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Personale Erzählperspektive Deep-POV: Wie flexibel geht ihr damit um?

 
 
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Daniel de Iguazu
Geschlecht:männlichWortedrechsler

Alter: 46
Beiträge: 86



Beitrag09.10.2019 02:02
Personale Erzählperspektive Deep-POV: Wie flexibel geht ihr damit um?
von Daniel de Iguazu
eBook pdf-Datei Antworten mit Zitat

Hallo zusammen,

in letzter Zeit habe ich viel mit Deep-POV bei der personalen Erzählperspektive experimentiert. Dabei bin ich an einige Grenzen gestoßen, die ich hier mal ausführen möchte.

1) Verringerung des sprachlichen Niveaus.
Da ich hier sehr dicht an der Figur bin, sollte ich nur die Ausdrücke und Formulierungen verwenden, die die Figur auch kennt. Allerdings haben einige Menschen ein geringes sprachliches Niveau, so dass bei Deep-POV ein grauenhafter Text zustande kommen würde. Zum Beispiel habe ich als Figur einen 18-jährigen asozialen Schläger.
Meine Lösung: Das sprachliche Niveau der Erzählung ist höher als das des Schlägers. Ich habe es aber nicht zu hoch werden lassen. Die meisten Kraftausdrücke habe ich in direkte Gedanken (Kursiv) und in die direkte Rede gepackt. Streng genommen ist das jetzt kein Deep-POV, sondern ein Kompromiss.

2) Extreme Charaktere nerven
Sie nerven, da ich als Leser näher und ungefilterter dran bin. Beispiel: Veganer Umweltaktivist mit extremer politischer Meinung.
Meine Lösung: Auch hier gehe ich bei der Erzählung etwas auf Distanz, damit die Figur nicht zu sehr nervt. Tiefer gehe ich dann, wenn es um Spannung geht. Ich pendele ein bisschen hin und her.

3) Namen von Verwandten wären unbekannt
Ich habe zu Beginn folgenden Satz: Die Tür öffnete sich und ihre Mutter, Konstanza Silberschlag, betrat das Zimmer.
Das ist natürlich kein Deep-POV, denn wenn die Protagonistin die Situation durchlebt, denkt sie nicht an den Namen ihrer Mutter. Allerdings habe ich das Problem, dass der Leser den Namen der Mutter ansonsten nicht kennenlernt, aber dieser später wichtig wird. Wenn ich ihn dann einführe, ist es für den Leser etwas merkwürdig.
Mögliche Lösungen: Ihr Vater kommt nach Hause und ruft die Mutter Konstanza oder es kommt ein Päckchen an, bei dem der Name der Mutter drauf steht. Aber irgendwie ist mir das zu umständlich.

4) Alltagsbeschreibungen
Orte die dem Protagonisten vertraut sind (eigene Wohnung, Arbeitsplatz, Schulweg, etc) werden im Deep-POV kaum beschrieben, da der Protagonist in der Regel nicht über das Vertraute nachdenkt. Für den Leser sind das allerdings neue Orte und ab und zu wäre es nicht schlecht, diese etwas näher zu beschreiben.

5) Zu harte Übergänge
Zum Beispiel habe ich einen intensiven Dialog. Danach folgt dieser Satz: „Sie hörte, wie die Haustür aufgeschlossen wurde“. „Sie hörte“ ist auch kein Deep-POV. Schreibe ich aber „Die Haustür wurde aufgeschlossen“ dann würde sich das zwar besser eignen, um Spannung aufzubauen, aber ich möchte hier das Gegenteil bewirken und nach dem Dialog die Intensität etwas herausnehmen.
Inwieweit wäre mein ursprünglicher Satz für euch ein Verlassen des Deep-POV?

6) Rückblenden
Ich habe zwar nicht viele, aber manchmal lassen sie sich nicht vermeiden. Meine Rückblenden passen ganz gut zu dem gerade Erlebten der Figur, aber wenn ich ehrlich bin, verlassen sie manchmal den Deep-POV, denn in einigen Situationen würde die Person nicht so sehr über die Vergangenheit nachdenken, da sie in der Gegenwart handeln muss.

Fazit: Mit dem Deep-POV kann man brutal viel Spannung erzeugen, aber manchmal ist er mir zu intensiv und zu fokussiert. Daher schiebe ich den POV ein bisschen hin und her, also mal ganz nah an die Person dran und mal ein bisschen weiter weg.

Welche Erfahrungen habt ihr mit Deep-POV gemacht und wie streng setzt ihr diese Erzählperspektive um?
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NikCe
Eselsohr
N


Beiträge: 251



N
Beitrag09.10.2019 08:40

von NikCe
Antworten mit Zitat

Hallo Daniel

Was du Deep-POV nennst, ist für mich die normale personale Erzählweise. Die Punkte, die du aufzählst, gehören zu den wesentlichen Dingen, die dabei berücksichtigt werden müssen, um nicht aus der Perspektive rauszurutschen und Wissen erkennbar zu machen, das deine Prota-Figur nicht haben kann.

ad 1)
Ich finde, da machst du es dir ein bisschen einfach, v.a. wenn du in solchen Klischees denkst (vgl. v.a. dein Veganer-Bsp. weiter unten). Der von dir beschriebene Schläger kann durchaus eloquent sein, aber gut, scheinbar willst du das nicht. In dem Fall würde ich kein "sprachlich höheres Niveau der Erzählung" anstreben, sondern ein neutrales und stellenweise auf das derbe Vokabular der Figur zurückgreifen.

ad 2)
Ich glaube, dein "extreme Charaktere" kannst du getrost mit dem Synonym "Stereotyp" ersetzen und dann stimmt der Satz. Generell würde ich bei solchen Figuren "tiefer" gehen, um sie zu mehr als eine Schablone zu machen. Wer will Stereotype lesen? Ich nicht.

ad 3)
Ja, genau so eine Lösung wäre angebracht, um Namen von vertrauten Personen einzuführen. Die Frage ist halt, müssen deine Leser*innen den Namen deiner personalen Erzählfigur kennen, wenn sie bspw. nur die Mutter für sie ist?

ad 4)
Ich halte die Beschreibung von vertrauten Räumen für problemlos, denn immerhin findet dort das Leben deiner Figur statt. Indem du sie mit ihrer Umgebung, egal wie vertraut ihr diese ist, interagieren lässt, kommst du um eine Beschreibung nicht herum.

ad 5)
Ich weiß, dass es eine gängige Meinung gibt, die darauf pocht auf Formulierungen wie "Sie sah/hörte/etc." bei personal zu verzichten, ich jedoch finde, dass gerade die Verwendung dieser Phrase in bestimmten Fällen angebracht ist, um die Dringlichkeit der Handlung zu verdeutlichen. Per se würde ich diese Formulierung also nicht aus meinem Vokabular streichen.
Da halte ich den Satz "die Haustür wurde aufgeschlossen" vielmehr für einen Perspektivenbruch, von personal zu auktorial. Da würde ich mir wieder überlegen, inwiefern hat die aufgeschlossene Haustür eine Auswirkung auf die Erzählfigur (wird sie dadurch aufgescheucht? etc.) -> Interaktion.

ad 6)
Und wenn du Rückblenden durch Erinnerungen ersetzt? Flüchtige Eindrücke von Vergangenem, nostalgische Anwandlungen? Oft ist weniger mehr.

In einem Manuskript habe ich eine Vielzahl von personalen Erzähler*innen und das auch innerhalb einer Szene. Soll man nicht machen, aber in meinen Augen passt das zur Geschichte und wurde von mir noch nicht konsequent zu einer einzigen personalen Erzählfigur umgemünzt. Ich denke, solange klar ist, aus wessen Perspektive gerade erzählt wird, hält sich etwaige Verwirrung in Grenzen.
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Corydoras
Geschlecht:weiblichKlammeraffe

Alter: 39
Beiträge: 751
Wohnort: Niederösterreich


Beitrag09.10.2019 09:02

von Corydoras
Antworten mit Zitat

Also alles was du hier aufzählst halte ich exakt so (ohne Kompromisse!) ein und das ist auch die Stärke des Deep-POVs finde ich.... dass man eben nicht ALLES weiß, dass der POV auch mal falsche Informationen gibt, etwas falsch versteht oder auffasst, etc...
Wenn ich das nicht möchte, dann brauch ich halt eine andere Erzählperspektive, das ist ja deswegen auch nicht schlecht. Ich persönlich tu mir zum derzeitigen Stand sehr schwer damit, NICHT im Deep-POV zu schreiben, einfach weil ich ihn schon so verinnerlicht habe. Dir gehts scheinbar andersrum. Aber das kann sich für uns beide noch ändern.

Das mit der Sprache: Ich musste einmal ein Kapitel aus der Sicht eines 10-jährigen schreiben. Das war ziemlich herausfordernd, gebe ich zu, aber ich fand es auch einmal spannend, mich auf dieses sprachliche Niveau hinunterzuschrauben. Smile


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meerenblau
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M


Beiträge: 1320



M
Beitrag09.10.2019 17:31

von meerenblau
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Jetzt stellt sich mir die Frage, was denn nun eigentlich der Unterschied zwischen der normalen Personalen Erzählweise und der Deep-POV-Personalen Erzählweise ist ...
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Pickman
Geschlecht:männlichPlottdrossel


Beiträge: 2284
Wohnort: Zwischen Prodesse und Delectare


Beitrag10.10.2019 05:40

von Pickman
Antworten mit Zitat

Corydoras hat Folgendes geschrieben:
Also alles was du hier aufzählst halte ich exakt so (ohne Kompromisse!) ein und das ist auch die Stärke des Deep-POVs finde ich.... dass man eben nicht ALLES weiß, dass der POV auch mal falsche Informationen gibt, etwas falsch versteht oder auffasst, etc...


Das kann ich ohne Abstriche unterschreiben.


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Rainer Prem
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R

Alter: 66
Beiträge: 1271
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R
Beitrag10.10.2019 07:51

von Rainer Prem
Antworten mit Zitat

meerenblau hat Folgendes geschrieben:
Jetzt stellt sich mir die Frage, was denn nun eigentlich der Unterschied zwischen der normalen Personalen Erzählweise und der Deep-POV-Personalen Erzählweise ist ...


Kurz gesagt ist Deep-POV eine Checkliste,wie man personale Erzählweise gut umsetzt. Es ist natürlich kein Zwang, sondern zeigt nur die Fallen auf, in die man als Autor hineintappen kann.

Wer personale Erzählweise sowieso gut kann, braucht die Checkliste nicht.
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BlueNote
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Beitrag10.10.2019 08:14

von BlueNote
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Mit diesem Problem hatte ich am Anfang meines Buchs auch zu kämpfen. Ich wollte Hintergrundinformationen (allgemeiner Art) liefern, dann aber wieder in die Sicht des Protagonisten wechseln. Damit wurde ich allerdings nicht wirklich glücklich. Zuerst habe ich von einer camera-eye-Perspektive (was interessiert mich die filmische Sicht auf eine Person?) in den Deep-POV gewechselt. Ich habe Gefallen daran gefunden, ab und zu die personale Perspektive zu wechseln (allerdings so, dass man den Wechsel deutlich merkt und das nicht sätzeweise in einer Szene mischt). Wenn du die Perspektive wechselst, kannst du die Zimmereinrichtung ja aus der Sicht der neuen Perspektive beschreiben.
Bei den allgemeinen Beschreibungen (der Zimmereinrichtung beispielsweise) oder Charakterisierungen des Protas etwa, bin ich zum Schluss gekommen, dass man das allenfalls am Beginn eines Kapitels oder zumindest in deutlich abgetrennten Passagen tun kann. Du wechselst damit die Perspektive (auktorial). Und das solltest du nicht nach Belieben tun, ob's grad mal spannend sein soll, oder nicht. Bei personalem Perspektivwechsel kann sich die andere Person ja auch an Geschichten erinnern, die den Hauptprotagonisten betreffen. Das ist oft logischer, als wenn sich deine Hauptperson selber ohne Anlass plötzlich an etwas "erinnert".
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nothingisreal
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Beiträge: 4002
Wohnort: unter einer Brücke


Beitrag10.10.2019 10:59

von nothingisreal
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Hallo Daniel,

1 und 2 würde ich durchziehen. Es ist nun mal die Figur. Ich finde, das macht sogar den Reiz aus. Es gibt irgendein berühmtes französisches Buch, das aus der Sicht eines Ghetto-Jungen erzählt. Und zwar exakt so, wie er es erzählen würde. Ich fand das richtig interessant. So stark muss man ja nicht gehen. Und wie NikCe schreibt, machst du es dir zu einfach. Du darfst den Leuten auch mehr zutrauen.

3. Da verstehe ich das Problem nicht. Du hast doch schon eine elegante Lösung:

Zitat:
Ihr Vater kommt nach Hause und ruft die Mutter Konstanza oder es kommt ein Päckchen an, bei dem der Name der Mutter drauf steht. Aber irgendwie ist mir das zu umständlich.

Dein erster Satz hingegen würde mich nerven. Noch schlimmer ist nur, wenn die Hauptfigur ihre Mutter in Gedanken nicht als Mutter oder Mama bezeichnet, sondern nur mit den Vornamen. Das ist definitiv aus der Sicht heraus, außer die Figur spricht ihre Mutter auch im Dialog mit dem Vornamen an.

4. Hier gibt es elegantere Lösungen: Nämlich Informationen unterschwellig einfließen zu lassen. Zum Beispiel: Sie legte ihr Handy neben den PC, damit sie morgen aufstehen musste, wenn der Wecker klingelte. Sobald sie die zehn Schritte vom Bett zum Schreibtisch machen würde, wäre sie wach. In diesem Beispiel hättest du erzählt, dass deine Figur einen PC im Zimmer hat, einen Schreibtisch und dass das Zimmer größer sein muss, wenn man erst mal zehn Schritte vom Bett zum Tisch durchführen muss. Und nebenbei Infos über den Charakter untergebracht.

5.
Zitat:
„Sie hörte, wie die Haustür aufgeschlossen wurde“
Da würde ich sagen: Hängt davon ab. Nämlich davon, ob sie sich im selben Raum befindet wie die Haustür oder in einem anderem. Ist sie zum Beispiel in ihrem Zimmer, müsstest du das sogar schreiben, wenn sie nicht gerade durch Wände blicken kann. Ist sie im gleichen Raum würde ich auf "sie hörte" verzichten. Eventuell würde ich eine Beschreibung benutzen, die das Hören impliziert. Zum Beispiel: Hinter der Haustür raschelte ein Schlüsselbund, zwei Sekunden später öffnete sich die Tür.

6. Rückblenden würde ich nur als Erinnerungen benutzen, wenn du in Deep-POV schreiben willst. Oder in eigenständigen Kapiteln unterbringen.


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Merlinor
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Beitrag10.10.2019 14:52

von Merlinor
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Hallo Daniel de Iguazu

Ich sehe das ziemlich kategorisch: Deep-POV - Entweder richtig, oder gar nicht. Die nötigen Informationen kannst Du auch da einfließen lassen.
Beispiel: Die Tür knarrte und plötzlich stand Mutter im Zimmer. Ruckartig stieß er sich den Zeigefinger tief in das Nasenloch, in dem er gerade herumpuhlte. "Autsch! Verdammt, kannst Du nicht anklopfen Erika?" entfuhr es ihm.
Und schon wissen wir, dass seine Mutter Erika heißt und er sie mit Vornamen anredet. Und wir vermuten, dass er gerade mit nichts Wichtigem beschäftigt ist und sich offenbar in (s)einem Zimmer in (wahrscheinlich) der elterlichen Wohnung befindet. Langsam beginnt sich ein erstes Bild zu formen.
Der Nachname der Mutter steht dann irgendwann später einmal auf dem Brief des Nachlassgerichts, den der ... und so weiter und so fort.

Meiner Meinung nach solltest Du, wenn Du Dich für Deep-POV entscheidest, diese Erzählweise auch konsequent durchziehen.
Oder aber eine weniger restriktive Perspektivform wählen.

LG Merlinor


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„Ich bin fromm geworden, weil ich zu Ende gedacht habe und nicht mehr weiter denken konnte.
Als Physiker sage ich Ihnen nach meinen Erforschungen des Atoms:
Es gibt keine Materie an sich, Geist ist der Urgrund der Materie.“

MAX PLANCK (1858-1947), Mailand, 1942
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TheRabbit95
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T
Beitrag10.10.2019 20:30

von TheRabbit95
Antworten mit Zitat

Noch schnell eine (vielleicht doofe) Frage: Mir sagt deep POV als Erzählperspektiven in Bücher nichts, aber müsste sie jetzt nur vom Namen abgeleitet nicht in der Ich-Perspektive geschrieben sein? Normalerweise wird ja POV für eine "Kopfkamera" gebraucht also bspw. in einem Ego Shooter oder in Filmen für Erwachsene. Oder liege ich da falsch oder wird der Begriff bei der Erzählperspektive anders verwendet?
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Daniel de Iguazu
Geschlecht:männlichWortedrechsler

Alter: 46
Beiträge: 86



Beitrag11.10.2019 01:52

von Daniel de Iguazu
pdf-Datei Antworten mit Zitat

Vielen Dank an euch alle für eure Hilfe smile

@NikCe
Zitat:
ad 1)
Ich finde, da machst du es dir ein bisschen einfach, v.a. wenn du in solchen Klischees denkst (vgl. v.a. dein Veganer-Bsp. weiter unten). Der von dir beschriebene Schläger kann durchaus eloquent sein, aber gut, scheinbar willst du das nicht. In dem Fall würde ich kein "sprachlich höheres Niveau der Erzählung" anstreben, sondern ein neutrales und stellenweise auf das derbe Vokabular der Figur zurückgreifen.

ad 2)
Ich glaube, dein "extreme Charaktere" kannst du getrost mit dem Synonym "Stereotyp" ersetzen und dann stimmt der Satz. Generell würde ich bei solchen Figuren "tiefer" gehen, um sie zu mehr als eine Schablone zu machen. Wer will Stereotype lesen? Ich nicht.


Bei Punkt 2 gebe ich dir  recht. Ich habe ein bisschen herumprobiert, aber wenn ich wirklich einen Roman schreibe mit einer solchen Figur, dann würde ich tiefer gehen und mehrere Facetten herausarbeiten, so dass sie automatisch nicht nerven würde. Daher kann ich den Punkt 2 als Problem getrost streichen.

Bei Punkt 1 verhält es sich ähnlich. Hat man jetzt wirklich einen 18-jährigen Schläger als Deep-POV würde man ihn besser ausarbeiten und nicht ganz so dumm aussehen lassen. Dein Vorschlag „ein neutrales und stellenweise auf das derbe Vokabular der Figur zurückgreifen“ finde ich gut. Ich denke so wird das auch oft gemacht. Gerade bei Kindern, Jugendlichen, Leuten mit beschränktem Wortschatz, etc. habe ich bis jetzt kaum erlebt, dass der Autor konsequent Deep-POV anwendet, sondern es schwingt immer ein neutraler Erzählton mit, der nicht mit dem Wortschatz der Figur deckungsgleich ist.

Zitat:
ad 3)
Ja, genau so eine Lösung wäre angebracht, um Namen von vertrauten Personen einzuführen. Die Frage ist halt, müssen deine Leser*innen den Namen deiner personalen Erzählfigur kennen, wenn sie bspw. nur die Mutter für sie ist?

Gute Frage. Ich fand es gegenüber der Mutter nicht fair, dass sie quasi namenlos ist. Aber bezüglich der Tochter ist es halt erst mal „nur“ die Mutter. Im Sinn des Deep-POV werde ich wohl den Namen weglassen und dann später schauen, was ich mache, wenn ich ihn brauche.

Zitat:
ad 5)
Ich weiß, dass es eine gängige Meinung gibt, die darauf pocht auf Formulierungen wie "Sie sah/hörte/etc." bei personal zu verzichten, ich jedoch finde, dass gerade die Verwendung dieser Phrase in bestimmten Fällen angebracht ist, um die Dringlichkeit der Handlung zu verdeutlichen. Per se würde ich diese Formulierung also nicht aus meinem Vokabular streichen.

Da bin ich beruhigt. Sehe ich genauso. Auch wenn viele darauf pochen, auf diese Formulierungen zu verzichten, sehe ich, dass sie in der Praxis überall verwendet werden (allerdings habe ich das meiste Wissen über Deep-POV aus dem angelsächsischen Raum).

Zitat:
ad 6)
Und wenn du Rückblenden durch Erinnerungen ersetzt? Flüchtige Eindrücke von Vergangenem, nostalgische Anwandlungen? Oft ist weniger mehr.

Bei mir sind es auch eher Erinnerungen, aber ich schreibe später in diesem Thread noch mal was dazu. Auf jeden Fall vielen lieben Dank für deine Hinweise.
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Daniel de Iguazu
Geschlecht:männlichWortedrechsler

Alter: 46
Beiträge: 86



Beitrag11.10.2019 02:17

von Daniel de Iguazu
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Hallo Corydoras, vielen Dank für deinen Beitrag.

Zitat:
Also alles was du hier aufzählst halte ich exakt so (ohne Kompromisse!) ein und das ist auch die Stärke des Deep-POVs finde ich.... dass man eben nicht ALLES weiß, dass der POV auch mal falsche Informationen gibt, etwas falsch versteht oder auffasst, etc...
Wenn ich das nicht möchte, dann brauch ich halt eine andere Erzählperspektive, das ist ja deswegen auch nicht schlecht. Ich persönlich tu mir zum derzeitigen Stand sehr schwer damit, NICHT im Deep-POV zu schreiben, einfach weil ich ihn schon so verinnerlicht habe. Dir gehts scheinbar andersrum. Aber das kann sich für uns beide noch ändern.


Sehr bewundernswert, dass du das so durch hältst. Ich habe heute mal mehrere Bücher durchgesehen und nach meiner Meinung war kein Autor dabei, der das geschafft hat. Die meisten hatten auf jeder Seite mindestens eine Stelle dabei, wo sie den Deep-POV verlassen haben.

Mir scheint es bis jetzt so, dass der Deep-POV so eine Art Idealzustand ist, den aber kaum jemand erreicht. Ich lasse mich aber gerne eines Besseren belehren. Vielleicht waren auch heute die falschen Bücher dabei.
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Mettbrötchen
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Beitrag11.10.2019 11:27

von Mettbrötchen
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Immer diese ganzen Fachbegriffe. Wenn der Perspektivträger nach draußen geht und ihm kalt ist, denkt er sich ja auch nicht "es war kalt". Man schreibt es trotzdem.
In der personalen Perspektive spielt der Background der Figur für mich sprachlich eher in der erlebten Rede eine Rolle oder bei der direkten Gedankenwiedergabe. Aber sonst ...


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Corydoras
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Beitrag11.10.2019 12:53

von Corydoras
Antworten mit Zitat

Daniel de Iguazu hat Folgendes geschrieben:

Mir scheint es bis jetzt so, dass der Deep-POV so eine Art Idealzustand ist, den aber kaum jemand erreicht. Ich lasse mich aber gerne eines Besseren belehren. Vielleicht waren auch heute die falschen Bücher dabei.


Hast du da ein konkretes Beispiel dazu, wo der Text geringfügig aus dem Deep-POV fällt? Weil wenn du das so sagst, hinterfrage ich natürlich auch meinen eigenen Schreibstil (und hoffe gleichzeitig, daraus zu lernen)


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Daniel de Iguazu
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Beiträge: 86



Beitrag11.10.2019 17:55

von Daniel de Iguazu
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Rainer Prem hat Folgendes geschrieben:
meerenblau hat Folgendes geschrieben:
Jetzt stellt sich mir die Frage, was denn nun eigentlich der Unterschied zwischen der normalen Personalen Erzählweise und der Deep-POV-Personalen Erzählweise ist ...


Kurz gesagt ist Deep-POV eine Checkliste,wie man personale Erzählweise gut umsetzt. Es ist natürlich kein Zwang, sondern zeigt nur die Fallen auf, in die man als Autor hineintappen kann.

Wer personale Erzählweise sowieso gut kann, braucht die Checkliste nicht.


Rainers Sichtweise finde ich gut.

Ich habe einige Blogbeiträge aus den USA darüber gelesen und dort sind viele der Meinung, dass es die von meerenblau erwähnten zwei Stile gibt.
1) Normal personal: Emma ging in die Küche. Sie stellte fest, dass ihre Mutter mal wieder nichts gekocht hatte.
2) Deep-POV personal: Emma ging in die Küche. Na toll, Mama hatte mal wieder nichts gekocht.

Deep-POV ist also näher an der Figur dran und kann dadurch intensiver wirken. Kann aber auch das sprachliche Niveau nach unten ziehen.
Ich würde am liebsten zwischen normal und deep pendeln, mit der Distanz spielen. Für einige Situationen finde ich Deep besser und für andere Situationen ist mehr Distanz geeigneter.

Allerdings haben mich einige Deep-POV-Hardliner aus den USA verunsichert. Sie sagen einmal Deep-POV immer Deep-POV, sonst reißt es den Leser aus der Geschichte heraus, wenn man wieder etwas Distanz zur Figur aufbaut. Das glaube ich mittlerweile immer weniger, da das mich selbst beim Lesen nicht stört und sowieso kaum jemand Deep-POV konsequent durchzieht.

Ich wäre dankbar, wenn ihr mir ein Buch empfehlen könntet, bei dem konsequent Deep-POV durchgezogen wurde.
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nicolailevin
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Beitrag11.10.2019 18:01

von nicolailevin
Antworten mit Zitat

Daniel de Iguazu hat Folgendes geschrieben:

Ich wäre dankbar, wenn ihr mir ein Buch empfehlen könntet, bei dem konsequent Deep-POV durchgezogen wurde.


Ich finde, zum Viele-Perspektiven-Lernen ist Juli Zehs "Unterleuten" perfekt.

10 oder mehr Figuren, unterschiedlichste Hintergründe, und alles dreht sich um deren Einstellungen und Befinden. Die unterschiedlichen Bildungslevel hat sie m.E. perfekt hingekriegt, dass die Extreme nerven bzw. viel schwieriger zu treffen sind, gilt - m.E. - auch bei ihr.

VG
Nico
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Corydoras
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Wohnort: Niederösterreich


Beitrag11.10.2019 18:38

von Corydoras
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Daniel de Iguazu hat Folgendes geschrieben:

Ich wäre dankbar, wenn ihr mir ein Buch empfehlen könntet, bei dem konsequent Deep-POV durchgezogen wurde.


Das Lied von Eis und Feuer. George Martin spielt mit den unterschiedlichen Wissensständen und Falschinformationen der Figuren. Und man kennt auch die Gedanken des jeweiligen Perspektivträgers.

Und wer ein Buch lesen möchte, das für jeden Protagonisten nicht nur eine andere Perspektive, sondern auch einen gänzlich anderen Stil verwendet, dann der Wolkenatlas von David Mitchell.

Apropos, weil du meintest, eine Lockerung der Perspektive fiele dem Leser nicht auf... mir in der Regel schon. Aber ich glaube ich lese auch Texte anders als die meisten. Bei Otto Normalleser hast du vermutlich sogar recht.


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Daniel de Iguazu
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Beitrag11.10.2019 18:51

von Daniel de Iguazu
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@BlueNote:
Das kann gut funktionieren. Zur Zeit traue ich mich nicht, die Perspektiven unfallfrei innerhalb eines Kapitels zu wechseln. Erst bei einem neuen Kapitel bekommt eine andere Figur den POV.

nothingisreal hat Folgendes geschrieben:
Es gibt irgendein berühmtes französisches Buch, das aus der Sicht eines Ghetto-Jungen erzählt. Und zwar exakt so, wie er es erzählen würde. Ich fand das richtig interessant. So stark muss man ja nicht gehen.

Ich suche halt einen Kompromiss, so dass der Text stark von der Person gefärbt ist, aber jetzt nicht durchgehend 1:1 aus dem Verstand der Person kommt. Auch hier würde mich bei dem Buch interessieren, ob es wirklich exakt so erzählt ist und nicht doch Sätze dabei sind, die eher von jemand Außenstehenden kommen.

nothingisreal hat Folgendes geschrieben:
Sie legte ihr Handy neben den PC, damit sie morgen aufstehen musste, wenn der Wecker klingelte. Sobald sie die zehn Schritte vom Bett zum Schreibtisch machen würde, wäre sie wach.

Das finde ich einen sehr guten Vorschlag. Allerdings würde ich die zehn Schritte weglassen. Wäre mir zu präzise.

Merlinor hat Folgendes geschrieben:
Ich sehe das ziemlich kategorisch: Deep-POV - Entweder richtig, oder gar nicht. Die nötigen Informationen kannst Du auch da einfließen lassen.
Beispiel: Die Tür knarrte und plötzlich stand Mutter im Zimmer. Ruckartig stieß er sich den Zeigefinger tief in das Nasenloch, in dem er gerade herumpuhlte. "Autsch! Verdammt, kannst Du nicht anklopfen Erika?" entfuhr es ihm.
Und schon wissen wir, dass seine Mutter Erika heißt und er sie mit Vornamen anredet. Und wir vermuten, dass er gerade mit nichts Wichtigem beschäftigt ist und sich offenbar in (s)einem Zimmer in (wahrscheinlich) der elterlichen Wohnung befindet. Langsam beginnt sich ein erstes Bild zu formen.
Der Nachname der Mutter steht dann irgendwann später einmal auf dem Brief des Nachlassgerichts, den der ... und so weiter und so fort.

Meiner Meinung nach solltest Du, wenn Du Dich für Deep-POV entscheidest, diese Erzählweise auch konsequent durchziehen.
Oder aber eine weniger restriktive Perspektivform wählen.

Deine Herangehensweise bei dem Beispiel finde ich sehr gut. Aber wie oben schon angemerkt, habe ich so meine Bedenken, wenn es darum geht Deep-POV konsequent durchzuziehen. Mir fehlen da einfach Beispiele an Büchern. Vielleicht liegt es auch an unterschiedlichen Interpretationen was Deep-POV ist. Ich möchte natürlich jetzt nicht auf eine zu große Distanz oder – noch schlimmer – ins Auktoriale gehen, aber den POV schon etwas atmen lassen.

TheRabbit95 hat Folgendes geschrieben:
Noch schnell eine (vielleicht doofe) Frage: Mir sagt deep POV als Erzählperspektiven in Bücher nichts, aber müsste sie jetzt nur vom Namen abgeleitet nicht in der Ich-Perspektive geschrieben sein? Normalerweise wird ja POV für eine "Kopfkamera" gebraucht also bspw. in einem Ego Shooter oder in Filmen für Erwachsene. Oder liege ich da falsch oder wird der Begriff bei der Erzählperspektive anders verwendet?

Damit soll bei der personalen Perspektive eine ähnlich große Nähe wie mit der Ich-Perspektive erreicht werden. Daher wird sie dann als personal Deep-POV bezeichnet.

Mettbrötchen hat Folgendes geschrieben:
Immer diese ganzen Fachbegriffe. Wenn der Perspektivträger nach draußen geht und ihm kalt ist, denkt er sich ja auch nicht "es war kalt". Man schreibt es trotzdem.
In der personalen Perspektive spielt der Background der Figur für mich sprachlich eher in der erlebten Rede eine Rolle oder bei der direkten Gedankenwiedergabe. Aber sonst ...

Genau, aber dann schreibst du auch nicht Deep-POV. Muss man ja auch nicht.
„Normal“: Joe ging nach draußen. Ihm war kalt.
Deep: Joe ging nach draußen. Meine Fresse, war das kalt. Ihm würden noch die Eier abfrieren.
Deep: Prinzessin Florentina ging nach draußen. Heute fröstelte es ihr dermaßen, dass sie ihren Hermelinmantel enger zog.
Bei Deep ändert sich ein Großteil des Erzähltextes.
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Murmel
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Beitrag11.10.2019 20:46

von Murmel
Antworten mit Zitat

Deep POV ist näher dran als die normale personale Erzählweise, denn sie beinhaltet auch Körperreaktionen, Gedanken und Gefühle, ohne das distanzierende er dachte, er sah, er fühlte. Deep POV ist powerful, denn sie kann den Leser zu einem völligen Mitfühlen führen, bis hin zum Auslösen der unbewussten Körperreaktionen.

"Liebes Kind" ist ein Beispiel, wie intensiv das werden kann, sicher ein Grund mit, warum der Thriller zu einem Bestseller wurde.


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Daniel de Iguazu
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Beiträge: 86



Beitrag11.10.2019 23:58

von Daniel de Iguazu
pdf-Datei Antworten mit Zitat

Dankeschön für eure Buchtipps smile

nicolailevin hat Folgendes geschrieben:
Ich finde, zum Viele-Perspektiven-Lernen ist Juli Zehs "Unterleuten" perfekt.

10 oder mehr Figuren, unterschiedlichste Hintergründe, und alles dreht sich um deren Einstellungen und Befinden. Die unterschiedlichen Bildungslevel hat sie m.E. perfekt hingekriegt, dass die Extreme nerven bzw. viel schwieriger zu treffen sind, gilt - m.E. - auch bei ihr.


Zitat:
Leseprobe von Amazon, Unterleuten, Kapitel1:
Jule wurde lauter. »Wenn sie einsehen, dass sie nicht dem Tier einen Schrottplatz erlauben und uns den Sichtschutz verbieten können!«
Gerhard schüttelte den Kopf. Es brachte nichts, auf diese Weise darüber zu reden. Tatsache war, dass von der geplanten Mauer seit Monaten nicht mehr als ein metertiefer Schacht entlang der Grenze zu Schallers Grundstück existierte [mehr Text, weitere Beschreibungen]. Um effektiven Sichtschutz zu bieten, musste sie 2,40 Meter hoch sein [mehr Text, weitere Beschreibungen].
»Gegen den Gestank würde die Mauer sowieso nicht helfen«, sagte er leise.
In den vergangenen vier Tagen hatte sich der Rauch im gesamten Garten verteilt. Die Schwaden zogen über den Schützengraben, hingen in den Himbeersträuchern, fuhren in kleinen Wirbeln durch die drei jungen Tannen, …[langer Absatz, viel mehr Beschreibungen]“ [Dialog geht weiter]

Das ist für mich kein Deep-POV. Anstatt Jule zu antworten, gibt es eine lange Rückblende mir Details (2,40m hoch). Ein oder zwei Sätze Erinnerungen eingestreut wäre in Ordnung, aber das hier ist eine längere Erklärung des Autors an den Leser und nicht das, was Gerhard in der Mitte des Dialogs denken würde. Nachdem Gerhard dann endlich gesprochen hat, gibt es eine noch längere Beschreibung.
Dort steht dann „hingen in den Himbeersträuchern, fuhren in kleinen Wirbeln durch die drei jungen Tannen“.
Sehr schön geschrieben, aber bei Jule und Gerhard herrscht gerade Ausnahmezustand. Beide sind aufgebracht. In dieser Situation würde er nicht über kleine Wirbel nachdenken, die durch die jungen Tannen fuhren. Das ist eine schöne bildhafte Sprache der Autorin, aber kein Deep-POV von Gerhard.

Corydoras hat Folgendes geschrieben:
Das Lied von Eis und Feuer. George Martin spielt mit den unterschiedlichen Wissensständen und Falschinformationen der Figuren. Und man kennt auch die Gedanken des jeweiligen Perspektivträgers.

Ich habe vor etwa 20 Jahren Game of Thrones auf Englisch gelesen, etwa zu dem Zeitpunkt als es herausgekommen ist. Daher kann ich mich kaum noch daran erinnern. Ich habe mir auch hier bei Amazon die Leseprobe besorgt.
Zitat:
Leseprobe von Amazon, Die Herren von Winterfell, Kapitel1 – Bran, erster Absatz:
Kalt und klar hatte der Tag gedämmert, mit einer Frische, die vom Ende des Sommers kündete. Sie brachen im Morgengrauen auf, zwanzig insgesamt, um der Enthauptung eines Mannes beizuwohnen, und Bran ritt unter ihnen , ganz nervös vor Aufregung . Es war das erste Mal, dass man ihn für alt genug erachtete, mit seinem Hohen Vater und seinen Brüdern zu gehen und zu sehen, ...

Kein Deep-POV. Bran ist sieben Jahre alt. Der Text ist viel zu gehoben. Er nennt Eddard Stark einfach nur „Vater“ und nicht „hoher Vater“. Es klingt so, als würde eine weitere Person diese Geschichte erzählen, aber nicht Bran.

Murmel hat Folgendes geschrieben:
"Liebes Kind" ist ein Beispiel, wie intensiv das werden kann, sicher ein Grund mit, warum der Thriller zu einem Bestseller wurde.

Zitat:
Leseprobe von Amazon, Liebes Kind, Kapitel1 (Die Unfallnacht), erster Absatz:
AB negativ ist die seltenste Blutgruppe und zeichnet sich dadurch aus, dass sie keine Antikörper gegen die Blutgruppen A und B besitzt. Das bedeutet, dass Mama das Blut aller anderen Blutgruppen bekommen kann. Das weiß ich, weil wir im Unterricht schon über Blutgruppen geredet haben. Und weil es im dicken Buch steht.

Das was ich bis jetzt gesehen habe, wird aus der Ich-Erzählperspektive geschrieben – vielleicht ändert sich das noch später im Buch. Aber trotzdem geht es hier etwas aus dem Deep-POV heraus: „Das weiß ich, weil wir im Unterricht schon über Blutgruppen geredet haben.“ Hannah ist gerade im Krankenwagen. In dieser Situation würde sie entweder nicht daran denken, woher sie das Wissen hat, oder so etwas denken wie „Zum Glück habe ich im Unterricht aufgepasst“. Die Formulierung „Das weiß ich ...“ klingt nach einer Begründung speziell an den Leser gerichtet.

Generelle Anmerkung zu den Büchern: Mit geht es nicht darum die Werke schlecht zu reden. Ich finde die Leseproben sogar gut und werde mir Liebes Kind und Unterleuten vielleicht kaufen. Beide Bücher gefallen mir vom Stil her. Game of Thrones ist sowieso super.

Aber hier ging es um Deep-POV. Wie tief muss ich gehen und ab wann ist es kein Deep-POV mehr? Mich hatte die Aussage irritiert, dass man Deep-POV konsequent durchziehen muss, wenn man mal damit anfängt. Wie aber hier die Beispiele zeigen (und andere Bücher, die ich überprüft habe), macht das in der Praxis scheinbar kein Mensch. Ich finde das gut, denn es zeigt mir, dass man es nicht all zu streng umsetzen muss. Es ist eher ein cooles Werkzeug und eine Art Richtlinie und man kann etwas auf Distanz gehen, wenn es die Situation erfordert.
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Rübenach
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R
Beitrag12.10.2019 07:15

von Rübenach
Antworten mit Zitat

Vielleicht kann ja mal jemand genauer definieren, was dieser deep point of view eigentlich ist.

Ist es tatsächlich eine Perspektive? Falls ja, wie grenzt man sie ab zur personalen Perspeltive, wie zur Ich-Perspektive?

Oder ist es eher ein Stilmittel und wie grenzt man es ab zur "erlebten Rede" bzw, zum "inneren Monolog"?


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Merlinor
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Beitrag12.10.2019 14:07

von Merlinor
Antworten mit Zitat

.
Es ist in erster Linie wohl "nur" ein Stilmittel: *Klick*

LG Merlinor


_________________
„Ich bin fromm geworden, weil ich zu Ende gedacht habe und nicht mehr weiter denken konnte.
Als Physiker sage ich Ihnen nach meinen Erforschungen des Atoms:
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MAX PLANCK (1858-1947), Mailand, 1942
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