Harmonie

[Tula]

Harmonie

Eine vollkommene Harmonie verrät die Kälte der Empfindungen.
Honoré de Balzac (1799 – 1850)


sie kommt latent, von innen her, nicht mehr
als nur ein Hauch, molekular gemessen
hast du nichts - die Skala ist zu grob - warst
du doch gestern erst in wilder Konvektion

sie stimmt dich ab, noch singst du und dein Puls
sinkt mit, selbst die Pupillen weiten sich
im Dunkeln wenig wo Routine spielt
jetzt vor und setzt getreu auf Haltbarkeit

bald legt sie dir am Frühstückstisch das Wort
aufs Brot, in Echtzeit und mit Vorbedacht
bleibt sie an allem haften und verklebt
dir irgendwann die Zunge ganz und gar

am Ende sind die Schwingungen vexiert
und auch der Saitensprung im Traum erklingt
zu spät, sie ist schon Teil von dir und friert
dich unaufhaltsam ein, von innen her

[firstoffertio]

Das ist ziemlich raffiniert gemacht.

Ob ich ohne das Zitat von Balzac verstanden hätte, weiß ich nicht. weil ich mit  Harmonie eher Positives verbinde. Hier wird sie eher angegangen wie eine Krankheit. Und steht mehr für bloße Routine, Haltbarkeit (einer Beziehung).

Bin mir nicht sicher, ob ich da mitgehe.

[Tula]

Hallo firstoffertio

Danke fürs Kommentieren und die Auseinandersetzung mit dem Thema.

Sicher soll das Gedicht in gewisser Hinsicht provozieren. Immerhin suchen wir (fast) alle nach Harmonie (ich doch auch), während es hier um ihre Kehrseite geht. Wie viele Beziehungen wirklich am Harmonie-Überschuss zugrunde gehen, weiß ich nicht, aber wenige sind es gewiss nicht. Nun will ich keine Abhandlung über Beziehungskisten schreiben, und warum so oft der Schein gewahrt wird, auch sich gegenüber, gegenseitig, obwohl da nichts mehr flammt oder wenigstens glimmt.... Hat neben vielen anderen Faktoren vielleicht sogar eine ganz banale hormonelle Basis: wenn nicht ab und an ein neuer Reiz in die Beziehung gebracht wird, lässt der Ausstoß der Glückshormone irgendwann nach. Man verliert das Interesse am anderen, wenn das bei beiden gleichzeitig geschieht, nun dann ...

Das Thema ist ja nicht neu. Ich denke an Udo Lindenbergs 'Sie ist 40' oder Hermann van Veens 'die Macht der Gewohnheit' und sicher viele andere. Dann die Pärchen im Café, die eine Stunde lang kein Wort wechseln.

Wie dem auch sei, es ist ganz bestimmt kein Versuch irgendeiner Verallgemeinerung. Also nichts zum 'mitgehen' müssen.

LG
Tula

[Perry]

jeder Harmonie wohnt zugleich Disharmonie inne, denn beides kann allein nicht existieren. Es ist wohl wie fast immer im Leben, der Weg ist das Ziel und beginnt jeden Tag neu.
Gerne hineingedacht!
LG
Perry

[Tula]

Hallo Perry
Vielen Dank. Ein schönes Fazit, sich jeden Tag neu aufzuraffen und auf den Weg zu begeben  um dem Leben noch ein paar "schräge Akkorde" abzugewinnen

LG
Tula

[menetekel]

Lieber Tula,
hier passen Inhalt und Form perfekt zusammen!
Der Zwiespältigkeit der Harmonie wird final der Stempel der Entscheidung aufgedrückt: Das Gewohnte bleibt (leicht) frierend zurück.
Das ist in der Tat "raffiniert" (First) gemacht und findet meine volle Zustimmung.
Und wie schön alles auf die letzte Strophe hinarbeitet ...

Beeindruckte Grüße
m.

[Tula]

Hallo liebe menetekel
Da freue ich mich und sende dir ein paar durch und durch harmonische Adventsgrüße

 
Tula

[wortklang]

Das ist gut, Tula!

Vor allem die letzte Strophe hat es mir sprachlich und inhaltlich angetan:

[Tula]

Danke Wortklang, das freut mich
Adventsgrüße
Tula