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d.frank
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D
Beitrag09.12.2018 16:52

von d.frank
Antworten mit Zitat

Zitat:
Ich habe jetzt – für meine Verhältnisse – recht lange über die Mechanismen und Bedingtheiten des Lesens im Forum nachgedacht, darüber, dass sich die Person des Autors/der Autorin, sobald wir es nicht mehr mit einem klar fiktionalen und aus einer klar personalen Perspektive erzählten Text zu tun haben, immer deutlicher zwischen Text und Leser schiebt, weil er/sie ja da ist, ansprechbar, sichtbar in dem, was er/sie (von sich) präsentiert.


Du befürchtest, ich bekäme ein Bild von dir als Autor?
Das ehrt mich. Embarassed
Diesem Risiko setzt man sich immer aus, da spreche ich aus Erfahrung.
Hier besonders, weil die Texte nicht allein für sich funktionieren. Weil man ein vages Bild vom Menschen hinter dem Text hat, das über eine kurze Vita auf einem Klappentext hinausgeht. Weil es auch hier überhaupt erst zum Interesse wird, werden sollte..
Aber ich kann dich beruhigen, ich versuche nicht auf Teufel komm raus, dich selbst hinter deinem Text zu sehen.

Zitat:
Wobei ich dazusagen muss: für mich ist Emotionalität keine Gegenpol zur Klarheit. Eher ist für mich Schonungslosigkeit, die das Durchdenken eines Satzes bis zum (bitteren) Ende fordert, das Sezieren des eigenen Selbst oder der eigenen Biografie, des eigenen Selbstbilds, der Gegenpol zu Apathie oder Resignation. Aber auch das ist nur mein Blick auf den Text.


Ja. Und das tut weh. Deshalb habe ich auch geschrieben, dass das nicht unbedingt schlecht sein muss. Ich bin da eher so das Kind, das gern die Magie in den Dingen sieht, die Hoffnung nicht aufgibt. Mir ist klar, dass man sich selbst betrügt, aber das Träumen gehört für mich zum Leben dazu, ich könnte es sonst nicht ertragen. Es kommt auch immer darauf an, an welchen Punkt einen das Sezieren bringt, es ist nicht immer endgültig, eine Erklärung zu haben, manchmal bleibt dann nichts als eine trockene Fläche, auf der nichts mehr wachsen kann. Es ist also Mut und Gefahr in einem und die Erkenntnis am Ende kann sich wie eine Läuterung anfühlen, mit der man sich vielleicht zurückwünscht, an einen Punkt der Arglosigkeit.

Zitat:
Ich denke nicht, dass ich in absehbarer Zeit noch weitere Teile einstellen werde. Der Faden selbst ist ja schon sehr komplex, die eingestellten Ausschnitte sehr disparat und womöglich von Anfang an nicht geeignet, das Manuskript zu repräsentieren.
Nur: gut möglich, dass sich meine Meinung in ein paar Monaten wieder ändert.


Dann muss ich wohl warten, bis das Buch zu haben ist, leider


_________________
Die Wahrheit ist keine Hure, die sich denen an den Hals wirft, welche ihrer nicht begehren: Vielmehr ist sie eine so spröde Schöne, daß selbst wer ihr alles opfert noch nicht ihrer Gunst gewiß sein darf.
*Arthur Schopenhauer
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Klemens_Fitte
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Beitrag09.12.2018 17:22

von Klemens_Fitte
Antworten mit Zitat

d.frank hat Folgendes geschrieben:
Zitat:
Ich habe jetzt – für meine Verhältnisse – recht lange über die Mechanismen und Bedingtheiten des Lesens im Forum nachgedacht, darüber, dass sich die Person des Autors/der Autorin, sobald wir es nicht mehr mit einem klar fiktionalen und aus einer klar personalen Perspektive erzählten Text zu tun haben, immer deutlicher zwischen Text und Leser schiebt, weil er/sie ja da ist, ansprechbar, sichtbar in dem, was er/sie (von sich) präsentiert.


Du befürchtest, ich bekäme ein Bild von dir als Autor?


Nicht unbedingt, dafür bin ich mir – auch als Autor – nicht wichtig genug. Ob sich jemand über meine Texte ein Bild von mir formt … na ja, ich denke, das bleibt nicht aus, betrifft mich aber zunächst nicht übermäßig.
Die Frage, die ich mir stellte, war eher: kann der Text in seiner Perspektive und seiner Konzeption richtig gelesen werden, wenn ich als Autor so präsent bin, wie es bei einem Text im Forum der Fall ist? Da geht es auch gar nicht um etwaige Charaktereigenschaften, die mir als Autor zugeschrieben und als Folie über den Text gelegt würden, sondern um ganz banale Gegebenheiten, Alter, Geschlecht usw.

Nur: so dringend ist die Frage dann eben nicht, weil sie sich bei einer anderen Auswahl der Textausschnitte womöglich gar nicht gestellt hätte.

d.frank hat Folgendes geschrieben:
Hier besonders, weil die Texte nicht allein für sich funktionieren. Weil man ein vages Bild vom Menschen hinter dem Text hat, das über eine kurze Vita auf einem Klappentext hinausgeht. Weil es auch hier überhaupt erst zum Interesse wird, werden sollte..


Wie gesagt, ich halte das auch für ziemlich normal und sehe darin auch kein Risiko per se. Ich selbst mache mir dieses Bild ja auch, unweigerlich, und wenn ich früher daran glaubte, es ginge nur um den Text bzw. es wäre mir möglich, nur den Text zu sehen, denke ich da inzwischen anders. Das hat Vor- wie Nachteile, aber die meisten Versuche, es zu vermeiden, halte ich für wenig glücklich.

d.frank hat Folgendes geschrieben:
Zitat:
Wobei ich dazusagen muss: für mich ist Emotionalität keine Gegenpol zur Klarheit. Eher ist für mich Schonungslosigkeit, die das Durchdenken eines Satzes bis zum (bitteren) Ende fordert, das Sezieren des eigenen Selbst oder der eigenen Biografie, des eigenen Selbstbilds, der Gegenpol zu Apathie oder Resignation. Aber auch das ist nur mein Blick auf den Text.


Ja. Und das tut weh. Deshalb habe ich auch geschrieben, dass das nicht unbedingt schlecht sein muss. Ich bin da eher so das Kind, das gern die Magie in den Dingen sieht, die Hoffnung nicht aufgibt. Mir ist klar, dass man sich selbst betrügt, aber das Träumen gehört für mich zum Leben dazu, ich könnte es sonst nicht ertragen. Es kommt auch immer darauf an, an welchen Punkt einen das Sezieren bringt, es ist nicht immer endgültig, eine Erklärung zu haben, manchmal bleibt dann nichts als eine trockene Fläche, auf der nichts mehr wachsen kann. Es ist also Mut und Gefahr in einem und die Erkenntnis am Ende kann sich wie eine Läuterung anfühlen, mit der man sich vielleicht zurückwünscht, an einen Punkt der Arglosigkeit.


Damit hast du eines der Kernthemen des Manuskripts ja ziemlich genau umrissen Laughing

d.frank hat Folgendes geschrieben:
Dann muss ich wohl warten, bis das Buch zu haben ist, leider


Ich denke, wirklich lesbar ist das Ganze auch erst in Buchform; wenn überhaupt.


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d.frank
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Beitrag09.12.2018 18:05

von d.frank
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Zitat:
Damit hast du eines der Kernthemen des Manuskripts ja ziemlich genau umrissen Laughing


Ein Emoji von Dir Shocked  Das betrachte ich jetzt aber sehr durchwachsen. Einerseits könnte es ein Zugeständnis sein, andererseits eine Form des Hohns..


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Klemens_Fitte
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Beitrag09.12.2018 18:26

von Klemens_Fitte
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So selten benutze ich die Dinger doch gar nicht, oder? Shocked
Ich sag schreib es aber gern noch mal ohne Smiley: Damit hast du eines der Kernthemen des Manuskripts ja ziemlich genau umrissen.

Der Smiley war weder als Zugeständnis noch als Hohn gedacht; ich fand's nur lustig, dass ich da einfach ein So isses druntersetzen konnte.

Würde ich jemanden verhöhnen wollen, würde ich dazu Worte benutzen, keine Smileys, das wäre mir nicht subtil genug.


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d.frank
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Beitrag09.12.2018 18:58

von d.frank
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Zitat:
So selten benutze ich die Dinger doch gar nicht, oder?


So gut wie nie.

Außerdem ist es auch beängstigend, dass du an dieser Stelle kaum etwas hinzuzufügen hattest. wink
Von daher schwankte ich zwischen ungläubigem Staunen und verhohlenem Misstrauen. Laughing

Smileys können sehr subtil sein! Der hier zum Beispiel: Very Happy, untertitelt mir verry happy, sieht aber aus wie die Maske des Wahnsinns. Shocked


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Klemens_Fitte
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Beitrag09.12.2018 19:08

von Klemens_Fitte
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d.frank hat Folgendes geschrieben:
Zitat:
So selten benutze ich die Dinger doch gar nicht, oder?


So gut wie nie.


Zwölf Mal allein in diesem Faden! Razz

d.frank hat Folgendes geschrieben:
Smileys können sehr subtil sein! Der hier zum Beispiel: Very Happy, untertitelt mir verry happy, sieht aber aus wie die Maske des Wahnsinns. Shocked


Ich glaube ja, die meisten Smileys werden sehr gruselig, wenn man sie in menschliche Physiognomie übersetzt.



Edit: 13!


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Klemens_Fitte
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Beitrag03.04.2020 11:43

von Klemens_Fitte
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[…]

Gäbe es noch jemanden im Dorf, der fähig wäre zu erzählen – und das meine immer, würde derjenige sagen: die empfindsamen und somit empfindlichen Stellen der Haut und des Bewusstseins offen zu tragen, weil Erzählen immer nur die Dokumentation der winzigen Versehrungen sei, die wir bei der Begegnung mit uns selbst oder mit anderen Menschen ebenso davontragen würden wie beim Gang vor die Tür, beim Aufeinandertreffen mit dem, was wirklich sei – könnte derjenige seine Schilderung womöglich mit einer Kälte beginnen, weniger ungewohnt als vielmehr nie zuvor gekannt, die sich in diesen Tagen auf die Mauersteine gelegt oder die Gehsteige, die Straßen und Gassen überzogen habe, nicht als eine Folge meteorologischer Gegebenheiten, eher wie das fortschreitende Erkalten der Dinge von innen heraus, als hätte sich das Gefüge des Dorfes nach außen hin verschlossen, in eine ebenso starre wie stumpfe Schicht gehüllt, über die nachts das Mond- und am Tag das Sonnenlicht geglitten seien, ohne Halt zu finden, ohne in die Poren von Holz und Gestein zu dringen; eine Fühllosigkeit der Dinge, die sich wie unsichtbarer Frost oder wie ein glatter, aus Kunstfaser gewebter Überzug auf das Dorf gelegt habe, als hätte es gegolten, alles in seinem momentanen Zustand zu konservieren – die Häuser und die Friedhofsmauer, die Gartenzäune, die Blumenkästen, die Wäsche auf den Wäscheleinen, die Schaukelgestelle, die Antennen, die Strommasten, die Satellitenschüsseln – in einem Dasein, das täuschend echt, täuschend lebendig gewirkt habe, solange man den Blick nur kurz darauf gerichtet oder die Finger nur kurz daran gelegt habe und die fremde mit der eigenen Fühllosigkeit zu einer Illusion von Normalität verschmolzen sei; eine Normalität, in der die meisten Wege lediglich vom Parkplatz zur Haustür, von der Haustür zum Parkplatz geführt hätten, zu kurze Strecken, um dabei einen Eindruck vom verflachenden Atmen oder vom verflachenden Herzschlag, von einer zunehmenden Reg- und Leblosigkeit der Umgebung zu formen, eine länger als gewöhnlich andauernde Wind- oder Vogelstille wahrzunehmen, irgendetwas, das sich in mehr als in einer ungefassten und unreflektierten Ahnung hätte manifestieren oder in einer Erkenntnis hätte bündeln können – und nur, wer frühmorgens oder nachts auf den Balkon getreten oder nach hinten in den Garten gegangen sei, um eine Zigarette zu rauchen, und wer dabei in der kurzen, aber unbestimmbaren Zeitspanne zwischen zwei Zügen ins Dunkel gelauscht habe, habe womöglich bei seiner Rückkehr ins Haus das Fragment einer Erkenntnis mit sich getragen, den Satz, irgendetwas im Dorf habe sich ebenso unvermittelt und unmerklich wie unumkehrbar verändert – ein Gedankensplitter, der schon im Moment des Gedachtwerdens nicht mehr habe reflektiert werden können, weil er zu tief im Bewusstsein gesteckt habe, ähnlich einem Spreißel, der zu weit ins Fleisch gewandert sei, um ihn noch herausziehen und von allen Seiten betrachten, sich einen Eindruck von seiner Beschaffenheit machen zu können. Und während die Reden darüber, wie es früher gewesen sei, wie gut man es früher gehabt habe – mit einer Grundschule, einem Tanzlokal, einer Kegelbahn oder einer Metzgerei, oder anders: mit Menschen, die jeden Sonntag in die Kirche gegangen seien, Kindern, die jede freie Minute im Wald und auf dem Spielplatz verbracht hätten, Jugendlichen, die keine Scheiben eingeschlagen oder Seitenspiegel demoliert hätten – mehr und mehr zurückgelassen worden oder durch das Raster der kurzen und vereinzelten Wege von der Auto- zur Haustür gefallen seien, oder anders: durch das Sieb einer immer genauer und individueller – und somit immer grober und bis in die Nutzlosigkeit hinein – justierten Aufmerksamkeit, in ein bodenloses Vergessen oder Verstummen, sei niemand auf den Gedanken gekommen, dass sich das Leben längst aus dem Dorf herausgezogen habe; dass alles, was man hätte beschreiben können – die Bäume, die Gärten, die Zäune, die Mauern, die Gehsteige, die Einfahrten, die Fenster, die Regentonnen und Regenrinnen und Regendächer, der Himmel darüber, der gleichmäßig dahinfließende Strom der Wolken – nur noch als Kulisse existiert habe, nur noch Staffage gewesen sei, weil es keine Blicke mehr gegeben habe, die es hätten wahrnehmen können, wenigstens für die Dauer eines ebenso unergründlichen wie sinnlosen Innehaltens, mit dem man einen nächtlichen Heimweg unterbrochen habe, auch keine in einem schweigsamen Moment zusammengeführten Blicke, weil alles bereits vereinzelt worden sei, weil alles Morgen für Morgen pünktlich und regelmäßig aus dem Dorf gezogen worden und des Abends, des Nachts in die rechtwinkligen Flächen flimmernder Monitore gefallen sei, ebenso fragmentiert, ebenso unteilbar und ebenso wenig in Worte zu fassen wie die disparaten Phasen eines kurzzeitigen Erwachens, in das man bisweilen aus unruhigen Träumen aufschrecke. Und so habe das Bewusstsein des Dorfes schließlich aus hunderten flüchtiger und isolierter Wachphasen bestanden, in denen jeder für sich die Fragmente des eigenen Denkens und der eigenen Selbsterzählung mit den bereits entsorgten und nur lückenhaft erinnerten Schlagzeilen der vergangenen Tage, den ineinander verschwimmenden Meldungen der Abendnachrichten und dem an- und abschwellenden Summen einer partnerschaftlichen Kommunikation zu einem Ganzen zusammenzufügen versucht habe, als läge das Mysterium des Daseins lediglich in der Differenz zwischen dem, was gesagt wurde und dem, was man verstand; oder in der winzigen Zeitspanne zwischen einer nächtlichen Berührung und der Reaktion darauf, dem Erzittern oder Anspannen, dem Aufschrecken oder Versteifen, dem Zurückziehen in eine Hülle, die man am Tag als ebenso fremd wie vertraut hingenommen habe und die in den nachtblinden Momenten zersprungen sei, in Stücke gegangen, zur bruchstückhaften Erinnerung an eine vergangene Intimität geworden, hervorgerufen und wieder verloren in ebenso zaghaften wie bedeutungslosen Berührungen der Haut, mit tauben Fingerkuppen, die nicht mehr fähig gewesen seien, etwas zu greifen, zusammenzufügen, irgendwo Halt oder Anknüpfungspunkte zu finden, weil das Koordinatensystem der eigenen Existenz, der Zweisamkeit, in der man sich eingerichtet habe, nicht mehr mit den Karten übereinstimmte, die man in längst vergangene Nachthimmel gemalt oder in die Bäume der eigenen Jugend geritzt habe, und auch das seien keine Erinnerungen gewesen, sondern lediglich von irgendwo vermittelte romantische Vorstellungen, die Bilder einer fiktionalen und fiktionalisierten Liebe oder gemeinsamen Zukunft, für die das Dorf womöglich noch eine Kulisse hätte sein können, deren Szenenbilder aus den Seiten der Möbelkataloge, der Zeitschriften für Inneneinrichtung und sogenannten ländlichen Lifestyle hätten geborgt sein können, als wäre ein Dasein und ein Selbstverständnis dadurch gültiger, wenn es sich möglichst nahe an seiner fotografischen Inszenierung orientierte; oder als wäre eine Täuschung keine Täuschung mehr, wenn sie nur gelungen genug wäre, oder als wäre jede Existenz nur die Abfolge inszenierter Standbilder, fragmentiert in der Einrichtung von Wohn- und Badezimmern, Küchen, Schlafzimmern, in Zierdecken und Dekoartikeln, in Familienfotografien, die lediglich als Dekoartikel Bestand und Gültigkeit gehabt hätten, als etwas, das man so überzeugend in Szene setzte, bis man es für die Bilder des eigenen Lebens hielt, für Dinge, die man erreicht habe, angesammelt als die Stationen eines Zeitstrahls: Wegmarken, Statussymbole, oder als Nachhall jener längst Kulturgut und Zivilisationsmythos gewordenen Reklame von »Mein Haus, mein Auto, mein Boot«, und dann habe man gar kein Boot besessen und auch keine Zeit dafür, keine Zeit für Auto und Haus oder lediglich noch für die Wege dazwischen, und so habe man sich nicht nur selbst, sondern auch die Dinge um einen herum hätten sich immer weiter verhärtet, je mehr sie zu einem festen, unverrückbaren Bestandteil des Alltags und des Selbstverständnisses geworden seien, bis man sich letzten Endes, das Notebook auf dem Schoß, im Sessel wiedergefunden und bis spät in die Nacht Youtubevideos mit Werbespots aus der eigenen Kindheit konsumiert habe, und wenn man am nächsten Tag, beim Frühstück, am Arbeitsplatz, in der Mittags- oder Kaffeepause oder in der kurzen Zeitspanne zwischen Abendessen und Fernsehfilm versucht habe, etwas von dem in Worte zu fassen, was einem in diesen nächtlichen Stunden die Brust eng gemacht habe, sei nicht mehr übriggeblieben als die Erkenntnis, dass aus der Tatsache, die gleichen Dinge zu kennen, die gleichen Sätze rezitieren zu können, keine gemeinsame Identität entstehe, dass sich aus Vereinzeltem, aus Slogans, aus Standbildern kein Ganzes zusammenfügen lasse, keine Gedanken, sondern nur Eindrücke, weil Denken ausnahmslos und unabdingbar als eine lückenlose Bewegung existiere, als etwas, das keine Unterbrechung, kein Absetzen dulde und das letzten Endes immer und ausschließlich darin bestehe, nicht dort anzuhalten, wo man glaube, einen gültigen Gedanken gedacht zu haben.

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Aranka
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Beitrag03.04.2020 14:28

von Aranka
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Hallo Klemens,
wollte mich nur kurz hier verirren, bin dann gefühlt unendlich lange zwischen Zeilen, Gedanken, Fragen, Schilderungen und Bildern hin- und hergewandert.

Das Lesen hat mich "erwischt" an einer Stelle irgendwo im ungewohnt anderen EIGENEN.

Zitat:
Gäbe es noch jemanden im Dorf, der fähig wäre zu erzählen


Zitat:
könnte derjenige seine Schilderung womöglich mit einer Kälte beginnen, weniger ungewohnt als vielmehr nie zuvor gekannt, die sich in diesen Tagen auf die Mauersteine gelegt oder die Gehsteige, die Straßen und Gassen überzogen habe,


Ich werde wiederkommen mit mehr Zeit zu diese Fragen und diesen Konjunktiven?

Nach diesem KÖNNTE werde ich sicherlich etwas anders suchen.

Liebe Grüße Aranka


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Klemens_Fitte
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Beitrag03.04.2020 17:37

von Klemens_Fitte
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Hallo Aranka,

schön, dass dich der Text zum Wandern bewegen konnte. Auf ein Wiederkommen freue ich mich natürlich ebenso.

Liebe Grüße
Klemens


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Vogelsucher
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Beitrag04.04.2020 12:39

von Vogelsucher
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Gern würde ich auch einmal so ruhen, die Zehntausend Dinge vorbeitreiben lassen. Die Decke beobachten, die Textur der Tapete fühlen und Gedanken niederschreiben.
Mir gefällt, dass dein ganzer Text aus einem Satz besteht, erinnert mich an Dürrenmatts "Der Sohn". Mich hat allerdings auch diese schwere Schriftwand vom Lesen abgehalten. Obwohl das zum besoderen Stil des Textes beiträgt, ein Satz, ein Block. Das Lesen ist wie das Erklimmen eines Berges, was aber auch eine interessante geistige Übung darstellt. Vielleicht werde ich später weiterlesen, der Anfang gefällt mir jedenfalls schonmal.
Grüße,
Vogelsucher.
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Klemens_Fitte
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Beitrag04.04.2020 13:53

von Klemens_Fitte
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Hallo Vogelsucher,

huch! sag ich mal. Ein neuer Leser im Faden, damit hätte ich jetzt nicht mehr gerechnet. Freut mich, dass dir der Anfang gefallen hat, auch wenn er nicht gerade lesefreundlich daherkommt – ich habe mir das Manuskript ja zwischenzeitlich in Buchform drucken lassen, einfach, um den Text selbst mal richtig lesen zu können.

Falls du dir die restlichen Teile noch 'antun' willst, solte ich dazusagen: das sind größtenteils sehr disparate Ausschnitte, zwischen denen mitunter mehrere hundert Seiten Text liegen. Das ganze Manuskript ist bei 764 Seiten, das lässt sich hier im Forum natürlich schlecht präsentieren.

Danke fürs Lesen und Rückmelden.

Liebe Grüße
Klemens


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Beitrag11.04.2021 20:20

von Klemens_Fitte
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[…]


denn es war ja nicht zu leugnen, dass er sich in einer Welt bewegte, die durch seine Wahrnehmung hätte transformiert und gerade dadurch umso deutlicher hervortreten müssen, eingefasst in ebenso einzigartige wie treffende Beschreibungen des Heute, als eine Zeit der zitternden Bäume und der unruhigen Wasserflächen, der nervösen Wolkenfetzen, eine Welt, die den beständigen, verlässlichen Zyklus von Entstehen, Werden und Vergehen durch ein ebenso unschlüssiges wie dramatisches und kräftezehrendes Auf-der-Stelle-Treten ersetzt zu haben schien, jedes Voranschreiten durch die epileptischen Zuckungen eines Körpers kurz vor dem Erstarren, bis Stillstand und Bewegung den gleichen Zustand beschrieben, wie sich auch die Jahreszeiten mehr und mehr vermischten, sich einander anglichen, der Herbst zum Sommer und der Winter zum Frühling wurde, bis keine Unterscheidung mehr möglich oder notwendig schien, und dann gab es irgendwann keine Ereignisse mehr, waren selbst Dürreperioden oder Überschwemmungen, Völkerbewegungen, Kriege, Hungersnöte, geopolitische Entwicklungen und Fehlschlüsse nicht länger singuläre Phänomene, die Vorboten einer Apokalypse oder einer Neuordnung der Welt, sondern nichts weiter als die letzten und spürbaren Ausläufer eines unsichtbaren unterirdischen Kammerflimmerns, verwortet und transportiert in Meldungen, die man im Blinzeln der Schlagzeilen oder der Mittagsmagazine und Abendnachrichten wahrnahm und wieder vergaß, weil jedes »Kommen wir nun zu …« der Fernseh- und Radiomoderatoren wie das Fingerschnippen eines Hypnotiseurs war, das einen aufwachen ließ und von jeder Erinnerung an das zuvor Gehörte befreite, von der Erinnerung an Meldungen, die man ohnehin nicht einzuordnen vermochte, weil man beim Blick aus dem Küchen- oder Wohnzimmerfenster nichts anderes sah als die letzten Wiesen dieses subkutanen Netzwerks, oder weil man selbst keinen Rhythmus mehr besaß, seit man nicht mehr arbeitete oder seit Arbeit nichts anderes geworden war als das dehnbare, transluzente Gewebe, das sich über alle Wachphasen spannte, sich in jeden Winkel des Denkens und Wahrnehmens streckte, so dass der ehemals festgefügte und verlässliche Ablauf von Aufwachen und Einschlafen ohne Fixpunkte war, sich beliebig hin und her verschieben konnte, von Tag zu Tag, Woche zu Woche, bis man sich völlig verloren und haltlos glaubte und mit Entsetzen feststellen musste, dass schon wieder ein Jahr vergangen war und man im sogenannten Spiegel der jüngsten Entwicklungen zwar die Welt, nicht aber sich selbst wiedererkannte


[…]

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