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Diese Werke sind ihren Autoren besonders wichtig Auf der Flucht


 
 
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EnricoRiver
Geschlecht:männlichSchneckenpost

Alter: 38
Beiträge: 14



Beitrag04.07.2020 17:57
Auf der Flucht
von EnricoRiver
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Das hier ist ein Auszug aus einem meiner Romane. Er müsste eigenlich auch ohne Erklärung funktionieren. Mich würde interessieren, was ihr von den Charaktern haltet und wie die ganze Szene auf euch wirkt. Sollte euch etwas auffallen, scheut nicht es mir zu sagen^^.

Auf der Flucht


Sie laufen jetzt schon eine gefühlte Ewigkeit, immer die Sonne im Rücken, über Stock und Stein und durch dichten Wald, dann wieder über große Lichtungen. Fang schmerzen die Pfoten. Immer wieder leckt er sich über die wunden Ballen, doch sein Vater bleibt nicht stehen. Selbst wenn Fang nicht weiter geht, dreht er sich nicht nach ihm um. Stets sind seine Ohren nach allen Richtungen ausgerichtet.
„Papa, ich kann nicht mehr!“, ruft Fang zum gefühlt hundertsten Mal.
Wieder reagiert Aaron nicht.
Fangs Magen knurrt laut. Seit sie aufgebrochen sind, hat er nichts mehr gefressen, auch um etwas zu trinken, sind sie nicht stehen geblieben, dabei liegen bereits zwei Seen und ein Fluss hinter ihnen.
„Papa, ich habe Hunger!“
„Halt noch ein bisschen durch!“, sagt Aaron und läuft unbeirrt weiter.
Fang will nicht mehr durchhalten. Die Sonne brennt heiß durch das Blätterdach, ihm hängt die Zunge weit aus dem Maul. Selbst das Hecheln bringt keine Erleichterung mehr. Der junge Löwe sieht nach oben, keine Wolke ist zwischen den Blättern hindurch auszumachen. Dabei wäre es so schön, wenn es jetzt regnen würde, dann bräuchte er nur das Maul weit öffnen und die Regentropfen einfangen.
Etwas Spitzes bohrt sich in Fangs Pfote, er schreit auf und bleibt stehen. Unter seiner Pranke ist eine dornenbespickte Pflanze, die sich quer über den Trampelpfad schlängelt.
Vorsichtig hebt Fang die Pranke. Ein großer Dorn steckt mitten in seinem Pfotenballen. Bei dem Anblick kommen dem jungen Löwen die Tränen. Er versucht den Dorn mit den Eckzähnen zu greifen, doch es will ihm nicht gelingen. Das ist eindeutig zu viel für das Löwenjunge. Fang bleibt liegen, leckt und kaut auf dem Dorn herum. Er gibt jammernde Laute von sich, während der Vater hinter einer Hecke verschwindet.
Aarons Pfoten brechen im Unterholz kleine Äste, Fang kann ihn noch ganz deutlich hören. Schließlich bleibt sein Vater irgendwo in der Ferne stehen.
Fang jammert weiter, er gibt die kläglichsten Laute von sich, die er produzieren kann.
Es raschelt im Gestrüpp, die knackenden Äste sind nun lauter. Aus der Hecke löst sich die Gestalt Aarons. Er sieht sich nach allen Seiten um, dann fällt sein Blick auf Fang. „Was ist denn?“, fragt er harsch.
Fang antwortet nicht, er steckt lediglich die Pfote mit dem Dorn darin, in Richtung seines Vaters. Wimmernd rollt er sich auf dem Rücken hin und her.
Aaron geht die wenigen Schritte bis zu ihm und legt sich auf die Erde. Mit den Pranken fixiert er die Pfote seines Jungen und senkt den mächtigen Kopf mit der flauschigen Mähne. Vorsichtig greift er den Dorn mit den Eckzähnen und zieht ihn heraus.
Fang gibt einen fiependen Ton von sich, zappelt und zerrt an seiner Pfote.

Aaron hält ihn weiter fest, er leckt die über den Pfotenballen, bis kein Blut mehr nachkommt. Erst jetzt sieht er, wie wund die Pfoten Fangs sind. Er hat seinem Jungen zu viel abverlangt. Auch das laute Knurren von Fangs Magens kann er nun nicht mehr überhören. Vielleicht ist es ja doch an der Zeit eine Rast einzulegen und nach etwas Fressbarem Ausschau zu halten, aber wo sollen sie anfangen. Sie sind weit weg von ihren üblichen Jagdgründen. Es hilft ihm dieses Mal nicht sich an die Gewohnheiten der Beutetiere im Jagdgrund zu erinnern. Es gibt auch keine Weibchen, die er losschicken könnte. Das er selbst gejagt hat, ist schon lange her. Aaron lauscht in das Unterholz hinein, die Nase hält er in den Wind. Da gibt es viele Arten von Flügelpickern und ein Bau voller Nagezähnen muss ganz in der Nähe sein. Aaron kann sie unter der Erde graben hören. In der ganzen Umgebung riecht es nach ihrem Kot und Urin. Er meint sogar einen Nagezahn ganz in der Nähe zu wittern, er bewegt sich durch das Unterholz und knabbert am wenigen Grass, das hier unter dem dichten Blätterdach wächst. Ein Nagezahn ist zwar nur eine Zwischenmahlzeit, aber zumindest würde es Fang sattmachen. „Still Junge, hörst du das?“, sagt Aaron in einem verführerischen Tonfall.
Fang unterbricht sein Wehklagen, mit frischen Tränen in den Augen schaut er sich um, seine Ohren sondieren die Umgebung.
Aaron senkt seinen Kopf bis tief auf die Erde, jetzt kann er seinem Sohn in die Augen sehen. Flüsternd sagt er: „Da sitzt ein Nagezahn im Gebüsch. Kannst du hören, wie er am Grass nagt?“
Fang richtet seine Ohren auf das Gebüsch aus. Ein Lächeln legt sich auf seine Lefzen, er macht sich ganz klein, so flach wie möglich, legt er sich auf die Erde. „Ja Papa“, sagt er leise.
„Pass auf, ich schleiche um das Gebüsch herum und versperre ihm den Fluchtweg. Du springst in den Busch und treibst es in meine Richtung!“
„Au ja!“ Fangs schaut angriffslustig, er behält seine geduckte Haltung bei.
Aaron nickt seinem Jungen zu, dann schleicht er davon.

Fang bleibt am Boden hocken. Er sieht dem Vater nach, der in einem großen Bogen das Gebüsch umrundet. Obwohl seine Pfoten so groß sind, machen sie keine Geräusche mehr. Er umgeht jeden trockenen Ast und alles, was ihn verraten könnte.
Fang muss immer wieder darüber staunen, wie leichtfüßig sich dieser große Löwe durch das Unterholz bewegen kann. Schließlich ist Aaron im Dickicht verschwunden.
Fang wartet noch einen Moment, bis er sich ganz sicher ist, dass sein Vater in Stellung gegangen ist. Er lauscht nach dem Nagezahn. Da, direkt vor ihm, nur eine Sprunglänge entfernt, da muss er sitzen. Fang kann genau hören, wie er über einen Ast steigt und dieser unter seinem Gewischt nachgibt. Das muss ein wirklich fetter Brocken sein. Fang läuft schon beim Gedanken an das zarte Fleisch, dass Wasser im Maul zusammen. Es gibt doch nichts was besser schmeckt, als Nagezahn zum Mittag. Fang duckt seinen Oberkörper tiefer, den Hintern hebt er hoch und wackelt angespannt mit ihm, dann macht er einen Satz nach vorn, hinein in den Busch. Direkt vor dem Nagezahn landet er auf allen vier Pfoten.
Das Tier mit den langen Löffelohren, streckt den Kopf in seine Richtig, er schnuppert, dann richtet er sich auf die Hinterpfoten auf. Jetzt ist er genau so groß wie Fang. „Was soll das werden, Löwenjunges?“, fragt der Nagezahn.
Irritiert bleibt Fang genauso hocken, wie auf der Erde aufgekommen ist. Er hat fest damit gerechnet, dass der Nagezahn in wilder Flucht vor ihm davon rennt, und seinem Vater direkt in die Arme läuft. So ist er es von den Nagezähnen im Jagdgrund gewohnt. Dieser hier verhält sich merkwürdig.
„Geh wo anders spielen!“, sagt er und hockt sich wieder ins Laub. Seine Stupsnase durchstöbert den Boden und findet schließlich einen Flecken Gras. Freudig nagt er ihn ab.
„Lauf gefälligst weg!“, sagt Fang aufgebracht und macht einen Buckel um groß und bedrohlich zu wirken.
Der Nagezahn schaut nicht einmal auf, er frisst einfach weiter.
Das ist doch nicht zu fassen! Dann muss Fang wohl selbst ernst machen. Er nimmt Anlauf und springt dem Beutetier auf den Rücken. Seine Krallen fährt er weit aus, das Maul reißt er auf.
Der Nagezahn macht einen Satz zur Seite und richtet sich auf.
Fang verfehlt ihn ganz knapp, er will schon zu einem neuen Sprung ansetzen, als ihn die kräftigen Hinterläufe des Nagezahns mitten ins Gesicht treffen.
Seine Wange beginnt zu schmerzen. „Au, hey!“, beklagt sich Fang und weicht zurück.
Immer wieder springt der Nagezahn mit den Hinterläufen voran auf ihn zu. Er trifft ihn am Kopf, in die Flanke, am Hinterbein. Fang hat nicht gewusst, dass diese Tiere so kräftig zutreten können. Jeder neue Hieb dieser Läufe schmerzt entsetzlich. Fang sieht nur noch weiße Pfoten, die immer wieder aufs Neue auf ihn eintreten. Das ist eindeutig zu viel. Seinen leeren Magen zum Trotz, ergreift er die Flucht, raus aus dem Unterholz und über den Trampelpfad davon.
Der Nagezahn bleibt ihm dicht auf den Fersen und verfolgt ihn, mit den Hinterläufen voraus.
Schreiend rennt Fang über den Weg ins Dickicht, wieder heraus, wieder hinein, aber der Nagezahn lässt sich einfach nicht abschütteln.

Aaron liegt Abseits vor dem Gebüsch. Schon viel zu lange wartet er hier. So langsam müsste der Nagezahn sich blicken lassen. Was treibt sein Sohn im Gebüsch so lange? Aaron glaubt sogar eine Unterhaltung mit dem Beutetier zu hören, aber kann das wirklich sein? Warum hält Fang sich mit so etwas auf? Ein knacken und Rascheln folgt, ein Kampf scheint im Unterholz ausgebrochen zu sein. Gespannt betrachtet Aaron das Blätterwerk und hofft etwas erkennen zu können. Ist es jetzt vielleicht schon so weit? Wird Fang heute sein erstes Beutetier selbst erlegen? Das wäre ja zu schön um wahr zu sein!
Laute Schrei sind zu hören, doch sie klingen nicht nach einem Nagezahn. Aaron macht im Augenwinkel eine Bewegung auf dem Trampelpfad aus. Er erhebt sich, um über die Hecke hinwegblicken zu können. Fang rennt dort in wilder Flucht vor einem langohrigen Nagezahn davon. Das Beutetier ist ihm dicht auf den Fersen und schlägt immer wieder mit seinen Hinterbeinen nach ihm. Er muss ihn schon einige Male getroffen haben, denn sein Fell ist an vielen Stellen plattgedrückt.
Aaron seufzt ergeben. Seine Hoffnung, aus Fang könnte doch noch ein guter Jäger werden, sind dahin. Bisher hat dieses Junges nicht einmal einen Schmetterling fangen können, wie konnte er da erwarten, dass er es mit einem Nagezahn aufnehmen kann. Der ganze aufgekommene Stolz verlässt den Vater, er beobachtet die Flucht seines Sohnes noch einen Moment lang, dann springt er über die Hecke und dem Nagezahn direkt in den Rücken. Unter seinen großen Pranken geben die Knochen des Beutetieres nach. Ein gequältes Stöhnen entkommt der Kehle des Nagezahns. Es strampelt mit den Vorderläufen, während seine Hinterläufe unnatürlich nach unten weggleiten. Aaron nimmt den ganzen Kopf des Nagezahns ins Maul und legt ihm seine Zunge über Mund und Nase. Die Gegenwehr des Beutetieres dauert nur wenige Minuten, dann bleibt es schlaff liegen. Aaron wartet noch einen Moment, dann gibt er den Kopf wieder frei.
Fang ist unterdessen in einiger Entfernung stehen geblieben. Völlig außer Atem, senkt er den Blick, er wagt es nicht seinem Vater ins Gesicht zu sehen, als er langsam zu ihm getrottet kommt. „Es wollte einfach nicht weglaufen“, sagt er zerknirscht.
Aaron sieht seinen Sohn nur einen Moment lang an, dann reißt er dem Nagezahn den Rücken auf und beginnt damit ihm das Fleisch von den Knochen zu ziehen. Er schlingt die ersten Bissen hinunter.
„Papa? Es tut mir leid“, sagt Fang, während er näher kommt.
Wieder sagt Aaron nichts, er frisst an dem Nagezahn bis auch das letzte Fleisch vertilgt ist.
„Hey, was ist mit mir?“, fragt Fang. Aufgebracht läuft er die letzten Schritte schneller, doch als er ankommt sind nur noch Haut und Knochen übrig. Bitterböse sieht er seinen Vater an.
Aaron leckt sich einmal quer über die Lefzen und sagt dann: „Mit einem leeren Magen jagt es sich besser. Du willst fressen, dann fang dir einen Nagezahn!“
Aaron erhebt sich. Den entsetzt Blick seines Sohnes ignoriert er und läuft langsam weiter, so muss er seinem Sohn nicht länger anschauen. Es schmerzt ihn und geschmeckt hat ihn diese Mahlzeit auch nicht, aber wer weiß, wie lange er noch für Fang da sein kann. Wenn die Weißen hinter ihnen her sind, kann Aaron morgen schon tot sein. Fang muss jetzt schnell lernen und er weiß keinen besseren Weg, als diesen.

Fang bleibt neben dem vertilgten Nagezahn stehen. Er dreht ihn von einer zur anderen Seite, doch sein Vater hat ihm nichts übrig gelassen. Trotzdem leckt Fang jeden Knochen noch einmal ab. Das schmeckt so gut, wenn es nur genug wäre, um seinen Magen zu füllen.
Sein Vater legt sich in einiger Entfernung ins Laub, den Kopf bettet er auf seinen Pranken und schließt die Augen. Er gibt vor zu schlafen, doch seine Ohren sondieren unaufhörlich die Umgebung. Auch seine Nase bewegt, unter tiefen Atemzügen.
Sie werden also erst einmal hier bleiben, schlussfolgert Fang, doch so wie Aaron sich platziert hat, wird er nicht eine Pfote rühren, um ihm beim Jagen zu helfen. Das ist so gemein! Fang zieht ein Schmollmaul. Er knabbert noch ein bisschen an den Knochen herum, dann weht ihm ein unwiderstehlicher Duft in die Nase. Ganz nah muss noch einer dieser Nagezähne sein. Irgendwo hinter ihm. Fang dreht sich um. Im Augenwinkel nimmt er eine Bewegung war, doch als er sich darauf ausrichtet, ist dort nichts, außer ein Loch im Boden.
Nagezähne wohnen unter der Erde, erinnert er sich. Sicher haben sie dort einen Bau und wo ein Bau ist, da sind auch Jungtiere. Die Kinder der Nagezähne sind blind und hilflos, die können ihm gar nicht entkommen. Fang springt auf die Pfoten und läuft zum Loch, er schaut hinein. Es ist dunkel dort drin, der Eingang ist viel zu klein, doch der unwiderstehliche Duft nach Nagezahn ist hier noch stärker. Fang beginnt zu graben. Die wunden Pfoten spürt er gar nicht, nur der Duft nach leckerem Nagezahn erfüllt ihn. Immer tiefer buddelt er sich ins Erdreich. Der Eingang wird breiter, endlich passt Fang hindurch. Er zwängt sich durch die Röhre die die Nagezähne gegraben haben. Von oben dringt Licht durch kleine Risse in der Erde. Fang kann eine große Kammer direkt vor sich ausmachen. In ihr hockt ein großer Schatten, direkt vor vielen kleinen. Das müssen die Jungtiere sein, auf die er es abgesehen hat. Fang leckt sich über die Lefzen. Der betörende Duft ist hier am stärksten, er meint das saftige Fleisch bereits schmecken zu können. Nur noch ein kleines Stück, dann hat er das Nest erreicht.
Der große Schatten hockt nun direkt vor ihm. Er zittert und stinkt nach Angst. „Bitte, nicht auch noch meine Jungen, ihr habt doch schon meinen Mann gefressen. Seid ihr davon nicht satt geworden?“, fiept eine weiblich klingende Stimme.
Fang hält inne. Die Worte des Nagezahns bringen ihn zum Nachdenken. Sicher hat dieses Weibchen zugesehen, als sein Vater das Nagelzahnmännchen getötet und aufgefressen hat. Sie war sicher der Schatten den Fang im Augenwinkel wahrgenommen hat. Das war bestimmt kein schöner Anblick für sie gewesen und nun ist Fang hier und trachtet auch noch ihren Jungen nach dem Leben. Aber sie sind nun mal wirklich leichte Beute. In Fang kämpft Mitleid gegen Hunger. Er ist einer Mahlzeit so nah. Dort hinten bewegen sich mindestens sieben Schatten. Sicher kann das Nagelzahnweibchen zwei oder drei davon entbehren. „Gib mir nur drei Jungtiere, dann bin ich Satt und verschone den Rest!“, sagt Fang, während ihm der Sabber aus dem Maul läuft.
„Drei? Wie soll ich drei meiner Kinder auswählen? Sie sind mir alle liebe und teuer“, sagt das Nagezahnweibchen mit zitternder Stimme.
Fang muss an die Jungen seines Rudels denken. Hätte er drei von ihnen auswählen können, um die anderen zu retten? „Na gut, dann nur eines!“, sagt er.
Das Nagezahnweibchen bleibt einen Moment still, dann kommt sie ein Stück näher: „Wenn ihr nur eines wollt, lieber Löwe, dann nehmt mich. Von den Jungen wertet ihr nicht satt und dann kommt ihr Morgen wieder und holt das nächste.“
„Aber ohne euch, werden sie alle sterben“, sagt Fang und betrachtet die Jungtiere. Sie quietschen verängstigt und drängen sich aneinander. Ihre Augen sind noch geschlossen und das Fell wächst ihnen nur Punktuell an wenigen Stellen. Sie brauchen die Milch der Mutter, um sich weiter entwickeln zu können und saftige Nagezähne zu werden.
„Dann bitte versteht doch, dass ich keine Wahl treffen kann. Nehmt was ihr braucht und dann geht und lasst mich trauern!“, sagt sie.
Jetzt ist es auf einmal Fang der eine Wahl treffen soll? Die Fette Nagezahnmutter oder ihre Jungtiere, oder alle? Was wäre denn das freundlichste? Fang weiß sich keine Antwort. Er schaut noch einmal alle an, dann sagt er: „Wir haben euch schon etwas genommen. Dass muss reichen.“  Rückwärts kriecht er aus der Röhre hinaus. Endlich wieder im Freien, schüttelt er sich den Dreck aus dem Fell, dann trottet er langsam zu seinem Vater zurück. Obwohl er noch immer Hunger hat, schleicht sich dennoch ein gutes Gefühl in Fangs Herz.
Aaron hebt den Kopf, er sieht ihn fragend an.
Fang bleibt vor ihm stehen, er setzt sich und lächelt, als er sagt: „Ich bin satt, wir können weiter.“
„Wirklich?“, fragt Aaron ungläubig.
„Ja, da drin war ein ganzes Nest mit Jungtieren. Die konnten sich noch nicht wehren und waren sehr lecker.“
Noch einmal betrachtet Aaron seinen Sohn prüfend, schließlich erhebt er sich. „Nun gut, dann gehen wir weiter.“ Er wendet sich und geht voraus.
Fang wirft noch einmal einen Blick zurück.
Aus dem Loch in der Ferne schaut das Nagezahnweibchen. Seine Nasse zittert, sie schaut in seine Richtung.
Fang nickt ihr zu, dann trottet er seinem Vater nach. Auf ihrem Weg schaut er immer mal wieder zurück. Das Weibchen hat den Bau verlassen und ist zu ihrem Mann gehobelt. Sie stellt sich vor ihm auf die Hinterläufe, faltet vor sich die Vorderpfoten und senkt den Kopf. Sie murmelt etwas, während ihr Tränen aus den Augen laufen.
Zum ersten Mal sieht Fang, wie Beutetiere einander verabschieden. Es ist genau so, wie es die Löwen tun. Sie weinen auch.
Nachdenklich trottet Fang seinem Vater nach, irgendwann hält er seine wirren Gedanken nicht mehr aus und fragt: „Tun dir die Beutetiere manchmal leid?“
Aaron läuft langsamer, er lässt Fang aufholen. „Was meinst du?“, fragt er.
„Na hast du schon mal ein Beutetier verschont, weil es um sein Leben gebeten hat?“
„Du hast in dem Bau nichts gefressen, oder?“
Fang senkt den Blick. „Sie hat doch schon ihren Mann verloren, wie konnte ich ihr da noch die Jungen nehmen?“
„Ach Fang. Du bist genau so sanft wie deine Mutter.“ Aaron hebt seinen Blick und schaut in den Himmel. „Sie konnte auch nur Beute töten, die verletzt oder alt war.“ Sein Vater lächelt einen kurzen Moment, dann wird er wieder ernst. Er beugt sich zu Fang herab, um ihm direkt in die Augen sehen zu können. „Das ist okay, wenn wir in einem Rudel sind, da können wir uns diesen Luxus leisten. Aber jetzt auf der Flucht, wird dein Magen leer bleiben, wenn du Mitleid mit der Beute hast. Dann bist du es am Ende, von dem die Schwarzfedern die Reste abpicken.“
Fang schaut nachdenklich vor sich hin. Sein Vater hat Recht, Fangs Magen ist leer und tut noch immer weh. Vielleicht hätte er ja doch das Angebot des Nagezahnweibchens annehmen und sie fressen sollen. Das wäre ein fetter Brocken gewesen. Mit den Jungen zusammen, wäre er lange satt gewesen und hätte nicht jagen müssen. Andere Beutetiere wären dann sicher gewesen. Vielleicht muss ja doch einer sein Leben lassen, damit ein andere überlebt?
„Wenn man von den Schwarzfedern spricht. Da oben fliegt schon einer“, sagt Aaron und blickt in den Himmel. „Komm beeilen wir uns besser! Wenn die auftauchen ist Ärger nicht weit.“ Aaron beschleunigt seine Schritte. In schnellen Sprüngen setzt Fang ihm nach.

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CIPO86
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C
Beitrag04.07.2020 19:24

von CIPO86
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Ich mag den Text. Das ist jetzt vermutlich eine wenig konstruktive Kritik, aber ist so Wink
Für mich klingt das nach einer guten Geschichte über eine Vater-Sohn-Beziehung und dem mitunter schwierigen Unterfangen, erwachsen zu werden.
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Orochi Neko
Leseratte


Beiträge: 113
Wohnort: Hängematte


Beitrag04.07.2020 21:17

von Orochi Neko
Antworten mit Zitat

CIPO86 hat Folgendes geschrieben:
Ich mag den Text. Das ist jetzt vermutlich eine wenig konstruktive Kritik, aber ist so Wink
Für mich klingt das nach einer guten Geschichte über eine Vater-Sohn-Beziehung und dem mitunter schwierigen Unterfangen, erwachsen zu werden.

Dem kann ich mich nur anschließen. smile extra
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CIPO86
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C

Alter: 37
Beiträge: 183



C
Beitrag04.07.2020 23:05

von CIPO86
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Ach, das hatte ich vorhin vergessen:
Zitat:
und ist zu ihrem Mann gehobelt

Du meinst hier wohl gehoppelt, nehme ich an?[/right]
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Hummelchen48
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Beitrag05.07.2020 06:18

von Hummelchen48
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Hallo CIPO,

ich mag deine Geschichten...

Grüße

Hummelchen
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EnricoRiver
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Beitrag05.07.2020 07:53

von EnricoRiver
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@CHIPO86:
Vielen Dank. Freut mich das ich die Vater-Sohn-Beziehung gut herausarbeiten konnte. Das gefundene Wort bessere ich aus, danke für den Hinweis.

@Hummelchen48 und Orochi Neko:
Es freut mich natürlich sehr das euch meine Geschichte gefällt. Es hätte mich nur interessiert, was euch gefallen hat. So kann ich mir nicht viel aus euren Worten nehmen.
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CIPO86
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Beiträge: 183



C
Beitrag05.07.2020 14:32

von CIPO86
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@Hummelchen
Ich glaube, du meintest Enrico, nicht mich...?
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Hummelchen48
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Beitrag06.07.2020 06:15

von Hummelchen48
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Ja, sorry, war noch im Halbschlaf...
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Hummelchen48
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Beiträge: 93
Wohnort: Rheinland-Pfalz


Beitrag06.07.2020 06:21

von Hummelchen48
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Hallo Enrico,

du hast recht, aber mir hat es gefallen beim Lesen,
und das habe ich dir einfach kurz mitgeteilt.

Ich finde, du hast gut herausgearbeitet, dass man sein Kind liebt und sich
sorgt, obwohl es sich anders (in diesem Fall nicht artgerecht) entwickelt.

Dein Schreibstil ist flüssig und angenehm zu lesen.

Liebe Grüße

Hummelchen
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EnricoRiver
Geschlecht:männlichSchneckenpost

Alter: 38
Beiträge: 14



Beitrag06.07.2020 07:56

von EnricoRiver
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Vielen Dank, damit konnte ich wirklich mehr anfangen^^.
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