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Deutsches Schriftstellerforum Foren-Übersicht -> Antiquariat -> Zehntausend 01/2020
Fragmentierung

 
 
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Boho
Geschlecht:weiblichLeseratte

Alter: 34
Beiträge: 115
Wohnort: Berlin


Beitrag10.01.2020 20:00
Fragmentierung
von Boho
eBook pdf-Datei Antworten mit Zitat

Fragmentierung

I.
Zu hassen ist nicht gut, aber erst wenn Sie mir sagen wen, kann ich wirklich sagen, ob es gut oder schlecht ist.
Elfriede Jelinek, Gier

Hätte ich gewusst, dass er es ist, wäre ich nicht ans Telefon gegangen und stünde jetzt nicht hier vor ihm - vor meinem Vater, der sterben wird, obwohl er schon lange tot ist. Als Person existiert er noch, als Vater ist er schon seit Jahren tot.

Ich bin nicht bewusst zu ihm gegangen. Vielleicht war es der Automatismus des Körpers - nach seinem Anruf war mein Denken aus mir herausgetreten, hatte sich verirrt, ich fand es nicht mehr; der Körper funktionierte, ohne dass ich dazugehörte, übernahm das Denken und ging los.

Vielleicht war es aber auch jemand anderes.

Lara? Emil? Annika?

Ich weiß es nicht, sah mich nur plötzlich vor seiner Wohnung stehen.

Achtung, geh da nicht rein!
Riefen Lara und Annika.
Und Emil: Sei bloß nett zu ihm!

 
Ich rief nichts. Schloss nur die Tür lautlos auf und ging hinein.    
  
II.
Wo es nach Scheiße stinkt, riecht es nach Leben.
Antonin Artaud

Da lag er, plötzlich ganz klein, in meiner Vorstellung war er riesengroß, ein fettes, hässliches Insekt mit viel zu vielen Beinen. Jetzt war er nur noch ein kleiner, grauer, zerknitterter Mann. Der Mächtige war längst gestorben; was da lag, war nur noch die Hülle, er hatte sich von den Rändern weggeschrumpft, ganz verklebt sah er aus, war nur noch Hülle, nichts mehr sonst.

„So stirbst du also?“, fragte ich zur Begrüßung. Er nickte. Und zu meiner Überraschung konnte ich keine Gier mehr lesen. Das Grau seiner Augen schrieb etwas anderes. In meiner Erinnerung war sein Gesicht ein Mosaik aus bedrohlich grellen Farben, die mich blendeten, schmerzten. Jetzt nur noch Grautöne.

Es roch nach Verwesung, Scheiße und kaltem Rauch. Mir wurde übel.

„Ich vermisse dich!“, hörte ich ihn sagen. Ich blieb regungslos stehen, schaute auf ein Bücherregal; aus Angst davor, ihm in die Augen sehen zu müssen, ihn wieder so zu sehen, wie er wirklich war. Oder aus Angst davor, das zu tun, was ich mir ausgemalt hatte in all den Nächten, in denen ich mit meinem Ich gehadert hatte, immer dann, wenn das Bewusstsein zurückkehrte, Gedanken immer im Kreis herum, Leben, Sterben, er oder ich. Die Vorstellung, ihn zu töten, beruhigte mich, in all den Jahren. Er müsste mich ansehen dabei, müsste wissen, dass ich es bin. Ich würde ihn zerschneiden wollen, ein Messer nehmen und sehen, wie das Blut aus seinem Körper läuft. Es müsste anstrengend sein. Ich würde Stücke aus ihm herausschneiden, Hautfetzen auf den Boden fallen lassen. Und dann, wenn er schon tot wäre oder kurz davor, würde ich seinen Körper zerteilen, so lange, bis der Körper, bis er nicht mehr zu erkennen wäre.

Es war nicht mehr viel übrig von dem Insekt, das mit seinen Beißzangen andere Kreaturen innerhalb von Sekunden zerstören konnte. Jetzt war ich ihm endlich gewachsen, spürte keine Angst mehr. Endlich konnte ich ihm alles sagen.

„Du vermisst mich? Sag schon, was genau vermisst du denn? Dass du es heute nicht mehr tun kannst? Oder sagst du das jetzt nur, weil du nicht alleine sterben möchtest? Wirst du aber, ganz alleine, schau doch, niemand ist hier, nur ich. Und  ich werde gehen, dich hier liegen lassen. Dann wirst du in eine Kiste gepackt und vom Bestatter schön hergerichtet werden – das passt ja zu dir, immer den schönen Schein wahren, nicht wahr? Nach außen hin alles perfekt und nur im Innern zeigst du, wer du wirklich bist, legst deine Masken ab und zerstörst damit die Menschen um dich herum. Stirb doch so, mir ist es egal.“

Er sagte nichts, tat nichts, lag einfach nur da.

Geh einfach!, rief mir Lara zu,
lass ihn in seiner eigenen Scheiße krepieren!
Nein, du musst ihm helfen, einen Arzt rufen
oder ihn ins Krankenhaus bringen, es war ja
nicht nur seine Schuld, du hast es schließlich
zugelassen, dich nicht gewehrt, rief Emil.


Immer will Emil ihn schützen.

Böse bist du auch, Emil, weißt du das? Du
warst es, der mich hierher hat gehen lassen,
richtig? Annika wollte jetzt auch sterben, flehte
mich an: Mir ist es zu viel, bitte lass uns aus
dem Fenster springen, lass uns versuchen, zu
fliegen, komm schon, nur so können wir
wirklich frei sein.


Zu viele Stimmen in meinem Kopf, setzten mich unter Druck, ich wusste nicht mehr, was ich wollte; versuchte, etwas zu sagen, irgendetwas, öffnete den Mund, formte Buchstaben zu Worten, konnte sie nicht aussprechen. Meine Stimme fehlte, die Worte fehlten. Ich spürte sie noch in meinem Mund, dort stießen sie an die Zähne, rieben sich an den Backentaschen, ich konnte sie mit der Zunge verschieben. Ich konnte sie auch herausfallen lassen aus meinem Mund, wie Luftblasen, ausstoßen, all das ging. Nur eines konnte ich nicht: sie erklingen lassen. Wollte ihm noch so vieles sagen.

In Gedanken sprach ich zu ihm: „Weißt du, ich habe keine Angst vor dem Tod – nicht vor deinem, nicht vor meinem. Mein Ich hat sich ohnehin schon längst fragmentiert. Nur noch einzelne Teile, kleine Kammern. Aufgesplittert – wie eine zerbrochene Vase. Immer wieder habe ich versucht, die zerbrochenen Stücke zusammenzusetzen, habe mich geschnitten dabei, das Blut fühlte sich kalt an und  tropfte in dunkelroten Kugeln auf den Boden. Aber es lässt sich nicht kitten, nicht mehr zusammensetzen, dafür sind es zu viele Splitter. Und sie sind nur deinetwegen da, du bist schuld - schuld an dem Chaos in meinem Kopf und schuld daran, dass dieser Körper ein Geisterhaus ist, in dem ich mich Tag für Tag verlaufe. Es hat keine Türen, keine Fenster, dafür viel zu viele Zimmer. Es ist dunkel hier. Ich wusste immer, dass ich mich erst dann von dir befreien können werde, wenn einer von uns tot ist. Jetzt weiß ich, dass du es sein wirst. Und freue mich darüber, dass ich dich überleben werde. Das war früher anders; früher, als ich sterben wollte. Als du sagtest, ich solle still sein, ich dürfe nichts erzählen, ich solle nicht so tun, ich wolle es doch sicher auch. Als du dir den Körper einfach genommen, dich draufgelegt und alles Lebendige verdunkelt hast. Hörst du, was ich sage, auch wenn die Worte fehlen?“

Er reagierte nicht, konnte meine Gedanken nicht hören. Ich starrte ihn an und sah plötzlich diese Angst in seinen Augen, wie ich sie von mir, von früher kannte: Todesangst. Und das hier, was war das jetzt? Dieses Rasseln, Röcheln, Stöhnen. Sein Körper bäumte sich auf, sein Atem wurde unregelmäßig, rasselnd. Der Mund öffnete sich.

Hilf ihm doch!, schrie Emil.
Lass mich in Ruhe, Emil!, schrie ich.
Bitte, er soll jetzt sterben oder wir,
es soll einfach aufhören!, rief Annika;
flehend. Wie ein Pferd unter
Scheuklappen sah sie aus.   


Mir wurde schwindelig. Ich fiel auf den Boden, schlug hart mit dem Kopf auf. Das Dröhnen in meinem Kopf wurde zu nasser Watte, alles dämpfte sich ab außer meinem Herzschlag und dem Rauschen des Bluts in meinen Adern. Ich stellte mir die Zahlenreihe von eins bis zehn vor, schlug mit der Hand den Takt auf den Boden, um im Hier und Jetzt zu bleiben. Ich konnte die Zahlen nicht mehr in den Raum sprechen, sie hatten sich in unzugängliche Höhlen zurückgezogen wie scheue Tiere. Für einen Moment muss ich weggetreten sein, ohnmächtig geworden. Ich hatte kalten Schweiß auf der Haut und fühlte mich kraftlos, bleich und müde, als ich das Bewusstsein wieder erlangte. Für einen Moment blieb ich liegen, hielt die Augen geschlossen; hoffte darauf, dass sich diese Situation auflösen würde, verschwinden wie die Worte. Doch als ich die Augen öffnete, war ich immer noch in seiner Wohnung.

Ich stand auf und sah seinen Tod. Seine Augen waren noch geöffnet, ich schloss sie nicht. Wie ein grauer, verschrumpelter, toter Wurm sah er aus, wie er da so lag. So werde ich mich erinnern! Ich blieb kurz stehen, ohne zu denken, einfach nur stehen, atmen. Plötzlich war es ruhig. Dann ging ich, schloss die Tür hinter mir, trat auf die Straße. Mir war schwindelig, ich hatte Durst, wünschte mir, umzufallen, ließ mich einfach weinen, ohne Ton, es war ganz still.  

Geht's euch gut?, fragte ich,
als ich nicht mehr weinte und hörte
die Worte, wie sie aus meinem Mund
kamen. Erleichterung.
Dann stummes Nicken, alle.


III.
Der Mensch ist schwer zu entdecken und sich selber noch am schwersten.
Friedrich Nietzsche, Also sprach Zarathustra

Das Licht war angenehm; hell, aber nicht so gleißend, dass es bedrohlich wirkte. Weit hinten konnte ich die Alpen sehen, über mir den von den Bergen angefressenen Himmel. Die Straße lag still im Laternenlicht. In meinem Kopf war es ruhig.

Haben ihn so oft geträumt: unseren Auszug aus dem fremden Land, das unsere Vergangenheit ist, aus dem Ort der Unfreiheit, erhobenen Hauptes, durch einen schier endlos erscheinenden dunklen Gang auf einen Ausgang zu. Jetzt können wir endlich beginnen, die Stücke zusammenzusetzen, endlich ein Ich sein, endlich zusammen, nicht gegeneinander. Wir sind versammelt in diesem Körper, den wir teilen, zufrieden, sind endlich zu einem Wir-Ich geworden. Dafür brauchte es seinen Tod. Und nun:

Lichteinfall. Raumwechsel. Wir-Ich. Freiheit.

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Ribanna
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Beitrag21.01.2020 12:42

von Ribanna
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Das gefällt mir sehr gut. Die Darstellung der multiplen Persönlichkeit ist in meinen Augen stimmig und ganz nah am Leben.

Der Text ist gut lesbar, und die Zitate fügen sich wundervoll ein - trotzdem hätte ich sie nicht gebraucht.


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Wenn Du einen Garten hast und eine Bibliothek wird es Dir an nichts fehlen.
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nebenfluss
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Beitrag21.01.2020 17:10

von nebenfluss
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Kompromisslos und entschieden, Text wie Prota. Ob der Tod des Vaters wirklich die Erlösung bringt? Ich bezweifle es.
Kleine Ungereimtheit in der Lichtszene.


_________________
"You can't use reason to convince anyone out of an argument that they didn't use reason to get into" (Neil deGrasse Tyson)
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Kiara
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Wohnort: bayerisch-Schwaben


Beitrag21.01.2020 20:38

von Kiara
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Hallo!

Der erste Eindruck des Textes meinerseits, rein subjektiv natürlich, bitte nicht überbewerten.

Deinen Text mag ich. Konnte mir die Situation gut vorstellen. Die Charakterzeichnung ist ebenfalls gelungen, finde ich. Obwohl ich die wörtliche Rede ohne Kennzeichnung nicht gerne mag.

Die einzige Schwachstelle sehe ich in dem ersten Gefühlsausbruch der Frau gegenüber ihrem Vater. Die Worte, die ihr von der Seele fallen. Das fehlt mir etwas, was ansonsten da ist. Mehr Hass? Schmerz? Ich weiß es nicht.

Ein weiterer Aspekt ist die geforderte E-Zuordnung, was mir bei diesem Text schwer fällt.
Dennoch ist deine Geschichte so gut, dass ich sie mit Punkten belohne.

Am Ende heißt es für dich: Setzen, 6! (Punkte)

Meine Lieblingsstelle ist ausgerechnet ein Zitat, doch es passt hier so wundervoll: "Wo es nach Scheiße stinkt, riecht es nach Leben.
 Antonin Artaud. "

Liebe Grüße


_________________
Zum Schweigen fehlen mir die Worte.

- Düstere Lande: Das Mahnmal (2018)
- Düstere Lande: Schatten des Zorns (2020)
- Düstere Lande: Die dritte Klinge (2023)
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silke-k-weiler
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Alter: 49
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Das goldene Schiff Der goldene Eisbecher mit Sahne


Beitrag21.01.2020 23:19

von silke-k-weiler
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Lieber Text,

starker Tobak, schonungslos umgesetzt in teilweise sehr starken Bildern. Mit Dir habe ich am meisten gerungen. Es fällt mir schwer, Dir nur 4 Punkte dazulassen. Du schaffst es trotz Deiner Bilder nicht, mich wirklich zu erreichen. Auch mit dem Ende gehe ich nicht d'accord. Ich lese es so, dass allein der Tod des Vaters einen fundamentalen Wandel einläutet. Eine Erlösung. Und genau daran kann ich nicht glauben.

Herzlichst,
Silke
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hobbes
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Moderatorin

Beiträge: 4292

Das goldene Aufbruchstück Das goldene Gleis
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Beitrag22.01.2020 23:15

von hobbes
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Oh fein, eine Geschichte mit Weißraum. Das stimmt mich doch gleich mal positiv.

*liest*

Hm. Bin unentschlossen. Das ist auf jeden Fall eine Geschichte, die Punkte von mir bekommt, alles andere würde mich doch sehr wundern. Eher mehr als weniger Punkte, schätze ich.
Das liegt zum einen daran, dass sie fließt. Kein Holpern und Stolpern, kein Innehalten wegen Hä?
Zum anderen daran, dass sie es mir auch nicht zu leicht macht, sich offenlegt und bei der Gelegenheit auch noch sämtliche möglichen (und unmöglichen?) Fragen beantwortet.
Und - das fällt mir aber vermutlich nur deshalb auf, weil es mir bei den anderen Texten andauernd aufgestoßen ist: keine ellenlangen Beschreibungen. Ich glaube sogar, überhaupt keine Beschreibungen, einfach nur zwei Menschen und was passiert da bzw. was ist da passiert. Oder nein, es geht ja eigentlich auch nicht ums "Passieren", um Handlung, es geht mehr um "Wer ist das, wer war das, wie gehen die miteinander um, usw." Also genau das, warum ich Geschichten lese.

Äh, wo war ich?
Ach ja, warum sie mich dennoch nicht völlig überzeugt, diese Geschichte. Gute Frage, weiß ich jetzt auch nicht so genau. Ein Punkt ist, dass ich das zu einfach finde: Zack, er ist tot und jetzt ist/wird alles gut. Das glaube ich nicht.
Aber Prota kann das natürlich glauben. Obwohl. Nehme ich ihr das ab? Lügt sie sich da nicht selbst in die Tasche? Aber Prota darf sich natürlich auch in die Tasche lügen. Dennoch: Nicht der Hauch eines Zweifels? Daran zweifle ich.

Freue mich in jedem Fall aufs Wiederlesen.

Zweites Lesen.
Oha, das ist jetzt spannend, ich merke, wie schwer es mir fällt, mich auf diese Geschichte einzulassen, wie ich geneigt bin, alles anzuzweifeln und in Frage zu stellen.
Das fängt damit an, dass Prota die Tür aufschließt. Sie hat einen Schlüssel?, denke ich.
Das geht weiter mit der Beschreibung des Sterbenden. Ist das jetzt metaphorisch gemeint?, frage ich mich, weil es sich so "aufgesetzt" anfühlt.
Was in gewisser Weise wieder Sinn macht, wenn ich annehme, dass Prota auf diese Weise eine Distanz aufbaut, zwischen sich und ihm, zwischen dem, was vorgefallen ist.

Dann, wie sie ihm endlich alles sagen kann - hä?, denke ich, wie das jetzt auf einmal, das geht jetzt so einfach? Da hast du mich nicht mitgenommen, das geht mir zu schnell, ich komme nicht hinterher, kann das nicht nachvollziehen.

Mir wird das zu sehr vom Kopf, vom Verstand, vom Denken her erzählt, das liegt mir einfach nicht.
Vielleicht deshalb mag ich Lara, Annika und Emil am liebsten an der Geschichte. Die sind irgendwie "echter spürbar."

Und die Aufteilung, die mag ich auch. Also wie der Text aufgebaut ist, so rein formal.
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gold
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Beitrag23.01.2020 06:25

von gold
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Lieber Inco,

Habe Schwierigkeiten, den Text noch einmal durchzulesen. Bei dieser Thematik ist das kein Wunder.
Abrechnung am Sterbebett. Die Betonung der Bruchlinien erfolgt durch die Vorstellung der Protagonistin, dass sie den Protagonisten zerstückele.
Die Zusammensetzung der Fragmente, die Reparatur des Ichs gelingt durch den Tod des Vaters der Protagonistin.
Die Vergangenheit ist fremd, da der Protagonist durch seinen Verfall jetzt ein anderer geworden ist.


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Es dauert lange, bis man jung wird. (Pablo Picasso)
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schreiberlinga
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Beiträge: 77



Beitrag23.01.2020 12:57

von schreiberlinga
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Ich habe die Wettbewerbstexte in der Regel nur einmal durchgelesen. Mein Kommentar darunter ist also eine ziemlich spontane Reaktion. Ich hoffe, dass du trotzdem - oder gerade deswegen - von meinem ersten Eindruck profitierst.

Tragisch, ungewöhnlich, stimmt etwas nachdenklich (bin nicht sicher, ob das noch jugendfrei ist). Der Erzähler hat einen komplexen seelischen Zustand (Schizophrenie?); der Vater muss einen sehr negativen Einfluss auf ihn gehabt haben. Der Schluss lässt mich ein bisschen rätseln, aber es scheint, dass der Erzähler geheilt ist.
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traumLos
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Pokapro 2017


Beitrag24.01.2020 07:52

von traumLos
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Persönlichkeiten. Die eine so, die andere so. Alle in einer Person. Die Person kommuniziert mit einem Wrack. Die Entscheidung welche Stimme mehr Macht hat, wird nicht gefällt. Die Ohnmacht bewahrt.

Das Monster ist tot. Der Ausgang möglich.

Es ist immer heikel psychische Erkrankungen zu thematisieren. Ist das authentisch, frage ich mich. Ich gehe dann danach, ob es für mich nachvollziehbar ist.

Deninneren Monolog fasse ich als sich entgegenstehende Emotionen auf. Sonst müsste ich es als Mehrpersonenstück begreifen. Nein, eindeutig ein Zwiegespräch.

6 Punkte


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F.J.G.
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Beitrag25.01.2020 14:21

von F.J.G.
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Nennt mich einen antiintellektuellen Tölpel, aber … ich verstehe diesen Text ganz einfach nicht. Mag sein, dass er von einem großen Genie geschrieben wurde oder der Inhalt philosophisch hochanspruchsvoll ist. Mir fehlt dafür ganz einfach die Antenne.

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Literättin
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Beitrag25.01.2020 16:25

von Literättin
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Vorneweg: wenn ich einen Text kritisiere, beschreibe ich in erster Linie, was vom Text bei mir ankommt und was es auslöst. Sollten dabei auch einmal harte Worte fallen, so sind es dennoch beschreibende, nicht verurteilende, hämische oder verachtende. Ich kritisiere nicht in satter Selbstzufriedenheit. Immerhin sind mir selbst schon Texte aus der Feder geflossen, die daneben gingen. Und das sind zunächst einmal die meisten meiner Texte oder Texte-im-Entstehen.

                                                                                *




Die Geschichte ist kurz erzählt: die Protagonistin wurde von ihrem Erzeuger derart misshandelt, dass ihr zur Bewältigung die Fragmentierung (Multiple Persönlichkeit) blieb. Sie sieht ihrem Vater beim Sterben zu und ist dadurch am Ende befreit aus "dem fremden Land".

Das hat was. Ist auch nicht schlecht geschrieben. Aber für mich leider so erwartbar und so logisch in die eine Richtung gestrickt, dass der Text, so sorgfältig er auch gearbeitet ist, für mich vorhersehbar wird.

Der Hass  auf den Täter sitzt tief. Es bleibt eine Art Genugtuung in der "Rache" ihn sterben zu sehen. Und dann ist die Heilung plötzlich da, nach dieser krisenhaften Zuspitzung. Mir ist das alles in allem ein wenig zu gradlinig, wenn es auch solide gearbeitet ist. Die Zitate sitzen gut, ich bin mir dabei aber nicht sicher, ob die dem Text gut tun, indem sie ihn aufwerten. Das tendiert in die Richtung, dass es ohne sie nicht gut selbst (da)stehen könnte, dass er die Zitate braucht, um komplett zu sein.


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- John Lennon -

Christ wird nicht derjenige, der meint, dass "es Gott gibt", sondern derjenige, der begonnen hat zu glauben, dass Gott die Liebe ist.
- Tomás Halík -

Im günstigsten Fall führt literarisches Schreiben und lesen zu Erkenntnis.
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V.K.B.
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Wohnort: Nullraum
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Beitrag25.01.2020 19:26

von V.K.B.
Antworten mit Zitat

Hallo Inko,
vorweg ein paar spontane Lesegedanken:

Zitat:
Ich bin nicht bewusst zu ihm gegangen. Vielleicht war es der Automatismus des Körpers - nach seinem Anruf war mein Denken aus mir herausgetreten, hatte sich verirrt, ich fand es nicht mehr; der Körper funktionierte, ohne dass ich dazugehörte, übernahm das Denken und ging los.
Schon in diesen ersten Zeilen bin ich beruhigt. Endlich wieder eine Geschichte, die es sich traut, ausgetretene Pfade zu verlassen und damit (als sine qua non laut Bewertungsvorgabe) theoretisch punktewürdig ist. Ich hatte schon Bedenken, ob ich überhaupt 10 Texte finde, für die das gilt.

Zitat:
Mein Ich hat sich ohnehin schon längst fragmentiert. Nur noch einzelne Teile, kleine Kammern. Aufgesplittert – wie eine zerbrochene Vase.
Ich wundere mich gerade, ob man, wenn psychotisch, noch so reflektiert ist.

Zitat:
dass dieser Körper ein Geisterhaus ist, in dem ich mich Tag für Tag verlaufe
Wunderbare Metapher!

Puh! Starke Geschichte! Manchmal etwas zu erklärend, als wolltest du krampfhaft darauf hinweisen, die Vorgaben erkannt und auch umgesetzt zu haben. Aber das mach ich bei Wettbewerben auch immer. Muss man ja, sonst kapiert es nicht jeder. Also, vorgabenmäßig alles drin. Experimentell und ungewöhnlich geschrieben. Und noch eine Geschichte, die mir gefällt, die ich trotz des Ungewöhnlichen gut nachvollziehen kann, mich in diese zersplitterte Person hineinversetzen, ihren Hass spüren und auch teilen nachvollziehen. Manche Dinge sind eben nicht vergebbar und sollten das auch nie werden. Das gibt Punkte, definitiv!

Gerne gelesen,
Veith

Abschließend, nach ewigem einigem hin und her Überlegen, wüsteste Flüche über den Wettbewerb ausstoßen, Tischkanten zerbeißen und das gesamte Dictionnaire Infernal rauf und runterbeschwören, landet deine Geschichte im grünen Bereich und erfüllt damit die Anforderungen an den Wettbewerb, wie ich sie momentan verstehe, vollständig. Sie landet auf Platz 1 meiner Top Ten und erhält damit 12 Punkte.
Mein tatsächlicher Favorit ist sie allerdings nicht, aber da ungewöhnliche Schreibweise vor konventionelle geht, landet sie trotzdem ganz oben.


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Hang the cosmic muse!

Oh changelings, thou art so very wrong. T’is not banality that brings us downe. It's fantasy that kills …
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firstoffertio
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Beitrag25.01.2020 22:37

von firstoffertio
Antworten mit Zitat

Da sind die Vorgaben sicher erfüllt, zudem experimentiert der Text formal.

Aber ich glaube ihn irgendwie nicht. Er ist mir zu "bombastisch".
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Catalina
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Beitrag26.01.2020 12:24

von Catalina
Antworten mit Zitat

Eine Frau (oder womöglich ein Mann? nein, es klingt für mich nach Frau) wird von ihrem Vater angerufen: er liegt im Sterben. In der Vergangenheit wurde sie (ich bleibe jetzt dabei) von ihm sexuell missbraucht, seitdem ist sie sehr stark traumatisiert, fühlt sie sich in viele (Persönlichkeitsan-)Teile fragmentiert. Nachdem sie einige vernichtende Worte an ihren Vater gerichtet hat, schaut sie ihm beim Sterben zu, ohne etwas zu tun. Mit seinem Tod und ihrer passiven Beteiligung daran schafft sie es letztendlich, ihre innere Zerrissenheit zu überwinden und hat das Gefühl, endlich etwas hinter sich lassen zu können.

"Die Vergangenheit ist ein fremdes Land"... Die Protagonistin empfand bisher so ihre Vergangenheit, einem Ort der Unfreiheit. Auch wenn ich das Thema ohne diesen Zusatz im Text nicht gefunden hätte, will ich ihr das nicht absprechen. smile

Wie Du Kintsugi einfließen lässt, finde ich großartig. Der Tod des Vaters als Klebemittel für das zerrissene Ich. Ein sehr starkes Bild. Das gibt einen Sonderpunkt. Die Einteilung der Abschnitte mit den Zitaten gefällt mir auch gut.

Ich habe lange darüber nachgedacht, warum bei diesem ernsten, schweren Thema, bei all der Dramatik bei mir kaum Gefühle transportiert werden. Ich vermute, es hätte besser geklappt, wenn der Text subtiler in dem gewesen wäre, was früher passiert ist. Wenn Du es dem Leser überlassen hättest, über den Vater zu urteilen. Das Unausgesprochene berührt mich meist viel mehr, als wenn der Autor zu direkt wird. So direkt und anklagend gibt es weder Raum für meine eigenen Projektionen oder Wertung, noch für Vielschichtigkeit.

Dann bin ich nebenbei noch über eine Sache gestolpert: Jemand, dem bewusst ist, dass er aus verschiedenen Anteilen besteht, diesen sogar Namen gibt... der müsste diese Anteile doch eigentlich ganz gut zusammengesetzt und integriert haben. Er weiß, dass er das alles ist -  wenn auch mit großer Ambivalenz. Kurz hatte ich den Gedanken, dass der Missbrauch vielleicht eine Dissoziative Identitätsstörung zur Folge hatte. Dann allerdings müsste doch einiges an Heilung passiert sein, wenn die Anteile nun bewusst sind, die Protagonistin sogar ihre Gedanken den einzelnen Anteilen zuordnen kann.

---

Jetzt hast Du doch noch einige (genau genommen vier) Texte überholt, bei denen ich die Vorgaben nicht alle umgesetzt sah - und bist zu meiner Nummer drei geworden.

J
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a.no-nym
Klammeraffe
A


Beiträge: 699



A
Beitrag26.01.2020 23:20

von a.no-nym
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Hallo, lieber Inko,

zu Deinem Text möchte ich mich sehr kurz fassen:
Die Vorgaben betrachte ich als erfüllt. Eindrücke schildern oder kritisieren möchte ich hier nicht – weil nicht auszuschließen ist, dass es sich um einen sehr persönlichen Text handelt.

Mit freundlichen Grüßen und den besten Wünschen
a.
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holg
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Beitrag27.01.2020 18:16

von holg
Antworten mit Zitat

Schwer traumarisiertes erwachsenes Kind besucht den sterbenden Vater, Vergewaltiger, Unmensch. Auch sein Tod verursacht ein Trauma, bildlich als Bewusstseinsverlust und Schlag auf den Kopf dargestellt, danach aber ist eine Teilheilung (nur ein winziger, aber wichtiger Schritt) geschehen.

Einzelne Abschnitte sind mit gewichtigen Zitaten eingeleitet, als würde der Text nicht an sich selbst und seinen Gehalt glauben. Sie sind unnötig und verleihen dem Ganzen einen verzweifelt pseudointellektuellen Touch.

In einer Mischung aus Beschreibung und Bewusstseinsstrom (hallo alte Wettbewerbe) und inneren Dialogen finde ich tolle Bilder, fantastische Textpassagen, die zum Teil ein wenig ungelenk eingeleitet wirken.

Am Ende ist die Vergangenheit gar nicht fremd, die gekittete Persönlichkeitsfragmentierung noch lange nicht goldlackiert.

Insgesamt finde ich die Vorgaben umgesetzt.


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MoL
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Beitrag28.01.2020 12:14

von MoL
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Lieber Inko!

Ein sehr guter, sehr berührender, sehr schmerzhafter Text. Falls ich bepunkte, ist da sicher was drin.

Bisschen geschummelt hast Du allerdings - und baust darauf, dass Emil, Lara, Annika und die Ich-Erzählerin als eine Person durchgehen.

Ja, wieso eigentlich nicht? Gut gelöst!

Ein bisschen Kritik: Ich denke, es würde den Text noch stärker machen, wenn Du einiges an Erklärungen weglassen bzw. nicht aussprechen würdest.

Tolle Leistung!


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Beitrag28.01.2020 14:51

von Michel
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E. Viel E. Sehr viel E. Und ich muss aufpassen, Ich-ErzählerIn und AutorIn nicht zu verwechseln. Das liest sich für mich so authentisch, so nah dran an der dissoziativen Störung. Und so poetisch. Im Mittelteil erschrecke ich fast, als benannt wird, worum es geht; da verlässt der Text für ein paar Moment seinen Erzählton, was schade ist. Der zweite solche Moment ist am Ende. Ja, Kintsugi, ich weiß, irgendwo muss der Goldlack ja hin. Dass der Tod des Monsters allein schon Heilung in Gang setzt, kann ich nicht ganz glauben. Aber ich hab’s nicht erlebt, wie sollte ich mir ein Urteil erlauben?

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Constantine
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Goldener Sturmschaden Weltrettung in Bronze


Beitrag28.01.2020 21:34

von Constantine
Antworten mit Zitat

Bonjour

In einem so kurzen Text mit drei Titel-Zitaten pro "Unter-Kapitel" aufzuwarten

Zitat:

Zu hassen ist nicht gut, aber erst wenn Sie mir sagen wen, kann ich wirklich sagen, ob es gut oder schlecht ist.
Elfriede Jelinek, Gier


Zitat:

Wo es nach Scheiße stinkt, riecht es nach Leben.
Antonin Artaud


Zitat:

Der Mensch ist schwer zu entdecken und sich selber noch am schwersten.
Friedrich Nietzsche, Also sprach Zarathustra


, verkommen diese all zu leicht nur zu Slogans, als dass sie den Text bereichern. Halte ich persönlich für keine gute Wahl, erhält jedes "Unter-Kapitel" dadurch einen Kommentar, der eine Richtung vorgeben soll und in dieser Fülle werden die Richtungen insgesamt richtungslos-banal. Dabei wurde für den Wettbewerb ein Zitat als Thema vorgegeben, das mMn in dieser Form untergeht. Ich als Leser habe hier schwarz-auf-weiß Zitate vorliegen, die genausogut ein Thema/Themen vorgeben könnten. Ich denke, wenn überhaupt, ein Zitat hätte gereicht, hier treten sie leider inflationär auf, was zu sehr überladet und vom eigentlichen Textinhalt ablenkt.

Zum Text selbst:
Guy Incognito hat Folgendes geschrieben:
Fragmentierung

I.
Zu hassen ist nicht gut, aber erst wenn Sie mir sagen wen, kann ich wirklich sagen, ob es gut oder schlecht ist.
Elfriede Jelinek, Gier


Hätte ich gewusst, dass er es ist, wäre ich nicht ans Telefon gegangen und stünde jetzt nicht hier vor ihm - vor meinem Vater, der sterben wird, obwohl er schon lange tot ist. Als Person existiert er noch, als Vater ist er schon seit Jahren tot. <-- Diese Erklärung benötigt der Text mMn nicht.
Ich bin nicht bewusst zu ihm gegangen. Vielleicht war es der Automatismus des Körpers - nach seinem Anruf war mein Denken aus mir herausgetreten, hatte sich verirrt, ich fand es nicht mehr; der Körper funktionierte, ohne dass ich dazugehörte, übernahm das Denken und ging los.

Vielleicht war es aber auch jemand anderes.

Lara? Emil? Annika?

Ich weiß es nicht, sah mich nur plötzlich vor seiner Wohnung stehen.

Achtung, geh da nicht rein!
Riefen Lara und Annika.
Und Emil: Sei bloß nett zu ihm!

 
Ich rief nichts. Schloss nur die Tür lautlos auf und ging hinein. <-- So ganz bekomme ich es nicht verstanden, warum der Protaginist die Wohnung seines Vaters betritt. Zuvor wird der Eindruck erweckt, dass er nicht freiwillig hingegangen ist, und doch, hier lauscht er seinen anderen Persönlichkeiten, nimmt nMn bewusst wahr, dass er vor der Eingngstür steht und auch nach dem Anhören der anderen, schließt er auf und geht rein. Warum? Mir ist diese Motivation nicht klar und von ihm selbst kommt auch nichts. Er geht einfach rein und tut überrascht, was ich ihm nicht abkaufe.
Besser fände ich, dass du die Rückblende kürzer fasst:


Hätte ich gewusst, dass er es ist, wäre ich nicht ans Telefon gegangen und stünde jetzt nicht hier vor ihm - vor meinem Vater, der sterben wird, obwohl er schon lange tot ist.
Ich bin nicht bewusst zu ihm gegangen. Vielleicht war es der Automatismus des Körpers - nach seinem Anruf war mein Denken aus mir herausgetreten, hatte sich verirrt, ich fand es nicht mehr; der Körper funktionierte, ohne dass ich dazugehörte, übernahm das Denken und ging los.

Lara? Emil? Annika?

Ich weiß es nicht.


In dieser Form empfände ich die Überraschung des Protagonisten etwas glaubwürdiger.

Dennoch: Es scheint hier das erste Mal geschen zu sein, dass der Protagonist die Kontrolle über seinen Körper veriert und sich irgendwo wiederfindet, wo er zuvor nicht war oder sein wollte. Der Protagonisten weißt von seinen multiplen Persönlichkeiten und hat eine Vermutung, sonst würde er nicht die anderen fragen, wodurch mir seine Überraschung nicht stimmig erscheint und ich den Protagonisten bereits hier als nicht glaubwürdig getroffen ansehe.

 

II.
Wo es nach Scheiße stinkt, riecht es nach Leben.
Antonin Artaud


Da lag er, plötzlich ganz klein, in meiner Vorstellung war er riesengroß, ein fettes, hässliches Insekt mit viel zu vielen Beinen. Jetzt war er nur noch ein kleiner, grauer, zerknitterter Mann. Der Mächtige war längst gestorben; was da lag, [color=cyan]war nur noch die Hülle[/color] <-- Bezieht sich dies auf den weiter oben stehenden Satz: "Als Person existiert er noch, als Vater ist er schon seit Jahren tot." Mir kommt diese Passage wie eine Variation des Satzes vom ersten Teil vor, einer anders formulierten Gedanken-Wiederholung. Vielleicht könntest du überdenken den Satz "Als Person existiert er noch, als Vater ist er schon seit Jahren tot." zu streichen, weil du hier diese Aussage nochmal anders formuliert ausgreifst?  , er hatte sich von den Rändern weggeschrumpft <-- Die Formulierung "hatte sich weggeschrumpft" ist schräg und lese ich als einen bewussten, absichtlichen Vorgang, was es ja nicht ist. Woher will der Protagonist das wissen? Anstelle "hatte" vielleicht "war"? Gäbe das mehr Sinn? , ganz verklebt sah er aus, war nur noch Hülle <-- Vielleicht kann eine der beiden Wiederholungen gestrichen werden?  , nichts mehr sonst.

„So stirbst du also?“, fragte ich zur Begrüßung. Er nickte. Und zu meiner Überraschung konnte ich keine Gier mehr lesen. Das Grau seiner Augen schrieb etwas anderes. In meiner Erinnerung war sein Gesicht ein Mosaik aus bedrohlich grellen Farben, die mich blendeten, schmerzten. Jetzt nur noch Grautöne.

Es roch nach Verwesung, Scheiße und kaltem Rauch. Mir wurde übel. <-- Ist mir u.a. an dieser Stelle zu distanziert geschrieben. Vielleicht kannst du hier näher an den Protagonisten ran gehen.

„Ich vermisse dich!“, hörte ich ihn sagen. Ich blieb regungslos stehen, schaute auf ein Bücherregal; aus Angst davor, ihm in die Augen sehen zu müssen, ihn wieder so zu sehen, wie er wirklich war. Oder aus Angst davor, das zu tun, was ich mir ausgemalt hatte in all den Nächten, in denen ich mit meinem Ich gehadert hatte, immer dann, wenn das Bewusstsein zurückkehrte, Gedanken immer im Kreis herum, Leben, Sterben, er oder ich. Die Vorstellung, ihn zu töten, beruhigte mich, in all den Jahren. Er müsste mich ansehen dabei, müsste wissen, dass ich es bin. Ich würde ihn zerschneiden wollen, ein Messer nehmen und sehen, wie das Blut aus seinem Körper läuft. Es müsste anstrengend sein. Ich würde Stücke aus ihm herausschneiden, Hautfetzen auf den Boden fallen lassen. Und dann, wenn er schon tot wäre oder kurz davor, würde ich seinen Körper zerteilen, so lange, bis der Körper, bis er nicht mehr zu erkennen wäre.

Es war nicht mehr viel übrig von dem Insekt
<-- Das wurde bereits oben beschrieben und ist erneut eine anders formulierte Wiederholung. Dahingehend wird es schwierig für mich, ihm seine Angst abzunehmen, während er das oben zuvor beschriebene kleine, graue, zerknitterte und weggeschrumpfte Wesen betrachtet hat und nun wieder mit anderne Worten betrachtet. , das mit seinen Beißzangen andere Kreaturen innerhalb von Sekunden zerstören konnte. Jetzt war ich ihm endlich gewachsen, spürte keine Angst mehr <-- Was nun? Angst oder keine Angst?  Endlich konnte ich ihm alles sagen.

„Du vermisst mich? Sag schon, was genau vermisst du denn? Dass du es heute nicht mehr tun kannst? Oder sagst du das jetzt nur, weil du nicht alleine sterben möchtest? Wirst du aber, ganz alleine, schau doch, niemand ist hier, nur ich. Und  ich werde gehen, dich hier liegen lassen. Dann wirst du in eine Kiste gepackt und vom Bestatter schön hergerichtet werden – das passt ja zu dir, immer den schönen Schein wahren, nicht wahr? Nach außen hin alles perfekt und nur im Innern zeigst du, wer du wirklich bist, legst deine Masken ab und zerstörst damit die Menschen um dich herum. Stirb doch so, mir ist es egal.“

Er sagte nichts, tat nichts, lag einfach nur da.

Geh einfach!, rief mir Lara zu,
lass ihn in seiner eigenen Scheiße krepieren!
Nein, du musst ihm helfen, einen Arzt rufen
oder ihn ins Krankenhaus bringen, es war ja
nicht nur seine Schuld, du hast es schließlich
zugelassen, dich nicht gewehrt, rief Emil.


Immer will Emil ihn schützen.

Böse bist du auch, Emil, weißt du das? Du
warst es, der mich hierher hat gehen lassen,
richtig?
<-- Eine rhetorische Frage und auch eine Info nur für den Leser gedacht, denn die Persönlichkeiten scheinen ein Bewusstsein von allen anderen zu haben und somit zu wissen, wer was wann tut oder sagt. Passt für mich nicht.  Annika wollte jetzt auch sterben, flehte
mich an: Mir ist es zu viel, bitte lass uns aus
dem Fenster springen, lass uns versuchen, zu
fliegen, komm schon, nur so können wir
wirklich frei sein.


Zu viele Stimmen in meinem Kopf, setzten mich unter Druck, ich wusste nicht mehr, was ich wollte; versuchte, etwas zu sagen, irgendetwas, öffnete den Mund, formte Buchstaben zu Worten, konnte sie nicht aussprechen. Meine Stimme fehlte, die Worte fehlten. Ich spürte sie noch in meinem Mund, dort stießen sie an die Zähne, rieben sich an den Backentaschen, ich konnte sie mit der Zunge verschieben. Ich konnte sie auch herausfallen lassen aus meinem Mund, wie Luftblasen, ausstoßen, all das ging. Nur eines konnte ich nicht: sie erklingen lassen. Wollte ihm noch so vieles sagen.

In Gedanken sprach ich zu ihm: „Weißt du, ich habe keine Angst vor dem Tod – nicht vor deinem, nicht vor meinem. Mein Ich hat sich ohnehin schon längst fragmentiert. Nur noch einzelne Teile, kleine Kammern. Aufgesplittert – wie eine zerbrochene Vase. Immer wieder habe ich versucht, die zerbrochenen Stücke zusammenzusetzen, habe mich geschnitten dabei, das Blut fühlte sich kalt an und  tropfte in dunkelroten Kugeln auf den Boden. Aber es lässt sich nicht kitten, nicht mehr zusammensetzen, dafür sind es zu viele Splitter. Und sie sind nur deinetwegen da, du bist schuld - schuld an dem Chaos in meinem Kopf und schuld daran, dass dieser Körper ein Geisterhaus ist, in dem ich mich Tag für Tag verlaufe. Es hat keine Türen, keine Fenster, dafür viel zu viele Zimmer. Es ist dunkel hier. Ich wusste immer, dass ich mich erst dann von dir befreien können werde, wenn einer von uns tot ist. Jetzt weiß ich, dass du es sein wirst. Und freue mich darüber, dass ich dich überleben werde. Das war früher anders; früher, als ich sterben wollte. Als du sagtest, ich solle still sein, ich dürfe nichts erzählen, ich solle nicht so tun, ich wolle es doch sicher auch. Als du dir den Körper einfach genommen, dich draufgelegt und alles Lebendige verdunkelt hast. Hörst du, was ich sage, auch wenn die Worte fehlen?“

Er reagierte nicht, konnte meine Gedanken nicht hören. Ich starrte ihn an und sah plötzlich diese Angst in seinen Augen, wie ich sie von mir, von früher kannte: Todesangst. Und das hier, was war das jetzt? Dieses Rasseln, Röcheln, Stöhnen. Sein Körper bäumte sich auf, sein Atem wurde unregelmäßig, rasselnd. Der Mund öffnete sich.

Hilf ihm doch!, schrie Emil.
Lass mich in Ruhe, Emil!, schrie ich.
Bitte, er soll jetzt sterben oder wir,
es soll einfach aufhören!, rief Annika;
flehend. Wie ein Pferd unter
Scheuklappen sah sie aus.   


Mir wurde schwindelig. Ich fiel auf den Boden, schlug hart mit dem Kopf auf. Das Dröhnen in meinem Kopf wurde zu nasser Watte, alles dämpfte sich ab außer meinem Herzschlag und dem Rauschen des Bluts in meinen Adern. Ich stellte mir die Zahlenreihe von eins bis zehn vor, schlug mit der Hand den Takt auf den Boden, um im Hier und Jetzt zu bleiben. Ich konnte die Zahlen nicht mehr in den Raum sprechen, sie hatten sich in unzugängliche Höhlen zurückgezogen wie scheue Tiere. Für einen Moment muss ich weggetreten sein, ohnmächtig geworden. Ich hatte kalten Schweiß auf der Haut und fühlte mich kraftlos, bleich und müde, als ich das Bewusstsein wieder erlangte. Für einen Moment blieb ich liegen, hielt die Augen geschlossen; hoffte darauf, dass sich diese Situation auflösen würde, verschwinden wie die Worte. Doch als ich die Augen öffnete, war ich immer noch in seiner Wohnung.

Ich stand auf und sah seinen Tod. Seine Augen waren noch geöffnet, ich schloss sie nicht. Wie ein grauer, verschrumpelter, toter Wurm sah er aus, wie er da so lag. So werde ich mich erinnern! Ich blieb kurz stehen, ohne zu denken, einfach nur stehen, atmen. Plötzlich war es ruhig. Dann ging ich, schloss die Tür hinter mir, trat auf die Straße. Mir war schwindelig, ich hatte Durst, wünschte mir, umzufallen, ließ mich einfach weinen, ohne Ton, es war ganz still.  

Geht's euch gut?, fragte ich,
als ich nicht mehr weinte und hörte
die Worte, wie sie aus meinem Mund
kamen. Erleichterung.
Dann stummes Nicken, alle.
<-- Was ist mit Emil? Er war die ganze Zeit auf der Seite des Vaters, wollte nicht, dass er stirbt, und wollte, dass der Prtagonist dem Vater hilft. Jetzt ist er im Einklang mit den anderen? diesen Gesinnungswandel von Emil verstehe ich nicht.
III.
Der Mensch ist schwer zu entdecken und sich selber noch am schwersten.
Friedrich Nietzsche, Also sprach Zarathustra


Das Licht war angenehm; hell, aber nicht so gleißend, dass es bedrohlich wirkte. Weit hinten konnte ich die Alpen sehen, über mir den von den Bergen angefressenen Himmel. Die Straße lag still im Laternenlicht. In meinem Kopf war es ruhig.

Haben ihn so oft geträumt: unseren Auszug aus dem fremden Land, das unsere Vergangenheit ist <-- Empfinde ich ganz im Gegenteil. Die Vergangenheit ist  absolut nicht fremd (siehe die in cyan markierte Rückblende). Dieser Bezug passt für mich leider nicht. , aus dem Ort der Unfreiheit, erhobenen Hauptes, durch einen schier endlos erscheinenden dunklen Gang auf einen Ausgang zu. Jetzt können wir endlich beginnen, die Stücke zusammenzusetzen, endlich ein Ich sein, endlich zusammen, nicht gegeneinander. <-- Emil war der Gegenpart der anderen Persönlichkeiten, wenn es um den Vater ging. Was ist da passiert? Wir sind versammelt in diesem Körper, den wir teilen, zufrieden, sind endlich zu einem Wir-Ich geworden. Dafür brauchte es seinen Tod. Und nun:

Lichteinfall. Raumwechsel. Wir-Ich. Freiheit. <-- Die Heilung erfolgt mir zu schnell. Vater stirbt, Protagonist tritt raus und zack, voilà, das Wir-Ich. Zu schnell.



Zu den weiteren Vorgaben:
Du hast dich für die erste Gesprächs-Variante entschieden: ein Gespräch von zwei Personen.
Grenzwertige Umsetzung der Vorgaben, dass die beiden Personen sich an einem begrenzenden Ort über einen ununterbrochenen Zeitraum befinden müssen. Am Ende tritt der Protagonist hinaus auf die Strasse und unterbricht somit den Ort, die Wohnung des Vaters.
Ein Überwiegen der Rückblenden sehe ich nicht. Ok.

Was mMn nicht erfüllt ist, ist die Umsetzung des Themas. Die Vergangenheit ist kein femdes Land, sondern sehr real.
Das Kintsugi-Prinzip sehe ich in den multiplen Persönlichkeiten umgesetzt, die als Bruchstücke versuchen eine Einheit zu bilden, aber deutlich als Bruchstücke sichtbar sind. Die multiplen Persönlichkeiten oder die textale Umsetzung dieser Erkrankung finde ich nicht gelungen, nicht authentisch, vor allem kommt der Heilungsprozess, das Zusammenkleben der Einzelteile, zu simpel gedacht und schnell. Passt für mich in dieser Form leider nicht.

Merci beaucoup
Constantine
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Gast







Beitrag29.01.2020 10:45

von Gast
Antworten mit Zitat

Mein Mitfavorit: 10 Punkte

Klarer Bezug zum Thema und kreative Umsetzung.
An dieser Stelle würde ich die explizite Formulierung vermeiden:
 Mein Ich hat sich ohnehin schon längst fragmentiert

LG
DLurie
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Jenni
Geschlecht:weiblichBücherwurm


Beiträge: 3310

Das goldene Aufbruchstück Die lange Johanne in Gold


Beitrag30.01.2020 00:49

von Jenni
Antworten mit Zitat

Fragmentierung hast du hier in zweierlei Hinsicht umzusetzen versucht: formal durch die Strukturierung des Textes und inhaltlich mit der „fragmentierten“ gespaltenen Persönlichkeit der Erzählerin (/des Erzählers). Zweiteres finde ich besser gelungen, denn die Struktur ist doch in Wahrheit sehr linear (vorher-während-nachher, uneins-Krise-vereint), während die Spaltung der Persönlichkeit mir zwar anfangs zu plakativ erschien, ich dann jedoch zugeben muss, dass es in einer Kurzgeschichte vielleicht Sinn macht, die Persönlichkeiten so - man kann ja auch sagen symbolisch - anzulegen. Eine steht für das Harmoniebedürfnis und die eigenen Schuldgefühle, eine für die Angst, sie möchte der Situation schlicht aus dem Weg gehen, vergessen vielleicht auch, und die dritte für den extremen aber darin auch hilflosen Fluchtinstinkt, sich das Leben nehmen zu wollen. Mit der Fragmentierung hast du das Thema Kintsugi jedenfalls auf mehreren Ebenen behandelt und nicht nur am Rande gestreift. Das Thema selbst (Vergangenheit ist ein fremdes Land) wurde eher auf die Vergangenheit und deren Eigenschaft vergangen zu sein reduziert, die Erwähnung des fremden Landes am Ende wirkt etwas erzwungen noch mit reingequetscht. Der Dialog zwischen zwei Menschen. Das ist die Sprachlosigkeit zwischen Vater und Tochter, jedoch führt diese intensive innere Zwiegespräche. Hm.
Ach ja, die Zitate, haben die eigentlich irgendwas zu sagen? Oder die sind die einfach dafür da, damit es literarischer wirkt? Ich meine, man kann immer zu jedem Thema ein schlaues Zitat finden, aber wird sich damit auseinandergesetzt, fügt es dem Text hinzu oder umgekehrt, oder besteht ein sinniger Zusammenhang zwischen den Zitaten? Irgendetwas davon müsste die schon legitimieren, ich sehe es gerade nicht. Deine eigene Sprache dagegen scheint mir eher beliebig, wenig eindrücklich. Und auch erzählerisch: das ist alles so ausgesprochen, so auserklärt, und teilweise auch ein bisschen melodramatisch, der Moment des Todes, und die Erzählerin fällt in Ohnmacht und wacht schweißgebadet auf.
Thematisch nicht uninteressant, aber letztlich kein Punktekanditat für mich.
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Lalanie
Geschlecht:weiblichWortedrechsler


Beiträge: 55
Wohnort: Bayern


Beitrag01.02.2020 23:59

von Lalanie
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Da ich ein Neuling in diesem Forum bin, folge ich dem Ratschlag eines Mitglieds und schreibe nur einen Kommentar ohne Bewertung – ich hoffe, das wird mir nicht übelgenommen.
Würde ich aber Bewertungen vergeben, so wäre dieser Text für mich mein Favorit, denn er ist einfach nur unglaublich gut, und das in jeder Hinsicht: stilistisch, dramaturgisch, thematisch. Natürlich verstört er den Leser aufgrund der schockierenden Thematik, aber die Umsetzung, der Aufbau der Geschichte und dann noch die Kombination mit dem Thema der Vergangenheit als fremdem Land und dem Kintsugiprinzip, das zuerst misslingt und am Ende dann in einem großen Erfolg mündet, der in der Rückgewinnung des eigenen Lebens besteht, ist einfach nur fantastisch. Der Titel passt dazu, die Aufteilung der Geschichte in einzelne Passagen, die durch Zitate eingeleitet sind, die auch im Text wiederaufgenommen werden. Ganz großen Respekt! Dieser Text hat mich wirklich beeindruckt. Vielen Dank dafür!
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