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Deutsches Schriftstellerforum Foren-Übersicht -> Antiquariat -> Zehntausend 01/2019
Nichts und Niemand

 
 
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Literättin
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Alter: 58
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Das silberne Stundenglas Der goldene Roboter
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Beitrag01.01.2019 20:00
Nichts und Niemand
von Literättin
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Nichts und Niemand

Ein elektromagnetisches Kräuseln - die Druckwelle, die der abgesendeten Nachricht vorauslief - erreichte Renate Alsleben im ruhelosen Schlaf des Morgengrauens. Die Frauen in der Familie waren sämtlich seit Generationen verrückt, die Männer traf ebenso regelmäßig der Schlag, und so ahnte Renate Alsleben schon vor dem Erwachen nichts Gutes, als die Druckwelle das limbische System ihres Gehirns traf und dort kleinere Signalgewitter auslöste. Im Dunkel ihres Kopfes flackerte das Bild des Großvaters auf: schmal und jung in Wehrmachtsuniform, wie er am Fahrgestell eines Transportfliegers zappelnd, den wüstensandigen Boden unter den Füßen verlor.

Er sei Schuld gewesen, stöhnte die Großmutter unter Schmerzen, als sie sich per Telefonanruf von den Lebenden zu verabschieden anschickte, er sei Schuld gewesen, dass sie in ihrem Leben keine einzige Flugreise hätte unternehmen können. Wegen seines ewigen zu spät Seins bei allen Gelegenheiten und der daraus folgenden halsbrecherischen Aktionen. Nicht eine Flugreise in ihrem Leben. Wo alle Welt sich aufmachte, das ihre endlich in vollen Zügen zu genießen. Da hätte sie ihn noch so bitten können, er habe sich strikt geweigert. In diese Klagen hinein brockte sie die Geschichte von jenem letzten Flugzeug, das El Alamein in Richtung Spanien verlassen habe und an dem der Großvater mit bloßen Händen hing, die zerschossenen Füße nutzlos unter sich ins Leere tretend. Renate Alsleben kniff die Augen zusammen und zuckte mit dem Kinn ein Nein, die Finger so fest um den Telefonhörer geklammert wie um ein Flugzeugfahrgestell. Wie soll denn das?, fragte sie halbherzig: Über das Mittelmeer. Von Afrika aus, nickte die Großmutter am anderen Ende der Leitung. Und stöhnte auf und verfluchte die Ärzte, die das Unheil in ihr nicht rechtzeitig erkannt hätten, sonst hätte sie vielleicht noch ein paar Jahre, aber nun sei die Reihe eben an ihr und niemand pflege sie wie sie seinerzeit ihre Mutter, als jene das Zeitliche segnete. Doch sie, Renate, solle wenigstens auf das Kind achtgeben.
Das Kind, sagte Renate Alsleben. Und sah vorm inneren Auge die Urgroßmutter grau und hager, ganz in Schwarz, mit steifem Rücken auf dem Sofa sitzen, und sah die Großmutter mit den Augen rollen, als sie Renate und Berlinde erklärte, dass sie aufhören sollten, Grimassen zu schneiden, weil ihnen die Augäpfel beim Schielen womöglich schief in den Höhlen stecken blieben, das Kind aber - die Mutter -, war nicht im Bild; stattdessen der Großvater, der zentnerschwer im Sessel versank, den Klumpfuß und das verkürzte Bein hochgelegt, den weichen Mund bereit für Max und Moritz und für selbst gekochte Karamellbonbons, Branntwein und Braten und ihre Schwester Berlinde, die am Großvater empor kletterte und es sich an seinem gewaltigen Bauch hinter dem großen Märchenbuch warm und mollig einrichtete.

Renate und Berlinde waren größtenteils bei den Großeltern aufgewachsen. Das Kind hatte die Töchter zwischen seinen Abfahrten und Ankünften regelmäßig dort abgesetzt, wenn es sich aufmachte, die Welt zu erobern: Von Spitzbergen bis Kapstadt, von New York bis Yokohama. Und das Kind nutzte alles was flog, schwamm oder fuhr: die Boeing 747 wie die Concorde, die Queen Mary 2, den Orientexpress, den TGV wie den Shinkansen. Und das Kind trug den frohlockenden Glanz irrer Lebensgier in den Augen, der in dem Moment erlosch, wenn es Renate und Berlinde rechts und links an einer Hand aus dem Großelternhaus zog, nachhause, um für einen Moment mürrisch sauren Mutterpflichten nachzukommen. Letztlich sei im Leben nichts wirklich wichtig, bekamen Renate und Berlinde bei solchen Gelegenheiten zu hören, außer dieses eine: es nicht zu verpassen. Sie sollten sich nicht sorgen: nicht um Schulnoten oder den Abschluss, nicht um den Beruf und um die Männer schon gar nicht und die Kindheit sei einfach eine Etappe, die zu überstehen sei und am besten sei es, diese nicht allzu wichtig zu nehmen. Das Leben selbst aber ließe sich nicht auf später vertagen, wegen irgendwelcher vermeintlicher Nöte und Pflichten, schließlich habe man immer nur diesen einen Augenblick, der in der Vergangenheit verschwand, ehe man sich versah und den müsse man nutzen und auskosten so gut es ginge, und Renate und Berlinde sollten es sich später von nichts und niemandem nehmen lassen, es ihr nachzutun. Berlinde machte große Augen. Renate schlang die Füße um die Stuhlbeine. Und es konnte sein, dass beide sich am nächsten Morgen vor der Tür der Großeltern wiederfanden.

Während Berlinde Großvaters Schoß erklomm und sich von der Großmutter mollig füttern ließ, blieb Renate ein dürres, blasses Kind dem ständig schwindlig war und das von unguten Ahnungen heimgesucht wurde, die es stumm erduldend in sich barg. Und während Berlinde zu einer sanften, molligen Frau wurde, die den Kindern auf ihrem Schoß verrückte Geschichten von verrückten Abenteuern vorlas und ihnen beibrachte, viel Leben in wenig Zeit zu pressen, blieb Renate hager, blass und schwindlig und versuchte, ihre Füße der Erdanziehung gemäß auf den Boden zu bekommen, während unkontrollierbare Fliehkräfte an ihr zerrten.

Sie versuchte sich in Raumfahrttechnik, in Geologie und als Kinderkrankenschwester und stellte fest, dass das alles nicht half. Die Raumzeit krümmte sich nicht schützend um sie, sondern streckte sich zu einer glatten Ebene ins leere All, wo auch immer sie einen Schritt hin setzte. Die Tiefen der Erdkruste versperrten sich ihr wie gepanzerte Stahltresortore und die Kinder schrien, spuckten und traten nach ihr. Nacheinander schlug sie drei Männern die Ehe aus und versagte ihnen Söhne wie Töchter. Der verlöschende Glanz in den Augen der Mutter schoss ihr in den Kopf, kaum dass ein Mann mit wehem Blick vor ihr kniete und das künftige Familienglück beschwor. Nichts sei wichtig, hörte sie sich sagen, nichts sei wichtig, es sei denn - und dann drehte sich alles in ihrem Kopf und sie ahnte, dass es nicht gut gehen würde, wenn es ihr nicht gelänge, die rasende Erdrotation unter ihren Füßen zu stoppen. Die Männer verließen sie rechtzeitig, bevor der Schlag sie traf. Und Renate Alsleben warf schließlich von einer Mietwohnung aus im Niemandsland am Rande eines Ballungszentrums einen Bodenanker und begann, sich in den teuren Vororten stadteinwärts als ungelernte Gärtnerin zu verdingen, den Blick auf die Grasnarbe gerichtet, ins Unterholz der hohen Hecken, auf ihre Hände, die sich tiefer in den Boden zu graben versuchten, während sie Beetrosen pflanzte und Lavendel. Und außer den Wegen zwischen ihrer Mietwohnung, dem Supermarkt und den Gärten ihrer Auftraggeber, auf denen sie sich mit gesenktem Blick und mit ausgestreckter Hand an Hauswänden, Zäunen, Hecken entlangtastend, fortbewegte, legte sie keine weiteren Strecken zurück. Sie fuhr oder flog nicht in den Urlaub, sie besuchte keine anderen Orte. Sie sah kein Meer und keinen anderen Kontinent. Jahr um Jahr glitt sanft unter ihren Füßen hinweg. Und allmählich fasste sie ein wenig Vertrauen in die ihr vielleicht auf diese Art zugemessenen Tage.

Die Mutter verschwand unbemerkt irgendwo am Horizont und Berlinde und sie verloren sich aus den Augen. Allein die Großmutter meldete sich lange vor ihrem Hinsterben am Telefon, sie habe den Großvater mit blau angelaufenem Gesicht walgleich aufgedunsen im Pool treibend und mit einem Fuß in den Schläuchen der Filteranlage fest hängend, tot aufgefunden. Warum er ihr auch das noch hätte antun müssen, und was nun aus ihr werden solle: das große Haus, der große Garten und niemand, der sich um sie kümmere. Renate murmelte ein paar unverständliche Worte, legte still den Hörer auf und ging, um die gekieste Einfahrt zur Villa eines Auftraggebers vom Unkraut zu befreien.

Als der Wüstensand unter den strauchelnden Füßen des Großvaters verschwand, öffnete Renate Alsleben die Augen. Mit einem Mal war ihr klar, was sie in ihrem Leben tatsächlich versäumt hatte, doch was es war, verflüchtigte sich im aufblendenden Licht der Morgensonne, das ihre Netzhaut traf. Ergeben setzte sie sich auf, griff nach dem Mobiltelefon und schaltete es ein. Berlinde schrieb, die Mutter säße am Flughafen Sao Paulo in Polizeigewahrsam. Sie habe – mit Fäusten gegen die Tür des Cockpits hämmernd - den Piloten eines Airbus im Landeanflug dazu bringen wollen, die Maschine wieder durchzustarten, weil ihr eingefallen sei, sie habe Ägypten noch nicht gesehen und vielleicht bliebe ihr dazu nicht mehr allzu viel Zeit.

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lebefroh
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L
Beitrag12.01.2019 00:08

von lebefroh
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Hhm, schwierig.

Solide geschrieben, aber richtig packen konnte es mich nicht. Die Bezeichnungen der Familienmitglieder fand ich schwierig auseinanderzuhalten. Die selbe Person wurde mal mit "Kind", mal mit "Mutter" bezeichnet?

Außerdem fehlte mir etwas der rote Faden. Klar, Renates Leben, aber warum wird mir davon erzählt?

Der letzte Satz hat mir gefallen, da musste ich lachen. Der Titel sagte mir nicht viel.
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hobbes
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Beitrag12.01.2019 18:59

von hobbes
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spontane Erstleseeindrücke:
Den Anfang finde ich ein wenig behäbig. Behäbig wie: ich komme nicht so recht hinein in die Geschichte. Werde auch nicht herausgeworfen, aber es ist eben ein wenig zäh. Irgendwann hast du, oder nein: Renate, mein Interesse dann aber doch geweckt.
Das Ende sackt dann wieder ab, diese Mutter-im-Cockpit-Aktion, die gerät mir zu klamaukig und entzieht der Geschichte durch den Klamauk einiges an Kraft.

...

- weiteres Lesen -

Zitat:
Er sei Schuld gewesen, stöhnte die Großmutter unter Schmerzen, als sie sich per Telefonanruf von den Lebenden zu verabschieden anschickte, er sei Schuld gewesen, dass sie in ihrem Leben keine einzige Flugreise hätte unternehmen können. Wegen seines ewigen zu spät Seins bei allen Gelegenheiten und der daraus folgenden halsbrecherischen Aktionen. Nicht eine Flugreise in ihrem Leben. Wo alle Welt sich aufmachte, das ihre endlich in vollen Zügen zu genießen.

Kapier ich nicht. Was hat das Blaue damit zu tun, dass sie keine Flugreise machen kann? Gar nichts und es ist nur die Ausrede, die sie benutzt?
Das mit den Zügen, das ist mit diesem Bezug eher witzig, vermutlich war das nicht so gedacht - man könnte es aber durchaus so verstehen, dass der Rest der Welt in vollen Zügen (also buchstäblichen) in Urlaub fährt. Überhaupt dieses das ihre in diesem Satz - das ist auch so ein unklarer Bezug. Von der Reihenfolge her müsste es zur Großmutter gehören, das macht aber keinen Sinn, also ist wohl das Leben gemeint, ihr Leben, das der anderen. Das ist dann aber arg holprig.

Diese Lebensgeschichte ist nun auch wieder völlig anders erzählt als die der anderen Texte, mehr mit dem Augenmerk auf "wie wir wurden, wer wir sind", also in Richtung Vergangenheit, wer sind die Eltern, Großeltern, was macht das aus uns. Schon interessant, diese unterschiedlichen Herangehensweisen.

Hier nimmt der Ahnen-Teil viel mehr Platz ein als Renate selbst, was ja nun irgendwie wieder logisch ist. Andererseits finde ich es dann doch nicht ganz stimmig.
Oh, grad fällt mir auf, dass das beschriebene Leben eventuell gar nicht das von Renate ist, sondern das ihrer Mutter? Oder gar das aller Menschen in dieser Familie.

Nun, wie dem auch sei, der Text erreicht mich leider nicht.
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Eredor
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Traumtagebuch
Beitrag12.01.2019 21:32

von Eredor
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Zitat:
Ein elektromagnetisches Kräuseln - die Druckwelle, die der abgesendeten Nachricht vorauslief - erreichte Renate Alsleben im ruhelosen Schlaf des Morgengrauens. Die Frauen in der Familie waren sämtlich seit Generationen verrückt, die Männer traf ebenso regelmäßig der Schlag, und so ahnte Renate Alsleben schon vor dem Erwachen nichts Gutes, als die Druckwelle das limbische System ihres Gehirns traf und dort kleinere Signalgewitter auslöste. Im Dunkel ihres Kopfes flackerte das Bild des Großvaters auf: schmal und jung in Wehrmachtsuniform, wie er am Fahrgestell eines Transportfliegers zappelnd, den wüstensandigen Boden unter den Füßen verlor.


Ganz ehrlich? So fangen Romane an, die Preise gewinnen. Heb dir das auf und schreib daraus ein Buch. Die Zusammenfassung davon hast du ja praktischerweise unten schon geschrieben. Laughing
Die Zeitraffung ist manchmal anstrengend, ich komme nicht hinterher. Es fehlt an Ruhepunkten für die Leser*in. Alles in allem finde ich den Text sehr gut - mit der ein oder anderen Schwäche.


_________________
"vielleicht ist der mensch das was man in den/ ersten sekunden in ihm sieht/ die umwege könnte man sich sparen/ auch bei sich selbst"
- Lütfiye Güzel
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firstoffertio
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Beitrag13.01.2019 00:02

von firstoffertio
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Das ist ein 1) Text, also ein Lebenstext. Ich muss mir das von nun an immer ganz deutlich machen.

Sehr flüssig und anschaulich beschrieben, das bisherige Leben der Renate.

Und doch, und doch: Vielleicht erscheint mir sie und ihr Lebenslauf zu erfunden, zu ausgedacht. Das Bild der Flieger zu strapaziert, der Horizont zu sehr darauf bezogen.

Zeitraffung: ja.

Zitat:
Die Mutter verschwand unbemerkt irgendwo am Horizont


Der Schluss rückt mir das ein wenig zu sehr in Richtung Genre, irgendwie.
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Tape Dispenser
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T


Beiträge: 272



T
Beitrag13.01.2019 13:43

von Tape Dispenser
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Renate Alsleben: Hauptprotagonistin, ist nie geflogen.

Großmutter: Ist nie geflogen, verheiratet mit Großvater, dem im 2. Weltkrieg bei der Flucht, an einem Flugzeug hängend, die Füße zerschossen wurden.

Urgroßmutter: Wurde von Großmutter gepflegt, spielt aber weiter keine Rolle, außer, stocksteif dazusitzen.

Großmutter hat eine Tochter, die namenslos bleibt, und die die Mutter von Renate und Berlinde ist. Sie beklagt sich darüber, dass sie sie nicht pflegt, bittet aber Renate darum, sich um sie (das Kind) zu kümmern.

Die namenlose Mutter fliegt anscheinend schon ihr ganzes Leben lang um die Welt und hat Renate und Berlinde schon seit kleinauf bei ihren Eltern abgeladen.

Renate versucht sich in verschiedenen Berufen, die eine außergewöhnliche Bandbreite besitzen (Raumfahrtechnik, Geologie, Kinderkrankenschwester) und endet schließlich als Hilfsgärtnerin. Sie wählt ein Leben, dass ihr keine Reisen abverlangt. Sie schlägt drei Heiratsanträge aus, weil sie immer die Worte ihrer Mutter in den Ohren hat, dass sie ihr Leben nicht verpassen dürfe, und sich deshalb von nichts und niemandem (Titel!) davon abhalten lassen dürfe. Von keinem Ehemann und von keinem Job.

Während Berlinde es sich hinter Opas Bauch gemütlich macht, verschlingt Renate die Beine (Halt suchend) um ihren Stuhl. Auch später "tastet" sie sich auf ihrem Weg zur Arbeit oder nach Hause "mit gesenktem Blick und mit ausgestreckter Hand an Hauswänden, Zäunen, Hecken entlang…"
Auch in ihrem Job als Hilfsgärtnerin das gleich Bild. Renate ist jemand, der Halt sucht. Sie wirft einen "Bodenanker" senkt den Kopf Richtung Grasnarbe und versucht "tiefer zu graben".

Natürlich fragt man sich, was aus den Männern der Familie geworden ist. Aber der Autor/die Autorin lässt uns schon am Anfang wissen, dass diese (bis auf den Großvater) "früh vom Schlag getroffen wurden."


Bleiben also Renate und Berlinde, die sich unterschiedlich entwickeln. Berlinde schlägt dem Opa nach, während Renate ihr Leben lang wurzellos bleibt, obwohl sie am Anfang der Geschichte eine Erkenntnis hat, die sie jedoch am Ende vergisst, weil ihre Mutter in San Paolo am Flughafen festgenommen wurde, weil sie in ihrem Bestreben (und ihr eigenes Ableben vor Augen habend), darauf besteht, weiterzufliegen, weil sie noch nicht alles gesehen hat. Die Mutter von Renate also ist das genaue Gegenteil – letztendlich haben beide ihr Ziel nicht erreicht und sind auf ihre jeweils eigene Art vereinsamt.

Das alles in wirklich gelungene Sprache verpackt, der man anmerkt, dass jemand sich Gedanken gemacht hat.
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Literättin
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Beitrag14.01.2019 09:34

von Literättin
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Danke für das Thema - hatte ewig nicht so viel Freude beim Verfassen eines Textes wie bei diesem, an dem ich hänge wie ...

_________________
when I cannot sing my heart
I can only speak my mind
- John Lennon -

Christ wird nicht derjenige, der meint, dass "es Gott gibt", sondern derjenige, der begonnen hat zu glauben, dass Gott die Liebe ist.
- Tomás Halík -

Im günstigsten Fall führt literarisches Schreiben und lesen zu Erkenntnis.
- Marlene Streeruwitz - (Danke Rübenach für diesen Tipp.)
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Mardii
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Beiträge: 1774



Beitrag15.01.2019 14:46

von Mardii
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Ein Text zum Thema Biographie, und sehr an den Vorgaben orientiert. Stilistisch gut umgesetzt, die Idee von der einfachen Frau und dem Besonderen an ihrem Leben gut umgesetzt. Da bleibt etwas hängen.

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`bin ein herzen´s gutes stück blech was halt gerne ein edelmetall wäre´
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d.frank
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Beiträge: 1125
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D
Beitrag15.01.2019 18:59

von d.frank
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Weiß nich, mir geht es hier in etwa ähnlich wie mit einem anderen, an sich gut gemachtem Text. Plakativ hat einer im Smalltalkfaden gesagt.
Der Märchenopa, die filmreife Mutter, Frauen, die seit Generationen verrückt werden, Stammväter, die mit bloßen Händen und zerschossenen Füßen am Flugzeug hängen. Ich versteh schon, was der Text mir sagen will. Aber irgendwas fehlt mir hier auch. Schön fand ich die Erdung, wie Renate ihr heil im Gärtnern sucht. Weil das gerade hier so schön passt von wegen E. Steht das E nicht für ernste Literatur? Sollte die nicht auf neuen Wegen vom Alltäglichen erzählen? Insgesamt sehe ich eine beachtenswerte Botschaft, aber die ist mir ein bisschen zu grell verpackt.


_________________
Die Wahrheit ist keine Hure, die sich denen an den Hals wirft, welche ihrer nicht begehren: Vielmehr ist sie eine so spröde Schöne, daß selbst wer ihr alles opfert noch nicht ihrer Gunst gewiß sein darf.
*Arthur Schopenhauer
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Heidi
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Der goldene Durchblick


Beitrag15.01.2019 20:51
Re: Nichts und Niemand
von Heidi
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Sprachlich ist der Text ausgereift, mehr noch, er ist sehr bemüht in seiner Sprache. Stellenweise altbacken, wegen der gehäuften indirekten Rede (ich mags ja eher flapsiger), aber doch beeindruckend, was da so rauskommt an gehobenen Worten.

Inhaltlich finde ich hier eine Biografie wieder, zwar nicht bis zum Tod, aber doch einen Umriss einer Figur, oder eigentlich mehrerer Figuren. Renate Alsleben sollte im Mittelpunkt stehen, vielleicht, aber im Grunde ist es ihre Mutter, die - für mich jedenfalls - klar im Mittelpunkt steht. Diese Sache zum Schluss, einfach die Maschine nach Ägypten zu schicken hat mich schon beeindruckt, eine starke Frau, entgegen Renate, die ein recht tröges Leben führt.
Einen Mehrwert entdecke ich bei dieser Geschichte nicht für mich, sie beschäftigt mich nicht über das Lesen hinaus, das finde ich etwas schade.

Das Thema schwingt im Text mit, auch das Motto finde ich (etwas aufgesetzt am Ende) auch vor.

Es wird Punkte geben, eher mittlere bis untere, aber doch, der Text wird nicht leer ausgehen, was größtenteils an Ägypten liegt.

---

Nun sind es untere Punkte geworden.
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V.K.B.
Geschlecht:männlich[Error C7: not in list]

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Beitrag16.01.2019 04:23

von V.K.B.
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Hallo Inko,
eine Geschichte, die mir recht gut gefällt, auch wenn hier das Leben von mehreren Personen beschrieben wird. Auf jeden Fall ist es eine Geschichte, die für sich allein stehen kann und nicht merklich nur für die Umsetzung der Vorgaben geschrieben wurden, wie bei den letzten drei, die ich gelesen habe.
Sprachlich fehlt mir der E-Aspekt ein bisschen, das ist recht konventionell geschrieben, aber dafür ist das Thema der gestundeten Zeit doch sehr gut umgesetzt. Ich mag den Opa, der muss ein cooler Typ gewesen sein. Mutter und Tochter sind mir eher unsympathisch, aber das soll wohl so.

Jedenfalls gerne gelesen, mal sehen, ob es am Ende für Punkte reicht. Aber die verteile ich erst, wenn ich alles gelesen habe.

Beste Grüße,
Veith


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Hang the cosmic muse!

Oh changelings, thou art so very wrong. T’is not banality that brings us downe. It's fantasy that kills …
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Municat
Geschlecht:weiblichEselsohr

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Wohnort: Zwischen München und Ingolstadt


Beitrag16.01.2019 17:06

von Municat
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Moin Inko smile

Renate Alsleben erwacht ... ob nun vom Anruf der Großmutter, die im Angesicht ihres Todes eine letzte Runde Vorwürfe loswerden will, oder von einem flüchtigen (unhaltbaren) Traum, der ihr endlich den wahren Sinn es Lebens aufzeigt, aber verblasst, bevor sie ihn greifen kann ... und sieht ihr bisheriges Leben (sowie das Leben ihrer Mutter) an sich vorüberziehen. Drehscheibe ihres gedanklichen Rückblickes ist ihre Mutter, die sie sowohl aus ihrer eigenen Perspektive, als auch aus dem Blickwinkel der Großmutter (also als Tochter) sieht. Alleine dadurch ist das Thema schon zu 100 % getroffen, wie ich finde. Du setzt die Vorgaben aber noch in einem weiteren Punkt um: Renates Mutter wird als ein Mensch dargestellt, der nie die Gegenwart genießen kann, sondern immer weiter getrieben wird - aus Angst, das Leben zu verpassen. Genau das passiert aber: sie verpasst ihr eigenes Leben, das Leben ihrer Familie und kommt nie wirklich an.

In jedem Detail stecken Hinweise auf neue Baustellen, die selbst wieder eigene Geschichten liefern könnten:

Der Großvater mit seinem Trauma und seinem Herz für die Enkel

Das Gefühl, wichtige Dinge im Leben verpasst zu haben, das sich von der Großmutter über die Mutter bis zu Renate fortpflanzt

Berlinde, die die Geborgenheit des Großvaters annimmt und in ihrem eigenen Leben umsetzt (sie wird wohl eher vom Schlag getroffen als verrückt)

und das sind nur die ersten, die mir einfallen.

Trotz dieser ernsten Themen sind in dem Text auch Stellen zum schmunzeln versteckt wie zum Beispiel
Zitat:
Die Männer verließen sie rechtzeitig, bevor der Schlag sie traf.


Die Bilder, die der Text bei mir erzeugt, sind stark. Dieser Text bleibt mir in Erinnerung, so viel steht fest.

Punkte vergebe ich erst, wenn ich alle Beiträge kommentiert habe.

ediTier
7 Punkte


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Gräme dich nicht, weil der Rosenbusch Dornen hat, sondern freue dich, weil der Dornbusch Rosen trägt smile
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Nihil
{ }

Moderator
Alter: 34
Beiträge: 6039



Beitrag16.01.2019 17:17

von Nihil
Antworten mit Zitat

Bei diesem Text habe ich als Einzigem das Bedürfnis, ihn nur mehrere Male lesen zu wollen, ohne ihn kaputt zu deuten. Ich finde hier viel Originalität und Witz, die mir sehr gefallen, sowohl in sprachlichen Kleinigkeiten (mit dem Kinn ein Nein zucken) als auch in einzelnen Szenen. Mein Favorit:
Zitat:
Während Berlinde Großvaters Schoß erklomm und sich von der Großmutter mollig füttern ließ, blieb Renate ein dürres, blasses Kind dem ständig schwindlig war und das von unguten Ahnungen heimgesucht wurde, die es stumm erduldend in sich barg. Und während Berlinde zu einer sanften, molligen Frau wurde, die den Kindern auf ihrem Schoß verrückte Geschichten von verrückten Abenteuern vorlas und ihnen beibrachte, viel Leben in wenig Zeit zu pressen, blieb Renate hager, blass und schwindlig und versuchte, ihre Füße der Erdanziehung gemäß auf den Boden zu bekommen, während unkontrollierbare Fliehkräfte an ihr zerrten.

Das ist einfach schön erzählt, trotz des anklingenden Determinismus. Renate versucht ihr Leben lang, ihren Weg zu finden, bewegt sich dabei von der Gärtnerei bis zur Raumfahrt, eifert damit in ihren verschiedenen Rollen dem nach, was die Mutter mit ihren zahlreichen Reisen erfüllt.

Das Ende ist mir aber entschieden zu platt. Auch wenn bereits angekündigt wurde, dass alle Frauen der Familie irgendwann durchdrehen, stehen mir hier ein übertrieben gezeichneter Hedonismus, der sich in total entgrenzter Reisewut äußert, und ein Leben, das nur über die Runden kommen will, zu krass gegeneinander. Man kann darin natürlich sowas wie konzentrierte Sittenbilder sehen, alle auf der Flucht vor irgendetwas und dabei das Eigentlich verpassend. Ich wünschte nur, das wäre nicht ganz auf die äußerste Spitze getrieben, weil der Text dadurch etwas Karikatureskes bekommt. (Eigentlich nicht erst am Ende.)

Dennoch, Thema erfüllt, und das deutlich, ungleich vieler anderer Texte im Wettbewerb und viel Schönes dabei. Ist das
Nihil hat Folgendes geschrieben:
und viel Schönes dabei
eigentlich noch ein Lob oder schon eine verkrüppelnde Aussage mit Nullwert? Ach, immer dieses Antwortensuchen.
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Kiara
Geschlecht:männlichReißwolf

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Beiträge: 1404
Wohnort: bayerisch-Schwaben


Beitrag17.01.2019 11:20

von Kiara
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Dies ist eine Standard-Antwort: Vielen Dank für deinen Text! Ich bitte um Verständnis, dass ich (momentan) keine Begründung dafür abgebe, warum du von mir Punkte bekommen hast. Das liegt unter anderem daran, weil die (sogenannte) Klassifizierung von E-Literatur wenigstens teilweise subjektiv ist.
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a.no-nym
Klammeraffe
A


Beiträge: 699



A
Beitrag19.01.2019 01:08

von a.no-nym
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Hallo Inko,
was mich an Deinem Text immer wieder begeistert hat, ist die besondere Stimmung, die sich bei jedem Lesen aufs Neue einstellt - eine Mischung aus nachdenklicher Betrachtung aus der Ferne, gepaart mit Nähe zu den Figuren, weil der Text an eigene Erinnerungen rührt. Leider kann ich mal wieder nicht richtig beschreiben, was ich meine... Auf jeden Fall werde ich Punkte dalassen, da bin ich sicher.

Für Text und Inko alles Gute!
Freundliche Grüße
a.

edit: Was mich jedesmal ein wenig aus der oben beschriebenen Stimmung herausschubst, die ich so gern noch etwas länger genießen würde, ist die Komik des Schlusses. Ich glaube, den lasse ich beim nächsten Lesen probehalber einfach mal weg, auch wenn sich dann die schöne Klammer zum Anfang nicht schließt Wink
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Catalina
Geschlecht:weiblichEselsohr

Alter: 51
Beiträge: 427
Wohnort: Kehdingen


Beitrag21.01.2019 08:11

von Catalina
Antworten mit Zitat

Bei Deinem Text schrieb ich beim ersten Lesen an den Rand, dass mir der Schluss nicht gefiele. Jetzt, beim zweiten Lesen, finde ich erst die Verbindung zu Renate und auf einmal gefällt er mir ziemlich gut.

Du beschreibst das Leben einer Frau, das bestimmt davon ist, nicht so zu werden wie das ihrer Mutter. Renate bekämpft ihre Anlagen, für eigene Wünsche und Bedürfnisse gibt es da anscheinend keinen Platz mehr. Ein Nichts und Niemand?

Sehr schöner Schreibstil, liest sich absolut rund.

Die Vorgaben sind gut umgesetzt, die gestundete Zeit liegt deutlich und schwer über dem Text.

"viel Leben in wenig Zeit zu pressen", gefällt mir. Auch das Kinn, das ein Nein zuckt.

Dass es keine Punkte gibt, ist der harten Konkurrenz geschuldet, deren Ideen besonders waren, mich mehr zum Nachdenken gebracht und/oder mich mehr berührt haben.
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Michel
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Das bronzene Bühnenlicht Das goldene Niemandsland
Der silberne Durchblick Der silberne Spiegel - Prosa
Silberne Neonzeit


Beitrag22.01.2019 16:57

von Michel
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Mehrgenerationengeschichte, vom Opa, der aus Rommels Wüstenkrieg floh, bis zu Renate, die ein stark reduziertes Leben führt, von der ewig reisenden Mutter vernachlässigt. Interessant und verschachtelt. Ein ganzes Leben – nicht nur eins. E? Ja. Sperrig? Definitiv. Meins? Hm.
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Jenni
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Beiträge: 3310

Das goldene Aufbruchstück Die lange Johanne in Gold


Beitrag23.01.2019 01:10

von Jenni
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Das Familiendrama. In diesem Fall drei Generationen Frauen, die das Gefühl haben, ihr Leben liefe ihnen davon, jede auf ihre Art traurig, ohne sich gegenseitig zu sehen und in Beziehung zueinander zu gehen, was dann wahrscheinlich auch das wahrlich Versäumte ist. Das ist großartig dicht erzählt, vor allem wirklich erzählt, nicht nur an der Vorgabe entlang, sondern organisch aus der Geschichte selbst heraus, die Vorgabe scheinbar ganz nebenbei erfüllt. (Un-)Haltbare Gegenwart als übergeordnetes Thema, aber auch überall in vielen Details und Varianten. Und das sind auch nicht nur Figuren, sondern Menschen voller Eigenheiten. Ich weiß nicht, was ich zu dem Text weiter sagen könnte, denn das ist einfach genau, wie es muss. Gefällt mir sehr. Sieben Punkte.
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lilli.vostry
Wortschmiedin


Beiträge: 1219
Wohnort: Dresden


Beitrag23.01.2019 01:18
aw:NichtsundNiemand
von lilli.vostry
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Hallo,

schön ironischer Titel. Die Angst davor, Nichts und Niemand zu sein. Und Nichts und Niemand kann einen aufhalten. Wie die Mutter von Renate Alsleben (schöner Nachname als was? Das weiß sie selbst nicht so recht...) und Berlinde; die nichts im Leben verpassen will, auf Kosten ihrer Töchter.

Eine wunderbar schräge, abenteuerliche und verrückte, komische und traurige Familiengeschichte über drei Generationen hinweg erzählt, atmosphärisch dichte, bilderreiche Zeitraffung. Mit schöner Schlusspointe.
Der Leser darf den Faden für sich weiterspinnen.

Würde man am liebsten mehr davon lesen.

Etwas unklar blieb mir, wer das "Kind" ist? Die Mutter von Renate und Berlinde?

Dein Text gehört zu meinen drei Favoriten.

Viele Grüße,
Lilli


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nebenfluss
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Beitrag25.01.2019 17:01

von nebenfluss
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Hallo Inko,

erinnert mich entfernt an Frau Dublonski. Solltest du d.frank sein, gratuliere ich.
Ansonsten natürlich auch.
Sind zwar letztlich „nur“ drei Punkte geworden, aber das ist schon ordentlich, bei der Menge der Texte und dem hohen durchschnittlichen Niveau.

Besonders gefallen hat mir die bitter-humorige Erkenntnis, dass der Großvater wegen seines „ewiges zu spät Seins“ am Fahrgestell des Transportfliegers zappelt. Schön auch, dass hier im Grunde nicht nur ein Leben, sondern das Leben dreier Frauengenerationen nachgezeichnet wird.

Das Ende dagegen fand ich etwas unbefriedigend, es hört irgendwie einfach so auf.


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anderswolf
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Beitrag25.01.2019 17:09

von anderswolf
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Das ist wie letztes Jahr mit dem Geburtstag, den ich nicht erkannt habe, irgendwie fehlt mir der Durchblick für die Bezüge zwischen den Menschen. Die Großmutter stirbt, sie erinnert sich am Telefon (also stirbt sie erst demnächst) an ihren Gatten, also Renates Großvater, aber eben auch an ihre eigene Mutter, die - stellt man am Ende fest - in Sao Paulo im Gefängnis sitzt, weil sie der Familienfluch der weiblichen Verrücktheit getroffen hat (was für mich ohnehin nach einem ziemlich blöden Klischee klingt, dass Frauen verrückt werden irgendwann und Männer der Schlag trifft. Als könnten nicht auch Männer ab und an mal verrückt werden und Frauen am Schlag sterben. Passiert dauernd, aber seit man nach der Gebärmutter eine neurotische Störung benannt hat, werden Frauen eben verrückt). Dem Tode nah also hängt die Oma am Telefon und Renate soll auf ein Kind achtgeben und ich habe keine Ahnung, wer gemeint ist. Denn direkt davor - das hilft nicht - ist ein bezugsreicher und -schwieriger Satz: Nun sei die Reihe an ihr (also an der Großmutter) und niemand pflege sie (die Großmutter) wie sie (die Großmutter) seinerzeit (also eher damals und nicht zu Zeiten des Großvaters) ihre (also der Großmutter) Mutter (und sofort denke ich trotz aller Klärung, dass da die Sicht der Großmutter ist: Renates Mutter), als jene (also eigentlich die Urgroßmutter, aber ich denke immer noch: Renates Mutter) das Zeitliche segnete. Renate soll auf das Kind achtgeben. Und da denke ich zuerst: Renate hat ein Kind, aber dann kommt die Urgroßmutter ins Bild, und ich denke: das Kind der Urgroßmutter, der Großmutter, der Mutter, von Renate? Und dann wird klar: das Kind - die Mutter. Und leider ist dann mein Gehirn implodiert und ich muss alles nochmal lesen.
Nun ist die Diskussion um E dieses Jahr besonders stark und ich werde den Verdacht nicht los, dass E hier nur verstanden wurde als möglichst unzugänglich. Möglichst unhaltbar in der Lesegegenwart (ja, ist wohl irgendwie das Thema). Der Text ist sich dessen bewusst, denn das Kind wird auch direkt im nächsten Absatz weiterhin nicht als Mutter der Töchter benannt, sondern als Kind. Vielleicht ist das aber auch beabsichtigt, vielleicht soll man sich als Lesender nicht in der Muttergeneration halten können oder überhaupt in irgendeiner, darum beginnt der Text bei der sterbenden Großmutter und geht dann - theoretisch - auf Renate über, obwohl eigentlich die Geschichte der Mutter erzählt wird.
Und dann plötzlich die von Renate selbst, die von der Rastlosigkeit ihrer Mutter angesteckt nach Halt in einer sich schnell drehenden Welt sucht und schließlich als Gärtnerin sich selbst in die Erde pflanzt, obwohl die Zeit unter ihren Füßen hinweggleitet (hier könnte man besser im Beld bleiben, wenn die Zeit über sich hinwegstriche).
Und dann nochmal die abtauchende Mutter, der walgleich versterbende Großvater, die maulige Großmutter, und dann wird klar, dass das, was Renate weckte, nicht der Anruf der Großmutter war, die ihren Tod anfangs mit dem Gemaule über den Großvater angekündigt hat, sondern eben Berlinde, die die Verrücktheit der Mutter mitteilt, was Renate aber nur instinktiv weiß, denn das Telefon ist ja aus, als die SMS elektronisch ankommt, aber gleichzeitig offensichtlich auch als elektrischer neurosynaptischer Impuls, der sie dann eben geweckt hat und sie hat vergessen lassen, was denn nun wirklich wichtig sei im Leben. Doofe Berlinde. Doofe Mutter.

Ich werde nicht warm damit, vielleicht sind es zuviele Frauen, deren Lebensgeschichten sich hier überlappen und alle sind irgendwie von der Abwesenheit der Mutter verbunden. Sie allein ist der rote Faden, aber so wie sie abwesend ist, scheint auch der rote Faden. Der Leser muss sich die Geschichte selbst aus den Restfäden zusammenweben, was nicht das Leichteste ist. Und dann wird man mit einer hanebüchenen Pointe aus dem Text geworfen wie die Töchter aus dem Leben der Mutter.
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fabian
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Beitrag25.01.2019 18:02
Re: Nichts und Niemand
von fabian
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