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Begegnung mit Herrn Münchhausen


 
 
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wohe
Geschlecht:männlichKlammeraffe
W

Alter: 71
Beiträge: 632
Wohnort: Berlin


W
Beitrag20.06.2020 13:37
Begegnung mit Herrn Münchhausen
von wohe
eBook pdf-Datei Antworten mit Zitat

Hallo Freunde,

wie findet Ihr diesen Text? Geht das so?

„Igitt“, rief Charlotte. Sie sah auf ihre Stiefel, in die eine braune Mischung aus Wasser und Matsch hineinlief und runzelte die Stirn. „Hol mich hier raus.“
Wohe stand am Rand der Pfütze und versuchte, seine Gesichtsmuskulatur unter Kontrolle zu halten. „Wie denn? Soll ich auch in den Dreck spazieren? Komm einfach zurück.“
Charlotte bewegte vorsichtig ihre Zehen. „Das ist ekelig! Du willst doch immer ein Kavalier sein, also komm und trag mich.“
„Nee. Lieber kein Kavalier als dreckig.“
Denkpause. Wohe auf dem Trockenen hin und her laufend und Charlotte im Matsch erstarrt.
Dann: „Du kannst da nicht ewig Statue spielen. Wir müssen zum Essen zu Hause sein und vorher solltest du dich wieder sauber bekommen haben, sonst kriegt Mama schlechte Laune.“
„Und was ist mit meiner Laune“, fragte Charlotte. „Ich habe jetzt schon schlechte Laune und wenn ich noch länger hier stehen muss, wird sie bestimmt noch schlechter. Vielleicht sogar megaschlecht.“
Das klang übel. Charlotte konnte sehr lange sehr schlecht gelaunt sein.
„Warum bist du überhaupt da rein?“
„Weil ich meine Stiefel sauber machen wollte.“
„Oh.“
„Also: was ist jetzt? Ich hole mir bestimmt alle Bakterien dieser Welt. Ich merke direkt, wie die sich durch meine Strümpfe in die Füße fressen. Wenn‘s hoch kommt, sind da auch noch Viren oder so.“
„Oder Fußpilz.“
„Nee. den kriegt man nur im Schwimmbad.“
„Wer sagt das?“
„Die im Fernsehen.“
Sie stand immer noch wie angewurzelt.
„Im Fernsehen kam mal was über Moorleichen. Hast du das gesehen?“
„Nee.“
„Die sagen vielleicht schaurig aus. Total schrumpelig und braun. Willst du so enden? Komm raus!“
„Da kam aber auch eine Sendung, in der sie gesagt haben, dass man wochenlang ohne Essen auskommen kann. Ich könnte warten, bis dieser See austrocknet und komme dann nach. Geh also ruhig schon mal vor und sag Mama, ich esse später.“
See! Eine Pfütze von ein paar Metern. Leider tiefer als ein paar Zentimeter.  
Wohe las so ziemlich alles, was ihm vor die Brille kam, von Heldensagen bis zum Kassenbon. Auf den Fundus konnte er jetzt zurückgreifen. „Vor langer Zeit lebte mal ein Baron Münchhausen. Von dem gibt es die Geschichte, dass er sich am eigenen Schopf aus dem Sumpf gezogen hat. Versuch‘s doch auch mal. Ich gehe jedenfalls schon mal vor.“ Er zog sich in Richtung Heimat zurück.
„Ey“, rief Charlotte. „Du kannst doch nicht tatsächlich gehen. Du bist mein großer Bruder, du musst auf mich aufpassen.“
„Mach ich. Ich passe auf, dass noch was vom Essen für dich übrig bleibt.“ Weg war er.
Charlotte hatte Zöpfe. Sie zog am linken, was wehtat und dann am rechten, was ebenso wehtat.
„So ein Quatsch.“ Angemessener Kommentar.
„Nein, nein“, ertönte eine Stimme vom Wegrand. „Das geht schon. Der Zopf muss natürlich dafür geeignet sein.“
Ein schlanker Mann saß auf einem Schimmel und zeigte stolz den seinen. Dick und lang sah er unter seinen Dauerwellen hervor.
War es schon seltsam, dass sie nicht bemerkt hatte, wie Mann und Pferd dorthin gekommen waren: noch seltsamer war allerdings seine Bekleidung. Langschäfter über einer grauen Hose, die unter einem roten Jackett verschwand. Das Ganze sah aus wie eine Uniform, unbequem und hässlich und sowas von anno Tobak.
Charlotte war so verdutzt, dass sie aus der Pfütze hinaus marschierte. Es quietschte bei jedem Schritt. „Igitt! Ist das eklig!“
„Natürlich ist das eklig“, sagte der Mann. „Das ist ja auch Schlamm vom Feinsten. Wahrscheinlich völlig verseucht. Warum bist du überhaupt da rein?“
„Weil ich meine Stiefel sauber machen wollte.“
„Ah ja. Nun, wenn du Derartiges mal wieder vor hast, wäre ein Überarbeitung deiner Frisur empfehlenswert. Zopf statt Zöpfe. Qualität statt Quantität“ Er wedelte ostentativ mit seinem Zopf herum.
„Danke für den Tipp“, sagte Charlotte. „Ich werd‘s mir merken.“ Sie quietschte um Pferd und Reiter herum. Es roch nach Pferd (ungewaschen) und muffiger Kleidung (eindeutig ebenfalls ungewaschen, vielleicht sogar noch ein wenig ungewaschener).
Das Ganze ließ Schlüsse zu. „Sind Sie der Herr Münchhausen?“, fragte Charlotte.
Der Reiter lächelte etwas gezwungen. „Freiherr von Münchhausen bitte. Soviel Zeit muss sein. Du gestattest: Hieronymus Carl Friedrich Freiherr von Münchhausen.“
„Mein Bruder hat gesagt, dass sie vor langer Zeit gelebt haben. Dann sind doch aber tot“, stellte Charlotte fest.“
„Bin ich das?“, fragte der Baron. „Dein Bruder kennt mich, du kennst mich, also leben zumindest meine Geschichten noch und durch die lebe dann ja wohl auch ich noch weiter. Ich behaupte: meine  Geschichten sind unsterblich, ergo bin ich das auch.“
Klang logisch.
„Sie sprechen aber auch gar nicht so wie einer von früher.“
„Wie sollte denn einer von früher sprechen?“
„Na, so wie ...“, Charlotte liebte Historienfilme und hatte ein gutes Gedächtnis, „... wie verlanget Ihr, verehrtes Fräulein, dass ich artikuliere? Oder so.“
„Bloß nicht“, der Baron war entsetzt. „Kein Mensch würde mich dann noch ernst nehmen. Man muss sich schon den Zeiten anpassen.“
Charlotte überlegte. „Aber das Pferd und ihre Uniform. Die sind ja auch nicht gerade von heute.“
„Aber sicher doch. Pferde rennen hier überall rum.“ Er zeigte auch die Koppeln in der Umgebung.. „Und mein Outfit ...“
„Wow.“
„... dient der Wiedererkennung. Ich wirke damit irgendwie authentischer, was natürlich auch so seine Nachteile hat. Es riecht nicht nur muffig, es ist auch fürchterlich unbequem und hässlich.“
„Und das mit dem sich-am-Zopf-rausziehen geht wirklich?“ Charlotte kam wieder auf den Punkt zurück.
„Sicher.“
„Zeigen Sie‘s mir?“
„Deswegen bin ich hier.“ Der Baron gab seinem Pferd die Sporen und es sprang in die Pfütze.
Es platschte und das Pferd schaffte es, angeekelt auszusehen. Es hatte wohl eine besonders tiefe Stelle erwischt.
Auch sein Reiter blickte unerfreut auf seine beschmutzten Stiefel. „Da wird mein Bursche sich aber nachher wieder ärgern. Bringe ich ihm halt ne Cola mit, wenngleich ...
Ist hier irgendwo ein Kiosk oder Späti?“ Er sah sich um.
„Hier? Hier ist gar nichts. Außer Natur.“ Charlotte zeigte auf die Wiesen in der Umgebung.
„Also dann“, sagte der Baron. Er griff sich in die Haare und riss sich die Perücke vom Haupt.
„Mist“, kommentierte er und stülpte sie sich wieder auf den Kopf.
„Warum tragen Sie überhaupt eine Perücke“, fragte Charlotte. „Sie haben doch so schöne Haare.“
Der Baron war geschmeichelt. „Ja, nicht wahr? Schade eigentlich, aber die Mode verlangte es so. Außerdem müssen die verdammten Flöhe ja auch ein Zuhause haben.“
Er versucht es noch einmal an seinem eigenen Zopf, aber - „Das ziept.“
„Klappt wohl nicht“, stellte Charlotte fest.
„Doch, doch“, sagte der Baron. „Aber das Pferd hat wohl zugenommen.“
Er versuchte es noch einmal und diesmal schaffte er es tatsächlich und zog sich und das Pferd aus dem Sumpf.
„Na?“, fragte er.
„Toll!“ Charlotte klatschte Beifall.
Der Baron verneigte sich und galoppierte davon, so geräuschlos, wie er gekommen war.
Wieder was dazu gelernt. Charlotte lief nach Hause.
Sie setzte sich auf die Terrasse und überdachte das Geschehen und ...
„Hallo, mein Kleines“, sagte ihre Mutter. „Aufwachen, sonst verschläfst du noch die Spaghetti.“
Spaghetti! Charlotte rutschte vom Stuhl.
Es quietschte.
„Aber erst ziehst du die Stiefel aus und bringst deine Füße auf Vordermann.“
Charlotte sah an sich hinab und fand zwei schlammverkrustete Extremitäten.

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Radix
Wortedrechsler
R


Beiträge: 69



R
Beitrag20.06.2020 14:30

von Radix
Antworten mit Zitat

Die Leichtigkeit und der Witz der Geschichte gefallen mir sehr gut. Und es ist nach meiner Erfahrung nicht immer leicht, das so hinzubekommen. Die Geschichte ist dir, wie ich finde, sehr gut gelungen.
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Rodge
Geschlecht:männlichKlammeraffe


Beiträge: 845
Wohnort: Hamburg


Beitrag20.06.2020 14:35

von Rodge
Antworten mit Zitat

Hey wohe,

mir hat das sehr gut gefallen. Es ist lebendig und einfühlsam und überspringt so ein bisschen die Genregrenzen (vielleicht habe ich es aber auch falsch verstanden). Einige Kleinigkeiten würde ich anpassen:

„Warum bist du überhaupt da rein?“
Ein bisschen schlampig, villeicht reingegangen?

Wenn‘s hoch kommt, sind da auch noch Viren oder so.“
Zu holprig, vielleicht "wenn es noch doller kommt..."

Angemessener Kommentar.
Diesen Satz verstehe ich nicht, sagt das Charlotte?

Ein schlanker Mann saß auf einem Schimmel und zeigte stolz den seinen
Du könntest dazuschreiben, dass du den Zopf meinst...

Charlotte sah an sich hinab und fand zwei schlammverkrustete Extremitäten.
Ich verstehe, dass du nicht zweimal Füße schreiben willst, aber Extremitäten klingt für meinen Geschmack komisch.

Grüße
Rodge
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meerenblau
Reißwolf
M


Beiträge: 1320



M
Beitrag20.06.2020 15:32

von meerenblau
Antworten mit Zitat

Ich find es sehr gut. Auch dass alle Einwände, die man als Leser hat, Charlotte ebenfalls hat und anspricht. Davon würde ich gerne mehr lesen.

Das einzige, was mich stört, ist der letzte Satz: Extremitäten, das Wort an der Stelle, das kling irgendwie komisch.

Ansonsten, toll!
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wohe
Geschlecht:männlichKlammeraffe
W

Alter: 71
Beiträge: 632
Wohnort: Berlin


W
Beitrag20.06.2020 17:18

von wohe
pdf-Datei Antworten mit Zitat

Hallo Freunde,

Also:
Ich wusste selbst nicht so recht, welchem Gene ich diese Geschichte zuordnen sollte.
Die Sprache der Protas sollte sich an der normalen Ausdrucksweise junger Leute orientieren. Daher sowas wie "da rein".
Das "angemessener Kommentar" stammt vom Schreiber, stört hier tatsächlich den sonstigen Ablauf.
Stimmt! Die Extremitäten passen hier überhaupt nicht hin. Das klingt ganz furchtbar.

Vielen Dank für Euro Antworten.
Wohe
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Bavariagirl
Geschlecht:weiblichSchneckenpost
B

Alter: 54
Beiträge: 12
Wohnort: München


B
Beitrag22.06.2020 21:43

von Bavariagirl
Antworten mit Zitat

Hallo Wohe,

eine nette spritzige Geschichte. Könnt ich glatt weiterlesen, als Einstieg in eine längere Geschichte, ein Buch. Charlotte trifft Helden der Literatur.....
Den Dialog mit dem großen Bruder würde ich noch straffen oder pointierter formulieren. Der Dialog mit Münchhausen ist so witzig, da geht bestimmt noch was.
Und auch ich fang Extremitäten nicht passend, das hat den Fluß gestört.

Viele Grüße

Bavariagirl


_________________
Bavariagirl
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