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feindfrau 2


 
 
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Klemens_Fitte
Geschlecht:männlichSpreu

Alter: 41
Beiträge: 2934
Wohnort: zuckerstudio waldbrunn


Beitrag13.08.2019 12:22

von Klemens_Fitte
Antworten mit Zitat

Kiara hat Folgendes geschrieben:
Hallo,
wie würde die Textarbeit bzw. das Forumleben in deiner Wunschvorstellung aussehen?


Gute Frage. Nein, 1:1 ist etwas, das das Forum nicht ersetzen kann; es kann höchstens die Plattform sein, auf der man sich findet.

Kurz hierzu:

Kiara hat Folgendes geschrieben:
Ein Punkt davon ist: Jeden Tag strömen Neulinge hierher - zu den ersten Dingen, die sie machen, gehört meist, einen Textabschnitt einzustellen - in der Erwartungshaltung, dass dieser bewertet/bearbeitet wird. Interessanterweise gibt es tatsächlich viel Feedback dazu. So kritisch ich dieser "hier bin ich, hab zwar noch nichts eingebracht aber helft mir bitte"-Haltung gegenüberstehe, so sinnig erscheint sie in der längeren Betrachtung. Fast jeder ist von seinem Werk überzeugt und der Meinung, ein Unikat erschaffen zu haben. Vielleicht wird durch die Hilfestellung das eine oder andere Werk besser und weniger unfertig bzw. fehlerbehaftet auf den Markt geworfen.


Ich kann das durchaus verstehen – auch ich habe mich "damals" hier angemeldet, weil ich bei einem Manuskript nicht weiterkam. Zumindest war das der Anlass, der eigentliche Grund war: ich wollte andere Menschen kennenlernen, die schreiben, wollte mich übers Schreiben austauschen, andere Texte und andere Sichtweisen kennenlernen. Und ich behaupte mal, das Forum hätte nicht so einen großen Einfluss auf mein Leben und Schreiben haben können – den hatte es unbestreitbar – wenn es mir nur um dieses Manuskript gegangen wäre, um konkrete Hilfestellung und darum, einen Text zu überarbeiten.
Man kann Textarbeit – in dem Sinne, wie sie hier größtenteils verstanden wird – natürlich machen, das Forum eignet sich ja sehr gut dafür, mit den Zitat- und Darstellungsmöglichkeiten, der ganzen Struktur, und ich selbst habe das lange Zeit so gemacht, weil ich dachte, man macht es halt so. Man nimmt einen Text, seziert ihn, streicht die Fehler und Stolperstellen an, schreibt ein paar eigene Anmerkungen rein etc. pp. – dagegen ist ja nichts einzuwenden, nur weil ich nicht mehr daran glaube.

Ich glaube auch dieses Diktum nicht, dass Textarbeit einen Text zerfleddert, bis kein Stein mehr auf dem anderen steht, dass man jeden Satz, jeden Ausdruck so lange prüft und abwägt, bis er makellos ist – und das schreibe ich, während in meinem aktuellen Manuskript etwa 500 Post-It-Lesezeichen stecken und ich selbst zu einem gesunden Wahnsinn neige, was das Überarbeiten angeht. Aber als Gruppenarbeit? Im Forum? Schwierig. Auch mit der Prämisse, einen Text von Fehlern zu befreien, damit er dann auf den Markt kann … das ist nicht das, woran ich interessiert bin.

Textarbeit ist für mich halt nur ein kleiner Teil des Austauschs über Texte, über Schreiben, über Literatur, und der eigentliche Austausch, der hat auch immer mit den Menschen hinter den Texten zu tun und ist abhängig von einem Interesse, einer Bereitschaft, sich fast so sehr für das Fremde wie das Eigene zu interessieren oder begeistern zu können; was unter Autoren schwierig ist, denn letzten Endes sind wir alle Egozentriker und Eigenbrötler. Wie das Forum sein könnte … ich hab, fällt mir ein, hier etwas dazu geschrieben; das ist allerdings im Internen Bereich und womöglich nicht für alle einsehbar, deshalb zitiere ich mal schamlos:

Der sich selbst zitiert hat Folgendes geschrieben:
Das ist wohl ein Faktor, mE aber nicht der Hauptgrund für die zunehmende Verwaisung (mein subjektiver und nicht belegter Eindruck) der übrigen Textbereiche. Ich glaube ja selbst nicht an das Sezieren von Texten, zumal dann nicht, wenn die Basis dafür aus ein oder zwei Seiten eines mehrere hundert Seiten starken Werks besteht. Ebenso wenig (oder: immer weniger) glaube ich an gemeinsame Textarbeit im Sinne eines "lektorierenden" Eingreifens. Das mag zwischen zwei Personen funktionieren, die einander kennen – als Gruppe nicht.

Das Forum – und spätestens jetzt gehört es wohl eher in diese Diskussion – hatte eine Zeit lang das Glück, dass sich hier einige Leute zusammengefunden haben, die (a) hochwertige Texte schreiben konnten, die sich nicht hinter Veröffentlichtem verstecken mussten und (b) damit nicht restriktiv umgingen – im Sinne von: das zeige ich nicht, das möchte ich noch veröffentlichen – sondern das Forum zugleich als eine Bühne, eine gemeinsame Werkstatt und einen Entstehungsort für Literatur verstanden¹, sprich: Texte extra fürs Forum schrieben, nicht nur für die Werkbereiche, sondern auch für SmallTalk- und sonstige Bereiche. Fäden wie dieser oder eben die Hochzeit des Nachtschwärmers u.ä. zeigen doch relativ klar die Möglichkeiten und Stärken eines offenen und öffentlichen Forums auf – das Besprechen von Romanauszügen, die man danach wieder im stillen Kämmerlein oder hinter verschlossenen Türen in einer AG weiterschreibt, gehört mE nicht dazu, weshalb ich es auch für den falschen Ansatz halte, das Forum für veröffentlichte/veröffentlichende Autoren attraktiver zu machen – da gibt es im www wesentlich geeignetere Kanäle.

¹Ich erinnere mich bspw an mein eigenes Aufkreuzen hier, als aus einem groben Anfang innerhalb von einigen Wochen und über hundert Kommentaren eine komplette Erzählung wurde – und ich behaupte, dass das nur möglich war, weil es (a) im öffentlichen Bereich, für jeden sichtbar, stattfand und (b) es einige Leute gab, die sich nicht nur für den Text, sondern auch für mich und mein Schreiben interessierten, eine Unmenge an Aufwand investierten, und da wären wir wieder beim Thema: es liegt weit weniger an den Strukturen, als an den Menschen – und die kann man sich nicht züchten, sondern nur froh sein, solange man sie hat.


Wie würde X in deiner Wunschvorstellung aussehen? beinhaltet ja immer: Was könnte man tun, um das zu erreichen? – und ausgehend vom eben Zitierten: mE kaum etwas bis gar nichts. Das ist nichts, das über strukturelle Änderungen oder Maßnahmen seitens der Administration oder Moderation erreicht werden kann, und seitens der User … schwierig, dazu sind wir alle zu weit entfernt voneinander. Vielleicht, wenn es einen Nukleus gäbe aus Leuten, die sich auch aus dem sog. echten Leben kennen, sich auf Forentreffen begegnet sind, literarisch auf einer Wellenlänge liegen … ich glaube, das war hier mal so, eine Zeit lang, aber auch da hatte ich bei meiner Anmeldung das Gefühl, eher noch das Ende mitzubekommen.

Und selbst wenn: ich sehe mich nicht in der Position, etwas zu ändern. Erstens, weil das Forum schon sehr festgefahren ist, unflexibel, und daran zu rütteln erforderte ein Maß an Engagement und Identifikation mit dem Forum, das ich nicht (mehr) aufbringen kann. Zumal, wenn ich Kommentare der User lese, die sich wirklich noch engagieren und einbringen, und merke, dass ich weder mit ihrer Sicht auf das eigene noch auf fremdes Schreiben etwas anfangen kann. Das mag jetzt unfair, egozentrisch und elitär klingen, aber letztlich, glaube ich, ticken wir alle so in den Dingen, die uns wirklich wichtig sind.


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100% Fitte

»Es ist illusionär, Schreiben als etwas anderes zu sehen als den Versuch zur extremen Individualisierung.« (Karl Heinz Bohrer)
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timcbaoth
Leseratte


Beiträge: 114



Beitrag17.08.2019 23:33

von timcbaoth
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Hallo Klemens_Fitte

Vielen Dank für die ausführliche Antwort. Ich kann deine Punkte und die Gedanken dahinter sehr gut nachvollziehen. Ich habe mir jetzt im Laufe der Diskussion auch ein paar Meta-Fäden zu Gemüte geführt. In gewisser Weise muss ich sagen, dass meine Einstellung hier sehr pragmatisch ist: Ich lese sehr gerne, und wenn es Interessantes zu beobachten gibt, verfolge ich es. Leider finde ich selten neben meiner Arbeit, Familienzeit und sonstiger langweiligen Konventionen, genug Zeit, um hier aktiv zu sein...

Als jemand, der schon vor Jahren in diesem Forum inaktiv war, denke ich, dass sich die Gesamtsituation gar nicht allzusehr gewandelt hat. Auch früher waren schon gefühlte drei von vier Texten nicht interessant und/oder gespickt von Fehlern. Was mich passiv an der Stange gehalten hat, waren die Lichtblicke zwischendrin.

Zitat:
Das Forum – und spätestens jetzt gehört es wohl eher in diese Diskussion – hatte eine Zeit lang das Glück, dass sich hier einige Leute zusammengefunden haben, die (a) hochwertige Texte schreiben konnten, die sich nicht hinter Veröffentlichtem verstecken mussten und (b) damit nicht restriktiv umgingen – im Sinne von: das zeige ich nicht, das möchte ich noch veröffentlichen – sondern das Forum zugleich als eine Bühne, eine gemeinsame Werkstatt und einen Entstehungsort für Literatur verstanden


Meines Erachtens ist es hierfür vornehmlich notwendig, dass es genug Teilnehmer gibt, die interessanten sogenannten Content erzeugen. Wenn es genug davon gibt, ist es nur eine Frage der Zeit, bis es auch genug Menschen gibt, die gerade diesen Content suchen und eventuell kommentieren. Deshalb wäre ein weiteres Veröffentlichen deinerseits besonders förderlich. Und ehrlich gesagt finde ich das Thema dieses speziellen Werkes (ich weiss, der Faden ist schon sehr off topic, aber es geht eigentlich immer noch um deinen Text) ausgesprochen spannend und den Stil bis anhin sehr gelungen.

Zitat:
Zumal, wenn ich Kommentare der User lese, die sich wirklich noch engagieren und einbringen, und merke, dass ich weder mit ihrer Sicht auf das eigene noch auf fremdes Schreiben etwas anfangen kann.


Es würde mich interessieren, um welche Ansichten es sich konkret handelt. Generell klingt es mMn gar nicht egozentrisch oder elitär. Dass sich die Ansichten unterschiedlicher Menschen unterscheiden, ist recht objektiv wahr.

LG
Tim


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Liebe Grüsse
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UtherPendragon
Eselsohr
U


Beiträge: 402



U
Beitrag19.08.2019 17:12

von UtherPendragon
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Hallo Klemens,

nach längerer Abwesenheit (mal wieder und was denn sonst) tat es sehr gut, in der Werkstatt einen bekannten Nick zu lesen. Ich habe mir nur Schlaglichter der hier geführten Diskussion zu Gemüte geführt und möchte nirgendwo einhaken, indes mir auch der Überblick fehlt. Meines Erachtens und vielleicht ist es gar nicht schlecht, einmal mehr aufs Allgemeine zu kommen, taugt dein Einstieg für eine Reihe von Szenarien, welche ich mir als erfolgreich vorstellen kann. Ich hätte erst etwas daran auszusetzen, wenn in derselben gehobenen Sprache ein - aufs Genre bezogen - unspektakuläres, weil bspw. klischeehaftes Szenario entworfen würde. Ich könnte mir aber wiederum den Einstieg als fantastische Synthese mit einem Erzählstoff vorstellen, der untypisch für das Setting der Postapokalypse daherkommt: Fabeln, Psychothriller - irgendwas absurdes. Andererseits taugt das entworfene Panorama auch für aus dem Klischee geborene Geschichten, die dennoch ihre eigenen Reize entfalten. Ich glaube, mit der After-Armageddon-Narration gibt es noch einige Blumentöpfe zu gewinnen.
Ich empfinde Syntax und Rhythmus hier nicht als kritikwürdig und würde erst im größeren Zusammenhang urteilen wollen. Hast du schon einen Plot entworfen?
Liebe Grüße
Dein
UP


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Klemens_Fitte
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Wohnort: zuckerstudio waldbrunn


Beitrag25.08.2019 13:09

von Klemens_Fitte
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Hallo Tim, hallo UP,

das war ein schöner Nostalgieflash, als ich gestern aus einer internetlosen Woche zurückkam und eure Kommentare hier las. Ich werde sicher noch drauf eingehen, es sind ja ein paar interessante Punkte dabei – bis dahin.


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Klemens_Fitte
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Alter: 41
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Wohnort: zuckerstudio waldbrunn


Beitrag26.08.2019 17:42

von Klemens_Fitte
Antworten mit Zitat

timcbaoth hat Folgendes geschrieben:
Als jemand, der schon vor Jahren in diesem Forum inaktiv war, denke ich, dass sich die Gesamtsituation gar nicht allzusehr gewandelt hat. Auch früher waren schon gefühlte drei von vier Texten nicht interessant und/oder gespickt von Fehlern. Was mich passiv an der Stange gehalten hat, waren die Lichtblicke zwischendrin.


Ob meine veränderte Wahrnehmung des Forums stärker in einer Veränderung des Forums oder meiner Sicht darauf gründet, wäre vielleicht herauszufinden – allein, mir fehlt der Antrieb dazu. Wahrscheinlich würde mir auch dann nur meine Sicht bleiben, ob sie gerechtfertigt wäre oder nicht. Wenn ich sage, dass früher mehr Texte im Forum mein Interesse wecken konnten, liegt darin natürlich die Frage, ob ich überhaupt bereit bin, mich noch in gleicher Weise zu interessieren, mich auf etwas einzulassen; weil aber das, worum es im Forum geht, das Schreiben nämlich, kein Hobby für mich ist, auch kein Beruf, sondern etwas, das mich und das, was mich ausmacht, im Kern betrifft, wiegt ein Verlust der Unschuld umso schwerer.
Anders gesagt: ich kann nicht von außen auf das Forum blicken. Ich kann es auch nicht einfach als einen Ort sehen, an dem man Texte liest, mal mehr, mal weniger interessiert.

timcbaoth hat Folgendes geschrieben:
Meines Erachtens ist es hierfür vornehmlich notwendig, dass es genug Teilnehmer gibt, die interessanten sogenannten Content erzeugen. Wenn es genug davon gibt, ist es nur eine Frage der Zeit, bis es auch genug Menschen gibt, die gerade diesen Content suchen und eventuell kommentieren.


Jein – also, zumindest aus meiner Sicht. Ich habe "damals" ein paar Tage oder Wochen passiv im Forum mitgelesen, bevor ich mich zu dem Schritt entschlossen habe, mich hier anzumelden. Und ich glaube, entscheidend dafür war gar nicht mal so sehr die Qualität der Texte, die ich in diesen Tagen/Wochen entdeckt habe, sondern die Feststellung, dass hier Austausch stattfand. Dass es Fäden mit dutzenden Kommentaren gab, Diskussionen, Streit, in denen sich nicht nur die sogenannte "konstruktive Kritik" zeigte, sondern Menschen, mit ihren Fehlern und Impulsen und Emotionen. Hätte ich das Forum nur als eine Bühne gesehen, auf der gute – wirklich gute – Texte präsentiert werden, ich hätte mich wahrscheinlich nicht angemeldet. Und hätte ich es als einen Ort verstanden, an dem Texte nach allen Regeln der Kunst optimiert werden, auch nicht.

timcbaoth hat Folgendes geschrieben:
Zitat:
Zumal, wenn ich Kommentare der User lese, die sich wirklich noch engagieren und einbringen, und merke, dass ich weder mit ihrer Sicht auf das eigene noch auf fremdes Schreiben etwas anfangen kann.


Es würde mich interessieren, um welche Ansichten es sich konkret handelt.


Das wäre nur situativ zu beantworten, und ich würde wahrscheinlich in keinem guten Licht dastehen, wenn ich sagte, dass ich manchmal schon auf Durchzug schalte, wenn die Wörter Schreibstil oder Lesefluss fallen – Literatur ist, wie vieles, ein ziemlich komplexes Ding, das man schlecht auf Ansichten reduzieren kann, und dann kann ich auch schlecht erklären, wieso ich mit manchen Menschen über das Schreiben reden (schreiben) kann und mit anderen nicht. Oder warum ich manchmal das Gefühl habe, nicht über die gleiche Sache zu reden.

*

UtherPendragon hat Folgendes geschrieben:
Ich könnte mir aber wiederum den Einstieg als fantastische Synthese mit einem Erzählstoff vorstellen, der untypisch für das Setting der Postapokalypse daherkommt: Fabeln, Psychothriller - irgendwas absurdes.


Ja, das Absurde – ich fände es schön, dorthin (zurück) zu finden, auch wenn es nicht zu meinen Stärken zählt; es ist aber, was ich mir mit "feindfrau 2" vom ersten Teil zurückerobern möchte: ein absurder Humor, eine gewisse Nonchalance der Erzählstimme und die Fähigkeit, einfach (drauflos) zu erzählen. Dass der Anfang das nicht einlöst, wird mir immer klarer – aber er bietet mir ein Szenario, und das ist mir erst mal genug.

UtherPendragon hat Folgendes geschrieben:
Hast du schon einen Plot entworfen?


Nein. Habe ich aber noch nie, um ehrlich zu sein. Ich bin der Meinung, dass es – zumindest für meine Texte – nicht darum geht, was oder worüber man erzählt, sondern nur, aus welcher Perspektive und aus welcher Haltung heraus; alles andere, Geschichte, Thema, Figuren, findet sich von selbst, sobald man das gefunden hat.

Damit ich den Faden jetzt nicht schon wieder nach oben hole, ohne dass es weiter im Text geht, stelle ich nachher noch die aktuelle Version des Anfangs und die Fortsetzung ein. Und diesmal nicht aus einem schwachen Moment heraus, sondern weil es halt in den Faden gehört, wenn er schon mal da ist.


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Klemens_Fitte
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Beitrag26.08.2019 21:22

von Klemens_Fitte
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Wie angekündigt, neue Version Anfang + Fortsetzung

In diesem Teil der neuen Welt gleicht das Licht zu jeder Zeit einer im Zenit stehenden Sonne. Mit Tagesanbruch ist es da, übergangslos, als hätte jemand einen Baustrahler eingeschaltet, der reglos und unbarmherzig vom Himmel brennt, und dann dringt dieses Licht in die verborgensten Winkel, reißt an sich, was es zu fassen bekommt, und trennt es heraus, kalt und hart, bis wir nicht mehr leugnen können, was uns vor Augen steht.

Nicht dass einer von uns diesen oder ähnliche Gedanken in Worte fassen würde, sich selbst oder anderen gegenüber – zu unsinnig scheint es, Dinge begreifen zu wollen, die längst begriffen sind, also suchen wir nicht nach Worten, sondern nach Nahrung oder Rohstoffen, während wir von Deckung zu Deckung huschen oder in einer quälenden Langsamkeit den Sonnenuhren der Wolkenkratzer und Brückenpfeiler folgen, die wie letzte Relikte einer vergangenen Ordnung aus der Ödnis ragen.

Dabei ist es nicht der Kampf um die letzten Ressourcen, um das, was wir uns Morgen für Morgen auf den Rücken binden, um es durch einen weiteren Tag zu tragen, oder das damit einhergehende Misstrauen, die allumfassende Präsenz von Hunger und Durst, die uns zunehmend voneinander trennen, sondern eine Ernüchterung und Sprachlosigkeit, aus der sich keiner zu lösen vermag; als wäre einem, bei Licht betrachtet, jede Form der Kommunikation unmöglich, weil man keine kollektive Täuschung mehr teilt, keine Illusion, keinen Trost, in dem das Wissen um unsere Situation verschwinden könnte – so dass die meisten sich damit begnügen, in einem dämmrigen Zustand auf den Einbruch der Nacht zu warten, die mit ihren namen- und gesichtslosen Schrecken geradezu erträglich wirkt.

Manchmal kommt es vor, dass jemand eine Geschichte aus der alten Welt erzählt – Geschichten aus der neuen Welt gibt es nicht – und die anderen sich in den wohltuenden Schatten drängen, den die Worte auf das Heute werfen. Dann scheint es für eine Weile so, als gäbe es ein Hinsehen und Begreifen ohne Schmerz, oder wenn ein Schmerz darin liegt, dann hält man ihn für zumutbar, weil man ihn auf Dutzende Herzen und Köpfe verteilen kann oder weil er einen für kurze Zeit vergessen lässt, dass man ein Individuum ist.

Aber hat die Geschichte erst einmal ihr Ende gefunden, hinterlässt sie meist nichts als ein vages Bild, einen Gedanken oder eine Empfindung, die im Licht des nächsten Tages unweigerlich verblassen; kaum verwunderlich, dass man in den Geschichtenerzählern wenig mehr als Exzentriker und Schmarotzer sieht, Taugenichtse, die selbst unter den übrigen Vagabunden einen zweifelhaften Ruf genießen. Die harmloseren unter ihnen hält man für Spinner, nicht willens oder fähig zu akzeptieren, dass es längst nichts mehr zu erzählen gibt und die großen Geschichten vielleicht nicht ihren Reiz, aber ihren Sinn verloren haben.

Ich habe den besonderen Argwohn, den man diesen Menschen entgegenbringt, immer als gerechtfertigt empfunden – schließlich bin ich einer von ihnen. Und wenn ich nicht mehr an meine Mitmenschen glaube, glaube ich an meine Geschichten noch weniger. Manchmal bringen sie mir eine Mahlzeit oder eine Unterkunft ein – dann bin ich wenigstens für einen Tag mit ihnen versöhnt.

Obwohl ich ihre Geschichten kenne, erinnere ich kaum etwas aus der alten Welt; und zumeist kann ich nicht sagen, ob es sich dabei um eigene Erlebnisse handelt oder ob es nur weitere Geschichten sind, die ich irgendwo gehört und mir angeeignet habe. Am ehesten sind da diffuse Bilder von Autofahrten, von Regen, der an den Scheiben entlangläuft oder aufs Dach trommelt, oder eine Sonne, die wie Eigelb über dem Horizont steht, eher wachsweich als bedrohlich.

In der prägnantesten Erinnerung aus der alten Welt gehe ich barfuß, im Schlafanzug durch einen dunklen Hausflur und bleibe im Türrahmen zum Wohnzimmer stehen, wo mein Großvater in einem alten Ohrensessel sitzt. Er sitzt schräg zu mir, und ich sehe seine Silhouette, den Kopf, die breiten Schultern, und sein Gesicht, das im blaugrauen Licht des Fernsehers zugleich alt wirkt und merkwürdig weich, mit Zügen, die sanft und doch viel markanter sind als auf den Fotos, die ich noch von ihm habe.

In einer Hand hält er ein großes Stück Käse, in der anderen ein Messer, mit dem er immer wieder einen Streifen Käse abschneidet und zu seinem Mund führt, und irgendetwas an diesem Ritual, an der Sicherheit seiner Bewegungen fasziniert mich so sehr, dass ich gebannt ins Wohnzimmer trete, obwohl ich längst im Bett sein muss.

Trotz des Fernsehers ist es so still im Haus, dass ich glaube, meine barfüßigen Schritte zu hören.

Auch mein Großvater muss mich gehört haben, denn er dreht seinen Kopf, und wir blicken uns einige Sekunden an. Dann schenkt er mir ein Zwinkern und ein ebenso verschwörerisches Nicken, so dass ich mich auf die Armlehne setze, halb nach hinten und halb gegen seine Schulter gelehnt. Er kommt mir unglaublich groß vor, ein großer, kräftiger Mann, und mit dem ersten Stück Käse, das er von der Messerklinge zwischen meine Finger schiebt, fühle ich mich selbst um ein paar Zentimeter gewachsen.

Ich kann nicht mehr sagen, welchen Film wir sehen, während wir stumm nebeneinander sitzen und Käse essen, aber er muss schon älter gewesen sein, ein Western, die mein Großvater über alles liebte. Manchmal glaube ich, die meisten der Weisheiten, die er damals mit mir teilte, hatten dort ihren Ursprung: in diesen Geschichten, die so viel größer und wahrer scheinen als mein eigenes Leben, auch jetzt noch, da ihre Titel und die Namen ihrer Helden längst in Vergessenheit geraten sind.

Was ich dagegen erinnere, als wäre seitdem keine Zeit vergangen: Das dunkle Wohnzimmer, das Licht des Fernsehers, den Geschmack der Käsestücke, das bedächtige Kauen meines Großvaters und die Wärme, die von ihm ausgeht.

Und über all dem ein unbestimmbarer Geruch nach Sommer, nach Kindheit, ein Gefühl, das sich vielleicht am ehesten in der Gewissheit fassen lässt, dass die Zeit stillsteht; als wäre all das, was man in diesem Moment erlebt, bereits in der glänzenden und unzerbrechlichen Hülle der Erinnerung eingeschlossen.


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Bananenfischin
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Beitrag27.08.2019 10:45

von Bananenfischin
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Klemens_Fitte hat Folgendes geschrieben:
weil es halt in den Faden gehört, wenn er schon mal da ist.


Und wenn er schon mal da ist, kann man ja auch weiterhin etwas dazu sagen. Ich mag jedenfalls. smile

Mich zieht es beim Lesen sehr in den Text. Ich würde sehr gern weiterlesen, mehr über den Erzähler, die Welt, die Rolle der Geschichten innerhalb der Geschichte erfahren.

Zitat:
Am ehesten sind da diffuse Bilder von Autofahrten, von Regen, der an den Scheiben entlangläuft oder aufs Dach trommelt, oder eine Sonne, die wie Eigelb über dem Horizont steht, eher wachsweich als bedrohlich.

Das sind tatsächlich so diffuse Bilder, dass ich mich frage, ob sie nicht überflüssig sind, ob nicht der Satz davor ausreichend ist. Vielleicht dienen sie aber als Kontrast zu der sehr detaillierten Erinnerung, die folgt?

Zitat:
ein Western, die mein Großvater über alles liebte.


Das ist grammatikalisch zumindest gewagt. smile

Zitat:
Sprachlosigkeit, aus der sich keiner zu lösen vermag; als wäre einem, bei Licht betrachtet, jede Form der Kommunikation unmöglich, weil man keine kollektive Täuschung mehr teilt, keine Illusion, keinen Trost, in dem das Wissen um unsere Situation verschwinden könnte


Hierzu sind mir ein paar allgemeine Gedanken gekommen, die aber nicht unbedingt etwas mit deinem Text zu tun haben, in dem die Sprachlosigkeit, zumal wahrscheinlich seit dem auslösenden Ereignis schon einige Zeit vergangen ist, mir stimmig erscheint.
Kommunikation dient ja nicht nur der gegenseitigen Versicherung, dem Trost, einem "Wird schon wieder", sondern z. B. der Lösungsfindung (wobei es natürlich auch ausweglose Situationen gibt), aber unter anderem auch der Verarbeitung des täglich neuen Ist-Zustands generell. Begreifen durch Wiederkäuen sozusagen. Und ich frage mich, ob das wirklich jemals aufhören würde.
Aber das sind, wie gesagt, nur ganz allgemeine Überlegungen.

Liebe Grüße
Bananenfischin


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UtherPendragon
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U
Beitrag27.08.2019 14:25

von UtherPendragon
Antworten mit Zitat

Doch doch, das kann funktionieren. Du setzt Dich selbstverständlich einer Gefahr aus, selbst wenn der Anfang gut gemacht ist: Zwar setzt er eigene Akzente, die sehr positiv hervorstechen, aber er durchbricht keine Konvention. Letztendlich wird sich die Lesequalität dieses Einstiegs wohl auch anhand der darauffolgenden Geschichte erweisen und was davon im Kopf bleibt - kleine Hinweise auf Relationen in dieser Umwelt, die sich auf den Plot auswirken z.B.

Unten stehend ein paar Vorschläge.

Klemens_Fitte hat Folgendes geschrieben:
Wie angekündigt, neue Version Anfang + Fortsetzung

In diesem Teil der neuen Welt gleicht das Licht zu jeder Zeit einer im Zenit stehenden Sonne. Mit Tagesanbruch ist es da, übergangslos, als hätte jemand einen Baustrahler eingeschaltet, der reglos und unbarmherzig vom Himmel brennt, und dann dringt dieses Licht in die verborgensten Winkel, reißt an sich, was es zu fassen bekommt, und trennt es heraus, kalt und hart, bis wir nicht mehr leugnen können, was uns vor Augen steht.

Nicht dass einer von uns diesen oder ähnliche Gedanken in Worte fassen würde, sich selbst oder anderen gegenüber – zu unsinnig scheint es, Dinge begreifen zu wollen, die längst begriffen sind, also suchen wir nicht nach Worten, sondern nach Nahrung oder Rohstoffen, während wir von Deckung zu Deckung huschen oder in einer quälenden Langsamkeit den Sonnenuhren der Wolkenkratzer und Brückenpfeiler folgen, die wie (als) letzte Relikte einer vergangenen Ordnung aus der Ödnis ragen.

Dabei ist es nicht der Kampf um die letzten Ressourcen, um das, was wir uns Morgen für Morgen auf den Rücken binden, um es durch einen weiteren Tag zu tragen, oder das damit einhergehende Misstrauen, die allumfassende Präsenz von Hunger und Durst, die uns zunehmend voneinander trennen, sondern eine Ernüchterung und Sprachlosigkeit, aus der sich keiner zu lösen vermag; als wäre einem, bei Licht betrachtet, jede Form der Kommunikation unmöglich, weil man keine kollektive Täuschung mehr teilt, keine Illusion, keinen Trost, in dem das Wissen um unsere Situation verschwinden könnte – so dass die meisten sich damit begnügen, in einem dämmrigen Zustand auf den Einbruch der Nacht zu warten, die mit ihren namen- und gesichtslosen Schrecken geradezu erträglich wirkt.

Der Absatz ist sehr interessant, da er den Zusammenhang von Fähigkeit zur Kommunikation und dem Kollektiv an sich aufzeigt und problematisiert. Ich finde die ersten paar Halbsätze aber anstrengenderweise aneinandergeschachtelt und glaube im Allgemeinen, dass es hier noch prägnanter sein könnte.

Manchmal kommt es vor, dass jemand eine Geschichte aus der alten Welt erzählt – Geschichten aus der neuen Welt gibt es nicht – und die anderen sich in den wohltuenden Schatten drängen, den die Worte auf das Heute werfen. Dann scheint es für eine Weile so, als gäbe es ein Hinsehen und Begreifen ohne Schmerz, oder wenn ein Schmerz darin liegt, dann hält man ihn für zumutbar, weil man ihn auf Dutzende Herzen und Köpfe verteilen kann oder weil er einen für kurze Zeit vergessen lässt, dass man ein Individuum ist.

Echt schön, finde Schmerz aber echt n bisschen pathetisch als Wort. Da gibt es doch sicher einen schöner gemalten Begriff, eine Metapher whatever; aber die Kombi Herz und Schmerz ist mir persönlich zu viel.

Aber hat die Geschichte erst einmal ihr Ende gefunden, hinterlässt sie meist nichts als ein vages Bild, einen Gedanken oder eine Empfindung, die im Licht des nächsten Tages unweigerlich verblassen; kaum verwunderlich, dass man in den Geschichtenerzählern wenig mehr als Exzentriker und Schmarotzer sieht, Taugenichtse, die selbst unter den übrigen Vagabunden einen zweifelhaften Ruf genießen. Die harmloseren unter ihnen hält man für Spinner, nicht willens oder fähig zu akzeptieren, dass es längst nichts mehr zu erzählen gibt und die großen Geschichten vielleicht nicht ihren Reiz, aber ihren Sinn verloren haben.

Ich habe den besonderen Argwohn, den man diesen Menschen entgegenbringt, immer als gerechtfertigt empfunden – schließlich bin ich einer von ihnen. Und wenn ich nicht mehr an meine Mitmenschen glaube, glaube ich an meine Geschichten noch weniger. Manchmal bringen sie mir eine Mahlzeit oder eine Unterkunft ein – dann bin ich wenigstens für einen Tag mit ihnen versöhnt.

Vorschlag: mit mir versöhnt.

Obwohl ich ihre Geschichten kenne, erinnere ich kaum etwas aus der alten Welt; und zumeist kann ich nicht sagen, ob es sich dabei um eigene Erlebnisse handelt oder ob es nur weitere Geschichten sind, die ich irgendwo gehört und mir angeeignet habe. Am ehesten sind da diffuse Bilder von Autofahrten, von Regen, der an den Scheiben entlangläuft oder aufs Dach trommelt, oder eine Sonne, die wie Eigelb über dem Horizont steht, eher wachsweich als bedrohlich.

Ich finde diesen Part nicht zu beanstanden. smile

In der prägnantesten Erinnerung aus der alten Welt gehe ich barfuß, im Schlafanzug durch einen dunklen Hausflur und bleibe im Türrahmen zum Wohnzimmer stehen, wo mein Großvater in einem alten Ohrensessel sitzt. Er sitzt schräg zu mir, und ich sehe seine Silhouette, den Kopf, die breiten Schultern, und sein Gesicht, das im blaugrauen Licht des Fernsehers zugleich alt wirkt und merkwürdig weich, mit Zügen, die sanft und doch viel markanter sind als auf den Fotos, die ich noch von ihm habe.

In einer Hand hält er ein großes Stück Käse, in der anderen ein Messer, mit dem er immer wieder einen Streifen Käse abschneidet und zu seinem Mund führt, und irgendetwas an diesem Ritual, an der Sicherheit seiner Bewegungen fasziniert mich so sehr, dass ich gebannt ins Wohnzimmer trete, obwohl ich längst im Bett sein muss müsste.

Trotz des Fernsehers ist es so still im Haus, dass ich glaube, meine barfüßigen Schritte zu hören. Das tut man in der Regel. Hier wäre wohl eher ein Vergleich a la "meine barfüßigen Schritte wie in Stiefeln durch den Flur hallen zu hören" bla bla sinnvoll, find ich.

Auch mein Großvater muss mich gehört haben, denn er dreht seinen Kopf, und wir blicken uns einige Sekunden an. Dann schenkt er mir ein Zwinkern und ein ebenso verschwörerisches Nicken, so dass ich mich auf die Armlehne setze, halb nach hinten und halb gegen seine Schulter gelehnt. Er kommt mir unglaublich groß vor, ein großer, kräftiger Mann, und mit dem ersten Stück Käse, das er von der Messerklinge zwischen meine Finger schiebt, fühle ich mich selbst um ein paar Zentimeter gewachsen. NICE

Ich kann nicht mehr sagen, welchen Film wir sehen, während wir stumm nebeneinander sitzen und Käse essen, aber er muss schon älter gewesen sein, ein Western, die mein Großvater über alles liebte. Manchmal glaube ich, die meisten der Weisheiten, die er damals mit mir teilte, hatten dort ihren Ursprung: in diesen Geschichten, die so viel größer und wahrer scheinen als mein eigenes Leben, auch jetzt noch, da ihre Titel und die Namen ihrer Helden längst in Vergessenheit geraten sind.

Was ich dagegen erinnere, als wäre seitdem keine Zeit vergangen: Das dunkle Wohnzimmer, das Licht des Fernsehers, den Geschmack der Käsestücke, das bedächtige Kauen meines Großvaters und die Wärme, die von ihm ausgeht.

Und über all dem ein unbestimmbarer Geruch nach Sommer, nach Kindheit, ein Gefühl, das sich vielleicht am ehesten in der Gewissheit fassen lässt, dass die Zeit stillsteht; als wäre all das, was man in diesem Moment erlebt, bereits in der glänzenden und unzerbrechlichen Hülle der Erinnerung eingeschlossen.


Man merkt ein bisschen, dass du selber noch ein bisschen schwimmst, nicht ganz sicher in der Richtung des zu Schreibenden bist - ist jetzt mal geraten, aber irgendwas ganzheitliches muss ich ja schreiben. Aber die Bilder und Assoziationen stimmen in ihrer Substanz und sind daher auch stimmig, von eben einigen Verschachtelungen abgesehen. Ein Bei-der-Stange-Halten ist trotz des Streifens einiger Klischees (Die Hochhäuser z.B.; Wenn sich sowas wiederholt kann man ja hier und da über Alternativen nachdenken, was ja viel Spaß machen kann) durchaus gegeben.

Solide, gern mehr.


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Jenni
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Das goldene Aufbruchstück Die lange Johanne in Gold


Beitrag27.08.2019 16:40

von Jenni
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Für mich funktioniert das auch, also, liest sich für mich gut und interessant. Interessant auf der einen Seite, was die Art der Erzählung und die Thematik der Kommunikation oder deren Unmöglichkeit angeht, und auf der anderen Seite bezüglich der Distanz zum Erlebten. (Und während ich das so schreibe, wird mir schon klar, dass die beiden Themen am Ende eines sein werden.) Erstmal meine ich mit Distanz diesen Widerwillen des Erzählers, sich mit den Erinnerungen zu identifizieren, von ihm selbst so reflektiert und auch spürbar z.B. in der Diskrepanz zwischen den so benannten diffusen Bildern und den anschließend beschriebenen konkreten Eindrücken, wobei ich eigentlich weder den Regen diffus finde als Eindruck noch die Erinnerung an den Großvater konkret, jedenfalls nicht im Sinne von individuellen Erfahrungen. Vielmehr sind beides Erinnerungen, wie jeder sie haben könnte, ohne jedoch klischeehaft zu wirken, aber vielleicht typisch, jedenfalls glaube ich, dass es darauf beruht (und auf deiner eben doch konkreten Sprache natürlich), dass ich am Ende Käse schmecke, obwohl du weder den Geschmack beschreibst noch spezifisch wirst, was etwa die Art des Käses betrifft (was ich interessant finde, zum daraus Lernen interessant, weil du beweist, dass es dafür nicht nötig ist, "für alle Sinne" zu schreiben in dem Sinne, alle Arten von Sinneseindrücken zu beschreiben, wie es im Forum immer wieder mal propagiert wird). Und das sagt ja der Erzähler selbst, er wisse nicht, ob es seine oder fremde Erinnerungen sind, und so sind sie, diese Erinnerungen, wie etwas, dass der Erzähler anprobiert, um zu sehen, ob es (zu) ihm passt. Ich schätze mal, über die neue Welt werde ich weitgehend nur über den Umweg der unzuverlässigen Erinnerungen des Erzählers erfahren, da sie ja keine eigenen Geschichten hat? Das finde ich momentan daran spannend, was sich denn wirklich oder vielmehr überhaupt verändert hat.

Wenn sich meine Worte jetzt so vage und unkonkret lesen wie es sich anfühlt, dann ist das Teil dessen, was ich sagen will: Der Text löst solche vagen und unkonkreten Gedanken in mir aus, aber schon auch das Gefühl, etwas zu fassen kriegen zu wollen, was der Text zu enthalten verspricht. Ich finde auch die Kommentare bislang interessant und verfolge das hier gespannt weiter.

Achso. Was hat es eigentlich mit feindfrau 2 auf sich, das würde ich ja auch noch gerne mal wissen. feindfrau 1 wird die Mutter (im wie auch immer individuellen Sinne) sein, nehme ich an? Und feindfrau 2 jede Frau? Aber was könnte das zu tun haben mit der Thematik, wie sie sich mir bislang darstellt. Tja, Jan, auch wenn du hier zugänglicher als von dir gewohnt schreibst, es bleibt (mir) doch irgendwo rätselhaft. wink
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Christof Lais Sperl
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Der silberne Roboter


Beitrag27.08.2019 17:21
@Fitte
von Christof Lais Sperl
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Ein schöner Text. Er erinnert mich an den Film Quest. Der bekam einen Trickfilmoskar. Eine Dystopie.

 Der Text zieht den Leser hinein. Gern würde er erfahren, was es in dieser Welt gleißenden Lichts noch alles gibt. Sehr schön die Wolkenkratzer usw. Was steht dort noch so alles herum? Solche Texte Hatte ich von dir bisher noch nicht gelesen.  Wie aber ist es damit, dass einen  „wohltuenden Schatten“ gibt? Darf es den in dieser Welt logischerweise geben? Oder erzählt man die Geschichten nicht besser in der Dunkelheit der Nacht? Habe ich vielleicht auch noch nicht verstanden. Trotzdem: Großes Lesevergnügen. Heinrich Böll hat pro Satz übrigens ein gefühltes Dutzend Kommata mehr. Vlg C


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Gast







Beitrag27.08.2019 18:23

von Gast
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Auch die Fortsetzung sehr gern gelesen!
Was hat es für Auswirkungen auf eine Gesellschaft und ihre Individuen, wenn die kollektive Erinnerung langsam verblasst und abstirbt, wenn sie keinen Bezug mehr hat zu einer trostlosen Gegenwart, die selbst nichts Erinnerungswürdiges produziert, weil es in ihr nur noch ums nackte Überleben geht. Interessante Teilthematik.

Als Leser warte ich aber spätestens jetzt ungeduldig auf genauere Ausgestaltung der und Handlung in dieser trostlosen Gegenwart.

LG
DLurie
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Klemens_Fitte
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Beitrag28.08.2019 08:31

von Klemens_Fitte
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Oh. So viele Rückmeldungen Shocked
Da habe ich gleich wieder ein schlechtes Gewissen, selbst so selten zu kommentieren.

Ich gehe mal der Reihe nach durch.

@ Bananenfischin
Bananenfischin hat Folgendes geschrieben:
Mich zieht es beim Lesen sehr in den Text. Ich würde sehr gern weiterlesen, mehr über den Erzähler, die Welt, die Rolle der Geschichten innerhalb der Geschichte erfahren.


Freut mich smile

Bananenfischin hat Folgendes geschrieben:
Zitat:
Am ehesten sind da diffuse Bilder von Autofahrten, von Regen, der an den Scheiben entlangläuft oder aufs Dach trommelt, oder eine Sonne, die wie Eigelb über dem Horizont steht, eher wachsweich als bedrohlich.

Das sind tatsächlich so diffuse Bilder, dass ich mich frage, ob sie nicht überflüssig sind, ob nicht der Satz davor ausreichend ist. Vielleicht dienen sie aber als Kontrast zu der sehr detaillierten Erinnerung, die folgt?


Ja, der Kontrast ist das eine. Zum anderen ist das schon der Versuch, eine Art allgemeine Erinnerung zu formulieren, etwas, das jeder aus eigenem Erleben/Erinnern abrufen kann. Dass diese Bilder überdies eine besondere Bedeutung für den Erzähler haben, wird an dieser Stelle – wenn überhaupt – nur Lesern des ersten Teils klar sein; sie sollen aber im weiteren Verlauf eine Rolle spielen.

Bananenfischin hat Folgendes geschrieben:
Zitat:
ein Western, die mein Großvater über alles liebte.


Das ist grammatikalisch zumindest gewagt. smile


Ja? Ich hatte das jetzt nicht problematisch gesehen, bin aber kein Grammatikexperte. Für die Stelle sollte sich aber leicht eine Alternative finden lassen.

Bananenfischin hat Folgendes geschrieben:
Zitat:
Sprachlosigkeit, aus der sich keiner zu lösen vermag; als wäre einem, bei Licht betrachtet, jede Form der Kommunikation unmöglich, weil man keine kollektive Täuschung mehr teilt, keine Illusion, keinen Trost, in dem das Wissen um unsere Situation verschwinden könnte


Hierzu sind mir ein paar allgemeine Gedanken gekommen, die aber nicht unbedingt etwas mit deinem Text zu tun haben, in dem die Sprachlosigkeit, zumal wahrscheinlich seit dem auslösenden Ereignis schon einige Zeit vergangen ist, mir stimmig erscheint.
Kommunikation dient ja nicht nur der gegenseitigen Versicherung, dem Trost, einem "Wird schon wieder", sondern z. B. der Lösungsfindung (wobei es natürlich auch ausweglose Situationen gibt), aber unter anderem auch der Verarbeitung des täglich neuen Ist-Zustands generell. Begreifen durch Wiederkäuen sozusagen. Und ich frage mich, ob das wirklich jemals aufhören würde.


Das ist die (eine) Frage, ja, und vielleicht muss man dem Erzähler da auch ein wenig kritisch begegnen. Letztlich bietet er ja auch nur sein Narrativ der Welt, in der er sich bewegt, und wie funktional/dysfunktional das Kommunizieren in dieser Welt tatsächlich ist, wird sich vielleicht eher aus der Handlung als aus seinem Erzählen zeigen. Also, wenn der Text sich so entwickelt, wie ich mir das vorstelle.

@ UtherPendragon

UtherPendragon hat Folgendes geschrieben:
Doch doch, das kann funktionieren. Du setzt Dich selbstverständlich einer Gefahr aus, selbst wenn der Anfang gut gemacht ist: Zwar setzt er eigene Akzente, die sehr positiv hervorstechen, aber er durchbricht keine Konvention.


Ja, da hast du wahrscheinlich recht, auch wenn es mir gar nicht so unrecht ist – ich bin gerade dabei, ein Manuskript zu beenden, in dem ich, für mich, recht viele Konventionen durchbrochen habe, das sich auf über 700 Seiten dagegen sträubt, eine Geschichte zu erzählen, in dem es keine Dialoge gibt und manche Kapitel auf über 40 Seiten aus einem einzigen Satz bestehen … feindfrau 2 ist – unter anderem – der Versuch, mir selbst wieder Lust auf das einfache Erzählen einer Geschichte zu machen. Und das kann, so weit es mir möglich ist, durchaus konventionell werden.

UtherPendragon hat Folgendes geschrieben:
Der Absatz ist sehr interessant, da er den Zusammenhang von Fähigkeit zur Kommunikation und dem Kollektiv an sich aufzeigt und problematisiert. Ich finde die ersten paar Halbsätze aber anstrengenderweise aneinandergeschachtelt und glaube im Allgemeinen, dass es hier noch prägnanter sein könnte.


Ja, mit der sprachlichen Form dieses Absatzes bin ich auch noch nicht glücklich. Mal schauen.

UtherPendragon hat Folgendes geschrieben:
Echt schön, finde Schmerz aber echt n bisschen pathetisch als Wort. Da gibt es doch sicher einen schöner gemalten Begriff, eine Metapher whatever; aber die Kombi Herz und Schmerz ist mir persönlich zu viel.


Hm, da muss ich drüber nachdenken. Ich finde Pathos jetzt nicht per se problematisch für diesen Erzähler, grade da nicht, wo er es bewusst einsetzt.

UtherPendragon hat Folgendes geschrieben:
Vorschlag: mit mir versöhnt.


Ich glaube, mit sich selbst hat der Erzähler weniger Probleme als mit dem, was er tut. Und auch dieses Hadern ist vielleicht eher ein pragmatisches.

UtherPendragon hat Folgendes geschrieben:
Trotz des Fernsehers ist es so still im Haus, dass ich glaube, meine barfüßigen Schritte zu hören. Das tut man in der Regel. Hier wäre wohl eher ein Vergleich a la "meine barfüßigen Schritte wie in Stiefeln durch den Flur hallen zu hören" bla bla sinnvoll, find ich.


Tut man das? Ein Vergleich … nee, ich glaube, da würde ich den Satz eher streichen. Wobei ich mit einem offensichtlichen Widerspruch oder einer Nichtaussage in diesem Satz eigentlich kein Problem habe – es geht ja um das Verworten einer Empfindung, die kann auch unsinnig sein.

UtherPendragon hat Folgendes geschrieben:
Man merkt ein bisschen, dass du selber noch ein bisschen schwimmst, nicht ganz sicher in der Richtung des zu Schreibenden bist


Stimmt. Aber das Gefühl kenne ich. Bei meinem letzten Manuskript brauchte das mehr als hundert Seiten. Und insgesamt käme mir "solide" grade mehr gelegen als "unkonventionell", und auch Klischees können ja helfen, sich mehr auf die Geschichte zu konzentrieren.

@ Jenni

Schön, dass es auch für dich funktioniert. Ich glaube, mit "liest sich gut" ist ein großer Teil meiner Ambitionen schon erfüllt – vorerst smile

Besonders freut mich dein Lesen der Erinnerungssequenz, denn das

Jenni hat Folgendes geschrieben:
Vielmehr sind beides Erinnerungen, wie jeder sie haben könnte, ohne jedoch klischeehaft zu wirken, aber vielleicht typisch


war das, was mir beim Schreiben vorschwebte. Wobei diese spezielle Erinnerung im weiteren Text eine Rolle spielen bzw. noch differenziert werden wird, aber bis dahin soll sie genau diesen Platz einer "typischen" Erinnerung besetzen.

Jenni hat Folgendes geschrieben:
Ich schätze mal, über die neue Welt werde ich weitgehend nur über den Umweg der unzuverlässigen Erinnerungen des Erzählers erfahren, da sie ja keine eigenen Geschichten hat?


Es soll durchaus eine Handlung geben, die in dieser "neuen Welt" spielt, und ich habe auch schon eine Idee, wie die erzählt wird – wobei auch das schon wieder unkonventionell sein könnte, oder zumindest wieder Fragen aufwerfen wird.

Jenni hat Folgendes geschrieben:
Achso. Was hat es eigentlich mit feindfrau 2 auf sich, das würde ich ja auch noch gerne mal wissen. feindfrau 1 wird die Mutter (im wie auch immer individuellen Sinne) sein, nehme ich an? Und feindfrau 2 jede Frau? Aber was könnte das zu tun haben mit der Thematik, wie sie sich mir bislang darstellt. Tja, Jan, auch wenn du hier zugänglicher als von dir gewohnt schreibst, es bleibt (mir) doch irgendwo rätselhaft. wink


Oh, ich glaube, zumindest das ist beschämend banal smile
feindfrau ist der Titel meines ersten Romans – fast zwanzig Jahre ist das jetzt her, da erzählte mir ein Freund vom NaNoWriMo, und ich dachte, hey, das könnte ich ja mal ausprobieren, und dann schrieb ich diesen Text in zwei Wochen, ohne Plan und ohne Ahnung.
Wer das nachlesen möchte:
http://www.wababbel.de/lasse/2015/09/16/eins/
Tja, und feindfrau 2 ist die Fortsetzung (ob es tatsächlich eine Fortsetzung wird, ist noch offen). Ich glaube, bei Filmen ist das üblicher, einfach eine Ziffer an den Titel zu hängen, bei Büchern würde man eher im Untertitel darauf verweisen, Ein neuer Fall für die feindfrau, oder so …

@ Christof Lais Sperl

Christof Lais Sperl hat Folgendes geschrieben:
Ein schöner Text.


Dankeschön. Der Film sagt mir tatsächlich nichts, aber da bin ich, glaube ich, auch nicht sonderlich firm.

Christof Lais Sperl hat Folgendes geschrieben:
Solche Texte Hatte ich von dir bisher noch nicht gelesen.


Ich glaube auch, mich in den letzten Jahren eher davon entfernt zu haben. Und da ist die Frage, ob es ein Zurückfinden gibt, das sich nicht wie ein Rückschritt anfühlt.

Christof Lais Sperl hat Folgendes geschrieben:
Wie aber ist es damit, dass einen „wohltuenden Schatten“ gibt? Darf es den in dieser Welt logischerweise geben? Oder erzählt man die Geschichten nicht besser in der Dunkelheit der Nacht?


Kann gut sein, dass das ein problematisches Bild ist. Ich dachte an ein (provisorisches) Lagerfeuer und Schattenspiele an der Wand, irgendwie analog zum Höhlengleichnis. Aber in diese Schatten drängt man sich natürlich nicht – da muss ich mir irgendwas einfallen lassen.

@ DLurie

Zitat:
Auch die Fortsetzung sehr gern gelesen!


Dankeschön smile

Zitat:
Was hat es für Auswirkungen auf eine Gesellschaft und ihre Individuen, wenn die kollektive Erinnerung langsam verblasst und abstirbt, wenn sie keinen Bezug mehr hat zu einer trostlosen Gegenwart, die selbst nichts Erinnerungswürdiges produziert, weil es in ihr nur noch ums nackte Überleben geht. Interessante Teilthematik.


Es ist eine Thematik, die man auch auf verschiedene Arten durchspielen kann. Ob der Text ihr gerecht wird, steht natürlich auf einem anderen Blatt bzw. auf vielen anderen Blättern.

Zitat:
Als Leser warte ich aber spätestens jetzt ungeduldig auf genauere Ausgestaltung der und Handlung in dieser trostlosen Gegenwart.


Ich glaube, da bin ich mindestens ebenso gespannt …

Noch mal danke an alle für eure Rückmeldungen, das hat sehr viel mehr angestoßen, als ich in diesen unzureichenden Kommentar packen kann.


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Klemens_Fitte
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Beitrag21.11.2019 11:36

von Klemens_Fitte
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Okay, vorerst (wieder) nur eine neue Fassung des Anfangs, allerdings sind die Änderungen zur vorherigen Version so groß, dass ich das voranschicken muss. Parallel dazu bin ich inzwischen auch weiter im Text (und im Kopf), heißt, es können noch Fortsetzungen folgen.

1 Das Licht


Es war kurz nach Tagesanbruch und die letzten Etappen der Reise lagen hinter mir, als ich mich endlich zu fürchten begann. Das Gefühl war nicht neu. Es war auch nicht neu, jeden meiner Schritte von Furcht oder Vorsicht bestimmen zu lassen. Neu war, dass ich begann, mich vor mir selbst zu fürchten oder vor dem, der ich im Begriff war zu werden – vielleicht, weil ich nicht länger die Augen davor verschließen konnte.
Ich war zurück.
Ich hatte die verbliebenen Patronen vor mir auf dem Tisch aufgereiht, und jetzt drehte ich jede einzelne zwischen den Fingern, bevor ich sie in der Tasche verschwinden ließ. Inzwischen waren die Spuren der letzten Nacht deutlich zu sehen, die Verwüstung, die Einschusslöcher in der Couch und den Wänden, das getrocknete Blut, und mit diesem Anblick kam die Erkenntnis, dass all dies die unvermeidliche Folge meiner Rückkehr war.
Auch davor konnte ich nicht länger die Augen verschließen. In diesem Teil der neuen Welt besaß das Licht die Eigenschaft, zu jeder Zeit eine im Zenit stehende Sonne abzubilden. Mit Tagesanbruch war es da, übergangslos, als hätte jemand einen Schalter betätigt, und dann drang dieses kalte und harte Licht in die verborgensten Winkel, riss an sich, was es zu fassen bekam, und trennte es heraus, bis es einem deutlich und unleugbar vor Augen stand.
Ich weiß nicht, welches Bedürfnis älter ist: Die Dinge zu betrachten, oder leugnen zu können, was man sieht.
In diesem Teil der neuen Welt gab es nichts mehr zu leugnen.
Nicht dass jemand diesen oder ähnliche Gedanken in Worte gefasst hätte – es war ja unsinnig, etwas begreifen zu wollen, das längst begriffen war, und so suchte man nicht nach Worten, sondern nach Nahrung oder Rohstoffen, während man von Deckung zu Deckung huschte oder in einer quälenden Langsamkeit den Sonnenuhren der Wolkenkratzer und Brückenpfeiler folgte, die als letzte Relikte einer vergangenen Ordnung aus der Ödnis ragten.
Auch das war nicht neu.
Man war gewohnt, sich Morgen für Morgen sein spärliches Hab und Gut auf den Rücken zu binden, um es als Sklave eines unsinnigen Überlebensinstinkts durch einen weiteren Tag zu tragen. Man war den Kampf ums Überleben gewohnt, die ständige Präsenz von Hunger und Durst und das Misstrauen, das damit einherging – das war es nicht, was die Menschen hier zunehmend voneinander trennte. Vielmehr war da eine Ernüchterung und Sprachlosigkeit, aus der sich keiner zu lösen vermochte. Als wäre uns, bei Licht betrachtet, jede Form der Kommunikation unmöglich geworden, weil wir uns keine kollektive Täuschung mehr teilten, keine Illusion, keinen Trost, in dem das Wissen um unsere Situation verschwinden könnte – so dass die meisten sich damit begnügten, in einem dämmrigen Zustand auf den Einbruch der Nacht zu warten, deren Schrecken wenigstens unsichtbar blieben, ohne Namen und ohne Gesicht.
Manchmal kam es vor, dass jemand eine Geschichte aus der alten Welt erzählte – Geschichten aus der neuen Welt gab es keine – nachts, wenn es auf einen Schlag dunkel wurde und alles ein wenig erträglicher schien. Wenn man ein Feuer entzünden konnte und so tun, als wäre man wieder Teil einer primitiven Menschheit, verbunden durch den Urinstinkt nach Gemeinschaft oder durch ein kulturelles Erbe, sichtbar in den Worten einer Erzählung, die wie Schatten um das Feuer tanzten. Dann schien es für eine Weile so, als gäbe es ein Hinsehen und Begreifen ohne Schmerz, oder wenn ein Schmerz darin lag, hielt man ihn für zumutbar, weil man ihn auf Dutzende Herzen und Köpfe verteilen konnte oder weil er einen für kurze Zeit vergessen ließ, dass man ein Individuum war, der unteilbare Rest von etwas, das längst in die Brüche gegangen war.
Und hatte die Erzählung erst einmal ihr Ende gefunden, hinterließ sie meist nichts als ein vages Bild, einen Gedanken oder eine Empfindung, die im Licht des nächsten Tages unweigerlich verblassten. Kaum verwunderlich, dass man in den Geschichtenerzählern wenig mehr sah als Exzentriker und Schmarotzer, Taugenichtse, die selbst unter den übrigen Vagabunden einen zweifelhaften Ruf genossen. Die harmloseren unter ihnen hielt man für Spinner, nicht willens oder fähig zu akzeptieren, dass es längst nichts mehr zu erzählen gab und die alten Geschichten vielleicht nicht ihren Reiz, aber ihren Sinn verloren hatten.
Ich hatte den besonderen Argwohn, den man diesen Menschen entgegenbrachte, immer als gerechtfertigt empfunden – schließlich war ich einer von ihnen. Und wenn ich nicht mehr an meine Mitmenschen glaubte, glaubte ich an meine Geschichten noch weniger. Manchmal hatten sie mir eine Mahlzeit oder eine Unterkunft eingebracht, und das hatte mich wenigstens bis zum nächsten Tag mit ihnen versöhnt.
Vielleicht fürchtete ich mich an diesem Morgen auch, weil meine Rückkehr dem ein Ende setzen würde. Nicht meinem Dasein als Geschichtenerzähler – aber harmlos würde ich nicht mehr sein.
Ich nahm den Revolver vom Tisch und steckte ihn ins Holster zurück.

Obwohl ich ihre Geschichten kenne, erinnere ich kaum etwas aus der alten Welt; und zumeist kann ich nicht sagen, ob es sich dabei um eigene Erlebnisse handelt oder ob es nur weitere Geschichten sind, die ich irgendwo gehört und mir angeeignet habe.
Am ehesten sind da diffuse Bilder von Autofahrten, von Regen, der an den Scheiben entlangläuft oder aufs Dach trommelt, oder eine Sonne, die wie Eigelb über dem Horizont steht, eher wachsweich als bedrohlich.
In der prägnantesten Erinnerung aus der alten Welt gehe ich barfuß, im Schlafanzug durch einen dunklen Hausflur und bleibe im Türrahmen zum Wohnzimmer stehen, wo mein Großvater in einem alten Ohrensessel sitzt. Er sitzt schräg zu mir, und ich sehe seine Silhouette, den Kopf, die breiten Schultern, und sein Gesicht, das im blaugrauen Licht des Fernsehers zugleich alt wirkt und merkwürdig weich, mit Zügen, die sanft und doch viel markanter sind als auf den Fotos, die ich noch von ihm habe.
In einer Hand hält er ein großes Stück Käse, in der anderen ein Messer, mit dem er immer wieder einen Streifen Käse abschneidet und zu seinem Mund führt, und irgendetwas an dieser Bewegung, an der Sicherheit und Ruhe, mit der er sie ausführt, fasziniert mich so sehr, dass ich gebannt ins Wohnzimmer trete, obwohl ich längst im Bett sein müsste.
Trotz des Fernsehers ist es so still im Haus, dass ich glaube, meine barfüßigen Schritte zu hören.
Auch mein Großvater muss mich gehört haben, denn er dreht seinen Kopf, und wir blicken uns einige Sekunden an. Dann schenkt er mir ein Zwinkern und ein ebenso verschwörerisches Nicken, so dass ich mich auf die Armlehne setze, halb nach hinten und halb gegen seine Schulter gelehnt. Er kommt mir unglaublich groß vor, ein großer, kräftiger Mann, und mit dem ersten Stück Käse, das er von der Messerklinge zwischen meine Finger schiebt, fühle ich mich selbst um ein paar Zentimeter gewachsen.
Ich kann nicht mehr sagen, welchen Film wir sehen, während wir stumm nebeneinander sitzen und Käse essen, aber es muss ein Western gewesen sein. Mein Großvater sah immer Western, und manchmal kam es mir vor, als blickte er ihnen nach, wenn er auf der Veranda stand und Rauch in die Abenddämmerung blies. Ich glaube, die meisten der Weisheiten, die er damals mit mir teilte, hatten dort ihren Ursprung: in diesen Geschichten, die so viel größer und wahrer scheinen als mein eigenes Leben, auch jetzt noch, da ihre Titel und die Namen ihrer Helden längst in Vergessenheit geraten sind.
Was ich dagegen erinnere, als wäre seitdem keine Zeit vergangen: Das dunkle Wohnzimmer, das Licht des Fernsehers, den Geschmack der Käsestücke, das bedächtige Kauen meines Großvaters und die Wärme, die von ihm ausgeht.
Und über all dem ein unbestimmbarer Geruch nach Sommer, nach Kindheit, ein Gefühl, das sich vielleicht am ehesten in der Gewissheit fassen lässt, dass die Zeit stillsteht; als wäre all das, was man in diesem Moment erlebt, schon in der glänzenden und unzerbrechlichen Hülle der Erinnerung eingeschlossen.

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Nina
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Beitrag21.11.2019 22:06

von Nina
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das "man" im text ist äußerst unschön. es verleidet mir das lesen.
wenn ich nach einem guten einstieg dauernd lese: man, man, man.
denke ich: man, man, man. geht das nicht anders? wozu dieses man?
die nähe zum prota und das interesse an seiner figur, das anfangs im
text aufgebaut wird, wird durch eine mauer an mans zu nichts. mir
gefällt das nicht. und das liegt am man. einen verbesserungsvorschlag
habe ich nicht. ich denke mir allerdings: anfangs gelingt es dir, die
weltsicht des protas zu vermitteln, dann saust alles in dieses verdammte
"man" und ich denke: wer zum teufel quasselt da die ganze zeit? kann
der mal verschwinden oder seine rede beenden?

lg, nina


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Klemens_Fitte
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Beitrag22.11.2019 17:44

von Klemens_Fitte
Antworten mit Zitat

Fortsetzung

Langsam, darauf bedacht, kein Geräusch zu machen, räumte ich das Besteck vom Tisch und legte es in die Spüle. Natürlich würde niemand es spülen, selbst dann nicht, wenn es fließend Wasser gäbe – aber den Tisch abzuräumen, und sei es erst am nächsten Morgen, zählte zu den Dingen, die ich mir aus der alten Welt bewahren wollte. Mir ging es nicht darum, Ordnung zu schaffen oder mir ein Stück Normalität zurückzuerobern – ich war kein ordentlicher Mensch, und auch für Normalität hatte ich mich nie sonderlich interessiert. Ich gehörte auch nicht zu denen, die Artefakte aus der alten Welt sammelten, um damit eine Art früheres Leben nachzuspielen, in Routinen, die nur noch als leere Hüllen existierten. Die Zahl dieser Menschen schwand ohnehin. Man taugte nicht zum Überleben, wenn man in Zwängen steckte oder glaubte, so etwas wie einen Alltag zu haben.
Vielleicht ging es mir diesmal nur um den kurzen Aufschub, den mir das Tischabräumen bot. Der Tag wartete bereits in den Rissen aus Sonnenlicht, die sich über das mit Brettern vernagelte Fenster zogen, und mir war klar, dass ich nicht bleiben konnte.
Nachts, in der Finsternis, war es leicht sich einzureden, die Zeit stehe still; dass man selbst ins Dunkel gefallen und vergessen war, zusammen mit allen Fehlern, aller Schuld, allen Folgen des eigenen Handelns. Wie in einem Kinderspiel: Was man nicht sieht, existiert nicht.
Aber sobald ich ins Freie treten würde, wäre ich sichtbar, ungeschützt. Und auch diesen kurzzeitigen Unterschlupf hatte ich mir damit erkauft, dass man die Spuren meiner Anwesenheit noch in Tagen oder Monaten finden könnte.
Ich sah mich noch einmal im Zimmer um und hob den Rucksack auf meine Schultern.
Mein Plan, sobald das Treppenhaus und die Barrikaden im Eingangsbereich hinter mir liegen würden, bestand darin, in möglichst direkter Linie die Trasse der Schnellstraße zu erreichen und in ihrem Schatten den Weg nach Westen einzuschlagen. Mit etwas Glück konnte ich mich früher oder später einer Karawane anschließen, und im Grunde hätte ich ihnen schon längst begegnen müssen: kleine Gruppen, die sich tagsüber schweigend und mit verschlossenen Blicken entlang der früheren Verbindungsrouten bewegten und abends in ihren provisorischen Lagern den Abläufen ihres jeweiligen Zivilisationstheaters folgten, mechanisch und ohne Überzeugung.
Die wenigsten kümmerte, wohin sie gingen, und für das, woher sie kamen, gab es keine Worte. Manchmal hörten sie zu, wenn man ihre Wege mit Erzählungen versah, und es schien ihnen egal, dass diese Erzählungen immer nur das beschrieben, was sie hinter sich gelassen hatten. Vielleicht erklärte das ihre verschlossenen Blicke, die gesenkten Köpfe. Wozu aufblicken, wenn man kein Ziel vor Augen hatte.
Und wozu ein Ziel, dachte ich mir, wenn man ein Ende hatte?
Vorsichtig schob ich mich an der Kommode vorbei, die mir am Vortag noch den Durchgang versperrt hatte, und duckte mich unter dem Mobile aus leeren Konservendosen. Das Treppenhaus lag dunkel und still. Niemand hatte die Schüsse gehört.

In den dunklen Schächten und Hallen des U-Bahnnetzes glaubten sie noch eine Zeit lang an Götter.
Ich weiß nicht, wie lange sich dieser Glaube hielt und wodurch er sich wieder verlor. Die wenigen Menschen, die ich traf, nachdem ich den Gerüchten unter die Erde gefolgt war, redeten schon nicht mehr darüber. Und wie soll man etwas als Glauben bezeichnen, das nicht geteilt wird, nicht weitergetragen, außer mit einem selbst – als Zeichen und Symbole, die jeder für sich deutet oder denen er nur noch unbewusst folgt, in längst eingekerbten Spuren, in denen die Entscheidung für diese oder jene Richtung, diesen oder jenen Tunnel vorgezeichnet ist.
Ebenso wenig kann ich sagen, ob es sich ursprünglich um Götter handelte oder nur um geheimnisvolle, schattenhafte Wesen, sichtbar allein in den Spuren, die sie hinterließen und in den Legenden, die man sich von ihnen erzählte. Vielleicht liegt darin auch kein Unterschied. Wer an Götter glaubt, deutet auch nur die Zeichen, von denen er umgeben ist.
Für Dimitri mochten sie noch real gewesen sein, wenn er sich auch weigerte, sie mit Namen oder Geschichten auszustatten, mit Empfindungen oder Motiven. Wichtig für ihn war nur, ihre Spuren zu entziffern – ein Symbol, eine Ziffernfolge auf einem Türschild oder auf der Säule eines U-Bahnhofs – und das, sagte er mir, helfe ihm beim Überleben und dabei, einen klaren Verstand zu bewahren.
Ich muss ihm ziemlich verrückt vorgekommen sein, wenn ich beim Anblick eines Netzplans von einem Gott unterirdischer Wasseradern zu erzählen begann oder die riesenhaften Leiber uralter Wesen entwarf, durch deren hohle Gebeine wir uns bewegten – aber ich glaube er verstand, warum ich das tat. Zu überleben war mir damals weniger wichtig als der Versuch, unter die Oberfläche der Welt zu dringen, die verborgenen Verflechtungen sichtbar zu machen, die ich mir immer nur als die Fäden einer einzigen endlosen Erzählung denken konnte.
Dimitri glich den meisten darin, dass ihm die Überlebensfrage jederzeit präsent war – und doch war er anders. Er mochte den Kopf schütteln über meine Versuche, die Zeichen und Symbole seiner unterirdischen Welt in eine Mythologie zu fügen, aber er hörte zu. Mehr noch: er merkte sich, was er hörte – und dann, er konnte den ganzen Tag schweigend vor mir her gegangen sein, ließ er eine Frage in den Raum zwischen ihm und mir fallen, hastig, wie etwas, das er schnellstmöglich loswerden musste, aber doch nah genug, dass ich es aufgreifen konnte. Und wenn ich es aufgriff, erkannte ich es wieder und wusste gleichzeitig, dass es eine Veränderung erfahren hatte, irgendwo in Dimitris stetem, stunden- oder tagelangem Nachdenken.
Vielleicht war es das, was mich an ihm am meisten faszinierte: dass er anscheinend nie aufhörte nachzudenken.
Fast hätte ich ihm gestanden, dass es mir nicht nur darum ging, Geschichten zu finden und weiterzutragen; dass ich Dinge aus der alten Welt erinnere, die mit klarem Verstand nicht zu erklären sind. Dass ich die neue Welt mit Übernatürlichem bevölkern musste, um meine Vergangenheit begreifen zu können. Vielleicht hätte Dimitri auch das verstanden. Aber dann wachte ich eines Morgens auf und fand das Lager neben mir leer. Ich denke, er war meiner Gesellschaft überdrüssig geworden. Oder er hatte sich auf die Suche nach etwas Essbarem gemacht und ein jähes Ende gefunden. Und vielleicht – vielleicht hatte er gespürt, dass sich in meiner Gegenwart Fragen in ihm formten, auf die er keine Antwort hören wollte.

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Beitrag22.11.2019 18:40

von d.frank
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geht nich weiter... Sad

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Die Wahrheit ist keine Hure, die sich denen an den Hals wirft, welche ihrer nicht begehren: Vielmehr ist sie eine so spröde Schöne, daß selbst wer ihr alles opfert noch nicht ihrer Gunst gewiß sein darf.
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Beitrag22.11.2019 19:19

von Nina
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in der fortsetzung ist das besser gelungen mit den beschreibungen,
auch wenn hier im zweiten teil wieder wiederholt "man"s auftauchen.
interessant ist, wie im ersten teil auch, dass der anfang schimmert
und glänzt und im verlauf vergeht alles in nichtigkeit. sobald diese
man-flut beginnt, beginnt sich alles aufzulösen in nichts.
im zweiten teil empfinde ich das noch stärker. es ist, als drehe jemand
die lautstärke eines textes herunter. im grunde ist ab der hälfte des
zweiten teiles es nicht mehr nötig überhaupt noch weiter zu lesen, weil
es sich auflöst. das kannte ich auch noch nicht, dass jemand schreibt
und mit den worten auflösung beschreibt, so, als verschwänden die
worte während ich sie lese. und irgendwann muss ich auch nicht mehr
weiter lesen, weil nichts mehr da ist. das geschieht bei beiden texten
jeweils auf der hälfte. eigentlich hat nur der erste teil relevanz, der
zweite teil bzw. die zweite hälfte ist jeweils für die katz, also eigentlich
überflüssig. das kannte ich so noch nicht.
es verlangt mich auch nicht nach einer fortsetzung. nachdem teil zwei
ausgefaded ist, denke ich: der text ist fertig.
vermutlich kommen noch mehr teile, aber jeder teil ist halbiert und
zur hälfte relevant und zur hälfte irrelevant.
das ist schon sehr speziell. irgendwie auch ermüdend auf eine art.
aber die anfänge finde ich jeweils stark.
ist eher beschreibend als wertend gemeint, ich gebe wieder, wie der
text auf mich wirkt. einerseits interessant, andererseits ... hm, da
fehlt mir noch das wort.

lg, nina


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Phenolphthalein
Geschlecht:männlichKlammeraffe


Beiträge: 838

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Beitrag22.11.2019 20:41

von Phenolphthalein
Antworten mit Zitat

Hallo Nina,

Nina hat Folgendes geschrieben:
das "man" im text ist äußerst unschön. es verleidet mir das lesen.
wenn ich nach einem guten einstieg dauernd lese: man, man, man.
denke ich: man, man, man. geht das nicht anders? wozu dieses man?



dem Faden und dem ursprünglichen Text folgend, interpretiere ich, dass das "man" hier bewusst genutzt wird, und zwar in der Form, dass [Achtung Duden]

der Sprecher, die Sprecherin in der Allgemeinheit aufgeht oder aufgehen möchte

oder das "man" stellvertretend für jedermann genommen werden kann.

Ich denke, es geht dabei um etwas Unveränderbares oder Allgemeingültiges, quasi etwas, mit dem man sich abfinden muss oder gefunden hat.

Somit hat das man durchaus seine Berechtigung, natürlich nur, wenn ich mich nicht irre.
Und ob man das gut findet oder nicht, ist wiederum eine ganz andere Frage, die aber hier keine Rolle spielt. smile

Liebe Grüße,

Pheno


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Nichts ist leichter, als so zu schreiben, dass kein Mensch es versteht; wie hingegen nichts schwerer, als bedeutende Gedanken so auszudrücken, dass jeder sie verstehen muss.

-Arthur Schopenhauer
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Nina
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Beitrag22.11.2019 20:52

von Nina
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hi pheno,

für mich spielt es doch eine rolle, da ich meinen leseeindruck wiedergebe,
als auch meine rückmeldung zum stil gebe.
und ich mag hier das "man" im text nicht. auch nicht als stellvertreter von
"wahrheit" und schon gar nicht so gehäuft.

liebe grüße zurück,
nina


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timcbaoth
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Beiträge: 114



Beitrag22.11.2019 22:16

von timcbaoth
Antworten mit Zitat

Lieber Klemens_Fitte

Dein Text liest sich sehr gut. Die Baustrahler sind ein tolles Analogon. Schade, dass sie in der letzten Version nicht vorhanden sind.

Die Szene mit dem Grossvater wollte mir anfangs nicht so recht gefallen. Aber je weiter ich darüber nachdenke: Der Fernseher, der gleichsam Lagerfeuer und Geschichtenerzähler ist, und dabei noch Menschen zusammen bringt. Währenddessen können sich die Menschen an die Geschichte selbst nicht erinnern. Eine interessante Sicht der Dinge.

Dimitri klingt als Charackter spannend. Ich will gerne weiterlesen.

LG
TIm


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Gast







Beitrag23.11.2019 19:15

von Gast
Antworten mit Zitat

Hallo Klemens,

mein Kommentar bezieht sich auf Deine neue Version des Anfangs.
Ich schließe mich meinem Vorredner an, der Text liest sich (bis auf ein, zwei Kleinigkeiten, über die ich gestolpert bin) wirklich gut, das Kopfkino funktioniert auf Anhieb. Die Geschichte hat etwas Abgedrehtes, was ich gerne mag.

Trotzdem kam mir nach dem Lesen irgendetwas nicht stimmig vor. Ich habe zwei Tage gebraucht, bis mir klar geworden ist, was mich irritiert.

Die Situation ist im Grunde genommen grotesk, und ich bin mir nicht sicher, ob das so von Dir gewollt ist. Du beginnst mit einer Quentin-Tarantino-mäßigen Szene – zumindest stelle ich es mir so vor Laughing. Der Protagonist sitzt (?) umgeben von Chaos und Verwüstung in einem Raum, in dem sich noch vor wenigen Stunden ein Blutbad zugetragen hat. Von allen Seiten dringen Spuren der Gewalt auf ihn ein, und er beginnt, sich endlich! zu fürchten, da die Geschehnisse der vergangenen Nacht unmittelbar mit ihm zu tun haben bzw. er selbst sie wahrscheinlich sogar ausgelöst hat. Und gegen Ende wird klar, dass er mit seiner Rückkehr ein bestimmtes Ziel vor Augen hat, das für die anderen möglicherweise ebenso enden wird, wie für die Beteiligten der letzten Nacht (Offen bleibt hier noch die Frage, was eigentlich mit ihnen geschehen ist. Sind sie schwer verletzt oder alle tot, und wo sind die Leichen?). Er wird sich seiner Veränderung bewusst, und man sollte meinen, dass ihn diese Erkenntnis in Verbindung mit der jüngsten Vergangenheit in einen emotionalen Ausnahmezustand versetzt.

Im krassen Gegensatz zu dem kürzlich Erlebten und den damit verbundenen heftigen Gefühlen, verfällt er nun im Folgenden in eine vermeintliche Ruhe, gibt sich eingehend seinen Gedanken und Erinnerungen hin. Er zelebriert förmlich das Andenken an seinen Großvater, hütet es wie einen Schatz. Allerdings geht sein innerer Aufruhr dabei, für mein Empfinden, völlig unter, das Geschehene wird verdrängt.
Diese ruhigen Gedankengänge lassen ihn dann doch ziemlich gefasst erscheinen. Jemand, der sich vor sich selbst fürchtet, weil er zu etwas Brutalem fähig war, kann nicht so ruhig mitten in einem Blutbad sitzen, die Waffe noch vor sich liegend und in aller Seelenruhe über die Vergangenheit nachdenken.

Entweder er ist eiskalt und hat nur die Verfolgung seines Ziels vor Augen, dann fürchtet er sich jedoch nicht vor sich selbst, denn auf welche Weise er sein Ziel erreicht, war ihm vermutlich schon klar, bevor er zurückgekehrt ist. Oder ihn plagen Skrupel, dazu passen aber diese ruhigen Überlegungen nicht. Hört sich das überhaupt plausibel an Laughing?

Jetzt zu den Kleinigkeiten:

Zitat:
Obwohl ich ihre Geschichten kenne, erinnere ich kaum etwas aus der alten Welt;

Die nichtreflexive Verwendung von erinnern finde ich sehr gewöhnungsbedürftig.

Zitat:
Ich weiß nicht, welches Bedürfnis älter ist: Die Dinge zu betrachten, oder leugnen zu können, was man sieht.
In diesem Teil der neuen Welt gab es nichts mehr zu leugnen.
Nicht dass jemand diesen oder ähnliche Gedanken in Worte gefasst hätte – es war ja unsinnig, etwas begreifen zu wollen, das längst begriffen war, und so suchte man nicht nach Worten,

Eine Anhäufung von Negationen, die sich allein durch die Wortwiederholung nicht ganz so schön liest.

Zitat:
Ich weiß nicht, welches Bedürfnis älter ist: Die Dinge zu betrachten, oder leugnen zu können, was man sieht.

Du verwendest hier Präsens, weil er es in der Gegenwart immer noch nicht weiß?

Die häufige Benutzung des Wörtchens man ist mir auch aufgefallen. Ja, kann man machen, aber vielleicht könntest Du ein- oder zweimal wir benutzen, um die ständige Wiederholung zu unterbrechen. Ansonsten passt es natürlich als Platzhalter für das Kollektiv, wie es Phenolphthalein schon erklärt hat.

LG Katinka
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Nihil
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Moderator
Alter: 34
Beiträge: 6039



Beitrag23.11.2019 21:12

von Nihil
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Hallo Klemens,
puh, also das hat mich enorm mitgerissen. Finde alles großartig, was ich gelesen habe, auch, aber nicht nur, weil ich so etwas so noch nie gelesen habe. Mir gefällt die Ich-Perspektive, das Setting, das langsame Heranpirschen an die Lebensumstände dieser postapokalyptischen Welt, die gar nicht so fantastisch ist, wie sie zu sein vorgibt, sondern mit dem Blick einer ruinösen Existenz auf die heutigen ruinösen Teile der Gesellschaft schaut. Aber das macht gute Sci-Fi-Literatur wahrscheinlich an sich aus.

Das ist auch toll, wie du vom Speziellen ins Allgemeine gehst, den Ich-Erzähler Schritt für Schritt substantieller werden lässt (auch wenn der das wahrscheinlich nicht gerne hören würde), um dann in den kursiven Abschnitten nicht nur die „Neue Welt“ zu erklären, sondern auch die Menschen in ihr. Das Individuum als Symptom der Gesellschaft wird zur Erzählgrundlage gemacht.

 Die Öffentlichkeit wird hier gezeichnet als etwas, in das man sich zwangsweise hineinbegeben muss, um zu überleben.  Ganz im wörtlichen Sinne, denn die Ressourcen sind knapp. Es ist nicht die Angst, keine Nahrung, Medizin, etc. finden, was die Öffentlichkeit so schrecklich macht; mir scheint sich, ich beziehe mich vor allem auf den Beginn des ersten Teils, hier auch eine Angst anzudeuten, die über das Erkennen und Akzeptieren der zerstörten Welt hinausgeht, nämlich auch die Angst, sich selbst zu erkennen und in einem omnipräsenten Raublicht, als das zu erscheinen, was man – oder das Ich – wirklich ist. Im schlimmsten Fall nichts. Diese Tiefe zu spüren, obwohl du erst zwei Teile veröffentlicht hast, gemeinsam mit dieser Geschichte und ihren feinen Andeutungen, die nicht wie plumpe Cliffhanger daherkommen ... da bin ich auf anerkennende und respektvolle Weise ziemlich neidisch. ;)

Ich habe einfach mal drauf los geblabbert, ohne auf Struktur oder sowas zu achten; ich hoffe, du kannst mit dem Wirrwarr was anfangen.

Tschuss mit Kuss oder auch ohne, je nach Belieben.
Nihil
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