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Diese Werke sind ihren Autoren besonders wichtig Entspannte Verzweiflung


 
 
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Lemminem
Geschlecht:männlichGänsefüßchen

Alter: 26
Beiträge: 18
Wohnort: Oldenburg


Beitrag21.05.2019 19:45
Entspannte Verzweiflung
von Lemminem
eBook pdf-Datei Antworten mit Zitat

Entspannte Verzweiflung

Ich bin aufgewachsen in einer Welt, die sich mit ihrem baldigen Tode längst abgefunden hat.

Selbst die, die kämpfen, die mit tosenden Wasserwerfern diskutieren, die in Hamburg Flaschen und Steine und flüssiges Feuer schleudern, selbst die Lautstarken und Wilden sind von genauso tiefer Resignation erfüllt wie die Politiker, die die Dampfeisenbahn der Hölle mit Kohlekraft und Atomenergie befeuern. Theoretiker sprechen von undurchdringlichen Machtsystemen, Verschwörungen berichten von Korruption, meine Freunde erzählen von Nationalismus, Wirtschaftskrisen und Fleischkonsum. Und ich sitze hier und betrachte das Chaos.

Und es ist ein gewaltiges Chaos, das wie ein tiefschwarzer Schatten aus einer düsteren Zukunft auf mich hinablächelt und mit kleinen Schritten durch die pompösen Vorgärten unserer Häuser auf die Vordertüren zuspaziert. Es gibt Tage, an denen ich diese Tür entschieden schließe, das Chaos ausblende und für eine Weile für immer vergesse. Und doch öffne ich heute wieder einmal das Fenster und riskiere einen Blick in seine Augen, die die Farbe der Hölle in sich tragen. An Tagen wie diesen lässt mein Gewissen mich lesen, lässt mich Wissen zusammentragen über diesen mysteriösen Gegner, der genauso unabwendbar wie unbesiegbar zu sein scheint. Einmal heißt er Erderwärmung, dann nennen kluge Leute ihn Klimawandel und Artensterben, mit Beinamen wie Überfischung, Plastikflut, Waldrodung, Elektrosmog, Flüchtlingswelle und Massendepression. Ich komme zu dem Schluss, dass all dies die Stoffe sind, aus denen die Fäden des Chaos gewebt sind. Das Schicksal hat dieser satanischen Wolle einen Tarnumhang gestrickt , unter dem sich der Untergang verbirgt, die Apokalypse, das Armageddon – Worte, die einmal so machtvoll waren, dass sie mir als kleiner Junge beinahe den Verstand gesprengt hätten.

Und heute denke ich daran und muss mich regelrecht zusammenreißen, bei dem Gedanken an die Katastrophen der Menschheit noch die kleinste Gefühlsregung am Boden meines Herzens aufzubringen. Aus Selbstschutz habe ich unsere Verbrechen und ihre Folgen so tief rationalisiert, das sie mir beinahe egal sind – aber nicht egal genug, als dass ich sie vergessen könnte, und nicht egal genug, um nicht darüber zu schreiben. Aber ich frage mich, warum mir die Erde und die Menschen nicht wichtiger sind, warum sie nicht viel, viel, viel wichtiger sind. Vielleicht ist es das Gefühl der Machtlosigkeit, das mich nutzlos und traurig macht, vielleicht sind es auch die Freuden meines eigenen Lebens, die die Leiden der restlichen Welt verblenden. Manchmal denke ich darüber nach, auf die Straße zu gehen. Den Kampf aufzunehmen, den Bundestag zu stürmen, mit Bannern und Fanfaren gegen die Konzerne zu ziehen, einfach um nicht zu sterben in dem Wissen, dem Untergang die Tür geöffnet zu haben. Aber immer, bevor ich zum Aktivisten werde, schleicht sich eine unbesiegbare Langsamkeit ein in meine dynamischen Ideen, lähmt mich und löscht die Flamme des Widerstandes, die in meinem Geist aufzukeimen drohte. Ich bleibe faul, ich bleibe von meinem Gewissen zerfressen, ich bleibe liegen.

Eine entspannte Verzweiflung macht sich breit, eine beinahe schon heitere Verzweiflung, die nur unterbrochen wird von kurzen, lichten Momenten der Hoffnung und der Rebellion. Gebracht von klaren Stimmen, von traurigen Bildern, von starken Menschen, von kleinen Kindern, die Freitags nicht in die Schule gehen. Ich hoffe beinahe so sehr, dass sie etwas bewirken, wie ich mich schäme, dass ich selbst rein gar nichts bewirke.

Denn was sind schon Wellenbrecher, wenn der Sturm aus dem Himmel kommt?

Weitere Werke von Lemminem:


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Gast







Beitrag21.05.2019 20:32

von Gast
Antworten mit Zitat

Meiner Meinung nach ein ganz hervorragendes Textchen. Toll!
Mehr kann und will ich dazu nicht sagen.
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Care
Leseratte
C


Beiträge: 124
Wohnort: Österreich


C
Beitrag21.05.2019 20:43

von Care
Antworten mit Zitat

Sehr ergreifender Text! Geht unter die Haut!
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Lemminem
Geschlecht:männlichGänsefüßchen

Alter: 26
Beiträge: 18
Wohnort: Oldenburg


Beitrag23.05.2019 16:08
Danke!
von Lemminem
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ink_in_mind und Care, vielen Dank für das positive Feedback!

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Holzhammer1
Erklärbär
H


Beiträge: 1



H
Beitrag26.05.2019 09:34
Entspannte Verzweiflung
von Holzhammer1
Antworten mit Zitat

der Titel und der erste Satz hat mich überzeugt.

In den weiteren Absätzen benutzt du für meinen Geschmack zu viel Adjektive. Hier z.B.
tosenden Wasserwerfern“, gewaltiges Chaos“, „tiefschwarzer Schatten“ ...
Das fettgedruckte braucht du m.E. nicht. Da gibt es mehrere Beispiele im Text..
Füllwörter und Abschwächungen könntest du streichen wie „so“, „beinah“, „regelrecht“ etc.  Bringt den Text nicht voran.

Was mir bei der Geschichte fehlt ist ein Spannungsbogen. Der Ich-Erzähler entwickelt sich nicht sonderlich und für meinen Geschmack ist die Erzählstimme zu sachlich. Ich spüre keine Emotionen. Kann aber auch an mir liegen ...
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Diamond
Geschlecht:weiblichEselsohr
D


Beiträge: 280



D
Beitrag26.05.2019 11:24

von Diamond
Antworten mit Zitat

An diesem Text finde ich nichts zu meckern... Gerne gelesen und schön zu sehen, dass auch die Rhetorik nicht zu kurz gekommen ist. Ich bin auch nicht der Meinung, dass über Adjektive in diesem Text diskutiert werden sollte/ müsste, das wäre meiner Meinung nach Haarspalterei. Gerne mehr davon... von mir ein absolutes Daumen-hoch
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Lemminem
Geschlecht:männlichGänsefüßchen

Alter: 26
Beiträge: 18
Wohnort: Oldenburg


Beitrag19.06.2019 10:58

von Lemminem
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Danke für das tolle Feedback, Holzhammer und Diamond!

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Bunt Speck
Geschlecht:männlichEselsohr


Beiträge: 436
Wohnort: Brimm


Beitrag19.06.2019 13:21

von Bunt Speck
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Tach Lemminem

ich schließe mich Diamond an. Ich finds gut. Ebenfalls "Daumen hoch"! Mir ist es allerhöchstens zu schwarzmalerisch ...

Arbeitest Du parallel an einer längeren Geschichte? Dein anderer Einstand "Wahre Fantasie" zeigt ja, dass Du nicht unbedingt die Realität kommentierende Kurzgeschichten vor Augen hast, sondern auch (ich denke mal) gerne fantastische Geschichten liest.

Grüße
Bunt


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Nordica
Leseratte


Beiträge: 137



Beitrag19.06.2019 14:17

von Nordica
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Wow, ja, das geht unter die Haut!
Toll, wie du es schaffst, dieses Gefühl der allgemeinen diffusen Verzweiflung zu beschreiben.
Wenn ich nicht gerade Hans Roslings "Factfulness: Ten Reasons We're Wrong About the World – and Why Things Are Better Than You Think" (absolute Empfehlung!) gelesen hätte, wäre ich nach der Lektüre allerdings noch niedergeschlagener gewesen. smile

Bin sehr gespannt auf weitere Texte von dir!
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Lemminem
Geschlecht:männlichGänsefüßchen

Alter: 26
Beiträge: 18
Wohnort: Oldenburg


Beitrag20.06.2019 16:19

von Lemminem
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Hallo Bunt Speck und Nordica!

Zunächst einmal - Vielen Dank für das tolle Feedback und die lieben Worte, ich freue mich sehr! smile

Bunt, zu deiner Frage: Ich arbeite tatsächlich an längeren Geschichten, mittlerweile seit gut zwei Jahren. Leider kann ich mit der Realität in meinem Bücherregal tatsächlich wenig anfangen, deswegen bewege ich mich dabei beinahe ausschließlich im fantastischen Bereich oder füge zumindest der realen Welt eine fantastische Ebene hinzu. Ich glaube, das heißt dann Urban Fantasy. Momentan arbeite ich schon länger an einer dystopischen Erzählung, zwischendurch habe ich mich an einem Zeitreise-Roman versucht und hin und wieder fange ich kleinere Projekte an, aber bisher alles für die Schublade. Dabei versuche ich, neue Wege zu gehen - oder zumindest alte Wege neu zu gehen. Also mehr oder weniger das, was ich an meinem geliebten Genre momentan ein wenig vermisse (siehe "Wahre Fantasie").

Liebe Grüße,
Lemminem


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