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Taifan oder Liebe im Zeichen des silbernen Schwertes (1)


 
 
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wunderkerze
Eselsohr
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Beiträge: 381



W
Beitrag28.06.2019 12:14
Antwort
von wunderkerze
Antworten mit Zitat

Hallo Nico,

Zitat
'gesellschaftliche Kraft' klingt mir sowohl...

ich scheue mich, hier das Wort Sitte zu gebrauchen. Sitte ist für mich etwas, das die Gesellschaft zusammenhält, nicht, was sie spaltet.

Zitat
da kannst du doch ein bissl Grusel verbreiten, wenn ihm Bilder durch den Kopf schießen, von schmerzverzerrten Kindergesichtern, weil die Lungen vom Giftgas verätzt sind und wie in den Fernsehbildern die weinenden Mütter die Leichen ihrer Babys in die Kameras halten und anklagen.

sehr gute Idee! Wenn du erlaubst, übernehme ich sie.

Zitat
Wo hat der Oberst denn von der Steinigung erfahren? Das hab ich irgendwie überlesen, glaub ich

nein, hast du nicht. Der Oberst will hören: Davon weiß ich nichts. Ist vl. etwas zu hypothetisch.

Zitat
und ich bezweifle, dass der Shariff wirklich die Statistiken von Nashornabschüssen kennt oder sich dafür interessiert.

warum eigentlich nicht? Der Sh. ist ein gebildeter, weltoffener Mann! Außerdem geht es hier nicht um die Pille als solche, sondern, bebenbei, um eine seltsame Art des Tierschutzes

Zitat
In welcher Sprache rezitiert sie denn?

Tja, das ist auch so ein Ding, das ich völlig übersehen habe. Das ist deutsche Lyrik, nämlich meine.
Ich werde sie deshalb deutsch rezitieren lassen. Ihr Vater hat die Gedichte eben ins Deutsche übersetzt, weil er ein Liebhaber der dt. Sprache war. MW wird die deutsche Kultur in diesen Ländern sehr geschätzt. In den Teehäusern bietet sie dann die orig. Version an.
Und ich überlege, ob nicht auch der Sh. deutsch sprechen sollte? Muss denn alle Welt englisch reden?

LG
Wunderkerze

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wunderkerze
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wunderkerze
Eselsohr
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Beiträge: 381



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Beitrag29.06.2019 09:58
Fortsetzung
von wunderkerze
Antworten mit Zitat

*
  General Macron saß über seinen Schreibtisch gebeugt und studierte die Einsatzpläne für die Offensive Hot Autumn – Heißer Herbst. Es klopfte, und auf sein „Herein“ erschien Hauptmann Stephan und salutierte.
   „Danke“, sagte der General und blickte auf, „setzen Sie sich doch, Hauptmann! Wie sieht´s aus?“
   Stephan setzte sich und referierte: „Das Hauptquartier des so genannten geheimen Kerns befindet sich in dem Dorf Aun etwa zweihundertfünfzig Kilometer südöstlich von hier“, sagte er mit markiger Stimme. „Die Gegend ist gebirgig und schwer zugänglich. Der Anführer ist ein gewisser Magomed al-Machani, der sich selbst zum 'Kalifen von Aun' ernannt hat.  Die Gruppe besteht aus etwa hundertfünfzig schlecht ausgebildeten Kämpfern, viele davon Ausländer – also ein recht zusammengewürfelter Haufen, der nichtsdestotrotz den Aul und die umliegenden Oasen bis aufs Blut tyrannisiert. Besagter al-Machani residiert im Dorfgemeindehaus, in dem er einen Kellerraum zum Bunker hat ausbauen lassen. Der Mann gilt als besonders grausam. Noch vor ein paar Tagen ließ er eine Frau steinigen. Das dementsprechende Video kursiert bereits im Darknet.“
   Macron schüttelte angewidert den Kopf. „Scheußlich, scheußlich! Wir werden den verdammten Kerl eliminieren. Noch heute werde ich die Amerikaner bitten, einen Drohneneinsatz vorzubereiten. Wenn ich richtig kalkuliere, wird Brüssel keine Einwände haben.“
   „Hmm...“
   „Was ist los? Stimmt was nicht?“
   „Da gibt es ein Problem, mon Général.“
   „So?“
   „Ja. In dem Gebäude befinden sich vermutlich die beiden Deutschen, die vor vierzehn Tagen entführt wurden. Und gestern ist wahrscheinlich noch ein weiterer Ausländer mit deutschen Wurzeln hinzugekommen.“
   Die Züge des Generals nahmen einen verzagt-leidenden Ausdruck an. Er dachte: Es ist zum Verzweifeln! Immer, wenn ich klare Kante zeigen will, kommt etwas dazwischen. „Wer sagt das?“, fragte er tonlos.
   „Gerade erhielt ich eine Nachricht von einem dieser Karawanenführer – einer von denen, die für uns Augen und Ohren offen halten. Danach hat er einen Mann, dessen Englisch einen starken deutschen Akzent aufwies, in der Nähe von Aun abgesetzt. Und nun halten Sie sich fest! Der Mann besaß auffällig blaue Augen.“
   Der General saß eine Weile reglos, wie betäubt, dann griff er mechanisch zu der Schachtel mit den Zigarillos. „Auch eine?“
   „Nein danke, diesmal nicht.“
   „Merde, merde, merde!“ schimpfte Macron. „Sollte Weizenkorn die Seiten gewechselt haben? Das wäre ja... Ich kann´s einfach nicht glauben! Na ja, wenn ich so überlege... Ein wenig fanatisch kam mir dieser Oberst Weizenkorn schon immer vor! Na ja, wie diese Deutschen manchmal so sind.“
   „Mon Général, wie meinen Sie?“
    „Was? Ähem... ach so... nein... Was meinen Sie, M´sieur, halten Sie es für möglich, dass Colonel Weizenkorn die Seiten gewechselt hat?“
   „Nein, nein, das halte ich für wenig wahrscheinlich.“ Stephan betrachtete aufmerksam einen Rauchkringel, der sich aus dem Munde des Generals löste. „Warum sollte er. Ich denke, das hat eher was mit dieser Taifan zu tun.“  
   „Taifan? Ach ja, ich erinnere mich! Dieses Flittchen! Ähem... Und was hat die mit der Angelegenheit zu tun?“
  „Einen Augenblick, bitte!“
  Der Hauptmann griff in seine Jackentasche und zog einen Zettel hervor. „Diesen Zettel hier“, sagte er, „fand ich unter anderen Papieren in einem Geheimfach von Omar Nazrullahs Schreibtisch. Ich wurde stutzig, als ich in der ersten Zeile den Namen WEIZENKORN in lateinische Großbuchstaben las. Es brauchte eine Weile, bis ich für den Rest einen Übersetzer fand, denn der Text ist in einer der zweihundert kryptischen Sprachen diese Landes verfasst. Hier, sehen Sie selbst!“
   Er überreichte Macron das Schriftstück, der es kopfschüttelnd ansah.
   „Dieses arabische Gekritzel werde ich nie begreifen“, meinte er trocken. „Und was bedeutet das nun?“
   „Nichts Gutes, mon Général!“
   „Mon dieu! Was steht denn drin? –  Nein, nein, lesen Sie vor!“
    Der Hauptmann lächelte süßsauer und las: „'Lieber älterer Bruder, ich bin völlig ratlos. Weizenkorn will unbedingt nach Aun, und ich soll ihn dorthin bringen. Jemand hat ihm eingeredet, er könne seine Geliebte mit Waffen und Geld freikaufen. Allah akbar – Gott ist groß, aber meine Dummheit ist größer. In einer schwachen Sekunde habe ich zugesagt, und jetzt stehe ich zu meinem Wort, wie es sich für Mann unseres Stammes gehört. Ich habe ihm gesagt, dass sie ihn töten werden, wenn sie ihn in die Finger bekommen, denn er ist mittlerweile der am meisten gehasste Soldat in diesem Lande. Aber er lässt sich nicht beirren. Älterer Bruder, was rätst du mir? Diese Frau ist verloren, und soll er jetzt auch noch nutzlos geopfert werden? Ein Freund ist für die Liebe da, ein Bruder für die Not. So steht es geschrieben. Und jetzt bin ich in Not! Allah'... Und so weiter und so fort.“
   „Hmm... merkwürdig, sehr merkwürdig“, brummte der General. „Seit wann sorgt sich ein Einheimischer um das Leben eines ausländischen Soldaten?“
  „Eben. Es scheint das Protokoll einer Mail zu sein oder die Abschrift einer Botschaft. Anscheinend wollte sich dieser Omar absichern, falls etwas schief geht.“
   „Liegt denn eine Antwort des älteren Bruders vor?“
   „Ja. Und die ist noch seltsamer.“
   „Schießen Sie los!“
   „Auf meine Bitte hin sah sich unser Mann bei der Telekom etwas auf seinem Server um und lieferte mir auch gleich die Übersetzungen mit. Folgende Nachricht scheint mir interessant: 'Jüngerer Bruder, warum so verzagt? Erinnerst du dich noch an das Gotschfeld, in das wir vor zwei Jahren versehentlich geraten sind?'“
   „Was, pour diable, ist denn Gotsch?“
   „Gips.“
   „Gips? Verstehe ich nicht. Was hat denn der Oberst mit Gips zu schaffen?“   
   „Mon Général, fragen Sie mich was Leichteres!“
   „Wie dem auch sei, machen Sie mir unverzüglich eine Leitung zur amerikanischen Sektion! Der Drohnenangriff muss sofort gecanzelt werden!“
   Der General wollte nach seinem Feuerzeug greifen, doch der Hauptmann kam ihm zuvor. Er entzündete die Flamme und hielt sie dem General hin, der sich vorbeugte, den Zigarillo paffend in Brand setzte und sich dankend wieder zurücklehnte.
   Es wird wahrscheinlich demnächst ein Stühlerücken geben, dachte Stephan, und da kann es nicht schaden, wenn ich schon jetzt Position beziehe.  
   Macron paffte eine Weile vor sich hin, und es schien, als habe er den Hauptmann vollständig vergessen.
   Der hüstelte verlegen. „Mon Général?“
   Macron blickte ihn an und dachte: Arschloch! Laut sagte er: „Also dann, Stephan, die Leitung, bitte!“

                                                        *
   Weizenkorn spürte, wie ihm jemand zwei kräftige Ohrfeigen verpasste. Doch die Schmerzen in seiner Wange waren nichts verglichen mit dem, was sich gerade in seinem Hinterkopf tat. Es fühlte sich an, als meißele ihm jemand mit einem Bohrhammer die Schädeldecke auf.
   Eine ziemlich jugendlich klingende Stimme sagte auf Deutsch: „Den hat´s aber ordentlich erwischt!“ Darauf eine zweite: „Das sind Tiere, widerliche, stinkende Ratten, und dieser Mullah ist die Oberratte!“ Diese Stimme war sehr voluminös und ziemlich tief.
   Zum Zeichen, dass er noch lebe und keine gut gemeinten, aber schmerzhaften Wiederbelebungsversuche benötige, schlug der Oberst die Augen auf.
   „Na siehst du, da ist er schon wieder!“, sagte die erste Stimme, wider Erwarten die eines Mannes. Es klang geradezu erleichtert.
   Die beiden Männer richteten sich auf und blicken jetzt auf Weizenkorn herab. „Willkommen im Diesseits!“, sagte der Mann mit der Jungenstimme.
   Vorsichtig betastete der Oberst seinen Hinterkopf. Die Haare waren blutverkrustet, aber die Schädeldecke anscheinend unversehrt. Wie zur Bestätigung sagte jetzt der Mann mit der tiefen Stimme: „Wir haben schon nachgesehen! Eingeschlagen ist nichts.“
   Allmählich nahm die Umgebung für den Oberst wieder Konturen an, und er richtete sich, auf die Ellenbogen gestützt, stöhnend halb auf. Das eiserne Bettgestell, auf dem er lag, knarrte. Über sich sah er locker verlegte Dachpfannen, durch deren Ritzen die Sonne blinzelte. Der Raum besaß kein Fenster, die schimmernden Ritzen waren die einzige Lichtquelle.
  Der Nebel vor Weizenkorns Augen lichtete sich weiter, und er sah jetzt deutlich die beiden Gesichter, die ihn interessiert anstarrten. Es waren die unrasierten Gesichter zweier Männer. Das eine Gesicht, durch das Stakkato buschiger Augenbrauen stark konturiert, endete in einem wüsten Haarschopf, während das andere bemerkenswert kantig war und zerfurcht wie ein frisch gepflügter Acker. Die Gesichter lächelten ihm heiter zu, doch trotz seines desolaten Zustands erkannte der Oberst, dass hinter diesem Lächeln eine große Angst steckte.
   „Ich heiße Sven Steiner“, sagte jetzt der Mann mit der tiefen Stimme und dem zerfurchten Gesicht, „und das ist mein Kollege Harald Zimmermann. Und mit wem haben wir die Ehre?“
   Der Oberst überlegte einen Moment, ob er seinen richtigen Namen sagen sollte. Dann fiel ihm ein, dass er ja bereits enttarnt war. Er nannte seinen Namen und wollte sich weiter aufrichten, dofort schoss ihm ein stechender Schmerz ins Hirn, und er sackte wieder auf die Ellenbogen zurück.
   „Weizenkorn? Oberst Weizenkorn?“, fragte Steiner.
   „Ja. Genau der.“
    Steiner blickte seinen Kollegen bedeutungsschwer an.
   „Was ist?“, fragte der Oberst, dem der Blick nicht entgangen war.
   „Du bist wegen der gesteinigten Frau hier“, sagte Steiner.
   Weizenkorn blickte Steiner alarmiert an. "Wie kommst du denn darauf?"
   "Ich hörte, wie jemand von der Hure des blauäugigen Hundes sprach."
   Weizenkorn schloss die Augen. „Die Schweine haben es also tatsächlich getan", murmelte er. "Wann?“
   „Vor einer Woche, im Ruinenfeld von Gundum. Wir waren allerdings nicht dabei. Und dich haben sie schon erwartet.“
   „Ihr wart nicht dabei? Woher wisst ihr denn –“
   „Ihr Gerede war eindeutig, und sie wollten uns das Video zeigen. Aber wir haben abgelehnt.“
   „Das heißt, ihr wisst von der Hinrichtung nur vom Hörensagen?“
   „Ja.“
  Den Oberst durchzuckte ein heller Hoffnungsschimmer. Vielleicht war die ganze Hinrichtung ja nur ein teuflischer Bluff, um ihn hierher zu locken, festzusetzen und gegen gefangene Kämpfer auszutauschen! Wenn Taifan noch lebte, wo auch immer –  er würde sie finden und befreien. Er würde sogar noch einmal versuchen, das Lösegeld für sie aufzutreiben. Auf jeden Fall, und das war jetzt das Wichtigste, konnte der worst case vermieden werden.
  Aber sein klarer Menschenverstand sagte ihm: Es ist ein Tagtraum, ein süßer Wahn, der mich die Wirklichkeit für ein paar Sekunden vergessen lassen will. Um ganz sicher zu gehen, fragte er: „Haben sie den Namen der Frau genannt?“
  Steiner sah Zimmermann fragend an. „Harald, kannst du dich an einen Namen erinnern?“
   „Hmm... Wenn ich mich recht erinnere, hörte ich den Deutschen ein paarmal von einer... Taifen oder Taifun reden... Aber in welchem Zusammenhang weiß ich nicht.“
   Steiner sah, wie Weizenkorn in sich zusammensackte. „Kopf hoch, Kamerad!“, sagte er aufmunternd, „noch steht ja nichts fest! Vielleicht haben sie gar keine Frau gesteinigt, oder es war eine andere." Er senkte die Stimme. "Dieses Arschloch von Kalif ist ein großer Angeber. Im Zeitalter der fake news würde ich nichts glauben, was ich nicht mit meinen beiden Augen gesehen hätte.“
 Der Oberst betastete sein Hosenbein. Gottseidank, da war es noch, das Zigarettenetui. Seine Armbanduhr allerdings war verschwunden.
   Mühsam richtete er sich wieder auf. „Gibt es hier etwas zu trinken?“, fragte er mit trockenem Mund. Seltsamerweise war das Hämmern in seinem Schädel jetzt erträglicher als im Liegen. Außerdem hatte er das Gefühl, dass der Schmerz allmählich seine Position veränderte und vom Hinterkopf hinunter in den Nacken kroch.
  Zimmermann ging in einen Nebenraum. Nach kurzer Zeit kam er mit einem Becher Wasser zurück.
   „Ich verstehe diese Grausamkeiten nicht“, sagte Steiner, während er zusah, wie der Oberst trank. „Was wollen sie damit bezwecken?“  Er schüttelte ratlos den Kopf.
 „Es ist ja nicht nur das“, pflichtete der Oberst über den Becher hinweg bei. „Sie steinigen nicht nur Frauen... Sie peitschen sie auch noch öffentlich aus. Sie schneiden Ohren ab, sie amputieren Hände, sie verhängen drakonische Prügelstrafen, die kaum einer überlebt. In Saudi-Arabien wurde ein Blogger zu tausend Stockschägen verurteilt. Das ist doch Barbarei! Und alles im Namen Allahs! Dieser Islam ist eine furchtbare Religion und sollte verboten werden.“
   „Vorsicht Leute, Vorsicht“, mahnte Zimmermann und ließ sich auf einen wackligen Schemel neben dem wackligen Tisch fallen. „Das ist mir jetzt doch etwas zu pauschal gedacht.“
   „Wie? Höre ich recht?“, brauste Steiner auf, „willst du diese Verbrecher auch noch verteidigen?“
   „Nein. Aber ich will auf Folgendes hinweisen: Hier haben wir es mit dem harten Kern von Fundamentalisten zu tun, die anscheinend in einem bestimmten Entwicklungsabschnitt einer Religion immer wieder ihr Unwesen treiben. Es wird häufig übersehen, dass der Islam erst vor sechshundert Jahren mit der Flucht des Propheten aus Mekka Verbreitung fand. Nun rechnen wir mal sechshundert Jahre zurück. Wo landen wir denn da? Im vierzehnten Jahrhundert. Und wie sah es denn im vierzehnten Jahrhundert im christlichen Abendland aus, na? Ging es da etwa weniger grausam zu? Mitnichten! Beim Kampf um Sizilien zum Beispiel wurde gefangenen islamischen Kämpfern bei lebendigem Leib die Haut abgezogen, man band sie an Pfähle und ließ sie in der Sonne schmoren. Oder denkt an die Hexenverbrennungen, die jetzt begannen und sich über Jahrhunderte hinzogen. Dagegen ist eine Steinigung doch fast schon human. Ein gut gezielter Steinwurf, die Frau ist betäubt und merkt nicht mehr viel. Ein Tod auf dem Scheiterhaufen hingegen –“
   Bei den letzten Worten Zimmermanns war der Oberst rot angelaufen. „Was redest du da für einen hirnverbrannten Unsinn!“ rief er und wollte aufstehen. Doch sofort zwang ihn ein stechender Schmerz im Nacken wieder zurück aufs Bett.
  „Auch Religionen machen verschiedene Entwicklungsstufen durch, genau so wie die Menschen, die sie gemacht haben“, fuhr Zimmermann unbeeindruckt fort, „und man muss mit ihnen Geduld haben. Da ist zunächst die harmlose Kindheit, die durch das Neuartige, das Verheißungsvolle fasziniert. Doch bald wird sie erwachsen und das Liebäugeln mit der Macht beginnt: Die Religion verliert ihre Unschuld. Die hohen Ideale, mit denen sie bisher punkten konnte, stehen jetzt weitgehend nur noch auf dem Papier. Sie bekommt hässliche Pickel im Gesicht und verliert an Anziehungskraft. Nur noch mit Zwang lassen sich die Leute bekehren.
   Und jetzt schlägt die Stunde der Fundamentalisten, sprich: Die Rückbesinnung auf die angeblich ursprünglichen Werte setzt ein. Mit aller Macht wollen einige wackere Verfechter der reinen Lehre – die es übrigens nie gegeben hat, denn sowohl im Koran als auch in der Bibel stecken unterschiedliche Philosophien – der Verwässerung der religiösen Ideale entgegenwirken. Ihr Schwert ist zunächst das Wort, ihre Rüstung ein vorbildlicher Lebenswandel. Doch bald stellen sie fest, dass der Patient bereits todkrank und wohl nicht mehr zu retten ist. Also kapseln sie sich in Klöstern ein, bilden Orden und Geheimbünde, wie die Templer, die Jesuiten, die Taleban, die Mudshahidin und wie sie alle heißen.
   Mittlerweile hat die Religion das Greisenalter erreicht und ist nicht nur reich, sondern auch milde geworden. Sie zeigt jetzt sozusagen ihr menschliches Gesicht. Nun steht nicht mehr das Beharren auf Dogmen im Vordergrund, sondern das Einsammeln verlorener Schafe. Man nähert sich dem Zeitgeist an, in der Hoffnung, wieder mehr Akzeptanz zu gewinnen. Doch genau das Gegenteil tritt ein. Mit der Annäherung an den Zeitgeist verliert die Religion für viele den letzten Rest ihrer Glaubwürdigkeit. Und jetzt beginnt die letzte Phase: Wie eine Supernova am gestirnten Nachthimmel umgibt sie noch einmal mit vollem äußerem Glanz, um bald darauf als schwarzer Zwerg zu enden –“
  Steiner sprang auf. „Kackerdu-Gekakel!“ rief er energisch und bewusst falsch, „was du da schwafelst, Zimmermann – alles nur Kackerdu-Gekakel! Alles zu abgehoben! Das erklärt mir nicht, warum eine junge Muslima haufenweis´ Leute totschießt, wie jüngst in Amerika, und warum der Kalif von Dingsda – “
   „Aun!“
  „...ist doch scheißegal – eine junge Frau steinigen lässt, wie neulich, und dass einige Barbaren das Verbrechen auch noch filmen!“
   „Nun halt´ doch mal die Beine still! Das will ich ja gerade erklären!“
   „Dann aber gefälligst nicht so weitschweifig wie eben!“
   „Gut, ich werd´ mir Mühe geben. Also, das Problem ist, dass wir uns anscheinend wieder einmal nicht verstehen. Wenn ich Fundamentalist sage, meine ich  Fundamentalist, und nicht Extremist oder Bombenleger. Weder die Taleban noch die Mudshahidin sind als ursprünglich als Terroristen angetreten, wie jedermann weiß, der sich etwas in diesen dingen auskennt. Oder willst du den Papst in Rom etwa auch als Terroristen bezeichnen? Er ist ein Fundamentalist, der eisern an gewissen Dogmen festhält...“
   „Zum Beispiel am Zölibat und dadurch die eigenen Leute verschreckt.“
  „Die Kirche bezeichnet sich gerne als das Reisebüro Gottes“, fuhr Zimmermann ziemlich laut fort, und es hörte sich an, als stehe er auf einer Kirchenkanzel – „und die Priester als Gottes Agenten. Inzwischen habe ich den Eindruck, dass daraus eine Bank geworden ist mit den Priestern als Anlageberater.“
   „Traue eher einer Bärin, der die Jungen geraubt wurden, als einem Anlagebe –“
  „Herrgottnochmal, Steiner! Kannst du nicht einmal deine saudummen Bemerkungen sein lassen?“
  „Ich werd mir Mühe geben“, sagte Steiner, und zu Weizenkorn, augenzwinkernd: „Man merkt, dass er mal Pastor werden wollte!“
    Zimmermann schwieg beleidigt.
  „Übrigens, was meintest du eben, als du sagtest, man müsse mit dem Islam Geduld haben?“, fragte Steiner nach einer Weile.
   „Sagte ich Islam? Na gut... Kannst du dir das nicht denken? Der Islam ist sechshundert Jahre jünger als das Christentum. Also befindet er sich in einem Zustand wie das Christentum im vierzehnten Jahrhundert.“
   „Verstehe! Du meinst, in sechshundert Jahren ist der Islam ähnlich abgeklärt wie –“ Steiner grinste schelmisch. „So lange kann ich aber nicht warten! Übrigens, du hast meine Fragen noch nicht beantwortet.“
   Zimmermann dachte eine Weile nach. Dann sagte er: „Der Terrorismus ist eine Art Antwort auf permanente Ungerechtigkeiten.“
   Steiner brauste auf. „Ne, ne, mein Lieber! So billig kommst du mir nicht davon! Es geht nicht um den Terrorismus schlechthin, sondern um die junge Muslima, die zur Massenmörderin wird. Was veranlasst eine junge Frau, auf wildfremde Menschen zu schießen? Also, was sagt Eure Weisheit dazu?“
    „Aha! Das hört sich schon besser an!“ rief Zimmenmann, „die junge Muslima ist jetzt nur noch eine junge Frau! Dann frage ich dich, Euer Ehren: Warum erstaunt dich das? Oder meinst du, Frauen taugten nicht als Massenmörderinnen?“
   „Ich sag´ mal vorsichtig: Ja.“
   „Dann sag´ ich ganz bestimmt: Du bist ein Sozialromantiker. Du siehst den Mann als Kämpfer mit der Waffe in der Hand, die Frau als Ankerplatz der Familie und Hüterin des Herdes. Damit sprichst du den Fundis aller Couleur aus dem Herzen. Doch das Verbrechen kennt kein Geschlecht. Die Geschichte ist voll von mordenden Frauen. Die amerikanische Soziologin Ann Jone schrieb 1979: Die Geschichte der Frauen, die töten, ist die Geschichte der Frauen schlechthin. Frauen morden aus Rache, Habgier, Sadismus und vielerlei Gründen genau so wie Männer. Nur, die Wahrnehmung ihrer Taten in der Öffentlichkeit ist eine andere. Man will es einfach nicht glauben, dass, wie einst, eine Gräfin mehr als hundert junge Frauen umbringt, nur um in ihrem Blut zu baden, weil sie meinte, ihre Haut bleibe dadurch jung. Und dergleichen Abscheulichkeiten mehr.“
   „Woher hast du alle diese Weisheiten, mein Freund?“
 „Während du dir anscheinend Sesamstraße angucktest, habe ich mich weitergebildet!“
   Steiner lachte. „Das wird´s wohl sein! Aber mal im Ernst: Du meist also, diese Messerattacken und Mordanschläge seien kein spezifisch islamisches Problem, sondern –“
   „– das Problem abnorm veranlagter Männer und Frauen. Richtig. Der islamische Fundamentalismus bietet ihnen nur eine Plattform, vor der aus sie agieren können.“
   „Oder die Möglichkeit, ihre Untaten vor ihrem Gott, das heißt vor sich zu rechtfertigen.“ Steiner schüttelte den Kopf. „Trotzdem, das kann es doch nicht sein. So viele abnorm veranlagte Menschen gibt es doch gar nicht. Woher kommt dann dieser Zulauf?“
   „Nicht alle wollen töten! Viele halten sich im Hintergrund, als Kuriere, Logistiker, als Schläfer... Ich denke, es ist die Faszination der einfachen Regeln. Viele junge Leute finden sich in dieser unübersichtlichen Gesellschaft nicht mehr zurecht. Sie sehnen sich nach jemanden, der ihnen sagt: Das ist gut, das ist schlecht, das ist richtig, das ist falsch. Sie teilen die Welt in Schwarz und Weiß auf. Grautöne gibt es nicht. Deshalb lehnen viele ja auch die Demokratie ab. Sie enthält zu viele Zwischentöne und zu wenig einfache Antworten. Aber für komplizierte Probleme gibt es keine einfachen Antworten. Außerdem haben wir es neuerlich mit einem Paradoxon zu tun. Während im klassischen Rollenverständnis der Fundamentalisten die Frau ins Haus gehört, umgeben von einer Schar schreiender Hosenscheißer, wird sie jetzt in zunehmendem Maße als Kämpferin mit der Waffe in der Faust akzeptiert. Sieh es doch mal so...“      
  Weizenkorn saß mit hochrotem Kopf auf der Bettkante und massierte sich den Nacken. Plötzlich schnauzte er los.
   „Das ist doch alles Unsinn, was du da erzählst, Zimmermann! Diese Typen wollen keine einfachen Antworten, sondern Macht, Macht und nochmals Macht! Und da sie an die Macht auf legalem Wege nicht herankommen, versuchen sie, sie herbeizubomben. Und sie scheißen auf die Demokratie nicht wegen der Grautöne, sondern weil sie eine Erfindung der Christen ist.“   
    Zimmermann schwieg und griff nach seinem Tabakbeutel.
   „Warum so heftig, mein Freund?“, fragte Steiner. „Wenn du anderer Meinung bist, sag sie uns. Aber sag sie ruhig.“
   „Ach!“ Weizenkorn machte eine wegwerfende Handbewegung.
   Eine Weile herrschte Stille.
  „Sagt mal, ihr beiden Quatschköppe“, brummte der Oberst versöhnlich, „redet ihr immer so geschwollen daher? Und dann noch unter diesen Umständen?“
   Steiner lachte. „Was du geschwollenes Gerede nennst“, versetzte er gutmütig grinsend, „ist der verzweifelte Versuch, in diesem Dreckloch nicht vor Langeweile einzugehen. Wir haben noch andere hochinteressante Themen auf Lager. Wenn du willst –“
  „Bewahre! Erzählt mir lieber, warum sie uns auf diesem kochend heißen Dachboden einsperren und nicht im kühlen Keller! – Könnte ich auch ´ne Zigarette haben?“
    Zimmermann stand auf und steckte Weizenkorn eine zwischen die Zähne. „Feuer?“
   „Ja bitte!“
   „Der Keller ist verbunkert und dient dem Chef vons Janze als sicherer Zufluchtsort. Wir hier oben dienen ihm als persönliche Schutzschilde. Denn die Drohnen kommen von oben, nicht von unten. Und sicherlich hat Magomed dafür gesorgt, dass deine Freunde wissen, dass er uns hier oben gefangen hält. – Wie geht´s eigentlich deinem werten Schädel?“
  „Danke für die freundliche Nachfrage. Es wird langsam besser. Sagt mal, was für eine Terrorgruppierung ist das hier eigentlich?“
   „Eine Sektion des so genannten Islamischen Staates. Nennt sich 'Kalifat von Aun! Der aufgeblasene Knallkopf spielt den Kalifen.“
   Die Tür ging auf, und der Landsmann mit dem Feuermal erschien. „Herr Oberst Weizenkorn“, sagte er mit widerwärtigem Grinsen, „die Herren lassen bitten!“

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wunderkerze
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nicolailevin
Geschlecht:männlichEselsohr


Beiträge: 259
Wohnort: Süddeutschland


Beitrag02.07.2019 18:44

von nicolailevin
Antworten mit Zitat

Hallihallo,

hoffentlich liest außer uns beiden noch wer mit, der was draus ziehen kann, sonst könnten wir das auch per PN oder Mail machen ...

VG
Nico

Zitat:
Schon am frühen Nachmittag begannen die Männer, die Kamele zu beladen.


Zitat:
  – Mensch und Ziegen haben schon seit langem tabula rasa gemacht –


"tabula rasa machen" ist für mein Sprachempfinden ein bewusster Akt des Wegräumens. Dass kein Baum mehr da ist, hat so aber keiner gewollt, Entwaldung durch Übernutzung geht für mich nicht mit tabula rasa zusammen.

Zitat:
Findet man zufälligerweise doch noch einen kümmerlichern Baumstumpf, gräbt man ihn sorgfältig aus, zerkleinert ihn und verwendet ihn als Brennmaterial für das abendliche Lagerfeuer.


Landeskundliche Anekdote -> Infodump -> überflüssig -> weglassen

Zitat:
„Solch ein Pferd wie das da habe ich noch nie gesehen. Dabei kenne ich mich mit Pferden ziemlich gut aus. Meine Eltern betrieben bis zum Tod meines Vaters einen Pferdehof. Was ist das für eine Rasse?“


So einen Spruch würde ich in der Form von einem Pferdekenner nicht erwarten. Pferdezucht ist ein sehr regionales Ding und das heimische Spezialwissen anderswo wenig wert. So was wie globale Rassen gibt es nicht (Araber und englisches Vollblut und vielleicht argentinische Poloponys mal ausgenommen, die werden alle rund um den Globus herumgeschifft). Daher wird man immer, wenn man weit verreist, Pferdetypen finden, örtliche Züchtungen, deren Feinheiten einem völlig fremd sind. Darüber wundert sich aber der erfahrene Pferdefreund auch nicht groß ...

Zitat:
„Ja. Bevor ich nicht hundertprozentig sicher bin, kann ich es einfach nicht glauben. Vielleicht halten sie Taifan ja noch gefangen und versuchen, Informationen über mich aus ihr herauszupressen. Diese Ungewissheit macht mich noch wahnsinnig!“


Also weiß er es doch nicht! (siehe letzte oder vorletzte Lieferung)

Zitat:

   Der Shariff grinste geschmeichelt. „Danke! Nur, der Prophet empfahl nicht die Vielehe, er empfahl die Mehrehe! ...


Der folgende ganze "Dialog" ist wieder so ein belehrendes Schwadronieren, ein Fremdkörper, den ich als sehr störend empfinde. Wenn dir das Thema wichtig ist, bring es viel (!) subtiler in die Handlung rein. Sonst gehört es in einen separaten Essay, in dem du dich über Für und Wider von Polygamie und Verschleierung auslassen kannst!

Zitat:
Das Walky-Talky meldet sich.


Walkie-Talkie. Und meldete.

Zitat:
Du kannst gerne ein, zwei oder auch mehr meiner Frauen haben.


Erst schwafelt er einen von Selbstständigkeit und Honorarprofessorinnen - und der Oberst findet das klasse. Kaum rauchen sie was, schachern sie wüst um die Weiber fürs Bett. Diesen Schwenk kann ich nicht nachempfinden, den müsstest du mir besser glaubhaft machen.

Zitat:
denn die sedative Wirkung von Papaver somniferum – dem Schlafmohn – setzte ein,


Was soll das sinnfreie Geprotze mit dem botanischen Namen?
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Kiara
Geschlecht:männlichReißwolf

Alter: 44
Beiträge: 1404
Wohnort: bayerisch-Schwaben


Beitrag02.07.2019 18:52

von Kiara
Antworten mit Zitat

nicolailevin hat Folgendes geschrieben:
hoffentlich liest außer uns beiden noch wer mit, der was draus ziehen kann, sonst könnten wir das auch per PN oder Mail machen ...

Ich denke, da will keiner stören...mir geht es jedenfalls so. Da genieße ich lieber, dass Wunderkerze in dir einen Helfer gefunden hat und belasse es dabei - zumal es nicht einmal ein Genre ist, in dem ich so viel Zeit investieren würde/könnte/wollte, wie du es tust.
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wunderkerze
Eselsohr
W


Beiträge: 381



W
Beitrag03.07.2019 11:31
Fortsetzung
von wunderkerze
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Hallo Kiara

hmm... Der Kavallier genießt und schweigt... Ich habe schon lange den Verdacht, dass die Leute mehr an Nicos Komm. interessiert sind als an meinem Text. Na schön, dann ist es eben eine Co-Produktion. Im übrigen besitze ich eine hohe Frustrationstoleranz, sonst würde ich Hufeisen und nicht Sätze schmieden...


Hallo Nico,


Nico schreibt:
"tabula rasa machen" ist für mein Sprachempfinden ein bewusster Akt des Wegräumens. Dass kein Baum mehr da ist, hat so aber keiner gewollt, Entwaldung durch Übernutzung geht für mich nicht mit tabula rasa zusammen.

Alle in diesen Ländern wissen, dass die Ziegen, Schafe und Rinder die Landschaft ruinieren, und trotzdem halten sie sich z. T. riesige Herden. Das ist Raubbau, also bewusst.

Nico schrieb:
So einen Spruch würde ich in der Form von einem Pferdekenner nicht erwarten

Vielleicht, weil er mit dem Sh. im Gepräch bleiben will? Weil er echt interessiert ist? Ich hätte es so gemacht.

Nico schreibt:
Landeskundliche Anekdote -> Infodump -> überflüssig -> weglassen

Warum eigentlich? Eine kleine Info ab und zu kann doch nichts schaden! Wie heißt es so schön? Lesen bildet. Manchmal habe ich den Eindruck, dass die Leute alles werden wollen, nur nicht schlauer.


Nico schrieb:
Erst schwafelt er einen von Selbstständigkeit und Honorarprofessorinnen - und der Oberst findet das klasse. Kaum rauchen sie was, schachern sie wüst um die Weiber fürs Bett. Diesen Schwenk kann ich nicht nachempfinden, den müsstest du mir besser glaubhaft machen.

Irgendwo steht, dass Opium geil macht. Außerdem schachern nicht sie, sondern der Oberst.


Nico schrieb:
Was soll das sinnfreie Geprotze mit dem botanischen Namen?

s. o.

So.

Bevor ich die letzten Kap. einstelle, möchte ich dir, Nicolailevin, ganz herzlich danken. Es war für mich bisher unvorstellbar, dass sich jemand so viel Mühe mit einem so langen Text macht. Ich habe deinen Sachverstand geschätzt und besonders, dass du jede Polemik vermieden hast. Nochmals meinen Dank!

Fortsetzung

    Über dem Tisch hing eine Lampe mit einem zerbeulten Blechschirm, der nach den Farbresten zu urteilen einmal dunkelblau gewesen sein musste. Jetzt war er schmutzig grau. Die Birne brannte, obwohl draußen die helle Sonne schien. Da ein Großteil der Scheiben fehlte, hatte man einfach Pappstücke vor die Fenster geklebt, sodass es im Raum dementsprechend schummerig war.
   Magomed al Machani und seine 'Affen' saßen schon am Tisch unter der Lampe. Sie spielten Karten, dabei wurde gelacht und geflucht. Als Weizenkorn nähertrat, fragte Magomed ohne aufzuschauen und mit dem ironischen Unterton, den er sich offenbar im Umgang mit Gefangenen angewöhnt hatte: „Nun, Colonel, Sir, was macht dein Kopf?“
   „Es wird schon wieder“, sagte der Oberst mit unterkühlter Stimme. Er blickte den Terroristenchef herausfordernd an.
   „Das freut mich aber echt! Ich hatte schon befürchtet, du wachst nicht mehr auf. Nur ist manchmal etwas hitzig und übertreibt leicht. Setz dich doch!“
   Weizenkorn traute seinen Ohren nicht. „Nur?“, fragte er aufs Höchste erstaunt. „Der Bruder der jungen Frau, die ihr hier gefangen haltet?“ Noch hatte er die Hoffnung nicht aufgegeben, Taifan lebend wiederzusehen.
   „Was für ein Bruder welcher jungen Frau?“ Der Muskelberg lachte böse. „Fake! Wer hat dir denn das erzählt? Nur ist ein Agent der Terrormiliz 'Schwert des Islam', die dir ja nicht ganz unbekannt sein dürfte. Der nette Mullah, der dir gestern einen über den Schädel gegeben hat.“
   „Dieses Schwein! Und wo ist er jetzt?“
   „Wieder auf dem Rückweg, um deine Gefangennahme zu vermelden. Aber setz dich doch!“  
    „Erst, wenn du die Karten aus der Hand legst!“
   „Okay, okay!“
   Die Karten wurden beiseite gelegt, und der Oberst setzte sich. „Was willst du?“, fragte er.
   Der Anführer kniff verärgert die Augen zusammen. „Jetzt ist Schluss mit lustig! Die Fragen stelle ab jetzt ich, okay?“, grunzte er. „Ab sofort nennst du mich Kalif Sahib, verstanden!“ Er griff nach einer Zigarettenschachtel, die auf dem Tisch stand.  „Auch eine?“
   „Nein!“
   Kalif Sahib drehte sich in aller Ruhe ein Zigarette, wobei er seinen Gefangenen nicht aus den Augen ließ. Als er damit fertig war, steckte er sie sich zwischen die Lippen; eine seiner Kreaturen, der mit dem großen Kopf, beugte sich beflissen zu ihm hinüber und gab ihm Feuer.  
  „Soso, du bist also der Oberst Friedrich Weizenkorn vom Bundeswehrstützpunkt in Ghazani“, sagte Kalif Sahib paffend. „Nun ja, wir haben dich schon erwartet, Oberst, Sir. Nur hatte dich ja bereits angekündigt. Allerdings zwei Tage früher. Ist was passiert? Okay, okay, du brauchst es uns nicht erzählen, wir kriegen´s auch so raus. Im übrigen ahnte ich schon von Anfang an, dass du kein harmloser globetrotter bist, hahaha, sondern alles andere, nur kein Bummler. Rate mal, warum ich das ahnte. Na? Du kommst nicht drauf? Ich werd´s dir sagen! Weil du nicht wie ein harmloser Weltenbummler wirkst! Du wirkst eher wie eine Fassbombe kurz vor dem Aufschlag, hahaha!“
   Die Beisitzer grölten vor Vergnügen und hieben sich auf die Schenkel.
   „Du wolltest also bei uns mitmachen! Okay! Immer wieder kommen Leute, die bei uns mitmachen wollen, sogar aus Deutschland. Bisher haben wir auch noch niemand nach Hause geschickt, obwohl viele dieser Arschlöcher nach kurzer Zeit schon die Hosen voll haben. Ach ja, das sagte ich schon. Manche sind sogar ohne Umwege in den Himmel aufgefahren.“ Plötzlich nahm Mogamed die Zigarette aus dem Mund. Mit verzerrtem Gesicht brüllte er los. „Aber dich, dich werden wir zur Hölle schicken, und zwar ohne zu zögern! Hast du Affenschwein wirklich geglaubt, du könntest mich hinters Licht führen?“ Magomed schüttelte in gespieltem Unverständnis den Kopf. „Tss... tss... Du hast mich schwer enttäuscht, mein Lieber! Dein zweifelhafter Ruhm ist bereits bis hierher gedrungen, und ich hatte dich für etwas schlauer eingeschätzt! Da staunst du, was? Du bist als scharfer Hund verschrien, der notfalls über seine eigene Leiche geht, und wie ich jetzt gelernt habe, auch über die anderer Leute!“ Er lachte rasselnd. „Bei der erstbesten Gelegenheit hättest du mich und möglichst viele meiner Leute mit Blei vollgepumpt! O nein, Sir! Ich werde dir sagen, was du hier willst: Du willst deine jugendliche Geliebte, diese Hure, retten. Bleib gefälligst sitzen! Hast du wirklich geglaubt, wir würden die Frau gegen ein paar lumpige G36-Gewehre mit Ladehemmungen eintauschen? So dumm ist noch nicht einmal ein Warzenschwein im Zoo von Kabul, hahaha! Und im Vertrauen: Dazu ist es jetzt zu spät!“ Magomed rang nach Luft. „Allein deine Lügen würden schon reichen, um dir den Kopf abzuschlagen. Okay, okay! So weit sind wir noch nicht. Vorher will ich noch wissen, wo diese scheiß Gewehre geblieben sind, die du uns mitbringen wolltest. Also, wo sind diese Waffen?“
   Weizenkorn schwieg. Er rang gerade mit der Überlegung, ob es nicht besser sei, dieser fürchterlichen Qual schon jetzt ein Ende zu bereiten. Aber das wäre in seinen Augen nichts anderes als eine Art von Fahnenflucht. Deshalb blieb er standhaft. Er beschloss, den Kelch bis zur bitteren Neige zu leeren.
   „Antworte gefälligst!“, donnerte der Gewaltige.
   „Was weiß ich? Wahrscheinlich gestohlen! Ist das Geld wenigstens angekommen?“
   Kalif Sahib zog die Augenbrauen hoch. „Welches Geld?“
   „Spiel jetzt nicht den Komiker! Das Geld, das ich diesem Nur übergeben hatte! Die zehntausend Dollar!“
   „Du hast Nur zehntausend Dollar gegeben?“
   „Ja.“
   „Wofür, wenn diese bescheidene Frage erlaubt ist.“
   „Mann, denk doch mal nach! Du stellst Fragen!“
   Der Muskelberg schlug mit seiner fetten Faust auf den Tisch und brüllte: „Bei Allah! Wenn du dich hier weiter so aufführst, erlebst du den morgigen Tag nicht mehr!“ Mit der Zigarette im Mundwinkel fuhr er ruhiger fort: „Hier ist kein Geld angekommen. Da hat uns beide anscheinend jemand gewaltig hereingelegt!“ Er blickte den Oberst schadenfroh an. „Okay! Das passiert schon mal, wenn man nicht aufpasst und wie du über beide Ohren in eine blutjunge Frau verliebt ist! Diesen Nur kaufen wir uns noch! Hmm... Wie alt war sie eigentlich, die Kleine? Sechzehn? Siebzehn?  Erzähl´ mal, war sie gut im Bett?“
  Weizenkorn schnellte wütend hoch, doch er wurde von dem 'Landsmann' brutal wieder zurück auf seinen Stuhl gedrückt. Sofort schoss ihm ein stechender Schmerz in den Nacken.
  „Okay, okay, man darf doch wohl mal fragen! Tss... Tss... Mann! In deinem Alter! Schämst du dich nicht?“
   „Was versteht einer wie du schon von Liebe“, versetze der Oberst verächtlich.
   Draußen auf dem Platz wurde es lebhaft. Ein Getöse von Stimmen brandete auf, ein Schuss fiel, das Getrappel von Schuhen vieler Füße war zu hören. Es klang, als werde eine größere Menschenmenge mit Gewalt zusammengetrieben.
   „Also gestohlen!“, mischte sich jetzt der Landsmann ein, der immer noch hinter Weizenkorn stand. „Wann, wie, wo?“       
   Statt zu antworten fragte der Oberst: „Habt ihr Taifan gesteinigt? Ich muss es wissen.“
   „Ja. Sie hat es nicht anders verdient! Nachdem koranischen Gesetz –“
    Der Oberst sprang so heftig auf, dass sein Stuhl dem Deutschen schmerzhaft gegen die Schienbeine krachte. „Bleib mir mit deinem verfluchten koranischen Gesetz vom Leib, du Hund!“ schrie er aufs Äußerste aufgebracht, „du bist ein Schwein, ein gemeiner Sadist, ein –“
   Der Landsmann rammte Weizenkorn seine Pistole mit aller Kraft in den Rücken. Der Oberst fiel vornüber und schlug hart mit der Stirn auf den Tisch direkt vor den widerlich fleischigen Händen des Anführers auf. Er fühlte, wie das Blut aus der Platzwunde sickerte.
   „Nicht doch! Wer wird denn gleich umfallen!“, höhnte der Landsmann. „Los, setz dich wieder hin.“
   Weizenkorn ließ sich stöhnend auf den Stuhl, den ihm ein Kämpfer unterschob.
  Bisher hatte Weizenkorn immer noch gehofft, irgendwie eine andere Lösung zu finden. Denn schließlich besteht eine Hoffnung nicht in der Erwartung, dass alles gut wird, sondern in der Überzeugung, dass man das Schlimmste noch verhindern kann. Doch jetzt zeigte sich: Sein Plan, der Albtraum vieler durchwachter Nächte, erwies sich als alternativlos. Das Allerschlimmste, der Supergau, war eingetreten. Das Wichtigste war nun, er durfte jetzt nicht die Nerven verlieren. Wenn das Vorhaben gelingen sollte, musste er bis zur letzten Sekunde kühlen Kopf bewahren.
   Alle diese Überlegungen gingen dem Oberst blitzschnell durch den Kopf.
   Das Getöse unten auf dem Platz unten verstummte allmählich, jetzt war es fast ruhig.
  Der 'Kalif' wand sich keuchend von seinem Stuhl hoch. Mit einer einladenden Handbewegung trat er ans Fenster. „Komm mal her und schau dir das an“, sagte er und entfernte die Pappe, die als Ersatz für die fehlende Fensterscheibe diente.
  Weizenkorn war vor Schmerz unfähig, sich zu bewegen. Zwei Kämpfer griffen ihm unter die Arme, zerrten ihn hoch und schleiften ihn zum Fenster.
   Der Platz war schwarz von Menschen, Männer, Frauen, Kinder. Die Frauen waren  vollständig vermummt. In diesem Gewimmel war ein Areal von schätzungsweise zehn mal zehn Quadratmetern freigelassen, in dessen Mitte unbeweglich eine Gestalt in einem sackförmigen weißen Gewand stand. Kopf und Gesicht waren durch eine ebenfalls weiße Kapuze mit einem hohen Zipfel verdeckt. Neben ihm stand ein Mann mit einen langen, ziemlich robusten Stock in der Hand. Jetzt holte er zum Schlag aus; im nächsten Moment traf der Stock mit voller Wucht das Gesäß des Verurteilten. Der Schlag war weithin zu vernehmen gewesen. Nun holte er wieder aus und schlug kräftig zu. Die ersten zehn oder zwölf Schläge nahm der Mann lautlos und ohne sich merklich zu bewegen hin, bei den nächsten schwankte er zunächst leicht, dann stärker, schließlich fiel er um. Zwei Männer stellten ihn wieder auf die Beine; die Bestrafung wurde fortgesetzt. Das ganze wiederholte sich noch zwei Mal, dann wurde der wie leblos am Boden Liegende weggeschleift. Die Züchtigung war mit gespenstischer Lautlosigkeit von statten gegangen, weder der Geprügelte noch das Publikum hatte einen Laut von sich gegeben.
   Weizenkorn merkte, wie er unter den Achseln nass wurde. Während er sich mit dem Handrücken Blut und Schweiß von der Stirn wischte, vernahm er undeutlich Kalif Magodans  Stimme. „Nur zu deiner Information, Colonel, Sir“, hörte er wie aus weiter Ferne, „der Mann hat genau so wie du vorhin den Koran gelästert. Dafür erhält er fünfhundert Stockschläge! Hundert hat er schon erhalten. Wenn er wieder zu Kräften gekommen ist, wird die Bestrafung fortgesetzt.“ Der Terroristenchef blickte den Oberst mit widerlichem Grinsen von der Seite an. „Jetzt weißt du, was dir demnächst blüht.“        
   „Was ich jetzt sage, wird dich auch nicht erfreuen, Colonel“, knödelte der 'Landsmann', „die Leute da unten hat niemand gezwungen, sich das anzusehen.“
   Weizenkorn drehte sich zu ihm um. „Willst du mir etwa Angst machen? Das kannst du nicht! Du nicht!“ Er starrte Magomed al-Machani an. Jetzt sah er, dass dem Mann die Ohren fehlten. Seine verrutschte Mütze gab den Blick auf zwei runde Öffnungen frei. Das ist also der Grund, dachte der Oberst. Dieser furchtbare Mensch ist selbst einmal grausam bestraft worden. Seitdem nimmt er jede Gelegenheit wahr, um sich im Schutze der koranischen Gesetzte an unschuldigen Opfern zu rächen.
  Die Augen des Kalifen von eigenen Gnaden waren zwei hasserfüllte, giftgrüne Löcher in einer fast konturlosen Fleischmasse. „Bevor meine Leute dich auf den Dachboden zurückbringen“, sagte er gepresst, „solltest du dir noch etwas ansehen. Setzten wir uns doch wieder!“
   Auf dem Tisch stand ein aufgeklappter Laptop, der an eine Batterie angeschlossen war. Der kleine Kämpfer mit dem großen Kopf saß grinsend davor. Anscheinend amüsierte er sich köstlich. Sowie der Oberst saß, drehte er ihm das Laptop zu.
   In dem flimmernden Video war eine schwarz verhüllte Frau zu sehen, die an einen Pfahl gebunden war. Um den Pfahl herum standen mehrere schwarz vermummte Männer. Einer davon hielt anscheinend eine Rede oder Ansprache. Dann banden sie die Frau los und versenkten sie bis zu Hals in einer Grube. Jetzt traten die Männer zurück, zwei andere traten vor. Sie hoben große, runde Steine hoch und holten zum Wurf aus. Der Oberst hörte jetzt deutlich, wie die Frau auf Pashto rief: „Fidisahib, ich liebe dich!“
   Weizenkorns Hand schnellte vor. Ehe jemand reagieren konnte, klappte er das Laptop zu. „Das reicht!“, krächzte er. Er fühlte sich, als müsse er jeden Moment vor  Wut und Hass bersten.
   „Zart besaitet, Mister, he?“, höhnte der Kalif.
   „Du und deine Meute“, würgte der Oberst hervor fast besinnungslos vor Wut und Enttäuschung hervor, „ihr seid nichts als assholes, scared pants, mucky pups“ – hier versagte sein Englisch, und er fuhr auf Deutsch fort – „elende Schweinehunde, für die eine Kugel noch zu schade ist!“
   „Nicht doch, nicht doch! Weißt du, dass du mir und meiner Meute bitter unrecht tust? Okay, okay, so eine Steinigung ist nicht jedermanns Sache. Aber du musst wissen, im Vergleich zu dem, wie Ehebrecherinnen früher bei den Beduinen Nordafrikas hingerichtet wurden, ist unsere Methode geradezu human. Dort wurden sie unbekleidet an einen Pfahl gebunden, und man ließ sie in der Sonne schmoren, bis sie den Geist aufgaben. Du hast doch eben selbst gesehen: Ein ordentlich gezielter Steinwurf – “
  Weizenkorn, rasend vor Wut, schrie: „Spar dir deine Belehrungen, du widerwärtiger Sauhund, du – du –“ Er wollte aufspringen, doch wieder drückte ihn der 'Landsmann' brutal auf den Stuhl zurück.    
   Der Hass, der jetzt brennend heiß in ihm aufstieg, war kein gewöhnlicher Hass, wie man ihn im Alltag zum Beispiel Personen  gegenüber aufbringt, die einen tief verletzt haben. Dieser Hass, der sich jetzt auf das widerlich grinsende Gesicht des gnomenhaften Kämpfers mit dem unmöglich großen Kopf fokussierte, dieser furchtbare Hass gab dem Oberst die Kraft, seinen Plan bis zum bitteren Ende durchzuziehen. Mit übermenschlicher Anstrengung zwang er sich zur Ruhe.
   „Jetzt brauch ich erst einmal was zu rauchen“, sagte er scheinbar leichthin, aber zitternd vor innerer Anspannung.
   Der Kalif und die anderen Kämpfer blickte Weizenkorn mit ungläubigem Staunen an. Verblüffung spiegelte sich auf ihren Gesichtern. Mit allem hatten sie gerechnet, nur nicht mit dem Bedürfnis zu rauchen. Dieser Oberst ist doch ein eiskalter Hund! Wer hätte das gedacht! In der Tat: Diese Kaltblütigkeit übertraf alles, was sie bisher in ihrem elenden Dasein erlebt hatten. Fast gegen seinen Willen bot al-Machani Weizenkorn eine Zigarette an.
   Doch der winkte ab und zog sein Zigarettenetui hervor.
  „Kann mir mal jemand Feuer geben?“, fragte er. Dabei blickte er den kleinen
 Kämpfer mit dem großen Kopf eindringlich in die Augen. Wie hypnotisiert riss der ein Zündholz an und hielt es dem Oberst hin. Weizenkorn kam dem Kleinen entgegen, und für einen Moment sah es so aus, als wollten sie friedlich die Köpfe zusammenstecken. Weizenkorn tat, als wolle er dem Etui eine Zigarette entnehmen, und klappte es auf. Doch plötzlich machte er eine jähe Bewegung und hielt das Etui direkt in die Streichholzflamme.
   Der Oberst und der kleine Kämpfer mit dem großen Kopf wurden durch die Wucht der Detonation von ihren Stühlen gerissen und waren sofort tot. Der Kalif, der etwas weiter weg gesessen hatte, erlag einen Tag später seinen schweren Lungenverletzungen. Vergleichsweise glimpflich kam der 'Landsmann' am Fenster davon. Die Druckwelle zerriss ihm die Trommelfelle. Die Tür flog krachend aus den Angeln, die Fensterpappen sausten durch die Luft und segelten auf den Platz, auf dem eben noch die Bestrafung stattgefunden hatte. Der Kämpfer Islam hatte Glück und kam mit dem Schrecken davon: Er war gerade hinaus gegangen, um seine Notdurft zu verrichten.

                                                              29

   Der Achal-Tekkiner löste sich aus der Karawane und trabte auf eine leicht abseits gelegene Anhöhe zu. Oben angekommen, zügelte Feisal Shariff sein Pferd. Der Rappe stand schnaubend still.    
   Während die Karawane langsam weiterzog, überblickte der Clanchef das weite Tal.   Obwohl er niemals an der Existenz Gottes gezweifelt hatte – dieser Anblick bewies ihm: Allah lebt, und er meint es gut mit den Menschen.
   Vor ihm breitete sich ein unüberschaubares Meer sattgrüner Palmen aus, überragt von einzelnen hohen Eukalyptusbäumen. Dazwischen schimmerten hell die Häuser der Dörfer. Er kannte sie alle mit Namen: Dshulum, Spindhaq, Peshqala, Gurunke, Pindar... Und mitten drin, von der Abendsonne rosa überhaucht, die Türme der Großen Moschee von Zhuqrum. Durch dieses Oasenwunder zog sich flimmernd der Heriant wie eine Straße aus flüssigem Silber. In weiter Ferne erglühten die kahlen Gipfel des Randhum-Gebirges, und der Himmel darüber war überzogen von einer Vielzahl köstlich-wolkiger Farberscheinungen.   
  Feisal Shariff sog diesen Anblick ein wie ein Verdurstender Wasser aus einem Schwamm.
   Ein Geländewagen näherte sich in rascher Fahrt, eine riesige Staubwolke hinter sich herziehend. Der Wagen stoppte am Fuße des Hügels, und der Fahrer stieg aus. Er winkte Feisal zu, der daraufhin sein Pferd parierte und auf ihn zuritt.
   „Salam aleikum!“, rief der Mann, ein Leutnant der Bezirkspolizei.
   „Salam aleikum!“, erwiderte der Shariff. „Was gibt´s, Zulfikar?“
  „Feisal, hast du zufällig ein Mann mit blauen Augen mitgenommen, einen deutschen Oberst von der Garnison in Ghazani?“
   „Wie soll der denn heißen?“
   „Friedrich Weizenkorn.“
  „Freilich! Einen Friedrich mit himmelblauen Augen habe ich heute morgen am Hungerwadi abgesetzt. Mittlerweile dürfte er schon in Aun sein. Da wollte er unbedingt hin.“  
   „Nach Aun? Ins Gebiet des Kalifen? Ja ist der Mann denn wahnsinnig! Hat er dir gesagt, was er dort will?“
   „Andeutungsweise. Er will eine Frau aus den Händen der Terroristen befreien.“
   „Im Alleingang?“
   „So sieht´s wohl aus.“
   Der Leutnant schüttelte ungläubig den Kopf. „Auf Ideen kommen diese Leute! Na schön, ich werd´s weitermelden. Ach übrigens, Feisal, weißt du, dass eine große Herbstoffensive der Alliierten bevorsteht?“
   „Ich höre Nachrichten!“
    „Na dann! Gute Reise!“
   Feisal Shariff verließ die Anhöhe und ritt in die Herden hinein. Eine stolze Gestalt, das Gewehr abwehrbereit über dem Sattelknopf, den blitzenden Säbel an der Seite. Bald war er von meckernden der Ziegen, von blökenden Schafen, von kläffenden Hunden umgeben. Das muntere Ho! und Hei! der Hütejungen gab dazu den Takt.
   Der Stammesführer winkte den bewaffneten Männern der Nachhut zu, dann löste er sich aus dem Gewusel und trabte an die Spitze des Zuges. Die Hufe des Achal-Tekkiners setzten kleine, luftige Staubwölkchen frei.
  Was auch immer passiert, dachte er, niemand wird mich von diesem Weg abbringen, denn es ist der richtige Weg. Es ist der Weg der Karawane.  

                                                    ENDE


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nicolailevin
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Beitrag09.07.2019 19:29

von nicolailevin
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Guten Abend,

hier meine wöchentliche Ration an Taifanrückmeldungen.

VG
Nico

Zitat:
„Harit ben Aun, der Häuptling des mächtigen Morra-Stammes,


Zitat:
Weizenkorn trat ans Fenster, nahm die Brille ab und blickte nach draußen. Der verwitterten Steinfigur, die den Dorfbrunnen zierte, fehlte der Kopf.


Wenn das Land historisch muslimisch geprägt ist, wird den Brunnen keine Steinfigur zieren, auch aus dem buddhistischen Kulturraum kenne ich derartige Brunnen mit Figur nicht, das ist eine europäisch-christliche Spezialität. Jetzt wirst du einwenden, dass den Brunnen halt irgendein europäischer Kolonialbaumeister da hingestellt hat - und ich sag dir dann, dass du das eben beiläufig erwähnen solltest.

Zitat:
Keines der Gebäude, die den ziemlich geräumigen Marktplatz umstanden, war ohne Kriegsschäden. Granatsplitter hatten tiefe Löcher in den Putz geschlagen, überall vernagelte Fensterhöhlen mit zersplitterten Scheiben, Dächer, teilweise abgedeckt,  erlaubten den schamlosen Blick in die Innereien intimer Zimmer. Und doch schienen alle Häuser bewohnt, denn überall hing an langen Leinen Wäsche zum trocknen.


Kleiner Stilbruch, weil dieser Absatz deutlich lyrischer rüberkommt als der Rest des Texts, ich finds aber in sich gelungen. Das mit dem intimen Blick gefällt mir richtig gut und trifft mein Empfinden beim Betrachten von derartigen Kriegsbildern!

Zitat:
Auffallend war auch die Öde des Platzes. Bis auf zwei vermummte Frauen, die neben einer Haustür hockten und sich anscheinend stritten, war der Platz menschenleer. Mit ihren gestikulierenden Armen glichen sie schnabellosen Raben, die auffliegen wollen, es aber nicht können. Ein Holzpfahl in der Mitte des Platzes ließ in Weizenkorn sofort ungute Gefühle hochkommen.


Da wirds mir jetzt zuviel Lyrik. Allerspätestens vor den schnabellosen Raben musst du wieder auf die Spur zurück nach meinem Empfinden. Und ich beiß mich an der Öde. Öde ist was Monotones im Betrachten oder Erleben, aber die interessant anzusehenden Kriegswunden nehmen dem Blick hier für meine Begriffe das Element des Öden.

Zitat:
war der Raum von lustloser Einöde.


Einöde passt hier gar nicht. Einöde ist eine (abgelegene) Einzelsiedlung. Meinst du Eintönigkeit?

Zitat:
Über ihm wetzte der Henker den rostigen Säbel,


Rostig? Das zieht es doch eher ins Humorig-Lächerliche ... Wäre blinkend oder glänzend nicht bedrohlicher?

Zitat:
Der Tonfall dieses Krieger Gottes war jetzt alles andere als landsmannschaftlich.


Kriegers? Ist doch Genitiv ... Was verstehst du unter einem 'landsmannschaftlichen Tonfall'? Wohlwollen im Tonfall von wegen Deutsch zu Deutsch? Oder dass man keinen regionalen Akzent raushören kann?

Zitat:
Seine Oberarme, fett wie Mastschweine


Arm und Schwein, das geht irgendwie visuell nicht zusammen. Fett wie die Haxe eines Mastschweins?

Zitat:
Du bist also ein globetrotter, der an einer schmerzhaften Überempfindlichkeit der Netzhaut leidet!


Diese "Überempfindlichkeit der Netzhaut" zweimal, ich weiß nicht, das kommt so holprig als technischer Fremdkörper im Textfluss. Kann er nicht einfach eine schlichte Augenentzündung reklamieren?

Zitat:
Weißenkoon!“ rief der und sprang auf, „der blauäugige Oberst! Ich hab´s doch geahnt! Das Theater mit der Augenkrankheit kam mir gleich verdächtig vor! Ha, endlich haben wir dich!“


Der ganze Dialog, der auf diese doch dramatische Enttarnung hinführt, ist bemerkenswert unspannend. Das tröpfelt so dahin, und wuppdich, reißen sie ihm die Brille von der Nase. Da gehören entweder Unheilsboten rein oder Angstelemente bei Weizenkorn. So ist es zu gerade, da fehlt der Spannungsbogen.

Zitat:
„knall ich dich ohne mit der Wimper zu zucken ab! Wenn es sein muss, gehe ich auch über die Leichen von euch Dreckskerlen! Und jetzt setzt du dich schön wieder hin und hältst die Beine still.“


"ohne mit der Wimper zu zucken" klingt way too much. In höchster Aufregung redet man so nicht. Ein einfaches "knall ich dich ab" würde ich erwarten, und das tut doch voll und ganz seine Wirkung. "und euch Dreckskerle dazu" hinterher und gut ists.

Zitat:
In diesem Moment war der Oberst die Kaltblütigkeit selbst. Sein Gehirn arbeitete  völlig emotionslos wie ein perfekt programmierter Computer. Diese enorme Besonnenheit, diese absolute Beherrschung auch des kleinsten Muskels im Anblick höchster Gefahr war etwas, das man auf keiner Bundeswehrakademie lernen konnte. Es war eine Gabe, die ihm in die Wiege gelegt worden war. Und wegen dieser Gabe, die nach Erprobung schrie, hatte er sich zum Kriegsdienst gemeldet.


Show. Don't tell! Bzw. lass es! Dass er sich in dieser Situation nichts scheißt, haben wir Leser schon begriffen und seine Bundeswehrhochschulkarriere interessiert uns jetzt mal gar nicht. Wir wollen wissen, wie's weitergeht!
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nicolailevin
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Beitrag16.07.2019 20:42

von nicolailevin
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Liebe wunderkerze, liebe stille Mitleser/innen

hier der nächste Packen Taifan

VG
Nico

Zitat:
General Macron saß über seinen Schreibtisch gebeugt und studierte die Einsatzpläne für die Offensive Hot Autumn – Heißer Herbst.


Zitat:
befindet sich in dem Dorf Aun etwa zweihundertfünfzig Kilometer südöstlich von hier“,


"in einem Dorf namens Aun" klingt mir näherliegend. Sonst wirkt es auf mich, als kenne er das Dorf genau.

Zitat:
in einem Geheimfach von Omar Nazrullahs Schreibtisch.


Vielleicht war ich nicht konzentriert genug, aber mir sagt der Name nix mehr. Sicherheitshalber check bitte mal, wann Omar Nazrullah das letzte Mal erwähnt wurde. Ggf. nochmal erläutern, wer das ist.

Zitat:
Ich wurde stutzig, als ich in der ersten Zeile den Namen WEIZENKORN in lateinische Großbuchstaben las. Es brauchte eine Weile, bis ich für den Rest einen Übersetzer fand, denn der Text ist in einer der zweihundert kryptischen Sprachen diese Landes verfasst. Hier, sehen Sie selbst!“
   Er überreichte Macron das Schriftstück, der es kopfschüttelnd ansah.
   „Dieses arabische Gekritzel werde ich nie begreifen“, meinte er trocken. „Und was bedeutet das nun?“
   „Nichts Gutes, mon Général!“
   „Mon dieu! Was steht denn drin? –  Nein, nein, lesen Sie vor!“


Hä? Hat er das jetzt vom Kryptischen ins Arabische Gekritzel übersetzen lassen? Auf einem separaten Zettel? Und von welchem Zettel liest der Hauptmann jetzt welche Version vor?

Zitat:
Allah akbar – Gott ist groß


Wenn das die übersetzte Version ist, musst du dir die Dopplung sparen.

Zitat:

   Der General wollte nach seinem Feuerzeug greifen, doch der Hauptmann kam ihm zuvor. Er entzündete die Flamme und hielt sie dem General hin, der sich vorbeugte, den Zigarillo paffend in Brand setzte und sich dankend wieder zurücklehnte.
   Es wird wahrscheinlich demnächst ein Stühlerücken geben, dachte Stephan, und da kann es nicht schaden, wenn ich schon jetzt Position beziehe.  
   Macron paffte eine Weile vor sich hin, und es schien, als habe er den Hauptmann vollständig vergessen.
   Der hüstelte verlegen. „Mon Général?“
   Macron blickte ihn an und dachte: Arschloch! Laut sagte er: „Also dann, Stephan, die Leitung, bitte!“


Wieder so ein Perspektivending: Du schlüpfst hier in den Blickwinkel einer ziemlich unbedeutenden Nebenfigur. Ich finds unglücklich ...

Zitat:
Doch die Schmerzen in seiner Wange waren nichts verglichen mit dem, was sich gerade in seinem Hinterkopf tat.


Ich würde nach einer Ohrfeige Schmerzen *auf* der Wange vermuten, nicht darin. Das brennt doch außen, wo es hingeknallt hat.

Zitat:
Das eine Gesicht, durch das Stakkato buschiger Augenbrauen stark konturiert,


Stakkato buschiger Augenbrauen? Originell, aber aus meiner Sicht daneben. Stakkato ist was Abgehacktes, Lückenhaftes. Ein unvollständiges Gebiss könnte Stakkato sein, aber das kompakte Wuchern von Haarbüscheln?

Zitat:
zerfurcht wie ein frisch gepflügter Acker.


Das passt und ist gut.

Zitat:
Die Gesichter lächelten ihm heiter zu, doch trotz seines desolaten Zustands erkannte der Oberst, dass hinter diesem Lächeln eine große Angst steckte.


Show. Don't tell. Woran erkennt er die Angst?

Zitat:
„Ich heiße Sven Steiner“, sagte jetzt der Mann mit der tiefen Stimme und dem zerfurchten Gesicht, „und das ist mein Kollege Harald Zimmermann. Und mit wem haben wir die Ehre?“


Ich würde in dieser Situation erwarten, dass die Knaben nur ihre Vornamen nennen.

Zitat:

    „Vor einer Woche, im Ruinenfeld von Gundum. Wir waren allerdings nicht dabei. Und dich haben sie schon erwartet.“
   „Ihr wart nicht dabei? Woher wisst ihr denn –“
   „Ihr Gerede war eindeutig, und sie wollten uns das Video zeigen. Aber wir haben abgelehnt.“
   „Das heißt, ihr wisst von der Hinrichtung nur vom Hörensagen?“
   „Ja.“


Nur um rauszuarbeiten, dass die beiden nicht dabei waren, ist mir das viel zu umständlich. Sie waren nicht dabei. Punkt.

Zitat:
Steiner sah, wie Weizenkorn in sich zusammensackte. „Kopf hoch, Kamerad!“, sagte er aufmunternd, „noch steht ja nichts fest! Vielleicht haben sie gar keine Frau gesteinigt, oder es war eine andere." Er senkte die Stimme. "Dieses Arschloch von Kalif ist ein großer Angeber. Im Zeitalter der fake news würde ich nichts glauben, was ich nicht mit meinen beiden Augen gesehen hätte.“


Das ist mir zu telepathisch, dass der Typ genau Weizenkorns gedachte Einwände aufnimmt und weitertreibt. Das braucht es an der Stelle für meine Begriffe auch gar nicht. Den beiden wird es ja egal sein, wer da gesteinigt wurde oder nicht ...

Zitat:
„Ich verstehe diese Grausamkeiten nicht“, sagte Steiner, während er zusah, wie der Oberst trank. „Was wollen sie damit bezwecken?“  Er schüttelte ratlos den Kopf.
 „Es ist ja nicht nur das“, pflichtete der Oberst über den Becher hinweg bei. „Sie steinigen nicht nur Frauen... Sie peitschen sie auch noch öffentlich aus ...


Du ahnst es: Diese patronisierend-besserwisserischen Debatten rauslassen! Das Belehrende ist zu offensichtlich, ein Fremdkörper, zu wenig eingebettet in die Handlung. Wer deine Geschichte liest, weiß das alles entweder schon - und ärgert sich - oder es interessiert ihn nicht - dann ärgert er sich erst recht.

Zitat:
„Dann sag´ ich ganz bestimmt: Du bist ein Sozialromantiker. Du siehst den Mann als Kämpfer mit der Waffe in der Hand, die Frau als Ankerplatz der Familie und Hüterin des Herdes. Damit sprichst du den Fundis aller Couleur aus dem Herzen. Doch das Verbrechen kennt kein Geschlecht. Die Geschichte ist voll von mordenden Frauen. Die amerikanische Soziologin Ann Jone schrieb 1979: Die Geschichte der Frauen, die töten, ist die Geschichte der Frauen schlechthin. Frauen morden aus Rache, Habgier, Sadismus und vielerlei Gründen genau so wie Männer. Nur, die Wahrnehmung ihrer Taten in der Öffentlichkeit ist eine andere. Man will es einfach nicht glauben, dass, wie einst, eine Gräfin mehr als hundert junge Frauen umbringt, nur um in ihrem Blut zu baden, weil sie meinte, ihre Haut bleibe dadurch jung. Und dergleichen Abscheulichkeiten mehr.“


<atmettiefdurchumdiefassungzubehalten> Sorry, aber hier driftet es auf eine Weise in eine Themaverfehlung ab, die schon fast nach Parodie klingt ...

Zitat:
„Sagt mal, ihr beiden Quatschköppe“, brummte der Oberst versöhnlich, „redet ihr immer so geschwollen daher? Und dann noch unter diesen Umständen?“


Okay, ab hier wirds wieder normal. Aber alles oberhalb dieses Satzes kann, soll und muss ersatzlos raus und in deinen Ordner für kluge Essays wandern.

Zitat:
dient dem Chef vons Janze als sicherer Zufluchtsort.


Da bin ich natürlich drüber gestolpert, weil ich Janze erstmal als lampukischen Provinznamen gelesen habe. Der Sprecher sollte vielleicht vorher schon stärker berlinern, wenn du das drinhaben willst und ich würde "Chef von det Janze" umschreiben, dann ist man als Leser eher präpariert ...

Zitat:
„Herr Oberst Weizenkorn“, sagte er mit widerwärtigem Grinsen, „die Herren lassen bitten!“


Widerwärtig finde ich schwach. Warum widerwärtig? Was löst die Abscheu konkret aus?
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nicolailevin
Geschlecht:männlichEselsohr


Beiträge: 259
Wohnort: Süddeutschland


Beitrag30.07.2019 20:00

von nicolailevin
Antworten mit Zitat

Guten Abend zusammen,

 
Zitat:
Über dem Tisch hing eine Lampe mit einem zerbeulten Blechschirm, der nach den Farbresten zu urteilen einmal dunkelblau gewesen sein musste.


Zitat:
Er griff nach einer Zigarettenschachtel, die auf dem Tisch stand.  „Auch eine?“
   „Nein!“
   Kalif Sahib drehte sich in aller Ruhe ein Zigarette,


Zigaretten in Schachteln sind schon fertig gedreht. Zum Selberdrehen benötigt man einen Beutel mit Tabak, ein Heft mit Zigarettenpapieren und ggf. ein Schächtelchen mit Filtern.

Zitat:
obwohl viele dieser Arschlöcher nach kurzer Zeit schon die Hosen voll haben.


Arschlöcher, die die Hosen voll haben? Das geht bildlich nicht zusammen. Smile

Zitat:
das Getrappel von Schuhen vieler Füße war zu hören.


Entweder Schuhgetrappel oder vielfußiges Getrappel. Zweistufig (Fuß im Schuh trappelt) klingt das unnötig kompliziert.

Zitat:
Es klang, als werde eine größere Menschenmenge mit Gewalt zusammengetrieben.


Woran hört man das Gewaltsame?

Zitat:
„Also gestohlen!“, mischte sich jetzt der Landsmann ein, der immer noch hinter Weizenkorn stand. „Wann, wie, wo?“


Was gestohlen? Weizenkorns Herz? Oder die zehntausend? Das kommt irgendwie unmotiviert nachgeschoben in einen längst abgeschlossenen Dialog.

Zitat:
Der Oberst sprang so heftig auf, dass sein Stuhl dem Deutschen schmerzhaft gegen die Schienbeine krachte.


Perspektivisch unglücklich, da der Oberst die Schmerzen des anderen nur erahnen kann.

Zitat:
Alle diese Überlegungen gingen dem Oberst blitzschnell durch den Kopf.


Überflüssig.

Zitat:
Jetzt sah er, dass dem Mann die Ohren fehlten. Seine verrutschte Mütze gab den Blick auf zwei runde Öffnungen frei. Das ist also der Grund, dachte der Oberst. Dieser furchtbare Mensch ist selbst einmal grausam bestraft worden. Seitdem nimmt er jede Gelegenheit wahr, um sich im Schutze der koranischen Gesetzte an unschuldigen Opfern zu rächen.


Das kommt für meine Begriffe zu plump an der Stelle. Die Grausamkeit. Und zack, die Erklärung hintennach. Unelegant irgendwie ...

Zitat:
Die Augen des Kalifen von eigenen Gnaden waren zwei hasserfüllte, giftgrüne Löcher in einer fast konturlosen Fleischmasse.


Löcher sind offen, man kann hineinschauen. Das geht beim Auge nicht. Die ganze Beschreibung klingt so'n bisschen lustlos hingeworfen; das kannst du bestimmt treffender und exakter.

Zitat:
„Nicht doch, nicht doch! Weißt du, dass du mir und meiner Meute bitter unrecht tust? Okay, okay, so eine Steinigung ist nicht jedermanns Sache. Aber du musst wissen, im Vergleich zu dem, wie Ehebrecherinnen früher bei den Beduinen Nordafrikas hingerichtet wurden, ist unsere Methode geradezu human. Dort wurden sie unbekleidet an einen Pfahl gebunden, und man ließ sie in der Sonne schmoren, bis sie den Geist aufgaben. Du hast doch eben selbst gesehen: Ein ordentlich gezielter Steinwurf – “


Ach, komm! Wenn du hier den Sadismus des Schurken auskosten willst, dann findet sich da doch was Besseres als eine Lektion über Beduinenbräuche ... (Mit der ewigen Belehrerei kostest du höchstens den Sadismus gegenüber den Lesern aus ... Wink )

Zitat:
Weizenkorn, rasend vor Wut, schrie


Rein in den Kopf von Weizenkorn und dann austoben! "rasend vor Wut" ist generisch und "schrie" ist schwach. Hey! Der Typ ist gerade kurz vorm Durchdrehen, der verliert fast den Verstand, da ist ja nicht nur Wut, sondern auch Empörung, verletzte Liebe, sich aufbäumende Machtlosigkeit, Frustration hoch sieben - Da kannst du doch eine psychedelische tour de force durch seine Gedanken- und Gefühlswindungen gehen!

Zitat:
Der Hass, der jetzt brennend heiß in ihm aufstieg, war kein gewöhnlicher Hass, wie man ihn im Alltag zum Beispiel Personen  gegenüber aufbringt, die einen tief verletzt haben. Dieser Hass, der sich jetzt auf das widerlich grinsende Gesicht des gnomenhaften Kämpfers mit dem unmöglich großen Kopf fokussierte, dieser furchtbare Hass gab dem Oberst die Kraft, seinen Plan bis zum bitteren Ende durchzuziehen. Mit übermenschlicher Anstrengung zwang er sich zur Ruhe.


Stattdessen beschreibst du da ganz ruhig, in welchen Typus du seinen Hass klassifizieren willst ...

Zitat:
„Jetzt brauch ich erst einmal was zu rauchen“, sagte er scheinbar leichthin, aber zitternd vor innerer Anspannung.
   Der Kalif und die anderen Kämpfer blickte Weizenkorn mit ungläubigem Staunen an. Verblüffung spiegelte sich auf ihren Gesichtern. Mit allem hatten sie gerechnet, nur nicht mit dem Bedürfnis zu rauchen. Dieser Oberst ist doch ein eiskalter Hund! Wer hätte das gedacht! In der Tat: Diese Kaltblütigkeit übertraf alles, was sie bisher in ihrem elenden Dasein erlebt hatten.


Die Reaktion erscheint mir unplausibel. Aus Sicht der anderen stellt sich die Szene so dar: Der Oberst regt sich auf, dann bekommt er sich wieder in den Griff, und dann braucht er als Raucher eben eine Zigarette. Klingt mir völlig schlüssig und keineswegs auffällig.

Zitat:
Der Oberst und der kleine Kämpfer mit dem großen Kopf wurden durch die Wucht der Detonation von ihren Stühlen gerissen und waren sofort tot. Der Kalif, der etwas weiter weg gesessen hatte, erlag einen Tag später seinen schweren Lungenverletzungen. Vergleichsweise glimpflich kam der 'Landsmann' am Fenster davon. Die Druckwelle zerriss ihm die Trommelfelle. Die Tür flog krachend aus den Angeln, die Fensterpappen sausten durch die Luft und segelten auf den Platz, auf dem eben noch die Bestrafung stattgefunden hatte. Der Kämpfer Islam hatte Glück und kam mit dem Schrecken davon: Er war gerade hinaus gegangen, um seine Notdurft zu verrichten.


So eine lakonische Bilanz kann man ziehen, aber dann muss es für meine Begriffe vorher mehr Spannung, mehr Ungewissheit, mehr 'suspense' gegeben haben.

Zitat:
Obwohl er niemals an der Existenz Gottes gezweifelt hatte – dieser Anblick bewies ihm: Allah lebt, und er meint es gut mit den Menschen.


Gott lebt? Beißt sich mit dem Prinzip der göttlichen Unsterblichkeit, dem Über-der-Zeit-Stehen.

Zitat:
Vor ihm breitete sich ein unüberschaubares Meer sattgrüner Palmen aus,


Das ist doch eine Oase? Da ist das unüberschaubare Meer durchaus begrenzt ...

Zitat:
überragt von einzelnen hohen Eukalyptusbäumen.


Wikipedia sagt: Eukalyptus nur in Australien und Indonesien natürlich verbreitet. Und zur Holz- oder Ölgewinnung würde ich die nicht ausgerechnet in einer Oase pflanzen - da stehen Bäume, die was bringen!

Zitat:
Feisal Shariff sog diesen Anblick ein wie ein Verdurstender Wasser aus einem Schwamm.


Einem Verdurstenden geht es ja grad nicht so gut. Mein Eindruck ist hingegen, dass dein Feisal sich wohlig an dem Anblick der fruchtbaren Oase labt und ihn genießt. Der sieht sein Idyll und weiß, dass es gut ist. Das beißt sich dann mit dem Verdurst-Vergleich.

Zitat:
Eine stolze Gestalt, das Gewehr abwehrbereit über dem Sattelknopf, den blitzenden Säbel an der Seite.


Ein hübsches Bild, aber wie soll das gehen? Hält der das Gewehr die ganze Zeit fest? Womit hält er dann die Zügel? Und den Säbel trägt er blank? Keine Scheide?

Zitat:
Bald war er von meckernden der Ziegen, von blökenden Schafen, von kläffenden Hunden umgeben.


Der Satz klingt mir zu sehr nach Kleinkinderbuch zum Sprachelernen: Wie macht die Ziege?

Zitat:
ENDE


Klappe zu. Affe tot. Smile

VG
Nico
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wunderkerze
Eselsohr
W


Beiträge: 381



W
Beitrag04.08.2019 13:47

von wunderkerze
Antworten mit Zitat

hallo Nico,


Wikipedia sagt: Eukalyptus nur in Australien und Indonesien natürlich verbreitet. Und zur Holz- oder Ölgewinnung würde ich die nicht ausgerechnet in einer Oase pflanzen - da stehen Bäume, die was bringen!


Da ist wieder der Unterschied zwischen natürlicher und tatsächlicher Verbreitung. Feisal sieht über die Flussoase, an deren trockenen Ufern ich diese Bäume wachsen lasse, die für ihre Genügsamleit bekannt sind. Außerdem liefern sie gutes Brennholz, woran ja in diesen Ländern Mangel herrscht.


_________________
wunderkerze
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