecht:weiblichBücherwurm

Alter: 54
Beiträge: 3211
Wohnort: Frankenberg/Eder


Beitrag10.10.2023 08:18

von Taranisa
Antworten mit Zitat

Beim aktuellen Projekt war es mir doch tatsächlich passiert, dass die Hauptfigur mit ihrem Hintergrund nicht einverstanden war. Ich ging nochmal tief in mich, änderte ihren Startpunkt in die Geschichte ab und jetzt spielt sie viel besser mit.

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Caloustine
Geschlecht:weiblichGänsefüßchen


Beiträge: 17



Beitrag13.10.2023 02:19

von Caloustine
Antworten mit Zitat

Taranisa hat Folgendes geschrieben:
Beim aktuellen Projekt war es mir doch tatsächlich passiert, dass die Hauptfigur mit ihrem Hintergrund nicht einverstanden war. Ich ging nochmal tief in mich, änderte ihren Startpunkt in die Geschichte ab und jetzt spielt sie viel besser mit.


Wie hat sie sich bemerkbar gemacht, die Hauptfigur?
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Taranisa
Geschlecht:weiblichBücherwurm

Alter: 54
Beiträge: 3211
Wohnort: Frankenberg/Eder


Beitrag13.10.2023 11:38

von Taranisa
Antworten mit Zitat

Sie sorgte dafür, dass ich mit der Geschichte nicht weiterkam, u.a. durch zu viel zu tun und Kopf nicht frei. Sobald ich Zwiesprache mit ihr gehalten hatte, floss es direkt.

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Epiker
Geschlecht:männlichEselsohr

Alter: 29
Beiträge: 301
Wohnort: Österreich


Beitrag25.10.2023 10:51

von Epiker
Antworten mit Zitat

Bei mir ist es normalerweise auch so, dass meine Figuren für gewöhnlich ein Eigenleben führen und ich bloß beobachten und aufschreiben muss was sie so tun, egal jetzt ob Kurzgeschichte, Romane oder Textrollenspiel. Man gibt den groben Rahmen vor wo es hingehen soll und die Figuren erledigen den Rest. Das hat teils auch schon extreme Blüten getrieben. Z.B. bei einem Online-Textrollenspiel über das alte Rom hatte ich zu einem meine Hauptfigur und zum anderen einen Verbrecherboss. Der Zufall im Spiel wollte es, dass sich die beiden einmal zufällig über den Weg liefen und meine Hauptfigur den Verbrecherboss öffentlich brüskiert hat. Daraufhin wollte Letzterer natürlich Rache an seinem Beleidiger üben und ich selbst steckte in einem scheinbar unlösbaren Dilemma. Ich als Autor wollte natürlich auf keinen Fall, dass meine liebgewonnene Hauptfigur im Spiel stirbt, der Verbrecherboss jedoch schon und ich hatte ihm damals bei seiner Erschaffung (leider) die nötigen Mittel gegeben, dass er es auf absehbare nähere Zeit tatsächlich auch geschafft hätte.

Ich wusste hier wirklich keinen gangbaren Weg ohne einen Deus ex Machina-Moment zu benutzen oder ohne die Spiellogik eines der beiden Charaktere zu brechen und das einzige was mich hier am Ende gerettet hatte war, dass das übergeordnete Rollenspielforum ziemlich kurz danach dicht gemacht worden ist. Bei einem Text-RPG wiegt so ein „Eigenleben“ aber natürlich auch weit schwerer, weil einmal ausgespielt gibt es kein Zurück mehr. Anders als bei einem Roman, da kann ich ja jederzeit zurückgehen und eine andere Version schreiben, sollte mir etwas ähnliches auch dort passieren.


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Aber der Mensch entwirft, und Zeus vollendet es anders!

-Homer-

(Dieses Zitat dürfte so manchem Schriftsteller mehr als einmal passiert sein Wink )
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DerDritteBeobachter
Geschlecht:männlichSchneckenpost

Alter: 44
Beiträge: 12
Wohnort: Leipzig


Beitrag07.11.2023 12:41

von DerDritteBeobachter
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@Epiker: Was das zufällig Antique-Empire? Klingt zumindest ähnlich.

Hm Figuren, die machen, was sie wollen? Ja. Nein. Eine Figur hat gewisse (geschaffene) Charakterzüge und diese festigen sich mit jeder Zeile. Da kommt es hin und wieder vor, dass eine Szene, wie sie geplant ist, gar nicht mehr stattfinden kann, weil es den Wesenszügen der Protagonisten widersprechen würde.

Wie bei echten Menschen bekommt man ja ein Gefühl dafür, wie sich jemand verhält. Wenn er sich von dieser gedachten Norm ungewöhnlich verhält, steckt meist ein externer Reiz dahinter. Etwas, was sich unserer Kenntnis entzieht. Da kann man dramaturgisch in einer Story gut mit arbeiten, aber manchmal versaut einem die Figur somit die Plotline, weil es dann einfach nicht mehr passt.

Hier muss man dann flexibel und vor allem kreativ sein. Ein Flickschusterwerk oder plötzliche überaschende Wendungen in einer ausweglosen Situation wittert der Leser sofort. Der Autor darf dabei nicht auf seiner Plotline bestehen und muss sich den Gegebenheiten (die er ja selbst verzapft hat) anpassen.

Behandle die Protagonisten wie echte Menschen. Auch künstliche Charaktere haben einen inneren Drang, der sie antreibt, etwas was sie nach links und nicht nach rechts gehen lässt. Wie würde ich handeln, wenn ich mein Char wäre?
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Epiker
Geschlecht:männlichEselsohr

Alter: 29
Beiträge: 301
Wohnort: Österreich


Beitrag07.11.2023 13:35

von Epiker
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Nein das wars nicht.

Idealerweise passen die Figuren normalerweise zu der angedachten Geschichte die man erzählen will. Mit der richtige  Grundlage kommt man normalerweise als Autor an sein Ziel und kann seinen Figuren trotzdem einen eigenen Kopf lassen.

Und für einen selbst ist es beim Schreibprozess ja auch viel spannender und unterhaltsamer, wenn man einfach den Geschehnissen und ihrer Entwicklung nur zuzusehen braucht, anstatt sich das ganze auch noch „ausdenken“ zu müssen. Wie mühselig (* dieser Spruch mit einem Hauch Ironie *).

Mit diesem Ansatz habe ich z.B. einmal mit einer Figur einen Raubüberfall auf sie von zwei Banditen inmitten eines verfallenen Pharaonenpalastes durchgespielt, mein Protagonist hat zwar ein halbes Ohr verloren (<- das ergab sich ganz von selbst im Verlauf der Handlung ohne vorherige Planung), aber er hat es doch noch geschafft zu entkommen.

Hätte ich diese Szene vorher kalt durchgeplant wäre sie bestimmt nicht so lebendig und intensiv geworden, wie sie einfach geschehen zu lassen, um zu schauen wo und wie ich hinauskomme.


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Irschle
Gänsefüßchen


Beiträge: 41



Beitrag02.01.2024 12:05

von Irschle
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nothingisreal hat Folgendes geschrieben:
Indem du dich mit den Charakteren beschäftigst. Extrem viel. Mir hilft es, Szenen aus ihren Leben zu erfinden, die vor dem Handlung stattfinden. Die spiele ich einfach im Kopf durch, ohne jegliche dramaturgische Mittel.

Was noch hilft: Aus der Sicht der Figuren frei Schnauze schreiben. Eine Art innerer Monolog. Keine Szenen. Dann bekommt man ein sehr gutes Gefühl für die Figur.


Hab keinen Tipp, bin aber dankbar für diesen hier! Mir fällt es nämlich schwer spannende Dialoge zu schreiben. Und das liegt daran, dass ich meine Prota noch nicht gut genug kenne. Danke.
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Ralphie
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Alter: 71
Beiträge: 6398
Wohnort: 50189 Elsdorf
DSFo-Sponsor


Beitrag02.01.2024 15:01

von Ralphie
Antworten mit Zitat

Dann leg deine Prota auf die Couch und interviewe sie. Fang mit ihren Großeltern und Eltern an, und dann fragst du sie, wo und wann sie geboren wurde. Damit hast du schon mal einen Grundstein gelegt.
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Arminius
Geschlecht:männlichReißwolf

Alter: 65
Beiträge: 1226
Wohnort: An der Elbe


Beitrag02.01.2024 20:44

von Arminius
Antworten mit Zitat

Mir hilft es ungemein, mich vollständig in eine Figur hineinzuversetzen. So wie Klaus Kinski das mit seinen Filmrollen getan hat.

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Epiker
Geschlecht:männlichEselsohr

Alter: 29
Beiträge: 301
Wohnort: Österreich


Beitrag02.01.2024 21:53

von Epiker
Antworten mit Zitat

Also ich  finde mir hat meine jahrelange Tätigkeit in einem Textrollenspiel mit anderen sehr geholfen meinen Stil zu verbessern und meine Figuren auszuarbeiten. Suche dir am besten einen Partner und veranstaltet zusammen ein Mini-Textrollenspiel z.B. in Form des Ausspielens von 1-2 Szenen miteinander z.B. per Mail oder hier per PN.

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Hugin_Hrabnaz
Geschlecht:männlich(N)Ich-Erzähler

Alter: 48
Beiträge: 243
Wohnort: Ulm


Beitrag03.01.2024 03:30

von Hugin_Hrabnaz
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Wenn ich meinen Schreibprozess so betrachte, dann schätze ich mich im Punkt des Figuren- und Szenendesigns sehr glücklich, dass es sich für mich wirklich nicht so anfühlt, als würde ich mir die Figuren und ihre Handlungen ausdenken, sondern als würde ich sie beobachten und einfach warten, bis sie handeln, wie sie handeln. Das war für mich auch der entscheidende Grund, als Erzählzeit das Präsens zu wählen, weil es für mich eben nicht so ist, als würde ich etwas erzählen, was ich mir irgendwann mal ausgedacht habe, oder was ich irgendwann mal beobachtet habe, sondern weil es sich in der Entstehung wie ein Livereport anfühlt. Dieses Gefühl würde ich, so empfinde ich es, abtöten, würde ich die Geschichte im Imperfekt erzählen.

Aber das Thema waren ja die Figuren. Im Gegensatz zum Threadersteller sind meine Figuren zu Beginn des Schreibvorganges so gut wie gar nicht ausdefiniert, das hypothetische Interview mit dem Protagonisten hinterließe viele weiße Felder im tabellarischen Lebenslauf. Das ist ein Vorgang, den ich zu 95% als "Gardening" bezeichnen würde, als Zuschauen beim Wachsen der Figur und der Geschichte, mit gelegentlichem lenkenden und zierendem Beschnitt hier und da. Das aktuelle Projekt fing mit einer Szene an, in welcher die junge Protagonistin nachts in einem alten hölzernen Tempel sitzt, um vor dem Winter und vor unfreundlichen Zeitgenossen ein bisschen Schutz zu haben. Da wusste ich noch nicht ihren Namen, nicht woher sie kommt und wohin sie geht, was ihre Prüfungen und ihre Ziele sein werden. Es war nur die Atmosphäre des Orts und die Gestalt und die Stimmung der Protagonistin, die mir durchs Hirn schossen, und daran bin ich kleben geblieben.

Dann habe ich die erste Szene einfach niedergeschrieben, ohne zu wissen, wohin sie geht. Irgendwann auf Seite 9 merkt sie dann, dass sie nimmer allein ist, und auf Seite 16 hat sie dann einen ersten Kontakt im Rahmen der Handlung hinter sich, von dem sie und ich noch nichts wussten, als ich auf Seite 1 angefangen habe. Diese Vorgehensweise oder besser, diese Funktionsweise des Schreibers ist natürlich zugleich Fluch und Segen, denn sie führt auf der einen Seite - das ist mein Eindruck - zu einer sehr tiefen Identifikation mit den eigenen Figuren, und entsprechend auch zu viel Liebe zum Detail bei deren Beschreibung, auf der anderen Seite ist es aber ein sehr intuitives, bisweilen unfokussiertes Schreiben, das zu einer Schreibblockade führen kann, wenn die Bilder vor dem inneren Auge eben mal eine Weile nicht kommen, und das auch das Risiko birgt, dass man so sehr in seine Figuren "vernarrt" ist, dass man ein Bedürfnis entwickelt, wirklich alles über sie zu erzählen, und somit vor dramaturgisch wichtigen Auslassungen, Zeitsprüngen usw... zurückscheut, sowie ebenso davor, auch mal eine Figur sterben zu lassen. Und man wird am Ende nicht umhin können, die Handlung nochmals zu straffen und manche Szenen zu streichen oder zu kürzen, obwohl man sie richtig gerne mag, weil es sonst einfach zu viel sein kann, um vom Leser noch angenommen zu werden.

Auch wenn ich Leute ein bisschen beneide, die gute Plotter und Builder sind, und denen die Outline einer Story leicht von der Hand geht, und so sehr ich manchmal darunter ächze, dass aus der Handlung, die ursprünglich für eine Szene geplant war, sich nun doch dreieinhalb Szenen entwickelt haben, so möchte ich persönlich doch nicht tauschen, weil mir subjektiv einfach diese intensive innere Beziehung zu den Charakteren der Geschichte beim Schreiben so viel gibt.

Die Frage, wie man das macht, kann ich indes kaum beantworten, weil ich nichts dafür gemacht habe, dass es so ist oder wird, sondern das war immer so, und das habe ich mir nicht herausgesucht. Ich weiß auch nicht, ob man es lernen kann, aber ich kann einfach mal sagen, wie ich vorgehe, um einen inneren Nexus zu den Figuren zu bekommen. Wie oben angedeutet, ist es zunächst das Arbeiten mit inneren Bildern. Tagträumen. Reflektieren über die Bilder, die durchs Hirn huschen. Sich in Gedanken dazu setzen und warten, was die Person als nächstes tut. Sich vorstellen, man schaute einen Film mit ihr als Hauptrolle, und was würde man erwarten, oder sich wünschen, was als nächstes passiert.

Ein Weiteres, was mir in Zeiten der Schreibblockade tatsächlich hilft, ist das Arbeiten mit "text to image"-KI-Software wie "Midjourney", oder mit dem Griffel und einem Blatt Papier. Wenn der Text in einer bestimmten Phase nicht von der Hand gehen will, oder der Plot sich nicht schließt, dann versuche ich gerne mal, einfach Bilder von den Figuren zu zeichnen oder von der KI zeichnen zu lassen. Nicht als Illustrationen fürs Buch, nicht für die Veröffentlichung bestimmt, sondern nur, um den Figuren mal buchstäblich in die Augen schauen zu können. Ich bin selbst erstaunt, dass ich über die KI echt nach einer Weile fast jede Figur annähernd so abgebildet bekomme, wie ich sie mir im Kopf zuvor vorgestellt habe. Das ist fast etwas gespenstisch, aber mir hilft dieser Prozess dabei, noch näher an die Figur heran zu rücken, und mir noch besser Interaktionen mit anderen Figuren und Situationen vorstellen zu können, und dann kommen auch wieder Bilder von Szenen im Kopf, die vorher nicht da waren.

Das klingt jetzt vielleicht ein bisschen esotherisch, aber etwas, das für mich funktioniert, mag ja gegebenenfalls auch für andere einen Nutzen haben, daher wollte ich es mal teilen.
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Hugin_Hrabnaz
Geschlecht:männlich(N)Ich-Erzähler

Alter: 48
Beiträge: 243
Wohnort: Ulm


Beitrag03.01.2024 03:44

von Hugin_Hrabnaz
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Epiker hat Folgendes geschrieben:
Also ich  finde mir hat meine jahrelange Tätigkeit in einem Textrollenspiel mit anderen sehr geholfen meinen Stil zu verbessern und meine Figuren auszuarbeiten. Suche dir am besten einen Partner und veranstaltet zusammen ein Mini-Textrollenspiel z.B. in Form des Ausspielens von 1-2 Szenen miteinander z.B. per Mail oder hier per PN.


Dies sind zwei weitere sehr gute Anmerkungen, denn man kann den Prozess des Plottings und des Character Buildings durchaus sehr gut mit einem P&P-Rollenspiel vergleichen, dessen Spielleiter man ist. Hier hat man auch eine grobe Ahnung, wohin die Reise der Protagonisten gehen soll, aber man hat deren Charakterzüge, deren Reaktionen und deren Entscheidungen nicht zu 100% unter Kontrolle. Manches ist unvorhersehbar und offenbart sich erst, wenn der Spieler (der Charakter) tatsächlich interagiert und man merkt, wie er tickt bzw. ticken muss, um echt und fühlbar zu sein, auch wenn man sich das vorher anders vorgestellt hat. Es ist gut, wenn man bereit dazu ist, auch etwas umzuwerfen, was man sich anders vorgestellt hat.

Auch der Tipp mit dem Freund und dem Durchspielen ist aus meiner Sicht toll und wichtig. Einer meiner besten Freunde hat schon viele Szenen meines Projekts mit mir durchgespielt, und dabei sind mir auch viele Details aufgefallen, die eine Figur und deren Handlungen begreifbarer und fühlbarer machen. Und das ist, worauf es ankommt, meiner Meinung nach, dass du selbst fühlen kannst, dass deine Figur wie ein lebendiges Wesen funktioniert und begreifbar ist, und eben nicht nur eine Platzhalterfigur, weil man an dieser Stelle eben eine Hexe, einen Alb oder einen Schafhirten braucht, der aber auch genau darauf reduziert ist, diese Funktion zu erfüllen. Abgesehen von den natürlich auch bisweilen notwendigen Statisten (also z.B. "die 12 weiteren Soldaten des Trupps"), scheue ich komplett davor zurück, Figuren mit Sprechrollen zu verwenden, die mir nichts bedeuten, und zu denen ich keinen emotionalen Bezug aufbauen kann. Ich denke an er Stelle immer, dass eine Figur, die mir egal ist, auch dem Leser egal sein muss, und es daher in der Regel nicht wert ist, beschrieben zu werden.
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strixaluco
Geschlecht:weiblichGänsefüßchen
S


Beiträge: 19



S
Beitrag19.01.2024 20:54

von strixaluco
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Hallo

Der Beitrag ist ja schon etwas älter, ich wollte trotzdem eine Antwort geben. Bei mir passiert das immer, wenn ich Dialoge schreibe.

VG
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