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Sobczak


 
 
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nicolailevin
Geschlecht:männlichEselsohr


Beiträge: 259
Wohnort: Süddeutschland


Beitrag03.02.2019 18:33
Sobczak
von nicolailevin
eBook pdf-Datei Antworten mit Zitat

Nachdem sich die Reaktionen beim ersten Versucht ja in sehr engen Grenzen gehalten haben, hier mein zweiter Wurf für euch ... Was sagt ihr?

***

Sobczak hasst Krankenhäuser. Gut, jeder hasst Krankenhäuser. Aber Sobczak hasst sie mehr als andere, und er hat guten Grund dazu. Dieses Krankenhaus hasst er ganz besonders.

Er sitzt auf einem minzgrünen Schalensitz und starrt die Kunstdrucke an der Wand an. Eine gleichmäßige Reihe von Rahmen, ein Bild neben dem anderen. Darunter in Hüfthöhe eine waagerechte Holzleiste, damit die Pfleger nicht versehentlich mit ihren Betten den Putz zerkratzen.

„Sie müssen schon noch ein wenig Geduld haben, Herr Sobczak“, sagt eine Stationsschwester zu ihm, in der Stimme professionelle Freundlichkeit und Gleichmaß; es braucht viel, um so eine Stimme aus der Ruhe zu bringen.

Aber Sobczak möchte sie gar nicht reizen. Er ist nicht aggressiv, er will nur nicht in diesem Krankenhaus sein. Er atmet die Luft, diese perfekt temperierte Luft, nie zu kalt, nie zu warm. Sein Blick wandert vom Wartebereich der Station über den fensterlosen Flur, der blaue Linoleumboden ist in helles, fast weißes Licht getaucht, ein Licht, das weder Tages- noch Jahreszeiten kennt. Er hat zu viel Zeit in diesem Licht verbracht, zu viel von dieser Luft geatmet.

Das letzte Mal, als sie ihm die Gallenblase rausgenommen haben. Es hat beschissen weh getan, und ihm war unendlich langweilig und niemand ist gekommen, ihn zu besuchen.

Und dann natürlich zuvor die unendlichen Male mit Gerlinde. Sie fehlt ihm. Jeden Tag, wenn er aufwacht, sieht er ihr leeres Bett neben sich. Er bezieht das leere Bett jede zweite Woche mit, mehr aus Trotz denn aus Gewohnheit. Er mag das Kissen und die Decke nicht wegräumen, dann sähe das Bett noch leerer aus, und er will es nicht unbezogen lassen.

Er hat Gerlinde in dieses Krankenhaus gefahren. Erst kam sie vom Hausarzt heim mit einer Überweisung zum Internisten. Nichts Ernstes, hatte der Arzt gesagt, er wolle nur sichergehen. So ging das dann weiter, von Arzt zu Arzt. Immer versicherten sie ihr, dass es wahrscheinlich nichts Schlimmes sei, dass sie einfach nur ausschließen wollten und so weiter.

‚Unklare Raumforderung‘. Heute weiß Sobczak, dass das der Ärztecode für Krebs ist. Die verwenden diese Ausdrücke, die sonst keiner versteht, genau wie die Personaler in den Arbeitszeugnissen oder die Jäger. Dann schicken sie die Patienten von einem zum andern. Bei Gerlinde war es der dritte oder vierte, der ihr endlich reinen Wein eingeschenkt hat. Da wussten sie es aber schon, sie misstrauten den Ärzten, und das Misstrauen wuchs mit jeder Überweisung mehr.

Manchmal nimmt er noch zwei Teller aus dem Schrank, wenn er den Tisch zuhause deckt. Es schmeckt nicht, alleine zu essen, auch wenn er gelernt hat zu kochen.

Wenigstens war Lisa schon beim Studieren, als es mit den Behandlungen losging. Marburg war weit genug weg, dass sie nicht alles so unmittelbar mitbekam. Sie verheimlichten ihr die Krankheit nicht, auch nicht dass die Chancen von Anfang an nicht gut standen, aber sie ersparten ihr doch die hässlichen Details: die Kotzerei, das Elend, die Schmerzen. Wenn Lisa nach Hause kam, musste sie ohnehin sehen, wie es um Gerlinde stand. Wie sie jedesmal weniger wurde, als würde die Krankheit sie ganz allmählich in Luft auflösen. Aber deshalb sollte Lisa ihr Leben weiterleben, ihr Studium fertig machen, sich nicht runterziehen lassen von dem Leid zu Hause.

Die Warterei zieht sich. Es passiert nichts. Dann und wann huscht ein Arzt vorbei in den Glaskasten des Stationszentrums. Sobczak überlegt, ob er sich einen Kaffee holen soll. Das Automatengebräu ist teuer und schmeckt nicht, aber allein das Hingehen und Ziehen und dann das Trinken frisst ein paar Minuten auf, die sich sonst zäh vor ihm hin ziehen.

Zweimal pro Woche hat er Gerlinde hierher gefahren und hat dann gewartet bis sie fertig war mit ihrer Chemo. Es tat ihm weh, wenn er sehen musste, wie dreckig es ihr ging. Sie hielt sich immer tapfer, aber er merkte es natürlich trotzdem. In einer Ehe muss man auch zeigen dürfen, wenn es einem nicht gut geht.

Sobczak glaubt nicht an Gott. Aber damals, als Gerlinde so fertig war, da bot er ihm einen Deal an. Ohne zu klagen hätte er die Hälfte von Gerlindes Last übernommen, halbe-halbe, das war doch nur fair, oder? Aber natürlich ließ sich niemand auf den Deal ein, Gott nicht, das Schicksal nicht und die Natur erst recht nicht. Der Scheißkrebs tobte sich in Gerlinde aus, und sie musste den Kampf dagegen ganz allein ausfechten. Alles, was er tun konnte, war sie zum Krankenhaus zu fahren und zu warten und ihr dann zu Hause eine Hühnersuppe zu kochen, die sie doch wieder rauskotzte.

Trauern sei Arbeit, sagte ihm jemand in der ersten Zeit, nachdem sie weg war. Er sieht das anders. Er trauert nicht. Trauern. So ein Scheißverb, als sei das ein Hobby oder eine Aktivität! Sie fehlt ihm einfach, er vermisst sie jeden Tag: Wenn er aufsteht, wenn er sich zum Essen hinsetzt, wenn er abends den Fernseher anmacht und wenn er sich schlafen legt. Es wäre ihm lieber gewesen, er wäre vor ihr gestorben, aber er weiß selbst, dass das ungerecht ist ihr gegenüber.

Lisa ist wieder in der Stadt, sie hat ihr Studium beendet und hier Arbeit gefunden. Manchmal treffen sie sich, er freut sich, wenn er sie sieht. Lisa hat noch ihr Leben vor sich, Beruf und Familie, aber für Sobczak lohnt es sich eigentlich nicht mehr, in die Zukunft zu planen, findet er.

Was wartet denn noch auf ihn? Nicht dass er sich was antun würde, nicht dass er verzweifelt; wenn er so nachdenkt, fällt ihm einfach nur nicht viel ein, was seinem Leben Sinn gibt. Aber das ist nicht schlimm, er kann auch ohne Sinn leben.

„Herr Sobczak?“, die Stationsschwester ist wieder da.

Er schaut auf zu ihr. Sie strahlt; es ist mehr als dieses geduldige Krankenschwesterlächeln.

„Es ist da“, sagt die Schwester, „alles gut gegangen. Ein Mädchen.“

Offenbar reagiert Sobczak nicht so, wie sie das erwartet hat.

„Herr Sobczak. Sie sind Großvater geworden! Ihrer Tochter geht’s gut, und sie hat gerade ein prachtvolles Baby auf die Welt gebracht.“

Sobczak steht auf. Er schaut die Krankenschwester an und spürt, dass ihm Tränen in den Augen stehen. Dabei ist ihm eigentlich gar nicht zum Heulen zumute. Er fragt, ob er jetzt zu Lisa darf, und dackelt hinter der Krankenschwester los.

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Herdis
Geschlecht:weiblichLeseratte


Beiträge: 134
Wohnort: Nordhessen


Beitrag03.02.2019 19:08

von Herdis
Antworten mit Zitat

Hallo Nicolailevin,

ich habe Deinen ersten Text leider (noch) nicht gelesen, aber diesen hier finde ich sehr bewegend verfasst. Dein Schreibstil ist schlicht und geradlinig, mit einem leicht schwarzen Unterton, der mir gut gefallen hat. Ein wenig Arbeit an Kommata (z.B. nicht vor und) bleibt und den ein oder anderen Satz könntest Du noch etwas überdenken, wie diesen:

"Es hat beschissen weh getan, und ihm war unendlich langweilig und niemand ist gekommen, ihn zu besuchen."
 
Hier würde ich, neben dem Streichen des Kommas, ggf. zwei Sätze draus machen.

Ich persönliche finde, Du hast hier ein traurig-schönes Stück abgeliefert.

LG,
Herdis


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"Wenn ich nicht schreibe, fühle ich, wie meine Welt schrumpft. Ich empfinde, wie ich mein Feuer und meine Farben verliere." Anais Nin

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Mara
Geschlecht:weiblichLeseratte


Beiträge: 140
Wohnort: Linz/Donau


Beitrag03.02.2019 22:08

von Mara
Antworten mit Zitat

Hallo Nicolailevin,
zunächst herzlich willkommen hier. Smile Dein Einstandstext gefällt mir. Die Frage, die man sich am Anfang unwillkürlich stellt ("Warum ist Sobczak im Krankenhaus?") wird am Schluss beantwortet - solche "Klammern" in einer Geschichte finde ich wirklich gut.

Ein paar Sachen sind mir natürlich aufgefallen Wink

Du hast die Tendenz, mir als Leserin die gleiche Sache in zwei oder drei aufeinanderfolgenden Sätzen immer wieder zu sagen. Das ist gar nicht nötig. Zudem gibt es in deinem Text etliche Füllwörter, die du leicht weglassen kannst, ohne das der Text etwas verliert. Eines deiner Lieblingsworte ist "dann", nicht wahr? Auch das kann man problemlos weglassen. Very Happy Ach ja - und Wortwiederholung - durchforste den Text mal darauf!

Ich versuch mal direkt am Text zu zeigen, was ich meine:

Zitat:
Sobczak hasst Krankenhäuser. Gut, jeder hasst Krankenhäuser. Aber Sobczak hasst sie mehr als andere, und er hat guten Grund dazu. Dieses Krankenhaus hasst er ganz besonders. In diesen drei Sätzen verwendest du drei Mal das Wort "hasst". Diese Verstärkung kann man natürlich als stilistisches Hilfsmittel bewusst einsetzen. Aber etwas weniger würde es meiner Meinung nach auch tun. Zudem - Verallgemeinerungen sind meist problematisch, da wohl nicht jeder Krankenhäuser hasst. Dort sollen ja auch Leben gerettet werden, habe ich mir sagen lassen. Wink

Er sitzt auf einem minzgrünen Mich hat das "minzgrün" aus dem Text geworfen, da ich daran hängen geblieben bin. Ich würde es weglassen und dafür vielleicht statt "sitzen" ein aussagekräftigeres Verb benutzen, um  Rückschlüsse auf seine innere Verfassung ziehen zu können. Schalensitz und starrt die Kunstdrucke an der Wand an. Eine gleichmäßige Reihe von Rahmen, ein Bild neben dem anderen. Darunter in Hüfthöhe eine waagerechte Holzleiste, damit die Pfleger nicht versehentlich mit ihren Betten den Putz zerkratzen.

„Sie müssen schon Da hätten wir so ein Füllwort. Ich finde es in der direkten Rede normalerweise nicht dramatisch, aber in diesem Fall unpassend. Es wirkt als hätte er sich beschwert oder irgendwie seinen Unmut kundgetan, dass er so lang warten muss. Das erzählst du uns vorher aber nicht, daher würde ich es weg lassen. noch ein wenig Geduld haben, Herr Sobczak“, sagt eine Stationsschwester zu ihm, in der Stimme professionelle Freundlichkeit und Gleichmaß Das finde ich zuviel, eine Beschreibung reicht. ; es braucht viel, um so eine Stimme aus der Ruhe zu bringen. Auch diesen Satzteil braucht es nicht unbedingt. Es ist implizit im vorigen Satzteil enthalten. Abgesehen davon, dass man nicht eine Stimme aus der Ruhe bringt, sondern die Person Wink

Aber Sobczak möchte sie gar nicht reizen. Er ist nicht aggressiv, er will nur nicht in diesem Krankenhaus sein. Er atmet die Luft, diese perfekt temperierte Luft, nie zu kalt, nie zu warm. Hier haben wir so einen Satz, wo du mir 2x das gleiche sagst: perfekt temperiert, und dann erklärst du es mir auch noch: "nie zu kalt, nie zu warm". Was hältst du von "Er atmete die perfekt temperierte Luft."? Außerdem Wortwiederholung - zwei Mal "Luft" Wink Sein Blick wandert vom Wartebereich der Station Da habe ich kein Bild vor Augen, im Gegensatz zur folgenden Aufzählung, die mir die Atmosphäre gut vermittelt. Also entweder etwas Konkretes beschreiben, oder weglassen. über den fensterlosen Flur, der blaue Linoleumboden ist in helles, fast weißes Mit Adjektiven sollte man sparsam umgehen. Eines der beiden reicht völlig. Licht getaucht, ein Licht, das weder Tages- noch Jahreszeiten kennt. Er hat zu viel Zeit in diesem Licht verbracht, zu viel von dieser Luft geatmet. Wie gesagt: Wortwiederholungen als bewusst eingesetztes Stilmittel sind völlig in Ordnung - aber man sollte es nicht übertreiben. Hier könnte man vielleicht optimieren. Smile

Das letzte Mal, als sie ihm die Gallenblase rausgenommen haben. Es hat beschissen weh getan, und ihm war unendlich langweilig gewesen und niemand ist war gekommen, ihn zu besuchen. Eine von den beiden Beschreibungen reicht, den sie impliziert das jeweils andere.

Und dann natürlich zuvor Füllwörter die unendlichen Male mit Gerlinde. Sie fehlt ihm. Jeden Tag, wenn er aufwacht, sieht er ihr leeres Bett neben sich. Er bezieht das leere Bett jede zweite Woche mit, mehr aus Trotz denn aus Gewohnheit. Er mag das Kissen und die Decke nicht wegräumen, dann sähe das Bett noch leerer aus, und er will es nicht unbezogen lassen.

 


Hier breche ich mal ab, ich hoffe, du hast gemerkt was ich meine. Das zieht sich auch durch den restlichen Text.  Ich hoffe, ich habe dich nicht verschreckt. Sieh dir meine Anmerkungen an, und greif heraus, was dir schlüssig erscheint und für dich und deinen Text passt. Den Rest einfach vergessen. Wink

Was ich noch sagen wollte: Dein Text hat mich berührt. Er berührt, ohne auf die Tränendrüse zu drücken. Das ist große Kunst, wenn man das schafft. Very Happy
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Dinshi
Geschlecht:weiblichWortedrechsler


Beiträge: 51
Wohnort: Limes


Beitrag04.02.2019 12:15

von Dinshi
Antworten mit Zitat

Hallo,
ich musste gestern noch lange an Deine Geschichte denken, die mir sehr gut gefallen hat. Dein geradliniger Schreibstil hat mich gleich gefangen genommen. Meine Vorrednerin bemängelte den Gebrauch von Füllwörtern. Stimmt, hier könntest Du einiges wegkürzen. Ich wäre hier aber nicht ganz so streng, da Dein Text ja der inneren Stimme Deines Protagonisten entspricht und ich finde gerade solche Füllworte lassen sie authentischer klingen. Natürlich darf man es nicht übertreiben. Und auch einige der Sätze solltest Du kürzen oder umstellen.
Nun musste ich gestern noch lange an Deinen Text denken, weil mich etwas daran gestört hat und ich bin erst heute darauf gekommen, was es ist. Nämlich das Alter Deines Protagonisten. Es wird ja nirgends erwähnt wie alt er ist, aber er wirkt auf mich, wie ein Rentner. Ich hab das Bild von einem Mann mit gekrümmtem Rücken, vielleicht grauem Haar. Das passt aber leider nicht ganz zur studierenden/schwangeren Tochter. Angenommen Lisa ist jetzt 30 bei der Geburt ihres Kindes und Dein Prota war 30 bei ihrer Geburt, so wäre er jetzt 60 und würde damit noch arbeiten gehen. Er klingt für mich aber wie jemand, der nichts mehr im Leben hat, das ihm Halt gibt. Jemand der aber einer regelmäßigen Arbeit nachgeht, hat normalerweise einen Halt. Bevor das hier zu lang wird: Versteh mich nicht falsch, es kann alles so sein, wie Du es schreibst. Es kam mir aber nicht ganz stimmig vor. Vllt könntest Du ja noch darauf eingehen, dass sie Lisa erst bekommen haben, als sie schon älter waren, oder so. Das würde ja alles gut zum Gesamtthema der Geschichte passen.
Ende meiner Gedanken, mach weiter so und out!
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silke-k-weiler
Geschlecht:weiblichKlammeraffe

Alter: 49
Beiträge: 749

Das goldene Schiff Der goldene Eisbecher mit Sahne


Beitrag05.02.2019 15:49

von silke-k-weiler
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Hallo,

ich schließe mich meinen Vorrednern an, denn ich finde den Text sehr gelungen. Was ich beim Attersee vermisst habe, finde ich hier: einen Protagonisten, der für mich greifbar wird.

Ich wäre mit den Füllwörtern auch nicht so streng, würde manches aber auch kürzen, z.B. den Satz: "Er atmet die Luft, diese perfekt temperierte Luft, nie zu kalt, nie zu warm" auch zu "Er atmet diese perfekt temperierte Luft - nie zu kalt, nie zu warm." Wie Dinshi schreibt, nimmt es viel Authentizität, wenn man allzu rabiat streicht.

Die Passagen, in denen er an seine Frau Gerlinde denkt, sind sehr berührend. Auch die Gesten, mit denen er versucht, ihr Fehlen in seinem Alltag abzumildern. Ohnehin lässt der Schauplatz und das Grundthema sicher keinen kalt, denn jeder hat irgendwelche Erfahrungen mit Krankenhaus, Krankheit usw, entweder durch eigene Erkrankung oder die eines Angehörigen oder Freundes.

Dinshi hat Folgendes geschrieben:

Nun musste ich gestern noch lange an Deinen Text denken, weil mich etwas daran gestört hat und ich bin erst heute darauf gekommen, was es ist. Nämlich das Alter Deines Protagonisten. Es wird ja nirgends erwähnt wie alt er ist, aber er wirkt auf mich, wie ein Rentner.


Das ist mir auch aufgefallen! Die Tochter scheint mir etwas zu jung. Es ist zumindest grenzwertig. Vllt ist es auch nur ein Vorurteil, aber er scheint ja zu einer Generation zu gehören, bei der Familienplanung früher angegangen wurde. Und wenn Lisa das Studium beendet hat, würde ich sie auch auf Ende zwanzig, Anfang dreißig schätzen.

Was mir aber mehr auffällt (und mich würde interessieren, ob die anderen, die diesen Text gelesen haben, das auch so sehen) ist Folgendes:

nicolailevin hat Folgendes geschrieben:
"Lisa ist wieder in der Stadt, sie hat ihr Studium beendet und hier Arbeit gefunden. Manchmal treffen sie sich, er freut sich, wenn er sie sieht. Lisa hat noch ihr Leben vor sich, Beruf und Familie, aber für Sobczak lohnt es sich eigentlich nicht mehr, in die Zukunft zu planen, findet er.

Was wartet denn noch auf ihn? Nicht dass er sich was antun würde, nicht dass er verzweifelt; wenn er so nachdenkt, fällt ihm einfach nur nicht viel ein, was seinem Leben Sinn gibt. Aber das ist nicht schlimm, er kann auch ohne Sinn leben.

Herr Sobczak?“, die Stationsschwester ist wieder da.

Er schaut auf zu ihr. Sie strahlt; es ist mehr als dieses geduldige Krankenschwesterlächeln.

„Es ist da“, sagt die Schwester, „alles gut gegangen. Ein Mädchen.“


Ich finde es schön, den Text mit der Geburt der Enkelin enden zu lassen, aber ich stolpere über den zitierten Teil. Lisa ist wieder in der Stadt und dann kommt sie plötzlich nieder. Die Auflösung gerät mir etwas zu plötzlich, vor allem nach den trüben Gedanken, die er im Absatz davor noch hat. Ein Enkelkind ist eine Menge, was dem Leben eines Großvaters wieder Sinn geben kann. Junge Eltern sind froh über jede Unterstützung. Ich würde die Auflösung früher einleiten. Vllt schiebt er die Gedanken an die Geburt von sich, weil er Angst hat, etwas könne schief gehen. Vllt denkt er, es bringe Unglück, sich Großvaterfreuden auszumalen. Wie hat er die Schwangerschaft miterlebt? Hat er sie überhaupt miterlebt? Hat Lisa sie verschwiegen? Diese Fragen tauchen für mich an dieser Stelle auf.

Viele Grüße
Silke
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Dinshi
Geschlecht:weiblichWortedrechsler


Beiträge: 51
Wohnort: Limes


Beitrag05.02.2019 21:14

von Dinshi
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Silke-k-weiler, ich finde Du hast Recht. Jetzt, wo Du es erwähnst. Bereits die Schwangerschaft - immerhin dauert sie meist 9 Monate - müsste im Prota doch zumindest wenn nicht Vorfreude, aber doch zwangsläufig Gedanken an die Zukunft ausgelöst haben.
Vielleicht denkt er ja, er könne nicht mehr in die Zukunft planen weil er es nicht verdient hat, weil Gerlinde es eben verwehrt blieb, oder so etwas. Aber auf jeden Fall könnte man da nochmal nacharbeiten.
nicolailevin, das ist hier Meckern auf hohem Niveau! Wink
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Carola
Geschlecht:weiblichGänsefüßchen
C

Alter: 54
Beiträge: 20
Wohnort: Hamburg


C
Beitrag07.02.2019 20:18

von Carola
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Hallo,
das Ende hat  mir sehr gut gefallen. Schön, auch für den Protagonisten.
Am Anfang steht was von ... er ist nicht aggressiv...  das finde ich nicht so passend, denn es niemand was von Aggressivität gesagt. Die Schwester meinte nur, das er Geduld haben müsste.
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Kigosh
Geschlecht:männlichSchneckenpost
K

Alter: 36
Beiträge: 14
Wohnort: Schweiz


K
Beitrag08.02.2019 18:28

von Kigosh
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Hi

Mir gefällt es wie Du mit Leben und Tod und Wiedergeburt spielst. Der Protagonist hat etwas wertvolles verloren und dadurch ist ein wesentlicher Teil von ihm mit gestorben. Erst die Wiedergeburt der Enkelin bringt ihm und seinem Leben Wiedergeburt. Oder anders gesagt: die Geburt der Enkelin ist die Geburt von Sobczak. Soweit so gut.

Was mir noch unklar ist: wieso fungiert die Enkelin als neue Lebensenergie und nicht die Tochter? Der Schmerz war sicherlich schlimm für Sobczak aber er hatte einen Teil von Gerlinde in seiner Tochter. Zugegeben, sie wohnt weit weg und sie werden sich höchstens an Feiertagen gesehen haben, aber wieso ist dann die Enkelin eine Wiedergeburt, denn die wird er wohl auch nicht öfter sehen?

Das sind alles nicht unlösbare Probleme, es braucht einfach mehr Ausarbeitung und Kontext. Vielleicht haben sich Sobczak und seine Tochter entfremdet aber während der Schwangerschaft wieder versöhnt und sie zieht wieder zurück in ihre Heimatstadt, wo sie sich wieder öfters sehen werden und Sobczak kann ihr mit dem Kind helfen.


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Ein Winternachtstraum
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YesYesYes
Gänsefüßchen
Y


Beiträge: 15
Wohnort: Frankfurt/M.


Y
Beitrag08.02.2019 21:55

von YesYesYes
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Sprachlich:

Mir gefällt der Einstiegsabsatz, weil er die Figur schnell charakterisiert und, wie sich im Verlauf heraustellt, zugleich verortet. Zudem gefällt mir die Inszenierung einer fast schon ironischen Distanz der Erzähler_in zur Figur. Damit hat der Text zu Anfang gleich eine gewisse Lockerheit. Der nächste Abschnitt bringt mich dann raus. Minzgrün und Schalensitz erscheinen mir überspezifisch, fast schon kontrollierend dem Leser ein Bild vorgebend. "Grüner Schalensitz" oder "grüne Stuhl" kämen mir weniger künstlicher vor. Die Vorstellung der Rahmen, die Holzleiste sind beide nach geomatrischen Kriterien, was ich etwas ermüdend finde, weil damit eine kognitive Vorstellungsleistung verknüpft ist (geht zumindest mir so). Statt von einer "waagrechte[n] Holzleiste" zu sprechen, fände ich "Schutzleiste" oder "Stoßschutzleiste" o.Ä angemessener.

> „Sie müssen schon noch ein wenig Geduld haben, Herr Sobczak“, sagt eine Stationsschwester zu ihm, in der Stimme professionelle Freundlichkeit und Gleichmaß; es braucht viel, um so eine Stimme aus der Ruhe zu bringen.

Die Dopplung der Stimme halte ich wieder für leser_innenkontrollierend. Wäre es nicht ausreichend, hier wieder zur Schwester zurückzukommen? Zudem weiß ich nicht, warum der Nachsatz durch ein Semikolon abgetrennt ist. Er könnte gut auch für sich stehen. Kurze Sätze erleichtern häufig das Lesen. Vorschlag für den Satz nach dem Semikolon: "Es braucht viel, um die Schwester aus der Ruhe zu bringen".


> Aber Sobczak möchte sie gar nicht reizen.

Gibt es einen Widerspruch? Das Aber kommt mir unnötig vor.

 
 > Er atmet die Luft, diese perfekt temperierte Luft, nie zu kalt, nie zu warm.
 
 Das ist vermutlich negativ gemeint, oder? Die "perfekt temperierte Luft"? Mir kommt der Satz künstlich vor. Ich habe mich gefragt, ob (1) Luft temperiert ist (oder ob so etwas wie "Raumklima" besser wäre? Bin selbst unsicher), (2) ob "perfekt temperiert" nicht eine Doppplung ist, weil "temperiert" bereits bedeutet, dass etwas auf eine (gute, gewünschte) Temperatur gebracht wird, (3) ob "perfekt" nicht dem negativen Bild widerspricht und z.B.. kontrolliert, künstlich, hergestellt u.Ä. treffender Ausdrücke wären.
 
 Sein Blick wandert vom Wartebereich der Station über den fensterlosen Flur, der blaue Linoleumboden ist in helles, fast weißes Licht getaucht, ein Licht, das weder Tages- noch Jahreszeiten kennt. Er hat zu viel Zeit in diesem Licht verbracht, zu viel von dieser Luft geatmet.

Der Abschnitt gefällt mir! Kaum ein unnötiges Wort, es wird ein dichtes Bild gezeichnet, ohne kontrollierend zu sein, der Sprachfluss fließt.

> Das letzte Mal, als sie ihm die Gallenblase rausgenommen haben. Es hat beschissen weh getan, und ihm war unendlich langweilig und niemand ist gekommen, ihn zu besuchen.

Ich würde ja schreiben: "um ihn zu besuchen", weil mir das sonst zu technisch-antiquiert klingt. Das mag freilich meine Vorliebe sein.

> Und dann natürlich zuvor die unendlichen Male mit Gerlinde.

"Male" weist für mich auf eine abzählbare Größe hin, "unendliche" nicht. "zig Male" / "unendlich oft" käme mir vertrauter vor.


Sie fehlt ihm. Jeden Tag, wenn er aufwacht, sieht er ihr leeres Bett neben sich. Er bezieht das leere Bett jede zweite Woche mit, mehr aus Trotz denn aus Gewohnheit. Er mag das Kissen und die Decke nicht wegräumen, dann sähe das Bett noch leerer aus, und er will es nicht unbezogen lassen.

> ‚Unklare Raumforderung‘. Heute weiß Sobczak, dass das der Ärztecode für Krebs ist. Die verwenden diese Ausdrücke, die sonst keiner versteht, genau wie die Personaler in den Arbeitszeugnissen oder die Jäger.

Den Artikel würde ich jeweils streichen, wirkt zumindest bei Jägern in der Aufzählung unpassend. Kann ich nicht näher begründen.

> Dann schicken sie die Patienten von einem zum andern. Bei Gerlinde war es der dritte oder vierte, der ihr endlich reinen Wein eingeschenkt hat.

"Reiner Wein" ist so eine Klischeeformulierung! Gibt es da nichts Treffenderes? Ist das Absicht? "Der ihr endlich die Wahrheit gesagt hat" oder "Der ihr gesagt hat, dass sie sterben wird" fände ich z.B. spontan besser.


 Es schmeckt nicht, alleine zu essen, auch wenn er gelernt hat zu kochen.

Schmeckt es, zu essen? Ein Gericht schmeckt, aber nicht der Vorgang.

> Wenigstens war Lisa schon beim Studieren, als es mit den Behandlungen losging.

Grammatisch, soweit ich das beurteilen kann, falsch. "Wenigsten studierte Lisa schon", müsste es heißen.

> Marburg war weit genug weg, dass sie nicht alles so unmittelbar mitbekam.

Das "so" ist umgangssprachlich, was sich mit dem sonstigen trockenen Ton des Textes beißt.


> Die Warterei zieht sich. Es passiert nichts. Dann und wann huscht ein Arzt vorbei in den Glaskasten des Stationszentrums. Sobczak überlegt, ob er sich einen Kaffee holen soll. Das Automatengebräu ist teuer und schmeckt nicht, aber allein das Hingehen und Ziehen und dann das Trinken frisst ein paar Minuten auf, die sich sonst zäh vor ihm hin ziehen.

Das "auf" ist unnötig. "Das Trinken frisst ein paar Minuten" reicht.



> Trauern sei Arbeit, sagte ihm jemand in der ersten Zeit, nachdem sie weg war. Er sieht das anders. Er trauert nicht. Trauern. So ein Scheißverb, als sei das ein Hobby oder eine Aktivität!

Gefällt mir sehr gut! Komme darauf im inhaltichen Teil zurück.



> Lisa ist wieder in der Stadt, sie hat ihr Studium beendet und hier Arbeit gefunden. Manchmal treffen sie sich, er freut sich, wenn er sie sieht. Lisa hat noch ihr Leben vor sich, Beruf und Familie, aber für Sobczak lohnt es sich eigentlich nicht mehr, in die Zukunft zu planen, findet er.

Es müsste heißen: "Lisa hat ihr Leben noch vor sich". Ist das "eigentlich" im Satz "für Sobczak lohnt es sich eigentlich nicht mehr" Absicht? Es ginge m.E. nichts verloren, würde es gestrichen.

> Was wartet denn noch auf ihn? Nicht dass er sich was antun würde, nicht dass er verzweifelt; wenn er so nachdenkt, fällt ihm einfach nur nicht viel ein, was seinem Leben Sinn gibt. Aber das ist nicht schlimm, er kann auch ohne Sinn leben.

Stimmt das? Warum stellt er sich dann die Frage? Hier fände ich ja so einen leichten ironischen Bruch wie im Eingangsabschnitt ganz passend, so etwas wie "Aber das ist nicht schlimm, er kann auch ohne Sinn leben. Das sagt er sich zumindest."




> „Herr Sobczak. Sie sind Großvater geworden! Ihrer Tochter geht’s gut, und sie hat gerade ein prachtvolles Baby auf die Welt gebracht.“

Ich glaube, eine Schwester würde eher davon sprechen, dass er Opa geworden ist als so fremd, immerhin teilen die beiden gerade einen wahnsinnig intimen Moment. Zudem ist "prachtvoll" ein Wort, das mir zu technisch-verkopft erscheint. "Gesund" könnte ich mir vorstellen, "einen Wonneproppen" oder irgendein medizinisches Detail 5-Kilo-Baby, aber prachtvoll? Das ist eher eine Beschreibung für eine barocke Kirche statt für ein Kind.

> Er schaut die Krankenschwester an und spürt, dass ihm Tränen in den Augen stehen.

Spürt man Tränen in den Augen? Oder eher Feuchtigkeit?

> Dabei ist ihm eigentlich gar nicht zum Heulen zumute. Er fragt, ob er jetzt zu Lisa darf, und dackelt hinter der Krankenschwester los.

Man dackelt nicht los, sondern hinterher. Meinst Du, er würde nicht eher fragen, ob er zu seiner Tochter / dem Enkelkind darf?




Inhaltlich:

Gefällt mir überraschend gut. Für mich ist der Gerlinde-Teil allerdings zu lang im Vergleich mit den anderen Teilen. Thema scheint Sobczaks Selbstenfremdung zu sein, vielleicht etwas, das man medizinisch als Depression bezeichnen würde. Der lakonische Ton, in dem hier mal eben so Tod und Leben abgehandelt werden, finde ich angemessen, wenn auch schon oft gehört und daher etwas abgeschliffen oder typisch männlich. Sehr gut finde ich den Übergang vom Gerlinde- zum Enkelkind-Teil, den ich kaum bemerkt habe. Im Gerlinde-Teil könnte m.E. vieles gestrichen werden, weil es sich wiederholt. Dafür sind andere Sachen mir zu andeutungsweise. Zum Beispiel gefällt mir die Trauer-ist-keine-Aktivität-Aussage ziemlich. Aber nichts folgt darauf. Ich glaube, der Text könnte stärker sein, wenn er weiter gestrafft würde.

Mir hat inhaltlich insbesondere die konkrete Schilderung des ehemals geteilten Alltags erreicht. Da ist der Text wirklich stark. Der Rest bleibt im Vergleich dazu leider blass, möglicherweise liegt das an den in o.g. Weise hölzernen Dialogen.

Zu den anderen Reaktionen hier:

Maras Einschätzung zu den Wortwiederholungen teile ich nicht. Das ist mir nur an einer o.g. Stelle negativ aufgefallen, gerade der inkriminierte Eingangssatz gefällt mir sehr gut, gerade durch die Wiederholung! Es besteht kein Zwang, alles immer wieder in neue Worte zu kleiden, sonst wirkt das auch sehr schnell künstlich.

Auch Dinshis Einschätzung zu einer Figur, die doch Arbeit haben muss und deswegen im Leben stehen sollte, teile ich nicht. Der Verlust der Ehefrau, die er vielleicht geliebt hat, mit der aber auf jeden Fall einen Alltag geteilt hat, wird doch deutlich dargestellt. Mich hat eher  sprachlich gestört, dass der Protagonist durch manche umgangssprachliche Formulierung jünger gewirkt hat als Irgendetwas-um-die-60.

Silke meint, das Opa-Werden könnte ihm doch Sinn geben:

> Ein Enkelkind ist eine Menge, was dem Leben eines Großvaters wieder Sinn geben kann. Junge Eltern sind froh über jede Unterstützung. Ich würde die Auflösung früher einleiten. Vllt schiebt er die Gedanken an die Geburt von sich, weil er Angst hat, etwas könne schief gehen. Vllt denkt er, es bringe Unglück, sich Großvaterfreuden auszumalen. Wie hat er die Schwangerschaft miterlebt? Hat er sie überhaupt miterlebt? Hat Lisa sie verschwiegen? Diese Fragen tauchen für mich an dieser Stelle auf.

Aber der Text schildert doch genau die Entfremdung Sobczaks, dass er das offensichtlich nicht so erleben kann, dass die Gerlinde-Sache völlig die Geburt seines Enkelkindes überformt. Gerade das finde ich die Stärke des Textes und daher gefällt mir, wie gesagt, die Unmittelbarkeit des Übergangs. Würden Großvaterfreuden ausgemalt werden, würde für mich das Spezifische an diesem Text verloren gehen: Dass wir nämlich manchmal nicht so fühlen, wie wir sollten.

Zum Schluss will ich noch einmal betonen: Ich finde, der Text hat wirklich etwas Starkes. Ich würde ihm nicht die emotionale Stoßrichtung nehmen, sondern im Gegenteil Füller streichen. Eine Frage, die ich mir beim Überarbeiten emotionaler Texte stelle, ist: In welcher Passage ist für mich spürbar, was ich vermitteln will? Wo funktioniert das nicht? Wo wird etwas behauptet, das sich aber nicht transportiert? Da streiche ich dann rigoros.

Tatsächlich würde ich mich auf eine kondensierte Fassung des Textes freuen. Ich möchte zudem noch betonen, dass der Protagonist für mich auch tatsächlich greifbar wurde, fast so, dass ich mich frage, wie es für ihn weitergegangen ist. Vielleicht ist Silkes Frage nach seinem Erleben der Schwangerschaft ja gar nicht so unangemessen, wie ich erst dachte. Vielleicht ist da noch etwas, das die Figur erzählen will? Nur vielleicht in einem anderem Text.
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nicolailevin
Geschlecht:männlichEselsohr


Beiträge: 259
Wohnort: Süddeutschland


Beitrag13.02.2019 20:56

von nicolailevin
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Liebes Forum,

erst einmal vielen Dank für euer Feedback. Ich bin verblüfft, wie stark ihr auf diese kleine Story reagiert habt, und ein bisschen beschämt, wenn ich merke, dass manche von euch sich beim Lesen intensivere Gedanken gemacht haben als ich beim Schreiben.

Sprache: Nach nochmaligem Durchlesen stimme ich zu, dass sich da und dort noch straffen lässt, auch ohne die Figur zu verraten. Perfekt soll es nicht werden, Sobczak ist in meinen Augen kein sehr gebildeter oder belesener Mann.

Beschreibungen: der minzgrüne Sitz passt nicht, das stimmt. So etwas würde Herrn Sobczak nicht auffallen. Ich sehe in ihm einen Techniker (vielleicht ein Bauzeichner), geometrische Dinge bemerkt er, aber Farbgefühl hat er nicht - jedenfalls nicht viel.

Sobczaks Alter: Ich denke ihn mir nicht als sehr alten Mann, eher als einen Endfünfziger. Gerlinde ist vor etwa drei Jahren gestorben, mit fünfzig, viel zu früh. Auch Sobczaks Lebensweg wäre eigentlich noch nicht zu Ende, darin liegt gerade die Tragik, dass er keinen Sinn mehr sieht und doch noch so einige Jährchen vor sich haben dürfte. Arbeiten tut er nicht mehr. Ich denke mir, er ist in Frührente: gesundheitliche Probleme vielleicht, da war ja die Gallen-OP, oder er hat ein Abfindungsangebot angenommen. Lisa, die Tochter, ist Ende zwanzig.

Sobczaks Befund: Die prägenden Attribute sind aus meiner Sicht sind resigniert und freudlos. Keine "richtige" Depression, er ist nicht unfähig, etwas zu tun, er lebt vielmehr diszipliniert und stumpf seine tägliche Routine durch.

Hinweis auf die Schwangerschaft: Auch hier habt ihr Recht. Die plötzliche Pointe ist nicht so wichtig, da kann ein früherer Hinweis auf die Schwangerschaft nicht schaden - ihm fehlt (im Gegensatz zum Leser) die Phantasie, dass ein Enkelkind wieder Freude in sein Leben bringen könnte.

Sprache der Schwester: Hab ich mir laut vorgesagt und in meinen Ohren klingt das natürlich und authentisch, was die Schwester spricht. (Und ich hab mehrere Krankenschwestern um mich rum) Razz

Nächste Fassung folgt.
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Christof Lais Sperl
Geschlecht:männlichKlammeraffe

Alter: 62
Beiträge: 941
Wohnort: Hangover
Der silberne Roboter


Beitrag07.11.2023 13:37
Zufälle
von Christof Lais Sperl
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(Zufällig) gezappt und gelesen - großartig!

_________________
Lais
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