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Im Zug


 
 
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Autor Nachricht
Calvin Hobbs
Geschlecht:männlichKlammeraffe

Alter: 55
Beiträge: 563
Wohnort: Deutschland


Beitrag03.03.2019 11:34
Im Zug
von Calvin Hobbs
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Hi, dann werfe ich heute mal meinen ersten Text hier in den Ring und hoffe, dass ihr beim Lesen ein wenig die Freude des Schreibens nachempfinden könnt smile

Im Zug

Eigentlich gefiel es Philipp Frey nicht, im Zug rückwärts zu fahren, aber so war es eben. Vielleicht würde ihm diesmal nicht übel werden, dass er die Abteiltür aufreißen und frische Luft schnappen müsste. Andererseits, überlegte er, der Sitz ihm gegenüber war nicht belegt und so lange niemand Anspruch darauf erhob ... im Moment war er allein hier.
Obwohl alle Polster gleich dunkel-hässlich waren, fühlte er sich mit einem Mal viel wohler. Entspannt streckte er die Beine aus und lehnte er den Kopf gegen seine Jacke, die an dem Haken über dem Fenster aufgehängt war.
Hinter der Scheibe lag der schwach gefüllte Bahnsteig.
Hier in der Provinz gab es höchstens den Pendlerverkehr, an dem die Bahngesellschaft verdienen konnte, Fernreisende waren meist Urlauber. Ein Familienvater mit offenem Mantel trug zwei schwere Lederkoffer, dabei wurde er von seiner Frau und zwei halbwüchsigen Jungen verfolgt. Der Schweiß hatte sein dünnes Haupthaar am Kopf angeklebt, im Vorbeilaufen blieben seine Augen für einen Moment an Philipp hängen.
In diesem Moment setzte für Philipp eine Zeitlupe ein:
Beide Männer nahmen sich wahr, maßen sich und für einen Augenblick durchschauerte Philipp der Gedanke des Erkennens. Das verflog aber sogleich wieder, er war sich sicher, dem anderen noch nie begegnet zu sein.
Zum Glück muss ich nicht so schleppen, dachte Philipp und sein Blick fiel auf seinen Koffer in der gegenüberliegenden Ablage.
Heute Morgen hatte er, wie immer vor einer solchen Fahrt, das Wichtigste zusammen gesucht, alles fein säuberlich in Plastiktüten eingewickelt und fast liebevoll verstaut. Er fuhr gern mit dem Zug und er hatte festgestellt, dass seine Unternehmungen in letzter Zeit häufiger geworden waren.
In diesem Augenblick kam eine Gruppe Jugendliche die Treppe zum Bahnsteig hinauf gerannt.
Krakeelend passierten sie Philipps Fenster und wieder ließ ihn ein Augenpaar frösteln. Das junge Mädchen mit dem weißblonden Pagenschnitt, wieso schaute sie so intensiv herüber? Was hatte ihre Aufmerksamkeit erregt?
Zu seiner Erleichterung suchte sie weiter vorn den Einstieg.
Ist das nur Einbildung oder scheinen mich heute alle Leute anzustarren?
Philipp atmete ein, zwei Mal tief durch, es war nichts passiert, niemand hatte mit dem Finger auf ihn gedeutet. Dazu gab es auch gar keinen Grund, beruhigte er sich selbst. Die bisherigen Fahrten hatte er viel gelassener bewältigt. War heute etwas anders?
Als Versicherungsmakler mit eigenem Büro konnte er sich solche Reisen erlauben. Manchmal waren sie sogar notwendig. Etwa, wenn die Zentrale in der Landeshauptstadt ihre Mitarbeiter zu bestimmten Anlässen rief. Aber diesmal war er in eigener Sache unterwegs.
Draußen vor seinem Fenster küsste sich jetzt ein Pärchen innig. Dem einzelnen pinkfarbenen Rollkoffer nach zu urteilen, verreiste nur sie.
Ein Schaffner kam mit rotem Kopf und hastig schnaufend, zwei Stufen mit einmal nehmend, die Treppe herauf. Für einen Moment blieb er stehen und schaute hektisch den Zug entlang. Dann holte er seine Uhr hervor. Eine dicke mechanische Eisenbahneruhr an einer goldfarbenen Kette. Philipp liebte solche Dinge im Zeitalter von Handys und Laptops.
Der Schaffner verglich die Zeit mit der digitalen Bahnhofsuhr und verschwand aus dem Blickfeld, er stieg weiter hinten ein.
Das Pärchen war ebenfalls weg, ein schriller Pfiff ertönte und kurz darauf ruckte der Zug an.
Glück gehabt, dachte Philipp. Bin ich wohl ...
In diesem Moment wurde die Abteiltür aufgerissen, die vorhin so intensiv küssende junge Dame stand mit ihrem Koffer in der Hand erwartungsvoll im Rahmen. Ihr Blick ging über die kleinen Metallnummern über den Kopflehnen der Sitze und fiel schließlich auf Philipp. Dann wieder zum Schild. Sie holte Luft und sagte gedehnt: „Entschuldigen Sie, sind Sie sicher ...?“
Bevor sie enden konnte, war dieser aufgesprungen, dabei fiel ihm seine gerade gekaufte Tageszeitung vom Schoß.
„Es tut mir leid. Ich hatte nicht angenommen ... und mir leider wird immer übel vom Rückwärtsfahren ...“
Er klaubte den „Standard-Anzeiger“ wieder auf und stand unschlüssig da, musste sich abstützen, denn der Waggon ging in eine Kurve.
Für einen Moment überlegte sie und sagte dann schnell: „Das möchte ich natürlich nicht“, und schaute mit fragenden Augen nach seinem Sitz.
„Oh, hier. Nummer 4, am Fenster.“ Er wies mit der Hand darauf.
Es schien ihr nichts auszumachen, denn sie zuckte mit den Schultern.
„Darf ich Ihnen helfen?“ Eifrig erbot er sich, ihren Koffer über seinen Kopf in die Ablage zu hieven. Sie ließ es geschehen, legte ihre schwarze Handtasche auf den Sitz, hing den leichten Mantel auf und nahm Philipp gegenüber Platz.
Beide ruckelten und schwankten leicht mit den Bewegungen des Abteils, der mit langsamen Tempo die Stadt verlassen hatte. Im gleichmäßigen Takt huschten Telefonmasten am Fenster vorbei, dahinter breiteten sich schon die Rapsfelder aus.
Philipp hatte sich zurückgelehnt, die Zeitung geöffnet und beobachtete die Dame über den oberen Rand, während sie in ihrer Handtasche nach etwas grub.
Aus der Tiefe seines Schrittes kroch ein leichtes Kribbeln, zog wie Honig feinste Nervenbahnen empor und plötzlich war er hellwach.
Er schätzte sie auf Mitte 20. Schlank, nicht sehr groß, blondes mittellanges Haar und trug eine helle Bluse mit kurzen Ärmeln. Dazu einen smaragdfarbenen Rock. Am linken Handgelenk eine viereckige Damenuhr, dazu einen dünnen goldenen Ring, allerdings am Mittelfinger. Keinen Nagellack. Ihre rechte Hand kam mit einem kleinen Spiegel zum Vorschein, in dem sie kurz ihr Aussehen prüfte.
Sie trug nur etwas Wimperntusche, kein offensichtliches Make-up. An ihren Ohrläppchen hingen winzig kleine stilisierte Sterne.
Philipp spürte, wie sein Körper Adrenalin ausschüttete, jedes weitere Detail an ihr machte sie für ihn immer begehrenswerter.
Der Spiegel verschwand wieder, dafür kam ein Buch zum Vorschein. Der Einband grün wie ihr Rock und zu Philipps Erstaunen waren darauf zwei fotografierte Totenschädel zu sehen.
„Anatomie“ stand in großen Lettern darüber. Also eine Medizinstudentin, schlussfolgerte er. Sie kramte nochmals und hatte ein Etui in der Hand. Die übergroße und dunkelrandige Nerdbrille stand ihrem leicht viereckigen Gesicht gut.
Sie schlug eine Seite auf und begann, wie er zu lesen.
Philipp hatte Mühe seine erhöhte Herz- und Atemfrequenz zu beherrschen, als er sah, wie ihre hellbraunen Augen unter den geraden Augenbrauen und über der schmalen Nase gewissenhaft über die Zeilen gingen. Manchmal fuhr ihre Zunge leicht über ihre Unterlippe, wenn sie mit ihren schlanken, fast zierlichen Fingern eine Seite wendete.
Das Buch verdeckte ihren Ausschnitt, so konnte er nicht sehen, ob sie eine Kette trug. Sie hatte eine sportliche Figur, keine große Oberweite, aber mit Wohlwollen musste er zugeben, dass sie durchaus Rundungen hatte.
Langsam ging sein Blick wieder nach oben und er erstarrte. Durch ihre Brillengläser funkelten ihn ihre grauen Augen an. Alle Anmut schien aus ihrem Gesicht verschwunden. Als würde sich eine Wolke vor die Sonne schieben, hatten sich ihre Gesichtszüge verhärtet.
„Ihnen ist schon klar, dass Sie mich beobachten?“, fragte sie mit eisiger Stimme. Philipp wandt sich in seinem Polster.
„Entschuldigung Sie ... das war nicht meine Absicht  ...“, stammelte er ertappt und verlegen. Er hätte sich ohrfeigen können. Seit mehr als zwei Jahrzehnten bist Du Versicherungsmakler, schrie es in ihm, eine dutzend Mal davon Verkäufer des Jahres, seine Agentur war eine der besten des Landes und hier stotterte er wie ein Teenager.
Ihre zu Eis gewordenen Augen ließen nicht von ihm ab und er hatte das Gefühl in seinem Sitz zu schrumpfen. Was hatte sie, dass er sich dieser Frau gegenüber so unbeholfen verhielt?
Er zwang sich zur Ruhe, atmete tief durch, wischte sich mit der linken Hand über das Gesicht und streckte ihr seine rechte entgegen: „Frey. Philipp Frey.“
Ihr fesselnder Blick änderte sich nicht, aber sie schien zu überlegen. Dann reichte sie ihm ihre Hand: „Stefanie ... Bergmanova“, sagte sie langsam.
„Meine Urgroßeltern kamen aus der Tiefe Russlands“, fügte sie fast entschuldigend hinzu.
„Meine Familie hat schon immer da gewohnt, wo ich herkomme. Bingstadt, aber wahrscheinlich haben Sie noch nie davon gehört!?“
Stefanie taxierte ihn erneut. „Nein, da haben Sie Recht.“
Leicht kniff er für einen Moment die Augen zusammen. Er konnte nicht einschätzen, was in ihrem Kopf vorging.
Hatte sie Angst? Ihre Reaktionen hatten etwas Zurückhaltendes, fast Lauerndes.
„Macht nichts. Wäre ich nicht von da, würde ich es wohl auch nicht kennen.“
Mehr und mehr gewann er seine Selbstsicherheit zurück, setzte sich bequemer hin, schlug die Beine übereinander. Er wusste nicht warum, aber er fühlte sich von der Art dieser jungen Frau auf einen neue Art herausgefordert.
„Sie studieren Medizin?“ Mit einem Kopfnicken wies er auf ihr Buch. Sie sah oberflächlich auf den Einband und antwortete: „Nein, noch nicht. Im Moment helfe ich einem Freund mit seiner ambulanten Praxis. Da ist es nützlich, wenn man wenigstens einige Grundbegriffe kennt.“  „Auf welchem Gebiet praktiziert denn ... Ihr Freund?“ Ungewollt hatte er die beiden letzten Worte etwas betont.
„Innere Medizin. Und er ist wirklich nur ein Freund“, wies sie ihn zurecht und wunderte sich gleichzeitig, warum sie sich vor ihm rechtfertigte.
Jetzt nur nicht den Faden abreißen lassen, dachte Philipp, als vor dem Fenster wieder ein Kleinstadtbahnhof zum Stehen kam. Seine Hoffnung wurde erfüllt und niemand neues betrat das Abteil.
„Darf ich fragen, was Sie machen, wenn Sie nicht gerade Krankenschwester sind? Werden Sie da regelmäßig gebraucht?“
Leicht kniff sie die Augen zusammen, als ob sie sich die Antwort gut überlegen müsste. Offensichtlich will sie nur das Nötigste preisgeben und das fand er schade, denn ein Kennenlernen wurde so ungemein schwieriger.
„Nur ein oder zwei Mal im Monat werde ich gebraucht. Wie gesagt, ich bin eigentlich Laie auf diesem Gebiet.“
„Aber offensichtlich talentiert“, warf er ein.
„Wie kommen Sie darauf?“ Wieder dieser fordernde Tonfall.
„Nun, warum sonst sollte ein Arzt sich um Ihre Mithilfe bemühen?“ Diese Antwort schien Sie zu beruhigen und sie nickt. „Das stimmt. Ansonsten lese ich viel, mache etwas Sport, gehe mit Freunden ins Kino. Das übliche.“
Philipp lächelte sie offen an, immerhin sprach sie in ganzen Sätzen mit ihm. Offenbar nahm sie diese Geste auf. „Und was machen Sie, wenn Sie nicht im Zug sitzen und Leute ausfragen?“
„Ich habe den spektakulären Beruf eines Versicherungsmaklers.“ Jetzt sah er, wie sie sich merklich entspannte. „Was hatten Sie gedacht?“, fragte er mit gespielter Neugier.
„Keine Ahnung“, musste sie ehrlicherweise zugeben und betrachtete ihn zum ersten Mal genauer. Wenn man sie später nach einer Beschreibung fragen würde, wäre sie eher ratlos. Dieser Philipp Frey war ein Gesicht der Masse mit aschblondem Haar. Seine Augen waren von dunkler Farbe, vielleicht grün. Die Nase weder lang noch kurz, die Spitze etwas knubbelig. Das Gesicht mehr oval, der Kiefer weich geschnitten. Eine winzige Narbe neben seiner rechten Augenbraue, ansonsten glatte und reine Haut. Stefanie schätzte ihn nach den Krähenfüßen um die Augen auf Anfang 40. Von der Statur her weder groß noch klein, er trieb wenig Sport, hatte aber keinen Bauch. Sein grauer Anzug saß gut, war aber von der Stange. Seine hellbraunen Lederschuhe waren poliert.
„Wie fällt das Urteil aus?“ Diese Worte holten sie aus ihren Gedanken. „Ich glaube, Sie könnten alles sein, was mit Verwaltung, Büro und Papierkram zu tun hat.“
„Sehe ich so langweilig aus?“
„Nein, nein“, beeilte sie sich, zu versichern. „Aber Sie machen halt nicht den Eindruck eines Handwerkers oder ...“
„Oder Polizisten?“ Philipp sah, wie sie fast unmerklich in diesem Moment schlucken musste. „Wie kommen Sie auf Polizei?“
„Das war nur ein Beispiel.“ Mit beiden Händen wehrte er ab. „Ich bin schon mein Leben lang bei der -S&F Assekuranz- und mit der Polizei haben wir nur bei Autounfällen oder Einbrüchen zu tun.“
Sie schien erleichtert: „Wer möchte schon gern mit der Polizei zu tun haben.“
Philipp war sich nicht sicher, ob ihr kleines Lächeln etwas anderes verdecken sollte.
„Und wenn man so manche Schlagzeile heutzutage liest, möchte man auch kein Ordnungshüter sein.“ Er hatte seine Tageszeitung geöffnet und hielt ihr die Titelseite hin.
Ihr Augen wurden hinter der Brille noch größer: „Erneut Leiche ohne Kopf und Hände aufgefunden“ sagte sie halblaut die breit gedruckte Überschrift auf. „Wie schrecklich.“ Dabei fasste sie sich an den Hals. „Was für ein Mensch tut so was?“
„Ich würde annehmen, jemand, der nicht will, dass man den oder die Tote leicht identifizieren kann.“
Im gleichen Augenblick war Philipp klar, das war die falsche Antwort gewesen.
Stefanie schaute ihn ehrlich entrüstet an: „Wie können Sie nur so etwas Gefühlloses sagen? Ich meinte, was in einem Menschen vorgeht, dass er so eine abscheuliche Tat überhaupt begeht.“
Sie schaute starr aus dem Fenster. Draußen wechselten sich einzelne Bauernhöfe mit Feldern und Straßen ab. Der Mais stand schon halbhoch und am Horizont setzte bereits die Dämmerung ein. Die schnell ziehenden Wolken bekamen eine helle metallische Farbe am sich verfärbenden Himmel.
„Es tut mir leid, dass ich zuerst praktisch und nicht emotional gesprochen habe. Da ging wohl mein Beruf mit mir durch“, versuchte er sich in Schadensbegrenzung. „Natürlich ist so eine Tat für die meisten von uns nicht zu verstehen. Wahrscheinlich ist nur ein Wahnsinniger zu so etwas fähig.“
Ohne ihn anzuschauen, sagte sie fast tonlos: „Wie sehr muss man einen Menschen hassen, um ihn zu töten? Von den anderen Dingen ganz zu schweigen.“
„Man kann den Menschen immer nur vor den Kopf schauen.“ Insgeheim freute sich Philipp, dass sie wieder zugänglich wurde. Und sich an ihn wandte.
„Das ist auch besser so“, antwortete sie. „Bei manchen Leuten würden wir da wohl in unvorstellbare Abgründe sehen.“
Dazu nickte er nur. „Ich denke, jeder Mensch wird von seinen ganz eigenen Dämonen gejagt. Manche stecken das weg, andere werden davon verschlungen“, sagte er dann.
„Ja, aber gehören da nicht zwei dazu?“
Philipp schien im ersten Moment die Frage nicht zu verstehen. Sie bemerkte das und fuhr fort: „Etwas, das verschlingt und jemand, der sich verschlingen lässt.“
„Nun, wenn Sie das so sehen ...“. Der Gedanke schien in kurz zu beschäftigen.
Vor einigen Minuten und mitten zwischen Kartoffelfeldern und entfernt liegenden großen Ställen war der Zug stehen geblieben.
„Der Zugführer wartet auf das Signal“, stellte sie fest, ohne dass er gefragt hätte.
In diesem Moment ruckte der Waggon wieder an, schlich einige hundert Meter, ohne Geschwindigkeit aufzunehmen und blieb diesmal an einem geschlossenen Bahnübergang stehen.
Stefanie und Philipp sahen auf beiden Seiten des Zuges zwei, drei Autos, eine Handvoll Fahrradfahrer hinter den herabgelassenen Schranken warten. Vom Ende der einen Straße kam in einer Staubwolke ein großer Traktor langsam zum Ende der Schlange gerollt.
„Das finde ich ungewöhnlich“, sagte er und schaute sie an.
„Ich bin die Strecke noch nie gefahren“, meinte sie schulterzuckend. „Ich schon und hier haben wir noch nie gehalten.“
Sie verzog die Mundwinkel: „Das scheint dann noch ein langer Abend zu werden.“
Er schaute auf die Uhr und sie bemerkte: „Haben Sie denn heute noch einen Termin?“
Seine leicht gewölbten Augenbrauen zogen sich zusammen.
„Nein, nicht wirklich. Ich mag es bloß nicht, wenn der Zug Verspätung hat. Und Sie?“
Stefanie holte tief Luft und tat, als müsse sie überlegen.
„Geht mir genauso. Allerdings wäre es schön, wenn ich morgen früh halbwegs ausgeschlafen sein könnte, denn ich habe wieder Praxisdienst.“
„Das kann ich verstehen. Man möchte keine Fehler wegen Schlaftrunkenheit begehen.“ Er meinte dies als Scherz und lächelte darüber.
„Das nehme ich durchaus ernst“, erwiderte sie entschieden und als ob es ihr in diesem Moment einfiel, fragte sie:
„Ich hoffe, es ist nicht zu indiskret, aber haben Sie viel mit Ärzten zu tun?“
„Sie meinen Kunstfehler und so? Nein, das ist nicht so unser Gebiet. Dafür gibt es andere Fachleute und auch Anwälte.“
„Und Sie selbst?“
„Ich? Ich gehe einmal im Jahr zum Zahnarzt und alle paar Jahre eine Untersuchung beim Hausarzt, falls Sie das meinen. Bisher hatte der nichts zu beanstanden. Für mein Alter bin ich in erstaunlich gutem Zustand. Quasi wie ein Jahreswagen.“
Philipp lachte dankbar, dass er so einfach darauf aufmerksam machen konnte, wie gut in Schuss er war. Er hoffte, dass sie nicht nur aus Höflichkeit fragte, denn mittlerweile war sein Interesse an ihr nur kaum noch zu bändigen und deshalb zwang er sich regelrecht zu einfacher Lässigkeit.
„Also wartet an Ihrem Ziel nur Ihr Internist auf Sie?“
Diese Frage war stolz und konnte von ihr nicht missverstanden werden. „Das ist richtig. Ich war in letzter Zeit öfter unterwegs und deshalb ging meine Beziehung den Bach runter.“ Das klang etwas wehmütig. „Aber, so ist es eben.“
Für einen Moment schwieg er.
„Trennung sind nie einfach.“
Ihre Augen richteten sich abwägend auf ihn, dann sagte sie:
„Wir waren zu unterschiedlich und haben uns auseinandergelebt. Und Sie?“
Philipp bemerkte dieses Ablenkungsmanöver: „Da gibt es nicht viel. Meine Exfrau habe ich seit Ewigkeiten nicht mehr gesehen. Kinder hatten wir keine und alles ging auch recht schnell zu Ende.“
In diesem Moment wurde die Abteiltür aufgerissen und der Zugschaffner in seiner blauen Uniform sprach mit fast leiernder Stimme: „Es tut mir leid, aber unser Zug endet heute hier wegen eines Schadens der Lokomotive. In Kürze werden alle Reisenden mit Bussen in die umliegenden Orte gebracht und dort stehen Unterkünfte für die Nacht bereit. Morgen früh geht es dann von dort zum nächsten Bahnhof.“
Er wollte weiter gehen und fügte hinzu: „So wie wir die Strecke geräumt bekommen. Danke für Ihr Verständnis.“ Und riss die nächste Abteiltür auf.
Philipp und Stefanie schauten sich zunächst ratlos an.
In seinem Inneren tobte ein Kampf. Zum einen wollte er nicht länger als nötig in diesem Zug verbringen, andererseits war die junge Frau eine wahre Verlockung. Ihm war klar, dass eine nähere Bekanntschaft in diesem Moment ein großes Risiko darstellte, aber, wenn er Erfolg hätte, wäre der Preis umso reizvoller. Über die Jahre hatte er gelernt, sich die zuvor gut taxierte Frau nochmals anzuschauen, ohne dass es wie ein Anstarren wirkte. Er war sich sicher, dass es eine Fügung gibt und er wollte mehr als alles andere, diese Gelegenheit nutzen.
„Morgen früh werde ich wahrscheinlich zu spät sein“, sprach sie in Gedanken und in ihrer Handtasche wühlend.
„Vielleicht klappt es aber auch mit einem Frühzug nach Embeden“,sagte er. „Obwohl ...“, und schaute auf seine Uhr, „ auch von hier wären es mindestens zwei Stunden.“
Sie war immer noch nachdenklich und gab ihm unbewusst recht. Dadurch bemerkte sie nicht, dass er ihr Ziel erraten hatte.
Draußen war es dunkel geworden. Im Scheinwerferlicht beobachtete Philipp einen anderen Schaffner und den Lokführer mit den Menschen hinter der Schranke sprechen. Es wurde in und her diskutiert, schließlich drehten die Autos und Fahrräder ab. Dann tauchten neue Lichter auf, wurden größer und hielten vor dem Zug.
Einige Passagiere mussten stehen, denn der Bus, in dem Stefanie und Philipp mitfuhren, war mit Menschen und Gepäck gefüllt. Der Fahrer nahm die meisten Kurven recht schnittig und hielt sich nicht an alle Geschwindigkeitsbegrenzungen. Er sah müde aus und machte Überstunden.
Draußen wurde alles Licht von dem die Straße säumenden Wald geschluckt, aber kurz darauf wurden die Gebäude am Straßenrand zahlreicher, warm erleuchtete Fenster strahlten Heim und Ruhe aus.
Mit einer recht abrupten Bremsung, die den Inhalt des Busses gut zum Verrutschen brachte, hielt man vor einem großen Gebäude mitten in einem kleinen Ort.
„Sooo“, rief der Fahrer nach hinten, „Endstation, meine Damunherren.“
Stefanie und Philipp wohnten Tür an Tür und er hatte sofort die Gelegenheit genutzt, sie zum Abendessen einzuladen. Sein Kalkül ging nicht sofort auf, denn sie war unschlüssig und wollte zunächst telefonisch in Embeden für den kommenden Tag Bescheid geben. Philipp akzeptierte das mit zitterndem Herzen und beide verschwanden in ihren Zimmern.
Seinen Koffer stellte er gleich hinter der Tür und atmete die Stille.
Etwas entfernt schlug eine Turmuhr an.
Die Verpackung der kleinen Schokolade auf dem Kopfkissen wies den Inhalt als Zartbitter aus, er legte sie beiseite.
Philipp prüfte sein Aussehen im Spiegel des kleinen Bades. Ein schwacher Bartschatten war zu sehen.
In diesem Moment klopfte es an die Tür. Da stand Stefanie und fast verlegen nahm die Einladung dankend an. Selten in seinem Leben hatte er innerlich so aufgeatmet. Er war sich sicher, bereits auf der Zielgeraden zu laufen.
Das unten liegende Restaurant hatte noch geöffnet, man witterte ein gutes Geschäft durch diesen Zwischenfall.
„Wo waren wir mit unserer Unterhaltung stehen geblieben?“
Sie suchte in ihrem Gedächtnis, während er seine Frage selbst beantwortete: „Bei den Abgründen und den Dämonen“. Dabei zwinkerte er ihr verschwörerisch zu.
„Bestimmt nicht, aber wenn es Ihr Wunsch ist. Dabei muss ich zugeben, dass Sie wahrscheinlich über die größere Lebenserfahrung bei diesem Thema verfügen.“
Zunächst kamen die Getränke. „Ich würde aber zuerst gern dieses förmliche Sie zwischen uns fallen lassen ...“, setzte er an.
Während sie nicht sofort darauf einging, verengten sich ihre Augen, als sie versuchte, die Konsequenzen abzuschätzen.
Zu seiner Erleichterung hob sie ihr Glas und sie prosteten sich zu.
„Unter Umständen könnte ich mir vorstellen, dass es Menschen gibt, die so sehr hassen, dass sie sich selbst nicht mehr kontrollieren können“, sagte sie mit dem Abstellen des Glases.
„Ja, das ist vorstellbar“, stimmte er sofort zu.
„Solche Menschen fühlen sich in diesem Moment vielleicht provoziert oder nicht ernst genommen oder in eine Ecke gedrängt und dann reagieren sie so.“ Für einen Moment schaute er sich überlegend um. „Wir haben hier einen Raum voller Menschen“, und mit verschwörerischem Blick wies er einen leichten Halbkreis.
„Könnte eine dieser Personen hier ein Mörder sein? Oder ein Kinderschänder? Jemand, der seine Frau oder seinen Mann verprügelt?“
Sie folgte der Handbewegung und musterte verstohlen die anderen Gäste.
„Also, das ältere Paar dahinten, isst schweigend. Sie haben sich nach so vielen Jahren nicht mehr viel zu sagen“, sagte sie leise und rückte näher an Philipp heran, der das wohlige Gefühl hatte, ihre Körperwärme zu spüren.
„Zu der Mutter mit dem kleinen Mädchen fällt mir nichts ein. Wahrscheinlich ist sie allein erziehend und hat einen Bürojob.“
Stefanie ließ den Blick weiter schweifen.
„Der Typ dahinten mit der Glatze beobachtet den Raum und schaut immer wieder nach links hinüber. Da stehen die beiden Buchsbäume, ich weiß nicht, was er sieht.“ Sie drehte den Kopf in die andere Richtung zu den Tischen, an denen verschiedene Paare saßen.
„Und die beiden Herren in den Anzügen da, sind ein Paar. So vertraut. Im Gegensatz dazu am Nebentisch, wo die blonde Frau so komisch schaut. Bei denen ist wohl der Wurm drin.“
Genau an diesem Tisch erschien der Kellner mit dem Essen. Der Gast schaute skeptisch auf den Teller und verglich ihn mit dem seiner Partnerin. Dann hob er leicht den rechten Zeigefinger und wies hier und dorthin und verwickelte die Bedienung in ein Gespräch. Der Kellner antwortete mit gesenkter Stimme, in der Hoffnung, der Gast würde es ihm gleich tun.
Vergeblich. Bis die Frau ihre Hand beruhigend auf den Arm des Mannes legte, einen Kompromiss fand, indem sie die Fleischportionen tauschte und man schließlich zu essen begann. An den Bewegungen des Mannes war aber zu erkennen, dass ihm das nicht wirklich gefiel.
„Siehst Du“, sagte Stefanie, „ Eine Kleinigkeit stimmt nicht und jemand gerät unter Stress.“
„Für den einen ist Well Done eben wichtig, wenn er kein Blut sehen kann.“
Sie lächelte: „Folglich ist der erstmal schon kein Mörder.“
„Naja, nicht jeder Mord ist blutig ...“
Sie stellte hier und da noch weitere Vermutungen an, bis ihnen das Essen serviert wurde. Ihr Risotto und sein Hähnchenbrustfilet waren recht schmackhaft zubereitet. Nach ein paar Bissen fragte sie dann: „Und was siehst Du so, wenn Du Dich hier umschaust?“
Philipp hielt inne und seine Augen suchten den Raum ab. „An dem Tisch, wo es gerade Probleme gab, sehe ich eine todkranke Frau. Womöglich Krebs, beide unternehmen vielleicht zum letzten Mal etwas gemeinsam. Der Mann mit Glatze beobachtet die Bar, denn dahinter arbeitet sein Ex oder jemand, der mal sein Ex werden könnte.“
Stefanie schaute ungläubig, während er mit Genuss ein Stück Fleisch abschnitt und es in den Mund schob. Dann trank er einen Schluck Wasser.
„Bei dem Paar, dass sich nichts zu sagen hat, ist die Frau traurig. Sie weiß, ihr Mann steht auf kleine Mädchen, er schaut immer zu dem Tisch mit der Mutter hinüber. Die Mutter wiederum wird von ihrem Ex hängengelassen, also unterhaltsmäßig, denn vor der Bestellung hat sie den Endpreis durchgerechnet.“ Er schob sein Essen auf dem Teller hin und her.
„Und die beiden Anzüge sind kein Paar, sondern Vater und Sohn. Schon die gleiche Nase und Kinnpartie hätte Dir auffallen können.“
Damit war das Thema für ihn abgeschlossen und er aß stumm zu Ende. Sprachlos wandt Stefanie ihrem Kopf hin und her und verglich seine Aussagen, mit dem, was sie sah. „Wie kannst Du Dir so sicher sein?“, fragte sie, gleichzeitig erstaunt und verwirrt. Selbstsicher legte er sein Besteck beiseite, tupfte sich den Mund ab und lehnte sich satt zurück.
„Du darfst mich gern vom Gegenteil überzeugen.“ Seine Hand beschrieb einen kleinen Halbkreis.
„Ach komm, das hast Du Dir doch alles bloß ausgedacht!“
„Beweise es!“ Zufrieden und mit überlegenem Blick schob er beide Hände in die Taschen. Sie machte ein paar klägliche Versuche und gab dann lachend auf, denn Philipp hatte immer ein Gegenargument parat. Beide hatten ihre Teller zur Mitte des Tisches geschoben und rückten noch etwas näher aneinander.
„Wie hast Du Dir den weiteren Verlauf des Abends vorgestellt?“, fragte er recht direkt. Für einen Moment hielt sie inne und schaute auf die Uhr. Ihm fiel auf, dass sie das fast regelmäßig getan hatte.
„Erwartest Du noch jemanden?“
„Nein, nein“, beeilte sie sich, zu versichern.
„Nun, dann würde ich vorschlagen, wir nehmen noch einen Drink auf meinem Zimmer.“
Wieder schaute sie nach der Zeit und sagte schnell: „ Oder auf meinem.“ Philipp war für einen Moment baff, aber ein hoffnungsvolles Strahlen überzog sein Gesicht. „Worauf warten wir dann noch?“
Sie hatte ihm ihren Zimmerschlüssel überlassen und wollte noch dem Zimmerservice Bescheid geben.
Oben angekommen, hatte er das Fenster geöffnet und die Gardinen geschlossen. Bis auf eine kleine Lampe löschte er mit leicht zitternder Hand alle Lichter und zog sein Jackett aus.
Seine Gedanken überschlugen sich, er fühlte sich wie ein Teenager vor dem ersten Mal. Anstatt Blut, pumpte pures Adrenalin durch seinen Körper, auch das tiefe Ein - und Ausatmen vor dem Fenster brachte nur wenig Entspannung.
Kurz darauf klopfte es und Stefanie hatte den Zimmerkellner im Schlepp. Die Flasche Sekt war auf dem kleinen Servierwagen schon geöffnet, zwei Gläser standen griffbereit. Mit einem Trinkgeld wurde der Bedienstete wieder verabschiedet. Philipp goss ein.
Sie prosteten sich auf eine unerwartete Begegnung sowie einen hoffentlich angenehmen Abend zu. Er trank recht schnell, während Stefanie nur kurz nippte. Als das Glas leer war, bemerkte er, dass sein Gehirn von seinen Hormonen übernommen wurde. Oder etwas anderem. Plötzlich fühlten sich alle Gliedmaßen so schwer an, dass er sich hinsetzte.
„Der Tag war anstrengender, als ich dachte“, sagte er mit merklich schwerer Zunge. Dann wurde ihm schwarz vor Augen.

Das erste, was er wahrnahm, war das Zwitschern von Vögeln.
Philipps Lider waren so schwer und er hätte so gern die Augen geöffnet. Schon allein, um zu sehen, wer ihm mit einiger Kraft sein Knie in die Seite presste.
Er wollte sich umdrehen und stöhnte vor Schmerz auf. Da lag niemand hinter ihm und gleichzeitig fühlte sein Körper sich wie überfahren an.
Mühsam tastete er sich ab. Sein unterer Rücken war bandagiert.
Wie konnte das sein? Was war gestern Abend passiert? Kraftlos wandt er seinen Kopf hin und her. Das Morgenlicht drang durch die Gardinen, die sich leicht in der Brise bewegten. Vor dem Fenster war einiges an Bewegung zu hören. Stimmengewirr und das Schlagen von Autotüren. Ab und zu sprang ein Motor an, entfernte sich.
Unendlich langsam kamen Philipp die Erinnerungen wieder. Da war diese Frau, Stefanie. Die Zugfahrt, das Essen, Ihr Zimmer, ein Blackout. Er rief ihren Namen, aber mehr als ein halblautes und trockenes Gebrabbel kam nicht aus seinem Mund. Er war allein.
Es kostete Kraft, die Augen offen zu halten und überhaupt zu bewegen. Im Dämmerlicht nahm er ein senkrechtes Gestell neben dem Bett wahr. Als sein Blick sich etwas klärte, erkannte er einen Tropf, dessen durchsichtiger Schlauch unter der Bettdecke verschwand. Matt ertastete seine rechte Hand die Eingangskanüle in der linken Armbeuge.
Wieso bin ich im Krankenhaus?
Wieder schaute er sich um und kam zu dem Schluss, dass das kein Krankenzimmer sein konnte. Er schaltete eine Lampe ein, deren Schalter er mit Mühe erreichte. Gefaltetes Papier lag auf dem Nachttisch.
Mit einer Hand wedelte er das Blatt auseinander:
„Es tut mir wirklich leid. So bald ich kann, werde ich eine Ambulanz verständigen. Es war alles nur ein Zufall. Stefanie“
Wieder wurden vor dem Fenster Fahrzeugtüren aufgerissen.
Was waren das nur für Schmerzen? Jemand hatte zwei Kissen unter seine linke Seite geschoben, so dass die Hüfte erhoben war.
Wieder fühlte er nach der Bandage, als an die Tür geklopft wurde. Er gurgelte etwas, diesmal ein „Herein!“, aber das verstand man draußen nicht richtig und es wurde nochmals geklopft.
Philipp gab auf, da drehte sich der Schlüssel im Schloss.
Mit dem Kopf über die Schulter sah er, wie zwei junge Männer in Weiß einem Zimmermädchen folgten.
„Schön, dass Sie da sind“, murmelte Philipp. „Es geht mir gar nicht gut ....“ Dann war wieder alles schwarz.

 Als er erwachte, war es heller hinter seinen Augenlidern und dieses Mal war er sich sicher, in einem Krankenzimmer aufgewacht zu sein.
Weiße Wände, ein hellblauer Sockel umlief den Raum. Durch das Fenster sah er den grauen Himmel, durch den der Wind schnell die Wolken trieb. Ab und zu hörte er Regentropfen das Glas treffen.
Der Tropf neben seinem Bett war ihm nun vertraut, die Schmerzen nicht mehr ganz so heftig.
Noch immer war ihm die Ursache seiner Beschwerden nicht erklärlich, denn jetzt trug er eine dickere und gleichmäßigere Bandage um die Körpermitte. Vorsichtig angelte er nach dem mit Wasser gefüllten Plastikbecher auf dem Beistelltisch, denn er hatte brennenden Durst. Wie glühendes Metall rann die Flüssigkeit seine raspeltrockene Kehle hinunter, aber er setzte nicht ab, bevor der Becher leer war.
Ein Hustenreiz steig ihn auf, er glaubte, der Schmerz würde ihn zerreißen.
Mit verzerrtem Gesicht sank er zurück und starrte an die Decke. Versuchte sich zu erinnern, die Bruchstücke zusammen zu setzen.
Die Zugfahrt und Stefanie. Weiter kam er vorerst nicht, denn plötzlich öffnete sich die Tür und eine junge Krankenschwester steckte ihren Kopf herein.
„Oh, Sie sind schon wach“, sagte sie leise und trat neben sein Bett.
„Wo bin ich?“ Das Wasser hatte geholfen, dass er sich nun besser verständlich machen konnte.
„Es ist alles in Ordnung, Herr Frey.“
Sie fühlte seinen Puls und kontrollierte die Pupillen. Beim Messen des Blutdrucks fragte er sie erneut und sie setzte sich zu ihm auf die Bettkante.
„Herr Frey, Sie sind im Krankenhaus in Embede. Zum Glück wurden wir beizeiten verständigt und so geht es Ihnen den Umständen entsprechend gut.“
Besänftigend hatte sie den Kopf schiefgelegt. Er presste ihre Hand und sagte mit gleichem Druck: „Was. ist. mit. mir. passiert?“
Ihr Blick wurde etwas sorgenvoller und sie schien nach Worten zu suchen.
„Herr Frey, Ihnen wurde eine Niere entfernt. Und das recht professionell.“
Philipp war sprachlos. Sein Kopf fiel auf das Kissen zurück und sein Blick blieb zunächst stumm auf die Zimmerdecke gerichtet.
„Aber wie geht sowas?“
Die Schwester sah das tiefe Unverständnis in seinem Gesicht.
„Sehen Sie, Operationen aller Arten werden schon seit Menschengedenken gemacht. Je sauberer das Umfeld, desto kleiner die Möglichkeit einer Infektion oder Blutvergiftung. Und ein Hotelzimmer ist immer noch steriler als eine Waldlichtung“, versuchte sie einen Scherz. Ein verächtliches Schnauben war die Antwort.
„Der oder diejenige, die das mit Ihnen gemacht haben, sind geübt. Wahrscheinlich waren hier Profis am Werk.“
Aber warum er? War es tatsächlich nur ein Zufall gewesen, wie Stefanie geschrieben hatte? Hatte sie das allein gemacht oder hatte sie Helfer? „In ein paar Tagen sind Sie wieder auf den Beinen. Vorher wird bei Ihnen noch die Polizei vorbei schauen und Fragen stellen.“
„Was soll das helfen? Meine Niere werde ich wohl nicht wiedersehen, oder?“ Sarkasmus schwang in seiner Stimme mit.
„Das leider nicht, aber außer Ihren Ausweispapieren und Ihrer Brieftasche gibt es nichts, was den Ermittlungsbehörden vorerst helfen würde. Ihr Hotelzimmer ist bei der ersten Durchsuchung leer vorgefunden worden, soweit ich weiß.“
„Soweit Sie wissen?“, fragte er fast spitz.
Plötzlich durchzuckte es ihn wie ein schwerer Blitzschlag.
„Im Moment haben Sie nur die Dinge, die Sie bei Ihrer Einlieferung auf dem Leib trugen.“
Sein Koffer! Sein Koffer war verschwunden!
Wieder presste er die Hand die Schwester: „Nichts?“
„Nein. Entweder Sie hatten nichts dabei oder jemand hat es gestohlen.“ Damit entzog sie ihm ihre Hand.
Warum sollte man seinen Koffer stehlen? Der Inhalt war nur für ihn wertvoll gewesen.
Die Gedanken rasten. Er brauchte diesen Koffer, denn ohne dessen Inhalt, war seine Sammlung unvollständig. Andererseits konnte er den Diebstahl nicht anzeigen, denn wenn der Koffer gefunden würde, wäre das sein Todesurteil. Niemand könnte verstehen, warum er sammelte, was er sammelte.
Erst als es dunkel wurde, bemerkte er, dass er wieder allein im Zimmer war. Wie lange, war ihm nicht bewusst, denn sein ganzes Denken kreiste hypnotisch nur um einen Punkt: Der Koffer!
Als am nächsten Morgen die Schwester gut gelaunt das Krankenzimmer öffnete, erschrak sie.
Philipp Frey war über Nacht verschwunden.

Thomas Ahrberg steuerte den silberfarbenen Mercedes entspannt über die Autobahn. Er hatte allen Grund dazu, denn unter Hilfe seiner Komplizin Stefanie hatte sie es tatsächlich geschafft, just in time eine brauchbare Niere zu beschaffen.
Im Hotel angekommen hatte sie ihn wegen eines möglichen Kandidaten benachrichtigt, worauf er mit dem nötigen Equipment sich auf den schnellsten Weg gemacht hatte. Danach war alles reibungslos verlaufen. Der unfreiwillige Spender war betäubt und bereits entkleidet, als Thomas kurz nach Mitternacht eintraf.
Mit einem flüchtigen Kuss auf die Wange begrüßten sie sich, der Nachklang einer kurzen leidenschaftlichen, aber längst vergangenen Beziehung.
Da dies nicht ihr erster gemeinsamer Einsatz war, ging die Operation relativ zügig voran und bald darauf öffnete Stefanie ihren Koffer und holte eine Plastiktransportbox heraus.
Aus Thomas‘ Gepäck nahm sie die Eisbeutel und verstaute das Organ in einem sterilen Beutel dazwischen. Obwohl es ein Rollkoffer war, empfand sie die Last als zu schwer. Schnell huschte sie in Philipps Zimmer, während Thomas damit beschäftigt war, diesen wieder zuzunähen. Philipps Koffer war wesentlich leichter, weil auch nur halbgefüllt mit zwei gut verschlossenen Supermarkt-Einkaufstüten. So sortierte sie ihre Sachen in seinen Koffer ein und die Transportbox blieb in ihrem. Die Gewichtsverteilung machte sie zufrieden.
Nach einem eiligen Check out, was einen verwunderten Rezeptionisten zurückließ, fuhr Thomas sie beide zügig in Richtung Westen, wo bereits ihr Auftraggeber auf die Ware wartete.
Die Übergabe im knapp zweihundert Kilometer entfernten Wiesenthal verlief schnell und reibungslos. Sogar die Zahlung war in der Kürze der Zeit vorbereitet gewesen. Der schmale Aktenkoffer wechselten einem Parkhaus die Besitzer. Wie schon einige Male zuvor, teilten sich Stefanie und Thomas ihre Anteile später.
Nun saßen beide in seinem Auto und er lenkte den Wagen sicher durch die noch ruhige Innenstadt und hielt vor dem besten Hotel der Stadt. „Darf ich Dich zum schmackhaftesten Frühstück im Umkreis einladen?“, fragte er, als schon ein Hoteldiener heran stürzte und die Wagentür mit einem „Guten Morgen“ aufriss.
Stefanie nahm die Einladung lächelnd an. Zunächst buchte Thomas ein Zimmer für sie und führte sie dann in den hohen Speisesaal, der eine lange Fensterfront zum Stadtpark hinaus hatte.
Stefanie beobachtete ihn die ganze Zeit. Wie der große Mann mit den tiefen Geheimratsecken in seinen dunkelgetönten Haaren, weltmännisch mit den Hotelangestellten umging. Die teure Schweizer Uhr mit dem Lederarmband, die manchmal aus seiner Manschette hervorschaute. Die hellbraunen Augen, die oft etwas verzauberndes hatten, wenn Thomas es wollte. Er schien stets glattrasiert zu sein, gut vorbereitet und vor allem souverän. Sie bewunderte ihn immer noch insgeheim und er war mit diesem Gesicht aus einer Daily Soap, wirklich ein Arzt zum Verlieben. Damals, sie 21 und er doppelt so alt, hatten sich auf dem Geburtstag der Mutter von Stefanies bester Freundin kennengelernt. Er Single, sie BWL-Studentin, die nichts vom Leben wusste. Er aber strahlte Dinge aus, von denen sie noch nicht einmal geahnt hatte. Schnell war sie für ihn entflammt und erkannte erst zu spät, wie blauäugig sie gewesen war. Nachdem sie anfangs ein paar Mal miteinander geschlafen hatten, war sie ihm völlig verfallen. Kurz darauf gestand er ihr, in finanziellen Schwierigkeiten zu stecken.
Sie erschrak zutiefst, denn das konnte nur heißen, er wolle sie auf den Strich schicken. Es gelang ihm, sie zu beruhigen und überredete sie, ihm bei einer Operation zu helfen. Das war für sie kaum weniger erschreckend.
Diese Bitte kam nicht von ungefähr, denn er hatte sie schon in der Küche beobachtet, als sie zwei Fische zum Essen ausnahm. Ihm war es ungeheuer wichtig, dass sie nicht sofort in Ohnmacht fiel, wenn es blutig wurde.
Bei der ersten Operation, dem Versorgen einer Schusswunde im Hinterzimmer eines japanischen Restaurants, hatte sie zittrige Hände wie noch nie. Die Angst, etwas falsch zu machen, saß sehr tief, aber Thomas lenkte sie geschickt und war am Ende voll des Lobes.
Im Inneren war er erleichtert und beglückwünschte sich selbst für seinen Fund.
Im Laufe der Zeit gewöhnte sie sich an die sporadischen Treffen mit ihm und mehr und mehr überwog die Freude an dem auf diese Weise verdienten Geld, wobei sie sehr achtsam war, nicht zu sehr damit aufzufallen.
Nach dem Frühstück gingen beide auf ihr Zimmer. Stefanie war klar, dass Thomas ihr nie gehören würde, sie aber auf gelegentlichem Sex mit ihm nicht verzichten wollte.
„Wieso hast Du eigentlich zwei Koffer dabei?“, fragte er sie müde, nachdem sie das Geld geteilt hatten.
Sie kam aus der Dusche, während er im Bett auf sie wartete.
Ihre Erklärung verärgerte ihn:
„Sind wir Gepäckdiebe oder was? Jetzt hat der Typ eine Niere weniger und gar keine Unterhose mehr. Was soll das?“
Stefanie gab zu, nicht überlegt zu haben. „So viele Klamotten sind eh nicht darin. Philipp war wohl auf dem Heimweg von irgendwo oder zu einem Termin unterwegs“, versuchte sie, Thomas zu besänftigen.
„Und was ist das für ein komischer dunkler Fleck da an Deinem Koffer?“
„Keine Ahnung. Irgendwo bleibt immer mal was an dem Stoffzeugs was hängen“, tat sie seine Beobachtung ab.
„Das ist nicht von außen. Da ist irgendwas ausgelaufen“, sagte er und zeigte deutlich auf die untere Ecke des Koffers.
„Sieht aus wie Australien ...“
„Also von meinen Klamotten ist da nicht ausgelaufen, aber bitte, ich schaue nach.“
Sie legte den Koffer auf den Boden, öffnete den Verschluss und schlug ihn auf. „Hier, siehst Du? Das sind meine Sache. Das kommt von einem der Beutel, die hier schon drin waren.“
Sie griff nach einer von Philipps Plastiktüten.
Tatsächlich, in dieser war ein winziger Riss. Entstanden, als Stefanie die Tüte beim Zumachen in den Reißverschluss eingeklemmt hatte.
„Und was transportiert der Typ so? Sieht aus wie eine Melone. War wohl vorher auf dem Wochenmarkt gewesen ...“
„Quatsch“, sagte Stefanie und öffnete den Klipp, der den Beutel verschloss. Sie schaute hinein, schrie auf und ließ die Tüte fallen. Rückwärts war sie an die Wand gesprungen.
„WasistdasfüreinScheiß?“, stieß sie hervor.
Erschrocken war Thomas hochgeschnellt.
„Was hast Du?“, fragte er fast verständnislos. Mit fahriger Hand deutete sie nur auf den Koffer. Unsicher, was ihn erwarten würde, beugte Thomas sich über die Tüte, schaute hinein und dann auf sie.
Vorsichtig zog er den zweiten, kleineren Beutel heraus, öffnete ihn und wurde blass.
Tonlos sagte er dann: „ Du hast Deinem Philipp einen Kopf und zwei Hände geklaut ...“

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Graenee
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Beitrag03.03.2019 13:51

von Graenee
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Hat Spaß gemacht zu lesen! Vor allem ab dem Mittelteil. Ich hatte beim Lesen den Eindruck, dass das Schreiben dir leichter fiel, je weiter du mit der Geschichte kamst.

Dieser Satz ("In diesem Moment setzte für Philipp eine Zeitlupe ein:") hat mich beim Lesen eher aus der Geschichte herausgerissen. Besser wäre vielleicht, ihn wegzulassen und so die Spannung des Moments in dem Phillip sich beobachtet fühlt nicht zu unterbrechen.

Insgesamt: Gefällt mir :)
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Catalina
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Beitrag03.03.2019 14:53
Re: Im Zug
von Catalina
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Calvin Hobbs hat Folgendes geschrieben:
Kurz darauf gestand er ihr, in finanziellen Schwierigkeiten zu stecken.
Sie erschrak zutiefst, denn das konnte nur heißen, er wolle sie auf den Strich schicken.


Ja, das denke ich auch immer, wenn mir mein Partner sowas gesteht. lol2

Ich hab's auch gerne gelesen, war unterhaltend und ich wollte das Ende wissen.

Die Perspektivwechsel mitten in einer Szene mag ich nicht so. Und es sind einige Fehler drin, die Du beim nochmaligen Lesen sicher selbst bemerken wirst.
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Calvin Hobbs
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Beitrag03.03.2019 15:02
Re: Im Zug
von Calvin Hobbs
pdf-Datei Antworten mit Zitat

Danke smile

Catalina hat Folgendes geschrieben:
[Und es sind einige Fehler drin, die Du beim nochmaligen Lesen sicher selbst bemerken wirst.


In bezug auf was?
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Catalina
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Beitrag03.03.2019 16:03
Re: Im Zug
von Catalina
Antworten mit Zitat

Calvin Hobbs hat Folgendes geschrieben:
Danke smile

Catalina hat Folgendes geschrieben:
[Und es sind einige Fehler drin, die Du beim nochmaligen Lesen sicher selbst bemerken wirst.


In bezug auf was?


Nicht in der Logik... Aber es fehlen Wörter, Satzstellungen sind falsch, etc.
Da das nicht durchgängig der Fall ist, gehe ich davon aus, Du weißt es eigentlich besser, warst aber nicht genau genug beim Überarbeiten.
Um Dir alles einzeln aufzuzeigen, ist mir der Text zu lang...

Aber hier ein paar Beispiele.

Zitat:

Er schätzte sie auf Mitte 20. Schlank, nicht sehr groß, blondes mittellanges Haar und trug eine helle Bluse mit kurzen Ärmeln.
Da steht das Verb "trug" ohne Subjekt...

Er wusste nicht warum, aber er fühlte sich von der Art dieser jungen Frau auf einen neue Art herausgefordert.

„Ich? Ich gehe einmal im Jahr zum Zahnarzt und Verb? alle paar Jahre eine Untersuchung beim Hausarzt, falls Sie das meinen.

Er hoffte, dass sie nicht nur aus Höflichkeit fragte, denn mittlerweile war sein Interesse an ihr nur kaum noch zu bändigen und deshalb zwang er sich regelrecht zu einfacher Lässigkeit.

Es wurde hin und her diskutiert, schließlich drehten die Autos und Fahrräder ab.
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Calvin Hobbs
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Beitrag03.03.2019 16:58

von Calvin Hobbs
pdf-Datei Antworten mit Zitat

Ah okay, das ist mir bei Ergänzungen und Verbesserungen durchgeflutscht. smile
Da ich den ersten Post nicht mehr ändern kann, ist hier die korrigierte Version smile Gerade wegen des Tunnelblicks beim eigenen Text ist mir das Feedback  wichtig smile

Im Zug

Eigentlich gefiel es Philipp Frey nicht, im Zug rückwärts zu fahren, aber so war es eben. Vielleicht würde ihm diesmal nicht übel werden, dass er die Abteiltür aufreißen und frische Luft schnappen müsste. Andererseits, überlegte er, der Sitz ihm gegenüber war nicht belegt und so lange niemand Anspruch darauf erhob ... im Moment war er allein hier.
Obwohl alle Polster gleich dunkel-hässlich waren, fühlte er sich mit einem Mal viel wohler. Entspannt streckte er die Beine aus und lehnte er den Kopf gegen seine Jacke, die an dem Haken über dem Fenster aufgehängt war.
Hinter der Scheibe lag der schwach gefüllte Bahnsteig.
Hier in der Provinz gab es höchstens den Pendlerverkehr, an dem die Bahngesellschaft verdienen konnte, Fernreisende waren meist Urlauber. Ein Familienvater mit offenem Mantel trug zwei schwere Lederkoffer, dabei wurde er von seiner Frau und zwei halbwüchsigen Jungen verfolgt. Der Schweiß hatte sein dünnes Haupthaar am Kopf angeklebt, im Vorbeilaufen blieben seine Augen für einen Moment an Philipp hängen.
In diesem Moment setzte für Philipp eine Zeitlupe ein:
Beide Männer nahmen sich wahr, maßen sich und für einen Augenblick durchschauerte ihn der Gedanke des Erkennens. Das verflog aber sogleich wieder, er war sich sicher, dem anderen noch nie begegnet zu sein.
Zum Glück muss ich nicht so schleppen, dachte Philipp und sein Blick fiel auf seinen Koffer in der gegenüberliegenden Ablage.
Heute Morgen hatte er, wie immer vor einer solchen Fahrt, das Wichtigste zusammen gesucht, alles fein säuberlich in Plastiktüten eingewickelt und fast liebevoll verstaut. Er fuhr gern mit dem Zug und er hatte festgestellt, dass seine Unternehmungen in letzter Zeit häufiger geworden waren.
In diesem Augenblick kam eine Gruppe Jugendliche die Treppe zum Bahnsteig hinauf gerannt.
Krakeelend passierten sie Philipps Fenster und wieder ließ ihn ein Augenpaar frösteln. Das junge Mädchen mit dem weißblonden Pagenschnitt, wieso schaute sie so intensiv herüber? Was hatte ihre Aufmerksamkeit erregt?
Zu seiner Erleichterung suchte sie weiter vorn den Einstieg.
Ist das nur Einbildung oder scheinen mich heute alle Leute anzustarren?
Philipp atmete ein, zwei Mal tief durch, es war nichts passiert, niemand hatte mit dem Finger auf ihn gedeutet. Dazu gab es auch gar keinen Grund, beruhigte er sich selbst. Die bisherigen Fahrten hatte er viel gelassener bewältigt. War heute etwas anders?
Als Versicherungsmakler mit eigenem Büro konnte er sich solche Reisen erlauben. Manchmal waren sie sogar notwendig. Etwa, wenn die Zentrale in der Landeshauptstadt ihre Mitarbeiter zu bestimmten Anlässen rief. Aber diesmal war er in eigener Sache unterwegs.
Draußen vor seinem Fenster küsste sich jetzt ein Pärchen innig. Dem einzelnen pinkfarbenen Rollkoffer nach zu urteilen, verreiste nur sie.
Ein Schaffner kam mit rotem Kopf und hastig schnaufend, zwei Stufen mit einmal nehmend, die Treppe herauf. Für einen Moment blieb er stehen und schaute hektisch den Zug entlang. Dann holte er seine Uhr hervor. Eine dicke mechanische Eisenbahneruhr an einer goldfarbenen Kette. Philipp liebte solche Dinge im Zeitalter von Handys und Laptops.
Der Schaffner verglich die Zeit mit der digitalen Bahnhofsuhr und verschwand aus dem Blickfeld, er stieg weiter hinten ein.
Das Pärchen war ebenfalls weg, ein schriller Pfiff ertönte und kurz darauf ruckte der Zug an.
Glück gehabt, dachte Philipp. Bin ich wohl ...
In diesem Moment wurde die Abteiltür aufgerissen, die vorhin so intensiv küssende junge Dame stand mit ihrem Koffer in der Hand erwartungsvoll im Rahmen. Ihr Blick ging über die kleinen Metallnummern über den Kopflehnen der Sitze und fiel schließlich auf Philipp. Dann wieder zum Schild. Sie holte Luft und sagte gedehnt: „Entschuldigen Sie, sind Sie sicher ...?“
Bevor sie enden konnte, war dieser aufgesprungen, dabei fiel ihm seine gerade gekaufte Tageszeitung vom Schoß.
„Es tut mir leid. Ich hatte nicht angenommen ... und mir leider wird immer übel vom Rückwärtsfahren ...“
Er klaubte den „Standard-Anzeiger“ wieder auf und stand unschlüssig da, musste sich abstützen, denn der Waggon ging in eine Kurve.
Für einen Moment überlegte sie und sagte dann schnell: „Das möchte ich natürlich nicht“, und schaute mit fragenden Augen nach seinem Sitz.
„Oh, hier. Nummer 4, am Fenster.“ Er wies mit der Hand darauf.
Es schien ihr nichts auszumachen, denn sie zuckte mit den Schultern.
„Darf ich Ihnen helfen?“ Eifrig erbot er sich, ihren Koffer über seinen Kopf in die Ablage zu hieven. Sie ließ es geschehen, legte ihre schwarze Handtasche auf den Sitz, hing den leichten Mantel auf und nahm Philipp gegenüber Platz.
Beide ruckelten und schwankten leicht mit den Bewegungen des Abteils, der mit langsamen Tempo die Stadt verlassen hatte. Im gleichmäßigen Takt huschten Telefonmasten am Fenster vorbei, dahinter breiteten sich schon die Rapsfelder aus.
Philipp hatte sich zurückgelehnt, die Zeitung geöffnet und beobachtete die Dame über den oberen Rand, während sie in ihrer Handtasche nach etwas grub.
Aus der Tiefe seines Schrittes kroch ein leichtes Kribbeln, zog wie Honig feinste Nervenbahnen empor und plötzlich war er hellwach.
Er schätzte sie auf Mitte 20. Schlank, nicht sehr groß, blondes mittellanges Haar, eine helle Bluse mit kurzen Ärmeln. Dazu einen smaragdfarbenen Rock. Am linken Handgelenk eine viereckige Damenuhr, dazu einen dünnen goldenen Ring, allerdings am Mittelfinger. Keinen Nagellack. Ihre rechte Hand kam mit einem kleinen Spiegel zum Vorschein, in dem sie kurz ihr Aussehen prüfte.
Sie trug nur etwas Wimperntusche, kein offensichtliches Make-up. An ihren Ohrläppchen hingen winzig kleine stilisierte Sterne.
Philipp spürte, wie sein Körper Adrenalin ausschüttete, jedes weitere Detail an ihr machte sie für ihn immer begehrenswerter.
Der Spiegel verschwand wieder, dafür kam ein Buch zum Vorschein. Der Einband grün wie ihr Rock und zu Philipps Erstaunen waren darauf zwei fotografierte Totenschädel zu sehen.
„Anatomie“ stand in großen Lettern darüber. Also eine Medizinstudentin, schlussfolgerte er. Sie kramte nochmals und hatte ein Etui in der Hand. Die übergroße und dunkelrandige Nerdbrille stand ihrem leicht viereckigen Gesicht gut.
Sie schlug eine Seite auf und begann, wie er zu lesen.
Philipp hatte Mühe seine erhöhte Herz- und Atemfrequenz zu beherrschen, als er sah, wie ihre hellbraunen Augen unter den geraden Augenbrauen und über der schmalen Nase gewissenhaft über die Zeilen gingen. Manchmal fuhr ihre Zunge leicht über ihre Unterlippe, wenn sie mit ihren schlanken, fast zierlichen Fingern eine Seite wendete.
Das Buch verdeckte ihren Ausschnitt, so konnte er nicht sehen, ob sie eine Kette trug. Sie hatte eine sportliche Figur, keine große Oberweite, aber mit Wohlwollen musste er zugeben, dass sie durchaus Rundungen hatte.
Langsam ging sein Blick wieder nach oben und er erstarrte. Durch ihre Brillengläser funkelten ihn ihre grauen Augen an. Alle Anmut schien aus ihrem Gesicht verschwunden. Als würde sich eine Wolke vor die Sonne schieben, hatten sich ihre Gesichtszüge verhärtet.
„Ihnen ist schon klar, dass Sie mich beobachten?“, fragte sie mit eisiger Stimme.
Philipp wandt sich in seinem Polster.
„Entschuldigung Sie ... das war nicht meine Absicht  ...“, stammelte er ertappt und verlegen. Er hätte sich ohrfeigen können. Seit mehr als zwei Jahrzehnten bist Du Versicherungsmakler, schrie es in ihm, eine dutzend Mal davon Verkäufer des Jahres, seine Agentur war eine der besten des Landes und hier stotterte er wie ein Teenager.
Ihre zu Eis gewordenen Augen ließen nicht von ihm ab und er hatte das Gefühl in seinem Sitz zu schrumpfen. Was hatte sie, dass er sich dieser Frau gegenüber so unbeholfen verhielt?
Er zwang sich zur Ruhe, atmete tief durch, wischte sich mit der linken Hand über das Gesicht und streckte ihr seine rechte entgegen: „Frey. Philipp Frey.“
Ihr fesselnder Blick änderte sich nicht, aber sie schien zu überlegen. Dann reichte sie ihm ihre Hand: „Stefanie ... Bergmanova“, sagte sie langsam.
„Meine Urgroßeltern kamen aus der Tiefe Russlands“, fügte sie fast entschuldigend hinzu.
„Meine Familie hat schon immer da gewohnt, wo ich herkomme. Bingstadt, aber wahrscheinlich haben Sie noch nie davon gehört!?“
Stefanie taxierte ihn erneut. „Nein, da haben Sie Recht.“
Leicht kniff er für einen Moment die Augen zusammen. Er konnte nicht einschätzen, was in ihrem Kopf vorging.
Hatte sie Angst? Ihre Reaktionen hatten etwas Zurückhaltendes, fast Lauerndes.
„Macht nichts. Wäre ich nicht von da, würde ich es wohl auch nicht kennen.“
Mehr und mehr gewann er seine Selbstsicherheit zurück, setzte sich bequemer hin, schlug die Beine übereinander. Er wusste nicht warum, aber er fühlte sich von der Art dieser jungen Frau herausgefordert.
„Sie studieren Medizin?“ Mit einem Kopfnicken wies er auf ihr Buch. Ihre Augen glitten oberflächlich über den Einband: „Nein“, sagte sie, „noch nicht. Im Moment helfe ich einem Freund mit seiner ambulanten Praxis. Da ist es nützlich, wenn man wenigstens einige Grundbegriffe kennt.“
„Auf welchem Gebiet praktiziert denn ... Ihr Freund?“ Ungewollt hatte er die beiden letzten Worte etwas betont.
„Innere Medizin. Und er ist wirklich nur ein Freund“, wies sie ihn zurecht und wunderte sich gleichzeitig, warum sie sich vor ihm rechtfertigte.
Jetzt nur nicht den Faden abreißen lassen, dachte Philipp, als vor dem Fenster wieder ein Kleinstadtbahnhof zum Stehen kam. Seine Hoffnung wurde erfüllt und niemand neues betrat das Abteil.
„Darf ich fragen, was Sie machen, wenn Sie nicht gerade Krankenschwester sind? Werden Sie da regelmäßig gebraucht?“
Leicht kniff sie die Augen zusammen, als ob sie sich die Antwort gut überlegen müsste. Offensichtlich will sie nur das Nötigste preisgeben und das fand er schade, denn ein Kennenlernen wurde so ungemein schwieriger.
„Nur ein oder zwei Mal im Monat werde ich gebraucht. Wie gesagt, ich bin eigentlich Laie auf diesem Gebiet.“
„Aber offensichtlich talentiert“, warf er ein.
„Wie kommen Sie darauf?“ Wieder dieser fordernde Tonfall.
„Nun, warum sonst sollte ein Arzt sich um Ihre Mithilfe bemühen?“ Diese Antwort schien Sie zu beruhigen und sie nickt. „Das stimmt. Ansonsten lese ich viel, mache etwas Sport, gehe mit Freunden ins Kino. Das übliche.“
Philipp lächelte sie offen an, immerhin sprach sie in ganzen Sätzen mit ihm. Offenbar nahm sie diese Geste auf. „Und was machen Sie, wenn Sie nicht im Zug sitzen und Leute ausfragen?“
„Ich habe den spektakulären Beruf eines Versicherungsmaklers.“
Jetzt sah er, wie sie sich merklich entspannte. „Was hatten Sie gedacht?“, fragte er mit gespielter Neugier.
„Keine Ahnung“, musste sie ehrlicherweise zugeben und betrachtete ihn zum ersten Mal genauer. Wenn man sie später nach einer Beschreibung fragen würde, wäre sie eher ratlos. Dieser Philipp Frey war ein Gesicht der Masse mit aschblondem Haar. Seine Augen waren von dunkler Farbe, vielleicht grün. Die Nase weder lang noch kurz, die Spitze etwas knubbelig. Das Gesicht mehr oval, der Kiefer weich geschnitten. Eine winzige Narbe neben seiner rechten Augenbraue, ansonsten glatte und reine Haut. Stefanie schätzte ihn nach den Krähenfüßen um die Augen auf Anfang 40. Von der Statur her weder groß noch klein, er trieb wenig Sport, hatte aber keinen Bauch. Sein grauer Anzug saß gut, war aber von der Stange. Seine hellbraunen Lederschuhe waren poliert.
„Wie fällt das Urteil aus?“ Diese Worte holten sie aus ihren Gedanken. „Ich glaube, Sie könnten alles sein, was mit Verwaltung, Büro und Papierkram zu tun hat.“
„Sehe ich so langweilig aus?“
„Nein, nein“, beeilte sie sich, zu versichern. „Aber Sie machen halt nicht den Eindruck eines Handwerkers oder ...“
„Oder Polizisten?“ Philipp sah, wie sie fast unmerklich in diesem Moment schlucken musste. „Wie kommen Sie auf Polizei?“
„Das war nur ein Beispiel.“ Mit beiden Händen wehrte er ab. „Ich bin schon mein Leben lang bei der -S&F Assekuranz- und mit der Polizei haben wir nur bei Autounfällen oder Einbrüchen zu tun.“
Sie schien erleichtert: „Wer möchte schon gern mit der Polizei zu tun haben.“
Philipp war sich nicht sicher, ob ihr kleines Lächeln etwas anderes verdecken sollte.
„Und wenn man so manche Schlagzeile heutzutage liest, möchte man auch kein Ordnungshüter sein.“ Er hatte seine Tageszeitung geöffnet und hielt ihr die Titelseite hin.
Ihr Augen wurden hinter der Brille noch größer:
„Erneut Leiche ohne Kopf und Hände aufgefunden“ sagte sie halblaut die breit gedruckte Überschrift auf. „Wie schrecklich.“ Dabei fasste sie sich an den Hals. „Was für ein Mensch tut so was?“
„Ich würde annehmen, jemand, der nicht will, dass man den oder die Tote leicht identifizieren kann.“
Im gleichen Augenblick war Philipp klar, das war die falsche Antwort gewesen.
Stefanie schaute ihn ehrlich entrüstet an: „Wie können Sie nur so etwas Gefühlloses sagen? Ich meinte, was in einem Menschen vorgeht, dass er so eine abscheuliche Tat überhaupt begeht.“
Sie schaute starr aus dem Fenster. Draußen wechselten sich einzelne Bauernhöfe mit Feldern und Straßen ab. Der Mais stand schon halbhoch und am Horizont setzte bereits die Dämmerung ein. Die schnell ziehenden Wolken bekamen eine helle metallische Farbe am sich verfärbenden Himmel.
„Es tut mir leid, dass ich zuerst praktisch und nicht emotional gesprochen habe. Da ging wohl mein Beruf mit mir durch“, versuchte er sich in Schadensbegrenzung. „Natürlich ist so eine Tat für die meisten von uns nicht zu verstehen. Wahrscheinlich ist nur ein Wahnsinniger zu so etwas fähig.“
Ohne ihn anzuschauen, sagte sie fast tonlos: „Wie sehr muss man einen Menschen hassen, um ihn zu töten? Von den anderen Dingen ganz zu schweigen.“
„Man kann den Menschen immer nur vor den Kopf schauen.“ Insgeheim freute sich Philipp, dass sie wieder zugänglich wurde. Und sich an ihn wandte.
„Das ist auch besser so“, antwortete sie. „Bei manchen Leuten würden wir da wohl in unvorstellbare Abgründe sehen.“
Dazu nickte er nur. „Ich denke, jeder Mensch wird von seinen ganz eigenen Dämonen gejagt. Manche stecken das weg, andere werden davon verschlungen“, sagte er dann.
„Ja, aber gehören da nicht zwei dazu?“
Philipp schien im ersten Moment die Frage nicht zu verstehen. Sie bemerkte das und fuhr fort: „Etwas, das verschlingt und jemand, der sich verschlingen lässt.“
„Nun, wenn Sie das so sehen ...“. Der Gedanke schien in kurz zu beschäftigen.
Vor einigen Minuten und mitten zwischen Kartoffelfeldern und entfernt liegenden großen Ställen war der Zug stehen geblieben.
„Der Zugführer wartet auf das Signal“, stellte sie fest, ohne dass er gefragt hätte.
In diesem Moment ruckte der Waggon wieder an, schlich einige hundert Meter, ohne Geschwindigkeit aufzunehmen und blieb diesmal an einem geschlossenen Bahnübergang stehen.
Stefanie und Philipp sahen auf beiden Seiten des Zuges zwei, drei Autos, eine Handvoll Fahrradfahrer hinter den herabgelassenen Schranken warten. Vom Ende der einen Straße kam in einer Staubwolke ein großer Traktor langsam zum Ende der Schlange gerollt.
„Das finde ich ungewöhnlich“, sagte er und schaute sie an.
„Ich bin die Strecke bis heute nie gefahren“, meinte sie schulterzuckend. „Ich schon, aber hier gab es nie einen Halt ...“
Sie verzog die Mundwinkel: „Das scheint also ein langer Abend zu werden.“
Er schaute auf die Uhr und sie sagte: „Haben Sie denn heute noch einen Termin?“
Seine leicht gewölbten Augenbrauen zogen sich zusammen.
„Nein, nicht wirklich. Ich mag es bloß nicht, wenn der Zug Verspätung hat. Und Sie?“
Stefanie holte tief Luft und tat, als müsse sie überlegen.
„Geht mir genauso. Allerdings wäre es schön, wenn ich morgen früh halbwegs ausgeschlafen sein könnte, denn ich habe wieder Praxisdienst.“
„Das kann ich verstehen. Man möchte keine Fehler wegen Schlaftrunkenheit begehen.“ Er meinte dies als Scherz und lächelte darüber.
„Das nehme ich durchaus ernst“, erwiderte sie entschieden und als ob es ihr in diesem Moment einfiel, fragte sie:
„Ich hoffe, es ist nicht zu indiskret, aber haben Sie viel mit Ärzten zu tun?“
„Sie meinen Kunstfehler und so? Nein, das ist nicht so unser Gebiet. Dafür gibt es andere Fachleute und auch Anwälte.“
„Und Sie selbst?“
„Ich? Ich gehe einmal im Jahr zum Zahnarzt und hab alle paar Jahre eine Untersuchung beim Hausarzt, falls Sie das meinen. Bisher hatte der nichts zu beanstanden. Für mein Alter bin ich in erstaunlich gutem Zustand. Quasi wie ein Jahreswagen.“
Philipp lachte dankbar, dass er so leicht darauf aufmerksam machen konnte, wie gut in Schuss er war. Er hoffte, dass sie nicht nur aus Höflichkeit fragte, denn mittlerweile war sein Interesse an ihr kaum noch zu bändigen. Er zwang sich regelrecht zu einfacher Lässigkeit.
„Also wartet an Ihrem Ziel nur Ihr Internist auf Sie?“
Diese Frage war stolz und konnte von ihr nicht missverstanden werden. „Das ist richtig. Ich war in letzter Zeit öfter unterwegs und deshalb ging meine Beziehung den Bach runter.“ Das klang etwas wehmütig. „Aber, so ist es eben.“
Für einen Moment schwieg er.
„Trennungen sind nie ohne Probleme.“
Ihre Augen richteten sich abwägend auf ihn, dann sagte sie:
„Wir waren zu unterschiedlich und haben uns auseinandergelebt. Und Sie?“
Philipp bemerkte dieses Ablenkungsmanöver: „Da gibt es nicht viel. Meine Exfrau habe ich seit Ewigkeiten nicht mehr gesehen. Kinder hatten wir keine und alles ging recht schnell zu Ende.“
In diesem Moment wurde die Abteiltür aufgerissen und der Zugschaffner in seiner blauen Uniform sprach mit fast leiernder Stimme: „Es tut mir leid, aber unser Zug endet heute hier wegen eines Schadens der Lokomotive. In Kürze werden alle Reisenden mit Bussen in die umliegenden Orte gebracht und dort stehen Unterkünfte für die Nacht bereit. Morgen früh geht es dann von dort zum nächsten Bahnhof.“
Er wollte weiter und fügte hinzu: „So, wie wir die Strecke geräumt bekommen. Danke für Ihr Verständnis.“ Und riss die nächste Abteiltür auf.
Philipp und Stefanie schauten sich zunächst ratlos an.
In seinem Inneren tobte ein Kampf.
Zum einen wollte er nicht länger als nötig in diesem Zug verbringen, andererseits war die junge Frau eine wahre Verlockung. Ihm war klar, dass eine nähere Bekanntschaft in diesem Moment ein großes Risiko darstellte, aber, wenn er Erfolg hätte, wäre der Preis umso reizvoller. Über die Jahre hatte er gelernt, sich die zuvor gut taxierte Frau nochmals anzuschauen, ohne dass es wie ein Anstarren wirkte. Er war sich sicher, dass es eine Fügung gibt und er hoffte mehr als alles andere, diese Gelegenheit nutzen zu können. Der Gedanken machte ihm Gänsehaut.
„Morgen früh werde ich wahrscheinlich zu spät sein“, sprach sie in Gedanken und in ihrer Handtasche wühlend.
„Vielleicht klappt es aber mit einem Frühzug nach Embeden“,sagte er. „Obwohl ...“, und schaute auf seine Uhr, „ auch von hier wären es mindestens zwei Stunden.“
Sie war immer noch nachdenklich und gab ihm unbewusst recht. Dadurch bemerkte sie nicht, dass er ihr Ziel erraten hatte.
Draußen war es dunkel geworden. Im Scheinwerferlicht beobachtete Philipp einen anderen Schaffner und den Lokführer mit den Menschen hinter der Schranke sprechen. Es wurde hin und her diskutiert, am Ende drehten die Autos und Fahrräder ab. Dann tauchten neue Lichter auf, wurden größer und hielten vor dem Zug.
Einige Passagiere mussten stehen, denn der Bus, in dem Stefanie und Philipp mitfuhren, war mit Menschen und Gepäck gefüllt. Der Fahrer nahm die meisten Kurven recht schnittig und hielt sich nicht an alle Geschwindigkeitsbegrenzungen. Er sah müde aus und machte Überstunden.
Draußen wurde alles Licht von dem die Straße säumenden Wald geschluckt, aber kurz darauf wurden die Gebäude am Straßenrand zahlreicher, warm erleuchtete Fenster strahlten Heim und Ruhe aus.
Mit einer recht abrupten Bremsung, die den Inhalt des Busses gut zum Verrutschen brachte, hielt man vor einem großen Gebäude mitten in einem kleinen Ort.
„Sooo“, rief der Fahrer nach hinten, „Endstation, meine Damunherren.“
Stefanie und Philipp wohnten Tür an Tür und er hatte sofort die Gelegenheit genutzt, sie zum Abendessen einzuladen. Sein Kalkül ging nicht sofort auf, denn sie war unschlüssig und wollte zunächst telefonisch in Embeden für den kommenden Tag Bescheid geben. Philipp akzeptierte das mit zitterndem Herzen und beide verschwanden in ihren Zimmern.
Seinen Koffer stellte er gleich hinter der Tür und atmete die Stille.
Etwas entfernt schlug eine Turmuhr an.
Die Verpackung der kleinen Schokolade auf dem Kopfkissen wies den Inhalt als Zartbitter aus, er legte sie beiseite.
Philipp prüfte sein Aussehen im Spiegel des kleinen Bades. Ein schwacher Bartschatten war zu sehen.
In diesem Moment klopfte es an die Tür. Da stand Stefanie und fast verlegen nahm die Einladung dankend an. Selten in seinem Leben hatte er innerlich so aufgeatmet. Er war sich sicher, bereits auf der Zielgeraden zu laufen.
Das unten liegende Restaurant hatte noch geöffnet, man witterte ein gutes Geschäft durch diesen Zwischenfall.
„Wo waren wir mit unserer Unterhaltung stehen geblieben?“
Sie suchte in ihrem Gedächtnis, während er seine Frage selbst beantwortete: „Bei den Abgründen und den Dämonen“. Dabei zwinkerte er ihr verschwörerisch zu.
„Ich glaube nicht, aber wenn es Ihr Wunsch ist. Dabei muss ich zugeben, dass Sie sicherlich über die größere Lebenserfahrung bei diesem Thema verfügen.“
Zunächst kamen die Getränke. „Ich würde aber zuerst gern dieses förmliche Sie zwischen uns fallen lassen ...“, setzte er an.
Während sie nicht sofort darauf einging, verengten sich ihre Augen, als versuchte sie, die Konsequenzen abzuschätzen.
Zu seiner Erleichterung hob sie ihr Glas.
„Unter Umständen könnte ich mir vorstellen, dass es Menschen gibt, die so sehr hassen, dass sie sich selbst nicht mehr kontrollieren können“, sagte sie nach einem kräftigen Schluck.
„Ja, das ist vorstellbar“, stimmte er sofort zu.
„Solche Menschen fühlen sich in diesem Moment vielleicht provoziert oder nicht ernst genommen oder in eine Ecke gedrängt und dann reagieren sie so.“ Für einen Moment schaute er sich überlegend um. „Wir haben hier einen Raum voller Menschen“, und mit verschwörerischem Blick wies er einen leichten Halbkreis.
„Könnte eine dieser Personen hier ein Mörder sein? Oder ein Kinderschänder? Jemand, der seine Frau oder seinen Mann verprügelt?“
Sie folgte der Handbewegung und musterte verstohlen die anderen Gäste.
„Also, das ältere Paar dahinten, isst schweigend. Sie haben sich nach so vielen Jahren nicht mehr viel zu sagen“, sagte sie leise und rückte näher an Philipp heran, der das wohlige Gefühl hatte, ihre Körperwärme zu spüren.
„Zu der Mutter mit dem kleinen Mädchen fällt mir nichts ein. Wahrscheinlich ist sie allein erziehend und hat einen Bürojob.“
Stefanie ließ den Blick weiter schweifen.
„Der Typ dahinten mit der Glatze beobachtet den Raum und schaut immer wieder nach links hinüber. Da stehen die beiden Buchsbäume, ich weiß nicht, was er sieht.“ Sie drehte den Kopf in die andere Richtung zu den Tischen, an denen verschiedene Paare saßen.
„Und die beiden Herren in den Anzügen da, sind ein Paar. So vertraut. Im Gegensatz dazu am Nebentisch, wo die blonde Frau so komisch schaut. Bei denen ist wohl der Wurm drin.“
Genau an diesem Tisch erschien der Kellner mit dem Essen. Der Gast schaute skeptisch auf den Teller und verglich ihn mit dem seiner Partnerin. Dann hob er leicht den rechten Zeigefinger und wies hier und dorthin und verwickelte die Bedienung in ein Gespräch. Der Kellner antwortete mit gesenkter Stimme, in der Hoffnung, der Gast würde es ihm gleich tun.
Vergeblich. Bis die Frau ihre Hand beruhigend auf den Arm des Mannes legte, einen Kompromiss fand, indem sie die Fleischportionen tauschte und man schließlich zu essen begann. An den Bewegungen des Mannes war aber zu erkennen, dass ihm das nicht wirklich gefiel.
„Siehst Du“, sagte Stefanie, „ Eine Kleinigkeit stimmt nicht und jemand gerät unter Stress.“
„Für den einen ist Well Done eben wichtig, wenn er kein Blut sehen kann.“
Sie lächelte: „Folglich ist der erstmal schon kein Mörder.“
„Naja, nicht jeder Mord ist blutig ...“
Sie stellte hier und da noch weitere Vermutungen an, bis ihnen das Essen serviert wurde. Ihr Risotto und sein Hähnchenbrustfilet waren recht schmackhaft zubereitet. Nach ein paar Bissen fragte sie dann: „Und was siehst Du so, wenn Du Dich hier umschaust?“
Philipp hielt inne und seine Augen suchten den Raum ab. „An dem Tisch, wo es gerade Probleme gab, sehe ich eine todkranke Frau. Womöglich Krebs, beide unternehmen vielleicht zum letzten Mal etwas gemeinsam. Der Mann mit Glatze beobachtet die Bar, denn dahinter arbeitet sein Ex oder jemand, der mal sein Ex werden könnte.“
Stefanie schaute ungläubig, während er mit Genuss ein Stück Fleisch abschnitt und es in den Mund schob. Dann trank er einen Schluck Wasser.
„Bei dem Paar, dass sich nichts zu sagen hat, ist die Frau traurig. Sie weiß, ihr Mann steht auf kleine Mädchen, er schaut immer zu dem Tisch mit der Mutter hinüber. Die Mutter wiederum wird von ihrem Ex hängengelassen, also unterhaltsmäßig, denn vor der Bestellung hat sie den Endpreis durchgerechnet.“ Er schob sein Essen auf dem Teller hin und her.
„Und die beiden Anzüge sind kein Paar, sondern Vater und Sohn. Schon die gleiche Nase und Kinnpartie hätte Dir auffallen können.“
Damit war das Thema für ihn abgeschlossen und er aß stumm zu Ende. Sprachlos wandt Stefanie ihrem Kopf hin und her und verglich seine Aussagen, mit dem, was sie sah. „Wie kannst Du Dir so sicher sein?“, fragte sie, gleichzeitig erstaunt und verwirrt. Selbstsicher legte er sein Besteck beiseite, tupfte sich den Mund ab und lehnte sich satt zurück.
„Du darfst mich gern vom Gegenteil überzeugen.“ Seine Hand beschrieb einen kleinen Halbkreis.
„Ach komm, das hast Du Dir doch alles bloß ausgedacht!“
„Beweise es!“ Zufrieden und mit überlegenem Blick schob er beide Hände in die Taschen. Sie machte ein paar klägliche Versuche und gab dann lachend auf, denn Philipp hatte immer ein Gegenargument parat. Beide hatten ihre Teller zur Mitte des Tisches geschoben und rückten noch etwas näher aneinander.
„Wie hast Du Dir den weiteren Verlauf des Abends vorgestellt?“, fragte er recht direkt. Für einen Moment hielt sie inne und schaute auf die Uhr. Ihm fiel auf, dass sie das fast regelmäßig getan hatte.
„Erwartest Du jemanden?“
„Nein, nein“, beeilte sie sich, zu versichern.
„Nun, dann würde ich vorschlagen, wir nehmen einen Absacker auf meinem Zimmer.“
Wieder schaute sie nach der Zeit und sagte schnell: „ Oder auf meinem.“ Philipp war für einen Moment baff, aber ein hoffnungsvolles Strahlen überzog sein Gesicht. „Worauf warten wir?“
Sie hatte ihm ihren Zimmerschlüssel überlassen und wollte noch dem Zimmerservice Bescheid geben.
Oben angekommen, hatte er das Fenster geöffnet und die Gardinen geschlossen. Bis auf eine kleine Lampe löschte er mit leicht zitternder Hand alle Lichter und zog sein Jackett aus.
Seine Gedanken überschlugen sich, er fühlte sich wie ein Teenager vor dem ersten Mal. Anstatt Blut, pumpte pures Adrenalin durch den Körper, auch das tiefe Ein - und Ausatmen vor dem Fenster brachte nur wenig Entspannung.
Kurz darauf klopfte es und Stefanie hatte den Zimmerkellner im Schlepp. Die Flasche Sekt war auf dem kleinen Servierwagen schon geöffnet, zwei Gläser standen griffbereit. Mit einem Trinkgeld wurde der Bedienstete wieder verabschiedet. Philipp goss ein.
Sie prosteten sich auf eine unerwartete Begegnung sowie einen hoffentlich angenehmen Abend zu. Er trank recht schnell, während Stefanie nur kurz nippte. Als das Glas leer war, bemerkte er, dass sein Gehirn mit einem Mal vom Alkohol übernommen wurde. Oder etwas anderem. Plötzlich fühlten sich alle Gliedmaßen so schwer an, er musste sich hinsetzen. Die Augen aufgerissen, massierte er seine Schläfen.
„Der Tag war anstrengender, als ich dachte“, sagte er mit merklich schwerer Zunge. Dann wurde ihm schwarz vor Augen.

Das erste, was er wahrnahm, war das Zwitschern von Vögeln.
Philipps Lider waren so schwer und er hätte so gern die Augen geöffnet. Schon allein, um zu sehen, wer ihm mit einiger Kraft sein Knie in die Seite presste.
Er wollte sich umdrehen und stöhnte vor Schmerz auf. Da lag niemand hinter ihm und gleichzeitig fühlte sein Körper sich wie überfahren an.
Mühsam tastete er sich ab. Sein unterer Rücken war bandagiert.
Wie konnte das sein? Was war gestern Abend passiert? Kraftlos rollte sein Kopf hin und her. Das Morgenlicht drang durch die Gardinen, die sich leicht in der Brise bewegten. Vor dem Fenster war einiges an Bewegung zu hören. Stimmengewirr und das Schlagen von Autotüren. Ab und zu sprang ein Motor an, entfernte sich.
Unendlich langsam kamen Philipp die Erinnerungen wieder. Da war diese Frau, Stefanie. Die Zugfahrt, das Essen, Ihr Zimmer, ein Blackout. Er rief ihren Namen, aber mehr als ein halblautes und trockenes Gebrabbel kam nicht aus seinem Mund. Er war allein.
Es kostete Kraft, die Augen offen zu halten und überhaupt sich zu bewegen. Im Dämmerlicht nahm er ein senkrechtes Gestell neben dem Bett wahr. Als sein Blick sich etwas klärte, erkannte er einen Tropf, dessen durchsichtiger Schlauch unter der Bettdecke verschwand. Matt ertastete seine rechte Hand die Eingangskanüle in der linken Armbeuge.
Wieso bin ich im Krankenhaus?
Wieder schaute er sich um und kam zu dem Schluss, dass das kein Krankenzimmer sein konnte. Schlapp tastete er nach der Lampe, dabei wischte er seine Uhr und die Brieftasche vom Nachtschränkchen. Den Schalter erreichte er mit Mühe. Seine Hand streifte gefaltetes Papier und mit einer Hand wedelte er das Blatt auseinander:
„Es tut mir wirklich leid. So bald ich kann, werde ich eine Ambulanz verständigen. Es war alles nur ein Zufall. Stefanie“
Wieder wurden vor dem Fenster Fahrzeugtüren aufgerissen.
Was waren das nur für Schmerzen? Jemand hatte zwei Kissen unter seine linke Seite geschoben, so dass die Hüfte erhoben war.
Wieder fühlte er nach der Bandage, als an die Tür geklopft wurde. Er gurgelte etwas, diesmal ein „Herein!“, aber das verstand man draußen nicht und es wurde nochmals geklopft.
Philipp gab auf, da drehte sich der Schlüssel im Schloss.
Mit dem Kopf über die Schulter sah er, wie zwei junge Männer in Weiß einem Zimmermädchen folgten.
„Schön, dass Sie da sind“, murmelte Philipp. „Es geht mir gar nicht gut ....“ Dann war wieder alles schwarz.

 Als er erwachte, war es heller hinter seinen Augenlidern und dieses Mal war er sich sicher, in einem Krankenzimmer aufgewacht zu sein.
Weiße Wände, ein hellblauer Sockel umlief den Raum. Durch das Fenster sah er den grauen Himmel, durch den der Wind schnell die Wolken trieb. Ab und zu hörte er Regentropfen das Glas treffen.
Der Tropf neben seinem Bett war ihm vertraut, die Schmerzen nicht mehr ganz so heftig.
Noch immer war ihm die Ursache seiner Beschwerden nicht erklärlich, denn jetzt trug er eine dickere und gleichmäßigere Bandage um die Körpermitte. Vorsichtig angelte er nach dem mit Wasser gefüllten Plastikbecher auf dem Beistelltisch, denn er hatte brennenden Durst. Wie glühendes Metall rann die Flüssigkeit seine raspeltrockene Kehle hinunter, aber er setzte nicht ab, bevor das Gefäß leer war.
Ein Hustenreiz stieg ihn auf, er glaubte, der Schmerz würde ihn zerreißen.
Mit verzerrtem Gesicht sank er zurück und starrte an die Decke. Versuchte sich zu erinnern, die Bruchstücke zusammenzusetzen.
Die Zugfahrt und Stefanie. Weiter kam er vorerst nicht, denn plötzlich öffnete sich die Tür und eine junge Krankenschwester steckte ihren Kopf herein.
„Oh, Sie sind schon wach“, sagte sie leise und trat neben sein Bett.
„Wo bin ich?“ Das Wasser hatte geholfen, er konnte sich verständlich machen.
„Es ist alles in Ordnung, Herr Frey.“
Sie fühlte seinen Puls und kontrollierte die Pupillen. Beim Messen des Blutdrucks fragte er sie erneut und sie setzte sich zu ihm auf die Bettkante.
„Herr Frey, Sie sind im Krankenhaus in Embeden. Zum Glück wurden wir beizeiten verständigt und so geht es Ihnen den Umständen entsprechend gut.“
Besänftigend hatte sie den Kopf schiefgelegt. Er presste ihre Hand und sagte mit gleichem Druck: „Was. ist. mit. mir. passiert?“
Ihr Blick wurde etwas sorgenvoller und sie schien nach Worten zu suchen.
„Herr Frey, Ihnen wurde gestern Nacht eine Niere entfernt. Und das recht professionell.“
Philipp war sprachlos. Sein Kopf fiel auf das Kissen zurück und sein Blick blieb zunächst stumm auf die Zimmerdecke gerichtet.
„Aber wie geht sowas?“
Die Schwester sah das tiefe Unverständnis in seinem Gesicht.
„Operationen aller Arten werden schon seit Menschengedenken gemacht. Je sauberer das Umfeld, desto kleiner die Möglichkeit einer Infektion oder Blutvergiftung. Und ein Hotelzimmer ist immer noch steriler als eine Waldlichtung“, versuchte sie einen Scherz. Ein verächtliches Schnauben war die Antwort.
„Der oder diejenige, die das mit Ihnen gemacht haben, sind geübt. Wahrscheinlich waren hier Profis am Werk.“
Aber warum er? War es tatsächlich nur ein Zufall gewesen, wie Stefanie geschrieben hatte? Hatte sie das allein gemacht oder hatte sie Helfer? „In ein paar Tagen sind Sie wieder auf den Beinen. Vorher wird bei Ihnen noch die Polizei vorbei schauen und Fragen stellen.“
„Was soll das helfen? Meine Niere werde ich wohl nicht wiedersehen, oder?“ Sarkasmus schwang in seiner Stimme mit.
„Das leider nicht, aber außer Ihren Ausweispapieren und Ihrer Brieftasche gibt es nichts, was den Ermittlungsbehörden vorerst helfen würde. Ihr Hotelzimmer ist bei der ersten Durchsuchung leer vorgefunden worden, soweit ich weiß.“
„Soweit Sie wissen?“, fragte er fast spitz und wollte sich aufrichten, griff nach ihrer Hand.
Plötzlich durchzuckte es ihn wie ein schwerer Blitzschlag.
„Im Moment haben Sie nur die Dinge, die Sie bei Ihrer Einlieferung auf dem Leib trugen.“
Sein Koffer! Sein Koffer war verschwunden!
„Nichts?“
„Nein. Entweder Sie hatten nichts dabei oder jemand hat es gestohlen.“ Damit entzog sie ihm ihre Hand.
Warum sollte man den Koffer stehlen? Der Inhalt war nur für ihn wertvoll gewesen.
Seine Gedanken rasten. Er brauchte diesen Koffer, denn ohne dessen Inhalt, war die Sammlung unvollständig. Andererseits konnte er den Diebstahl nicht anzeigen, denn wenn der Koffer gefunden würde, wäre das sein Todesurteil. Niemand könnte verstehen, warum er sammelte, was er sammelte.
Erst als es dunkel wurde, bemerkte er, dass er wieder allein im Zimmer war. Wie lange, war ihm nicht bewusst, denn sein ganzes Denken kreiste hypnotisch nur um einen Punkt: Der Koffer!
Als am nächsten Morgen die Schwester gut gelaunt das Krankenzimmer öffnete, erschrak sie.
Philipp Frey war über Nacht verschwunden.

Thomas Ahrberg steuerte den silberfarbenen Mercedes entspannt über die Autobahn. Er hatte allen Grund dazu, denn unter Hilfe seiner Komplizin Stefanie hatte sie es tatsächlich geschafft, just in time eine brauchbare Niere zu beschaffen.
Im Hotel angekommen hatte sie ihn wegen eines möglichen Kandidaten benachrichtigt, worauf er mit dem nötigen Equipment sich auf den schnellsten Weg gemacht hatte. Danach war alles reibungslos verlaufen. Der unfreiwillige Spender war betäubt und bereits entkleidet, als Thomas kurz nach Mitternacht eintraf.
Mit einem flüchtigen Kuss auf die Wange begrüßten sie sich, der Nachklang einer kurzen leidenschaftlichen, aber längst vergangenen Beziehung.
Da dies nicht ihr erster gemeinsamer Einsatz war, ging die Operation relativ zügig voran und bald darauf öffnete Stefanie ihren Koffer und holte eine Plastiktransportbox heraus.
Aus Thomas‘ Gepäck nahm sie die Eisbeutel und verstaute das Organ in einem sterilen Beutel dazwischen. Obwohl es ein Rollkoffer war, empfand sie die Last als zu schwer. Schnell huschte sie in Philipps Zimmer, während Thomas damit beschäftigt war, diesen wieder zuzunähen. Philipps Koffer war wesentlich leichter, weil nur halbgefüllt mit zwei gut verschlossenen Supermarkt-Einkaufstüten. So sortierte sie ihre Sachen in seinen Koffer ein und die Transportbox blieb in ihrem. Die Gewichtsverteilung machte sie zufrieden.
Nach einem eiligen Check out, was einen verwunderten Rezeptionisten zurückließ, fuhr Thomas sie beide zügig in Richtung Westen, wo bereits ihr Auftraggeber auf die Ware wartete.
Die Übergabe im knapp zweihundert Kilometer entfernten Wiesenthal verlief schnell und reibungslos. Sogar die Zahlung war in der Kürze der Zeit vorbereitet gewesen. Der schmale Aktenkoffer wechselte in einem Parkhaus die Besitzer. Wie schon einige Male zuvor, teilten sich Stefanie und Thomas ihre Anteile später.
Jetzt saßen beide in seinem Auto und er lenkte den Wagen sicher durch die noch ruhige Innenstadt und hielt vor dem besten Hotel der Stadt. „Darf ich Dich zum schmackhaftesten Frühstück im Umkreis einladen?“, fragte er, als schon ein Hoteldiener heran stürzte und die Wagentür mit einem „Guten Morgen“ aufriss.
Stefanie nahm die Einladung lächelnd an. Zunächst buchte Thomas ein Zimmer für sie und führte sie dann in den hohen Speisesaal, der eine lange Fensterfront zum Stadtpark hinaus hatte.
Stefanie beobachtete ihn die ganze Zeit. Wie der große Mann mit den tiefen Geheimratsecken in seinen dunkelgetönten Haaren, weltmännisch mit den Hotelangestellten umging. Die teure Schweizer Uhr mit dem Lederarmband, die manchmal aus seiner Manschette hervorschaute. Die hellbraunen Augen, die oft etwas verzauberndes hatten, wenn Thomas es wollte. Er schien stets glattrasiert zu sein, gut vorbereitet und vor allem souverän. Sie bewunderte ihn immer noch insgeheim und er war mit diesem Gesicht aus einer Daily Soap, wirklich ein Arzt zum Verlieben. Damals, sie 21 und er doppelt so alt, hatten sich auf dem Geburtstag der Mutter von Stefanies bester Freundin kennengelernt. Er Single, sie BWL-Studentin, die nichts vom Leben wusste. Er aber strahlte Dinge aus, von denen sie noch nicht einmal geahnt hatte. Schnell war sie für ihn entflammt und erkannte erst zu spät, wie blauäugig sie gewesen war. Nachdem sie anfangs ein paar Mal miteinander geschlafen hatten, war sie ihm völlig verfallen. Kurz darauf gestand er ihr, in finanziellen Schwierigkeiten zu stecken.
Sie erschrak zutiefst, denn das konnte nur heißen, er wolle sie auf den Strich schicken. Es gelang ihm, sie zu beruhigen und überredete sie, ihm bei einer Operation zu helfen. Das war für sie kaum weniger erschreckend.
Diese Bitte kam nicht von ungefähr, denn er hatte sie schon in der Küche beobachtet, als sie zwei Fische zum Essen ausnahm. Ihm war es ungeheuer wichtig, dass sie nicht sofort in Ohnmacht fiel, wenn es blutig wurde.
Bei der ersten Operation, dem Versorgen einer Schusswunde im Hinterzimmer eines japanischen Restaurants, hatte sie zittrige Hände wie noch nie. Die Angst, etwas falsch zu machen, saß sehr tief, aber Thomas lenkte sie geschickt und war am Ende voll des Lobes.
Im Inneren war er erleichtert und beglückwünschte sich selbst für seinen Fund.
Im Laufe der Zeit gewöhnte sie sich an die sporadischen Treffen mit ihm und mehr und mehr überwog die Freude an dem auf diese Weise verdienten Geld, wobei sie sehr achtsam war, nicht zu sehr damit aufzufallen.
Nach dem Frühstück gingen beide auf ihr Zimmer. Stefanie war klar, dass Thomas ihr nie gehören würde, sie aber auf gelegentlichem Sex mit ihm nicht verzichten wollte.
„Wieso hast Du eigentlich zwei Koffer dabei?“, fragte er sie müde, nachdem sie das Geld geteilt hatten.
Sie kam aus der Dusche, während er im Bett auf sie wartete.
Ihre Erklärung verärgerte ihn:
„Sind wir Gepäckdiebe oder was? Jetzt hat der Typ eine Niere weniger und gar keine Unterhose mehr. Was soll das?“
Stefanie gab zu, nicht überlegt zu haben. „So viele Klamotten sind eh nicht darin. Philipp war auf dem Heimweg von irgendwo oder zu einem Termin unterwegs“, versuchte sie, Thomas zu besänftigen.
„Und was ist das für ein komischer dunkler Fleck da an Deinem Koffer?“
„Keine Ahnung. Irgendwo bleibt immer mal was an dem Stoffzeugs was hängen“, tat sie seine Beobachtung ab.
„Das ist nicht von außen. Da ist was ausgelaufen“, sagte er und zeigte deutlich auf die untere Ecke des Koffers.
„Sieht aus wie Australien ...“
„Also von meinen Klamotten ist da nicht ausgelaufen, aber bitte, ich schaue nach.“
Sie legte den Koffer auf den Boden, öffnete den Verschluss und schlug ihn auf. „Hier, siehst Du? Das sind meine Sache. Das kommt von einem der Beutel, die hier schon drin waren.“
Sie griff nach einer von Philipps Plastiktüten.
Tatsächlich, in dieser war ein winziger Riss. Entstanden, als Stefanie die Tüte beim Zumachen in den Reißverschluss eingeklemmt hatte.
„Und was transportiert der Typ so? Sieht aus wie eine Melone. War wohl vorher auf dem Wochenmarkt gewesen ...“
„Quatsch“, sagte Stefanie und öffnete den Klipp, der den Beutel verschloss. Sie schaute hinein, schrie auf und ließ die Tüte fallen. Rückwärts war sie an die Wand gesprungen.
„WasistdasfüreinScheiß?“, stieß sie hervor.
Erschrocken war Thomas hochgeschnellt.
„Was hast Du?“, fragte er fast verständnislos. Mit fahriger Hand deutete sie nur auf den Koffer. Unsicher, was ihn erwarten würde, beugte Thomas sich über die Tüte, schaute hinein und dann auf sie.
Vorsichtig zog er den zweiten, kleineren Beutel heraus, öffnete ihn und wurde blass.
Tonlos sagte er dann: „ Du hast Deinem Philipp einen Kopf und zwei Hände geklaut ...“
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Bea H2O
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Beitrag24.03.2019 21:05

von Bea H2O
Antworten mit Zitat

Calvin Hobbs hat Folgendes geschrieben:
Ah okay, das ist mir bei Ergänzungen und Verbesserungen durchgeflutscht. smile
Da ich den ersten Post nicht mehr ändern kann, ist hier die korrigierte Version smile Gerade wegen des Tunnelblicks beim eigenen Text ist mir das Feedback  wichtig smile

Im Zug

Eigentlich gefiel es Philipp Frey nicht, im Zug rückwärts zu fahren, aber so war es eben. Warum? Wenn doch der Platz gegenüber frei ist? Und ich mag das Wort "Eigentlich" nicht. Besser wäre mMn so etwas wie: Es gefiel Phillip nicht..., doch an diesem Tag musste es so sein. Er hoffte, dass Vielleicht würde ihm diesmal nicht übel werden würde, dass er die Abteiltür aufreißen und frische Luft schnappen müsste. Berechnend blickte er auf das dunkle Polster des freien Sitzplatzes gegenüber. Andererseits, überlegte er, der Sitz ihm gegenüber war nicht belegt und so lange niemand Anspruch darauf erhob ... Im Moment war er allein hier. Statt sich aber auf diesen Sitz zu begeben,
Obwohl alle Polster gleich dunkel-hässlich waren, fühlte er sich mit einem Mal viel wohler. Entspannt
streckte er die Beine aus und lehnte er den Kopf gegen seine Jacke, die er an dem Haken über dem Fenster aufgehängt hattewar.
Hinter der Scheibe lag befand sich der schwach gefüllte Bahnsteig.
Hier in der Provinz gab es höchstens den Pendlerverkehr, an dem die Bahngesellschaft verdienen konnte, Fernreisende waren meist Urlauber. Muss man das wissen? Ein Familienvater mit offenem Mantel trug zwei schwere Lederkoffer, dabei wurde er von seiner Frau und zwei halbwüchsigen Jungen verfolgt. Der Schweiß hatte sein dünnes Haupthaar am Kopf angeklebt, im Vorbeilaufen blieben seine Augen für einen Moment an Philipp hängen.
In diesem Moment setzte für Philipp eine Zeitlupe ein: Beschreibe es lieber wie in Zeitlupe, dann muss du das nicht extra ankündigen. Etwa: Es war offensichtlich, dass der Mann Phillip durch die milchige Scheibe erkannte. Die Augen des Fremden verengten sich zu einem abschätzigen Blick
Beide Männer nahmen sich wahr, maßen sich und für einen Augenblick durchschauerte ihn Phillip der Gedanke des Erkennens. Dieser Das verflog aber sogleich wieder., Er war sich sicher, dem anderen noch nie begegnet zu sein.
Zum Glück muss ich nicht so schleppen, dachte Philipps und sein Blick fiel wanderte auf seinen Koffer in der gegenüberliegenden Ablage.
Heute Morgen hatte er, wie immer vor einer solchen Fahrt, das Wichtigste zusammen gesucht, alles fein säuberlich in Plastiktüten eingewickelt und fast liebevoll verstaut. Er fuhr gern mit dem Zug und er hatte festgestellt, dass seine Unternehmungen waren in letzter Zeit häufiger geworden waren. Steht das nicht im Widerspruch dazu, dass ihm beim Rückwärtsfahren schlecht wird?In diesem Augenblick kam eine Gruppe Jugendliche die Treppe zum Bahnsteig hinauf gerannt.
Krakeelend passierten sie Philipps Fenster und wieder ließ ihn ein Augenpaar frösteln. Wieso schaute das junge Mädchen mit dem weißblonden Pagenschnitt, wieso schaute sie so intensiv herüber? Was hatte ihre Aufmerksamkeit erregt?
Zu seiner Erleichterung suchte sie weiter vorne den Einstieg.
Ist das nur Einbildung oder scheinen mich heute alle Leute anzustarren? Man versteht auch ohne dass du die Frage schreibst, dass er sich das fragt. Insbesondere beim nächsten Satz.
Philipp atmete ein, zwei Mal tief durch. Es war nichts passiert, niemand hatte mit dem Finger auf ihn gedeutet. Dazu gab es auch gar keinen Grund, beruhigte er sich selbst. Die bisherigen Fahrten hatte er viel gelassener bewältigt. War heute etwas anders?
Als Versicherungsmakler mit eigenem Büro konnte er sich solche Reisen erlauben. Manchmal waren sie sogar notwendig. Etwa, wenn die Zentrale in der Landeshauptstadt ihre Mitarbeiter zu bestimmten Anlässen rief. Aber diesmal war er in eigener Sache unterwegs. Stört für mich an dieser Stelle und ich verstehe nicht, warum ich das jetzt wissen muss. Ich finde es flüssiger, wenn es direkt mit der nächsten Szene weitergeht.
Draußen vor seinem Fenster küsste sich jetzt ein Pärchen innig. Dem einzelnen pinkfarbenen Rollkoffer nach zu urteilen, verreiste nur sie.
Ein Schaffner kam mit rotem Kopf und hastig schnaufend, zwei Stufen mit einmal nehmend, die Treppe herauf. Für einen Moment blieb er stehen und schaute hektisch den Zug entlang. Dann holte er seine Uhr hervor. Es war eine dicke mechanische Eisenbahneruhr an einer goldfarbenen Kette. Philipp liebte solche Dinge im Zeitalter von Handys und Laptops.
Der Schaffner verglich die Zeit mit der digitalen Bahnhofsuhr und verschwand aus Phillips Blickfeld, er stieg weiter hinten ein.
Das Pärchen war ebenfalls weg, ein schriller Pfiff ertönte und kurz darauf ruckte der Zug an.
Glück gehabt, dachte Philipp. Bin ich wohl ... Erleichtert erhob Phillip sich, um sich auf den freien Platz in Fahrtrichtung zu setzen, als
In diesem Moment wurde die Abteiltür aufgerissen wurde und die vorhin so intensiv küssende junge Dame mit ihrem Koffer in der Hand erwartungsvoll im Rahmen stand.
Ihr Blick ging über die kleinen Metallnummern über den Kopflehnen der Sitze und fiel schließlich auf Philipp. Dann wieder zum Schild. Sie holte Luft und sagte gedehnt: „Entschuldigen Sie, sind Sie sicher ...?“
Bevor sie enden konnte, war dieser aufgesprungen, dabei fiel ihm seine gerade gekaufte Tageszeitung vom Schoß.
„Es tut mir leid. Ich hatte nicht angenommen ... und mir leider wird immer übel vom Rückwärtsfahren ...“ [color=#444444]Hab gerade erst verstanden, dass Phillip sich schon umgesetzt hatte lol2 Ich lasse die Änderungen trotzdem mal als Vorschläge stehen. Phillip kann sich natürlich auch gerne vorher schon erleichtert umsetzen wink[/color]Er klaubte den „Standard-Anzeiger“ wieder auf und stand unschlüssig da, musste sich abstützen, denn der Waggon ging in eine Kurve.
Für einen Moment überlegte sie und sagte dann schnell: „Das möchte ich natürlich nicht“, und schaute mit fragenden Augen nach seinem Sitz.
„Oh, hier. Nummer 4, am Fenster.“ Er wies mit der Hand darauf.
Es schien ihr nichts auszumachen, denn sie zuckte mit den Schultern.
„Darf ich Ihnen helfen?“ Eifrig erbot er sich, ihren Koffer über seinen Kopf in die Ablage zu hieven. Sie ließ es geschehen, legte ihre schwarze Handtasche auf den Sitz, hing den leichten Mantel auf und nahm Philipp gegenüber Platz.
Beide ruckelten und schwankten leicht mit den Bewegungen des Abteils, der mit langsamen Tempo die Stadt verlassen hatte. Im gleichmäßigen Takt huschten Telefonmasten am Fenster vorbei, dahinter breiteten sich schon die Rapsfelder aus.
Philipp hatte sich zurückgelehnt, die Zeitung geöffnet und beobachtete die Dame über den oberen Rand, während sie in ihrer Handtasche nach etwas grub. Fände schöner, wenn das in der einfachen Vergangenheit beschrieben werden würde.
Aus der Tiefe seines Schrittes kroch ein leichtes Kribbeln, zog wie Honig feinste Nervenbahnen empor und plötzlich war er hellwach.
Er schätzte sie auf Mitte 20. Schlank, nicht sehr groß, blondes mittellanges Haar, eine helle Bluse mit kurzen Ärmeln. Dazu einen smaragdfarbenen Rock. Am linken Handgelenk eine viereckige Damenuhr, dazu einen dünnen goldenen Ring, allerdings am Mittelfinger. Keinen Nagellack. Ihre rechte Hand kam mit einem kleinen Spiegel zum Vorschein, in dem sie kurz ihr Aussehen prüfte.
Sie trug nur etwas Wimperntusche, kein offensichtliches Make-up. An ihren Ohrläppchen hingen winzig kleine stilisierte Sterne.
Philipp spürte, wie sein Körper Adrenalin ausschüttete, jedes weitere Detail an ihr machte sie für ihn immer begehrenswerter.
Der Spiegel verschwand wieder, dafür kam ein Buch zum Vorschein. Der Einband war grün wie ihr Rock und zu Philipps Erstaunen waren darauf zwei fotografierte Totenschädel zu sehen.
„Anatomie“ stand in großen Lettern darüber. Also eine Medizinstudentin, schlussfolgerte er. Sie kramte nochmals und hatte ein Etui in der Hand. Die übergroße und dunkelrandige Nerdbrille stand ihrem leicht viereckigen Gesicht gut. Viereckiges Gesicht?
Sie schlug eine Seite auf und begann, wie er zu lesen.
Philipp hatte Mühe seine erhöhte Herz- und Atemfrequenz zu beherrschen, als er sah, wie ihre hellbraunen Augen unter den geraden Augenbrauen und über der schmalen Nase gewissenhaft über die Zeilen gingen. Manchmal fuhr ihre Zunge leicht über ihre Unterlippe, wenn sie mit ihren schlanken, fast zierlichen Fingern eine Seite wendete.
Das Buch verdeckte ihren Ausschnitt, so konnte er nicht sehen, ob sie eine Kette trug. Sie hatte eine sportliche Figur, keine große Oberweite, aber mit Wohlwollen musste er zugeben, dass sie durchaus Rundungen hatte.
Langsam ging sein Blick wieder nach oben und er erstarrte. Durch ihre Brillengläser funkelten ihn ihre grauen Augen an. Alle Anmut schien aus ihrem Gesicht verschwunden. Als würde sich eine Wolke vor die Sonne schieben, hatten sich ihre Gesichtszüge verhärtet.
„Ihnen ist schon klar, dass Sie mich beobachten?“, fragte sie mit eisiger Stimme.
Philipp wandt sich in seinem Polster.
„Entschuldigung Sie ... das war nicht meine Absicht  ...“, stammelte er ertappt und verlegen. Es reicht, wenn er entweder ertappt oder verlegen ist und beides weiß der Leser auch ohne dass du es schreibst wink Er hätte sich ohrfeigen können. Seit mehr als zwei Jahrzehnten bist Du Versicherungsmakler, schrie es in ihm, eine dutzend Mal davon Verkäufer des Jahres, seine Agentur war eine der besten des Landes und hier stotterte er wie ein Teenager.
Ihre zu Eis gewordenen Augen ließen nicht von ihm ab und er hatte das Gefühl in seinem Sitz zu schrumpfen. Was hatte sie, dass er sich dieser Frau gegenüber so unbeholfen verhielt?
Er zwang sich zur Ruhe, atmete tief durch, wischte sich mit der linken Hand über das Gesicht und streckte ihr seine rechte entgegen: „Frey. Philipp Frey.“
Ihr fesselnder Blick änderte sich nicht, aber sie schien zu überlegen. Dann reichte sie ihm ihre Hand: „Stefanie ... Bergmanova“, sagte sie langsam.
„Meine Urgroßeltern kamen aus der Tiefe Russlands“, fügte sie fast entschuldigend hinzu.
„Meine Familie hat schon immer da gewohnt, wo ich herkomme. Bingstadt, aber wahrscheinlich haben Sie noch nie davon gehört!?“
Stefanie taxierte ihn erneut. „Nein, da haben Sie Recht.“
Leicht kniff er für einen Moment die Augen zusammen. Er konnte nicht einschätzen, was in ihrem Kopf vorging.
Hatte sie Angst? Ihre Reaktionen hatten etwas Zurückhaltendes, fast Lauerndes.
„Macht nichts. Wäre ich nicht von da, würde ich es wohl auch nicht kennen.“
Mehr und mehr gewann er seine Selbstsicherheit zurück, setzte sich bequemer hin, schlug die Beine übereinander. Er wusste nicht warum, aber er fühlte sich von der Art dieser jungen Frau herausgefordert.
„Sie studieren Medizin?“ Mit einem Kopfnicken wies er auf ihr Buch. Ihre Augen glitten oberflächlich über den Einband: „Nein“, sagte sie, „noch nicht. Im Moment helfe ich einem Freund mit seiner ambulanten Praxis. Da ist es nützlich, wenn man wenigstens einige Grundbegriffe kennt.“
„Auf welchem Gebiet praktiziert denn ... Ihr Freund?“ Ungewollt hatte er die beiden letzten Worte etwas betont.
„Innere Medizin. Und er ist wirklich nur ein Freund“, wies sie ihn zurecht und wunderte sich gleichzeitig, warum sie sich vor ihm rechtfertigte. Ist es beabsichtigt, dass sich hier die Reflektorfigur ändert?Jetzt nur nicht den Faden abreißen lassen, dachte Philipp, als vor dem Fenster wieder ein Kleinstadtbahnhof zum Stehen kam. Seine Hoffnung wurde erfüllt und niemand neues betrat das Abteil.
„Darf ich fragen, was Sie machen, wenn Sie nicht gerade Krankenschwester sind? Werden Sie da regelmäßig gebraucht?“
Leicht kniff sie die Augen zusammen, als ob sie sich die Antwort gut überlegen müsste. Offensichtlich willwollte sie nur das Nötigste preisgeben und das fand er schade, denn ein Kennenlernen wurde so ungemein schwieriger.
„Nur ein oder zwei Mal im Monat werde ich gebraucht. Wie gesagt, ich bin eigentlich Laie auf diesem Gebiet.“
„Aber offensichtlich talentiert“, warf er ein.
„Wie kommen Sie darauf?“ Wieder dieser fordernde Tonfall.
„Nun, warum sonst sollte ein Arzt sich um Ihre Mithilfe bemühen?“ Diese Antwort schien Sie zu beruhigen und sie nickte. „Das stimmt. Ansonsten lese ich viel, mache etwas Sport, gehe mit Freunden ins Kino. Das übliche.“
Philipp lächelte sie offen an, immerhin sprach sie in ganzen Sätzen mit ihm. Offenbar nahm sie diese Geste auf. „Und was machen Sie, wenn Sie nicht im Zug sitzen und Leute ausfragen?“
„Ich habe den spektakulären Beruf eines Versicherungsmaklers.“
Jetzt sah er, wie sie sich merklich entspannte. „Was hatten Sie gedacht?“, fragte er mit gespielter Neugier.
„Keine Ahnung“, musste sie ehrlicherweise zugeben und betrachtete ihn zum ersten Mal genauer. Wenn man sie später nach einer Beschreibung fragen würde, wäre sie eher ratlos. Wieso sollte sie sich das fragen? Die folgende Beschreibung reicht, um klar zu machen, dass Phillip nicht aus der Masse hervorsticht. Und wieder irritiert mich der Wechsel der Reflektorfiguren. Dieser Philipp Frey war ein Gesicht der Masse mit aschblondem Haar. Seine Augen waren von dunkler Farbe, vielleicht grün. Die Nase weder lang noch kurz, die Spitze etwas knubbelig. Das Gesicht mehr oval, der Kiefer weich geschnitten. Eine winzige Narbe neben seiner rechten Augenbraue, ansonsten glatte und reine Haut. Gut, also wenn sie ihn sich so genau ansieht, dann wird sie ihn auf jeden Fall auch beschreiben können... Stefanie schätzte ihn nach den Krähenfüßen um die Augen auf Anfang 40. Von der Statur her weder groß noch klein, er trieb wenig Sport, hatte aber keinen Bauch. Sein grauer Anzug saß gut, war aber von der Stange. Seine hellbraunen Lederschuhe waren poliert.
„Wie fällt das Urteil aus?“ Diese Worte holten sie aus ihren Gedanken. „Ich glaube, Sie könnten alles sein, was mit Verwaltung, Büro und Papierkram zu tun hat.“
„Sehe ich so langweilig aus?“
„Nein, nein“, beeilte sie sich, zu versichern. „Aber Sie machen halt nicht den Eindruck eines Handwerkers oder ...“
„Oder Polizisten?“ Philipp sah, wie sie fast unmerklich in diesem Moment schlucken musste. „Wie kommen Sie auf Polizei?“
„Das war nur ein Beispiel.“ Mit beiden Händen wehrte er ab. „Ich bin schon mein Leben lang bei der -S&F Assekuranz- und mit der Polizei haben wir nur bei Autounfällen oder Einbrüchen zu tun.“
Sie schien erleichtert: „Wer möchte schon gern mit der Polizei zu tun haben.“
Philipp war sich nicht sicher, ob ihr kleines Lächeln etwas anderes verdecken sollte.
„Und wenn man so manche Schlagzeile heutzutage liest, möchte man auch kein Ordnungshüter sein.“ Er hatte seine Tageszeitung geöffnet und hielt ihr die Titelseite hin.
Ihr Augen wurden hinter der Brille noch größer:
„Erneut Leiche ohne Kopf und Hände aufgefunden“ sagte las sie halblaut die breit gedruckte Überschrift auf. „Wie schrecklich.“ Dabei fasste sie sich an den Hals. „Was für ein Mensch tut so was?“
„Ich würde annehmen, jemand, der nicht will, dass man den oder die Tote leicht identifizieren kann.“
Im gleichen Augenblick war Philipp klar, das war die falsche Antwort gewesen.
Stefanie schaute ihn ehrlich entrüstet an: „Wie können Sie nur so etwas Gefühlloses sagen? Ich meinte, was in einem Menschen vorgeht, dass er so eine abscheuliche Tat überhaupt begeht.“ , dann blickte sie starr aus dem Fenster. Draußen wechselten sich einzelne Bauernhöfe mit Feldern und Straßen ab. Der Mais stand schon halbhoch und am Horizont setzte bereits die Dämmerung ein. Die schnell ziehenden Wolken bekamen eine helle metallische Farbe am sich verfärbenden Himmel.
„Es tut mir leid, dass ich zuerst praktisch und nicht emotional gesprochen habe. Da ging wohl mein Beruf mit mir durch“, versuchte er sich in Schadensbegrenzung. „Natürlich ist so eine Tat für die meisten von uns nicht zu verstehen. Wahrscheinlich ist nur ein Wahnsinniger zu so etwas fähig.“
Ohne ihn anzuschauen, sagte sie fast tonlos: „Wie sehr muss man einen Menschen hassen, um ihn zu töten? Von den anderen Dingen ganz zu schweigen.“
„Man kann den Menschen immer nur vor den Kopf schauen.“ Insgeheim freute sich Philipp, dass sie wieder zugänglich wurde. Und sich an ihn wandte.
„Das ist auch besser so“, antwortete sie. „Bei manchen Leuten würden wir da wohl in unvorstellbare Abgründe sehen.“
Dazu nickte er nur. „Ich denke, jeder Mensch wird von seinen ganz eigenen Dämonen gejagt. Manche stecken das weg, andere werden davon verschlungen“, sagte er dann.
„Ja, aber gehören da nicht zwei dazu?“
Philipp schien also gerade wenn da so ein Wort wie schien steht, dann irritiert es, dass du gleich wieder aus seiner Sicht schreibst im ersten Moment die Frage nicht zu verstehen. Sie bemerkte das und fuhr fort: „Etwas, das verschlingt und jemand, der sich verschlingen lässt.“
„Nun, wenn Sie das so sehen ...“. Der Gedanke schien in kurz zu beschäftigen.
Vor einigen Minuten und mitten zwischen Kartoffelfeldern und entfernt liegenden großen Ställen war der Zug stehen geblieben.
„Der Zugführer wartet auf das Signal“, stellte sie fest, ohne dass er gefragt hätte.
In diesem Moment ruckte der Waggon wieder an, schlich einige hundert Meter, ohne Geschwindigkeit aufzunehmen und blieb diesmal an einem geschlossenen Bahnübergang stehen.
Stefanie und Philipp sahen auf beiden Seiten des Zuges zwei, drei Autos und eine Handvoll Fahrradfahrer hinter den herabgelassenen Schranken warten. Vom Ende der einen Straße kam in einer Staubwolke ein großer Traktor langsam zum Ende der Schlange gerollt.
„Das finde ich ungewöhnlich“, sagte er und schaute sie an.
„Ich bin die Strecke bis heute nie gefahren“, meinte sie schulterzuckend. „Ich schon, aber hier gab es nie einen Halt ...“
Sie verzog die Mundwinkel: „Das scheint also ein langer Abend zu werden.“
Er schaute auf die Uhr und sie sagte: „Haben Sie denn heute noch einen Termin?“
Seine leicht gewölbten Augenbrauen zogen sich zusammen.
„Nein, nicht wirklich. Ich mag es bloß nicht, wenn der Zug Verspätung hat. Und Sie?“
Stefanie holte tief Luft und tat, als müsse sie überlegen.
„Geht mir genauso. Allerdings Allerdings ist hier das falsche Wort. Sie widerspricht sich ja nicht wäre es schön, wenn ich morgen früh halbwegs ausgeschlafen sein könnte, denn ich habe wieder Praxisdienst.“
„Das kann ich verstehen. Man möchte keine Fehler wegen Schlaftrunkenheit begehen.“ Er meinte dies als Scherz und lächelte darüber.
„Das nehme ich durchaus ernst“, erwiderte sie entschieden und als ob es ihr in diesem Moment einfiel, fragte sie:
„Ich hoffe, es ist nicht zu indiskret, aber haben Sie viel mit Ärzten zu tun?“
„Sie meinen Kunstfehler und so? Nein, das ist nicht so unser Gebiet. Dafür gibt es andere Fachleute und auch Anwälte.“
„Und Sie selbst?“
„Ich? Ich gehe einmal im Jahr zum Zahnarzt und hab alle paar Jahre eine Untersuchung beim Hausarzt, falls Sie das meinen. Bisher hatte der nichts zu beanstanden. Für mein Alter bin ich in erstaunlich gutem Zustand. Quasi wie ein Jahreswagen.“
Philipp lachte dankbar, dass er so leicht darauf aufmerksam machen konnte, wie gut in Schuss er war. Er hoffte, dass sie nicht nur aus Höflichkeit fragte, denn mittlerweile war sein Interesse an ihr kaum noch zu bändigen. Er zwang sich regelrecht zu einfacher Lässigkeit.
„Also wartet an Ihrem Ziel nur Ihr Internist auf Sie?“
Diese Frage war stolz und konnte von ihr nicht missverstanden werden. „Das ist richtig. Ich war in letzter Zeit öfter unterwegs und deshalb ging meine Beziehung den Bach runter.“ Das klang etwas wehmütig. „Aber, so ist es eben.“
Für einen Moment schwieg er.
„Trennungen sind nie ohne Probleme.“
Ihre Augen richteten sich abwägend auf ihn, dann sagte sie:
„Wir waren zu unterschiedlich und haben uns auseinandergelebt. Und Sie?“
Philipp bemerkte dieses Ablenkungsmanöver: „Da gibt es nicht viel. Meine Exfrau habe ich seit Ewigkeiten nicht mehr gesehen. Kinder hatten wir keine und alles ging recht schnell zu Ende.“
In diesem Moment wurde die Abteiltür aufgerissen und der Zugschaffner in seiner blauen Uniform sprach mit fast leiernder Stimme: „Es tut mir leid, aber unser Zug endet heute hier wegen eines Schadens der Lokomotive. In Kürze werden alle Reisenden mit Bussen in die umliegenden Orte gebracht und dort stehen Unterkünfte für die Nacht bereit. Morgen früh geht es dann von dort zum nächsten Bahnhof.“
Er wollte weiter und fügte hinzu: „So, wie wir die Strecke geräumt bekommen. Danke für Ihr Verständnis.“ Und riss die nächste Abteiltür auf.
Philipp und Stefanie schauten sich zunächst ratlos an.
In seinem Inneren tobte ein Kampf.
Zum einen wollte er nicht länger als nötig in diesem Zug verbringen, andererseits war die junge Frau eine wahre Verlockung. Ihm war klar, dass eine nähere Bekanntschaft in diesem Moment ein großes Risiko darstellte, aber, wenn er Erfolg hätte, wäre der Preis umso reizvoller. Über die Jahre hatte er gelernt, sich die zuvor gut taxierte Frau nochmals anzuschauen, ohne dass es wie ein Anstarren wirkte. Er war sich sicher, dass es eine Fügung gibt und er hoffte mehr als alles andere, diese Gelegenheit nutzen zu können. Der Gedanken machte ihm Gänsehaut.
„Morgen früh werde ich wahrscheinlich zu spät sein“, sprach sie in Gedanken und in ihrer Handtasche wühlend.
„Vielleicht klappt es aber mit einem Frühzug nach Embeden“,sagte er. „Obwohl ...“, und schaute auf seine Uhr, „ auch von hier wären es mindestens zwei Stunden.“
Sie war immer noch nachdenklich und gab ihm unbewusst recht. Dadurch bemerkte sie nicht, dass er ihr Ziel erraten hatte.
Draußen war es dunkel geworden. Im Scheinwerferlicht beobachtete Philipp einen anderen Schaffner und den Lokführer mit den Menschen hinter der Schranke sprechen. Es wurde hin und her diskutiert, am Ende drehten die Autos und Fahrräder ab. Dann tauchten neue Lichter auf, wurden größer und hielten vor dem Zug.
Einige Passagiere mussten stehen, denn der Bus, in dem Stefanie und Philipp mitfuhren, war mit Menschen und Gepäck gefüllt. Der Fahrer nahm die meisten Kurven recht schnittig und hielt sich nicht an alle Geschwindigkeitsbegrenzungen. Er sah müde aus und machte Überstunden.
Draußen wurde alles Licht von dem die Straße säumenden Wald geschluckt, aber kurz darauf wurden die Gebäude am Straßenrand zahlreicher, warm erleuchtete Fenster strahlten Heim und Ruhe aus.
Mit einer recht abrupten Bremsung, die den Inhalt des Busses gut zum Verrutschen brachte, hielt man vor einem großen Gebäude mitten in einem kleinen Ort.
„Sooo“, rief der Fahrer nach hinten, „Endstation, meine Damunherren.“
Stefanie und Philipp wohnten Tür an Tür und er hatte sofort die Gelegenheit genutzt, sie zum Abendessen einzuladen. Sein Kalkül ging nicht sofort auf, denn sie war unschlüssig und wollte zunächst telefonisch in Embeden für den kommenden Tag Bescheid geben. Philipp akzeptierte das mit zitterndem Herzen und beide verschwanden in ihren Zimmern.
Seinen Koffer stellte er gleich hinter der Tür und atmete die Stille.?
Etwas entfernt schlug eine Turmuhr an.
Die Verpackung der kleinen Schokolade auf dem Kopfkissen wies den Inhalt als Zartbitter aus, er legte sie beiseite.
Philipp prüfte sein Aussehen im Spiegel des kleinen Bades. Ein schwacher Bartschatten war zu sehen.
In diesem Moment klopfte es an die Tür. Da stand Stefanie und fast verlegen nahm die Einladung dankend an. ?Selten in seinem Leben hatte er innerlich so aufgeatmet. Er war sich sicher, bereits auf der Zielgeraden zu laufen.
Das unten liegende Restaurant hatte noch geöffnet, man witterte ein gutes Geschäft durch diesen Zwischenfall.
„Wo waren wir mit unserer Unterhaltung stehen geblieben?“
Sie suchte in ihrem Gedächtnis, während er seine Frage selbst beantwortete: „Bei den Abgründen und den Dämonen“. Dabei zwinkerte er ihr verschwörerisch zu.
„Ich glaube nicht, aber wenn es Ihr Wunsch ist. Dabei muss ich zugeben, dass Sie sicherlich über die größere Lebenserfahrung bei diesem Thema verfügen.“
Zunächst kamen die Getränke. Wie sind die denn jetzt in das Restaurant gekommen? „Ich würde aber zuerst gern dieses förmliche Sie zwischen uns fallen lassen ...“, setzte er an.
Während sie nicht sofort darauf einging, verengten sich ihre Augen, als versuchte sie, die Konsequenzen abzuschätzen.
Zu seiner Erleichterung hob sie ihr Glas.
„Unter Umständen könnte ich mir vorstellen, dass es Menschen gibt, die so sehr hassen, dass sie sich selbst nicht mehr kontrollieren können“, sagte sie nach einem kräftigen Schluck.
„Ja, das ist vorstellbar“, stimmte er sofort zu.
„Solche Menschen fühlen sich in diesem Moment vielleicht provoziert oder nicht ernst genommen oder in eine Ecke gedrängt und dann reagieren sie so.“ Für einen Moment schaute er sich überlegend um. „Wir haben hier einen Raum voller Menschen“, und mit verschwörerischem Blick wies er einen leichten Halbkreis.
„Könnte eine dieser Personen hier ein Mörder sein? Oder ein Kinderschänder? Jemand, der seine Frau oder seinen Mann verprügelt?“
Sie folgte der Handbewegung und musterte verstohlen die anderen Gäste.
„Also, das ältere Paar dahinten, isst schweigend. Sie haben sich nach so vielen Jahren nicht mehr viel zu sagen“, sagte sie leise und rückte näher an Philipp heran, der das wohlige Gefühl hatte, ihre Körperwärme zu spüren.
„Zu der Mutter mit dem kleinen Mädchen fällt mir nichts ein. Wahrscheinlich ist sie alleinerziehend und hat einen Bürojob.“
Stefanie ließ den Blick weiter schweifen.
„Der Typ dahinten mit der Glatze beobachtet den Raum und schaut immer wieder nach links hinüber. Da stehen die beiden Buchsbäume, ich weiß nicht, was er sieht.“ Sie drehte den Kopf in die andere Richtung zu den Tischen, an denen verschiedene Paare saßen.
„Und die beiden Herren in den Anzügen da, sind ein Paar. So vertraut. Im Gegensatz dazu am Nebentisch, wo die blonde Frau so komisch schaut. Bei denen ist wohl der Wurm drin.“
Genau an diesem Tisch erschien der Kellner mit dem Essen. Der Gast schaute skeptisch auf den Teller und verglich ihn mit dem seiner Partnerin. Dann hob er leicht den rechten Zeigefinger und wies hier und dorthin und verwickelte die Bedienung in ein Gespräch. Der Kellner antwortete mit gesenkter Stimme, in der Hoffnung, der Gast würde es ihm gleich tun.
Vergeblich. Bis die Frau ihre Hand beruhigend auf den Arm des Mannes legte, einen Kompromiss fand, indem sie die Fleischportionen tauschte und man schließlich zu essen begann. An den Bewegungen des Mannes war aber zu erkennen, dass ihm das nicht wirklich gefiel.
„Siehst Du“, sagte Stefanie, „ Eine Kleinigkeit stimmt nicht und jemand gerät unter Stress.“
„Für den einen ist Well Done eben wichtig, wenn er kein Blut sehen kann.“
Sie lächelte: „Folglich ist der erstmal schon kein Mörder.“
„Naja, nicht jeder Mord ist blutig ...“
Sie stellte hier und da noch weitere Vermutungen an, bis ihnen das Essen serviert wurde. Ihr Risotto und sein Hähnchenbrustfilet waren recht schmackhaft zubereitet. Nach ein paar Bissen fragte sie dann: „Und was siehst Du so, wenn Du Dich hier umschaust?“
Philipp hielt inne und seine Augen suchten den Raum ab. „An dem Tisch, wo es gerade Probleme gab, sehe ich eine todkranke Frau. Womöglich Krebs, beide unternehmen vielleicht zum letzten Mal etwas gemeinsam. Der Mann mit Glatze beobachtet die Bar, denn dahinter arbeitet sein Ex oder jemand, der mal sein Ex werden könnte.“
Stefanie schaute ungläubig, während er mit Genuss ein Stück Fleisch abschnitt und es in den Mund schob. Dann trank er einen Schluck Wasser.
„Bei dem Paar, dass sich nichts zu sagen hat, ist die Frau traurig. Sie weiß, ihr Mann steht auf kleine Mädchen, er schaut immer zu dem Tisch mit der Mutter hinüber. Die Mutter wiederum wird von ihrem Ex hängengelassen, also unterhaltsmäßig, denn vor der Bestellung hat sie den Endpreis durchgerechnet.“ Er schob sein Essen auf dem Teller hin und her.
„Und die beiden Anzüge sind kein Paar, sondern Vater und Sohn. Schon die gleiche Nase und Kinnpartie hätte Dir auffallen können.“
Damit war das Thema für ihn abgeschlossen und er aß stumm zu Ende. Sprachlos wandte Stefanie ihrem Kopf hin und her und verglich seine Aussagen, mit dem, was sie sah. „Wie kannst Du Dir so sicher sein?“, fragte sie, gleichzeitig erstaunt und verwirrt. Selbstsicher legte er sein Besteck beiseite, tupfte sich den Mund ab und lehnte sich satt zurück.
„Du darfst mich gern vom Gegenteil überzeugen.“ Seine Hand beschrieb einen kleinen Halbkreis.
„Ach komm, das hast Du Dir doch alles bloß ausgedacht!“
„Beweise es!“ Zufrieden und mit überlegenem Blick schob er beide Hände in die Taschen. Sie machte ein paar klägliche Versuche und gab dann lachend auf, denn Philipp hatte immer ein Gegenargument parat. Beide hatten ihre Teller zur Mitte des Tisches geschoben und rückten noch etwas näher aneinander.
„Wie hast Du Dir den weiteren Verlauf des Abends vorgestellt?“, fragte er recht direkt. Für einen Moment hielt sie inne und schaute auf die Uhr. Ihm fiel auf, dass sie das fast regelmäßig getan hatte.
„Erwartest Du jemanden?“
„Nein, nein“, beeilte sie sich, zu versichern.
„Nun, dann würde ich vorschlagen, wir nehmen einen Absacker auf meinem Zimmer.“
Wieder schaute sie nach der Zeit und sagte schnell: „ Oder auf meinem.“ Philipp war für einen Moment baff, aber ein hoffnungsvolles Strahlen überzog sein Gesicht. „Worauf warten wir?“
Sie hatte ihm ihren Zimmerschlüssel überlassen und wollte noch dem Zimmerservice Bescheid geben.
Oben angekommen, öffnete er statt hatte er das Fenster geöffnet und die Gardinen geschlossen. Bis auf eine kleine Lampe löschte er mit leicht zitternder Hand alle Lichter und zog sein Jackett aus.
Seine Gedanken überschlugen sich, er fühlte sich wie ein Teenager vor dem ersten Mal. Anstatt Blut, pumpte pures Adrenalin durch den Körper, auch das tiefe Ein - und Ausatmen vor dem Fenster brachte nur wenig Entspannung.
Kurz darauf klopfte es und Stefanie hatte den Zimmerkellner im Schlepp. Die Flasche Sekt war auf dem kleinen Servierwagen schon geöffnet, zwei Gläser standen griffbereit. Mit einem Trinkgeld wurde der Bedienstete wieder verabschiedet. Philipp goss ein.
Sie prosteten sich auf eine unerwartete Begegnung sowie einen hoffentlich angenehmen Abend zu. Er trank recht schnell, während Stefanie nur kurz nippte. Als das Glas leer war, bemerkte er, dass sein Gehirn mit einem Mal vom Alkohol übernommen wurde. Oder etwas anderem. Plötzlich fühlten sich alle Gliedmaßen so schwer an, er musste sich hinsetzen. Die Augen aufgerissen, massierte er seine Schläfen.
„Der Tag war anstrengender, als ich dachte“, sagte er mit merklich schwerer Zunge. Dann wurde ihm schwarz vor Augen.

Das erste, was er wahrnahm, war das Zwitschern von Vögeln.
Philipps Lider waren so schwer und er hätte so gern die Augen geöffnet. Schon allein, um zu sehen, wer ihm mit einiger Kraft sein Knie in die Seite presste.
Er wollte sich umdrehen und stöhnte vor Schmerz auf. Da lag niemand hinter ihm und gleichzeitig fühlte sein Körper sich wie überfahren an.
Mühsam tastete er sich ab. Sein unterer Rücken war bandagiert.
Wie konnte das sein? Was war gestern Abend passiert? Kraftlos rollte sein Kopf hin und her. Das Morgenlicht drang durch die Gardinen, die sich leicht in der Brise bewegten. Vor dem Fenster war einiges an Bewegung zu hören. Stimmengewirr und das Schlagen von Autotüren. Ab und zu sprang ein Motor an, entfernte sich.
Unendlich langsam kamen Philipp die Erinnerungen wieder. Da war diese Frau, Stefanie. Die Zugfahrt, das Essen, Ihr Zimmer, ein Blackout. Er rief ihren Namen, aber mehr als ein halblautes und trockenes Gebrabbel kam nicht aus seinem Mund. Er war allein.
Es kostete Kraft, die Augen offen zu halten und überhaupt sich zu bewegen. Im Dämmerlicht nahm er ein senkrechtes Gestell neben dem Bett wahr. Als sein Blick sich etwas klärte, erkannte er einen Tropf, dessen durchsichtiger Schlauch unter der Bettdecke verschwand. Matt ertastete seine rechte Hand die Eingangskanüle in der linken Armbeuge.
Wieso bin ich im Krankenhaus?
Wieder schaute er sich um und kam zu dem Schluss, dass das kein Krankenzimmer sein konnte. Schlapp tastete er nach der Lampe, dabei wischte er seine Uhr und die Brieftasche vom Nachtschränkchen. Den Schalter erreichte er mit Mühe. Seine Hand streifte gefaltetes Papier und mit einer Hand wedelte er das Blatt auseinander:
„Es tut mir wirklich leid. So bald ich kann, werde ich eine Ambulanz verständigen. Es war alles nur ein Zufall. Stefanie“
Wieder wurden vor dem Fenster Fahrzeugtüren aufgerissen.
Was waren das nur für Schmerzen? Jemand hatte zwei Kissen unter seine linke Seite geschoben, so dass die Hüfte erhoben war.
Wieder fühlte er nach der Bandage, als an die Tür geklopft wurde. Er gurgelte etwas, diesmal ein „Herein!“, aber das verstand man draußen nicht und es wurde nochmals geklopft.
Philipp gab auf, da drehte sich der Schlüssel im Schloss.
Mit dem Kopf über die Schulter sah er, wie zwei junge Männer in Weiß einem Zimmermädchen folgten.
„Schön, dass Sie da sind“, murmelte Philipp. „Es geht mir gar nicht gut ....“ Dann war wieder alles schwarz.

 Als er erwachte, war es heller hinter seinen Augenlidern und dieses Mal war er sich sicher, in einem Krankenzimmer aufgewacht zu sein.
Weiße Wände, ein hellblauer Sockel umlief den Raum. Durch das Fenster sah er den grauen Himmel, durch den der Wind schnell die Wolken trieb. Ab und zu hörte er Regentropfen das Glas treffen.
Der Tropf neben seinem Bett war ihm vertraut, die Schmerzen nicht mehr ganz so heftig.
Noch immer war ihm die Ursache seiner Beschwerden nicht erklärlich, denn jetzt trug er eine dickere und gleichmäßigere Bandage um die Körpermitte. Vorsichtig angelte er nach dem mit Wasser gefüllten Plastikbecher auf dem Beistelltisch, denn er hatte brennenden Durst. Wie glühendes Metall rann die Flüssigkeit seine raspeltrockene Kehle hinunter, aber er setzte nicht ab, bevor das Gefäß leer war.
Ein Hustenreiz stieg ihn auf, er glaubte, der Schmerz würde ihn zerreißen.
Mit verzerrtem Gesicht sank er zurück und starrte an die Decke. Versuchte sich zu erinnern, die Bruchstücke zusammenzusetzen.
Die Zugfahrt und Stefanie. Weiter kam er vorerst nicht, denn plötzlich öffnete sich die Tür und eine junge Krankenschwester steckte ihren Kopf herein.
„Oh, Sie sind schon wach“, sagte sie leise und trat neben sein Bett.
„Wo bin ich?“ Das Wasser hatte geholfen, er konnte sich verständlich machen.
„Es ist alles in Ordnung, Herr Frey.“
Sie fühlte seinen Puls und kontrollierte die Pupillen. Beim Messen des Blutdrucks fragte er sie erneut und sie setzte sich zu ihm auf die Bettkante.
„Herr Frey, Sie sind im Krankenhaus in Embeden. Zum Glück wurden wir beizeiten verständigt und so geht es Ihnen den Umständen entsprechend gut.“
Besänftigend hatte sie den Kopf schiefgelegt. Er presste ihre Hand und sagte mit gleichem Druck: „Was. ist. mit. mir. passiert?“
Ihr Blick wurde etwas sorgenvoller und sie schien nach Worten zu suchen.
„Herr Frey, Ihnen wurde gestern Nacht eine Niere entfernt. Und das recht professionell.“
Philipp war sprachlos. Sein Kopf fiel auf das Kissen zurück und sein Blick blieb zunächst stumm auf die Zimmerdecke gerichtet.
„Aber wie geht sowas?“
Die Schwester sah das tiefe Unverständnis in seinem Gesicht.
„Operationen aller Arten werden schon seit Menschengedenken gemacht. Je sauberer das Umfeld, desto kleiner die Möglichkeit einer Infektion oder Blutvergiftung. Und ein Hotelzimmer ist immer noch steriler als eine Waldlichtung“, versuchte sie einen Scherz. Ein verächtliches Schnauben war die Antwort.
„Der oder diejenige, die das mit Ihnen gemacht haben, sind geübt. Wahrscheinlich waren hier Profis am Werk.“
Aber warum er? War es tatsächlich nur ein Zufall gewesen, wie Stefanie geschrieben hatte? Hatte sie das allein gemacht oder hatte sie Helfer? „In ein paar Tagen sind Sie wieder auf den Beinen. Vorher wird bei Ihnen noch die Polizei vorbei schauen und Fragen stellen.“
„Was soll das helfen? Meine Niere werde ich wohl nicht wiedersehen, oder?“ Sarkasmus schwang in seiner Stimme mit.
„Das leider nicht, aber außer Ihren Ausweispapieren und Ihrer Brieftasche gibt es nichts, was den Ermittlungsbehörden vorerst helfen würde. Ihr Hotelzimmer ist bei der ersten Durchsuchung leer vorgefunden worden, soweit ich weiß.“
„Soweit Sie wissen?“, fragte er fast spitz und wollte sich aufrichten, griff nach ihrer Hand.
Plötzlich durchzuckte es ihn wie ein schwerer Blitzschlag.
„Im Moment haben Sie nur die Dinge, die Sie bei Ihrer Einlieferung auf dem Leib trugen.“
Sein Koffer! Sein Koffer war verschwunden!
„Nichts?“
„Nein. Entweder Sie hatten nichts dabei oder jemand hat es gestohlen.“ Damit entzog sie ihm ihre Hand.
Warum sollte man den Koffer stehlen? Der Inhalt war nur für ihn wertvoll gewesen.
Seine Gedanken rasten. Er brauchte diesen Koffer, denn ohne dessen Inhalt, war die Sammlung unvollständig. Andererseits konnte er den Diebstahl nicht anzeigen, denn wenn der Koffer gefunden würde, wäre das sein Todesurteil. Niemand könnte verstehen, warum er sammelte, was er sammelte.
Erst als es dunkel wurde, bemerkte er, dass er wieder allein im Zimmer war. Wie lange, war ihm nicht bewusst, denn sein ganzes Denken kreiste hypnotisch nur um einen Punkt: Der Koffer!
Als am nächsten Morgen die Schwester gut gelaunt das Krankenzimmer öffnete, erschrak sie.
Philipp Frey war über Nacht verschwunden.

Hier mache ich mal Pause

 


Hallo Calvin, da du immer so ausführliche Kritiken schreibst, habe ich mir jetzt auch mal ein wenig Zeit für deinen Text genommen (hab es trotzdem nicht ganz bis zum Ende geschafft wink )
Während ich den ersten Absatz noch recht holprig fand, gefallen mir die folgenden zwei Absätze ganz gut. Klingt, als würde es noch eine spannende Geschichte werden wink
Mein Hauptproblem ist die "allwissende" Erzählperspektive mit einem Erzähler, der doch nicht alles weiß.
Viele Grüße
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abc.lampe
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Beitrag25.03.2019 21:44

von abc.lampe
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Hi,
rasende Bilder in der Geschichte, wie beim Zugfahren Smile
Mich hast du manchmal mit den raschen Wechseln von Stil, Bildern, Beschreibungen und Stimmung überfordert. Twist und Cliffhanger haben mich dafür aber entschädigt.
Was mir aufgefallen ist, die Perspektive von Erzähler und Protagonist scheinen oft verschmolzen.
Das verlangsamt den Lesefluss und ist ein sehr harter Kontrast zu dem Tempo der Geschichte.
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Calvin Hobbs
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Beitrag26.03.2019 17:05

von Calvin Hobbs
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Danke an Bea und  abc.lampe smile
Die angeregten Vorschläge werde ich in die nächste Version mit einfließen lassen.


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crisihasi
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Beitrag26.03.2019 17:35

von crisihasi
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Dein Text gefällt mir sehr. Smile  Das Einzige, aber das ist vielleicht Geschmackssache, ist der Perspektivwechsel, der mich beim Lesen wirklich gestört hat. Ich mag Perspektivwechsel nicht mal, wenn sie durch Kapitelüberschriften getrennt sind, daher bin ich vermutlich nicht die richtige Zielgruppe. Aber weiter muss ich sagen, dass ich deinen Text rasant fand, flüssig zu lesen und unterhaltsam. Mir hat auch gefallen, wie du in die Szene hineinzoomst. Wirklich fein Smile
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Calvin Hobbs
Geschlecht:männlichKlammeraffe

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Beitrag26.03.2019 20:44

von Calvin Hobbs
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Danke smile Das ist einer meiner "frühen" Texte und ich hoffe, dass man demnächst eine Weiterentwicklung erkennen kann. wink

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Bea H2O
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Beitrag30.03.2019 09:54

von Bea H2O
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Hallo Calvin,
Ich habe dann jetzt auch endlich mal den letzten Absatz noch gelesen smile
Zunächst einmal: Ich finde die Tatsache, dass sie Phillip den Kopf und die Hände gestohlen haben, ein gutes Ende. Ich mag die Ironie, die dahinter steht.
Trotzdem fand ich den letzten Absatz etwas langwierig. Es wird sehr viel Vergangenes berichtet, das ich unnötig finde. Wozu muss ich an dieser Stelle wissen, dass Stefanie und Thomas ein paar Mal miteinader geschlafen haben und dass sie irgendwann einmal befürchtet hatte, Thomas wolle sie auf den Strich schicken (könnte evtl eine witzige Fehlkommunikation sein, wenn man live dabei ist, aber im Rückblick nur störend). Ich denke, die ganze Beziehung könnte man besser in 1-2 Sätzen zusammenfassen, z.b. indem sie sowas denkt wie: Sie wusste, er würde niemals das Gleiche für sie empfinden, wie sie für ihn, aber...
Auch, dass sie schon einmal einen Fisch ausgenommen hat, finde ich überflüssig zu erwähnen. Ich denke nicht, dass jemand, der das mit seinem Gewissen vereinbaren kann, auch einem Menschen eine Niere stehelen kann. Blut sehen können finde ich ein zu schwaches Argument. Und generell wäre es vllt ganz schön zu erfahren, ob sie Gewissensbissr hat.
Ich finde es auch merkwürdig, dass Thomas sich beschwert, dass Stefanie den Koffer geklaut hat. Der sollte doch davon ausgehen, dass Philipp echt andere Probleme hat.
Die Erkenntnis, dass in dem Koffer der Kopf ist, wird für mich außerdem ein bisschen zu gewollt in die Länge gezogen.
Aber wie gesagt: Die Gesamtidee deiner Geschichte gefällt mir gut wink
Ich hoffe, ich konnte dir damit ein bisschen weiterhelfen.
Viele Grüße
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raven97
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Beitrag11.05.2019 17:57

von raven97
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Sehr spannend aufjedenfall, der Plottwist am Ende hat mir gefallen smile

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Calvin Hobbs
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Beitrag11.05.2019 18:24

von Calvin Hobbs
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Danke an alle smile Ich werde mir bei Gelegenheit diesen Text nochmals vornehmen, denn vieles leuchtet mir mittlerweile ein und ich hoffe, eine verbesserte Version liefern zu können smile

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Beitrag05.02.2022 16:29

von Calvin Hobbs
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Hallo smile
Anbei die überarbeitete Version meines allerersten Textes hier.
Für mich war es interessant, zu sehen, inwieweit sich meine Schreibe in nicht ganz drei Jahren verändert hat.
Jegliches Feedback ist willkommen smile

Im Zug

Es gefiel Philipp Frey nicht, im Zug rückwärts zu fahren, aber so war es eben. Hoffentlich würde ihm diesmal nicht übel werden, dass er wieder die Abteiltür aufreißen und nach frischer Luft schnappen müsste. Andererseits, überlegte er, der Sitz ihm gegenüber war nicht belegt und so lange niemand Anspruch darauf erhob ... im Moment war er allein hier.
Obwohl alle Polster gleich dunkel-hässlich waren, durchströmte ihn ein wohliges Prickeln und entspannt streckte er die Beine aus. Gemütlich lehnte er den Kopf gegen seine Jacke, die an dem Haken über dem Fenster aufgehängt war.
Hinter der Scheibe lag der, bis auf eine Handvoll Reisender, leere Bahnsteig.
Hier in der Provinz gab es höchstens den Pendlerverkehr, an dem die Bahngesellschaft verdienen konnte, Fernreisende waren meist Urlauber. Philipp sah, wie ein Familienvater mit offenem Mantel Lederkoffer schleppte und dabei von einer Frau und zwei halbwüchsigen Jungen verfolgt wurde. Der Schweiß hatte sein dünnes Haupthaar am Kopf angeklebt und im Vorbeilaufen blieben seine Augen für einen Atemzug an Philipp hängen. Seine Lider verengten sich, als würde er über einen Moment des Erkennens grübeln. Beide Männer nahmen sich wahr, maßen sich und für einen Augenblick durchschauerte es Philipp.
Wieso schaut er so? Beobachtet er mich?
Das verflog aber sofort wieder, er war sich sicher, dem anderen noch nie begegnet zu sein. Zum Glück muss ich nicht so schleppen. Dabei ging sein Blick zum eigenen Koffer in der gegenüberliegenden Ablage.
Heute Morgen hatte er, wie immer vor einer solchen Fahrt, das Wichtigste zusammen gesucht, alles fein säuberlich in Plastiktüten eingewickelt und liebevoll verstaut. Er fuhr gern mit dem Zug und mit Blick in seinen altmodischen Taschenkalender festgestellt, dass die Unternehmungen in letzter Zeit häufiger geworden waren.
Da kam eine Gruppe Jugendliche die Treppe zum Bahnsteig herauf gerannt. Krakeelend passierten sie Philipps Fenster und wieder ließ ihn ein Augenpaar frösteln.
Das junge Mädchen mit dem weißblonden Pagenschnitt - wieso schaute sie so intensiv? Was hatte ihre Aufmerksamkeit erregt?
Zu seiner Erleichterung suchte sie weiter vorn den Einstieg.
Starren mich heute alle Leute an?
Er richtete sich ein wenig auf, um sein Äußeres in dem schmalen Spiegel zwischen den Ablagen zu betrachten und sank erleichtert zurück. Er atmete ein, zwei Mal tief durch, nichts war passiert. Niemand hatte mit dem Finger auf ihn gedeutet. Dazu gibt es auch gar keinen Grund, beruhigte er sich selbst. Die bisherigen Fahrten hatte er viel gelassener bewältigt. War heute etwas anders?
Als Versicherungsmakler mit eigenem Büro konnte er sich solche Reisen erlauben. Manchmal waren sie sogar notwendig. Aber diesmal war er privat unterwegs.
Draußen vor dem Fenster küsste sich ein Pärchen innig. Dem einzelnen pinkfarbenen Rollkoffer nach zu urteilen, verreiste nur sie.
Ein Schaffner kam mit rotem Kopf und hastig schnaufend, zwei Stufen mit einmal nehmend, die Treppe herauf. Für einen Moment blieb er stehen und schaute hektisch den Zug entlang. Dann holte er seine dicke mechanische Eisenbahneruhr an einer goldfarbenen Kette hervor. Philipp ging das Herz auf, denn er liebte solche Dinge im Zeitalter von Handys und Laptops.
Der Schaffner verglich die Zeit mit der digitalen Bahnhofsuhr und verschwand aus dem Blickfeld, stieg weiter hinten ein. Das Pärchen war ebenfalls weg, ein schriller Pfiff ertönte und kurz darauf ruckte der Zug an.
Glück gehabt, dachte Philipp. Bin ich wohl ...
Da wurde die Abteiltür aufgerissen und die vorhin so intensiv küssende junge Dame stand mit ihrem Koffer in der Hand erwartungsvoll im Rahmen. Ihr Blick ging zu den kleinen Metallnummern über den Kopflehnen der Sitze und fiel am Ende auf Philipp. Dann wieder zum Schild. Sie holte Luft und sagte gedehnt: „Entschuldigen Sie, sind Sie sicher ...?“
Bevor sie enden konnte, war er aufgesprungen, dabei fiel ihm seine neue Tageszeitung vom Schoß.
„Es tut mir leid. Ich hatte nicht angenommen ... und mir leider wird immer übel vom Rückwärtsfahren ...“
Wieso fange ich plötzlich an, zu stottern?
Er klaubte den „Standard-Anzeiger“ wieder auf und stand unschlüssig da, musste sich abstützen, denn der Waggon ging in eine Kurve.
Für einen Moment überlegte sie und sagte schnell: „Das möchte ich natürlich nicht.“  Dabei ruhten ihre Augen auf seinem Sitz.
„Oh, hier. Nummer 4, am Fenster.“ Er wies mit der Hand darauf.
Sie zuckte resignierend mit den Schultern.
„Darf ich Ihnen helfen?“ Eifrig erbot er sich, ihren Koffer über seinen Kopf in die Ablage zu hieven. Sie ließ es geschehen, legte ihre schwarze Handtasche auf den Sitz, hing den lhellen Mantel auf und nahm Philipp gegenüber Platz. Beide ruckelten und schwankten leicht mit den Bewegungen des Abteils, der mit langsamen Tempo die Stadt verlassen hatte. Im gleichmäßigen Takt huschten Telefonmasten am Fenster vorbei, dahinter breiteten sich schon die Rapsfelder aus.
Philipp hatte sich zurückgelehnt, die Zeitung geöffnet und beobachtete die Dame über den oberen Rand, während sie in ihrer Handtasche nach etwas grub.
Aus der Tiefe seines Schrittes kroch ein leichtes Kribbeln, zog wie Honig feinste Nervenbahnen empor und plötzlich war er hellwach.
Er schätzte sie auf Mitte 20. Schlank, nicht sehr groß, blondes mittellanges Haar, eine helle Bluse mit kurzen Ärmeln. Dazu einen smaragdfarbenen Rock. Am linken Handgelenk eine viereckige Damenuhr, dazu einen dünnen goldenen Ring, allerdings am Mittelfinger. Keinen Nagellack. Ihre rechte Hand kam mit einem kleinen Spiegel zum Vorschein, in dem sie kurz ihr Aussehen prüfte.
Sie trug nur etwas Wimperntusche, kein offensichtliches Make-up. An ihren Ohrläppchen hingen winzig kleine stilisierte Sterne.
Philipp spürte, wie sein Körper Adrenalin ausschüttete, jedes weitere Detail an ihr machte sie für ihn immer begehrenswerter.
Der Spiegel verschwand wieder, dafür kam ein Buch zum Vorschein. Der Einband grün wie ihr Rock und zu Philipps Erstaunen waren darauf zwei fotografierte Totenschädel zu sehen.
„Anatomie“ war in großen Lettern eingeprägt. Also eine Medizinstudentin, schlussfolgerte er. Sie kramte nochmals und hatte ein Etui in der Hand. Die übergroße und dunkelrandige Nerdbrille stand ihrem leicht viereckigen Gesicht gut.
Sie schlug eine Seite auf und begann, wie er zu lesen.
Philipp hatte Mühe seine erhöhte Herz- und Atemfrequenz zu beherrschen, als er sah, wie ihre hellbraunen Augen unter den geraden Augenbrauen und über der schmalen Nase gewissenhaft über die Zeilen gingen. Manchmal fuhr ihre Zunge leicht über ihre Unterlippe, wenn sie mit ihren schlanken, fast zierlichen Fingern eine Seite wendete.
Das Buch verdeckte ihren Ausschnitt, so konnte er nicht sehen, ob sie eine Kette trug. Sie hatte eine sportliche Figur, keine große Oberweite, aber mit Wohlwollen musste er zugeben, dass sie durchaus Rundungen hatte.
Langsam ging sein Blick wieder nach oben und er erstarrte. Durch ihre Brillengläser funkelten ihn ihre grauen Augen an. Alle Anmut schien aus ihrem Gesicht verschwunden. Als würde sich eine Wolke vor die Sonne schieben, hatten sich ihre Gesichtszüge verhärtet.
„Ihnen ist schon klar, dass Sie mich beobachten?“, fragte sie mit eisiger Stimme.
Philipp wandt sich in seinem Polster.
„Entschuldigung Sie ... das war nicht meine Absicht  ...“, stammelte er ertappt und spürte Hitze in sein Gesicht schießen. Er hätte sich ohrfeigen können. Seit mehr als zwei Jahrzehnten Versicherungsmakler, schrie es in ihm. Eine Dutzend Mal Verkäufer des Jahres, die Agentur war eine der besten des Landes und hier stotterte ich wie ein Teenager.
Ihre zu Eis gewordenen Augen ließen nicht von ihm ab und er hatte das Gefühl in seinem Sitz zu schrumpfen. Was hatte sie, dass er sich dieser Frau gegenüber so unbeholfen verhielt?
Er zwang sich zur Ruhe, atmete tief durch, wischte sich mit der linken Hand über das Gesicht und streckte ihr seine rechte entgegen: „Frey. Philipp Frey.“
Ihr fesselnder Blick änderte sich nicht, aber sie schien zu überlegen. Dann reichte sie ihm ihre Hand: „Stefanie ... Bergmanova“, sagte sie langsam.
„Meine Urgroßeltern kamen aus der Tiefe Russlands“, fügte sie fast entschuldigend hinzu.
„Meine Familie hat schon immer da gewohnt, wo ich herkomme. Bingstadt, aber wahrscheinlich haben Sie noch nie davon gehört!?“
Stefanie taxierte ihn erneut. „Nein, da haben Sie Recht.“
Leicht kniff er für einen Moment die Augen zusammen. Er konnte nicht einschätzen, was in ihrem Kopf vorging.
Hatte sie Angst? Ihre Reaktionen hatten etwas Zurückhaltendes, fast Lauerndes.
„Macht nichts. Wäre ich nicht von da, würde ich es wohl auch nicht kennen.“
Mehr und mehr gewann er seine Selbstsicherheit zurück, setzte sich bequemer hin, schlug die Beine übereinander. Er wusste nicht warum, aber er fühlte sich von der Art dieser jungen Frau herausgefordert.
„Sie studieren Medizin?“ Mit einem Kopfnicken wies er auf ihr Buch. Ihre Augen glitten oberflächlich über den Einband: „Nein“, sagte sie, „noch nicht. Im Moment helfe ich einem Freund mit seiner ambulanten Praxis. Da ist es nützlich, wenn man wenigstens einige Grundbegriffe kennt.“
„Auf welchem Gebiet praktiziert denn ... Ihr Freund?“ Ungewollt hatte er die beiden letzten Worte etwas betont.
„Innere Medizin. Und er ist wirklich nur ein Freund.“ Ihre Antwort klang für ihn wie eine Zurechtweisung.
Jetzt nur nicht den Faden abreißen lassen, dachte Philipp, als vor dem Fenster wieder ein Kleinstadtbahnhof zum Stehen kam. Seine Hoffnung wurde erfüllt und niemand betrat das Abteil.
„Darf ich fragen, was Sie machen, wenn Sie nicht gerade Krankenschwester sind? Werden Sie da regelmäßig gebraucht?“
Leicht kniff sie die Augen zusammen, als ob sie sich die Antwort gut überlegen müsste.
Anscheinend will sie nur das Nötigste preisgeben. Wie schade, denn so wird ein Kennenlernen so ungemein schwieriger.
„Nur ein oder zwei Mal im Monat werde ich gebraucht. Wie gesagt, ich bin eigentlich Laie auf diesem Gebiet.“
„Aber offensichtlich talentiert“, warf er ein.
„Wie kommen Sie darauf?“ Wieder dieser fordernde Tonfall.
„Nun, warum sonst sollte ein Arzt sich um Ihre Mithilfe bemühen?“ Diese Antwort schien Sie zu beruhigen und sie nickt. „Das stimmt. Ansonsten lese ich viel, mache etwas Sport, gehe mit Freunden ins Kino. Das übliche.“
Philipp lächelte sie offen an, immerhin sprach sie in ganzen Sätzen mit ihm. Offenbar nahm sie diese Geste auf. „Und was machen Sie, wenn Sie nicht im Zug sitzen und Leute ausfragen?“
„Ich habe den spektakulären Beruf eines Versicherungsmaklers.“
Jetzt sah er, wie sie sich merklich entspannte. „Was hatten Sie gedacht?“, fragte er mit gespielter Neugier.
„Keine Ahnung“, gab sie mit ehrlichem Tonfall zu und ihre Augen tasteten ihn ab. In Gedanken folgte er ihrem Blick, der nirgendwo hängenzubleiben schien. Sein Gesicht war eines der Masse mit aschblondem Haar. Seine Augen waren von dunkler Farbe, vielleicht grün. Eine winzige Narbe neben seiner rechten Augenbraue, ansonsten glatte und reine Haut. Die Nase weder lang noch kurz, die Spitze etwas knubbelig. Hoffenlicht schätzt sie mich nicht nach meinen Krähenfüßen, sonst gehe ich nicht als Anfang 40 durch. Sein grauer Anzug saß gut, war aber von der Stange. Seine hellbraunen Lederschuhe waren wie immer poliert.
„Wie fällt das Urteil aus?“ Diese Worte holten sie aus ihren Gedanken. „Ich glaube, Sie könnten alles sein, was mit Verwaltung, Büro und Papierkram zu tun hat.“
„Sehe ich so langweilig aus?“
„Nein, nein“, beeilte sie sich, zu versichern. „Aber Sie machen halt nicht den Eindruck eines Handwerkers oder ...“
„Oder Polizisten?“ Philipp sah, wie sie fast unmerklich in diesem Moment schlucken musste. „Wie kommen Sie auf Polizei?“
„Das war nur ein Beispiel.“ Mit beiden Händen wehrte er ab. „Ich bin schon mein Leben lang bei der -S&F Assekuranz- und mit der Polizei haben wir nur bei Autounfällen oder Einbrüchen zu tun.“
Sie schien erleichtert: „Wer möchte schon gern mit der Polizei zu tun haben.“
Philipp war sich nicht sicher, ob ihr kleines Lächeln etwas anderes verdecken sollte.
„Und wenn man so manche Schlagzeile heutzutage liest, möchte man auch kein Ordnungshüter sein.“ Er hatte seine Tageszeitung geöffnet und hielt ihr die Titelseite hin.
Ihr Augen wurden hinter der Brille noch größer:
„Erneut Leiche ohne Kopf und Hände aufgefunden“ sagte sie halblaut die breit gedruckte Überschrift auf. „Wie schrecklich.“ Dabei fasste sie sich an den Hals. „Was für ein Mensch tut so was?“
„Ich würde annehmen, jemand, der nicht will, dass man den oder die Tote leicht identifizieren kann.“
Im gleichen Augenblick wusste Philipp, dass ihm die falsche Antwort herausgerutscht war.
Stefanie schaute ihn ehrlich entrüstet an: „Wie können Sie nur so etwas Gefühlloses sagen? Ich meinte, was in einem Menschen vorgeht, dass er so eine abscheuliche Tat überhaupt begeht.“
Sie starrte aus dem Fenster. Draußen wechselten sich einzelne Bauernhöfe mit Feldern und Straßen ab. Der Mais stand schon halbhoch und am Horizont setzte bereits die Dämmerung ein. Die schnell ziehenden Wolken bekamen eine helle metallische Farbe am sich verfärbenden Himmel.
„Es tut mir leid, dass ich zuerst praktisch und nicht emotional gesprochen habe. Da ging wohl mein Beruf mit mir durch“, versuchte er sich in Schadensbegrenzung. „Natürlich ist so eine Tat für die meisten von uns nicht zu verstehen. Wahrscheinlich ist nur ein Wahnsinniger zu so etwas fähig.“
Ohne ihn anzuschauen, sagte sie fast tonlos: „Wie sehr muss man einen Menschen hassen, um ihn zu töten? Von den anderen Dingen ganz zu schweigen.“
„Man kann den Menschen immer nur vor den Kopf schauen.“ Insgeheim freute sich Philipp, dass sie wieder zugänglich wurde. Und sich an ihn wandte.
„Das ist auch besser so“, antwortete sie. „Bei manchen Leuten würden wir da wohl in unvorstellbare Abgründe sehen.“
Dazu nickte er nur. „Ich denke, jeder Mensch wird von seinen ganz eigenen Dämonen gejagt. Manche stecken das weg, andere werden davon verschlungen“, sagte er dann.
„Ja, aber gehören da nicht zwei dazu?“
Philipp verstand im ersten Moment die Frage nicht. Sie bemerkte das und fuhr fort: „Etwas, das verschlingt und jemand, der sich verschlingen lässt.“
„Nun, wenn Sie das so sehen ...“. Der Gedanke fühlte sich neu für ihn an.
Vor einigen Minuten und mitten zwischen Kartoffelfeldern und entfernt liegenden großen Ställen war der Zug stehen geblieben.
„Der Zugführer wartet auf das Signal“, stellte sie fest, ohne dass er gefragt hätte.
In diesem Moment ruckte der Waggon wieder an, schlich einige hundert Meter, ohne Geschwindigkeit aufzunehmen und blieb diesmal an einem geschlossenen Bahnübergang stehen.
Stefanie und Philipp sahen auf beiden Seiten des Zuges zwei, drei Autos, eine Handvoll Fahrradfahrer hinter den herabgelassenen Schranken warten. Vom Ende der einen Straße kam in einer Staubwolke ein großer Traktor langsam herangerollt.
„Das finde ich ungewöhnlich“, sagte er und schaute sie an.
„Ich bin die Strecke bis heute nie gefahren“, meinte sie schulterzuckend. „Ich schon, aber hier gab es nie einen Halt ...“
Sie verzog die Mundwinkel: „Das scheint also ein langer Abend zu werden.“
Er schaute auf die Uhr und sie sagte: „Haben Sie denn heute noch einen Termin?“
Seine leicht gewölbten Augenbrauen zogen sich zusammen.
„Nein, nicht wirklich. Ich mag es bloß nicht, wenn der Zug Verspätung hat. Und Sie?“
Stefanie holte tief Luft und tat, als müsse sie überlegen.
„Geht mir genauso. Hoffentlich bekomme ich diese Nacht noch etwas Schlaf, denn ich habe wieder Praxisdienst.“
„Das kann ich verstehen. Man möchte keine Fehler wegen Schlaftrunkenheit begehen.“ Er meinte dies als Scherz und lächelte darüber.
„Das nehme ich durchaus ernst“, erwiderte sie entschieden und als ob es ihr in diesem Moment einfiel, fragte sie:
„Ich hoffe, es ist nicht zu indiskret, aber haben Sie viel mit Ärzten zu tun?“
„Sie meinen Kunstfehler und so? Nein, das ist nicht so unser Gebiet. Dafür gibt es andere Fachleute und auch Anwälte.“
„Und Sie selbst?“
„Ich? Ich gehe einmal im Jahr zum Zahnarzt und hab alle paar Jahre eine Untersuchung beim Hausarzt, falls Sie das meinen. Bisher hatte der nichts zu beanstanden. Für mein Alter bin ich in erstaunlich gutem Zustand. Quasi wie ein Jahreswagen.“
Philipp lachte dankbar, dass er so leicht darauf aufmerksam machen konnte, wie gut in Schuss er war. Er hoffte, dass sie nicht nur aus Höflichkeit fragte, denn mittlerweile brannte ein lichterlohes Interesse an ihr, dass kaum noch zu bändigen war. Er zwang sich regelrecht zu einfacher Lässigkeit.
„Also wartet an Ihrem Ziel nur Ihr Internist auf Sie?“
Diese Frage war stolz und konnte von ihr nicht missverstanden werden. „Das ist richtig. Ich war in letzter Zeit öfter unterwegs und deshalb ging meine Beziehung den Bach runter.“ Das klang etwas wehmütig. „Aber, so ist es eben.“
Für einen Moment schwieg er.
„Trennungen sind nie ohne Probleme.“
Ihre Augen richteten sich abwägend auf ihn, dann sagte sie:
„Wir waren zu unterschiedlich und haben uns auseinandergelebt. Und Sie?“
Philipp bemerkte dieses Ablenkungsmanöver: „Da gibt es nicht viel. Meine Exfrau habe ich seit Ewigkeiten nicht mehr gesehen. Kinder hatten wir keine und alles ging recht schnell zu Ende.“
In diesem Moment wurde die Abteiltür aufgerissen und der Zugschaffner in seiner blauen Uniform sprach mit fast leiernder Stimme: „Es tut mir leid, aber unser Zug endet heute hier wegen eines Schadens der Lokomotive. In Kürze werden alle Reisenden mit Bussen in die umliegenden Orte gebracht und dort stehen Unterkünfte für die Nacht bereit. Morgen früh geht es dann von dort zum örtlichen Bahnhof.“
Er wollte weiter und fügte hinzu: „So, wie wir die Strecke geräumt bekommen. Danke für Ihr Verständnis.“ Und riss die nächste Abteiltür auf.
Philipp und Stefanie schauten sich zunächst ratlos an.
In seinem Inneren tobte ein Kampf.
Zum einen wollte er nicht länger als nötig in dem Zug verbringen, andererseits war die junge Frau eine wahre Verlockung. Völlig klar, dass eine nähere Bekanntschaft in diesem Moment ein großes Risiko darstellte, aber, wenn er Erfolg hätte, wäre der Preis umso reizvoller. Über die Jahre hatte er gelernt, sich die zuvor gut taxierte Frau nochmals anzuschauen, ohne dass es wie ein Anstarren wirkte. Er war sich sicher, dass es eine Fügung gibt und er hoffte mehr als alles andere, diese Gelegenheit nutzen zu können. Der Gedanken machte ihm Gänsehaut.
„Morgen früh werde ich wahrscheinlich zu spät sein“, sprach sie in Gedanken und in ihrer Handtasche wühlend.
„Vielleicht klappt es aber mit einem Frühzug nach Embeden“,sagte er. „Obwohl ...“, und schaute auf seine Uhr, „ auch von hier wären es mindestens zwei Stunden.“
Sie war immer noch nachdenklich und gab ihm unbewusst recht. Dadurch bemerkte sie nicht, dass er ihr Ziel erraten hatte.
Draußen war es dunkel geworden. Im Scheinwerferlicht beobachtete Philipp einen anderen Schaffner und den Lokführer mit den Menschen hinter der Schranke sprechen. Es wurde hin und her diskutiert, am Ende drehten die Autos und Fahrräder ab. Dann tauchten neue Lichter auf, wurden größer und hielten vor dem Zug.
Einige Passagiere mussten stehen, denn der Bus, in dem Stefanie und Philipp mitfuhren, war mit Menschen und Gepäck gefüllt. Der Fahrer nahm die meisten Kurven recht schnittig und hielt sich nicht an alle Geschwindigkeitsbegrenzungen. Er sah müde aus und brummte etwas von Überstunden.
Draußen wurde alles Licht von dem die Straße säumenden Wald geschluckt, aber kurz darauf wurden die Gebäude am Straßenrand zahlreicher, warm erleuchtete Fenster strahlten Heim und Ruhe aus.
Mit einer recht abrupten Bremsung, die den Inhalt des Busses gut zum Verrutschen brachte, hielt man vor einem großen Fachwerkhaus mitten in einem kleinen Ort.
„Sooo“, rief der Fahrer nach hinten, „Endstation, meine Damunherren.“
Stefanie und Philipp wohnten Tür an Tür und er hatte sofort die Gelegenheit genutzt, sie zum Abendessen einzuladen. Ihr Zögern bereitete ihm körperliche Schmerzen, denn sie wollte zunächst noch telefonisch in Embeden für den kommenden Tag Bescheid geben. Philipp akzeptierte das mit angespanntem Kiefer und zitterndem Herzen. Sie suchten ihre Zimmer auf und er erinnerte sie daran, dass er warten würde.
Seinen Koffer stellte er gleich hinter der Tür und atmete die Stille.
Etwas entfernt schlug eine Turmuhr an, während seine Augen das Zimmer überflogen. Die Verpackung der kleinen Schokolade auf dem Kopfkissen wies den Inhalt als Zartbitter aus, er legte sie beiseite.
Philipp prüfte sein Aussehen im Spiegel des Badezimmers. Ein schwacher Bartschatten war zu sehen.
In diesem Moment klopfte es an die Tür. Da stand Stefanie und fast verlegen nahm die Einladung dankend an. Selten in seinem Leben hatte er innerlich so aufgeatmet. Er war sich sicher, bereits auf der Zielgeraden zu laufen.
Das unten liegende Restaurant hatte noch geöffnet, man witterte ein gutes Geschäft durch diesen Zwischenfall. Beiden wurde ein kleiner Tisch an einem der dunklen Fenster angewiesen.
„Wo waren wir mit unserer Unterhaltung stehen geblieben?“
Sie suchte in ihrem Gedächtnis, während er seine Frage selbst beantwortete: „Bei den Abgründen und den Dämonen“. Dabei zwinkerte er ihr verschwörerisch zu.
„Ich glaube nicht, aber wenn es Ihr Wunsch ist. Ich muss zugeben, dass Sie sicherlich über die größere Lebenserfahrung bei diesem Thema verfügen.“
Zunächst kamen die Getränke. „Ich würde aber zuerst gern dieses förmliche Sie zwischen uns fallen lassen ...“, setzte er an.
Da sie nicht sofort darauf einging, verengten sich ihre Augen, als versuchte sie, die Konsequenzen abzuschätzen.
Zu seiner Erleichterung hob sie ihr Glas.
„Unter Umständen könnte ich mir vorstellen, dass es Menschen gibt, die so sehr hassen, dass sie sich selbst nicht mehr kontrollieren können“, sagte sie nach einem kräftigen Schluck.
„Ja, das ist vorstellbar“, stimmte er sofort zu.
„Solche Menschen fühlen sich in diesem Moment vielleicht provoziert oder nicht ernst genommen oder in eine Ecke gedrängt und dann reagieren sie so.“ Für einen Atemzug schaute er sich überlegend um. „Wir haben hier einen Raum voller Menschen“, und mit verschwörerischem Blick wies er einen leichten Halbkreis.
„Könnte eine dieser Personen hier ein Mörder sein? Oder ein Kinderschänder? Jemand, der seine Frau oder seinen Mann verprügelt?“
Sie folgte der Handbewegung und musterte verstohlen die anderen Gäste.
„Also, das ältere Paar dahinten, isst schweigend. Sie haben sich nach so vielen Jahren nicht mehr viel zu sagen“, sagte sie leise und rückte näher an Philipp heran, der das wohlige Gefühl hatte, ihre Körperwärme zu spüren.
„Zu der Mutter mit dem kleinen Mädchen fällt mir nichts ein. Wahrscheinlich ist sie alleinerziehend und hat einen Bürojob.“
Stefanie ließ den Blick weiter schweifen.
„Der Typ dahinten mit der Glatze beobachtet den Raum und schaut immer wieder nach links hinüber. Da stehen die beiden Buchsbäume, ich weiß nicht, was er sieht.“ Sie drehte den Kopf in die andere Richtung zu den Tischen, an denen verschiedene Paare saßen.
„Und die beiden Herren in den Anzügen da, sind ein Paar. So vertraut. Im Gegensatz dazu am Nebentisch, wo die blonde Frau so komisch schaut. Bei denen ist wohl der Wurm drin.“
Genau an diesem Tisch erschien der Kellner mit dem Essen. Der Gast schaute skeptisch auf den Teller und verglich ihn mit dem seiner Partnerin. Dann hob er leicht den rechten Zeigefinger und wies hier und dorthin und verwickelte die Bedienung in ein Gespräch. Der Kellner antwortete mit gesenkter Stimme, in der Hoffnung, der Gast würde es ihm gleich tun.
Vergeblich. Bis die Frau ihre Hand beruhigend auf den Arm des Mannes legte, einen Kompromiss fand, indem sie die Fleischportionen tauschte und man schließlich zu essen begann. An den Bewegungen des Mannes war aber zu erkennen, dass ihm das nicht wirklich gefiel.
„Siehst Du“, sagte Stefanie, „ Eine Kleinigkeit stimmt nicht und jemand gerät unter Stress.“
„Für den einen ist Well Done eben wichtig, wenn er kein Blut sehen kann.“
Sie lächelte: „Folglich ist der erstmal schon kein Mörder.“
„Naja, nicht jeder Mord ist blutig ...“
Sie stellte hier und da noch weitere Vermutungen an, bis ihnen das Essen serviert wurde. Ihr Risotto und sein Hähnchenbrustfilet waren recht schmackhaft zubereitet. Nach ein paar Bissen fragte sie dann: „Und was siehst Du so, wenn Du Dich hier umschaust?“
Philipp hielt inne und seine Augen suchten den Raum ab. „An dem Tisch, wo es gerade Probleme gab, sehe ich eine todkranke Frau. Womöglich Krebs, beide unternehmen vielleicht zum letzten Mal etwas gemeinsam. Der Mann mit Glatze beobachtet die Bar, denn dahinter arbeitet sein Ex oder jemand, der mal sein Ex werden könnte.“
Stefanie schaute ungläubig, während er mit Genuss ein Stück Fleisch abschnitt und es in den Mund schob. Dann trank er einen Schluck Wasser.
„Bei dem Paar, dass sich nichts zu sagen hat, ist die Frau traurig. Sie weiß, ihr Mann steht auf kleine Mädchen, er schaut immer zu dem Tisch mit der Mutter hinüber. Die Mutter wiederum wird von ihrem Ex hängengelassen, also unterhaltsmäßig, denn vor der Bestellung hat sie den Endpreis durchgerechnet.“ Er schob sein Essen auf dem Teller hin und her.
„Und die beiden Anzüge sind kein Paar, sondern Vater und Sohn. Schon die gleiche Nase und Kinnpartie hätte Dir auffallen können.“
Damit war das Thema für ihn abgeschlossen und er aß stumm zu Ende. Sprachlos wandt Stefanie ihrem Kopf hin und her und verglich seine Aussagen, mit dem, was sie sah. „Wie kannst Du Dir so sicher sein?“, fragte sie, gleichzeitig erstaunt und verwirrt. Selbstsicher legte er sein Besteck beiseite, tupfte sich den Mund ab und lehnte sich satt zurück.
„Du darfst mich gern vom Gegenteil überzeugen.“ Seine Hand beschrieb einen kleinen Halbkreis.
„Ach komm, das hast Du Dir doch alles bloß ausgedacht!“
„Beweise es!“ Zufrieden und mit überlegenem Blick schob er beide Hände in die Taschen. Sie machte ein paar klägliche Versuche und gab dann lachend auf, denn Philipp hatte immer ein Gegenargument parat. Beide hatten ihre Teller zur Mitte des Tisches geschoben und rückten noch etwas näher aneinander.
„Wie hast Du Dir den weiteren Verlauf des Abends vorgestellt?“, fragte er recht direkt. Für einen Moment hielt sie inne und schaute auf die Uhr. Ihm fiel auf, dass sie das fast regelmäßig getan hatte.
„Erwartest Du jemanden?“
„Nein, nein“, beeilte sie sich, zu versichern.
„Nun, dann würde ich vorschlagen, wir nehmen einen Absacker auf meinem Zimmer.“
Wieder schaute sie nach der Zeit und sagte schnell: „ Oder auf meinem.“ Philipp war für einen Moment baff, aber ein hoffnungsvolles Strahlen überzog sein Gesicht. „Worauf warten wir?“
Sie hatte ihm ihren Zimmerschlüssel überlassen und wollte noch dem Zimmerservice Bescheid geben.
Oben angekommen, hatte er das Fenster geöffnet und die Gardinen geschlossen. Bis auf eine kleine Lampe löschte er mit leicht zitternder Hand alle Lichter und zog sein Jackett aus.
Seine Gedanken überschlugen sich, er fühlte sich wie ein Teenager vor dem ersten Mal. Anstatt Blut, pumpte pures Adrenalin durch den Körper, auch das tiefe Ein - und Ausatmen vor dem Fenster brachte nur wenig Entspannung.
Kurz darauf klopfte es und Stefanie hatte den Zimmerkellner im Schlepp. Die Flasche Sekt war auf dem kleinen Servierwagen schon geöffnet, zwei Gläser standen griffbereit. Mit einem Trinkgeld wurde der Bedienstete wieder verabschiedet. Philipp goss ein.
Sie prosteten sich auf eine unerwartete Begegnung sowie einen hoffentlich angenehmen Abend zu. Er trank recht schnell, während Stefanie nur kurz nippte. Als das Glas leer war, bemerkte er, dass sein Gehirn mit einem Mal vom Alkohol übernommen wurde. Oder etwas anderem. Plötzlich fühlten sich alle Gliedmaßen so schwer an, er musste sich hinsetzen. Die Augen aufgerissen, massierte er seine Schläfen.
„Der Tag war anstrengender, als ich dachte“, sagte er mit merklich schwerer Zunge. Dann wurde ihm schwarz vor Augen.

Das erste, was er wahrnahm, war das Zwitschern von Vögeln.
Philipps Lider waren so schwer und er hätte so gern die Augen geöffnet. Schon allein, um zu sehen, wer ihm mit einiger Kraft sein Knie in die Seite presste.
Er wollte sich umdrehen und stöhnte vor Schmerz auf. Da lag niemand hinter ihm und gleichzeitig fühlte sein Körper sich wie überfahren an.
Mühsam tastete er sich ab. Sein unterer Rücken war bandagiert.
Wie konnte das sein? Was war gestern Abend passiert? Kraftlos rollte sein Kopf hin und her. Das Morgenlicht drang durch die Gardinen, die sich leicht in der Brise bewegten. Vor dem Fenster war einiges an Bewegung zu hören. Stimmengewirr und das Schlagen von Autotüren. Ab und zu sprang ein Motor an, entfernte sich.
Unendlich langsam kamen Philipp die Erinnerungen wieder. Da war diese Frau, Stefanie. Die Zugfahrt, das Essen, Ihr Zimmer, ein Blackout. Er rief ihren Namen, aber mehr als ein halblautes und trockenes Gebrabbel kam nicht aus seinem Mund. Er war allein.
Es kostete Kraft, die Augen offen zu halten und sich zu bewegen. Im Dämmerlicht nahm er ein senkrechtes Gestell neben dem Bett wahr. Als sein Blick sich etwas klärte, erkannte er einen Tropf, dessen durchsichtiger Schlauch unter der Bettdecke verschwand. Matt ertastete seine rechte Hand die Eingangskanüle in der linken Armbeuge.
Wieso bin ich im Krankenhaus?
Wieder schaute er sich um und kam zu dem Schluss, dass das kein Krankenzimmer sein konnte. Schlapp tastete er nach der Lampe, dabei wischte er seine Uhr und die Brieftasche vom Nachtschränkchen. Den Schalter erreichte er mit Mühe. Seine Hand streifte gefaltetes Papier und er wedelte das Blatt mühsam auseinander:
„Es tut mir wirklich leid. So bald ich kann, werde ich eine Ambulanz verständigen. Es war alles nur ein Zufall. Stefanie“
Wieder wurden vor dem Fenster Fahrzeugtüren aufgerissen.
Was sind das nur für Schmerzen? Jemand hatte zwei Kissen unter seine linke Seite geschoben, so dass die Hüfte erhoben war.
Wiedertastete er nach der Bandage, als es an die Tür klopfte. Er gurgelte etwas, diesmal ein „Herein!“, aber das verstand man draußen nicht und es wurde nochmals geklopft.
Philipp gab auf, da drehte sich der Schlüssel im Schloss.
Mit dem Kopf über die Schulter sah er, wie zwei junge Männer in Weiß einem Zimmermädchen folgten.
„Schön, dass Sie da sind“, murmelte er. „Es geht mir gar nicht gut ....“ Dann war wieder alles schwarz.

 Als er erwachte, war es heller hinter seinen Augenlidern und dieses Mal war er sich sicher, in einem Krankenzimmer aufgewacht zu sein.
Weiße Wände, ein hellblauer Sockel umlief den Raum. Durch das Fenster sah er den grauen Himmel, durch den der Wind schnell die Wolken trieb. Ab und zu hörte er Regentropfen das Glas treffen.
Der Tropf neben seinem Bett war ihm vertraut, die Schmerzen nicht mehr ganz so heftig.
Noch immer war ihm die Ursache seiner Beschwerden nicht erklärlich und jetzt trug er eine dickere und gleichmäßigere Bandage um die Körpermitte. Vorsichtig angelte er nach dem mit Wasser gefüllten Plastikbecher auf dem Beistelltisch, denn er hatte brennenden Durst. Wie glühendes Metall rann die Flüssigkeit seine staubtrockene Kehle hinunter, aber er setzte nicht ab, bevor das Gefäß leer war.
Ein Hustenreiz stieg auf, er glaubte, der Schmerz würde ihn zerreißen.
Mit verzerrtem Gesicht sank er zurück und starrte an die Decke. Versuchte sich zu erinnern, die Bruchstücke zusammenzusetzen.
Die Zugfahrt und Stefanie. Weiter kam er vorerst nicht, denn da öffnete sich die Tür und eine junge Krankenschwester steckte ihren Kopf herein. „Oh, Sie sind schon wach“, sagte sie leise und trat neben sein Bett.
„Wo bin ich?“ Das Wasser hatte geholfen, er konnte sich verständlich machen.
„Es ist alles in Ordnung, Herr Frey.“
Sie fühlte seinen Puls und kontrollierte die Pupillen. Beim Messen des Blutdrucks fragte er sie erneut und sie setzte sich zu ihm auf die Bettkante.
„Herr Frey, Sie sind im Krankenhaus in Embeden. Zum Glück wurden wir beizeiten verständigt und so geht es Ihnen den Umständen entsprechend gut.“
Besänftigend hatte sie den Kopf schiefgelegt. Er presste ihre Hand und sagte mit gleichem Druck: „Was. ist. mit. mir. passiert?“
Ihr Blick wurde etwas sorgenvoller und sie schien nach Worten zu suchen.
„Herr Frey, Ihnen wurde gestern Nacht eine Niere entfernt. Und das recht professionell.“
Philipp war sprachlos. Sein Kopf fiel auf das Kissen zurück und sein Blick blieb zunächst stumm auf die Zimmerdecke gerichtet.
„Aber wie geht sowas?“
Die Schwester sah das tiefe Unverständnis in seinem Gesicht.
„Operationen aller Arten werden schon seit Menschengedenken gemacht. Je sauberer das Umfeld, desto kleiner die Möglichkeit einer Infektion oder Blutvergiftung. Und ein Hotelzimmer ist immer noch steriler als eine Waldlichtung“, versuchte sie einen Scherz. Ein verächtliches Schnauben war die Antwort.
„Der oder diejenige, die das mit Ihnen gemacht haben, sind geübt. Wahrscheinlich waren hier Profis am Werk.“
Aber warum er? War es tatsächlich nur ein Zufall gewesen, wie Stefanie geschrieben hatte? Hatte sie das allein gemacht oder hatte sie Helfer? „In ein paar Tagen sind Sie wieder auf den Beinen. Vorher wird bei Ihnen noch die Polizei vorbei schauen und Fragen stellen.“
„Was soll das helfen? Meine Niere werde ich wohl nicht wiedersehen, oder?“ Sarkasmus schwang in seiner Stimme mit.
„Das leider nicht, aber außer Ihren Ausweispapieren und Ihrer Brieftasche gibt es nichts, was den Ermittlungsbehörden vorerst helfen würde. Ihr Hotelzimmer ist bei der ersten Durchsuchung leer vorgefunden worden, soweit ich weiß.“
„Soweit Sie wissen?“, fragte er fast spitz und wollte sich aufrichten, griff nach ihrer Hand.
Plötzlich durchzuckte es ihn wie ein schwerer Blitzschlag.
„Im Moment haben Sie nur die Dinge, die Sie bei Ihrer Einlieferung auf dem Leib trugen.“
Der Koffer! Er war verschwunden!
„Nichts?“
„Nein. Entweder Sie hatten nichts dabei oder jemand hat es gestohlen.“ Damit entzog sie ihm ihre Hand.
Warum, verdammt nochmal, sollte man den Koffer stehlen?
Die Gedanken rasten, der Puls hielt eilig Schritt. Ohne den Kofferinhalt war seine Sammlung unvollständig. Andererseits konnte er den Diebstahl nicht anzeigen, denn würde der Koffer gefunden, wäre das sein Todesurteil. Niemand könnte verstehen, warum er sammelte, was er sammelte.
Erst als es dunkel wurde, bemerkte er, dass er wieder allein im Zimmer lag. Wie lange, war ihm nicht bewusst, denn sein ganzes Denken kreiste hypnotisch nur um einen Punkt: Der Koffer!
Als am nächsten Morgen die Schwester gut gelaunt das Krankenzimmer öffnete, erschrak sie.
Philipp Frey war über Nacht verschwunden.

Thomas Ahrberg steuerte den silberfarbenen Mercedes entspannt über die Autobahn. Er hatte allen Grund dazu, denn unter Hilfe seiner Komplizin Stefanie hatte sie es tatsächlich geschafft, just in time eine brauchbare Niere zu beschaffen.
Im Hotel angekommen hatte sie ihn wegen eines möglichen Kandidaten benachrichtigt, worauf er mit dem nötigen Equipment sich auf den schnellsten Weg gemacht hatte. Danach war alles reibungslos verlaufen. Der unfreiwillige Spender war betäubt und bereits entkleidet, als Thomas kurz nach Mitternacht eintraf.
Mit einem flüchtigen Kuss auf die Wange begrüßten sie sich, der Nachklang einer leidenschaftlichen, aber längst vergangenen Beziehung. Da dies nicht ihr erster gemeinsamer Einsatz war, ging die Operation relativ zügig voran und bald darauf öffnete Stefanie ihren Koffer und holte eine Plastiktransportbox heraus.
Aus Thomas‘ Gepäck nahm sie die Eisbeutel und verstaute das Organ in einem sterilen Beutel dazwischen. Obwohl es ein Rollkoffer war, empfand sie die Last als zu schwer. Schnell huschte sie in Philipps Zimmer, während Thomas damit beschäftigt war, diesen wieder zuzunähen. Philipps Koffer war wesentlich leichter, weil nur halbgefüllt mit zwei gut verschlossenen Supermarkt-Einkaufstüten. So sortierte sie ihre Sachen bei ihm ein und die Transportbox blieb in ihrem. Die Gewichtsverteilung machte sie zufrieden.
Nach einem eiligen Check out, was einen verwunderten Rezeptionisten zurückließ, fuhr Thomas sie beide zügig in Richtung Westen, wo bereits ihr Auftraggeber auf die Ware wartete.
Die Übergabe im knapp zweihundert Kilometer entfernten Wiesenthal verlief schnell und reibungslos. Sogar die Zahlung war in der Kürze der Zeit vorbereitet gewesen. Der schmale Aktenkoffer wechselte in einem Parkhaus die Besitzer. Wie schon einige Male zuvor, teilten sich Stefanie und Thomas ihre Anteile später.
Jetzt saßen beide in seinem Auto und er lenkte den Wagen sicher durch die noch ruhige Innenstadt und hielt vor dem besten Hotel der Stadt. „Darf ich Dich zum schmackhaftesten Frühstück im Umkreis einladen?“, fragte er, als schon ein Hoteldiener heran stürzte und die Wagentür mit einem „Guten Morgen“ aufriss.
Danach gingen beide auf ihr Zimmer. Stefanie war klar, dass Thomas ihr nie gehören würde, sie aber auf gelegentlichem Sex mit ihm nicht verzichten wollte.
„Wieso hast Du eigentlich zwei Koffer dabei?“, fragte er sie müde, nachdem sie das Geld geteilt hatten.
Sie kam aus der Dusche, während er im Bett auf sie wartete.
Ihre Erklärung verärgerte ihn:
„Sind wir Gepäckdiebe oder was? Jetzt hat der Typ eine Niere weniger und gar keine Unterhose mehr. Was soll das?“
Stefanie gab zu, nicht überlegt zu haben. „So viele Klamotten sind eh nicht darin. Philipp war auf dem Heimweg von irgendwo oder zu einem Termin unterwegs“, versuchte sie, Thomas zu besänftigen.
„Und was ist das für ein komischer dunkler Fleck da an Deinem Koffer?“
„Keine Ahnung. Irgendwo bleibt immer mal was an dem Stoffzeugs was hängen“, tat sie seine Beobachtung ab.
„Das ist nicht von außen. Da ist was ausgelaufen“, sagte er und zeigte deutlich auf die untere Ecke des Koffers.
„Sieht aus wie Australien ...“
„Also von meinen Klamotten ist da nicht ausgelaufen, aber bitte, ich schaue nach.“
Sie legte den Koffer auf den Boden, öffnete den Verschluss und schlug ihn auf. „Hier, siehst Du? Das sind meine Sache. Das kommt von einem der Beutel, die hier schon drin waren.“
Sie griff nach einer von Philipps Plastiktüten.
Tatsächlich, in dieser war ein winziger Riss. Entstanden, als Stefanie die Tüte beim Zumachen in den Reißverschluss eingeklemmt hatte.
„Und was transportiert der Typ so? Sieht aus wie eine Melone. War wohl vorher auf dem Wochenmarkt gewesen ...“
„Quatsch“, sagte Stefanie und öffnete den Klipp, der den Beutel verschloss. Sie schaute hinein, schrie auf und ließ die Tüte fallen. Rückwärts war sie an die Wand gesprungen.
„WasistdasfüreinScheiß?“, stieß sie hervor.
Erschrocken war Thomas hochgeschnellt.
„Was hast Du?“, fragte er fast verständnislos. Mit fahriger Hand deutete sie nur auf den Koffer. Unsicher, was ihn erwarten würde, beugte Thomas sich über die Tüte, schaute hinein und dann auf sie.
Vorsichtig zog er den zweiten, kleineren Beutel heraus, öffnete ihn und wurde blass.
Tonlos sagte er dann: „ Du hast Deinem Philipp einen Kopf und zwei Hände geklaut ...“


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HansGlogger
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H
Beitrag06.02.2022 10:35

von HansGlogger
Antworten mit Zitat

Anmerkungen mit hg: im Text

Calvin Hobbs hat Folgendes geschrieben:

1)
Hinter der Scheibe lag der, bis auf eine Handvoll Reisender, leere Bahnsteig.
Hier in der Provinz gab es höchstens den Pendlerverkehr, an dem die Bahngesellschaft verdienen konnte, Fernreisende waren meist Urlauber.

hg: Für einen ungeduldigen Leser wie mich  sind es zu viele solcher Sätze. Doch das ist dein Stil und es passt schon.
Am einzelnen Satz gibt es nichts auszusetzen

2)
Wieso schaut er so? Beobachtet er mich?

Starren mich heute alle Leute an?

hg: Gut, baut Spannung auf

3) denn er liebte solche Dinge im Zeitalter von Handys und Laptops.

hg: siehe unten

4)
Da wurde die Abteiltür aufgerissen und die vorhin so intensiv küssende junge Dame stand mit ihrem Koffer in der Hand erwartungsvoll im Rahmen.

hg: wen hat sie geküsst, diesen Thomas?


5)er sah, wie ihre hellbraunen Augen unter den geraden Augenbrauen und

 hg: nachher sind sie grau

6) aber mit Wohlwollen musste er zugeben, dass sie durchaus Rundungen hatte.

hg: warum muss er das zugeben?

7) Durch ihre Brillengläser funkelten ihn ihre grauen Augen an. Alle Anmut schien aus ihrem Gesicht verschwunden.

hg: hier graue Augen


9) Sein Gesicht war eines der Masse mit aschblondem Haar. Seine Augen waren von dunkler Farbe, vielleicht grün. Eine winzige Narbe neben seiner rechten Augenbraue, ansonsten glatte und reine Haut. Die Nase weder lang noch kurz, die Spitze etwas knubbelig. Hoffenlicht schätzt sie mich nicht nach meinen Krähenfüßen, sonst gehe ich nicht als Anfang 40 durch. Sein grauer Anzug saß gut, war aber von der Stange. Seine hellbraunen Lederschuhe waren wie immer poliert.

hg: Erzählperspektive? Der personale (?) Erzähler sieht, was sie sieht. Bisher war Philipp der Reflektor.

10)
„Wie fällt das Urteil aus?“ Diese Worte holten sie aus ihren Gedanken. „Ich glaube, Sie könnten alles sein, was mit Verwaltung, Büro und Papierkram zu tun hat.“
hg: siehe 9

11)
„Erneut Leiche ohne Kopf und Hände aufgefunden“ sagte sie halblaut die breit gedruckte Überschrift auf. „Wie schrecklich.“ Dabei fasste sie sich an den Hals. „Was für ein Mensch tut so was?“
„Ich würde annehmen, jemand, der nicht will, dass man den oder die Tote leicht identifizieren kann.“

hg: siehe 3) heute gibt es DNA-Tests. Auch wenn der Philipp den Kopf aus anderen Gründen entfernt hat, fehlt hier ihre Gegenrede.


12)
Stefanie und Philipp wohnten Tür an Tür und er hatte sofort die Gelegenheit genutzt, sie zum Abendessen einzuladen.
Ihr Zögern bereitete ihm körperliche Schmerzen, denn sie wollte zunächst noch telefonisch in Embeden für den kommenden Tag Bescheid geben.

hg: Ist dieser Thomas nun ihr Freund, den sie geküsst hat. Warum trennen sie sich am Bahnhof? Er mit dem Auto sie mit dem Zug?
Gleiches Ziel?

13)
„Unter Umständen könnte ich mir vorstellen, dass es Menschen gibt, die so sehr hassen, dass sie sich selbst nicht mehr kontrollieren können“, sagte sie nach einem kräftigen Schluck.
„Ja, das ist vorstellbar“, stimmte er sofort zu.

hg: Gute Andeutung, spannend!

14) Für einen Atemzug schaute er sich überlegend um. „Wir haben hier einen Raum voller Menschen“, und mit verschwörerischem Blick wies er einen leichten Halbkreis.
hg: er beobachtet und sammelt Menschen? Gute Szene, die nun folgt


15)
Philipp Frey war über Nacht verschwunden.

hg: zwei gute Wendepunkte!


16) Mit einem flüchtigen Kuss auf die Wange begrüßten sie sich, der Nachklang einer leidenschaftlichen, aber längst vergangenen Beziehung.
hg: Also, wen hat sie am Bahnhof geküsst? Ist diese Kussszene am Bahnhof am Anfang notwendig?


17)
„Was hast Du?“, fragte er fast verständnislos. Mit fahriger Hand deutete sie nur auf den Koffer. Unsicher, was ihn erwarten würde, beugte Thomas sich über die Tüte, schaute hinein und dann auf sie.
hg: in der wörtlichen Rede du und dein klein



Am Ende könnte ich mir noch eine Wendung vorstellen. Die Polizei steht vor der Tür und findet den Kopf. Warum sie auftaucht, kann der Autor sich überlegen
(Personal findet Blutspuren oder so)

Gute Geschichte, spannend erzählt.
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Lila X
Geschlecht:weiblichLeseratte
L

Alter: 54
Beiträge: 145



L
Beitrag06.02.2022 13:09

von Lila X
Antworten mit Zitat

Hallo Calvin,
tolle Geschichte. Ich habe sie wirklich gespannt gelesen. Ich weiß nicht, ob die Szene im Zug nicht ein bisschen lang ist, aber du hast beide Charaktere toll gezeichnet. Ich empfand auch die Szene, in der die Protas die anderen Gäste einschätzen, als netten Gimmick, weil sie bei der gegenseitigen Einschätzung so danebenliegen. Und als Leser ahnt man so viel von seiner wahren Natur, dass Spannung entsteht, ohne dass man es wirklich wissen kann. Sprachlich ist es zwar gut zu lesen, aber einzelne Worte oder Satzstellungen sind ein bisschen holprig. Ich hätte da ein paar Vorschläge, wenn du erlaubst. Manchmal stelle ich ein in meinen Augen besser geeignetes Wort in Farbe daneben, ohne dein Wort zu streichen….

Calvin Hobbs hat Folgendes geschrieben:

Im Zug

Es gefiel Philipp Frey nicht, im Zug rückwärts zu fahren, aber so war es eben. Hoffentlich würde ihm diesmal nicht übel werden, sodass er wieder die Abteiltür aufreißen und nach frischer Luft schnappen müsste. Andererseits, überlegte er, der Sitz ihm gegenüber war nicht belegt und so lange niemand Anspruch darauf erhob ... im Moment war er allein hier. Ich habe beim Lesen nicht sofort verstanden, dass er hier den Platz tauscht. Das könnte man schon reinschreiben.
Obwohl alle Polster gleich dunkel-hässlich waren, durchströmte ihn ein wohliges Prickeln und entspannt streckte er die Beine aus. Gemütlich lehnte er den Kopf gegen seine Jacke, die an dem Haken über dem Fenster aufgehängt war.
Hinter der Scheibe lag der, bis auf eine Handvoll Reisender, leere Bahnsteig.
Hier in der Provinz gab es höchstens den Pendlerverkehr, an dem die Bahngesellschaft verdienen konnte, Fernreisende waren meist Urlauber. Philipp sah, wie ein Familienvater mit offenem Mantel Lederkoffer schleppte und dabei von einer Frau und zwei halbwüchsigen Jungen verfolgt wurde. Der Schweiß hatte sein dünnes Haupthaar am Kopf angeklebt und im Vorbeilaufen blieben seine Augen für einen Atemzug an Philipp hängen. Seine Lider verengten sich, als würde er über einen Moment des Erkennens grübeln. Beide Männer nahmen sich wahr, maßen sich und für einen Augenblick durchschauerte es Philipp. …ließen Phillip erschauern. Dass es nur ein Augenblick war, ist durch den oberen Hinweis schon klar.
Wieso schaut er so? Beobachtet er mich?
Das verflog aber sofort wieder, Doch sofort verflog der Eindruck wieder - er war sich sicher, dem anderen noch nie begegnet zu sein. Zum Glück muss ich nicht so schleppen. Dabei ging sein Blick zum eigenen Koffer in der gegenüberliegenden Ablage.
Heute Morgen hatte er, wie immer vor einer solchen Fahrt, das Wichtigste zusammen gesucht, alles fein säuberlich in Plastiktüten eingewickelt und liebevoll verstaut. Er fuhr gern mit dem Zug und hatte mit Blick in seinen altmodischen Taschenkalender festgestellt, dass die Unternehmungen in letzter Zeit häufiger geworden waren.
Da kam e Eine Gruppe Jugendlicher kam die Treppe zum Bahnsteig herauf gerannt. Krakeelend passierten sie Philipps Fenster und wieder ließ ihn ein Augenpaar frösteln.
Das junge Mädchen mit dem weißblonden Pagenschnitt - wieso schaute sie so intensiv? Was hatte ihre Aufmerksamkeit erregt?
Zu seiner Erleichterung suchte sie weiter vorn den Einstieg.
Starren mich heute alle Leute an?
Er richtete sich ein wenig auf, um sein Äußeres in dem schmalen Spiegel zwischen den Ablagen zu betrachten und sank erleichtert zurück. Er atmete ein, zwei Mal tief durch, nichts war passiert. Niemand hatte mit dem Finger auf ihn gedeutet. Dazu gibt es auch gar keinen Grund, beruhigte er sich selbst. Die bisherigen Fahrten hatte er viel gelassener bewältigt. War heute etwas anders?
Als Versicherungsmakler mit eigenem Büro konnte er sich solche Reisen erlauben. Manchmal waren sie sogar notwendig. Aber diesmal war er privat unterwegs.
Draußen vor dem Fenster küsste sich ein Pärchen innig. Dem einzelnen pinkfarbenen Rollkoffer nach zu urteilen, verreiste nur sie.
Ein Schaffner kam mit rotem Kopf und hastig schnaufend, zwei Stufen mit auf einmal nehmend, die Treppe herauf. Für einen Moment blieb er stehen und schaute hektisch den Zug entlang. Dann holte er an einer goldfarbenen Kette (die sieht man zuerst) seine dicke Komma mechanische Eisenbahneruhr an einer goldfarbenen Kette hervor. Philipp ging das Herz auf, denn er liebte solche Dinge im Zeitalter von Handys und Laptops.
Der Schaffner verglich die Zeit mit der digitalen Bahnhofsuhr und verschwand aus dem Blickfeld, stieg weiter hinten ein. Das Pärchen war ebenfalls weg, ein schriller Pfiff ertönte und kurz darauf ruckte der Zug an.
Glück gehabt, dachte Philipp. Bin ich wohl ...
Da wurde die Abteiltür aufgerissen und die vorhin so intensiv küssende Komma junge Dame stand mit ihrem Koffer in der Hand erwartungsvoll im Rahmen. Ihr Blick ging wanderte zu den kleinen Metallnummern über den Kopflehnen der Sitze und fiel am Ende auf Philipp. Dann wieder zum Schild. Sie holte Luft und sagte gedehnt: „Entschuldigen Sie, sind Sie sicher ...?“
Bevor sie enden konnte, war er aufgesprungen, dabei fiel ihm seine neue Tageszeitung vom Schoß.
„Es tut mir leid. Ich hatte nicht angenommen ... und mir wird leider wird immer übel vom Rückwärtsfahren ...“
Wieso fange ich plötzlich an, zu stottern?
Er klaubte den „Standard-Anzeiger“ wieder auf und stand unschlüssig da, musste sich abstützen, denn der Waggon ging in eine Kurve.
Für einen Moment überlegte sie und sagte schnell: „Das möchte ich natürlich nicht.“  Dabei ruhten ihre Augen auf seinem Sitz.
„Oh, hier. Nummer 4, am Fenster.“ Er wies mit der Hand darauf.
Sie zuckte resignierend mit den Schultern.
„Darf ich Ihnen helfen?“ Eifrig erbot er sich, ihren Koffer über seinen Kopf in die Ablage zu hieven. Sie ließ es geschehen, legte ihre schwarze Handtasche auf den Sitz, hing den lhellen Mantel auf und nahm Philipp gegenüber Platz. Beide ruckelten und schwankten leicht mit den Bewegungen des Abteils, der mit langsamemn Tempo die Stadt verlassen hatte verließ. Inm gleichmäßigemn Takt huschten Telefonmasten am Fenster vorbei, dahinter breiteten sich schon die Rapsfelder aus.
Philipp hatte lehnte sich zurückgelehnt, die Zeitung geöffnet und beobachtete die Dame über den oberen Rand, während sie in ihrer Handtasche nach etwas grub.
Aus der Tiefe seines Schrittes kroch ein leichtes Kribbeln, zog wie Honig feinste Nervenbahnen empor und plötzlich war er hellwach. ließ ihn hellwach werden - klingt eher nach einem Prozess als nach einem schlagartigen Erlebnis, aber wirklich schön formuliert, ich bin begeistert
Er schätzte sie auf Mitte 20. Schlank, nicht sehr groß, blondes mittellanges Haar, eine helle Bluse mit kurzen Ärmeln. Dazu einen smaragdfarbenen Rock. Am linken Handgelenk eine viereckige Damenuhr, dazu einen dünnen goldenen Ring, allerdings am Mittelfinger. Keinen Nagellack. Ihre rechte Hand kam mit einem kleinen Spiegel zum Vorschein, in dem sie kurz ihr Aussehen prüfte.
Sie trug nur etwas Wimperntusche, kein offensichtliches Make-up. An ihren Ohrläppchen hingen winzig kleine stilisierte Sterne.
Philipp spürte, wie sein Körper Adrenalin ausschüttete, jedes weitere Detail an ihr machte sie für ihn immer begehrenswerter. Die Steigerungsform macht das Wort ‚immer’ in meinen Augen obsolet.
Der Spiegel verschwand wieder, dafür kam ein Buch zum Vorschein. Der Einband grün wie ihr Rock und zu Philipps Erstaunen waren darauf zwei fotografierte Totenschädel zu sehen.
„Anatomie“ war in großen Lettern eingeprägt. Also eine Medizinstudentin, schlussfolgerte er. Sie kramte nochmals und hatte ein Etui in der Hand. Die übergroße und dunkelrandige Nerdbrille stand ihrem leicht viereckigen Gesicht gut.
Sie schlug eine Seite auf und begann, wie er zu lesen.
Philipp hatte Mühe seine erhöhte Herz- und Atemfrequenz zu beherrschen scheint mir doppelt, erhöht weglassen, als er sah, wie ihre hellbraunen Augen unter den geraden Augenbrauen und über der schmalen Nase gewissenhaft über die Zeilen gingen wanderten. Manchmal fuhr ihre Zunge leicht über ihre Unterlippe, wenn sie mit ihren schlanken, fast zierlichen Fingern eine Seite wendete.
Das Buch verdeckte ihren Ausschnitt, so konnte er nicht sehen, ob sie eine Kette trug. Sie hatte eine sportliche Figur, keine große Oberweite, aber mit Wohlwollen wohlwollend musste er zugeben, dass sie durchaus Rundungen hatte.
Langsam ging wanderte sein Blick wieder nach oben und ….Eer erstarrte. Durch ihre Brillengläser funkelten ihn ihre grauen Augen an. Alle Anmut schien aus ihrem Gesicht verschwunden. Als würde sich eine Wolke vor die Sonne schieben, hatten sich ihre Gesichtszüge verhärtet.
„Ihnen ist schon klar, dass Sie mich beobachten anstarren?“, fragte sie mit eisiger Stimme. beobachten finde ich hier viel zu schwach
Philipp wandt sich in seinem Polster.
„Entschuldigung Sie ... das war nicht meine Absicht  ...“, stammelte er ertappt und spürte Hitze in sein Gesicht schießen. Er hätte sich ohrfeigen können. Seit mehr als zwei Jahrzehnten Versicherungsmakler, schrie es in ihm. Eine Dutzend Mal Verkäufer des Jahres, die Agentur war eine der besten des Landes und hier stotterte ich wie ein Teenager.
Ihre zu Eis gewordenen Augen ließen nicht von ihm ab und er hatte das Gefühl in seinem Sitz zu schrumpfen. Was hatte sie, dass er sich dieser Frau gegenüber so unbeholfen verhielt?
Er zwang sich zur Ruhe, atmete tief durch, wischte sich mit der linken Hand über das Gesicht und streckte ihr seine rechte entgegen: „Frey. Philipp Frey.“
Ihr fesselnder Blick änderte sich nicht, aber sie schien zu überlegen. Dann reichte sie ihm ihre Hand: „Stefanie ... Bergmanova“, sagte sie langsam.
„Meine Urgroßeltern kamen aus der Tiefe Russlands“, fügte sie fast entschuldigend hinzu.
„Meine Familie hat schon immer da gewohnt, wo ich herkomme. Bingstadt, aber wahrscheinlich haben Sie noch nie davon gehört!?“
Stefanie taxierte ihn erneut. „Nein, da haben Sie Recht.“
Leicht kniff er fFür einen Moment kniff er die Augen leicht zusammen. Er konnte nicht einschätzen, was in ihrem Kopf vorging.
Hatte sie Angst? Ihre Reaktionen hatten etwas Zurückhaltendes, fast Lauerndes.
„Macht nichts. Wäre ich nicht von da, würde ich es wohl auch nicht kennen.“
Mehr und mehr gewann er seine Selbstsicherheit zurück, setzte sich bequemer hin, schlug die Beine übereinander. Er wusste nicht warum, aber er fühlte sich von der Art dieser jungen Frau herausgefordert.
„Sie studieren Medizin?“ Mit einem Kopfnicken wies er auf ihr Buch. Ihre Augen glitten oberflächlich über den Einband. „Nein“, sagte sie, „noch nicht. Im Moment helfe ich einem Freund mit seiner ambulanten Praxis. Da ist es nützlich, wenn man wenigstens einige Grundbegriffe kennt.“
„Auf welchem Gebiet praktiziert denn ... Ihr Freund?“ Ungewollt hatte er die beiden letzten Worte etwas betont.
„Innere Medizin. Und er ist wirklich nur ein Freund.“ Ihre Antwort klang für ihn wie eine Zurechtweisung.
Jetzt nur nicht den Faden abreißen lassen, dachte Philipp, als vor dem Fenster wieder ein Kleinstadtbahnhof zum Stehen kam. Seine Hoffnung wurde erfüllt und niemand betrat das Abteil.
„Darf ich fragen, was Sie machen, wenn Sie nicht gerade Krankenschwester sind? Werden Sie da regelmäßig gebraucht?“ Dieser letzte Satz ist holprig, besser: Sind sie regelmäßig im Einsatz?
Leicht kniff sie die Augen zusammen, als ob sie sich die Antwort gut überlegen müsste.
Anscheinend will sie nur das Nötigste preisgeben. Wie schade, denn so wird ein Kennenlernen so ungemein schwieriger. entweder so ungemein schwierig oder deutlich schwieriger
„Nur ein oder zwei Mal im Monat werde ich gebraucht. Wie gesagt, ich bin eigentlich Laie auf diesem Gebiet.“
„Aber offensichtlich talentiert“, warf er ein.
„Wie kommen Sie darauf?“ Wieder dieser fordernde Tonfall.
„Nun, warum sonst sollte ein Arzt sich um Ihre Mithilfe bemühen?“ Diese Antwort schien Sie zu beruhigen und sie nickte. „Das stimmt. Ansonsten lese ich viel, mache etwas Sport, gehe mit Freunden ins Kino. Das übliche.Dieser Satz hat mich verwirrt. Schon klar, dass er fragt, was sie sonst so macht. Aber das musste man als Frage aufs Berufliche verstehen. Vielleicht willst du den Bruch bewusst erzeugen, weil sie ja von ihrem Verbrechen lebt. Aber dann würde ich einfügen ‚Nichts besonderes.‘ Es wirkt komisch, dass sie erst zugeknöpft ist und dann solche Banalitäten mit ihm teilt. Deshalb würde ich es wahrscheinlich sogar bei dieser Floskel lassen. Macht auch klar, dass sie keinen Beruf hat.
Philipp lächelte sie offen an, immerhin sprach sie in ganzen Sätzen mit ihm. Offenbar nahm sie diese Geste auf. Die zwei Sätze würde ich auch weglassen. „Und was machen Sie, wenn Sie nicht im Zug sitzen und Leute ausfragen?“
„Ich habe den spektakulären Beruf eines Versicherungsmaklers.“
Jetzt sah er, wie sie sich merklich entspannte. „Was hatten Sie gedacht?“, fragte er mit gespielter Neugier.
„Keine Ahnung“, gab sie mit ehrlichem Tonfall zu und ihre Augen tasteten ihn ab. In Gedanken folgte er ihrem Blick, der nirgendwo hängenzubleiben schien. Sein Gesicht war eines der Masse mit aschblondem Haar. Seine Augen waren von dunkler Farbe, vielleicht kennt er seine Augenfarbe nicht? grün. Eine winzige Narbe neben seiner rechten Augenbraue, ansonsten glatte und reine Haut. Die Nase weder lang noch kurz, die Spitze etwas knubbelig. Hoffenlicht schätzt sie mich nicht nach meinen aufgrund meiner  Krähenfüßen, sonst gehe ich nicht als Anfang 40 durch. Sein grauer Anzug saß gut, war aber von der Stange. Seine hellbraunen Lederschuhe waren wie immer poliert.
„Wie fällt das Urteil aus?“ Diese Worte holten sie aus ihren Gedanken. „Ich glaube, Sie könnten alles sein, was mit Verwaltung, Büro und Papierkram zu tun hat.“
„Sehe ich so langweilig aus?“
„Nein, nein“, beeilte sie sich, zu versichern. „Aber Sie machen halt nicht den Eindruck eines Handwerkers oder ...“
„Oder Polizisten?“ Philipp sah, wie sie fast unmerklich in diesem Moment fast unmerklich schlucken musste. „Wie kommen Sie auf Polizei?“
„Das war nur ein Beispiel.“ Mit beiden Händen wehrte er ab. „Ich bin schon mein Leben lang bei der -S&F Assekuranz- und mit der Polizei haben wir nur bei Autounfällen oder Einbrüchen zu tun.“
Sie schien erleichtert: „Wer möchte schon gern mit der Polizei zu tun haben.“
Philipp war sich nicht sicher, ob ihr kleines Lächeln etwas anderes - anders als was? verdecken sollte.
„Und wenn man so manche Schlagzeile heutzutage liest, Und bei so mancher Schlagzeile, die man heutzutage liest möchte man auch kein Ordnungshüter sein.“ Er hatte seine Tageszeitung geöffnet und hielt ihr die Titelseite hin.
Ihr Augen wurden hinter der Brille noch größer:
„Erneut Leiche ohne Kopf und Hände aufgefunden“ sagte las sie halblaut die breit gedruckte Überschrift auf vor. „Wie schrecklich.“ Dabei fasste sie sich an den Hals. „Was für ein Mensch tut so was?“
„Ich würde annehmen, jemand, der nicht will, dass man den oder die Tote leicht identifizieren kann.“
Im gleichen Augenblick wusste Philipp, dass ihm die falsche Antwort herausgerutscht war.
Stefanie schaute ihn ehrlich entrüstet an. „Wie können Sie nur so etwas Gefühlloses sagen? Ich meinte, was in einem Menschen vorgeht, dass er so eine abscheuliche Tat überhaupt begeht.“
Sie starrte aus dem Fenster. Draußen wechselten sich einzelne Bauernhöfe mit Feldern und Straßen ab. Der Mais stand schon halbhoch und am Horizont setzte bereits die Dämmerung ein. Die schnell ziehenden Wolken bekamen eine helle metallische Farbe am sich verfärbenden Himmel. zweimal farbe, hör doch einfach nach der ersten Farbe auf
„Es tut mir leid, dass ich zuerst praktisch und nicht emotional gesprochen habe. Da ging wohl mein Beruf mit mir durch“, versuchte er sich in Schadensbegrenzung. „Natürlich ist so eine Tat für die meisten von uns nicht zu verstehen. Wahrscheinlich ist nur ein Wahnsinniger zu so etwas fähig.“
Ohne ihn anzuschauen, sagte sie fast tonlos: „Wie sehr muss man einen Menschen hassen, um ihn zu töten? Von den anderen Dingen ganz zu schweigen.“
„Man kann den Menschen immer nur vor den Kopf schauen.“ Insgeheim freute sich Philipp, dass sie wieder zugänglich wurde. Und sich an ihn wandte.
„Das ist auch besser so“, antwortete sie. „Bei manchen Leuten würden wir da wohl in unvorstellbare Abgründe sehen.“
Dazu nickte er nur. „Ich denke, jeder Mensch wird von seinen ganz eigenen Dämonen gejagt. Manche stecken das weg, andere werden davon verschlungen“, sagte er dann.
„Ja, aber gehören da nicht zwei dazu?“
Philipp verstand im ersten Moment die Frage nicht. Sie bemerkte das und fuhr fort: „Etwas, das verschlingt und jemand, der sich verschlingen lässt.“
„Nun, wenn Sie das so sehen ...“. Der Gedanke fühlte sich neu für ihn an.
Vor einigen Minuten und mitten zwischen Kartoffelfeldern und entfernt liegenden großen Ställen komma war der Zug stehen geblieben.
„Der Zugführer wartet auf das Signal“, stellte sie fest, ohne dass er gefragt hätte.
In diesem Moment ruckte der Waggon wieder an, schlich einige hundert Meter, ohne Geschwindigkeit aufzunehmen und blieb diesmal an einem geschlossenen Bahnübergang stehen.
Stefanie und Philipp sahen auf beiden Seiten des Zuges zwei, drei Autos und eine Handvoll Fahrradfahrer hinter den herabgelassenen Schranken warten. Eher schwer, durch das Fenster der Abteiltür und über den Gang hinweg zu erkennen, was auf der anderen Seite passiert. Vom Ende der einen Straße kam in einer Staubwolke langsam ein großer Traktor langsam herangerollt.
„Das finde ich ungewöhnlich“, sagte er und schaute sie an.
„Ich bin die Strecke bis heute nie gefahren“, meinte sie schulterzuckend. „Ich schon, aber hier gab es nie einen Halt ...“
Sie verzog die Mundwinkel: „Das scheint also ein langer Abend zu werden.“
Er schaute auf die Uhr und sie sagte: „Haben Sie denn heute noch einen Termin?“ entweder denn oder heute, sonst holprig
Seine leicht gewölbten Augenbrauen zogen sich zusammen.
„Nein, nicht wirklich. Ich mag es bloß nicht, wenn der Zug Verspätung hat. Und Sie?“
Stefanie holte tief Luft und tat, als müsse sie überlegen.
„Geht mir genauso. Hoffentlich bekomme ich diese Nacht noch etwas Schlaf, denn ich habe wieder Praxisdienst.“
„Das kann ich verstehen. Man möchte keine Fehler wegen Schlaftrunkenheit begehen.“ Er meinte dies als Scherz und lächelte darüber.
„Das nehme ich durchaus ernst“, erwiderte sie entschieden und als ob es ihr in diesem Moment einfiel, fragte sie:
„Ich hoffe, es ist nicht zu indiskret, aber haben Sie viel mit Ärzten zu tun?“
„Sie meinen Kunstfehler und so? Nein, das ist nicht so unser Gebiet. Dafür gibt es andere Fachleute und auch Anwälte.“
„Und Sie selbst?“
„Ich? Ich gehe einmal im Jahr zum Zahnarzt und hab alle paar Jahre eine Untersuchung beim Hausarzt, falls Sie das meinen. Bisher hatte der nichts zu beanstanden. Für mein Alter bin ich in erstaunlich gutem Zustand. Quasi wie ein Jahreswagen.“
Philipp lachte dankbar, dass er so leicht darauf aufmerksam machen konnte, wie gut in Schuss er war. Er hoffte, dass sie nicht nur aus Höflichkeit fragte, denn mittlerweile brannte ein lichterlohes Interesse an ihr in ihm, dass kaum noch zu bändigen war. Er zwang sich regelrecht zu einfacher Lässigkeit. Gelassenheit
„Also wartet an Ihrem Ziel nur Ihr Internist auf Sie?“
Diese Frage war stolz und was soll das sein? lass es weg oder ‚sehr privat/insistierend‘ konnte von ihr nicht missverstanden werden. „Das ist richtig. Ich war in letzter Zeit öfter unterwegs und deshalb ging meine Beziehung den Bach runter.“ Das klang etwas wehmütig. „Aber, so ist es eben.“
Für einen Moment schwieg er.
„Trennungen sind nie ohne Probleme.“
Ihre Augen richteten sich abwägend auf ihn, dann sagte sie:
„Wir waren zu unterschiedlich und haben uns auseinandergelebt. Und Sie?“
Philipp bemerkte dieses registrierte das Ablenkungsmanöver: „Da gibt es nicht viel. Meine Exfrau habe ich seit Ewigkeiten nicht mehr gesehen. Kinder hatten wir keine und alles ging recht schnell zu Ende.“
In diesem Moment wurde die Abteiltür aufgerissen und der Zugschaffner in seiner blauen Uniform sprach mit fast leiernder Stimme: „Es tut mir leid, aber unser Zug endet heute hier wegen eines Schadens der Lokomotive. In Kürze werden alle Reisenden mit Bussen in die umliegenden Orte gebracht und dort stehen Unterkünfte für die Nacht bereit. Morgen früh geht es dann von dort zum örtlichen Bahnhof.“
Er wollte weiter und fügte hinzu: „So, wie sowie/sobald wir die Strecke geräumt bekommen haben. Danke für Ihr Verständnis.“ Und riss die nächste Abteiltür auf.
Philipp und Stefanie schauten sich zunächst ratlos an.
In seinem Inneren tobte ein Kampf.
Zum einen wollte er nicht länger als nötig in dem Zug verbringen, andererseits war die junge Frau eine wahre Verlockung. Völlig klar, dass eine nähere Bekanntschaft in diesem Moment ein großes Risiko darstellte, aber, wenn er Erfolg hätte, wäre der Preis umso reizvoller. Über die Jahre hatte er gelernt, sich die zuvor gut taxierte Frau nochmals anzuschauen, ohne dass es wie ein Anstarren wirkte. Er war sich sicher, dass es eine Fügung gibt gab und er hoffte mehr als alles andere, diese Gelegenheit nutzen zu können. Der Gedanken machte ihm Gänsehaut.
„Morgen früh werde ich wahrscheinlich zu spät sein“, sprach sie in Gedanken und in ihrer Handtasche wühlend.
„Vielleicht klappt es aber mit einem Frühzug nach Embeden“,sagte er. „Obwohl ...“, und schaute auf seine Uhr, „ auch von hier wären es mindestens zwei Stunden.“
Sie war immer noch nachdenklich und gab ihm unbewusst abwesend recht. Dadurch bemerkte sie nicht, dass er ihr Ziel erraten hatte.
Draußen war es dunkel geworden. Im Scheinwerferlicht beobachtete Philipp einen anderen Schaffner und den Lokführer mit bei den Menschen hinter der Schranke sprechen. Es wurde hin und her diskutiert, am Ende drehten die Autos und Fahrräder ab. Dann tauchten neue Lichter auf, wurden größer und hielten vor dem Zug. Die Busse war angekommen.
Einige Passagiere mussten stehen, denn der Bus, in dem Stefanie und Philipp mitfuhren, war mit Menschen und Gepäck gefüllt. Der Fahrer nahm die meisten Kurven recht schnittig und hielt sich nicht an alle Geschwindigkeitsbegrenzungen. Er sah müde aus und brummte etwas von Überstunden.
Draußen wurde alles Licht von dem die Straße säumenden Wald geschluckt, aber kurz darauf wurden die Gebäude am Straßenrand zahlreicher, warm erleuchtete Fenster strahlten Heimelichkeit und Ruhe aus.
Mit einer recht abrupten Bremsung, die den Inhalt des Busses gut zum Verrutschen brachte, hielt man vor einem großen Fachwerkhaus mitten in einem kleinen Ort. ordentlich zum Rutschen brachte/verrutschen ließ
„Sooo“, rief der Fahrer nach hinten, „Endstation, meine Damunherren.“
Stefanie und Philipp wohnten Tür an Tür und er hatte sofort die Gelegenheit genutzt, sie zum Abendessen einzuladen. Ihr Zögern bereitete ihm körperliche Schmerzen, denn sie wollte für den kommenden Tag zunächst noch telefonisch in Embeden für den kommenden Tag Bescheid geben. Philipp akzeptierte das mit angespanntem Kiefer und zitterndem Herzen. Sie suchten ihre Zimmer auf und er erinnerte sie daran, dass er warten würde.
Seinen Koffer stellte er gleich hinter der Tür ab oder hinter die Tür und atmete die Stille.
Etwas entfernt schlug eine Turmuhr an, während seine Augen das Zimmer überflogen. Die Verpackung der kleinen Schokolade auf dem Kopfkissen wies den Inhalt als Zartbitter aus, er legte sie beiseite.
Philipp prüfte sein Aussehen im Spiegel des Badezimmers. Ein schwacher Bartschatten war zu sehen.
In diesem Moment klopfte es an die Tür. Davor stand Stefanie und fast verlegen nahm verlegen die Einladung dankend an. Selten in seinem Leben hatte er innerlich so aufgeatmet. Er war sich sicher, bereits auf der Zielgeraden zu laufen sein.
Das unten liegende Restaurant hatte noch geöffnet, man witterte ein gutes Geschäft durch diesen Zwischenfall. Beiden wurde ein kleiner Tisch an einem der dunklen Fenster angewiesen.
„Wo waren wir mit unserer Unterhaltung stehen geblieben?“
Sie suchte in ihrem Gedächtnis, während er seine Frage selbst beantwortete: „Bei den Abgründen und den Dämonen“. Dabei zwinkerte er ihr verschwörerisch zu.
„Ich glaube nicht, aber wenn es Ihr Wunsch ist. Ich muss zugeben, dass Sie bei diesem Thema sicherlich über die größere Lebenserfahrung bei diesem Thema verfügen.“
Zunächst kamen die Getränke. „Ich würde aber zuerst gern dieses förmliche Sie zwischen uns fallen lassen ...“, setzte er an.
Da sie nicht sofort darauf einging, verengten sich ihre Augen, als versuchte sie, die Konsequenzen abzuschätzen. Sie ging nicht sofort darauf ein, sondern verengte ihre Augen,…
Zu seiner Erleichterung hob sie ihr Glas.
„Unter Umständen könnte ich mir vorstellen, dass es Menschen gibt, die so sehr hassen, dass sie sich selbst nicht mehr kontrollieren können“, sagte sie nach einem kräftigen Schluck.
„Ja, das ist vorstellbar“, stimmte er sofort zu.
„Solche Menschen fühlen sich in diesem Moment vielleicht provoziert oder nicht ernst genommen oder in eine Ecke gedrängt und dann reagieren sie so.“ Für einen Atemzug schaute er sich überlegend um. „Wir haben hier einen Raum voller Menschen“, und mit verschwörerischem Blick wies er einen leichten Halbkreis.
„Könnte eine dieser Personen hier ein Mörder sein? Oder ein Kinderschänder? Jemand, der seine Frau oder seinen Mann verprügelt?“
Sie folgte der Handbewegung und musterte verstohlen die anderen Gäste.
„Also, das ältere Paar dahinten, isst schweigend. Sie haben sich nach so vielen Jahren nicht mehr viel zu sagen“, sagte sie leise und rückte näher an Philipp heran, der das wohlige Gefühl hatte, ihre Körperwärme zu spüren.
„Zu der Mutter mit dem kleinen Mädchen fällt mir nichts ein. Wahrscheinlich ist sie alleinerziehend und hat einen Bürojob.“
Stefanie ließ den Blick weiter schweifen.
„Der Typ dahinten mit der Glatze beobachtet den Raum und schaut immer wieder nach links hinüber. Da stehen die beiden Buchsbäume, ich weiß nicht, was er sieht.“ Sie drehte den Kopf in die andere Richtung zu den Tischen, an denen verschiedene Paare saßen.
„Und die beiden Herren in den Anzügen da, sind ein Paar. So vertraut. Im Gegensatz dazu am Nebentisch, wo die blonde Frau so komisch schaut. Bei denen ist wohl der Wurm drin.“
Genau an diesem Tisch erschien der Kellner mit dem Essen. Der Gast schaute skeptisch auf den Teller und verglich ihn mit dem seiner Partnerin. Dann hob er leicht den rechten Zeigefinger und wies hier und dorthin und verwickelte die Bedienung in ein Gespräch. Der Kellner antwortete mit gesenkter Stimme, in der Hoffnung, der Gast würde es ihm gleich tun.
Vergeblich. Bis die Frau ihre Hand beruhigend auf den Arm des Mannes legte, einen Kompromiss fand, indem sie die Fleischportionen tauschte und man schließlich zu essen begann. An den Bewegungen des Mannes war aber zu erkennen, dass ihm das nicht wirklich gefiel.
„Siehst Du“, sagte Stefanie, „ Eine Kleinigkeit stimmt nicht und jemand gerät unter Stress.“
„Für den einen ist Well Done eben wichtig, wenn weil er kein Blut sehen kann.“
Sie lächelte: „Folglich ist der erstmal schon mal kein Mörder.“
„Naja, nicht jeder Mord ist blutig ...“
Sie stellte hier und da noch weitere Vermutungen an, bis ihnen das Essen serviert wurde. Ihr Risotto und sein Hähnchenbrustfilet waren recht schmackhaft zubereitet. Nach ein paar Bissen fragte sie dann: „Und was siehst Du so, wenn Du Dich hier umschaust?“
Philipp hielt inne und seine Augen suchten den Raum ab. „An dem Tisch, wo es gerade Probleme gab, sehe ich eine todkranke Frau.Komma Womöglich Krebs,Punkt beide unternehmen vielleicht zum letzten Mal etwas gemeinsam. Der Mann mit Glatze beobachtet die Bar, denn dahinter arbeitet sein Ex oder jemand, der mal sein Ex werden könnte.“
Stefanie schaute ungläubig, während er mit Genuss ein Stück Fleisch abschnitt und es in den Mund schob. Dann trank er einen Schluck Wasser.
„Bei dem Paar, dass sich nichts zu sagen hat, ist die Frau traurig. Sie weiß, ihr Mann steht auf kleine Mädchen, Punkt er schaut immer zu dem Tisch mit der Mutter hinüber. Die Mutter wiederum wird von ihrem Ex hängengelassen, also unterhaltsmäßig, denn vor der Bestellung hat sie den Endpreis durchgerechnet.“ Er schob sein Essen auf dem Teller hin und her.
„Und die beiden Anzüge sind kein Paar, sondern Vater und Sohn. Schon die gleiche Nase und Kinnpartie hätte Dir auffallen können.“
Damit war das Thema für ihn abgeschlossen und er aß stumm zu Ende. Sprachlos wandt Stefanie ihrem Kopf hin und her und verglich seine Aussagen,kein Komma mit dem, was sie sah. „Wie kannst Du Dir so sicher sein?“, fragte sie, gleichzeitig erstaunt und verwirrt. Selbstsicher legte er sein Besteck beiseite, tupfte sich den Mund ab und lehnte sich satt gesättigt zurück.
„Du darfst mich gern vom Gegenteil überzeugen.“ Seine Hand beschrieb einen kleinen Halbkreis.
„Ach komm, das hast Du Dir doch alles bloß ausgedacht!“
„Beweise es!“ Zufrieden und mit überlegenem Blick schob er beide Hände in die Taschen. Sie machte ein paar klägliche Versuche und gab dann lachend auf, denn Philipp hatte immer ein Gegenargument parat. Beide hatten ihre Teller zur Mitte des Tisches geschoben und rückten noch etwas näher aneinander.
„Wie hast Du Dir den weiteren Verlauf des Abends vorgestellt?“, fragte er recht direkt. Für einen Moment hielt sie inne und schaute auf die Uhr. Ihm fiel auf, dass sie das fast regelmäßig getan hatte. sie das häufig tat
„Erwartest Du jemanden?“
„Nein, nein“, beeilte sie sich, zu versichern.
„Nun, dann würde ich vorschlagen, wir nehmen einen Absacker auf meinem Zimmer.“
Wieder schaute sie nach der Zeit und sagte schnell: „ Oder auf meinem.“ Philipp war für einen Moment baff, aber ein hoffnungsvolles Strahlen überzog sein Gesicht. „Worauf warten wir?“
Sie hatte überließ ihm ihren Zimmerschlüssel überlassen und wollte noch dem Zimmerservice Bescheid geben.
Oben angekommen, hatte öffnete er das Fenster geöffnet und schloss die Gardinen geschlossen. Bis auf eine kleine Lampe löschte er mit leicht zitternder Hand alle Lichter und zog sein Jackett aus.Mit leicht zitternder Hand löschte er bis auf eine kleine Lampe alle Lichter
Seine Gedanken überschlugen sich, er fühlte sich wie ein Teenager vor dem ersten Mal. Anstatt Blut, pumpte pures Adrenalin durch den seinen Körper, auch das tiefe Ein - und Ausatmen vor dem Fenster brachte nur wenig Entspannung.
Kurz darauf klopfte es und Stefanie hatte den Zimmerkellner im Schlepp. Die Flasche Sekt war auf dem kleinen Servierwagen schon geöffnet, zwei Gläser standen griffbereit. Sekt find ich ja abgedroschen, lieber einen schönen Single Malt, außerdem - wie hat sie das Zeug da rein, wenn der Bedienstete die ganze Zeit dabei war? Mit einem Trinkgeld wurde der Bedienstete wieder verabschiedet. Philipp goss ein.
Sie prosteten sich auf eine unerwartete Begegnung sowie einen hoffentlich angenehmen Abend zu. Er trank recht schnell, während Stefanie nur kurz nippte. Als das Glas leer war, bemerkte er mit einem Mal, dass sein Gehirn mit einem Mal vom Alkohol übernommen wurde. Oder etwas anderem. Plötzlich fühlten sich alle Gliedmaßen so schwer an, er musste sich hinsetzen. Die Augen aufgerissen, massierte er seine Schläfen.
„Der Tag war anstrengender, als ich dachte“, sagte er mit merklich schwerer Zunge. Dann wurde ihm schwarz vor Augen.

Das eErste, was er wahrnahm, war das Zwitschern von Vögeln.
Philipps Lider waren so schwer und er hätte so gern die Augen geöffnet. Schon allein, um zu sehen, wer ihm mit einiger Kraft sein Knie in die Seite presste.
Er wollte sich umdrehen und stöhnte auf vor Schmerz auf. Da lag niemand hinter ihm und, gleichzeitig fühlte sein Körper sich wie überfahren an.
Mühsam tastete er sich ab. Sein unterer Rücken war bandagiert.
Wie konnte das sein? Was war gestern Abend passiert? Kraftlos rollte sein Kopf hin und her. Das Morgenlicht drang durch die Gardinen, die sich leicht in der Brise bewegten. Vor dem Fenster war einiges an Bewegung zu hören. Stimmengewirr und das Schlagen von Autotüren zu hören. Ab und zu sprang ein Motor an, entfernte sich.
Unendlich langsam kamen Philipp die Erinnerungen wieder zurück. Da war diese Frau, Stefanie. Die Zugfahrt, das Essen, Ihr Zimmer, ein Blackout. Er rief ihren Namen, aber mehr als ein halblautes und Komma trockenes ausgetrocknetes Gebrabbel kam nicht aus seinem Mund. Er war allein.
Es kostete Kraft, die Augen offen zu halten und sich zu bewegen. Im Dämmerlicht nahm er ein senkrechtes Gestell neben dem Bett wahr. Als sein Blick sich etwas klärte, erkannte er einen Tropf, dessen durchsichtiger Schlauch unter der Bettdecke verschwand. Matt ertastete seine rechte Hand die Eingangskanüle in der linken Armbeuge.
Wieso bin ich im Krankenhaus?
Wieder schaute er sich um und kam zu dem Schluss, dass das kein Krankenzimmer sein konnte. Schlapp tastete er nach der Lampe, dabei wischte er seine Uhr und die Brieftasche vom Nachtschränkchen. Den Schalter erreichte er mit Mühe. Seine Hand streifte gefaltetes Papier und er wedelte das Blatt mühsam auseinander: Punkt, nach Doppelpunkt darf immer nur ein Satz stehen, habe ich gerade gelernt
„Es tut mir wirklich leid. So bald Sobald ich kann, werde ich eine Ambulanz verständigen. Es war alles nur ein Zufall. Stefanie“
Wieder wurden vor dem Fenster Fahrzeugtüren aufgerissen.
Was sind das nur für Schmerzen? Jemand hatte zwei Kissen unter seine linke Seite geschoben, so dass die Hüfte erhoben war.
Wieder tastete er nach der Bandage, als es an die Tür klopfte. Er gurgelte etwas, diesmal ein „Herein!“, aber das verstand man draußen nicht und es wurde nochmals erneut geklopft.
Philipp gab auf, da drehte sich der Schlüssel im Schloss.
Mit dem Kopf über die seine Schulter sah er, wie zwei junge Männer in Weiß einem Zimmermädchen folgten. Über seine Schulter sah er, wie ein Zimmermädchen gefolgt von zwei jungen Männern in weiß das Zimmer betraten.
„Schön, dass Sie da sind“, murmelte er. „Es geht mir gar nicht gut ....“ Dann war wieder alles schwarz.

 Als er erwachte, war es heller hinter seinen Augenlidern und dieses Mal war er sich sicher, in einem Krankenzimmer aufgewacht zu sein.
Weiße Wände, ein hellblauer Sockel umlief den Raum. Durch das Fenster sah er den grauen Himmel, durch den der Wind schnell die Wolken trieb. Ab und zu hörte er Regentropfen das Glas treffen.
Der Tropf neben seinem Bett war ihm vertraut, die Schmerzen nicht mehr ganz so heftig.
Noch immer war ihm die Ursache seiner Beschwerden nicht erklärlich klar und jetzt trug er eine dickere und gleichmäßigere Bandage um die Körpermitte. Vorsichtig angelte er nach dem mit Wasser gefüllten Plastikbecher auf dem Beistelltisch, denn er hatte brennenden Durst. Wie glühendes Metall rann die Flüssigkeit seine staubtrockene Kehle hinunter, aber er setzte nicht ab, bevor das Gefäß leer war.
Ein Hustenreiz stieg auf, er glaubte, der Schmerz würde ihn zerreißen.
Mit verzerrtem Gesicht sank er zurück und starrte an die Decke. Versuchte sich zu erinnern, die Bruchstücke zusammenzusetzen.
Die Zugfahrt und Stefanie. Weiter kam er vorerst nicht, denn da öffnete sich die Tür und eine junge Krankenschwester steckte ihren Kopf herein. „Oh, Sie sind schon wach“, sagte sie leise und trat neben sein Bett.
„Wo bin ich?“ Das Wasser hatte geholfen, er konnte sich verständlich machen.
„Es ist alles in Ordnung, Herr Frey.“
Sie fühlte seinen Puls und kontrollierte die Pupillen. Beim Messen des Blutdrucks fragte er sie erneut und sie setzte sich zu ihm auf die Bettkante.
„Herr Frey, Sie sind im Krankenhaus in Embeden. Zum Glück wurden wir beizeiten verständigt und so geht es Ihnen den Umständen entsprechend gut.“
Besänftigend hatte sie den Kopf schiefgelegt. Er presste ihre Hand und sagte mit gleichem Druck Nachdruck: „Was. ist. mit. mir. passiert?“
Ihr Blick wurde etwas sorgenvoller und sie schien nach Worten zu suchen.
„Herr Frey, Ihnen wurde gestern Nacht eine Niere entfernt. Und das recht professionell.“
Philipp war sprachlos. Sein Kopf fiel auf das Kissen zurück und sein Blick blieb zunächst stumm auf die Zimmerdecke gerichtet. ..richtete sich zunächst stumm auf die Zimmerdecke.
„Aber wie geht sowas?“
Die Schwester sah das tiefe Unverständnis die Fassungslosigkeit in seinem Gesicht.
„Operationen aller Arten werden schon seit Menschengedenken gemacht. Je sauberer das Umfeld, desto kleiner die Möglichkeit einer Infektion oder Blutvergiftung. Und ein Hotelzimmer ist immer noch steriler als eine Waldlichtung“, versuchte sie einen Scherz. Ein verächtliches Schnauben war die Antwort. Dafür hatte er nur ein verächtliches Schnauben übrig.
„Der oder diejenige, die das mit Ihnen gemacht haben, sind geübt haben sauber gearbeitet. Wahrscheinlich waren hier Profis am Werk.“
Aber warum er? War es tatsächlich nur ein Zufall gewesen, wie Stefanie geschrieben hatte? Hatte sie das allein gemacht oder hatte sie Helfer? „In ein paar Tagen sind Sie wieder auf den Beinen. Vorher wird bei Ihnen noch die Polizei vorbei schauen und Fragen stellen.“
„Was soll das helfen? Meine Niere werde ich wohl nicht wiedersehen, oder?“ Sarkasmus schwang in seiner Stimme mit.
„Das leider nicht, aber außer Ihren Ausweispapieren und Ihrer Brieftasche gibt es nichts, was den Ermittlungsbehörden vorerst helfen würde. weiterhilft Ihr Hotelzimmer ist bei der ersten Durchsuchung leer vorgefunden worden, soweit ich weiß.“
„Soweit Sie wissen?“, fragte er fast spitz und wollte sich aufrichten, griff nach ihrer Hand.
Plötzlich durchzuckte es ihn wie ein schwerer Blitzschlag. Es durchzuckte ihn wie ein Blitz - plötzlich und Blitz ist doppelt
„Im Moment haben Sie nur die Dinge, die Sie bei Ihrer Einlieferung auf dem Leib trugen.“ passt nicht, streichen
Der Koffer! Er war verschwunden!
„Nichts?“
„Nein.
Entweder Sie hatten nichts dabei oder jemand hat es ihr Gepäck wurde gestohlen.“ Damit entzog sie ihm ihre Hand.
Warum, verdammt nochmal, sollte man den Koffer stehlen?
Die Gedanken rasten, der Puls hielt eilig Schritt. Ohne den Kofferinhalt war seine Sammlung unvollständig. Andererseits konnte er den Diebstahl nicht anzeigen, denn würde der Koffer gefunden, wäre das sein Todesurteil. zu viel Niemand könnte verstehen, warum er sammelte, was er sammelte.
Erst als es dunkel wurde, bemerkte er, dass er wieder allein im Zimmer lag. Wie lange, war ihm nicht bewusst, denn sein ganzes Denken kreiste hypnotisch nur um einen Punkt: Der Koffer!
Als am nächsten Morgen die Schwester am nächsten Morgen gut gelaunt das Krankenzimmer öffnete betrat, erschrak sie.
Philipp Frey war über Nacht verschwunden.

Thomas Ahrberg steuerte den silberfarbenen Mercedes entspannt über die Autobahn. Er hatte allen Grund dazu, denn unter mit Hilfe seiner Komplizin Stefanie hatten sie es tatsächlich geschafft, just in time eine brauchbare Niere zu beschaffen.
Im Hotel angekommen hatte sie ihn wegen eines möglichen Kandidaten benachrichtigt, worauf er sich mit dem nötigen Equipment sich schnellstens auf den schnellsten Weg gemacht hatte. Danach war alles reibungslos verlaufen. Der unfreiwillige Spender war betäubt und bereits entkleidet, als Thomas kurz nach Mitternacht eintraf.
Mit einem flüchtigen Kuss auf die Wange begrüßten sie sich, der Nachklang einer leidenschaftlichen, aber längst vergangenen Beziehung. Da dies nicht ihr erster gemeinsamer Einsatz war, ging die Operation relativ zügig voran und bald darauf öffnete Stefanie ihren Koffer und holte eine Plastiktransportbox heraus.
Aus Thomas‘ Gepäck nahm sie die Eisbeutel und verstaute das Organ in einem sterilen Beutel dazwischen. Obwohl es ein Rollkoffer war, empfand sie die Last als zu schwer. Schnell huschte sie in Philipps Zimmer, während Thomas damit beschäftigt war, diesen wieder zuzunähen. Philipps Koffer war wesentlich leichter, weil nur halbgefüllt mit zwei gut verschlossenen Supermarkt-Einkaufstüten. So sortierte sie ihre Sachen bei ihm ein und die Transportbox blieb in ihrem. Die Gewichtsverteilung machte sie zufrieden. war so deutlich besser
Nach einem eiligen Check out, was der einen verwunderten Rezeptionisten zurückließ, fuhr Thomas sie beide zügig in Richtung Westen, wo bereits ihr Auftraggeber auf die Ware wartete.
Die Übergabe im knapp zweihundert Kilometer entfernten Wiesenthal verlief schnell und reibungslos. Sogar die Zahlung war in der Kürze der Zeit vorbereitet gewesen. Der schmale Aktenkoffer wechselte in einem Parkhaus die Besitzer. Wie schon einige Male zuvor, teilten sich Stefanie und Thomas ihre Anteile später.
Jetzt saßen beide in seinem Auto und er lenkte den Wagen sicher durch die noch ruhige Innenstadt und hielt vor dem besten Hotel der Stadt. „Darf ich Dich zum schmackhaftesten Frühstück im Umkreis einladen?“, fragte er, als schon ein Hoteldiener heranstürzte und die Wagentür mit einem „Guten Morgen“ aufriss.
Danach gingen beide auf ihr Zimmer. Stefanie war klar, dass Thomas ihr nie gehören würde, sie aber auf gelegentlichenm Sex mit ihm nicht verzichten wollte.
„Wieso hast Du eigentlich zwei Koffer dabei?“, fragte er sie müde, nachdem sie das Geld geteilt hatten.
Sie kam aus der Dusche, während er im Bett auf sie wartete.
Ihre Erklärung verärgerte ihn:
„Sind wir Gepäckdiebe oder was? Jetzt hat der Typ nicht nur eine Niere weniger und gar sondern auch keine Unterhose mehr. Was soll das?“
Stefanie gab zu, nicht überlegt zu haben. „So viele Klamotten sind eh nicht darin. Philipp war auf dem Heimweg von irgendwo oder zu einem Termin unterwegs“, versuchte sie, Thomas zu besänftigen.
„Und was ist das für ein komischer dunkler Fleck da an Deinem Koffer?“
„Keine Ahnung. Irgendwo bleibt immer mal was an dem Stoffzeugs was hängen“, tat sie seine Beobachtung ab.
„Das ist nicht von außen. Da ist was ausgelaufen“, sagte er und zeigte deutlich auf die untere Ecke des Koffers.
„Sieht aus wie Australien ...“
„Also von meinen Klamotten ist da nichtnichts ausgelaufen, aber bitte, ich schaue nach.“
Sie legte den Koffer auf den Boden, öffnete den Verschluss und schlug ihn auf. „Hier, siehst Du? Das sind meine Sache. Das kommt von einem der Beutel, die hier schon drin waren.“
Sie griff nach einer von Philipps Plastiktüten.
Tatsächlich, in dieser war ein winziger Riss. Entstanden, als Stefanie die Tüte beim Zumachen in den Reißverschluss eingeklemmt hatte. beim Schließen des Koffers hatte Stefanie die Tüte in den Reißverschluss eingeklemmt, sodass ein winziger Riss entstanden war.
„Und was transportiert der Typ so? Sieht aus wie eine Melone. War wohl vorher auf dem Wochenmarkt gewesen ...“
„Quatsch“, sagte Stefanie und öffnete den Klipp, der den Beutel verschloss. Sie schaute hinein, schrie auf und ließ die Tüte fallen. Rückwärts sprang war sie an die Wand gesprungen.
„Quatsch“, sagte Stefanie, öffnete den Klipp, der den Beutel verschloss und schaute hinein. Sie schrie auf, ließ die Tüte fallen und sprang rückwärts an die Wand.
„WasistdasfüreinScheiß?“, stieß sie hervor. Toll!!
Erschrocken schnellte war Thomas hochgeschnellt.
„Was hast Du?“, fragte er fast verständnislos. Mit fahriger Hand deutete sie nur auf den Koffer. Unsicher, was ihn erwarten würde, beugte Thomas sich über die Tüte, schaute hinein und dann auf sie wurde blass.
Vorsichtig zog er den zweiten, kleineren Beutel heraus, öffnete ihn und wurde blass schaute sie an.
Tonlos sagte er dann - wann sonst?: „ Du hast Deinem Philipp einen Kopf und zwei Hände geklaut ...“ Es macht keinen Sinn, dass er erst bei den Händen blass wird und nicht schon beim Kopf.

Ich hoffe, es war was für dich dabei.
Liebe Grüße


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Lila X
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Calvin Hobbs
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Wohnort: Deutschland


Beitrag06.02.2022 18:28

von Calvin Hobbs
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Vielen Dank an Hans und Lila smile
Ihr habe mir einiges gezeigt, an dem ich noch feilen werden Daumen hoch²


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