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Ralphie
Geschlecht:männlichForenonkel

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Beitrag18.10.2019 14:34
Auszug
von Ralphie
eBook pdf-Datei Antworten mit Zitat

Bizzarri hatte sich gründlich über Antoinette Massoulier informiert und wusste, wo sie arbeitete und dass sie eine starke bisexuelle Ader besaß. Nach einem langen Spaziergang fanden sie zwei Plätze in einem winzigen Bistrot im Quartier Latin, und Bizzarri lud Antoinette zu einem 98er Margaux ein. Das Lokal war trotz seiner überschaubaren Ausmaße der Treffpunkt für zahlreiche Studenten und Gelehrte der Stadt. Bizzarri kannte den Besitzer des Ladens und die weiß geschürzte Serviererin, die ihnen den Wein kredenzte, denn er aß jeden Mittag in dem Lokal eine große Portion Spaghetti alla puttanesca und trank abends ein Glas Amaretto. Er fand, dass die Preise in dem Schuppen selbst für Pariser Verhältnisse extrem hoch waren, und beschloss, selbst in das Gastgewerbe einzusteigen und auf dem Boulevard de Magenta in Paris ein Restaurant zu eröffnen, sobald er für seinen Beruf in Lyon zu alt geworden war.

Antoinette wollte gar nicht wissen, womit er seinen Lebensunterhalt verdiente. Stattdessen unterhielt sie sich mit ihm über Hunde und ihre Arbeit in dem Warenhaus auf der Avenue des Champs-Élysées. Das Warenhaus lag in der Nähe der Place de la Concorde und war eines der fünf größten Warenhäuser Frankreichs. Höflich erkundigte Bizzarri sich, was eine schöne Frau wie sie in einem Warenhaus tat und ob sie jemals daran gedacht habe, in einem Theater aufzutreten. Er war vor Jahren Besitzer des Théâtre des Célestins in Lyon geworden, weil er eine Institution gebraucht hatte, wo er die Einnahmen aus seinen illegalen Geschäften waschen konnte. Er konnte sich Antoinette als Jungfrau von Orléans oder als Heldin in einem Drama von Jean Racine vorstellen.

Antoinette bedankte sich geschmeichelt, aber sie hatte kein Talent zur Schauspielerin. Mit zwölf Jahren hatte sie Schauspiel- und Gesangsunterricht genommen, weil sie einmal ein berühmter Operettenstar werden wollte. Aber Madame Héricourt, ihre Schauspiellehrerin, hatte vor Verzweiflung die Hände über dem Kopf zusammengeschlagen, als Antoinette ihr aus Der Widerspenstigen Zähmung vorgelesen hatte. Dann, als Achtzehnjährige, hatte sie sich eine Zeit lang als Modell für die Studenten einer Kunstakademie versucht, den Beruf jedoch an den Nagel gehängt, als feststand, dass sie kein Charisma hatte. Das Modellstehen sei übrigens gut bezahlt worden, sagte sie. Die Kunstakademie habe pro Stunde einen Franc neunzig gezahlt und für den Akt sogar zwei Franc fünfzig. Dann habe sie Stéphane Massoulier kennengelernt, der zur damaligen Zeit noch ein kleiner Weichenwärter im Bahnhof Gare de l’Est gewesen sei.

Bei dem Namen Stéphane Massoulier horchte Bizzarri auf. Stéphane hatte bei der Eisenbahn Karriere gemacht. Er hatte die Prüfung zum mittleren Dienst abgelegt und war danach zwei Jahre Aufsichtsbeamter in La Ferté-Gaucher gewesen. Dann hatte er fünf Jahre lang das Amt des stellvertretenden Bahnhofsvorstehers in einer Kleinstadt in der Nähe von Chartres versehen. Mit dreißig wurde er zum Betriebsinspektor befördert und wechselte zur Hauptverwaltung der SNCF. Dort war er nicht ganz ein Jahr lang Disponent der Oberzugleitung, bevor er im Fahrplanbüro tätig wurde, wo er für die Sonderfahrpläne zuständig war. Inzwischen wurde Stéphane nach T 9 mit Zulage bezahlt.

Bei seinen Recherchen über Stéphane war Bizzarri eines Tages auf einen wunden Punkt gestoßen. Stéphane hatte Schulden. Das lag daran, dass er im Hinterzimmer eines Arabicas auf dem Montmartre häufig zu hohen Einsätzen Billard spielte und verlor.

Die Höhe seiner Schulden belief sich auf ungefähr zwölftausend Franc. Das war mehr als viermal so viel, wie er bei der Eisenbahn im Jahr verdiente. Bizzarri wusste, dass Stéphane in den Markthallen von Paris Säcke schleppte, um diese Schulden abzuarbeiten.

Außerdem wusste Bizzarri, dass Stéphane für einen Leitenden Eisenbahndirektor namens Phillipe Marchand aus Beugneux Freikarten für die Heimspiele seiner Mannschaft besorgte. Das war kein Verbrechen, aber es hatte doch Einfluss darauf, dass Stéphane bis zu einem bestimmten Zeitpunkt jedes Jahr bei der Eisenbahn befördert wurde.

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Daniel de Iguazu
Geschlecht:männlichWortedrechsler

Alter: 46
Beiträge: 86



Beitrag18.10.2019 17:05

von Daniel de Iguazu
Antworten mit Zitat

Hallo Ralphie,

es war ein schöner Text, den ich gerne gelesen habe. Die Atmosphäre kommt gut rüber, auch die Informationen sind interessant zu lesen.

Ich hatte allerdings an zwei Stellen Probleme zu erkennen, ob deine Figuren etwas zu dem anderen sagen, oder ob das Gedanken oder Erinnerungen sind.

Zitat:
Er war vor Jahren Besitzer des Théâtre des Célestins in Lyon geworden, weil er eine Institution gebraucht hatte, wo er die Einnahmen aus seinen illegalen Geschäften waschen konnte. Er konnte sich Antoinette als Jungfrau von Orléans oder als Heldin in einem Drama von Jean Racine vorstellen.

Erst im nächsten Absatz, wenn sich Antoinette geschmeichelt fühlt, wurde mir klar, dass das Bizzarri auch tatsächlich zu ihr gesagt hat. Zumindest den letzten Satz. Er wird ihr gegenüber wahrscheinlich kaum die illegalen Geschäfte erwähnen (oder doch?). Eindeutiger wäre es mit direkter Rede, vor allem wenn so viel gesprochen wird, oder der Verwendung des Konjunktivs.

Zitat:
Antoinette bedankte sich geschmeichelt, aber sie hatte kein Talent zur Schauspielerin. Mit zwölf Jahren hatte sie Schauspiel- und Gesangsunterricht genommen, weil sie einmal ein berühmter Operettenstar werden wollte. Aber Madame Héricourt, ihre Schauspiellehrerin, hatte vor Verzweiflung die Hände über dem Kopf zusammengeschlagen, als Antoinette ihr aus Der Widerspenstigen Zähmung vorgelesen hatte. Dann, als Achtzehnjährige, hatte sie sich eine Zeit lang als Modell für die Studenten einer Kunstakademie versucht, den Beruf jedoch an den Nagel gehängt, als feststand, dass sie kein Charisma hatte. Das Modellstehen sei übrigens gut bezahlt worden, sagte sie. Die Kunstakademie habe pro Stunde einen Franc neunzig gezahlt und für den Akt sogar zwei Franc fünfzig. Dann habe sie Stéphane Massoulier kennengelernt, der zur damaligen Zeit noch ein kleiner Weichenwärter im Bahnhof Gare de l’Est gewesen sei.

Bei dem blauen Text war ich mir nicht komplett sicher, ob sich Antoinette erinnert oder ob es indirekte Rede ist, sie also mit Bizzarri spricht. Bei dem grünen Text ist es klar, dass sie spricht, wegen dem Konjunktiv1 und dem Redebegleitsatz. Aufgrund des Kontexts habe ich dann auch verstanden, dass sie den blauen Text gesprochen hat.

Zitat:
Bizzarri wusste, dass Stéphane in den Markthallen von Paris Säcke schleppte, um diese Schulden abzuarbeiten.

Wenn Stéphane so einen tollen Posten bei der Bahn hat und entsprechend viel verdient, bringt das überhaupt etwas, Säcke zu schleppen? Das Geld, was er da verdient, sollte im Vergleich zu seinem Bahnjob vernachlässigbar klein sein. Vor allem, wenn seine Schulden auch noch vier mal so hoch wie sein Jahresgehalt waren. Es sei denn, bei den Säcken handelt es sich um illegale Waren.

Noch zwei Kleinigkeiten:
Zitat:
denn er aß jeden Mittag in dem Lokal eine große Portion Spaghetti alla puttanesca und trank abends ein Glas Amaretto

Ich würde schreiben: „denn er aß dort jeden Mittag“, weil du schon vorher Lokal und Laden hast und mir hier das Lokal zu viel vorkommt.

Zitat:
Höflich erkundigte Bizzarri sich, was eine schöne Frau wie sie in einem Warenhaus tat und ob sie jemals daran gedacht habe, in einem Theater aufzutreten.

Da du hier schon bei „gedacht haben“ den Konjunktiv1 verwendet hast, würde ich das konsequent für „tun“ auch so machen, also „was eine schöne Frau wie sie in einem Warenhaus tue“.

Liebe Grüße
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Ralphie
Geschlecht:männlichForenonkel

Alter: 71
Beiträge: 6398
Wohnort: 50189 Elsdorf
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Beitrag18.10.2019 17:33

von Ralphie
pdf-Datei Antworten mit Zitat

Der Grund, weswegen ich das Stück hier eingesetzt habe, ist, dass ich keinerlei Ahnung von der französischen Eisenbahn und dem Gehaltsgefüge von 1919 habe, in dem der Roman handelt. Die Titel "Betriebsinspektor" und "Leitender Eisenbahndirektor" habe ich dem Deutschen entnommen und die Bezahlung für das Modellstehen ist Fiktion.
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Elodin
Geschlecht:männlichSchneckenpost
E


Beiträge: 12
Wohnort: Österreich


E
Beitrag06.11.2019 18:10
Re: Auszug
von Elodin
Antworten mit Zitat

[quote="Ralphie"]Arbeit in dem Warenhaus auf der Avenue des Champs-Élysées. Das Warenhaus lag in der Nähe der Place de la Concorde und war eines der fünf größten Warenhäuser Frankreichs. Höflich erkundigte Bizzarri sich, was eine schöne Frau wie sie in einem Warenhaus tat und ob sie jemals daran gedacht habe, in einem Theater aufzutreten.

Hallo, sehr interessant zu lesen und schade das es nur ein Auszug ist. Das einzige das mir aufgefallen ist, sind vier Warenhäuser drei Sätzen.


_________________
Liebe Grüße

Mathias
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Ralphie
Geschlecht:männlichForenonkel

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Beitrag06.11.2019 18:28

von Ralphie
pdf-Datei Antworten mit Zitat

Nun ja, ich wiederhole lieber ein Wort, als dass ich ein Pronomen benutze.
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